TE Vwgh Beschluss 1997/4/16 97/21/0065

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.1997
beobachten
merken

Index

E3L E06100000;
E3L E20100000;
E6J;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

31990L0364 Aufenthaltsrecht-RL;
31990L0365 Aufenthaltsrecht-RL ausgeschiedene Arbeitnehmer;
31993L0096 Aufenthaltsrecht-RL Studenten;
61990CJ0370 Singh VORAB;
61995CJ0171 Recep Tetik VORAB;
AVG §69 Abs1 Z3;
B-VG Art130 Abs1 lita;
VwGG §38a;
VwGG §45 Abs1 Z3;
VwGG §45 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über den Antrag des M in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1996, Zl. 95/21/0897, abgeschlossenen Verfahrens, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 24. Jänner 1995 gemäß § 18 Abs. 1 und 2 Z. 2 i. V.m. § 21 des Fremdengesetzes (FrG) ein mit fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Mit hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1996, Zl. 95/21/0897, wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof vertrat darin die Rechtsauffassung, daß die Erlassung des gegen den Beschwerdeführer verhängten Aufenthaltsverbotes gemäß § 18 Abs. 1 und 2 FrG angesichts der von ihm - unbestritten - begangenen gerichtlich strafbaren Handlungen (ingesamt drei Diebstahlsdelikte) sowie mehrfache Übertretungen des KFG 1967 sowie der StVO 1960 nicht rechtswidrig war und die belangte Behörde angesichts der vom Beschwerdeführer ausgehenden erheblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit auch zu Recht zu dem Ergebnis gelangen durfte, daß gemäß § 20 Abs. 1 FrG die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie nicht so schwer wögen wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung.

Im genannten Beschwerdeverfahren warf der Beschwerdeführer der belangten Behörde auch vor, sie habe zu Unrecht nicht berücksichtigt, daß er die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei erfülle. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei daher im Sinne des Art. 48 Abs. III des EG-Vertrages nicht zulässig gewesen. Diesen Beschwerdevorwurf beantwortete der Verwaltungsgerichtshof im genannten Erkenntnis vom 4. Dezember 1996 damit, daß es der Beschwerdeführer in dem dem Beschwerdeverfahren zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren verabsäumt habe, ein ausreichendes Vorbringen hinsichtlich der Erfüllung der sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht gemäß Art. 6 oder 7 des genannten Assoziationsratsbeschlusses zu erstatten; der Verwaltungsgerichtshof erblickte auch in den vorgelegten Verwaltungsakten keinen ausreichenden Hinweis darauf, daß der Beschwerdeführer im Sinne des Art. 6 des genannten Beschlusses ein, drei bzw. vier Jahre ordnungsgemäß beschäftigt gewesen sei oder im Sinne des Art. 7 Abs. 1 des genannten Beschlusses ein Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt angehörigen türkischen Staatsbürgers sei. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete es somit im Ergebnis nicht als rechtswidrig, wenn die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Aufenthaltsverbotes die Bestimmungen des Beschlusses 1/80 nicht anwendete.

Mit dem vorliegenden, am 3. Februar 1997 zur Post gegebenen Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem vorerwähnten Erkenntnis abgeschlossenen hg. Verfahrens vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, der Verwaltungsgerichtshof wäre in dem bezogenen Verfahren vor Erlassung seines Erkenntnisses verpflichtet gewesen, dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 des EG-Vertrages die Frage vorzulegen, ob sich aus den Art. 6 und 7 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80, aus Art. 48 des EG-Vertrages, aus den europarechtlich relevanten allgemeinen Grundsätzen der EMRK, aus der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 15. Oktober 1968, aus den Richtlinien des Rates 90/364/EWG über das Aufenthaltsrecht vom 28. Juni 1990, 90/365/EWG, über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständigen Erwerbstätigen vom 28. Juni 1990, 93/96/EWG, über das Aufenthaltsrecht der Studenten vom 29. Oktober 1993, aus dem im Urteil Singh des Europäischen Gerichtshofes vom 7. Juli 1992, Rs C-370/90, ausgesprochenen Verbot der Behinderung der Wirksamkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit und aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Rechtsanspruch auf Familieneinheit Freizügigkeit genießender Arbeitnehmer ein europarechtlicher Anspruch auf Familiennachzug, und wenn ja in welchem Umfang, ergäbe. Selbst wenn der Verwaltungsgerichtshof zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am 4. Dezember 1996 allenfalls der Auffassung hätte sein können, daß die Rechtslage im Beschwerdefall diesbezüglich ausreichend klar im Sinne eines "acte clair" sei, so sei dies nunmehr nicht mehr der Fall.

Der Vertreter des Beschwerdeführers habe nämlich im November 1996 an einer Fachtagung teilgenommen, bei welcher ein Beamter der Europäischen Kommission zum Thema Assoziierungsabkommen der Europäischen Union referiert habe; im Anschluß an diese Veranstaltung habe ihm ein Beamter der Kommission mitgeteilt, daß er eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur - im Urteil Demirel noch nicht abschließend beantworteten - Frage, ob türkische Arbeitnehmer ein Recht auf Familiennachzug geltend machen können, begrüßen würde. Ein diesbezügliches Schreiben vom 10. Dezember 1996 legt der Beschwerdeführer mit seinem Antrag vor. Der Beschwerdeführer verweist zur Untermauerung seines Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens weiters auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997 in der Rechtssache C 171/1995 (Recep Tetik), in welchem der Europäische Gerichtshof bestätigt habe, daß die im Rahmen der Art. 48, 49 und 50 des EG-Vertrages geltenden Grundsätze soweit wie möglich als Leitlinien für die Behandlung türkischer Arbeitnehmer, die die im Beschluß Nr. 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, heranzuziehen seien.

Der so begründete Antrag auf Wiederaufnahme des mit dem hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1996, Zl. 95/21/0897, abgeschlossenen Verfahrens ist nicht berechtigt: Gemäß § 45 VwGG ist nämlich nur unter den dort genannten Voraussetzungen das Verfahren wiederaufzunehmen. Die Vorlage des Schreibens der Europäischen Kommission vom 10. Dezember 1996 und auch der Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. Jänner 1997 im Fall Recep Tetik stellen keinen Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 45 VwGG dar. Keiner der im § 45 Abs. 1 VwGG genannten Wiederaufnahmesgründe, insbesondere auch nicht jener der Z. 3 leg. cit., wonach das Beschwerdeverfahren wiederaufzunehmen ist, wenn nachträglich eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird, die in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte, liegt vor.

Der Beschwerdeführer beruft sich zur Begründung seines Wiederaufnahmsantrages auf § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG, wonach im Verwaltungsverfahren dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben ist, wenn u.a. der Bescheid gemäß § 38 AVG von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde. Vorliegend ist schon deswegen nicht zu beurteilen, ob die Voraussetzungen dieses Wiederaufnahmstatbestandes gegeben sind, weil § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG in verwaltungsgerichtlichen Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht anwendbar ist (vgl. zum Ganzen den hg. Beschluß vom 19. Februar 1997, Zl. 96/21/1118).

Der Antrag war somit abzuweisen.

Gerichtsentscheidung

EuGH 695J0171 Recep Tetik VORAB;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997210065.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten