TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/24 W169 2235795-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.03.2021
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Entscheidungsdatum

24.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W169 2235795-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2020, Zl. 1267732004-200770771, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 25.08.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme und die Sprache Punjabi spreche. Er gehöre der Religionsgemeinschaft der Sikh und Volksgruppe der Punjabi an. Er sei ledig. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer zwölf Jahre die Grundschule und ein Jahr ein College besucht. Er habe keine Berufsausbildung und sei keiner Arbeit nachgegangen. In Indien würden die Eltern des Beschwerdeführers leben. Zu seinem Ausreisegrund führte er an, dass er Mitglied der NGO „Sikhs for Justice“ sei. Er unterstütze die Gründung des unabhängigen Staates Khalistan. Da der Beschwerdeführer einmal im College mit der Flagge von Khalistan demonstriert habe, was in Indien gesetzwidrig sei, sei er von der Polizei festgenommen und geschlagen worden. Im College habe es weitere zehn bis zwanzig Anhänger dieser Organisation gegeben. Diese seien ebenfalls festgenommen und geschlagen worden. Ein Freund namens Gopi habe sie bei der Polizei befreit bzw. geholfen, dass sie entlassen worden seien. Nach seiner Entlassung habe der Beschwerdeführer weiterhin in Punjab an Khalistan-Demonstrationen mitgewirkt. Die indische Regierung sei gegen die Gründung von Khalistan. Deshalb werde der Beschwerdeführer von der Polizei verfolgt und sei geflüchtet. Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer um sein Leben.

2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.09.2020 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus dem Bundesstaat Punjab stamme. Er spreche Punjabi, Hindi und ein wenig Englisch. Im Herkunftsstaat habe er zwölf Jahre die Grundschule besucht. Danach habe er einen Englisch-Sprachkurs absolviert und sodann auf einem College das Bachelorstudium der Sozialwissenschaften begonnen. Dieses habe er nach eineinhalb Jahren abgebrochen. Der Beschwerdeführer habe nie gearbeitet, da dies nicht nötig gewesen sei. Er habe mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt gelebt. Sein Vater sei selbständiger Autohändler. Er verdiene gut und habe für den Unterhalt des Beschwerdeführers gesorgt. Weiters habe der Beschwerdeführer einen Onkel im Bundesstaat Punjab, welcher Lebensmittelhändler sei, und einen weiteren Onkel in Dubai. Der Beschwerdeführer habe seit seiner Einreise in Österreich keinen Kontakt zu seiner Familie, da er kein Telefon besitze. Er sei gesund.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer Folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiterin der Amtshandlung):

„(…)

LA: Sind Sie vorbestraft?

VP: Nein.

LA: Wurden Sie jemals von Behörden in Ihrem Heimatland erkennungsdienstlich behandelt?

VP: Nein.

LA: Waren Sie jemals im Gefängnis oder in Polizeihaft?

VP: Ja, ich war in Polizeihaft. Das war am 18.08.2019 für einige Stunden. Dabei wurde ich geschlagen. Wir waren mehrere Burschen, die alle zusammen festgenommen und geschlagen wurden.

LA: Wo waren Sie in Haft?

VP: In Jalandhar, in der Nähe von meinem College. Die Polizeistation heißt XXXX .

LA: Gehörten Sie jemals selbst einer politischen Partei an?

VP: Nein. Ich habe zwar eine Partei unterstützt, war aber nie ein offizielles Mitglied. Ich unterstützte die YAD-Partei.

LA: Hatten Sie jemals persönlich Probleme mit heimatlichen Behörden bzw. werden Sie von heimatlichen Behörden – etwa Polizei, Militär oder sonstigen Behörden – offiziell in Ihrer Heimat gesucht, besteht ein Haftbefehl gegen Sie?

VP: Nein. Ich werde nur von einer extremistischen Gruppe verfolgt, aber offiziell von den Behörden nicht. Ich wurde zwei Mal grundlos von der Polizei festgenommen, ohne dass Anzeige gegen mich erstattet worden wäre. Der Vorstand der Khalistan-Partei hat mich wieder herausgeholt, damit ich freigelassen wurde.

LA: Haben Sie in Ihrem Heimatland jemals aus eigenem Antrieb, d. h. von sich aus eine Sicherheitsdienststelle, Polizeidienststelle oder Staatsanwaltschaft oder Gericht aufgesucht? Haben Sie jemals eine solche Einrichtung aufgesucht, weil Sie von diesen Behörden etwas benötigt haben?

VP: Einmal wollte ich eine Anzeige erstatten und bin deshalb zur Polizei gegangen, ich war bei der Polizeistation XXXX . Das war im November 2019, aber meine Anzeige wurde nicht aufgenommen.

LA: Gehörten Sie jemals einer bewaffneten Gruppierung an? (bei pos. Antwort: Funktion, Dauer, Position, Tätigkeiten, Gründe des Beitritts, ideologischer Inhalt, Sitz der Gruppierung)

VP: Nein.

LA: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie Ihre Fluchtgründe!

VP: Es geht hauptsächlich um die Khalistan-Bewegung, welche möchte, dass es ein eigenes Land für die Sikh-Gläubigen gibt. Es gibt diese Bewegung seit einigen Jahren in Indien. Der Grund dafür ist, dass die Sikh in Indien von den Hindus diskriminiert und misshandelt und gefoltert werden. Ich habe diese Bewegung unterstützt, ich war ein Mitglied von einer NGO, die für die Khalistan-Bewegung kämpft. Sie heißt „Sikhs for Justice“. Im August 2019 organisierten wir eine Veranstaltung im Rahmen dieser Khalistan-Bewegung in unserem College. Dabei haben wir die Flagge von Khalistan präsentiert, es kam dann die Polizei und ca. 19 bis 20 Burschen und ich wurden von der Polizei festgenommen und gefoltert. Wir wurden aber nach einigen Stunden wieder freigelassen. Die politische Partei BJP, die derzeit in Indien an der Macht ist, besteht mehrheitlich aus Hindus und deshalb ist die Regierung auch gegen unsere Khalistan-Bewegung. Aus diesem Grund kommt die Polizei uns immer wieder unrechtmäßig festnehmen und schlagen. Auf der anderen Seite gibt es eine Hindu-extremistische Gruppe namens RSS, die auch immer wieder die Sikhs diskriminiert und foltert. Die Mitglieder von RSS beleidigen auch unsere Religion. Am 15.11.2019 bei einer religiösen Veranstaltung, an der ich auch teilnahm, wurden wir von RSS attackiert und geschlagen. Ich wurde am Kopf verletzt und habe auch eine Narbe davon. Das ist der einzige Beweis, den ich jetzt herzeigen könnte. Es wurde dort auch randaliert, sie haben Fensterscheiben eingeschlagen. Ich und die Teilnehmer dieser Veranstaltung, die von dieser Gruppe attackiert wurden, gingen dann zur Polizei, um eine Anzeige zu erstatten, es war aber erfolglos. Ich war dann weiterhin ein aktives Mitglied unserer Khalistan-Bewegung, deshalb wurde ich auch weiterhin attackiert. Einmal war ich mit dem Motorrad unterwegs, wurde wieder attackiert und geschlagen und auch das Motorrad wurde beschädigt. Ich lebte dann für einige Zeit bei meinem Onkel, wurde aber dort auch von der RSS gefunden und verflogt. Meine Eltern versuchten mir mehrmals einzureden, dass ich aufhören sollte, Teil dieser Bewegung zu sein und aktiv Veranstaltungen zu organisieren, aber ich war der Meinung, dass es in Ordnung ist, wenn ich als junger Mann Teil dieser Bewegung bin und für die Rechte von den Anhängern meiner Religion kämpfe. Ich fand es nicht in Ordnung, wie die Sikhs dort behandelt werden. Deshalb beteiligte ich mich weiterhin in dieser Bewegung. Es ging bis Jänner so und im Jänner beschloss ich gemeinsam mit meinen Eltern, dass ich das Land verlassen sollte, weil mein Leben dort nicht mehr sicher ist.

LA: Von wann bis wann hielten Sie sich wo bei Ihrem Onkel auf?

VP: Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich glaube, es war ungefähr im Dezember 2019. Ich war im Dorf XXXX , Distrikt Jalandhar im Punjab aufhältig, für etwa eine Woche.

LA: Eingangs wurden Sie nach Ihren Adressen und Aufenthalten im Heimatland gefragt und Sie gaben an, durchgehend an der Adresse im Heimatdorf XXXX aufhältig gewesen zu sein. Jetzt bringen Sie vor, Sie wären etwa eine Woche lang bei Ihrem Onkel gewesen. Können Sie das erklären?

VP: Hauptsächlich habe ich ja auch an der Adresse bei meinen Eltern gelebt und das war auch mein Hauptwohnsitz. Es war nur spontan, dass ich mich wegen meiner Probleme kurz bei meinem Onkel verstecken musste, aber meine Hauptadresse war immer bei meinen Eltern.

LA: Sie sagten, Sie wären festgenommen worden. Wann war das jeweils und wie oft?

VP: Das erste Mal war am 18.08.2019 und an das zweite Mal kann ich mich nicht mehr erinnern, wann das war. Am 18.08.2019 war eine Veranstaltung, deshalb kann ich mich daran erinnern. Beim zweiten Mal wurde ich von zu Hause mitgenommen, ohne Grund. Ich wurde beide Male geschlagen und dann wieder frei gelassen.

LA: Sie wurden einfach so wieder freigelassen?

VP: Der Vorstand meines Colleges hat beide Male dafür gesorgt, dass ich freigelassen wurde. Er hat mich freigekauft. Er musste jedes Mal eine bestimmte Summe bezahlen, aber ich weiß nicht, wie viel. Ich schätze 10.000,- bis 15.000,- Rupien.

LA: Wo waren Ihre Eltern, als Sie zu Hause festgenommen wurden?

VP: Die waren auch zu Hause. Nachgefragt, was diese unternahmen, gebe ich an, dass meine Eltern sich sehr bemüht haben und mit der Polizei diskutiert haben, warum ich festgenommen werden, weil ich nichts getan hätte. Sie dürften sich laut Polizei aber nicht einmischen, weil sie sonst ebenfalls festgenommen würden. Es wurden immer wieder die gleichen Personen festgenommen, ich und sechs weitere Kollegen von mir.

LA: Wie lief die zweite Festnahme genau ab? Bitte schildern Sie die Vorgänge detailliert.

VP: Die Polizisten haben angeläutet und als meine Mutter die Tür aufmachte, fragten sie, wo Gurnam wäre und ob meine Mutter wüsste, was ich täte. Dass ich gegen die Gesetze verstoßen würde und Teil der Bewegung wäre, die vom Gesetz nicht erlaubt wäre. Und dass ich und meine Freunde die Flagge präsentieren würden, was ebenfalls gegen das Gesetz wäre und sie mich deshalb mitnehmen müssten. Einer der Polizisten nahm mich beim Ohr und sie haben mich in Handschellen ins Polizeiauto gesetzt. Sie haben genau gewusst, wo ich wohne, sie haben nicht einmal danach fragen müssen.

LA: Wie viele Polizisten waren das? Kamen diese in zivil oder in Uniform? Gab es nur ein Polizeiauto? Um welche Uhrzeit war das? Wo war Ihr Vater?

VP: Es waren vier Männer in Uniform, sie waren mit einem Polizeiauto da und es war ca. gegen 17:30 Uhr. Mein Vater war auch zu Hause. Er ist am Nachmittag immer zu Hause.

LA: Wie viele Teilnehmer waren bei der Veranstaltung im August 2019?

VP: Insgesamt ca. 100 Leute. Davon wurden ca. 19 oder 20 festgenommen. Die Teilnehmer waren alle Sikhs. Es waren hauptsächlich Studenten, aber auch andere Leute waren dabei

LA: Warum wurden gerade diese 19 oder 20 Personen und auch Sie festgenommen?

VP: Als die Polizei kam, sind die Leute davongelaufen und wir ca. 19 bis 20 Leute sind dageblieben und deshalb sind wir festgenommen worden.

LA: Warum sind Sie nicht auch weggelaufen?

VP: Derjenige, der davonläuft, zählt als Verräter. Wir junge Menschen sind die Hauptmitglieder und Teil dieser Bewegung. Wenn wir auch davonlaufen würden, wäre das in der Gesellschaft sehr schlimm.

LA: Was geschah mit den 80 Personen, die wegrannten?

VP: Gar nichts. Sie sind einfach gelaufen. Und wir, die Festgenommenen, wurden namentlich bekannt. Die anderen sind einfach gelaufen und keiner weiß, wer dabei war.

LA: In der EB gaben Sie an, Sie hätten an Demonstrationen teilgenommen. Wann genau haben Sie wo an welchen Demonstrationen teilgenommen?

VP: Insgesamt habe ich an zwei Demonstrationen teilgenommen. Die erste war in der Stadt Ludhiana, die zweite in der Stadt Moga. Die beiden waren zwischen August und November 2019. Bei diesen Demonstrationen durften wir auch nicht protestieren und wurden von der Polizei und den Mitgliedern der RSS immer wieder angegriffen. Wir mussten davonlaufen. Die RSS wird massiv von der politischen Partei BJP, die auch in der Regierung sitzt, unterstützt.

LA: Die genauen Daten der Demonstrationen kennen Sie nicht mehr?

VP: Ungefähr im September dürfte das gewesen sein und die beiden Demonstrationen waren innerhalb von einer Woche.

LA: Wie viele Personen haben jeweils an diesen Demonstrationen teilgenommen?

VP: Das kann ich nicht genau sagen, aber es waren sehr viele Menschen aus verschiedenen Städten. Bei solchen Demonstrationen kommen die Leute aus dem ganzen Punjab aus verschiedenen Städten. Daher ist es sehr schwer zu schätzen, wie viele Menschen dabei waren, jedenfalls sehr viele.

LA: Waren diese Demonstrationen angemeldet und genehmigt?

VP: Ja, durch die NGO Sikhs for Justice wurden die Demonstrationen angekündigt und angemeldet.

LA: Wird jedem Teilnehmer dieser Demonstrationen die Flucht bezahlt?

VP: Nicht allen, sondern nur denen, die Angst um ihr Leben haben und massiv bedroht und verfolgt werden. Diesen Personen wird die Flucht bezahlt.

LA: Warum ausgerechnet Ihnen?

VP: Mit mir wurde noch fünf weiteren Personen die Flucht bezahlt und organisiert. Zwei davon waren von meinem College. Innerhalb von ca. zwei Tagen sind wir alle sechs ausgereist. Alle sechs haben wir uns in Russland wieder getroffen und dort haben wir uns aber wieder getrennt.

LA: Warum haben Sie nach Ihrer erstmaligen Festnahme und Entlassung neuerlich an Demonstrationen teilgenommen, wo Sie doch spätestens zu diesem Zeitpunkt wissen hätten müssen, dass dies Ihren Angaben zufolge nicht ungefährlich sein könnte? Haben Sie nie an Ihre Familie gedacht?

VP: Ich war sehr aktiv und bekannt und konnte mich nicht einfach zurückziehen. Das wäre eine Beleidigung gewesen, wenn ich die Bewegung verlassen hätte. Das wäre negativ gewesen. Ich bin der Meinung, dass die Hindus gegenüber den Sikhs sehr viel Rassismus ausüben und sie diskriminieren, deshalb sollte Khalistan zu Stande kommen. Ich vertrete auch diese Meinung und halte sie für richtig und deshalb wollte ich bei der Bewegung weitermachen. Die RSS greift immer wieder die Sikhs und auch ihre Tempel an und attackiert auch Frauen und Kinder und Männer werden gefoltert.

LA: Wann wurde die NGO „Sikhs for Justice“ gegründet?

VP: Im Jahr 2007, im Oktober. Ein amerikanischer Rechtsanwalt Gurpatwant Singh PANNU ist der Gründer der Bewegung, er ist auch der Vorstand.

LA: Wie sieht die Khalistan-Flagge aus?

VP: Die Hauptfarbe ist orange und in der Mitte ist in blau das Sikh-Zeichen. Außerdem steht „lang lebe Khalistan“ darauf. Nachgefragt, wie das Sikh-Zeichen aussieht, gebe ich an, dass ich dieses zeichnen kann.

Anm.: Dem AW wird ein Blatt Papier zum Zeichnen gereicht und dieses in weiterer Folge als Beweismittel und Anlage zum Protokoll zum Akt genommen.

LA: Warum können Ihre Eltern unbehelligt in Indien leben, nur Sie nicht?

VP: Sie haben auch Probleme bekommen wegen mir, aber sie haben bekannt gegeben, dass sie nichts mit mir zu tun haben. Sie haben angefangen, jedem zu erzählen, dass ich nicht mehr ihr Sohn wäre und sie nichts mehr mit mir zu tun hätten, was natürlich nicht stimmt. Sie haben das aber erzählt, damit sie keine Probleme bekommen. Sie würden mich aber immer noch unterstützen, auch finanziell.

LA: Haben Sie sonst Probleme, außer den geschilderten, in Ihrem Heimatland?

VP: Nein.

LA: Warum haben Sie sich nicht dauerhaft in einem anderen Landesteil Ihres Heimatlandes niedergelassen, um diesen Problemen zu entgehen?

VP: Die Mitglieder der RSS sind in ganz Indien verteilt. Es wäre für mich nicht möglich, mich in einem anderen Teil meines Heimatlandes niederzulassen. Diese Gruppe ist sehr stark und hat sehr viel Macht. Ich wollte ursprünglich nach Amerika zum Gründer der NGO Sikhs for Justice, aber es ist anders ausgegangen. Die RSS hätte mich in Indien nicht leben lassen, sie hätten mich getötet.

LA: Welche Probleme erwarten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihre Heimat?

VP: Dieselben Probleme, bzw. würde ich von der RSS umgebracht, weil die Regierung diese Gruppe unterstützt.

(…)

Vorhalt: Sie haben am 27.08.2020 eine Verfahrensanordnung des Bundesamtes gem. § 29/3/5 AsylG 2005 übernommen, in welcher Ihnen mitgeteilt wurde, dass beabsichtigt ist Ihren Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen. Sie haben nunmehr Gelegenheit, zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Stellung zu nehmen. Wollen Sie diesbezüglich etwas angeben?

VP: Mein Verfahren darf nicht negativ werden. Meine Gründe sind echte Gründe und ich kann in Indien nicht leben, ich würde dort umgebracht. Ich bitte die Behörden, mein Verfahren zuzulassen bzw. positiv zu entscheiden. Von mir aus, was ich alles gemacht habe, war richtig. Ich benötige jetzt Hilfe und würde gerne weiter studieren, weil ich in Indien mein Studium abbrechen musste. Ich würde auch die Sprache lernen. Ich habe keine finanziellen Probleme, meine Familie würde mich finanziell unterstützen und auch die Studiengebühren bezahlen. Wenn mein Asylverfahren positiv entschieden würde, wäre ich sehr dankbar. Ich bitte Sie darum. Ich hätte sonst keine Zukunft.

(…)“

Zu den Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, dass er hier keine Verwandtschaft habe und mit keiner Person in einer Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft lebe. Er sei in einer Bundesbetreuungsstelle untergebracht. Er gehe keiner Erwerbstätigkeit nach und müsse dies auch nicht, da er sich von seiner Familie in Indien Geld schicken lassen könne. Im Falle des Ablebens seiner Eltern würde sein Onkel ihn unterstützen. Im Fall des Falles könne der Beschwerdeführer aber auch selbst arbeiten. Der Beschwerdeführer sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und habe keine Kurse oder Ausbildungen in Österreich absolviert. Er spreche nicht Deutsch.

Dem Beschwerdeführer wurde am Ende der Einvernahme die Möglichkeit geboten, in die aktuellen Länderberichte zur Situation in Indien Einsicht zu nehmen und eine diesbezügliche Stellungnahme abzugeben. Der Beschwerdeführer verzichtete darauf und führte dazu aus, dass sein Leben in Indien in Gefahr sei und er dort nicht leben könne.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen kein Glauben geschenkt werde. Unabhängig davon stehe dem Beschwerdeführer aber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der sehr kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien. Die Lage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurde dabei vom Bundesamt berücksichtigt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und wurde nach Wiederholung der Fluchtgründe insbesondere ausgeführt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Beweisverfahren geführt habe und die Sicherheitslage in Indien sehr schlecht sei. Gegen die asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers sei der indische Staat nicht schutzfähig bzw. schutzwillig. Allenfalls sei dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren.

Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab, gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh und der Volksgruppe der Punjabi an. Seine Identität steht nicht fest. Er spricht die Sprachen Punjabi, Hindi und ein wenig Englisch. Im Herkunftsstaat besuchte er zwölf Jahre die Grundschule und rund eineinhalb Jahre ein College, wo er ein Bachelorstudium der Sozialwissenschaften betrieb. Er hat bislang nie gearbeitet, sondern wurde von seinen Eltern finanziert. Der Beschwerdeführer hat im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern gelebt. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und gesund.

Die Verfolgungsbehauptungen des Beschwerdeführers sind nicht glaubhaft. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Indien eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht. Dem Beschwerdeführer steht in Indien eine inländische Schutz- bzw. Fluchtalternative offen.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandtschaft in Österreich. Er spricht kein Deutsch, hat keine Kurse oder Ausbildungen besucht und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er geht keinem Erwerb nach. Er hat bis Ende Oktober 2020 Grundversorgung bezogen und ist seither unbekannten Aufenthaltes. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er ist strafgerichtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer steht im erwerbsfähigen Alter. Die Eltern und ein Onkel des Beschwerdeführers leben im Herkunftsstaat, ein weiterer Onkel in Dubai. Sein Vater ist selbständiger Autohändler und lebt finanziell abgesichert. Sein in Indien wohnhafter Onkel ist Lebensmittelhändler. Der Beschwerdeführer hat Kontakt mit seinen Angehörigen im Herkunftsstaat oder kann diesen zumindest jederzeit wiederherstellen.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:

1. Sicherheitslage im Bundesstaat Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 8.2019).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Militante der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 8.2019). Im Punjab haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 11.3.2020; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere durch Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 8.2019).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind niedrigkastige oder kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 8.2019).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana weiterhin ein Problem dar (USDOS 11.3.2020).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 8.2019).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2017 wurden 8 Personen durch Terrorakte getötet, 2018 waren es 3 Todesopfer und im Jahr 2019 wurden durch terroristische Gewalt 2 Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 15.3.2020).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 8.2019).

Quellen:

-        BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018

-        MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        SATP - South Asia Terrorism Portal (15.3.2020): Datasheet – Punjab, Data View, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/fatalities/india-punjab, Zugriff 17.3.2020

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004219.html, Zugriff 13.8.2019

2. Rechtsschutz / Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 19.7.2019). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 19.7.2019).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 4.3.2020). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 8.2019).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums vom September 2018 hat ergeben, dass von insgesamt 1.079 Planstellen an den 24 Obergerichten des Landes 42714 Stellen nicht besetzt waren (USDOS 11.3.2020). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 18.9.2019). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 18.9.2018).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 4.3.2020). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit der Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 19.7.2019).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 19.7.2019).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 19.7.2019).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationales Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 19.7.2019).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des „Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)“, und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 11.3.2020). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 11.3.2020).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§ 61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 8.2019).

Indische Einzelpersonen - oder NGOs im Namen von Einzelpersonen oder Gruppen - können sogenannte Rechtsstreitpetitionen von öffentlichem Interesse („Public Interest Litigation petitions“, PIL) bei jedem Gericht einreichen, oder beim Obersten Bundesgericht, dem „Supreme Court“ einbringen, um rechtliche Wiedergutmachung für öffentliche Rechtsverletzungen einzufordern (CM 2.8.2017).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 4.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        CM – Citizen Matters (2.8.2017): A guide to filing a Public Interest Litigation (PIL), http://citizenmatters.in/a-guide-to-filing-a-public-interest-litigation-pil-4539, Zugriff 13.8.2019

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

3. Sicherheitsbehörden

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2019) und untersteht den Bundesstaaten (AA 19.7.2019). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2019).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2019; vgl. FH 4.3.2020). Es gab zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten tragen zu einer geringen Effizienz bei (USDOS 11.3.2020). Es mangelt nach wie vor an Verantwortlichkeit für Misshandlung durch die Polizei und an der Durchsetzung von Polizeireformen (HRW 14.1.2020).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2019). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 19.7.2019; vgl. BICC 12.2019). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2019).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 11.3.2020). Das Gesetz gibt den Sicherheitskräften in „Unruhegebieten“ weitgehende Befugnisse zum Gebrauch von Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 11.3.2020). Den Sicherheitskräften wird weitgehende Immunität gewährt (AA 19.7.2019; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020).

Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zum AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz wurde im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für den Bundesstaat Jammu & Kashmir existiert eine eigene Fassung (AA 19.7.2019).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sogenannten Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 19.7.2019). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Die sogenannten Assam Rifles sind zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) werden als Indo-Tibetische Grenzpolizei, die Küstenwache und die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe verantwortlich (ÖB 8.2019). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 19.7.2019).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force)“ unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 15.1.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (19.7.2019): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 11.2.2020

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 17.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

-        War Heros of India (15.1.2017): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html, Zugriff 19.3.2020

4. Korruption

Korruption ist weit verbreitet (USDOS 11.3.2020). Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) im Jahre 2019 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 80. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019).

NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienstleistungen wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 13.3.2019). Die unteren Bereiche des Gerichtswesens sind von Korruption betroffen und die meisten Bürger haben Schwierigkeiten, Recht durch die Gerichte zu erhalten (FH 3.4.2020). Korruption ist auf allen Regierungsebenen vertreten (USDOS 11.3.2020).

Obwohl Politiker und Beamte regelmäßig bei der Entgegennahme von Bestechungsgeldern erwischt werden, gibt es zahlreiche Korruptionsfälle, die unbemerkt und unbestraft bleiben (FH 4.3.2020). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig straflos davon (USDOS 11.3.2020).

Die breite Öffentlichkeit hat im Allgemeinen Zugang zu Informationen über die Regierungsgeschäfte, dennoch ist der gesetzliche Rahmen, welcher Transparenz gewährleisten soll, in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten. Die Änderungen des Whistleblowers Protection Act seit seiner Verabschiedung im Jahr 2014 wurden dahingehend kritisiert, dass sie die Effektivität des Gesetzes aushöhlen, die ohnehin als begrenzt eingestuft wurde. Das Gesetz über das Recht auf Information (RTI) von 2005 wird weithin genutzt, um die Transparenz zu erhöhen und korrupte Aktivitäten aufzudecken. Jedes Jahr werden Millionen von Anträgen auf der Grundlage dieses Gesetzes eingereicht. Laut der Menschenrechtsinitiative des Commonwealth wurden jedoch mehr als 80 Nutzer des Informationsrechts und Aktivisten ermordet und Hunderte wurden angegriffen oder bedroht (FH 4.3.2020).

Gemäß Angaben der Zentralen Untersuchungsbehörde (Central Bureau of Investigation - CBI) unterhält jeder Bundesstaat in Indien mindestens ein Büro unter der Leitung eines Polizeichefs, in welchem Beschwerden per Post, Fax oder persönlich eingereicht werden können. Dabei kann auf Wunsch auch die Identität des Beschwerdeführers geheim gehalten werden. 2018 und 2019 wurden 43.946 Beschwerden im Zusammenhang Korruption registriert. 41.775 Beschwerden wurden abgelehnt. Im Untersuchungszeitraum zwischen Jänner und Anfang Mai 2019 wurden vom CBI insgesamt 412 Korruptionsfälle registriert (CBI o.D.; vgl. USDOS 11.3.2020).

Eine von Transparency International und Local Circles durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass ein Einsatz von Bestechungsgeldern immer noch das effizienteste Mittel darstellt, um die Arbeit von Regierungsstellen abzuwickeln. Die Zahl jener Personen, die zugaben, ein Bestechungsgeld bei Behörden erlegt zu haben, lag 2019 bei 51 Prozent (2017: 45 Prozent). Die drei korruptionsanfälligsten Bereiche sind Grundbucheintragungen und Grundstücksangelegenheiten, sowie die Polizei und die kommunalen Vertretungen (IT 26.11.2019; vgl. IT 11.10.2018).

Quellen:

-        CBI (o.D.): Join us in Fighting Corruption, http://www.cbi.gov.in/contact.php, Zugriff 7.11.2018

-        Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 9.3.2020

-        IT – India Times (26.11.2019): Incidents of bribery in India reduced by 10 pc since last year: Survey., https://www.indiatoday.in/india/story/incidents-of-bribery-in-india-reduced-by-10-pc-since-last-year-survey-1622859-2019-11-26, Zugriff 17.3.2020

-        IT – India Times (11.10.2018): Bribery records 11 per cent growth in one year, finds survey, https://www.indiatoday.in/india/story/56-per-cent-paid-bribe-in-last-one-year-91-per-cent-don-t-know-about-anti-corruption-helpline-survey-1360392-2018-10-11, Zugriff 7.11.2018

-        TI - Transparency International (2020): Corruption Perceptions Index 2019, https://www.transparency.org/cpi2019, Zugriff 20.2.2020

-        TI - Transparency International (2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/cpi2018, Zugriff 30.1.2019

-        TI - Transparency International (2018): Corruption Perceptions Index 2017, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2017#regional, Zugriff 7.11.2018

-        TI - Transparency International (2017): Corruption Perceptions Index 2016, https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 7.11.2018

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

5. Allgemeine Menschenrechtslage

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 19.7.2019). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 8.2019). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 19.7.2019). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 19.7.2019).

Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 11.3.2020).

Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 19.7.2019). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 19.7.2019). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2019). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in Regionen, in denen es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, sowohl der Polizei, den paramilitärischen Einheiten als auch dem Militär, werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihren Einsätzen in den Krisengebieten des Landes angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindunationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2019).

Den indische Sicherheitskräften werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (FH 4.3.2020) und auch den separatistischen Rebellen und Terroristen im Bundesstaat Jammu und Kaschmir, im Nordosten und in den von den Maoisten beeinflussten Gebieten werden schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde, Folterungen von Angehörigen der Streitkräfte und der Polizei, sowie von Regierungsbeamten und Zivilisten vorgeworfen. Aufständische sind ebenso für die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).

In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2019): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2019_Indien.pdf, Zugriff 10.2.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025925.html, Zugriff 18.3.2020

-        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019: Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 13.3.2020

6. Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 19.7.2019).

Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Myanmar. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 11.3.2020).

Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 19.7.2019).

In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten („high profile“ persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen („low profile“ people) (ÖB 8.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (8.2019): Asylländerbericht Indien

-        USDOS – US Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026357.html, Zugriff 17.3.2020

7. Meldewesen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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