Entscheidungsdatum
22.03.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W142 2007390-3/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2020, Zl. 652741800/200521801, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Zu den früheren Verfahren:
1.1 Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 18.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde dieser Antrag des BF auf internationalen Schutz mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 28.11.2013, Zl.: 13 16.960-BAT, sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen und der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen (Spruchpunkt III.). Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (im Folgenden: BVwG) vom 18.02.2014, GZl.: W202 1439340-1, hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. als unbegründet abgewiesen und wurde das Verfahren betreffend Spruchpunkt III. gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen.
1.3. Mit Bescheid des BFA vom 30.03.2014, Zl.: 652741800/1754865, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist. Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. In Erledigung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde der Bescheid mit Beschluss des BVwG vom 25.08.2014, GZl.: W220 2007390-1, behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
1.4. Mit Bescheid des BFA vom 30.11.2016, Zl.: 652741800-1754865, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt I.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt II.).
1.5. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde – nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.01.2020 – mit Erkenntnis des BVwG vom 03.02.2020, GZl.: W220 2007390-2/8E, gemäß §§ 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und 9, 46 und 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
Das erkennende Gericht stellte im Erkenntnis folgendes fest:
„1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zum Verfahrensgang:
Der oben unter I. dargestellte Verfahrensgang wird der Entscheidung als Sachverhalt zugrunde gelegt.
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien, stammt aus dem Punjab und gehört der Religionsgemeinschaft der Skih an. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX ; seine Identität steht nicht fest. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Punjabi. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer ist in einem Dorf im Distrikt Jalandhar, im Bundesstaat Punjab, in Indien aufgewachsen und verbrachte dort bis zu seiner Reise nach Europa sein gesamtes bisheriges Leben. Er hat Schulbildung im Umfang von acht Jahren erhalten und eine Berufsausbildung als Zimmermann begonnen. In Indien leben die Eltern und der ältere Bruder des Beschwerdeführers, zu welchen der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt hat.
Der Beschwerdeführer ist illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er hält sich seit der Stellung seines Antrages auf internationalen Schutz am 18.11.2013 im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer lebt in Österreich gemeinsam mit seinem Onkel, welcher österreichischer Staatsangehöriger ist, und dessen Ehefrau in deren Wohnung, wo er pro Woche einen finanziellen Beitrag für die Lebensmittel leistet. Das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Onkel ist ebenso wenig wie eine sonstige besonders enge Bindung hervorgekommen. Der Beschwerdeführer lebt seit rund einem Jahr und zwei Monaten bei seinem Onkel.
Der Beschwerdeführer hat bis dato weder einen Deutschkurs abgeschlossen noch eine Deutsch- oder Integrationsprüfung abgelegt. Er kann sich in einfachem Deutsch unterhalten. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundeskreises, wobei das Bestehen besonders intensiver Bindung nicht hervorgekommen ist. Am XXXX hat der Beschwerdeführer das Gewerbe „Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern, deren höchst zulässiges Gesamtgewicht insgesamt 3.500 kg nicht übersteigt“, angemeldet. Er hat zunächst über eine Lieferfirma für ein Lokal gearbeitet, war dann rund sechs bis sieben Monate ohne Beschäftigung und arbeitet seit Mai oder Juni 2019 jede Nacht rund zwei bis zweieinhalb Stunden als Zeitungszusteller, wobei er je nach Arbeitsleistung zirka 550,00 bis 600,00 Euro pro Monat verdient und sozialversichert ist. Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur Lage in Indien sowie einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin:
Der Beschwerdeführer läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Indien vom 04.02.2019, zuletzt aktualisiert am 09.08.2019, gekürzt auf die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen:“
Beweiswürdigend führte das erkennende Gericht wie folgt aus:
„2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zum Verfahrensgang:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 18.11.2013 bzw. das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung.
Die Feststellungen zum Namen sowie zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (Seite 4 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit dem vom Beschwerdeführer vorgelegten indischen Führerschein sowie dem diesbezüglichen Untersuchungsbericht der Landespolizeidirektion Wien, Landeskriminalamt vom 25.05.2016. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren, da seine Identität – mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente (vgl. Seite 4 der Niederschrift der Verhandlung) – nicht abschließend geklärt werden konnte.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Religionszugehörigkeit, zum Herkunftsort sowie zur Muttersprache und dem Familienstand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (AS 11; Seite 4 der Niederschrift der Verhandlung).
Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers, seiner Schulbildung und Berufserfahrung sowie seinen Familienangehörigen in Indien und dem Kontakt zu diesen beruhen ebenfalls auf den plausiblen und sohin glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seite 5 der Niederschrift der Verhandlung), an denen kein Grund zu zweifeln besteht.
Die Feststellungen zur illegalen Einreise des Beschwerdeführers ins österreichische Bundesgebiet ergeben sich aus der fehlenden Vorlage eines gültigen Reisepasses samt Visum für Österreich in Verbindung mit den Angaben des Beschwerdeführers vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (AS 17).
Das Datum der Antragstellung sowie die Feststellung, dass sich der Beschwerdeführer seit Stellung seines Antrages auf internationalen Schutz im Bundesgebiet aufhält, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seite 6 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Die Feststellungen zu den Lebensumständen, den sozialen und wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten sowie den Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich, den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers und dem Nichtbezug von Grundversorgungsleistungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren (Seiten 5 bis 8 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit den vom Beschwerdeführer im Verfahren vorgelegten Unterlagen (insbesondere mit Schreiben vom 19.01.2020 übermittelte Dokumente – Auszug aus dem Gewerberegister vom 13.12.2013, Distributionsvertrag, Reisepass des Onkels des Beschwerdeführers, ZMR-Auszug betreffend den Onkel des Beschwerdeführers, Kontoauszügen des Beschwerdeführers, Einkommenssteuerbescheide des Beschwerdeführers für die Jahre 2014 bis 2017) sowie Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, dem Betreuungsinformationssystem und dem AJ-WEB. Die Feststellung, dass das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Onkel nicht hervorgekommen ist, resultiert aus den Ausführungen des Beschwerdeführers, wonach er sich selbst erhalten könne, sein Onkel jedoch kein Geld von ihm wolle (Seite 7 der Niederschrift der Verhandlung). Auch das Vorliegen sonstiger besonders enger Bindungen ist nicht hervorgekommen; mit der unsubstantiierten Bemerkung, sein Onkel betrachte ihn quasi als eigenes Kind (Seite 7 der Niederschrift der Verhandlung), vermochte der Beschwerdeführer das Vorliegen einer starken Beziehungsintensität nicht darzutun. Dass der Beschwerdeführer seit rund einem Jahr und zwei Monaten bei seinem Onkel lebt, ist ZMR-Auszügen betreffend den Beschwerdeführer und den Onkel des Beschwerdeführers in Verbindung mit den diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung (Seite 5 der Niederschrift der Verhandlung) zu entnehmen. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers bzw. die Feststellung, dass der Beschwerdeführer bis dato weder einen Deutschkurs abgeschlossen noch eine Deutsch- oder Integrationsprüfung absolviert hat, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und der Beantwortung von an ihn anlässlich der mündlichen Verhandlung gestellten Fragen auf Deutsch (Seite 8 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren lediglich eine Inskriptionsvereinbarung hinsichtlich eines Deutschkurses auf dem Niveau A1 vorgelegt, jedoch den Abschluss eines Deutschkurses oder einer Prüfung nicht nachgewiesen hat.
Dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand (Seite 3 der Niederschrift der Verhandlung) in Verbindung mit den in Österreich verrichteten Tätigkeiten.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Indien sowie einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers dorthin:
Es sind im gesamten Verfahren keine Umstände hervorgekommen, denen zu entnehmen wäre, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat konkret Gefahr liefe, dort der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten. Es haben sich unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verfahren seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.02.2014, GZl.: W202 1439340-1, mit welchem die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 28.11.2013 hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw. des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde, weder im Hinblick auf die subjektive Lage des Beschwerdeführers noch auf die objektive Lage im Herkunftsstaat diesbezüglich relevante Neuerungen ergeben. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Dem Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr nach Indien aufgrund der dortigen Lage, die sich aus den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellung ergibt, und unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse die Teilnahme am dortigen Erwerbsleben möglich und zumutbar und ist davon auszugehen, dass der junge, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer, der über Schulbildung und Berufserfahrung im Rahmen einer begonnenen Ausbildung als Zimmermann verfügt, seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat (wieder) erwirtschaften können wird. Der Beschwerdeführer verfügt in Indien nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Eltern und seines älteren Bruders, zu welchen der Beschwerdeführer regelmäßig Kontakt hat, sodass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zudem auf ein familiäres Netz zurückgreifen könnte.
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht (wesentlich) geändert haben.
In der mündlichen Verhandlung wurde auf das dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegende Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 04.02.2019, zuletzt aktualisiert am 09.08.2019, verwiesen und sichergestellt, dass der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters über dieses Informationsmaterial verfügt und wurde dem Beschwerdeführer bzw. seinem Rechtsvertreter die Möglichkeit der Einbringung einer Stellungnahme dazu eingeräumt, welche mit Schreiben vom 19.01.2020 wahrgenommen wurde. In dieser wird auf die Lebensumstände des Beschwerdeführers in Österreich sowie integrationsrelevante Aspekte verwiesen; den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Feststellungen zur Lage in Indien ist der Beschwerdeführer damit nicht entgegengetreten.“
In der rechtlichen Beurteilung kam die erkennende Richterin – nach Durchführung einer Interessensabwägung iSd § 9 BFA-VG - zum Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet gegenüber seinem persönlichen Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegen würden und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung keine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliege.
2. Gegenständliches Verfahren:
2.1. Am 27.05.2020 stellte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter (per E-Mail) einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG. Im E-Mail wurde ausgeführt, dass der BF seit dem Jahr 2013 in Österreich lebe, nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, selbstständig arbeite und sozialversichert sei. Er verfüge über eine „Aufenthaltsbewilligung“ und ein Sprachzeugnis A2, welches mit dem Berichtigungsantrag vorgelegt werde.
Dem E-Mail wurde das ausgefüllte Antragsformular beigefügt.
2.2. Am 03.07.2020 fand vor dem BFA eine Einvernahme des BF (zur bestehenden Ausreiseverpflichtung, Erhaltung eines Heimreisezertifikates sowie betreffend den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG) statt.
Der BF gab an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe. Dem BF wurde der Gang des bisherigen Verfahrens vorgetragen und er dazu befragt, warum er nicht nach Indien zurückgereist sei. Der BF gab dazu an, Probleme in Indien zu haben. Es seien aber dieselben Probleme, welche er im Asylverfahren geltend gemacht habe.
Befragt, welche Schritte er bezüglich einer freiwilligen Ausreise gesetzt habe, gab der BF an, am 15. oder 16. Mai 2020 bei der indischen Botschaft gewesen zu sein und er dort einen Reisepass beantragt habe. Ihm sei gesagt worden, dass die Botschaft derzeit keinen Antrag entgegennehmen könne, da zu viele Anträge bei der Botschaft liegen würden. Wenn es wieder möglich sei bzw. ein Termin frei werde, würde ihn die Botschaft anrufen. Nachgefragt habe er aber seitdem nicht mehr und habe er auch keine Bestätigung der Botschaft. Ansonsten habe er keine Schritte bezüglich der freiwilligen Ausreise gesetzt, weil er „neue Probleme“ in Indien habe. Es gäbe ein „allgemeines Religionsproblem“. Er habe Angst, dass sich sein altes mit dem neuen Problem verbinde und sein Leben in Gefahr sei. Nach Vorhalt, dass er seit 2013 nicht mehr in Indien gewesen sei und nach Befragung wie ein allgemeines Problem zu seinem werden könne, gab der BF an, keinen Kontakt mehr nach Indien zu haben und er eben Angst habe, dass sich die Probleme verbinden. Er sei nicht bereit freiwillig das Bundesgebiet zu verlassen und nach Indien zurückzukehren, sondern wolle er hier ein „Visum“ erhalten. Befragt, warum er sich erst jetzt und nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt um ein Dokument bemüht habe, gab der BF an, nicht gewusst zu haben, wie das Asylverfahren ende. Der Richter habe gemeint, dass es gut aussehe und er einen Aufenthaltstitel bekomme, wenn er einen Deutschkurs absolviere, er hierfür aber einen Reisepass brauche. Deswegen habe er einen beantragt. In Österreich habe er noch nie einen Reisepass gehabt, dieser sei ihm vom Schlepper abgenommen worden. Er habe auch keine Kopie des Reisepasses, sondern nur eine Geburtsurkunde und einen Führerschein.
Dem BF wurde in weiterer Folge aufgetragen bei der diplomatischen Vertretungsbehörde neuerlich selbstständig vorzusprechen und um die Ausstellung eines Reisepasses anzusuchen. Er habe bis 17.07.2020 eine Bestätigung vorzulegen, wonach er bei der Botschaft gewesen sei und einen Reisepass beantragt habe. Dem BF wurde weiters mitgeteilt, dass die bloße Mitteilung, bei der Botschaft gewesen zu sein, nicht ausreiche. Der BF gab an, dass er dies machen werde.
Dem BF wurde weiters mitgeteilt, dass die Behörde gleichzeitig bei der diplomatischen Vertretung um Ersatzdokumente für den BF ansuchen werde und er dafür das Formblatt ausfüllen müsse.
Der BF füllte in weiterer Folge dieses Formblatt - mit Hilfe der Dolmetscherin –aus und wurde auch der vom Rechtsvertreter des BF beantragte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom BF unterfertigt.
In der Folge wurde der BF bezüglich des Aufenthaltstitels befragt, wobei der BF dazu ausführte, seit etwa 7 Jahren im Bundesgebiet zu leben, hier 5-6 Jahre gearbeitet zu haben er immer Steuern bezahlt habe. Er habe die deutsche Sprache erlernt, habe hier viele Freunde, mit denen er viel unternehme und mache Sport. Er besichtige gerne die Stadt und wolle ein normales Leben führen. Nach Vorhalt, dass er hier illegal aufhältig sei, gab der BF an, das Gesetzt zu respektieren und er gerne hier leben wolle. Zu seiner Freundin befragt, führte der BF aus, diese sei aus Indien, er lebe nicht mit ihr zusammen und sehe er sie 1-2 Mal pro Woche. Ansonsten wolle er nichts dazu sagen. Seinen Lebensunterhalt verdiene er sich mit seiner Arbeit als Zeitungszusteller. Er arbeite dort seit etwa 1,5 Jahren und verdiene etwa 500-600 EUR pro Monat. Er sei bei der Sozialversicherung angemeldet. Nach Vorhalt, dass er nicht arbeiten gehen dürfe, gab der BF an, dies nicht gewusst zu haben. Ansonsten sei er Mitglied in einem Fitnessstudio. Er werde von seinem Onkel unterstützt, da sein Einkommen zu gering sei und wohne mit seinem Onkel zusammen. Wenn der BF kein Geld für die Miete habe, dann übernehme sein Onkel die Miete. Dieser komme für Essen auf. Wenn es sich ausgehe, bezahle auch der BF einen Beitrag. Einen Mietvertrag habe er nicht, der Onkel lebe in einer Gemeindewohnung mit seiner Frau zusammen. Er habe aber keine Beweise, dass es sein Onkel sei. Seine Eltern, ein Bruder und weitschichtige Verwandte würden in Indien leben. Er habe einmal im Monat Kontakt zu seiner Familie und würden seine Eltern in einem Haus leben. Er habe im Falle einer Rückkehr eine Wohnmöglichkeit. Der BF habe in Indien 12 Jahre die Schule besucht und die Matura abgeschlossen. Danach habe er nichts gemacht. Seine Mutter sei Hausfrau, sein Vater führe einen Handel, der wegen der Corona-Krise geschlossen sei. Seine Eltern hätten aber keine finanziellen Probleme, sondern würden gut auskommen.
Befragt, warum er sich von seinen Eltern keine Dokumente habe schicken lassen, gab der BF an, er habe sich seine Geburtsurkunde schicken lassen. Einen Reisepass habe er sich nicht schicken lassen können, da er diesen persönlich beantragen und abholen müsse.
Abschließend wurde dem BF eine Frist zur Einbringung einer Stellungnahme gewährt und ihm aufgetragen, mit der Stellungnahme Lohnzettel, den Mietvertrag des Onkels, zwei EU-Passfotos, die Bestätigung der Botschaft über den Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses bzw. allenfalls seinen Reisepass vorzulegen.
Für den BF wurden folgende Dokumente vorgelegt:
- österreichischer Führerschein
- Geburtsurkunde samt deutscher Übersetzung
- Zeugnis zur Integrationsprüfung (Sprachniveau A2) vom 03.02.2020
- Kopie des Reisepasses des Onkels
- ZMR-Auszug des Onkels
2.3. Mit 20.07.2020 langte die Stellungnahme des BF ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF sich seit 7 Jahre in Österreich befinde, unbescholten geblieben sei und seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen sei. Er sei zu jeder Ladung erschienen und habe Kontakt mit der Botschaft aufgenommen, wobei selbst auf Nachfrage keine Bestätigung seitens der Botschaft ausgestellt worden sei. Er habe einen geregelten Alltag, weil er einer Beschäftigung als Zeitungsausträger nachgehe und über eine ortübliche Unterkunft verfüge. Er sei auch krankenversichert, habe ein A2-Zertifikat erworben und viele Freundschaften verschiedenster Nationen geschlossen. Zu den Länderinformationen wurde ausgeführt, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie noch unklar seien und werde dann die Zumutbarkeit einer IFA neu zu prüfen sein. Es werde daher die Übermittlung von aktuellsten Berichten/Feststellungen beantragt. Der BF wäre bei einer Rückkehr nach Indien gefährdet, dort an Corona zu erkranken und würde er in eine auswegslose Lage geraten. Er könne sich auch nicht das Existenzminimum erwirtschaften.
Mit der Stellungnahme wurden die erste Seite eines Mietvertrages, ausgestellt auf „ XXXX “, diverse Kontoauszüge des BF sowie EU-Passfotos vorgelegt.
2.4. Mit Bescheid des BFA vom 14.11.2020 wurde der Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Unter Spruchpunkt II wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 3 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG 2005 erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt und gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV und V). Unter Spruchpunkt VI wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 und 7 FPG ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
Im angefochtenen Bescheid führte die belangte Behörde aus, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er sei ledig, habe keine Sorgepflichten, gehöre der Glaubensgemeinschaft der Sikh an und spreche Punjabi und Hindi. Er sei in Indien im Bezirk Jalandhar aufgewachsen und habe dort bis zu seiner Ausreise nach Europa sein gesamtes Leben verbracht. Er habe regelmäßig Kontakt zu seiner in Indien lebenden Familie. Er habe in der Heimat die Grundschule besucht, habe aber bezüglich der Dauer des Schulbesuches und der begonnenen Berufsausbildung unterschiedliche Angaben gemacht. Er sei im arbeitsfähigen Alter und habe keine gesundheitlichen Einschränkungen geltend gemacht. Der BF sei strafrechtlich unbescholten. Er halte sich illegal im Bundesgebiet auf und sei seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Es sei auch nicht hervorgekommen, dass der BF Schritte zur Erlangung eines Reisedokumentes unternommen habe. Der BF habe zwar angegeben, mit seinem Onkel in einem gemeinsamen Haushalt zu leben, es sei jedoch zweifelhaft, ob es sich dabei tatsächlich um den Onkel des BF handle und würden sich auch aus dem vorgelegten Mietvertrag diverse Ungereimtheiten ergeben. Eine besondere Bindung/Abhängigkeit zu seinem angeblichen Onkel liege jedenfalls nicht vor. Mit der von ihm angegebenen Freundin lebe er nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Er habe erst vor wenigen Monaten ein A2 Zertifikat abgeschlossen, könne sich aber nur mit einfachen Sätzen verständlich machen. Aus einem Versicherungsdatenauszug gehe hervor, dass der BF seit 26.03.2019 als geringfügig Beschäftigter in einem Gastgewerbe angemeldet sei, eine derzeitige Beschäftigung, wo er bei der Sozialversicherung angemeldet sei, gehe nicht hervor.
Die Behörde traf Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat mit Stand 22.10.2020.
Aus dem Vorbringen des BF bzw. aus der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat sei auch keine asylrelevante Verfolgungsgefahr abzuleiten und sei schon im Erkenntnis des BVwG vom 18.02.2014 auf die Möglichkeit einer IFA hingewiesen worden. Dem BF drohe bei einer Rückkehr auch keine Gefährdung seiner Person, zumal er der Landessprache mächtig und im arbeitsfähigen Alter sei. Er habe den überwiegenden Teil seines Lebens im Herkunftsland verbracht, sei dort sozialisiert worden, habe Schulbildung erhalten und verfüge über familiäre Bindungen. Er wäre bei einer Rückkehr sohin nicht auf sich alleine gestellt und könne sich erneut integrieren. Hinsichtlich der Corona-Pandemie und den diesbezüglichen Ausführungen in der Stellungnahme sei darauf hinzuweisen, dass diese weltweit bestehe und daher nicht geeignet sei, die Abschiebung des BF als unzulässig festzustellen. Auch die maßgebliche Wahrscheinlichkeit eine Gefahr der Verletzung des Art. 2 bzw. 3 EMRK liege bei einer Rückkehr nicht vor. Der BF sei gesund und gehöre nicht der Risikogruppe an.
Zum Einreiseverbot wurde darauf hingewiesen, dass sich der BF illegal im Bundesgebiet aufhalte und seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Der Aktenlage seien keine Vorbereitungen des BF zur selbstständigen Ausreise zu entnehmen. Seine Angaben, bereits zweimal bei der diplomatischen Vertretung Indiens vorgesprochen zu haben, seien als Schutzbehauptung zu werten und habe er auch keine Bestätigungen dazu vorgelegt. Zudem gehe der BF einer unerlaubten Beschäftigung nach und sei nicht sozialversicherungsrechtlich gemeldet. Er habe damit gegen die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetztes verstoßen. Dem BF hätte auch bewusst sein müssen, dass er nicht zur Arbeitsaufnahme berechtigt sei. Ohne die Ausübung der unerlaubten Tätigkeit hätte er keinerlei selbst erwirtschaftete Barmittel zur Verfügung, weshalb er als mittellos anzusehen sei und bestehe der Verdacht, dass sein weiterer Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung der Gebietskörperschaft führe. Auch auf die Unterstützung seines Onkels habe er keinen Rechtsanspruch und könne er mit der Unterstützung des Onkels offenbar auch nicht das Auslangen finden, ansonsten er wohl keine illegale Beschäftigung aufgenommen hätte. Eine Selbsterhaltungsfähigkeit liege nicht vor. Der BF sei als geringfügig Beschäftigter (bei einer Firma für Gastgewerbe) zur Sozialversicherung angemeldet, obwohl das von ihm angegebene Gehalt die Geringfügigkeitsgrenze überschreite. Er habe auch keinen Lohnzettel für seine derzeitige Beschäftigung vorlegen können. Zudem zeige der Sozialversicherungsauszug, dass der BF schon einmal im Jahr 2012 als Arbeiter beschäftigt worden sei, zu diesem Zeitpunkt sei er aber noch gar nicht als Asylwerber registriert gewesen. Er sei nicht in der Lage, seinen Aufenthalt oder seine Ausreise aus Eigenem bzw. legal erwirtschafteten Mitteln zu finanzieren und bestehe daher der Verdacht, dass er weiterhin einer illegalen Beschäftigung nachgehen werde, um sich seinen Aufenthalt zu finanzieren. Eine günstige Zukunftsprognose liege daher nicht vor. Das persönliche Verhalten des BF (illegale Einreise, ungerechtfertigter Antrag auf internationalen Schutz, Missachtung der Ausreiseverpflichtung, illegaler Aufenthalt, Ausübung einer illegalen Beschäftigung, Mittellosigkeit, Missachtung behördlicher Auflagen, mangelhafte Mitwirkung und Ausreiseunwilligkeit) zeige, dass er nicht bereit sei, die österreichische Rechtsordnung zu achten. Sein Verhalten stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar und sei daher die Erlassung eines Einreiseverbotes notwendig bzw. dringend geboten.
Rechtlich kam die belangte Behörde – nach Durchführung einer Interessensabwägung - zum Schluss, dass dem BF der beantragte Aufenthaltstitel nicht zu erteilen sei, sondern die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber den privaten Interessen des BF überwiegen würden.
Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde ausgeführt, dass die sofortige Ausreise des BF im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei, zumal der BF illegal eingereist sei, einen ungerechtfertigter Antrag auf internationalen Schutz gestellte habe, seine Ausreiseverpflichtung missachtet habe, illegale aufhältig sei, eine illegale Beschäftigung ausübe, mittellose sei, behördliche Auflagen missachtet habe, mangelhaft am Verfahren mitgewirkt habe und nicht ausreisewillig sei. Seine sofortige Ausreise sei daher erforderlich.
2.5. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass die Entscheidung den BF in seinem Recht auf ein inhaltliches und faires Verfahren, sein Recht auf Anhörung und sein Recht auf ein Privatleben und darauf resultierenden weiteren Aufenthalt in Österreich verletze. Der BF habe am Verfahren mitgewirkt und sei auch die Identität des BF bestätigt. Die Tatsache, dass der BF keinen Reisepass besitze, liege nicht in seinem Einflussbereich. Der BF habe sich im Laufe der Jahre kontinuierlich integriert und habe er keine staatlichen und sozialen Hilfen bezogen. Der BF sei stets kooperativ gewesen, den behördlichen Ladungen und seinen Verpflichtungen nachgekommen. Er habe die Voraussetzungen zur Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt. Der BF sei selbsterhaltungsfähig und sei keinesfalls zu befürchten, dass er zu einer Belastung der Gebietskörperschaft werde. Er bestehe auch eine aufrechte Krankenversicherung und wohne er in einer ortsüblichen Unterkunft, wobei der BF auch einen Mietvertrag vorgelegt habe. Der BF sei auch bei der Botschaft seines Heimatlandes vorstellig geworden. Er werde auch in Zukunft fleißig sein und gäbe es keinen gesetzlichen Grund, dem BF einen Aufenthaltstitel nicht zu erteilen. Die Behörde habe willkürlich eine inhaltliche Bearbeitung verweigert und keine Interessensabwägung iSd Art. 8 EMRK durchgeführt. Aufgrund der langen Aufenthaltsdauer und der guten Integration des BF sei von starken privaten Bindungen iSd Art. 8 EMRK aufzugehen. Er habe nur noch wenige relevante Bindungen zum Heimatland. Auch die Corona-Krise sei in der Entscheidung noch nicht hinreichend berücksichtigt worden und werde die Übermittlung von aktuellen Berichten/Feststellungen konkret beantragt. Abschließend wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.
2.6. Das erkennende Gericht stellte in der Folge eine Anfrage an die Finanzpolizei bzw. das Amt für Betrugsbekämpfung, wobei das Amt für Betrugsbekämpfung mit Schreiben vom 16.03.2021 ein Personenblatt sowie einen Strafantrag vorlegte. Weiters wurde ausgeführt: „Der o.a. indische Staatsbürger wurde im Zuge einer Kontrolle am 26.01.2014 gegen 13:50 Uhr in XXXX arbeitend angetroffen. Vom damals zuständigen Finanzpolizeiteam 04 wurde dieses bei dem für den Firmensitz des Beschäftigers zuständigem Magistratischen Bezirksamt für den 15 Bezirk zur Anzeige gebracht. Diese BVB erließ am 22.12.2015 ein diesbezügliches Straferkenntnis mit der GZ MBA 15 –S 43273/14. Der Beschuldigte brachte eine Beschwerde, damals noch als Berufung bezeichnet, ein. Nachdem er diese im Zuge der Verhandlung vor dem unabhängigen Verwaltungssenat, jetzt Landesverwaltungsgericht Wien, zurückzog, wurde das o.a. Straferkenntnisses mit 07.12.2016 rechtskräftig. Mit diesem gilt die Beschäftigung des XXXX gemäß den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes als unerlaubt. Auf Grund Ihrer Mail wurde durch Abfragen diverser Datenbanken, wie auch in Ihrer Mail angeführt, festgestellt, dass XXXX laut Sozialversicherungsdatenauszug seit 26.03.2019 von XXXX als geringfügig beschäftigter Arbeiter zur Sozialversicherung gemeldet ist. Diese Beschäftigung ist den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nach, als illegal anzusehen. Das örtlich zuständige Finpolteam 07 führte am 15.03.2021 gegen 15:25 in XXXX eine Kontrolle durch. XXXX wurde arbeitend angetroffen. Er füllte ein Personenblatt welches auch in Punjabi, von dieser Sprache gab XXXX an diese zu verstehen, abgefasst ist, aus. Er gab darauf freiwillig und unbeeinflusst an, von Dienstag bis Freitag insgesamt 7-8 Stunden zu arbeiten. Wenngleich XXXX einen Gewerbeschein für Kleintransport hat, ist seine bei der Betretung ausgeübte Tätigkeit, nicht als selbständige Gewerbeausübung anzusehen. Es ist somit als erwiesen anzusehen, dass XXXX wieder ohne die erforderliche arbeitsmarktbehördliche Genehmigung beschäftigt wurde. Der Dienstgeber des XXXX , Einzelunternehmer XXXX , wird nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz § 3Abs. 1 AuslBG iVm § 28 Abs. 1 Z 1 lit. a AuslBg idgF. beim Magistratischen Bezirksamt für den 2 und 20 Bezirk unter der h.a. GZ. 037/10228/0721 zur Anzeige gebracht.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des BF:
Der BF ist Staatsangehöriger von Indien und gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh an.
Er führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX ; seine Identität steht nicht fest.
Die Muttersprache des BF ist Punjabi, er ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF ist in einem Dorf im Distrikt Jalandhar, im Bundesstaat Punjab, in Indien aufgewachsen und verbrachte dort bis zu seiner Reise nach Europa sein gesamtes bisheriges Leben. Er hat in Indien eine grundlegende Schulbildung erhalten. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der BF in Indien ein Jahr lang den Beruf des Zimmermannes erlernt hat.
In Indien leben die Eltern, der Bruder sowie weitschichtige Verwandte des BF. Der BF steht mit seiner Kernfamilie in regelmäßigem Kontakt.
Der BF ist zu einem nicht bekannten Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am 18.11.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.11.2013 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde und wurde der BF nach Indien ausgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 18.02.2014, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet abgewiesen und wurde das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das BFA zurückverwiesen. Mit Bescheid des BFA vom 30.03.2014 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig ist. In Erledigung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde der Bescheid mit Beschluss des BVwG vom 25.08.2014 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen. Mit Bescheid des BFA vom 30.11.2016 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Indien zulässig ist und eine 14tägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.01.2020 - mit Erkenntnis des BVwG vom 03.02.2020 als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
Mit E-Mail vom 27.05.2020 (persönlich am 03.07.2020) stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG, welcher mit Bescheid des BFA vom 14.11.2020 abgewiesen wurde. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung nach Indien für zulässig erklärt. Es wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und gegen den BF ein dreijähriges Einreiseverbot erlassen.
Der BF gab vor der belangten Behörde an, in Österreich mit seinem Onkel (bzw. dessen Frau) gemeinsam in dessen Wohnung zu leben bzw. er finanzielle Unterstützung von ihm bekomme. Es konnte nicht festgestellt werden, ob zwischen dem BF und der von ihm als „Onkel“ bezeichneten Person tatsächlich ein Verwandtschaftsverhältnis besteht. Aktuell leben der BF und die genannte Person nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Es ist weder ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, noch eine sonstige enge Bindung hervorgekommen.
Der BF führte vor dem BFA weiters aus, eine aus Indien stammende Freundin zu haben. Es besteht kein gemeinsamer Haushalt und auch kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem BF und seiner Freundin.
Im Zuge einer Kontrolle am 26.01.2014 wurde der BF arbeitend angetroffen und vom zuständigen Finanzpolizeiteam zur Anzeige gebracht. Das diesbezügliche Straferkenntnis erwuchs in Rechtskraft und galt somit die Beschäftigung nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nach dem Bericht der Finanzpolizei vom 16.03.2021 als unerlaubt.
Der BF war von XXXX bis 31.01.2019 als gewerblich selbstständiger Erwerbstätiger angemeldet, nunmehr ist er seit 14.12.2020 wieder als gewerblich selbstständiger Erwerbstätiger gemeldet. Zudem ist der BF seit 26.03.2019 laufend als geringfügig beschäftigter Arbeiter in einem Gastgewerbe angemeldet und sozialversichert. Diese Beschäftigung ist nach dem Bericht der Finanzpolizei vom 16.03.2021 im Hinblick auf die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes als illegal anzusehen.
Im Zuge einer finanzpolizeilichen Kontrolle am 15.03.2021 wurde der BF in einem Lokal kontrolliert. Zum Zeitpunkt der Kontrolle verfügte der BF nicht über arbeitsmarktbehördliche Papiere.
Der BF ist der mit Erkenntnis des BVwG vom 03.02.2020 ausgesprochenen Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und damit illegal im Bundesgebiet verblieben bzw. aufhältig.
Der BF hat am 03.02.2020 die Integrationsprüfung (Deutsch A2) bestanden. Er kann sich in einfachen deutschen Sätzen unterhalten. Der BF verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundeskreises, wobei das Bestehen besonders intensiver Bindungen nicht hervorgekommen ist. Der BF ist Mitglied in einem Fitnessclub. Ansonsten hat der BF keine maßgeblichen Integrationsschritte gesetzt.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur Lage in Indien sowie einer möglichen Rückkehr des BF dorthin:
Der BF läuft nicht konkret Gefahr, in seinem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe beziehungsweise der Todesstrafe unterworfen zu werden oder in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten.
Zum Herkunftsstaat wird auf folgende Feststellungen des BFA verwiesen (vom erkennenden Gericht auf die entscheidungswesentlichen Feststellungen gekürzt)
COVID-19
Letzte Änderung: 22.10.2020
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten. Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Sorge bereitet die zunehmende Ausbreitung von COVID-19-Infektionen in Kleinstädten und ländlichen Gebieten, wo der Zugang zur medizinische Versorgung teilweise nur rudimentär oder gar nicht vorhanden ist (WKO 10.2020). Durch die COVID-Krise können Schätzungen zu Folge bis zu 200 Mio. in die absolute Armut gedrängt werden. Ein Programm, demzufolge 800
Mio. Menschen gratis Lebensmittelrationen erhalten, wurde bis November 2020 verlängert. Die
Ausmaße dieses Programms verdeutlichen, wie hart Indien von der COVID-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch der Wirtschaft betroffen ist (ÖB 9.2020).
Quellen:
• BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (12.10.2020): https://www.bamf.de/Sh aredDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnoteskw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blo b=publicationFile&v=4 , Zugriff 12.10.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
• WKO - Aussenwirtschaft Austria (10.2020): Aussen Wirtschaft Wirtschaftsbereich Indien, WIRTSCHAFTSBERICHT Indien (Q1–Q22020), https://www.wko.at/service/aussenwirts chaft/indien-wirtschaftsbericht.pdfhttps://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-wir tschaftsbericht.pdf, Zugriff 21.10.2020
Politische Lage
Letzte Änderung: 23.10.2020
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 5.10.2020; vgl. AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 11.3.2020). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 2.2020a).
Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 2.2020a; vgl. AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 8.2020a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA9.2020a). Indien hat eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 9.2020a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 11.3.2020). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 11.3.2020). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 8.2020a).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).
Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis „National Democratic Alliance (NDA)“, mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP- Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts desStimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS, fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 8.2020a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion Neu Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktivere Außenpolitik als zuvor. Die frühere Strategie der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ mit allen wichtigen Ländern in der Welt überlagert. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Großmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (BICC 7.2020). Ein ständiger Sitz im UNSicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 8.2020a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (BICC 7.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ec oi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abs chiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_2 3.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020
• AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi .net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_a syl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_201
9%29%2C_19.07.2019.pdf , Zugriff 15.10.2020
• AA – Auswärtiges Amt (9.2020a): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertig es-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 15.10.2020
• BICC - Bonn International Centre for Conversion (7.2020): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_I ndien.pdf , Zugriff 20.10.2020
• CIA - Central Intelligence Agency (5.10.2020): The World Factbook – India, https://www. cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 15.10.2020
• DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020
• FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in
Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindusund-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020
• GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2020a): Indien,
Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 15.10.2020
• KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020
• ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020): Asylländerbericht Indien
• Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschefmodi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020
• SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020
• SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020
• TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-pro-
ject-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020
• USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 06.11.2020
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung
(GIZ 8.2020a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 7.2020). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 7.2020).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020) und der und im von separatistischen Gruppen bedrohten Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 7.2020, AA 23.9.2020). DerPunjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (SATP 8.10.2020). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020). Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 4.3.2020). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. 2020 wurden bis zum 1.11. insgesamt 511 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP1.11.2020).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).
Indien und Pakistan
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).