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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Auseinandersetzung mit Länderberichten des EASO zu Personen, die lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt habenSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gegen die Festsetzung einer Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitischer Moslem. Das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers wurde mit 2. März 1997 ermittelt. Die Eltern des Beschwerdeführers stammen aus Kabul in Afghanistan. Sie sind bereits vor der Geburt des Antragstellers mit ihrem damals einzigen, kurze Zeit zuvor geborenen, Sohn in den Iran gezogen. Der Beschwerdeführer ist als zweites Kind seiner Eltern im Iran geboren und aufgewachsen. Zwei weitere Brüder und eine Schwester sind in den Jahren 2001, 2002 und 2005 im Iran geboren und aufgewachsen. Der Beschwerdeführer hat bis zu seiner Ausreise nach Österreich im Iran gelebt.
2. Der Beschwerdeführer stellte am 27. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seine Eltern und Geschwister haben am 13. Februar 2016 Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
3. Mit Bescheid vom 13. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 28. Jänner 2020 nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 18. März 2019 und am 29. August 2019 abgewiesen. Mit Erkenntnissen von demselben Tag hat das Bundesverwaltungsgericht die entsprechenden Beschwerden seiner Eltern und seiner Geschwister abgewiesen.
4.1. Die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers – wonach er wegen eines Vorfalls im Iran von den Basij bedroht und festgehalten worden sei und diese beabsichtigt hätten, ihn in den Krieg nach Syrien zu schicken – keinen Bezug zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers aufweise, sodass daraus eine asylrechtlich relevante, individuelle Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers in Afghanistan nicht abgeleitet werden könne. Soweit der Beschwerdeführer behaupte, dass ihm von diesen Personen im Falle einer Rückkehr auch in Afghanistan Gefahr drohe, komme dem keine Glaubhaftigkeit zu. Eine asylrelevante Verfolgung folge auch nicht aus den Umständen, dass in Afghanistan erkennbar sei, dass er iranisch spreche, und dass sein Bruder zum Christentum konvertiert sei.
4.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz seiner Eltern, Kabul in Afghanistan, ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif könne der Beschwerdeführer hingegen grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw existenzbedrohende Situation zu geraten.
Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führt das Bundesverwaltungsgericht dazu im Wesentlichen Folgendes aus:
"Der Beschwerdeführer verfügt über eine sechsjährige Schulbildung im Iran, konnte dort Berufserfahrung als Schwimmtrainer sammeln und erwarb darüberhinaus im Rahmen der in Österreich begonnenen Lehre Fähigkeiten als Koch, weshalb bei ihm die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann, zumal insbesondere etwa in Herat Arbeitsmöglichkeiten in der Lebensmittelverarbeitung bestehen und aus den Länderberichten hervorgeht, dass auch im Ausland erworbene Fähigkeiten die Chancen, in Afghanistan am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, erhöhen.
Im Übrigen ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer auch im Iran im afghanischen Familienverband aufgewachsen ist, in Österreich ebenso afghanische Freunde hat, und schließlich auch die Landessprache seines Herkunftsstaates beherrscht, woraus zu schließen ist, dass er mit den dort herrschenden Gepflogenheiten vertraut ist. Der Beschwerdeführer kann zudem auf die Unterstützung seiner Familienangehörigen zurückgreifen, über die mit Entscheidungen vom heutigen Tag ebenfalls eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, zumal der Beschwerdeführer auch bisher sowohl im Iran als auch in Österreich mit seinen Familienangehörigen zusammenlebte und sein Vater etwa auch seine Flucht organisierte. Zudem kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Herat oder Mazar-e Sharif das Auslangen finden. Darüber hinaus handelt es sich bei ihm um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der seine Existenz zumindest anfänglich auch mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern kann, wobei ihm seine Berufserfahrung zu Gute kommt. Es gibt somit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (zB Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wäre (vgl VwGH 05.11.2019, Ra 2018/01/0188 Rz 8).
Im Übrigen verkennt das Gericht in diesem Zusammenhang nicht, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist und der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu in Afghanistan lebenden Verwandten hat, dennoch kann im vorliegenden Fall im Einklang mit den in den aktuellen UNHCR-Richtlinien sowie den EASO Country Guidance Notes aufgestellten Kriterien davon ausgegangen werden, dass es dem Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse, insbesondere seiner Schulbildung und Berufserfahrung, wodurch der Beschwerdeführer einen im Vergleich zur in Afghanistan bestehenden Analphabetenrate hohen Bildungsstand vorweisen kann, im Fall der Rückkehr nach Afghanistan durchaus möglich und zumutbar ist, nach einem – wenn auch anfangs nur vorläufigen – Wohnraum zu suchen und sich etwa mit seiner bisherigen Berufserfahrung ein für den Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften oder mit Hilfe der Programme für Rückkehrer vor Ort eine Arbeitsstelle zu finden, zumal der Beschwerdeführer insbesondere auch in Österreich in der Lage war, seinen Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten und auch im Iran berufstätig war."
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses sowie für den Fall der Abweisung oder Ablehnung die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
A. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und die Festsetzung einer Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise richtet, begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht verweist im Rahmen seiner Feststellungen zunächst allgemein auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ("Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019"). In der rechtlichen Beurteilung nimmt es auf die "Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018" sowie die "EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan" Bezug.
2.2. Aus der "Country Guidance: Afghanistan – Guidance note and common analysis" des EASO (Stand Juni 2019; Vergleichbares ergibt sich bereits aus der im Juni 2018 veröffentlichten Fassung) geht hervor, dass für jene Gruppe von Rückkehrern nach Afghanistan, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könne, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund, insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans (Seite 37; vgl VfSlg 20.358/2019).
Derartigen Länderberichten, wie insbesondere auch den Richtlinien des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (United Nations High Commissioner for Refugees – UNHCR), ist bei der Beurteilung der Situation im Rückkehrstaat bei der Prüfung, ob dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, besondere Beachtung zu schenken (vgl VfSlg 20.358/2019; VfGH 12.12.2019, E2692/2019; 4.3.2020, E4399/2019, jeweils mwN; vgl auch VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 17.12.2019, Ra 2019/18/0278 ua). Das bedeutet insbesondere, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit den aus diesen Länderberichten hervorgehenden Problemstellungen im Hinblick auf eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan, und zwar in Bezug auf die konkrete Situation des Beschwerdeführers, auseinanderzusetzen hat.
2.3. Das Bundesverwaltungsgericht führt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zunächst – mit Blick auf die dargestellte Berichtslage grundsätzlich zutreffend – aus, dass nach der EASO Country Guidance jener Gruppe von Personen, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben, in der Regel keine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht, wenn sie an diesem Ort kein Unterstützungsnetzwerk vorfinden.
Sodann hält das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass beim Beschwerdeführer – ausgehend von seiner Schulbildung, der im Iran erworbenen Berufserfahrung als Schwimmtrainer und seiner in Österreich erworbenen Fähigkeiten als Koch – die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne; dies, zumal insbesondere etwa in Herat Arbeitsmöglichkeiten in der Lebensmittelverarbeitung bestünden und aus den Länderberichten hervorgehe, dass auch im Ausland erworbene Fähigkeiten die Chancen, in Afghanistan am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, erhöhten. Es geht davon aus, dass der Beschwerdeführer mit den in Afghanistan herrschenden Gepflogenheiten vertraut sei und Unterstützung durch seine Familienangehörigen (über die ebenfalls Rückkehrentscheidungen erlassen worden seien) sowie durch die Rückkehrhilfe erhalten könne. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zwar fest, dass der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu in Afghanistan lebenden Verwandten habe, geht aber im Hinblick auf seinen "im Vergleich zur in Afghanistan bestehenden Analphabetenrate" hohen Bildungsstand davon aus, dass es ihm als jungem, gesunden Mann möglich und zumutbar sei, sich ein Einkommen zu erwirtschaften bzw eine Arbeitsstelle zu finden, zumal er auch in Österreich in der Lage gewesen sei, seinen Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten und er auch im Iran berufstätig gewesen sei.
2.4. Damit nimmt das Bundesverwaltungsgericht eine so qualifiziert fehlerhafte Beurteilung des dargestellten Sachverhaltes, insbesondere der EASO Country Guidance vor, dass der Fehler in die Verfassungssphäre reicht:
Nach der maßgeblichen Berichtslage müssen nämlich zu den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Umständen (wie sie für alleinstehende, gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter, die in Afghanistan aufgewachsen sind oder längere Zeit dort gelebt haben, eine innerstaatliche Fluchtalternative unter anderem in Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar erscheinen lassen) für Rückkehrer wie den Beschwerdeführer, der noch nie in Afghanistan gelebt hat, qualifizierte Umstände, insbesondere im Hinblick auf Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person sowie Bildungs- und Berufserfahrung einschließlich Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans, hinzutreten, um von einer im Hinblick auf Art2 und 3 EMRK zumutbaren Rückkehrsituation ausgehen zu können (siehe nur VfGH 6.10.2020, E2795/2019; 7.10.2020, E2273/2020 jeweils mwN; vgl in diesem Sinn etwa auch VwGH 28.8.2019, Ra 2018/14/0308; 17.12.2019, Ra 2019/18/0405 sowie VwGH 28.1.2020, Ra 2019/18/0204). Rückkehrer, die nie, nur im Kleinkindalter oder nur sehr kurze Zeit in Afghanistan gelebt haben, stehen nämlich gegenüber solchen, die in Afghanistan aufgewachsen sind, bei der Sicherung ihrer grundlegenden existenziellen Bedürfnisse vor besonderen Herausforderungen, mit denen sich die Behörde und das Bundesverwaltungsgericht auseinanderzusetzen haben (der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher auch angesichts anderer Einzelfallentscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes – siehe etwa VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243; 12.3.2020, Ra 2019/01/0347 – nicht dazu veranlasst, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen).
Solche qualifizierten Umstände liegen im Hinblick auf den Beschwerdeführer nicht vor. Er hat, wie das Bundesverwaltungsgericht feststellt, keine Kontakte zu in Afghanistan lebenden Familienangehörigen, verfügt also über kein einschlägiges Unterstützungsnetzwerk in oder sonstige besondere Verbindungen zu Afghanistan.
Der Beschwerdeführer verfügt zwar über Schulbildung im Iran und hat dort – als Jugendlicher – als Schwimmtrainer gearbeitet. Das Bundesverwaltungsgericht unterlässt es diesbezüglich jedoch, zu prüfen, inwieweit der Beschwerdeführer damit über eine solche Berufserfahrung verfügt, die begründet vermuten lässt, dass er sich in seiner konkreten Rückkehrsituation in Afghanistan selbst erhalten kann (vgl VfGH 6.10.2020, E2795/2019; 7.10.2020, E2273/2020). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner laufenden Lehre in Österreich in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten, lässt zudem unberücksichtigt, dass es sich dabei nicht um Berufserfahrung, sondern um eine – noch nicht einmal abgeschlossene – Berufsausbildung handelt.
Indem das Bundesverwaltungsgericht somit die maßgeblichen Anforderungen, die das Personenprofil des Beschwerdeführers nach der Länderberichtslage erfüllen muss, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif ausgehen zu können, grundsätzlich verkennt, hat es sein Erkenntnis – im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und daran anknüpfend die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und die Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise – mit Willkür belastet.
B. Im Übrigen, soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist, und gegen die Festsetzung einer Frist von 14 Tagen zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten (zum System der Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof durch den Verfassungsgerichtshof nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 vgl VfSlg 19.867/2014).
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E689.2020Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021