Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
B-VG Art131 Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des Bundesministers für Wissenschaft, Verkehr und Kunst (nunmehr: Bundesminister für Wissenschaft und Verkehr) gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 20. Juli 1995, Zl. UVS 30.9-179/94-12, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960 (mitbeteiligte Partei: J in L, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 6. September 1994 wurde der Mitbeteiligte wegen der Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 bestraft, weil er am 4. Mai 1994 um 9.26 Uhr in Weißenbach/Enns, auf Höhe der Tennisplätze, aus Richtung St. Gallen kommend in Fahrtrichtung Altenmarkt als Lenker eines nach dem Kennzeichen bestimmten Pkws im Ortsgebiet die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 11 km/h überschritten habe.
Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 24 VStG Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt. In der Begründung dieses Bescheides stellte die belangte Behörde fest, daß zum Tatzeitpunkt der Meldungsleger in Weißenbach/Enns, auf Höhe der Tennisplätze, Messungen mit einem Lasermeßgerät durchgeführt habe. Von seinem damaligen Standpunkt habe er in der Fahrtrichtung, aus der der Mitbeteiligte gekommen sei, etwa 300 m ungehinderte Sicht gehabt. Die Meßentfernung habe im gegenständlichen Fall ebenfalls ca. 300 m betragen. Bevor das Fahrzeug des Mitbeteiligten mittels des Lasergerätes gemessen worden sei, habe der Meldungsleger bei einem vor dem Mitbeteiligten fahrenden Fahrzeug ebenfalls eine Messung durchgeführt. Dieses Fahrzeug sei in weiterer Folge nach links, in Fahrtrichtung des Mitbeteiligten gesehen, abgebogen. Der dem Berufungsverfahren beigezogene gerichtlich beeidete Sachverständige für das KFZ-Wesen habe folgendes Gutachten erstattet:
"Beim verwendeten Meßgerät handelte es sich - wie erwähnt - um ein Gerät der Marke LTI 20.20TS/KM. Zum Zeitpunkt der Messung war dieses Gerät auf Geschwindigkeitsmessung eingestellt. Dieses Meßgerät ist entsprechend den Angaben des Herstellers für Messungen in einem Abstand zwischen 20 m und 400 m zugelassen. Der Geschwindigkeitsmeßbereich, für den dieses Gerät verwendet werden darf, beträgt 0 km/h bis 250 km/h. Die Meßzeit für die Messung einer Geschwindigkeit beträgt ca. 0,3 Sekunden.
Geht man nun davon aus, daß die Messung auf eine Entfernung von ca. 300 m erfolgte, und das vor dem Berufungswerber fahrende Fahrzeug in einem Tiefenabstand von ca. 50 (m) fuhr und die Straße annähernd geradlinig verläuft, so ergibt sich bei einem Abstand der Meßposition des Beamten vom Straßenrand, daß das vordere Fahrzeug für den Beamten unter einem Winkel von 1,15 Grad zur Fahrbahnrichtung erscheint. Das in einem Abstand von ca. 50 m dahinterfahrende Fahrzeug des Berufungswerbers, erscheint in einem Winkel von 0,95 Grad, woraus sich eine Winkeldifferenz zwischen den beiden Fahrzeugen von 0,20 Grad ergibt. Bei einer Krümmung der Fahrbahn in Form einer Rechtskurve würde sich dieser Winkelabstand etwas erhöhen.
Entsprechend einer Untersuchung in der Zeitschrift "Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik" vom März 1995, durchgeführt von Schmidt, Großer und Fürbeth, wurde dieses Gerät hinsichtlich einer Geschwindigkeitsmessung auf größere Entfernungen in einem Bereich zwischen 300 und 400 m untersucht. Hierbei zeigte sich, daß bei einer Entfernung von ca. 400 m der bestrahlte Bereich bereits eine Breite von etwas mehr als einer normalen PKW-Breite aufwies. Außerdem zeigte sich, daß der eingespielte rote Punkt nochmals einen Abstand von mehr als einem Meter zum Mittelpunkt der durch den Laser bestrahlten Fläche aufwies. Überträgt man nun diese Werte auf eine Entfernung von ca. 300 m, so ergibt sich noch immer ein Meßfelddurchmesser von ca. 1,2 m und ein Abstand des roten Punktes zum Mittelpunkt der Meßfläche von ca. 0,9 m. Aufgrund dieser Tatsachen ergibt sich also, daß im vorliegenden Fall mit dem vorliegenden Meßgerät nicht mit 100%iger Sicherheit bei einer Meßentfernung von ca. 300 m angegeben werden kann, welches der beiden Fahrzeuge gemessen wurde. Dies gilt insbesondere, da ja die Winkeldifferenz zwischen den beiden Fahrzeugen von der Meßposition des Beamten nur ca. 0,20 Grad betrug. Es ergibt sich somit ein seitlicher Überstand des hinteren Fahrzeuges gegenüber dem vorderen von nur ca. 1 m. Dieser korreliert in etwa mit der Meßtoleranz des Gerätes. Es kann somit unter den vorliegenden Bedingungen absolut der Fall vorgelegen sein, daß der rot eingespiegelte Punkt auf das hintere Fahrzeug zeigte, jedoch der gebündelte Laserstrahl das vorher fahrende Fahrzeug erfaßte."
Auf Grund dieses Gutachtens gelangte die belangte Behörde zu dem Schluß, "daß unter Heranziehung des vorliegenden Sachverhaltes mit dem in concreto verwendeten Meßgerät der Marke LTI 20.20TS/KM mit der Nummer 03967 nicht mit 100%iger Sicherheit bei einer Meßentfernung von ca. 300 m angegeben werden kann, welches der beiden Fahrzeuge - das des Berufungswerbers oder das vor ihm fahrende, welches in weiterer Folge nach links abbog - gemessen wurde. Dies ergab sich insbesondere daraus, da die Winkeldifferenz zwischen den beiden Fahrzeugen von der Meßposition des Beamten ca. 0,20 Grad betrug. Somit ergab sich ein seitlicher Überstand des hinteren Fahrzeuges gegenüber dem vorderen von nur ca. 1 m, welcher ungefähr mit der Meßtoleranz des Gerätes korelliert. Es ist somit durchaus vorstellbar, daß der im Lasergerät rot eingespiegelte Punkt auf das hintere Fahrzeug zeigte, jedoch der gebündelte Laserstrahl das vor dem Berufungswerber fahrende Fahrzeug erfaßte." Es habe daher die dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Tat nicht mit der im Verwaltungsstrafverfahren notwendigen Sicherheit erwiesen werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen hat:
Entgegen der Ansicht des Mitbeteiligten ist die Beschwerde nicht verspätet.
Gemäß § 26 Abs. 1 Z. 2 VwGG beginnt die sechswöchige Beschwerdefrist in den Fällen des Art. 131 Abs. 1 Z. 2 B-VG dann, wenn der Bescheid auf Grund der Verwaltungsvorschriften dem zuständigen Bundesminister zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, zu dem der zuständige Bundesminister von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.
Der angefochtene Bescheid wurde - wie sich aus den Verwaltungsstrafakten ergibt - dem Beschwerdeführer - im Einklang mit den Verwaltungsvorschriften - nicht zugestellt. Nach dem Beschwerdevorbringen erlangte der Beschwerdeführer am 17. September 1996 durch Übersendung des angefochtenen Bescheides durch die Steiermärkische Landesregierung Kenntnis von dem Bescheid. Ausgehend von diesem Datum erweist sich die am 23. Oktober 1996 eingebrachte Beschwerde als rechtzeitig.
Die vom Mitbeteiligten vertretene Auffassung, "jene Beamten des sich für beschwert erachteten Bundesministeriums, welches die gegenständliche Beschwerde eingebracht hat", müßten "zumindest" ab der Zustellung des angefochtenen Bescheides an seinen Rechtsvertreter am 31. Oktober 1995 Kenntnis "von dieser richtungweisenden Grundlagenentscheidung" gehabt haben, entbehrt der Grundlage im Gesetz (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 28. Februar 1997, Zl. 96/02/0481, und vom 2. März 1992, Zl. 91/19/0321). Daß der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer - erst - am 17. September 1996 übersandt wurde, begegnet auf Grund der Aktenlage keinen Bedenken und wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogen. Der 17. September 1996 ist daher der Zeitpunkt, "zu dem der zuständige Bundesminister von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat".
Dem Umstand, daß der Bescheid - wie der Mitbeteiligte vorträgt - schon früher in einem Zeitungsartikel erwähnt wurde und Diskussionsbeitrag einer TV-Sendung war, kommt keine wesentliche Bedeutung zu, weil daraus nicht abgeleitet werden kann, daß der Beschwerdeführer von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat. Ob sich der Beschwerdeführer allenfalls auf Grund dieses Sachverhaltes Kenntnis vom Bescheid hätte verschaffen können, ist nicht entscheidend, weil das Gesetz auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Kenntniserlangens abstellt.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Unbestritten ist, daß der bei der Ermittlung der vom Mitbeteiligten eingehaltenen Geschwindigkeit verwendete Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmesser der Bauart LTI 20.20TS/KM geeicht war. Ein derartiges Gerät stellt nach der hg. Rechtsprechung (vgl. die Erkenntnisse vom 2. März 1994, Zl. 93/03/0238, und vom 16. März 1994, Zl. 93/03/0317) grundsätzlich ein taugliches Mittel zur Feststellung der Geschwindigkeit eines Fahrzeuges dar.
Laser-Verkehrsgeschwindigkeitsmesser der Bauart LTI 20.20TS/KM wurden vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen mit Zulassung vom 16. März 1992, Zl. 44.003/91, auf Grund des § 40 des Maß- und Eichgesetzes ausnahmsweise zur Eichung zugelassen; die Zulassung wurde probeweise ausgesprochen (Amtsblatt für das Eichwesen Nr. 4/1992, Seite 327ff).
Abschnitt F. 2.8 der Zulassung lautet:
"Ein Meßergebnis darf grundsätzlich nur dann zur Auswertung herangezogen werden, wenn einwandfrei zu erkennen ist, von welchem Fahrzeug dieses Meßergebnis verursacht wurde. Dies ist mit Sicherheit dann gegeben, wenn das zu messende Fahrzeug mit dem roten Visierpunkt im Zielfernrohr einwandfrei anvisiert worden ist. Beim Anvisieren eines Fahrzeuges ist auf dessen Front- bzw. Heckpartie, keinesfalls aber auf Fensterflächen zu zielen."
Die in dem dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Sachverständigengutachten geäußerte Schlußfolgerung, es könne "somit unter den vorliegenden Bedingungen absolut der Fall vorgelegen sein, daß der rot eingespiegelte Punkt auf das hintere Fahrzeug zeigte, jedoch der gebündelte Laserstrahl das vorher fahrende Fahrzeug erfaßte", läßt sich mit der oben angeführten Aussage in der Zulassung, es sei mit Sicherheit zu erkennen, von welchem Fahrzeug ein Meßergebnis verursacht worden sei, wenn das zu messende Fahrzeug mit dem roten Visierpunkt im Zielfernrohr einwandfrei anvisiert worden sei, nicht in Einklang bringen. Der Sachverständige gründete seine Schlußfolgerung nicht auf eigene Befundaufnahmen, sondern auf die Ergebnisse "einer Untersuchung in der Zeitschrift "Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik" vom März 1995, durchgeführt von Schmidt, Großer und Fürbeth". Da diese Untersuchungsergebnisse - sie sind laut den Gegenschriften in der vom Mitbeteiligten im Verwaltungsstrafverfahren vorgelegten Zusammenfassung eines vom "Ingenieurbüro Dr. Großer und Fürbeth" in Erlangen erstellten "Gutachtens" wiedergegeben - offenbar mit den der amtlichen Zulassung zugrundeliegenden Erkenntnissen nicht übereinstimmen, wäre es zur Gewinnung des für die Beurteilung der Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens notwendigen umfassenden Bildes unumgänglich erforderlich gewesen, dazu eine Stellungnahme des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen einzuholen. Im Falle von Divergenzen zwischen den vorerwähnten Untersuchungsergebnissen und der Stellungnahme des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen wäre es sodann Aufgabe des Sachverständigen gewesen, unter Abwägung der jeweiligen Argumente darzulegen, welcher Seite aus welchen fachlichen Gründen der Vorzug gebühre.
Da diese Vorgangsweise nicht eingehalten wurde, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der vom Mitbeteiligten beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.
Für das fortgesetzte Verfahren sei bemerkt, daß es die belangte Behörde unterlassen hat, sich mit der die Anvisierung des Fahrzeuges betreffenden Aussage des als Zeugen vernommenen Meldungslegers ("Wo konkret ich den Berufungswerber anvisiert habe, weiß ich nicht mehr, ich nehme aber an, daß dies im Bereich der Kühlermaske oder Windschutzscheibe gewesen ist") und den Konsequenzen einer allfälligen fehlerhaften Anvisierung für die Geschwindigkeitsmessung auseinanderzusetzen, dies im Hinblick auf die Bestimmung in Abschnitt F. 2.8 letzter Satz der Zulassung, wonach beim Anvisieren eines Fahrzeuges auf dessen Front- bzw. Heckpartie, keinesfalls aber auf Fensterflächen zu zielen ist.
Schlagworte
Feststellen der GeschwindigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996030306.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
02.07.2014