Entscheidungsdatum
16.03.2021Norm
BFA-VG §9Spruch
L519 2237112-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch die RAST&MUSLIU Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2020, Zl. XXXX , wegen Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.12.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein Staatsangehöriger der Türkei, wurde am XXXX in Österreich geboren und ist im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt – EU“.
2. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 2013 (rk. XXXX 2013), Zahl XXXX wurde der BF wegen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel und des Diebstahles gemäß §§ 241e Abs. 1 1.Fall und 127 StGB zur einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt.
3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016 (rk. XXXX 2016), Zahl XXXX wurde der BF wegen Suchtgifthandels und versuchten Diebstahls gemäß §§ 28a Abs. 1, 5.Fall SMG, 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 und 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt mit einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe, verurteilt.
4. Mit Straferkenntnis der LPD XXXX vom XXXX 2018, Zahl VStV XXXX , wurde gegen den BF wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand und weiteren 13 Delikten nach der StVO und KFG bzw. FSG eine Geldstrafe von € 4.130,- verhängt.
5. Mit Straferkenntnis der LPD XXXX vom XXXX XXXX , Zahl VStV XXXX , wurde gegen den BF wegen Befahrens einer Einbahnstraße entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung gem. § 7 Abs. 5 StVO eine Geldstrafe von € 550,- verhängt.
6. Mit Beschluss des BG Neulengbach vom XXXX 2019, Zahl 1 Ps XXXX , wurde der Antrag des BF, der Mutter seines Sohnes, XXXX , die Obsorge für das Kind zu entziehen und diese ihm zu übertragen, abgewiesen.
7. Der BF wurde mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX 2019 (rk. 2.06.2019), Zahl XXXX wegen Suchtgifthandels gemäß §§ 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall, 28a Abs. 3 erster Fall und 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.
8. Der BF kam drei Ladungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl für den 01.10.2019, 19.11.2019 und 17.12.2019 nicht nach.
9. Mit Schreiben vom 04.02.2020 gewährte das Bundesamt dem BF schriftlich die Möglichkeit des Parteiengehörs, zu welchem er nach zweimaliger Fristerstreckung zusammengefasst angab, dass er seit der Geburt in Österreich lebe und gesund sei. Seine Kernfamilie wohnt im Bundesgebiet, in der Türkei befindet sich noch die Großmutter mütterlicherseits. Zu seinem 2014 geborenen Sohn habe er regelmäßigen Kontakt. Eine Ausreise in die Türkei sei nicht vorstellbar.
10. Mit Straferkenntnis der LPD XXXX vom XXXX 2020, Zahl VStV/ XXXX , wurde gegen den BF wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne im Besitz einer Lenkberechtigung zu sein, eine Geldstrafe von € 550,- verhängt.
11. Am 07.08.2020 reichte die seinerzeitige rechtsfreundliche Vertretung nach zweimaliger Aufforderung weitere Unterlagen (Geburtsurkunde des BF, Protokoll des BG Neulengbach über die Besuchsregelung, Lohnzettel samt Einstellungszusage) und eine Stellungnahme ein. Dazu wird über den schulischen Werdegang des BF informiert und darüber, dass der BF coronabedingt seinen Arbeitsplatz im Gastgewerbe verloren hat.
12. Am 11.09.2020 wurde der BF nach gewaltsamer Wohnungsöffnung durch die WEGA festgenommen und wurde in weiterer Folge die Untersuchungshaft durch das LG für Strafsachen XXXX , Zahl XXXX , wegen gewerbsmäßigen Drogenhandels verhängt.
13. Der BF wurde mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX 2020 (rk. XXXX 2020), Zahl XXXX wegen § 27 Abs. 1, achter Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
14. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2020, Zl. XXXX , wurde gemäß § 52 Abs. 5 FPG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005 wurde ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG 2005 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG wurde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer bereits dreimal, davon zweimal wegen Drogenhandels, rechtskräftig verurteilt worden sei. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stelle aufgrund seines bisherigen Verhaltens, vor allem den wiederholten Verstößen gegen das Suchmittelgesetz, eine gegenwärtige und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Eine positive Zukunftsprognose sei angesichts der gravierenden Delinquenz nicht möglich. In einer Gesamtbeurteilung erweise sich das Einreiseverbot in der Dauer von zehn Jahren als gerechtfertigt und notwendig.
15. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX 2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig eine Rechtsberatungsorganisation für das Beschwerdeverfahren beigegeben.
16. Gegen den am 14.10.2020 zugestellten Bescheid des Bundesamtes wurde durch den BF fristgerecht Beschwerde erhoben.
In dieser wird beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, eventualiter den Bescheid zu beheben und an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung zurückverweisen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
In der Sache bringt der Beschwerdeführer vor, er sei in Österreich geboren und hätte dementsprechend auch im Bundesgebiet seine gesamte Ausbildung genossen. Zudem würde sich sein am XXXX geborener Sohn hier aufhalten. Zur Türkei bestehe nicht einmal der Ansatz einer Verbindung. Die Behörde hätte sich nicht mit den konkreten Inhalten der Strafakte auseinandergesetzt, indem sie lediglich feststellte, dass der BF nicht gewillt sei, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Zudem werde die Sucht im Moment erfolgreich therapiert. Weiter wäre die enge Beziehung zur Familie des BF und auch zu seinem Sohn nicht ausreichend berücksichtigt worden. Aufgrund seiner sozialen Kontakte und einer Einstellungszusage wäre der BF einem österreichischen Staatsbürger gleichzustellen. Es würde jedenfalls sehr viel für ein schützenswertes Privat- und Familienleben sprechen und würde eine Rückkehrentscheidung gleichzeitig die Trennung von seinem Kind bedeuten.
17. Mit Beschluss des BVwG vom 23.11.2020 wurde der Beschwerde gem. § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
18. Am 07.12.2020 langte ein Bericht der LPD XXXX über die erfolglose Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung an den BF ein. An der Meldeadresse gab eine weibliche Person bulgarischer Herkunft bekannt, dass der BF dort schon seit ca. zwei Wochen nicht mehr aufhältig wäre. Von der LPD XXXX wurde die amtliche Abmeldung veranlasst.
19. Am 11.12.2020 langte eine Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertretung ein, in der darüber informiert wurde, dass der BF im Bundesgebiet geboren wurde und sich seine gesamte Familie in Österreich aufhalte. Der BF würde seine Straftaten bereuen und wäre er in Anbetracht seines Sohnes gewillt, seinen Weg ordentlich und verantwortungsvoll zu gehen. Er hätte seine Lektionen aus der Vergangenheit gelernt.
20. Am 14.12.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Türkisch durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer umfassend Gelegenheit gegeben, seinen Standpunkt darzulegen.
21. Mit Eingabe vom 30.12.2020 langte die bereits am 11.12.2020 von der rechtsfreundlichen Vertretung eingebrachte Stellungnahme erneut ein. Zudem wurde eine Aufenthaltsbestätigung des Vereines XXXX , betreffend eine am 16.12.2020 begonnene stationäre gesundheitsbezogene Maßnahme übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, er ist Staatsangehöriger der Türkei und somit Drittstaatsangehöriger. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Österreich geboren. Er besuchte dort die Volks- und Hauptschule, danach den Polytechnischen Lehrgang. Anschließend absolvierte er eine Tischlerlehre, legte die Gesellenprüfung jedoch nicht ab.
Der BF ist geschieden und Vater des XXXX , am XXXX geboren. Die Obsorge über den Sohn wurde der Kindesmutter zugesprochen.
Der Beschwerdeführer ist Moslem.
Der Beschwerdeführer ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.
Der Beschwerdeführer besuchte mehrmals die Türkei für Urlaubs- und Freizeitaufenthalte.
1.2. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt-EU“.
Der Beschwerdeführer stellte keinen Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft.
1.3. Der Beschwerdeführer hat freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Er war vom 18.09.2008 bis 17.11.2008 bei der Fa. XXXX in XXXX Arbeiterlehrling. Beim Verein zur Unterstützung der Lehrlingsstiftung in XXXX war er als Arbeiterlehrling vom 15.12.2008 bis zum 13.07.2009 beschäftigt. Von 17.08.2009 bis 02.10.2010 war er als Arbeiter bei der Fa. XXXX GmbH in XXXX beschäftigt, von 05.09.2011 bis 30.09.2011 als geringfügig Beschäftigter und von 01.10.2011 bis 17.05.2012 als Arbeiter bei der Fa. XXXX in XXXX . Vom 08.10.2014 bis 28.11.2014 war der BF bei der Fa. XXXX in XXXX , von 16.09.2016 bis 25.11.2016 bei der Fa. XXXX KG und vom 20.12.2016 bis 31.12.2016 bei der Fa. XXXX GmbH als geringfügig beschäftigter Arbeiter tätig. Bei der Fa. XXXX KG in XXXX als Arbeiter vom 09.05.2017 bis 24.12.2017. Bei der Fa. XXXX in XXXX war er als geringfügig beschäftigter Arbeiter von 19.02.2018 bis 28.02.2018, vom 01.03.2018 bis 05.04.2018 als Arbeiter, vom 12.11.2018 bis zum 31.12.2018 als geringfügig Beschäftigter, vom 01.10.2019 bis 28.01.2019 und vom 02.09.2019 bis 07.10.2019 als Arbeiter tätig. Bei der Fa. XXXX vom 10.04.2018 bis 31.05.2018 als geringfügig beschäftigter Arbeiter und vom 01.06.2018 bis 26.09.2018 als Arbeiter, im Eventhotel XXXX GmbH vom 25.11.2019 bis 22.12.2019 als Arbeiter. Vom 26.12.2019 bis 05.01.2020 bei der Fa. XXXX GmbH in XXXX und bei der Fa. XXXX KG in XXXX vom 07.01.2020 bis 14.03.2020, jeweils als Arbeiter. Bei der Fa. XXXX GmbH in XXXX schließlich als geringfügig beschäftigter Arbeiter vom 15.05.2020 bis 17.07.2020.
In der übrigen Zeit bezog der BF Arbeitslosengeld und Krankengeld.
1.4. Im Bundesgebiet leben der minderjährige Sohn, die Eltern, vier Geschwister, Tanten und Onkeln des BF. In der Türkei halten sich noch die Großmutter und drei Geschwister mütterlicherseits auf.
Der Beschwerdeführer ist bei seinen Eltern in XXXX gemeldet, besucht zurzeit jedoch eine Therapie in der Einrichtung „ XXXX “ in XXXX . Er ist für seinen minderjährigen Sohn sorgepflichtig, kommt den Unterhaltszahlungen jedoch nicht nach. So führte die BH XXXX am 30.01.2020, Zahl XXXX aus, dass sich der Rückstand für die Unterhaltszahlungen auf € 9.792,27 beläuft.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich geboren und spricht Deutsch und Türkisch.
Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar.
1.5. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit in Österreich erworbener grundlegender Schulbildung und Berufserfahrung als Arbeiter in verschiedenen Betrieben.
Der Beschwerdeführer verfügt in seinem Herkunftsstaat über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in XXXX in Gestalt seiner dort lebenden Großmutter, einer Tante und zwei Onkeln, alle mütterlicherseits. Dem Beschwerdeführer ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens in der Türkei möglich und zumutbar.
1.6. Der Beschwerdeführer verfügt über ein türkisches Reisedokument im Original.
1.7 Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 2013 (rk. XXXX 2013), Zahl XXXX wegen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel und des Diebstahles gemäß §§ 241e Abs 1 1.Fall und 127 StGB zur einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten, bedingt auf drei Jahre, verurteilt. Der BF hat sich demnach zwischen 5. und 8. Februar 2013 die Bankomatkarte der XXXX durch heimliche Wegnahme verschafft und damit fünfmal bei Bankomaten insgesamt € 540,- widerrechtlich abgehoben. Mildernd wurde dabei die Unbescholtenheit, das Alter und die Schadensgutmachung berücksichtigt.
Der BF wurde weiters mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX 2016 (rk. XXXX 2016), Zahl XXXX wegen Suchtgifthandels und versuchten Diebstahls gemäß §§ 28a Abs 1, 5.Fall SMG, 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 und 15/127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt mit einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe, verurteilt. Demnach hat der BF vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge von April 2015 bis Dezember 2015 an mindestens zwölf Personen überlassen. Weiters vorschriftswidrig Suchtgift für den Eigengebrauch erworben und besessen hat und eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegzunehmen versuchte, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Mildernd wurde dabei das Geständnis, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und die teilweisen Sicherstellungen, berücksichtigt.
einem abgesondert verfolgten Dritten verschafft, indem er ihn an seinem Connect vermittelte und an weitere fünf Personen überlassen. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen XXXX , die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes und das reumütige Geständnis.
Weiters wurde gegen den BF mit Straferkenntnis der LPD XXXX vom XXXX 2018, Zahl VStV XXXX , wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand und weiteren 13 Delikten nach der StVO und KFG bzw. FSG eine Geldstrafe von € 4.130,- verhängt.
Zudem wurde gegen den BF mit Straferkenntnis der LPD XXXX vom XXXX 2018, Zahl VStV XXXX , wegen Befahrens einer Einbahnstraße entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung gem § 7 Abs 5 StVO eine Geldstrafe von € 550,- verhängt.
Mit Beschluss des BG Neulengbach vom XXXX 2019, Zahl 1 Ps 173/18m-26, wurde der Antrag des BF, der Mutter seines Sohnes, XXXX , die Obsorge zu entziehen und diese ihm zu übertragen, abgewiesen.
Der BF wurde weiters mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX 2019 (rk. 2.06.2019), Zahl XXXX wegen Suchtgifthandels gemäß §§ 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall, 28a Abs. 3 erster Fall und 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt.
Demnach hat der Beschwerdeführer vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge einem abgesondert verfolgten Dritten verschafft, indem er ihn an seinen Connect vermittelte und an weitere fünf Personen überlassen. Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Landesgericht für Strafsachen XXXX , die teilweise Sicherstellung des Suchtgiftes und das reumütige Geständnis.
Zudem wurde der BF am 11.09.2020 nach gewaltsamer Wohnungsöffnung durch die WEGA festgenommen und gegen in weiterer Folge die Untersuchungshaft durch das LG für Strafsachen XXXX , Zahl 354 HR 135/20g – 1, wegen gewerbsmäßigen Drogenhandels verhängt. In weiterer Folge wurde er mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX 2020 (rk. XXXX 2020), Zahl XXXX wegen § 27 Ab.s 1, achter Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
1.8. Der Beschwerdeführer absolviert seit 16.12.2020 eine stationäre gesundheitsbezogene Maßnahme beim Verein XXXX .
1.9. Zur aktuellen Lage in der Türkei werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer vollständig offengelegten Quellen getroffen:
1. Politische Lage
Letzte Änderung am 29.11.2019
Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 14.6.2019). Diese Entwicklung wurde mit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).
Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischerweise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden Stimmen stärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).
Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019; vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).
Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019).
Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).
Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).
Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).
[siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 5.Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 4.10.2019
? Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613, Zugriff 4.10.2019
? AM – Al Monitor (4.12.2018): Turkey can't build prisons fast enough to house convict influx, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/11/turkey-overcrowded-prisons-face-serious-problems.html, Zugriff 4.10.2019
? bpb – Bundeszentrale für politische Bildung (9.7.2018): Das "neue" politische System der Türkei, https://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/255789/das-neue-politische-system-der-tuerkei, Zugriff 3.10.2019
? CoE-VC – council of europe - european commission for democracy through law (venice commission) (13.7.2017): Turkey - Opinion - The Amendments to the Constitution adopted by the Grand National Assembly on 21 January 2017 and to be submitted to a National Referendumon 16 April 2017 [Opinion No. 875/2017], S.29, Abs.130, https://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=cdl-ad(2017)005-e, Zugriff 3.10.2019
? EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019
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? NZZ - Neue Zürcher Zeitung (23.6.2019): Niederlage für Erdogans AKP: CHP-Kandidat Imamoglu gewinnt erneut die Bürgermeisterwahl in Istanbul, https://www.nzz.ch/international/niederlage-fuer-erdogans-akp-chp-kandidat-imamoglu-gewinnt-erneut-die-buergermeisterwahl-in-istanbul-ld.1490981, Zugriff 4.10.2019
? OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (22.6.2017): Turkey, Constitutional Referendum, 16 April 2017: Final Report, http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/324816?download=true, Zugriff 4.10.2019
? OSCE/PACE - Organization for Security and Cooperation in Europe/ Parliamentary Assembly of the Council of Europe (17.4.2017): INTERNATIONAL REFERENDUM OBSERVATION MISSION, Republic of Turkey – Constitutional Referendum, 16 April 2017 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/311721?download=true, Zugriff 4.10.2019
? OSCE/ODIHR – Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.9.2018): Turkey, Early Presidential and Parliamentary Elections, 24 June 2018: Final Report,https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/397046?download=true, 3.10.2019
? Der Standard (1.4.2019): Erdo?ans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte, Zugriff 4.10.2019
? Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul, Zugriff 4.10.2019
? ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 4.10.2019
2. Sicherheitslage
Letzte Änderung am 29.11.2019
Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).
Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und A?r? (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkâri, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, ??rnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).
Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019
? AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 8.10.2019
? BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 8.10.2019
? EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019
? EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 4.10.2019ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 7.10.2019
? IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/, Zugriff 4.10.2019
? IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf, Zugriff 4.10.2019
? IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf, Zugriff 4.10.2019
2.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung
Letzte Änderung am 8.4.2020
Fethullah Gülen, ist ein muslimischer Prediger und charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war. Von seinen Gegnern wird Gülen als Bedrohung der staatlichen Ordnung bezeichnet (bpb 1.9.2014). Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet, der einen toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt. In der Türkei soll es möglicherweise Millionen von Anhängern geben, oft in einflussreichen Positionen. Die Gülen-Bewegung betreibt Schulen rund um den Globus (BBC 21.7.2016). Zahlreiche Gülen-Schulen wurden, teilweise auf Druck hin, auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern geschlossen, anderen Eigentümern oder der türkischen staatlichen Stiftung Maarif, die eigens hierfür gegründet wurde, übertragen (SCF 5.2.2019; vgl. DS 31.7.2018). Mit Februar 2019 waren laut Direktor von Maarif rund 70% aller Gülen-Schulen in 21 Ländern, ausgenommen in westlichen Staaten, der Kontrolle der Gülen-Bewegung entzogen. Hiervon wurden inzwischen 191 ehemalige Gülen-Schulen der türkischen Maarif-Stiftung übergeben (SCF 5.2.2019).
Erdo?an stand Gülen jahrzehntelang nahe. Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den sekulären, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die AKP bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 21.7.2016). Erdo?an nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Das Bündnis zwischen Erdo?an und Gülen begann sich aufzuweichen, als die Gülenisten in Polizei und Justiz zu unabhängig wurden. Das Klima verschärfte sich, als Gülen selbst Erdo?an für seinen Umgang mit den Protesten im Gezi-Park im Jahr 2013 kritisierte. Erdo?an beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, die AKP-Regierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren und zu Rücktritten von AKP-Ministern führten (MEE 21.7.2016). In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014).
Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014). Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdo?an, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). Im Juni 2017 definierte das Oberste Appelationsgericht die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt (UKHO 2.2018).
Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu stecken, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar zahlreiche Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben (DW 13.7.2018). Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als „Fetullahç? Terör Örgütü – (FETÖ)“, „Fetullahistische Terror Organisation“, tituliert, meist in Kombination mit der Bezeichnung "Parallel Devlet Yap?lanmas? (PDY)", die „Parallele Staatsstruktur“ bedeutet (UK Home Office 2.2018). Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substanzielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017). Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation (TM 2.6.2016).
Laut Angaben des Vize-Vorsitzenden der Regierungspartei MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) vom Dezember 2019 wurde seit dem Putschversuch vom Juli 2016 insgesamt gegen 562.581 Personen wegen tatsächlicher und angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung ermittelt. Von diesen wurden 263.553 festgenommen und 91.610 inhaftiert (TP 17.12.2019). Nach einer Mitteilung des Innenministeriums an den türkischsprachigen Dienst der BBC waren mit Stand Mitte Februar 2020 noch 26.862 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung inhaftiert, fast 5.000 von ihnen waren zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, während sich die Übrigen in Untersuchungshaft befanden. Inzwischen führen die Staatsanwälte 69.701 Untersuchungen durch, bei denen 135.708 Verdächtige der Mitgliedschaft in der Bewegung beschuldigt werden. Darüber hinaus sind 42.717 Verfahren anhängig, in denen 60.167 Angeklagte, die der Verbindungen zu Gülen beschuldigt werden, angeklagt sind (TM 21.2.2020).
Laut Staatspräsident Erdo?an sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Mitgliedern der „FETÖ“ befreit (Ahval 10.4.2019). Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung dauert an (AA 14.6.2019). Mitte Jänner 2020 erließen die Behörden Haftbefehle gegen 237 Personen. Im Zuge von Polizeioperationen in 49 Provinzen wurden mindestens 203 Verdächtige festgenommen (DS 14.1.2020). Anfang März 2020 wurden Haftbefehle gegen 115 Verdächtige in mehreren Städten erlassen. Betroffen waren Lehrer, Geschäftsleute, Anwälte sowie ehemalige Polizisten (TM 4.3.2020).
Mit Stand 1.1.2020 waren insgesamt 3.879 Angeklagte wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Putschversuch verurteilt, darunter 2.335 zu lebenslanger Haft und 1.544 zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und zwei Monaten bis zu 20 Jahren. 18 von 289 Fällen im Zusammenhang mit einem Putschversuch im Jahr 2016 in der Türkei warten noch auf die Urteile der Gerichte (Ahval 2.1.2020). Anfang Jänner 2020 verurteilte ein Gericht in Istanbul 70 ehemalige Kadetten der Luftstreitkräfte zu lebenslanger Haft (Ahval 3.1.2020).
Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind hierbei recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind, sondern auch dann, wenn diese z. B. lediglich persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind. In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher „Gülenist“ einzuleiten: Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App ByLock; Geldeinlage bei der Bank Asya nach dem 25.12.2013; Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman; Spenden an Gülen-Strukturen zugeordneten Wohltätigkeitsorganisationen; Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder; Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen, inklusive abhängige Beschäftigung (AA 14.6.2019). Allerdings entschied der Oberste Berufungsgerichtshof im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten noch seine Einschreibung eines Kindes in einer Gülen-Schule als Beweis dienen kann, dass die Person in terroristische Aktivitäten verwickelt oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung war (SCF 6.8.2019).
ByLock
Im September 2017 entschied das Kassationsgericht, dass der Besitz von ByLock einen ausreichenden Nachweis für die Aufnahme in die Gülen-Bewegung darstellt. Im Oktober 2017 urteilte dasselbe Gericht jedoch, dass das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung nicht gleichbedeutend ist mit einer Mitgliedschaft und somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere darstellt. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von ByLock verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden (EC 17.4.2018). Ende September 2018 wurden mindestens 21 Verdächtige in Istanbul nach Razzien an 54 Orten verhaftet, unter dem Vorwurf, die verschlüsselte Messaging-Anwendung ByLock zu verwenden und an Trainingsaktivitäten des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein (Anadolu 24.9.2018). Im September 2019 wurden bei Operationen in sechs Städten über 40 Verdächtige als ehemalige ByLock-Nutzer verhaftet (DS 11.9.2019). Anfang Oktober 2019 ordnete die Staatsanwaltschaft der Provinz Izmir die Festnahme von 51 Verdächtigen an, von denen 33 beschuldigt wurden, ByLock verwendet zu haben (Anadolu 8.10.2019). Laut Innenministerium wurden bislang mehr als 95.000 Nutzer identifiziert und zudem 4.676 neue ByLock Nutzer entdeckt (DS 11.9.2019).
Die Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur willkürlichen Inhaftierung gab im Oktober 2019 eine Stellungnahme ab, wonach die Nutzung von ByLock unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Solange die türkischen Behörden nicht offen erklären würden, wie die Verwendung von ByLock einer kriminellen Aktivität gleichkommt, wären Verhaftungen aufgrund der Benutzung von ByLock willkürlich (TM 15.10.2019; vgl. UN-HRC 18.9.2019). Die Arbeitsgruppe bedauerte zudem, dass ihre Ansichten in vormaligen Stellungnahmen zu Fällen, die nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, seitens der türkischen Behörden keine Berücksichtigung gefunden hatten (UN-HRC 18.9.2019).
Asya Bank
Das Oberste Berufungsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt haben, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018; vgl. TP 16.2.2019). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden des inzwischen geschlossenen islamischen Kreditgebers Bank Asya waren, die mit der Gülen-Bewegung verbunden war (TM 30.5.2018). Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt werden, die Messenger-App Bylock verwendet und Geld in der Asya Kat?l?m Bank deponiert zu haben. 14 Personen wurden in Ankara und sieben weiteren Städten festgenommen (DS 18.9.2019). [zu Verurteilungen siehe: 4.Rechtsschutz/Justizwesen].
Entführungen aus dem Ausland
Über 100 mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden laut türkischem Außenminister vom Geheimdienst (M?T) im Ausland entführt und im Rahmen der globalen Fahndung der Regierung in die Türkei zurückgebracht (SCF 16.7.2018). Demnach seien Menschen aus Malaysia, Pakistan, Kasachstan, dem Kosovo, Moldawien, Aserbaidschan, Ukraine, Gabun und Myanmar von der türkischen Regierung entführt worden. Ein weiterer Versuch in der Mongolei sei von der mongolischen Polizei im Juli 2018 verhindert worden (Welt 15.9.2019).
Als Teil einer weltweiten Razzia gegen Gülen-Anhänger hat die Türkei die Auslieferung von 750 Personen aus 101 Ländern beantragt, allerdings lehnten einige Länder bereits die Auslieferung von 74 betroffenen Personen ab. Außerdem beantragte das türkische Innenministerium bei Interpol die Ausstellung eines sog. „Red Notice“ für 555 Verdächtige (TM 21.2.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019
? Ahval (10.4.2019): Turkey’s state institutions not fully purged of Gülenists, says Erdo?an, https://ahvalnews.com/gulen-movement/turkeys-state-institutions-not-fully-purged-gulenists-says-erdogan, Zugriff 8.10.2019
? Ahval (2.1.2020): Eighteen Turkish coup trials rumble on into 2020, https://ahvalnews.com/gulen-movement/eighteen-turkish-coup-trials-rumble-2020, Zugriff 7.4.2020
? Ahval (3.1.2020): Turkey hands life sentences to 70 former air force cadets, https://ahvalnews.com/coup-attempt/turkey-hands-life-sentences-70-former-air-force-cadets, 13.2.2020
? Anadolu Agency (24.9.2018): Turkey: Over 20 FETO suspects arrested in Istanbul, https://www.aa.com.tr/en/todays-headlines/turkey-over-20-feto-suspects-arrested-in-istanbul/126289, Zugriff 8.10.2019
? Anadolu Agency (8.10.2019): Turkey: Warrants out for 51 FETO suspects, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-warrants-out-for-51-feto-suspects/1605390, Zugriff 9.10.2019
? BBC News (21.7.2016): Turkey coup: What is Gulen movement and what does it want? http://www.bbc.com/news/world-europe-36855846, Zugriff 8.10.2019
? bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (1.9.2014): Die Gülen-Bewegung in der Türkei und Deutschland, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/184979/guelen-bewegung, Zugriff 8.10.2019
? DW – Deutsche Welle (13.7.2018): Die Gülen-Bewegung: Neues Zentrum "Almanya", https://www.dw.com/de/die-g%C3%Bclen-bewegung-neues-zentrum-almanya/a-44645120, Zugriff 8.10.2019
? DS – Daily Sabah (11.2.2018): Depositing money in Bank Asya on Gülen’s order proof of FETÖ membership, https://www.dailysabah.com/investigations/2018/02/12/depositing-money-in-bank-asya-on-gulens-order-proof-of-feto-membership-1518386092, Zugriff 8.10.2019
? DS – Daily Sabah (31.7.2018): Maarif Foundation President Birol Akgün: Turkey now controls 60 percent of non-Western FETÖ schools, https://www.dailysabah.com/politics/2018/07/30/maarif-foundation-president-birol-akgun-turkey-now-controls-60-percent-of-non-western-feto-schools, Zugriff 27.11.2019
? DS – Daily Sabah (11.9.2019): Nationwide operations net suspects tied to FETÖ terror group, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/09/11/nationwide-operations-net-suspects-tied-to-feto-terror-group, Zugriff 8.10.2019
? DS – Daily Sabah (18.9.2019): 53 arrested in operations against FETÖ, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/09/18/53-arrested-in-operations-against-feto, Zugriff 8.10.2019
? Daily Sabah (14.1.2020): Turkey arrests 203 suspects in operations against FETÖ, https://www.dailysabah.com/investigations/2020/01/14/turkey-arrests-203-suspects-in-operations-against-feto, Zugriff 8.4.2020
? EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 8.10.2019
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? MEE – Middle East Eye (21.7.2016): ANALYSIS: Dissecting Turkey's Gulen-Erdogan relationship, https://www.middleeasteye.net/news/analysis-dissecting-turkeys-gulen-erdogan-relationship, Zugriff 8.10.2019
? UN-HRC - Human Rights Council Working Group on Arbitrary Detention (18.9.2019): Opinions adopted by the Working Group on Arbitrary Detention at its eighty-fifth session, 12–16 August 2019, Opinion No. 53/2019 concerning Melike Göksan and Mehmet FatihGöksan (Turkey), https://www.ohchr.org/Documents/Issues/Detention/Opinions/Session85/A_HRC_WGAD_2019_53.pdf, Zugriff 15.10.2019
? Die Presse (30.11.2017): EU sieht in türkischer Gülen-Bewegung keine Terrororganisation, https://www.diepresse.com/5330148/eu-sieht-in-turkischer-gulen-bewegung-keine-terrororganisation, Zugriff 8.10.2019
? Der Standard (20.12.2014): Haftbefehl gegen Erdogan-Feind Gülen, https://derstandard.at/2000009628933/hTuerkischer-Zaman-Chefredakteur-unter-Auflagen-frei#, Zugriff 8.10.2019
? Der Standard (30.11.2017): EU sieht in Gülen-Bewegung keine Terrororganisation, https://derstandard.at/2000068784722/EU-sieht-in-Guelen-Bewegung-keine-Terrororganisation, Zugriff 8.10.2019
? SCF – Stockholm Center for Freedom (16.7.2018): Turkish FM says over 100 members of Gülen movement abducted abroad and brought to Turkey, https://stockholmcf.org/turkish-fm-says-over-100-members-of-gulen-movement-abducted-abroad-and-brought-to-turkey/, Zugriff 9.10.2019
? SCF – Stockholm Center for Freedom (6.8.2019): Newspaper subscription, school enrollment not terrorist activity, says Turkey’s top appeals court, https://stockholmcf.org/newspaper-subscription-school-enrollment-not-terrorist-activity-says-turkeys-top-appeals-court/, Zugriff 8.10.2019
? SCF – Stockholm Center for Freedom (5.2.2019): Erdo?an’s Maarif Foundation has taken over 191 Gülen-linked schools in 21 countries, says chair, https://stockholmcf.org/erdogans-maarif-foundation-has-taken-over-191-gulen-linked-schools-in-21-countries-says-chair/, Zugriff 27.11.2019
? TM - Turkish Minute (2.6.2016): United States: We do not consider Gülen movement “terrorist organization”, https://www.turkishminute.com/2016/06/02/united-states-not-consider-gulen-movement-terrorist-organization/, Zugriff 8.10.2019
? TM – Turkish Minute (30.5.2018): Detention warrants issued for 59 Bank Asya customers over alleged Gülen links, https://www.turkishminute.com/2018/05/30/detention-warrants-issued-for-59-bank-asya-customers-over-alleged-gulen-links/, Zugriff 8.10.2019
? TM -Turkish Minute 15.10.2019): UN working group on arbitrary detention says use of ByLock is freedom of expression, https://www.turkishminute.com/2019/10/15/un-working-group-on-arbitrary-detention-says-use-of-bylock-is-freedom-of-expression/, Zugriff 15.10.2019
? Turkish Minute (21.2.2020): Latest figures show 26,862 people in jail over Gülen links: ministry, https://www.turkishminute.com/2020/02/21/latest-figures-show-26862-people-in-jail-over-gulen-links-ministry/, Zugriff 8.4.2020
? Turkish Minute (4.3.2020): Turkey orders detention of 115 suspects as part of post-coup Gülen crackdown, https://www.turkishminute.com/2020/03/04/turkey-orders-detention-of-115-suspects-as-part-of-post-coup-gulen-crackdown/, Zugriff 8.4.2020
? TP – Turkey Purge (16.2.2019): Turkey’s top appeal court says Bank Asya depositors ‘terrorist’, https://turkeypurge.com/turkeys-top-appeal-court-says-bank-asya-depositors-terrorist, Zugriff 27.11.2019
? TP – Turkey Purge (17.12.2019): 562,581 people in Turkey investigated on coup, terror related charges to date, https://turkeypurge.com/562581-people-in-turkey-investigated-on-coup-terror-related-charges-to-date, Zugriff 13.2.2020
? UK-Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist Movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf, Zugriff 8.10.2019
? Welt (15.9.2019): Die Erdogan-Regierung soll im Ausland 31 Menschen entführt haben, https://www.welt.de/politik/ausland/article200235236/Erdogan-Regierung-soll-im-Ausland-31-Menschen-entfuehrt-haben.html, Zugriff 9.10.2019
3. Rechtsschutz/Justizwesen
Letzte Änderung am 6.4.2020
Der zwei Jahre andauernde Ausnahmezustand nach dem Putschversuch hat zu einer Erosion der Rechtsstaatlichkeit geführt (EP 13.3.2019; vgl. PACE 24.1.2019). Die Situation in Hinblick auf die Justizverwaltung und die Unabhängigkeit der Justiz hat sich merkbar verschlechtert (CoE-CommDH 19.2.2020; vgl. EC 29.5.2019, USDOS 11.3.2020). Negative Entwicklungen bei der Rechtsstaatlichkeit, den Grundrechten und der Justiz wurden nicht angegangen (EC 29.5.2019). Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit langem bestehende Probleme wie der Missbrauch der Untersuchungshaft ve