TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/22 L510 2210172-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2021
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Entscheidungsdatum

22.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


L510 2210172-1/29E

L510 2210172-2/4E

Schriftliche Ausfertigung des am 10.02.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch die BBU GmbH,

I. gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2018, Zl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.02.2021, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

II. gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2021, Zl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

1. Die beschwerdeführende Partei (bP) stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 12.10.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge ihrer Erstbefragung am 12.10.2015 gab die bP zum Fluchtgrund an, dass sie einige Explosionen wahrgenommen habe, welche es sehr oft in Bagdad gebe. Sie sei jung und wolle eine Zukunft in einem Land, wo sie in Sicherheit und Frieden leben könne. Das seien alle Fluchtgründe.

Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme beim BFA am 20.06.2018 führte sie zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, dass sie wegen ihres Bruders ausgereist sei. Dieser sei von der Asaeb Ahl Al Haq bedroht worden. Sie seien einmal zu ihr gekommen und hätten sie gefragt, ob sie ihn kennen würde. Weil sie bei einem Stromaggregat gearbeitet habe, hätten diese sie aufgefordert, ihnen eine Liste der Stromkunden zu geben. Da sie dort gearbeitet habe, habe ihre Familie gratis Strom bekommen, weshalb sie nicht auf der Liste gewesen wären. Deshalb hätten sie nicht erfahren, dass XXXX ihr Bruder sei. Sie habe dann ihren Bruder angerufen und diesem erzählt, dass sie nach ihm gefragt hätten. Dieser habe dann sofort seine Sachen gepackt und sei zur Großmutter gegangen. Ihr Vater habe gesagt, dass sie bestimmt herausfinden würden, dass sie der Bruder von XXXX wäre und sie sie deshalb bestrafen würden. Danach hätten sie herausgefunden, dass sie der Bruder von XXXX sei. Sie seien zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach ihnen gefragt. Ihr Vater habe gesagt, dass sie schon weg wären. Sie hätten diesen mitgenommen und geschlagen und dann wieder frei gelassen. Sie hätten gesagt, dass sie sie schon noch bekommen würden. Sie habe auch ihre Kindheit nicht richtig leben können, da ihr Vater verhaftet worden sei. Sie habe mit der Schule aufhören und arbeiten gehen müssen um die Familie zu ernähren. Als ihr Vater wieder freigelassen worden sei, wäre sie zu alt für die Schule gewesen. Ihr Bruder habe damals ein Geschäft eröffnet. Sie hätten von ihm verlangt das Geschäft zu schließen, ansonsten würde er getötet werden. Sie wisse nicht was der Grund dafür gewesen sei, vielleicht, weil ihr Bruder die Waren so günstig verkauft habe. Sie habe ihre Meinung nicht frei sagen dürfen und sei beschimpft worden.

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom BFA gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.).

Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Das BFA gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ein relevantes, die öffentlichen Interessen übersteigendes, Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen.

Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde der bP ein Rechtsberater von Amts wegen zur Seite gestellt.

2. Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

3. Am 22.11.2020 versuchte die bP illegal in Deutschland einzureisen. Da eine Straftat nach deutschem AufenthG wegen versuchter unerlaubter Einreise vorlag, wurde die bP nach Österreich zurückgewiesen.

4. Mit Bescheid des BFA vom 22.01.2021 (offenbar irrtümlich bezeichnet mit Datum 22.01.2020) stellte dieses fest, dass die bP gemäß § 13 Abs 2 Z 2 AsylG ihr Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 03.03.2020 verloren habe. Dies sei ihr nach Anklageerhebung der zuständigen Staatsanwaltschaft wegen vorsätzlich begangener Straftaten gem. §§ 27 Abs 1 Z 1 und 28a Abs 1 5. Fall SMG bereits mit Verfahrensanordnung mitgeteilt worden.

Dieser Bescheid wurde der zuständigen Gerichtsabteilung mit 12.02.2021 zugewiesen.

Dagegen wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

5. Am 10.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch. Die bP ist unentschuldigt nicht zur Verhandlung erschienen. Das BFA blieb entschuldigt fern. Durch die bP wurde eine Rechtsvertretung entsandt. Seitens der Rechtsvertretung wurde dargelegt, dass es mit der bP bereits ein Beratungsgespräch zur Verhandlung gegeben hat. Dabei führte die bP gegenüber der Rechtsvertretung aus, dass sie zur Verhandlung erscheinen wird. Es erfolgte der Aufruf zur Sache um 08:15 Uhr. Da die bP gegenüber der Vertretung angab, zur Verhandlung zu erscheinen, wurde bis 08:50 Uhr zugewartet. Nach erneutem Aufruf zur Sache, ordnete der Richter aufgrund des unentschuldigten Nichterscheinens der bP die Verhandlung in Abwesenheit der bP an.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei bereits umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönlichen Fluchtgründe und sonstigen Rückkehrbefürchtungen durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine demonstrative Aufzählung von grundsätzlich als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Zugleich mit der Ladung wurden der beschwerdeführenden Partei ergänzend Berichte zur aktuellen Lage im Irak übermittelt bzw. namhaft gemacht, welche das BVwG in die Entscheidung miteinbezieht. Eine schriftliche Stellungnahmefrist bis zum Verhandlungstermin oder eine Stellungnahmemöglichkeit in der Verhandlung wurden dazu eingeräumt. Eine schriftliche Stellungnahme wurde nicht abgegeben und wurde auch in der mündlichen Verhandlung seitens der Rechtsvertretung den Berichten nicht entgegen getreten. Die Vertretung tätigte auf Befragung auch sonst keine weiteren Ausführungen zum Verfahren und stellte keine Beweisanträge.

Das Erkenntnis wurde nach Schluss des Beweisverfahrens mündlich verkündet.

Mit 22.02.2021 wurde durch die Rechtsvertretung der Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Die Identität der bP steht fest. Sie führt den im Spruch genannten Namen und das dort angeführte Geburtsdatum.

Die bP ist Staatsangehörige des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitisch muslimischen Glaubens. Sie ist ledig und hat keine Kinder.

Sie kommt aus Bagdad, XXXX , verbrachte dort bis zur Ausreise ihr ganzes Leben und war bislang in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Sie ging 4 Jahre lang zur Schule und begann dann in einem Geschäft zu arbeiten, wobei sie 2 Jahre lang verschiedenste Tätigkeiten ausübte. Danach arbeitete sie 1 Jahr lang als Elektriker. Von 2007 bis 2015 war sie dann Angestellter und arbeitete an einem Stromgenerator. In der Freizeit spielte sie Fußball mit ihren Freunden, besuchte Caféhäuser und Lokale und sie fotografierte hobbymäßig. Sie verfügt im Herkunftsstaat noch über ein familiäres bzw. verwandtschaftliches Netz. Ihre Eltern, ein Bruder und drei Schwestern leben im Irak, in einer Mietwohnung bei der Großmutter, in der Nähe von XXXX . Sie hat 2 – 3mal in der Woche Kontakt zu ihren Eltern. Einmal im Monat hat die bP Kontakt zu ihrem in Bagdad lebenden Cousin. Es leben auch noch mehrere Onkel, Cousins und Cousinen in Bagdad. Überdies zog ihr Bruder XXXX die Beschwerde gegen seinen negativen Asylbescheid mit 24.11.2020 zurück. Dieses Verfahren wurde mit Beschluss des BVwG vom 01.12.2020, GZ: 2210175-1/22E, eingestellt. Aktuell liegen keine relevanten behandlungsbedürftigen Krankheiten vor.

Sie ist zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes in Österreich auf staatliche Zuwendungen angewiesen und lebt seit ihrer Einreise von der Grundversorgung. Abgelegte Deutschprüfungen wurden nicht nachgewiesen. Es wurde lediglich eine 80%ige Anwesenheit bei einem A1 Kurs belegt. Sie spielt in Österreich Fußball und wurde ein Unterstützungsschreiben vorgelegt. Außer ihrem Bruder hatte die bP in Österreich keine Familienangehörigen oder Verwandten. Dieser scheint jedoch seit 09.03.2021 laut ZMR-Anfragedaten als in den Irak verzogen auf.

Die bP verletzte im Verfahren ihre Mitwirkungspflichten und erschien unentschuldigt nicht zur mündlichen Verhandlung.

Gegen die bP liegen folgende rechtskräftige Verurteilungen vor:

01) LG XXXX vom XXXX 2019 RK XXXX 2019

§§ 28a (1) 5. Fall, 28a (3) SMG

§ 27 (1) Z 1 1. u 2. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat 07.11.2018

Freiheitsstrafe 7 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Anordnung der Bewährungshilfe.

zu LG XXXX RK XXXX 2019

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom XXXX 2020

02) LG XXXX vom XXXX 2020 RK XXXX 2020

§ 27 (1) Z 1 8. Fall SMG

§ 27 (1) Z 1 1.2. Fall SMG

§ 27 (2) SMG

Datum der (letzten) Tat 16.04.2020

Freiheitsstrafe 5 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Geldstrafe von 80 Tags zu je 4,00 EUR (320,00 EUR) im NEF 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

Anordnung der Bewährungshilfe.

Mit Abschlussbericht vom 28.09.2020 wurde die bP von der zuständigen LPD wegen des Verdachts der Körperverletzung, Tatzeit am 13.09.2020, und zweimal wegen des Verdachts auf Suchtmittelkonsum, Tatzeiten 11.09.2020 und 20.09.2020, zur Anzeige gebracht.

1.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Die von der bP vorgebrachten Fluchtgründe werden den Feststellungen nicht zugrunde gelegt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Bagdad, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

1.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ

1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a). An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a). Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020).

Die im Irak anhaltenden sektiererischen Spannungen führten zum Aufstieg von Da'esh (auch als islamischer Staat bekannt), einer militanten Salafi Dschihadistengruppe, die einer fundamentalistischen Version des sunnitischen Islam folgt. Der IS besetze große Teile des Irak im Jahr 2014. Auf seinem Höhepunkt besaß der IS ungefähr 40 Prozent des irakischen Territoriums. Während seiner Besatzung verübte er zahlreiche Gräueltaten, insbesondere gegen Minderheitengruppen, einschließlich Massenmord und sexuelle Versklavung. Der IS besiegte die irakischen Sicherheitskräfte in mehreren Schlachten und kam 50 Kilometer bis an Bagdad heran, bevor er von den regulären irakischen Streitkräften gestoppt werden konnte, unterstützt von einer durch die USA geführten Internationalen Koalition und irregulärer Volksmobilisierungskräfte (PMF). Nach drei Jahren Konflikt erklärte die Regierung im Dezember 2017 den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die letzten vom IS kontrollierten Gebiete entlang der syrischen Grenze zurückerobert worden waren. Der Konflikt mit dem IS hat die irakische Wirtschaft erheblich geschädigt und der IS stellt weiterhin eine Sicherheitsbedrohung innerhalb des Landes dar (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 9).

Demografische Daten für den Irak sind unzuverlässig, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass die Bevölkerung des Landes zwischen 38 und 40 Millionen liegt. Das geschätzte Bevölkerungswachstum des Landes liegt bei rund 2,8 Prozent pro Jahr und liegt damit in den Top 20 der am schnellsten wachsenden Länder weltweit. Der Irak ist ein junges Land: Fast 60 Prozent der Iraker sind den Berichten zufolge unter 25 Jahre alt. Ungefähr 70 Prozent der Iraker leben in städtischen Gebieten. Der Irak hat eine 3-prozentige jährliche Urbanisierungsrate. Bagdad ist die Hauptstadt und größte Stadt mit einer Bevölkerung zwischen 6 und 7 Millionen Einwohner. Die Städte Basra und Mosul haben beide mehr als 2 Millionen Einwohner, während Erbil, Kirkuk, Sulaymaniyah und Hilla jeweils mehr als 1 Million Einwohner haben. Die irakische Bevölkerung ist stark konzentriert im Norden, in der Mitte und im Osten des Landes, mit vielen größeren städtischen Ballungsräumen entlang der ausgedehnten Teile des Tigris und des Euphrat. Ein Großteil der westlichen und südlichen Gebiete des Irak ist Wüste und dünn besiedelt oder unbewohnt (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 10).

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechten einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre, Unabhängigkeit der Justiz, Versammlungsfreiheit, Freiheit der Religionsausübung und Schutz der Kultstätten, Vereinigungs- Gedanken- und Meinungsfreiheit. Zahlreiche Gesetze schützen diese verfassungsmäßige Freiheiten. Artikel 2 Absatz 1 der Verfassung besagt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist. Der zweite Teil von Artikel 2 garantiert das Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit, insbesondere unter Erwähnung von Christen, Jesiden und Sabäer-Mandäer (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 18, 26).

Artikel 102 der Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der irakischen Hohen Kommission für Menschenrechte (IHCHR), die vom Repräsentantenrat überwacht wird. Das Gesetz über die Tätigkeit des IHCHR sieht 12 Vollzeitkommissare und drei Reservekommissare mit einer Laufzeit von vier Jahren vor. Das Gesetz überträgt der IHCHR eine breite Befugnis, einschließlich des Rechts auf Empfang und Untersuchung von Menschenrechtsbeschwerden, Durchführung unangekündigter Besuche in Justizvollzugsanstalten und Überprüfung der Gesetzgebung. Die Unabhängige Menschenrechtskommission der Region Kurdistan (IHRCKR) führt ein ähnliches Verfahren durch. Beide Organisationen veröffentlichen regelmäßig Berichte zu Menschenrechtsfragen und führen Schulungen für staatliche Sicherheitsbehörden durch (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 17.08.2020, S. 18, 19).

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt. Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen. Im Juli 2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilizations Forces (PMF), Trival Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen. Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel. Die zivilen Todesopfer im gesamten irakischen Gebiet belaufen sich im Jahr 2017 auf 13.183, im Jahr 2018 auf 3.319 und von Jänner bis inkl. September 2019 auf 1.542. Es handelt sich dabei im vorläufige Zahlen, andere sind nicht verfügbar.

Der IS hat im April 2020 eine neue Gewaltoffensive gestartet, die in der dritten Woche des Mai ihren Höhepunkt erreichte. Es wurden dabei die gleich hohe Anzahl von Attacken wie zuletzt zur selben Zeit 2018. In der vierten Mai-Woche gingen die Attacken wieder zurück (Musings on Iraq, 01.06.2020).

Die Gewalt im Irak erreichte in der vierten Juniwoche einen Tiefpunkt. Die Angriffe des Islamischen Staates waren dort einstellig. Vom 22. bis 28. Juni 2020 wurden in den Medien im Irak insgesamt 10 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Einer davon war ein Raketenangriff auf den Internationalen Flughafen Bagdad von pro-iranischen Gruppen, die hoffen, inmitten der amerikanisch-irakischen Verhandlungen um eine neue Sicherheitsvereinbarung, eine Nachricht an die USA zu senden. Das waren nur 9 Vorfälle des Islamischen Staates. Dies war die niedrigste Zahl seit 8 Vorfällen in der zweiten Woche im November 2019.

Gewalt trat nur in vier Provinzen auf. Es gab jeweils einen Vorfall in Kirkuk und Salahaddin, zwei in Bagdad und sechs in Diyala. 8 Menschen starben und 13 wurden verwundet. Das waren 2 Hashd al-Shaabi und 6 Polizisten, die ihr Leben verloren haben, zusammen mit 5 Polizisten und 8 Hashd, die verletzt wurden. Die Sicherheitskräfte waren weiterhin das Hauptziel der Militanten. Jetzt versucht der IS, seine militärische Dominanz über die ländlichen Gebiete, in denen er arbeitet, durch Einschüchterung der Armee, Polizei und Hashd zu behaupten. Alle Opfer gab es in Salahaddin mit 10 und Diyala mit 11. Anbar bleibt ein Schwerpunkt der Regierung. In der vergangenen Woche gab es 7 Sicherheitsoperationen. In der folgenden Woche gab es gerade eine in der Wüstenregion Nukhaib im Süden an der Grenze zu Nadschaf. Die Provinz sieht relativ wenig aufständische Aktivitäten, ist aber die Hauptschmuggelroute des IS.

Es gab zwei Zwischenfälle in Bagdad. Neben dem Raketenangriff warf ein Polizist zwei Granaten auf sein Haus im Adhamiya Distrikt im Norden. Im Juni wurden fast alle Angriffe, 8 von 10, im Gouvernement der Hauptstadt von proiranischen Gruppen durchgeführt, die Raketen in Bereichen abfeuerten, in denen amerikanisches Personal untergebracht ist. Dies führte dazu, dass die Regierung die Büros der Kataib Hisbollah überfiel, die dafür verantwortlich gemacht wurde.

Diyala ist die Hauptbasis für den Aufstand im Irak. Es war diesen Monat relativ ruhig, weil die Regierungstruppen anwesend waren. Während der Woche gab es sechs Vorfälle, die meisten in diesem Monat. Dazu gehörten zwei Städte im Waqf-Becken, welche von Mörsern getroffen wurden, zwei Angriffe auf Kontrollpunkte, ein Angriff auf ein Dorf und es wurde ein Polizist erschossen. All dies geschah im Muqdadiya Bezirk in der Mitte. Die Regierung startete außerdem sechs Operationen im Norden, Süden, Nordosten und Zentrum. Die Hälfte davon war auf wenige Dörfer beschränkt, während die anderen größere Regionen abdeckten. Die Kerngebiete des Islamischen Staates in Muqdadiya und Khanaqin wurden jede Woche durchsucht, was erklärt, warum die Vorfälle relativ gering waren. Die stetigen Operationen in letzter Zeit haben dazu geführt, dass nicht so viele Angriffe wie üblich ausgeführt werden konnten.

Im südlichen Makhmour-Distrikt von Erbil gab es eine Sicherheitsoperation. Seit einigen Monaten trifft der IS diesen Bereich, weil es ein umstrittenes Gebiet ist und es Lücken in der Berichterstattung zwischen den irakischen Streitkräften und Peshmerga gibt.

Die dritte Phase der Heroes of Iraq-Kampagne begann Anfang der Woche in Salahaddin. Vier verschiedene Bereiche in der Mitte und im Osten waren betroffen. Es wurden mehrere IEDs entdeckt, die 2 Hashd töteten und 8 weitere verwundeten.

Es gab keine Zwischenfälle in Kirkuk oder Ninewa und keine Regierungsaktivitäten. Dies war ein weiteres Zeichen dafür, dass sich der IS im Juni reduzierte. Der Rückgang der Ereignisse im Juni zeigt, dass der Aufstand militärisch immer noch sehr begrenzt ist und große Operationen nicht lange aufrechterhalten werden können. Die Regierung war auch sehr aggressiv (Musings on Iraq, 30. Juni 2020).

Die Gewalt im Irak ist auf ein sehr niedriges Niveau zurückgekehrt. In der dritten Woche in Folge gab es kaum Vorfälle. Das kam nachdem der Islamische Staat von April bis Mai eine neue Offensive angekündigt hatte, bei der die Angriffe auf das Niveau von 2018 stiegen. Die Regierung startete auch eine aggressive Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, die auch die Operationen der Aufständischen niedrig gehalten haben.

Vom 15. bis 21. Juni wurden in den Medien nur 16 Sicherheitsvorfälle gemeldet. Das war die gleiche Zahl wie in der Woche zuvor. Zwei von den Vorfällen waren pro-iranische Gruppen, die Raketen auf Ziele in Bagdad abfeuerten, in denen Amerikaner untergebracht waren, sowie ein Dritter, bei welchem Raketen entdeckt wurden, bevor sie ins Leben gerufen wurden. Diese Art von Angriffen entstand, als die irakische Regierung Gespräche über eine neue Sicherheitsvereinbarung mit den Vereinigten Staaten aufgenommen hat. Teheran versucht die Botschaft zu senden, dass die Amerikaner jederzeit ins Visier genommen werden können und das Land verlassen sollten. Damit blieben 13 Vorfälle durch den IS wahrscheinlich, gegenüber 12 in der Woche zuvor und 17 in der ersten Juniwoche.

Die Vorfälle verteilten sich auf nur fünf Provinzen, eine in Kirkuk, vier in Bagdad und Diyala, zwei in Ninewa und fünf in Salahaddin. Diese führten zu 11 Todesfällen und 19 Verwundeten. 1 Zivilist, 4 irakische Sicherheitskräfte (ISF) und 6 Hashd al-Shaabi kamen ums Leben, weitere 5 Sicherheitskräfte, 7 Zivilisten und 7 Hashd wurden verletzt. Salahaddin hatte mit 19 die meisten Verluste, gefolgt von 6 in Diyala, 4 in Ninewa und 1 in Bagdad. Obwohl die Verluste gering waren, litten die Sicherheitskräfte mehr als die Zivilbevölkerung darunter, was in den letzten zwei Monaten eine entscheidende Veränderung war. Es scheint, dass der IS versucht, die militärische Überlegenheit gegenüber den ländlichen Gebieten, in denen sie tätig sind, zu etablieren, indem sie danach streben die Polizei, Armee und Hashd einzuschüchtern. Seit der IS letztes Jahr sein letztes Stück Territorium in Syrien verloren hat, zieht er Männer und Material aus dem Land in den Irak, weitgehend über Anbar. Als Reaktion darauf tätigt die Regierung ständige Sicherheitsoperationen in den großen unbewohnten Gebieten der Provinz. Dort gab es sieben solche während der Woche durch die Wüstengebiete, die Grenze und das Hit-Viertel.

In Diyala gab es während der Woche vier Zwischenfälle. Eine Militärpatrouille wurde von einem IED getroffen, eine Gruppe von Zivilisten wurde angegriffen, ein IS-Scharfschütze tötete einen Hashd und verwundete einen Soldaten, alles im Bezirk Muqdadiya im Zentrum. Ein Infiltrationsversuch wurde im Bezirk Khanaqin im Nordosten vereitelt. Diese Provinz ist das Zentrum der IS-Aktivitäten im Irak, weshalb es regelmäßig zu einer hohen Anzahl von Vorfällen kommt.

3 Personen, die Wochen zuvor entführt worden waren, wurden von den Sicherheitskräften in einem Dorf im Bezirk Daquq im Süden von Kirkuk gerettet. Der IS wurde nie aus der südlichen Region des Gouvernements vertrieben, weshalb sich dort fast alle Vorfälle ereignen. In Ninewa führten zwei IEDs, die sich gegen Zivilisten richteten, zu insgesamt vier Verwundeten. Beide ereigneten sich im Bezirk Qayara südlich von Mosul. Salahaddin war das gewalttätigste Gebiet im Irak. Es gab fünf Vorfälle, darunter IEDs, die auf einen Armeekonvoi und eine Hashd-Patrouille abzielten. Der Anführer von Hashd wurde ermordet und es wurde auf einen Kontrollpunkt geschossen. Das größte Ereignis war jedoch ein Angriff auf ein Hashd-Hauptquartier im Samarra Bezirk, der 6 Opfer hinterließ. Der IS hat in den letzten Wochen seine Aktivitäten in der Provinz stark aufgenommen. Als Antwort gab es eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen, drei im Osten, eine im Westen von Samarra im Zentrum und die letzte in Yathrib im Süden (Musings on Iraq, 23. Juni 2020).

Die Winterruhe setzte sich bis März fort. Von 08. bis 14. März wurden insgesamt nur 12 Vorfälle gemeldet. Zwei davon waren von pro-iranischen Gruppen, die nur 10 vom Islamischen Staat. Seit November sind IS-Vorfälle im einstelligen Bereich. Mit dem Iran verbündete Fraktionen trafen zwei Konvois, die Vorräte für die USA transportierten. Einer war in Anbar und der andere in Diwaniya. Es war das erste Mal, dass ein IED-Angriff in Anbar stattfand. Dies zeigte, dass pro-iranische Gruppen ihre Operationen auf den Irak ausweiten. Die 10 IS-Vorfälle ereigneten sich in Bagdad (1), Kirkuk (2), Ninewa (2), Salahaddin (2) und Diyala (3). 13 Menschen wurden getötet, bestehend aus 1 Hashd al-Shaabi, 4 irakischen Sicherheitskräften und 8 Zivilisten. Weiter 15 wurden verwundet, bestehend aus 7 Zivilisten und 8 ISF. Salahaddun hatte mit 10 die meisten Opfer. In Bagdad wurde eine Granate auf eine Menschenmenge auf einer Brücke in Khadimiya geworfen, wo sich ein schiitischer Schrein befindet. 1 Person wurde getötet und drei wurden verletzt. Es ist unklar, wer dafür verantwortlich war, aber wenn es der IS war, wäre es das zweite Mal, dass er einen Angriff innerhalb der Stadt in den letzten Wochen durchgeführt hat. Normalerweise trifft es nur die Städte am Rande der Provinz. Es gab 3 Vorfälle in Diyala. Ein Anwalt überlebte ein Attentat, ein Soldat wurde von einem Scharfschützen getötet und wurde eine Granate auf ein Haus geworfen. In Kirkuk verwundete ein IED 7 Polizisten. Die Militanten griffen auch einen Armee-Regimestützpunkt an und ließen 1 Soldaten tot und 1 verletzt zurück. Der IS hat ein Lager im Süden des Gouvernements, aber es war ruhig in den letzten Monaten. Es gab einen IED und eine Schießerei mit der Armee in Ninewa, als eine Gruppe von IS-Kämpfern versuchte, aus Syrien zu infiltrieren. Wie Kirkuk hat auch diese Provinz einen dramatischen Rückgang der Gewalt erlebt. In Salahaddin drang eine Gruppe von ISF-Kämpfern in ein Haus ein und massakrierte 7 Menschen, tötete einen Polizisten und verletzte einen weiteren. Ein Hashd-Kämpfer wurde ebenfalls von einem Scharfschützen getötet (Musings on Iraq, 16.März 2021).

ACLED weist im aktuellsten Bericht vom 28.10.2020 betreffend das 2. Quartal für das Gouvernement Bagdad, mit seinen ca. 11.8 Millionen Einwohner insgesamt 71 sicherheitsrelevante Vorfälle auf, wobei über 19 Todesopfer berichtet wurde. Folgende Gebiete waren betroffen: Al Wahdah, Al Yusufiyah, Ar Rashidiyah, At Tarmiyah, Az Zaydan, Baghdad, Baghdad - Adhamiya, Baghdad - Al Rashid, Baghdad - Kadhimiya, Baghdad - Karadah, Baghdad - Karkh, Baghdad - Mansour, Baghdad - Rusafa, Baghdad - Sadr City, Baghdad International Airport, Madain, Nahrawan, Taji, Zawbaa.

EASO, Country of Origin Information Report, Iraq: Security situation, v. Oktober 2020, führt nachfolgende Anzahl an Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten und zivilen Opfern im Gouvernorat auf: Jänner-Dezember 2019: 42 Vorfälle, 37 Tote, 13 Verletzte. Jänner-Juli 2020: 4 Vorfälle, 3 Tote, 5 Verletzte.

Wenn man vor allem die hohe Bevölkerungszahl der Stadt (ca. 7,6 Millionen) bzw. Provinz (ca. 11,8 Millionen) zu der Anzahl der Vorfälle in Bezug setzt, ist die Wahrscheinlichkeit von Angriffen betroffen zu sein, auch unter Berücksichtigung einer lebensnahen Dunkelziffer von nicht bekannt gewordenen Vorfällen, ohne Hinzukommen qualifizierender bzw. exponierender Umstände, im Regelfall als nicht sehr hoch einzuschätzen.

Die meisten der Schutzmauern, die in den letzten zehn Jahren errichtet wurden, um öffentliche und private Gebäude zu sichern, wurden abgerissen. Stattdessen finden sich dort jetzt Parks und Grünflächen. Im Zuge der Veränderungen wurde in Bagdad auch das erste Frauencafé eröffnet. Dort können sich Frauen ohne Begleitung von Männern treffen und ihre Kopftücher und die lange Abaya ablegen, die auf den Straßen so verbreitet sind.

Im Café "La Femme" werden Wasserpfeifen angeboten und von einer Frau zubereitet. Es werden alkoholfreie Champagnercocktails, Softgetränke und Snacks serviert. Bisher haben sich noch keine Männer in dieses weibliche Heiligtum gewagt - obwohl sich das Café in einem Hochhaus zusammen mit anderen Restaurants, einer Sporthalle für Männer und nur einem Aufzug befindet. Der Kundenkreis von Adel-Abid umfasst vor allem Frauen aus der Mittel- und Oberschicht. Für ihre jungen Kundinnen organisiert sie reine Frauenfeste zu Geburtstagen, Verlobungen und Abschlussfeiern. Die ältere Generation trinkt lieber Kaffee und hört den alten irakischen Sängern zu, die auf der Musikanlage bevorzugt gespielt werden.

Frauen können jetzt Unternehmen führen. Da der "Islamische Staat" verdrängt und die gegenwärtige politische Stabilität zu spüren ist, fordern irakische Frauen immer mehr ihren Anteil am öffentlichen Raum der Stadt. In Mansour, dem Stadtviertel, in dem sich "La Femme" befindet, sind die meisten Cafés und Restaurants heute gemischt, und auch Frauen rauchen dort Wasserpfeife. Der frische Wind des Wandels hat auch das Straßenbild verändert.

Frauen kleiden sich wieder bunter, anstatt sich hinter schwarzen Schleiern zu verstecken. Die Entwicklung geht so weit, dass junge Frauen sich immer seltener ein Kopftuch umbinden. Ehen zwischen Sunniten und Schiiten erleben ein Comeback im Irak; unter den Jugendlichen in Bagdad sind sie sogar zum neuen Standard geworden. So wie bei Merry al-Khafaji, die kürzlich Mustafa al-Ani geheiratet hat. Gemeinsam sitzen die beiden Mittzwanziger bei einer Wasserpfeife in einem beliebten Bagdader Garten, sie trägt ihr dunkles Haar offen und ein grünes T-Shirt mit Jeans. Traditionell wählen Eltern die Partner ihrer Kinder, aber Merry al-Khafaji und Mustafa al-Ani lernten sich in dem Telekommunikationsunternehmen kennen, für das sie beide arbeiten. Mittlerweile entwickeln sich immer mehr Liebesbeziehungen bei der Arbeit, im Studium oder in Workshops. Auch soziale Medien haben eine starke Wirkung. Sie eröffnen jungen Menschen einen neuen Weg, neue Freunde in der konservativen irakischen Gesellschaft zu finden (Die neuen Freiheiten von Bagdad, qantara.de 01.07.2019).

Mitglieder rivalisierender irakischer Motorrad-Clubs, die in Leder mit Nieten und schwarzen Baskenmützen gekleidet waren, tanzten Breakdance und ließen mit ihren tätowierten Armen Neon-Leuchtstäbe kreisen. Der Tanzkreis des Mongols Motorcycle Club war einer von mehreren bei der ‚Riot Gear Summer Rush‘, einer Automobilshow samt Konzert in einem Sportstadion im Herzen von Bagdad. Die Szene hatte etwas ganz anderes als jene Bilder, die üblicherweise aus der Stadt der Gewalt und des Chaos ausgestrahlt wurden. Aber fast zwei Jahre, nachdem der Irak den islamischen Staat besiegte, hat die Hauptstadt ihr Image stillschweigend verändert. Seit die Explosionsschutzwände – ein Merkmal der Hauptstadt seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003, bei der Saddam Hussein gestürzt wurde – gefallen sind, hat sich eine weniger restriktive Lebensweise etabliert. „Wir haben diese Party veranstaltet, damit die Leute sehen können, dass der Irak auch über diese Art von Kultur verfügt und dass diese Menschen das Leben und die Musik lieben“, sagte Arshad Haybat, ein 30-jähriger Filmregisseur, der die Riot Gear Events Company gründete. Riot Gear hat bereits zuvor ähnliche Partys im Irak veranstaltet, aber dies war die erste, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Der Tag begann damit, dass junge Männer importierte Musclecars und Motorräder vorführten. Bei Einbruch der Dunkelheit wurde die Show zu einer lebhaften Veranstaltung für elektronische Tanzmusik (EDM). Das irakische Hip-Hop-Kollektiv „Tribe of Monsters“ spielte eine Mischung aus EDM- und Trap-Musik, während junge Männer Verdampfer in ihren Händen hielten und neben Blitzlichter und Rauchmaschinen tanzten, während sie ihre Bewegungen live auf Snapchat und Instagram übertrugen. Es war eine berauschende Mischung aus Bagdads aufkeimenden Subkulturen: Biker, Gamer und EDM-Enthusiasten. Was die meisten gemeinsam hatten, war, dass sie im Irak noch nie einer solchen Veranstaltung beigewohnt hatten. Obwohl von jungen Männern dominiert, nahmen auch viele Frauen an der Veranstaltung teil. Einige von ihnen tanzten in der Nähe der Hauptbühne. Die Veranstalter stellten jedoch sicher, dass eine „Familiensektion“ zur Verfügung stand, damit Frauen, Familien und Liebespaare auch abseits der wilden Menschenmenge tanzen konnten (Tanzpartys kehren nach Bagdad zurück, mena-watch, 22.08.2019).

In Bagdad wurde ein neues deutsch-irakisches Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration eröffnet. Es ist das zweite seiner Art im Irak neben dem Beratungszentrum in Erbil, das seine Arbeit bereits im April 2018 aufgenommen hatte. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Schaffung attraktiver und langfristiger Bleibeperspektiven. Zu den angebotenen Leistungen gehören Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Unterstützung bei Existenzgründungen. Das Zentrum steht Rückkehrenden ebenso offen wie Binnenvertriebenen und der lokalen Bevölkerung und fördert damit auch die Stärkung des irakischen Privatsektors. In den kommenden Jahren soll das Beratungszentrum schrittweise in die lokalen Strukturen überführt werden, um den langfristigen und nachhaltigen Betrieb zu sichern (Neues deutsch-irakisches Beratungszentrum in Bagdad eröffnet, BMZ 13.06.2019).

Bis Ende April 2020 wurden etwa 4,7 Millionen Personen im Irak gezählt, die nach Vertreibung an ihren gewöhnlichen Wohnsitz rückkehrten; diese verteilten sich auf 8 Gouvernements, 38 Distrikte und über 2.000 Orte. In den Monaten März und April 2020 wurden über 44.000 neue Rückkehrer registriert. Diese Anzahl ist niedriger als zuletzt, was auf die von den Behörden erlassenen Mobilitätbeschränkungen aufgrund des Coronavirus zurückzuführen ist. Die meisten Rückkehrer wurden in den Gouvernements Anbar, Ninewa und Salah al-Din gezählt. Die Gesamtzahl der gezählten Binnenvertriebenen belief sich im März und April 2020 auf etwa 1,4 Millionen Personen, aufgeteilt auf 18 Gouvernements, 104 Bezirke und knapp 3.000 Orte. Trotz des kontinuierlichen Rückgangs von Binnenvertriebenen (etwa -9.600 Personen im Vergleich zur Zählung in den Monaten Jänner und Februar 2020) wurden in den Monaten März und April 2020 knapp 2.700 neue Binnenvertriebene gezählt, welche überwiegend bereits zum zweiten Mal vertrieben wurden. 60% der in den Monaten März und April 2020 gezählten Binnenvertriebenen stammten aus dem Gouvernement Ninewa (die meisten aus Mossul, Sinjar und Al-Ba’aj), jeweils 11% stammten aus den Gouvernements Salah al-Din und Anbar (Displacement Tracking Matrix, Iraq Master List Report 115, March-April 2020).

ACLED weist im aktuellsten Bericht vom 28.10.2020 betreffend das 2. Quartal für das Gouvernement Bagdad, mit seinen ca. 11,8 Millionen Einwohner, insgesamt 71 sicherheitsrelevante Vorfälle auf, wobei über 19 Todesopfer berichtet wurde. Folgende Gebiete waren betroffen: Al Wahdah, Al Yusufiyah, Ar Rashidiyah, At Tarmiyah, Az Zaydan, Baghdad, Baghdad - Adhamiya, Baghdad - Al Rashid, Baghdad - Kadhimiya, Baghdad - Karadah, Baghdad - Karkh, Baghdad - Mansour, Baghdad - Rusafa, Baghdad - Sadr City, Baghdad International Airport, Madain, Nahrawan, Taji, Zawbaa (ACLED, Iraq, Second Quarter 2020).

COVID-19 – Aktuelle Lage im Irak (immer aktuell anpassen)

Laut worldometers.info, Stand Februar 2020, gibt es im Irak 779.458 Coronavirus-Fälle. Es gibt 13.896 Todesfälle. 702.667 Personen sind wieder genesen. Die nächtliche Ausgangssperre wurde komplett aufgehoben. Der Irak hat Anfang September seine Landgrenzen wieder geöffnet. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra wurden am 23. Juli für kommerzielle Linienflüge wiedereröffnet. Die dänische Regierung hat in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) dem Irak 6.000.000 DKK (ca. 870.000 USD) zugesagt, um die irakische Regierung bei der Bekämpfung der globalen COVID-19-Pandemie zu unterstützen. Die Regionalregierung Kurdistan (KRG) hat beschlossen, die Maßnahmen zu lockern und etwa die Wiedereröffnung der Märkte unter bestimmten Bedingungen zuzulassen. Im Irak sowie in Kurdistan arbeiten alle Ministerien mit 50% Kapazität. Apotheken und Bäckereien sind ohne Einschränkungen geöffnet. Die Weltbank hat, als Unterstützung für das irakische Gesundheitssystem, einer Umverteilung von USD 33,6 Mio. des aktuellen Projekts „Notfalloperation für Entwicklung“ (EODP-750 Mio. USD) zugestimmt. Die irakische Börse nahm den Handel mit 26.4.2020 wieder auf.

Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19-Test verfügen. Passagiere, die ein negatives COVID-19-Testergebnis haben, müssen den Test nicht am Flughafen ablegen. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten sind vom Passagier zu tragen (USD 50). Der Irak hat das Einreiseverbot aus folgenden Ländern wieder aufgehoben:

Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Indien, Irland, Japan, Luxemburg, der Slowakei, Südafrika, Spanien, Großbritannien, den USA und Sambia.

Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen und Experten, die an Serviceprojekten arbeiten, sind vom Einreiseverbot ausgenommen, sofern sie einen negativen PCR-Test vorlegen, der 72 Stunden vor ihrer Ankunft durchgeführt wurde. Passagiere, die in Erbil einreisen wollen, brauchen einen negativen COVID-19-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Alle ankommenden Passagiere müssen sich bei Ankunft am Flughafen einem COVID19-Test unterziehen und es gilt eine 2-tägige Quarantäne. Die Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Wenn das Ergebnis positiv ist, muss der/die Reisende ein Formular ausfüllen, um zu erklären, dass er/sie in einer 14-tägigen Quarantäne bleiben wird. Bei Auftreten von Symptomen muss das kurdische Gesundheitsministerium kontaktiert werden (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Abruf Februar 2020).

2. Beweiswürdigung

Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der bP, der von ihr vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen aktuellen Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der bP, welche der Rechtsvertretung wie bereits ausgeführt übermittelt wurden.

2.1 Zur Person der beschwerdeführenden Partei

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich der bP ergeben sich aus ihren in diesem Punkt einheitlichen, im Wesentlichen widerspruchsfreien Angaben sowie ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und dem seitens der bP vorgelegten Reisepass. Neuerungen zu ihrem Leben in Österreich legte die bP dem BVwG weder schriftlich, noch in der Verhandlung persönlich oder in der Verhandlung durch ihren Rechtsvertreter dar.

Dazu wäre sie aber, insbesondere da sie im Asylverfahren auch Rechtsberatung erhielt und in der Verhandlung vertreten war, bei geänderten Umständen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht verpflichtet gewesen, sind doch gerade dem persönlichen Bereich der bP zugehörige Sachverhalte, wie etwa private und familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, für die Behörde [das Gericht] nicht ohne entsprechendes Vorbringen erkennbar (vgl. VwGH 30.1.2001, 2000/18/0001; VwGH 14.2.2002, 99/18/0199; 24.4.2001, 98/21/0399).

Durch die im Asylverfahren erfolgte Belehrung über die Mitwirkungsverpflichtung im Asylverfahren, die einschlägigen Fragestellungen in den Einvernahmen, der Begründung des Bescheides des BFA, ist für die rechtlich vertretene bP deutlich erkennbar, dass solche, alleine in ihrer persönlichen Sphäre liegenden Punkte, für die Entscheidung im Asylverfahren von Relevanz sind. Die bP hat bis zum Entscheidungszeitpunkt keine Änderung von relevanten Umständen in Bezug auf ihre privaten und familiären Anknüpfungspunkte mitgeteilt. Das BVwG war daher, insbesondere auch unter Berücksichtigung der aktuellen Judikatur des EGMR - vgl. den zum gegenständlichen Verfahren im Wesentlichen vergleichbaren Fall NNYANZI gg. das Vereinigte Königreich (Arg.: „Jedes von der BF während ihres [ungesicherten] Aufenthalts im Vereinigten Königreich etablierte Privatleben würde ihre Abschiebung bei einer Abwägung gegen das legitime öffentliche Interesse an einer wirksamen Einwanderungskontrolle nicht zu einem unverhältnismäßigen Eingriff machen“) - hier diesbezüglich zu keinem ergänzenden Ermittlungsverfahren verpflichtet und kann das Bundesverwaltungsgericht aus dem Verschweigen der bP vertretbar schließen, dass es seit der Entscheidung des BFA keine relevanten Änderungen hinsichtlich ihrer privaten- und familiären Anknüpfungspunkte in Österreich gibt.

2.2. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates

Im Verfahren ergaben sich erhebliche Unplausibilitäten im Kernvorbringend der bP. Zudem steigerte die bP im Zuge der Befragung ihr Vorbringen um wesentliche Kernpunkte, welche sie in der freien Erzählung ihrer Fluchtgründe zuvor nicht einmal erwähnt hat, wie folgend zusammengefasst an Beispielen dargelegt wird. Dadurch war die bP im Verfahren nicht glaubwürdig.

So führte die bP bei ihrer Erstbefragung zum Fluchtgrund aus, dass sie einige Explosionen wahrgenommen habe, welche es sehr oft in Bagdad gebe. Sie sei jung und wolle eine Zukunft in einem Land, wo sie in Sicherheit und Frieden leben könne. Das seien alle Fluchtgründe.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA legte sie demgegenüber in ihrer freien Erzählung zu ihren Fluchtgründen vorerst folgend dar:

„Ich bin wegen meines Bruders ausgereist. Er wurde von Asaeb Ahl Al Haq bedroht. Sie kamen einmal zu mir und fragten mich, ob ich ihn kenne. Ich sagte nein. Sie meinten, dass ich ihn sicher kenne, da ich im selben Stadtviertel lebte und Fußball spiele, daher müsste ich ihn kennen. Weil ich bei einem Stromaggregat gearbeitet habe, forderten Sie mich auf ihnen die Liste der Stromkunden zu geben. Da ich dort arbeitete, bekam meine Familie gratis Strom, ohne dass sie auf der Liste war. Daher fanden sie nicht heraus, dass XXXX mein Bruder ist.

Sie fuhren dann weg und ich rief meinen Bruder an. Ich sagte ihm, dass sie nach ihm fragten. Er ist dann sofort nach Hause und hat die Sachen gepackt und ist zu unserer Großmutter gegangen. Mein Vater meinte, dass sie herausfinden würden, dass ich sein Bruder wäre und mich bestraften. Daher sollte ich auch meine Sachen packen und zur Großmutter gehen. Danach fanden sie heraus, dass ich der Bruder bin. Sie kamen zu uns nach Hause und fragten nach uns. Mein Vater sagte, dass wir schon weg waren. Sie nahmen ihn mit, schlugen ihn und ließen ihn dann wieder frei. Sie meinten darauf, dass sie uns schon noch bekommen würden.“

LA: Haben Sie noch weitere Gründe, warum Sie Ihr Herkunftsland verlassen haben?

A: „Ich habe meine Kindheit nicht gelebt. Als mein Vater verhaftet wurde, musste ich mit der Schule aufhören und arbeiten um die Familie zu ernähren. Als mein Vater wieder frei gelassen wurde, wollte ich wieder in die Schule aber ich durfte nicht, weil ich zu alt war.“

Somit steigerte die bP schon insoweit ihr Vorbringen vor dem BFA, als sie ursprünglich im Zuge ihrer Erstbefragung lediglich die allgemeine Lage in Bagdad ansprach. Wenn die bP auf den entsprechenden Vorhalt vor dem BFA anführte, dass sie bei der Erstbefragung sehr müde und krank gewesen sei, weshalb sie nur auf die allgemeine Lage einging, so ist ihr entgegen zu halten, dass sie bei der Erstbefragung konkret befragt wurde, ob sie Beschwerden oder Krankheiten habe, welche sie an der Einvernahme hindern würden und legte die bP dar: „nein, ich kann dieser Einvernahme ohne Probleme folgen“. Außerdem wurde die bP belehrt und bestätigte sie mit ihrer Unterschrift, dass ihr bewusst ist, dass die Erstbefragung im Asylverfahren stattfindet und ihre Angaben eine wesentliche Grundlage für die Entscheidung des BFA sind. Sie bestätigte durch ihre Unterschrift die konkret erfolgte Aufforderung an sie, durch wahre und vollständige Angaben an der Sachverhaltsfeststellung mitzuwirken. Unwahre Angaben können nachteilige Folgen für sie haben. Darüber hinaus tätigte die bP auch genaue Angaben zu ihrer Familie im Irak, zur Fluchtroute und zu ihren persönlichen Umständen. Es ist somit nicht erkennbar, weshalb es ihr nicht möglich gewesen sein sollte, zumindest in den Kernpunkten konkrete Angaben zu Fluchtgründen vorzubringen, weshalb die Angaben von ihr, dass sie müde und krank war, nicht als glaubhaft erachtet werden.

Nachdem die bP in freier Erzählung ihre Fluchtgründe vor dem BFA darlegte, wurde sie auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren hingewiesen und aufgefordert, etwaige sonstige wichtige Geschehen noch vorzubringen. Sie legte dann dar, dass sie alles gesagt habe.

Nach entsprechender Nachfrage seitens des Leiters der Einvernahme, warum ihr Bruder gesucht worden sei, führte die bP vorerst aus, dass dieser ein Geschäft eröffnet habe. Sie hätten von ihm verlangt, dieses zu schließen, oder er würde getötet werden.

Auf nochmalige Nachfrage seitens des Leiters der Einvernahme, dass es einen Grund gegeben haben muss, warum ihr Bruder das Geschäft hätte schließen sollen, gab die bP zu Protokoll, vermutlich, weil er die Waren sehr billig verkauft habe.

Erst mehrere Fragen später, nachdem der Leiter der Einvernahme stets versucht hatte den Sachverhalt näher zu ermitteln, steigerte die bP plötzlich wiederum ihr Vorbringen und führte nun erstmals aus, dass das Geschäft ihres Bruders niedergebrannt worden sei. Zuvor äußerte sie sich nur dahingehend, dass dieser aufgefordert worden sei, das Geschäft zu schließen, was für den Fall, dass das Geschäft tatsächlich niedergebrannt worden wäre, nicht plausibel ist, da das Niederbrennen des Geschäfts ein weitaus wesentlicherer Sachverhalt für eine letztlich entschiedene Ausreise gewesen wäre. Deshalb ist davon auszugehen, dass die bP diesen Sachverhalt mit Sicherheit sofort genannt hätte, wenn er sich tatsächlich so zugetragen hätte.

Schon aus den genannten Gründen war die bP persönlich als nicht glaubwürdig im Verfahren zu würdigen. Das Fluchtvorbringen war somit unglaubhaft und nicht geeignet, der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt zu werden.

Des Weiteren wäre es nicht nachvollziehbar, dass ihr gemeinsam mit ihr in Österreich eingereister Bruder die Beschwerde gegen seinen negativen Bescheid zurückgezogen hätte und in den Irak zurückgereist wäre, wenn es tatsächlich diese Bedrohungen gegeben hätte, insbesondere da nach den Angaben der bP diese in erster Linie wegen der Probleme ihres Bruders aus dem Irak mitausgereist wäre.

Der Vollständigkeit halber ist auch darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Bruders XXXX als unglaubhaft gewürdigt wurde.

Überdies wirkte die bP im Verfahren nicht mit, indem sie unentschuldigt nicht bei der mündlichen Verhandlung erschien, obwohl sie zuvor mit ihrem Vertreter ein Beratungsgespräch führte und diesem gegenüber kundtat, dass sie zur Verhandlung erscheinen werde.

Es ist Aufgabe eines Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. Insbesondere ist auch auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung Bedacht zu nehmen. Es besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers im Verfahren, worüber die bP mehrmals belehrt wurde. Offensichtlich hatte die bP trotzdem kein Interesse daran, ihre Chance für eine neuerliche Befragung und somit auch eine Klarstellung ihrer Angaben zu nutzen, obwohl die bP bereits im Verfahren vor dem BFA als unglaubwürdig gewürdigt wurde, was ihr auch bekannt war. Diese Nichtmitwirkung im Verfahren belastet die Glaubwürdigkeit der bP im Verfahren zusätzlich.

Zur Straffälligkeit der bP in Österreich ist festzuhalten, dass sie vorgibt, sie sei aus ihrem Herkunftsstaat wegen drohender Verfolgung bzw. einer realen Gefährdung ihrer hier entscheidungsrelevanten Rechtsgüter „geflohen“ und eine solche Gefahr vor allem auch im Falle einer Rückkehr zu erwarten wäre. Aus einer Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich kann im Allgemeinen vertretbar geschlossen werden, dass es sich nach den Vorstellungen eines Antragstellers dabei um einen Staat handelt, der auch in der Lage ist, ihm diesen Schutz und das damit verbundene Aufenthaltsrecht zu gewähren. Der allgemeinen Lebenserfahrung nach kann davon ausgegangen werden, dass eine Person in einer solchen Lage, die im Falle einer drohenden Rückkehr tatsächlich Verfolgung bzw. eine reale Gefährdung der entscheidungsrelevanten Rechtsgüter zu gegenwärtigen hätte, sich bemüht, während ihres Aufenthaltes im ausgewählten Schutzstaat, durch sozialadäquates Verhalten, gerade während des Feststellungsverfahrens über die Flüchtlingseigenschaft, währenddessen sie auch lediglich ein vorläufiges und daher noch ungesichertes Aufenthaltsrecht besitzt, sich in die Gesellschaft zu integrieren und tunlichst alles unterlässt, was für den Hilfe leistenden Staat bzw. dessen Bevölkerung abträglich sein könnte. Aufgrund der bereits erfolgten mehrmaligen Verurteilung, war der bP dies auch jedenfalls bewusst.

Im Ergebnis ergibt sich auch daraus ein Indiz dafür, dass die in Österreich straffällig gewordene bP keine subjektive Furcht vor Verfolgung oder der realen Gefährdung ihrer im Verfahren entscheidungsrelevanten Rechtsgüter im Falle einer Rückkehr hat bzw. sie doch andere Ausreisemotive hatte als jene, welche sie im Asylverfahren vorbrachte und die Asylantragstellung lediglich ein Versuch ist, dieses Verfahren dazu zu benutzen, um andere asylfremde Zwecke zu erreichen, wie z. B. die Erlangung von Sozialleistungen, eines Aufenthaltstitels, Aufnahme einer Beschäftigung oder zur Verwirklichung sonstiger persönlicher, im Verfahren verschwiegener, Interessen.

2.3. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Die Länderfeststellungen basieren auf vielgestaltigen Quellen, denen keine Voreingenommenheit unterstellt werden kann. Das BVwG hat diesbezüglich das Parteiengehör gewahrt. Die bP ist diesen Quellen nicht entgegengetreten.

Diesen Berichten ist auch nicht zu entnehmen, dass Sunniten in Bagdad allgemein einer systematischen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt wären.

Die Feststellungen zur Lage im Irak in Bezug auf den Coronavirus COVID-19 werden aufgrund der übereinstimmenden Feststellungen einer Vielzahl von öffentlich zugänglichen Quellen als notorisch bekannt angesehen.

3. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 BFA-VG idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

A)

Zu Spruchpunkt I.

Nichtzuerkennung des Status als Asylberechtigter:

1. § 3 AsylG

(1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

(4) Einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, kommt eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter. Mit Rechtskraft der Aberkennung des Status des Asylberechtigten erlischt die Aufenthaltsberechtigung.

(4a) Im Rahmen der Staatendokumentation (§ 5 BFA-G) hat das Bundesamt zumindest einmal im Kalenderjahr eine Analyse zu erstellen, inwieweit es in jenen Herkunftsstaaten, denen im Hinblick auf die Anzahl der in den letzten fünf Kalenderjahren erfolgten Zuerkennungen des Status des Asylberechtig

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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