TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/26 L514 2162967-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.03.2021
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Entscheidungsdatum

26.03.2021

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


L514 2162967-2/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch RA Mag. Paul HECHENBERGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 26.03.2021, zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe geändert, dass der Spruch zu lauten hat:

„Die Rückkehrentscheidung in den Irak ist gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig. Gemäß §§ 54 iVm 55 Abs. 1 AsylG wird XXXX eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, Sunnite und der Volksgruppe der Araber angehörig, reiste illegal in Österreich ein, wo er am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Hiezu wurde er am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Am 22.08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Im Wesentlichen führte er im Rahmen der Befragung aus, dass er im Irak zum einen von einem Offizier erpresst worden sei und zum anderen Probleme mit dem IS gehabt habe. Aus Angst habe er das Land verlassen.

2.       Mit gegenständlich in Beschwerde gezogenen Bescheid des BFA vom 25.10.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers ob der Widersprüchlichkeiten und Unplausibilitäten nicht glaubwürdig sei. Auch eine Gefährdung im Falle der Rückkehr in den Heimatstaat könne nicht wahrgenommen werden.

Das BFA hielt auch fest, dass bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen, keine Hinweise gefunden werden könnten, welche den Schluss zulassen würden, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingegriffen werden würde.

Mit Verfahrensanordnung vom 30.10.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtberater amtswegig zur Seite gestellt.

3.       Gegen den dem Beschwerdeführer am 02.11.2018 ordnungsgemäß durch Hinterlegung zugestellten Bescheid wurde mit Schreiben vom 22.11.2018 des Vertreters des Beschwerdeführers fristgerecht Beschwerde erhoben.

4.       Mit Schriftsatz vom 03.02.2021 und vom 13.03.2021 wurden dem Bundesverwaltungsgericht zahlreiche integrationsbegründende Unterlagen in Vorlage gebracht.

Am 26.03.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seines rechtsfreundlichen Vertreters durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, die der Antragstellung zugrundeliegenden Umstände neuerlich umfassend darzulegen. Weiters wurde die Möglichkeit eingeräumt zu den vorab übermittelten Länderfeststellungen eine Stellungnahme abzugeben.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2021 wurde die Beschwerde zu den Spruchpunkten I., II. und III. des bekämpften Bescheides zurückgezogen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Sachverhalt:

1.1.    Feststellungen zur Person:

Der Beschwerdeführer, ein arabischstämmiger Sunnite, ist iraksicher Staatsbürger und stellte am XXXX 2015 in Österreich, nach illegaler Einreise, einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Stadt XXXX , wo er geboren und aufgewachsen ist. Er bewohnte mit seinen Eltern und Geschwistern ein eigenes Haus und arbeitete in einer Baufirma und als LKW-Fahrer in einer Transportfirma.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers sowie weitere Verwandte sind nach wie vor im Irak/ XXXX aufhältig. Der Vater des Beschwerdeführers besitzt Ersparnisse aus seiner früheren Tätigkeit als Juwelier und wird er überdies von den Geschwistern des Beschwerdeführers, der Bruder arbeitet als Mathematiklehrer und seine Schwester als Geografielehrerin, unterstützt. Aktuell baut der Vater des Beschwerdeführers auf einem ihm gehörenden Grundstück in einem Dorf am Stadtrand von XXXX ein Haus. Darüber hinaus besitzt dieser auch noch das Grundstück in der Stadt XXXX , auf welchem sich das mittlerweile zerstörte Juweliergeschäft befand. Zu den im Irak lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers besteht ein regelmäßiger Kontakt.

Der Beschwerdeführer lebt im Bundesgebiet zwar in einer Asylwerberunterkunft, erhält jedoch darüber hinaus seit XXXX 2019 keine Grundversorgung mehr. Seit XXXX 2019 verfügt der Beschwerdeführer über eine Gewerbeberechtigung zur Güterbeförderung und übt er dieses Gewerbe auch aus, indem er Pizzen ausliefert. Daneben arbeitet der Beschwerdeführer seit XXXX 2021 als Zeitungszusteller. Des Weiteren hinaus verfügt er über eine Einstellungszusage der Firma „ XXXX “ vom 01.03.2021. Er spricht weiters die deutsche Sprache auf gutem Niveau und hat der Beschwerdeführer am XXXX 2019 die Integrationsprüfung A2 erfolgreich abgelegt. Darüber hinaus hat sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise nach Österreich mehrfach sozial engagiert, beispielsweise im Verein „ XXXX “, wo er am Aufbau eines Flüchtlingsheimes beteilig war, oder für das Rote Kreuz, das er durch Essensverteilungen bis heute unterstützt. Letztlich vermochte sich der Beschwerdeführer dadurch einen stabilen Freundeskreis aufzubauen.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner chronischen sowie schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung. Er ist arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten.

1.2.    Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates:

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen und nach rechtlichere Beratung mit seinem rechtsfreundlichen Vertreter in der Beschwerdeverhandlung vom 26.03.2021 die Beschwerde gegen Spruchpunkt I., II. und III. des bekämpften Bescheides zurückgezogen.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zum Verfahrensgang und zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der oben unter Punkt II. 1. angeführte Sachverhalt ergibt sich durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, insbesondere unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Einvernahmen vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und dem BFA, durch Einsichtnahme in den bekämpften Bescheid der belangten Behörde sowie den Beschwerdeschriftsatz. Darüber hinaus konnten Feststellungen aufgrund der mündlichen Beschwerdeverhandlung getroffen werden.

2.2.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Abstammung, zur Religionszugehörigkeit und zu den familiären und privaten Verhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf in diesen Punkten gleichbleibenden und glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers während des gesamten Verfahrens.

Aus den vorgelegten Deutschnachweis A2 ergeben sich die guten Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers. Überdies stellte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht seine guten Deutschkenntnisse unter Beweis.

Dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem und dem Gewerbeinformationssystem sowie dem Sozialversicherungsdatenauszug ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer seinen Unterhalt seit XXXX 2019 durch seine selbstständige Tätigkeit bestreitet und ihm lediglich die Unterkunft bezahlt wird.

Auch vermochtes es der Beschwerdeführer durch zahlreiche Unterstützungsschreiben zu belegen, dass er auch in der Lage ist, sich einen stabilen Freundeskreis aufzubauen und sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Der Beschwerdeführer verfügt darüber hinaus über eine Einstellungszusage der Firma „ XXXX “ vom 01.03.2021. Die Einstellungszusage bedingt eine Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung in Österreich.

Das soziale Engagement des Beschwerdeführers im Verein „ XXXX “ und für das Rote Kreuz basiert auf den entsprechend in Vorlage gebrachten Bestätigungsschreiben.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Auszug aus dem österreichischen Strafregister.

Die Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchpunkt I., II. und III. ergibt sich aus dem Verhandlungsprotokoll der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 26.03.2021. Mit Beschluss vom heutigen Tag wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes diesbezüglich das Verfahren eingestellt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.1.    Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels und dem Ausspruch das eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist (Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides):

1.2.    Gesetzliche Grundlagen:

Der mit „Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ betitelte § 10 AsylG 2005 lautet wie folgt:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger vom Irak und somit kein begünstigter Drittstaatsangehörige und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

1.3.    Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob sie einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

1.4.    Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers iSd Art 8 EMRK (gemäß den Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG) ist folgendes auszuführen:

Nach erfolgter Interessenabwägung ist das erkennende Gericht der Ansicht, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland einen Eingriff in sein Privat- und Familienleben in Österreich darstellen würde. Leitendes Kriterium bei der Abwägung ist der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer aktiv in die österreichische Gesellschaft einbringt.

Die guten Sprachkenntnisse der deutschen Sprache sind evident und konnte sich das erkennende Gericht selbst in der mündlichen Beschwerdeverhandlung von den Deutschkenntnissen ein Bild machen.

Der Beschwerdeführer hat bereits auf dem Arbeitsmarkt Fuß gefasst, indem er seit XXXX 2019 das selbstständige Gewerbe der Güterbeförderung betreibt. Für die Zukunft verfügt er darüber hinaus über eine Einstellungszusage der Firma „ XXXX “. Eine Arbeitsaufnahme ist lediglich durch eine Aufenthaltsberechtigung bedingt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in der Lage sein wird, seinen Unterhalt in Österreich weiterhin durch eigene Arbeit zu bestreiten.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in Österreich über soziale Kontakte verfügt, welche ihn schätzen und ihn als hilfsbereit und freundlich beschreiben. Darüber hinaus engagiert sich der Beschwerdeführer seit seiner Einreise auch freiwillig bzw ehrenamtlich, indem er beispielsweise im Verein „ XXXX “, wo er am Aufbau eines Flüchtlingsheimes beteilig war, oder für das Rote Kreuz, das er durch Essensverteilungen bis heute unterstützt.

Des Weiteren hält sich der Beschwerdeführer mittlerweile seit mehr als fünf Jahren im Bundesgebiet auf. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist auch dieser Umstand in der Beurteilung einer bestehenden besonderen Integration mitberücksichtigen.

1.5.    Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, überwiegen. Der Beschwerdeführer erfüllt somit aufgrund seines berücksichtigungswürdigen Privat- und Familienlebens die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005.

§ 9 IntG (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) legt Folgendes fest:

„(1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(2a) Fällt das Ende der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 in die Zeit von 22. März 2020 bis 30. Juni 2020, verlängert sich der Zeitraum der Erfüllungspflicht nach Abs. 2 bis zum 31. Oktober 2020; diese Verlängerung hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.

einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

 

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)

3.

über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4.

einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5.

als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

(5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 sind Drittstaatsangehörige,

1.

die zum Ende des Zeitraums der Erfüllungspflicht (Abs. 2) unmündig sein werden;

2.

denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen;

3.

wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von 24 Monaten innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten soll; diese Erklärung enthält den unwiderruflichen Verzicht auf die Stellung eines weiteren Verlängerungsantrags im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 11 NAG nach dem ersten Verlängerungsantrag.

(6) Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass der Drittstaatsangehörige trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Abs. 4 Z 1 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 nicht erfüllt hat.

(7) Der Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 gemäß Abs. 4 Z 1 oder Abs. 4 iVm. § 10 Abs. 2 Z 1 darf zum Zeitpunkt der Vorlage im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens (§ 24 NAG) nicht älter als zwei Jahre sein.“

Der Beschwerdeführer hat das Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau A2 am XXXX 2019 erworben.

1.6.    § 54. (1) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen werden Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1. „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

(2) Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 sind für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

Dem Beschwerdeführer wird ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt. Dieser ist für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht weiters hervor, dass das erkennende Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der einheitlichen Rechtsprechung des VwGH, insbesondere zum durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf ein Privat- und Familienleben, abgeht. Darüber hinaus wird zu diesem Thema keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse ehrenamtliche Tätigkeit Integrationsvereinbarung Interessenabwägung private Interessen Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Selbsterhaltungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L514.2162967.2.00

Im RIS seit

01.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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