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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen von Myanmar nach Bangladesch geflüchteten Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya; widersprüchliche Feststellungen und mangelhafte Auseinandersetzung mit den Länderfeststellungen zu BangladeschSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein Angehöriger des sunnitischen Glaubens und der Volksgruppe der Rohingya, wurde in Myanmar geboren und ist im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern nach Bangladesch geflüchtet, wo sie als Staatenlose aufgenommen wurden. Am 27. Dezember 2016 stellte der Beschwerdeführer in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 6. August 2018 (in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 27. September 2018) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch fest und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 25. Juni 2020 als unbegründet ab. Zunächst trifft das Gericht unter anderem folgende Feststellungen:
"II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist in Myanmar geboren, vermutlich am 05.07.1994, und reiste er mit seiner Familie im Jahr 2001 nach Bangladesch. Er ist ein Rohingya und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist nach seinen Angaben Bengali/Rohingya/Akyab/Chittagonian-Bengali. Seine Identität kann nicht festgestellt werden.
Der BF hat seine Familie im Alter von ca zwölf Jahren verlassen und ist letztlich in der Stadt Sylhet einem Iman begegnet, der ihn aufgenommen hat, ihm Arbeit und Unterricht vermittelte. Zuletzt arbeitete der BF als (Hilfskraft für einen) 'Installateur' in Zement und Holz in Bangladesch.
Der BF hat im Laufe seines Lebens den Anschluss zu seiner Familie verloren.
[…]
II.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Festgestellt wird, dass der BF behauptet ein Rohingya zu sein und deshalb in Bangladesch nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert werde.
Gegen den BF liegt weder eine Anzeige noch ein Gerichtsverfahren vor.
Ein weiteres Fluchtvorbringen wurde nicht erstattet.
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete persönliche Verfolgung des BF in Bangladesch. Der BF hat in seinem Herkunftsstaat keine gegen seine Person gerichtete konkrete persönliche Verfolgung dargelegt, sondern immer lediglich die allgemeine Situation der Menschen, welche als Rohingya in Bangladesch leben.
Nicht festgestellt werden kann, dass der BF tatsächlich ein Rohingya ist. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der BF von bengalischen Behörden gesucht wird beziehungsweise dass ein aufrechter Haftbefehl gegen ihn besteht.
Es wird festgestellt, dass im Falle einer Rückkehr der BF keiner unmittelbaren staatlichen Bedrohung ausgesetzt ist.
[…]" (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Das Heimatland des Beschwerdeführers sei nicht Bangladesch sondern Myanmar. Auch wenn er nach Bangladesch abgeschoben werden würde, habe er dort keinen Anspruch auf einen Verbleib und würde wiederum nach Myanmar abgeschoben werden. Der Beschwerdeführer werde auf Grund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas verfolgt und würde bei einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt sein, misshandelt und geschlagen zu werden. Seine dargestellten Fluchtgründe seien asylrelevant, in sich schlüssig und nachvollziehbar und würden auch mit den Länderberichten in Einklang stehen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zunächst fest, dass der Beschwerdeführer "ein Rohingya und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig [ist]". Im Widerspruch dazu führt das Gericht betreffend das Fluchtvorbringen aus, dass "[n]icht festgestellt werden kann, dass der BF tatsächlich ein Rohingya ist". Auf Grund dieser Widersprüchlichkeit ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, welche Feststellungen das Gericht seiner Beweiswürdigung und sodann der rechtlichen Beurteilung zugrunde legt.
Hinzukommt, dass das Bundesverwaltungsgericht Feststellungen bzw die Beweiswürdigung zum Teil im Konjunktiv trifft. Bei dieser Vorgehensweise ist für den Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar, ob und welches Vorbringen vom Gericht als glaubhaft erachtet wurde und worauf sich in weiterer Folge die Beurteilung desselben als unglaubwürdig stützt. Das Erkenntnis ist daher einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich; es ist begründungslos ergangen und folglich mit Willkür belastet (vgl VfGH 13.12.2017, E940/2017; 8.6.2020, E3911/2019 mwN).
2.2. Außerdem hat es das Bundesverwaltungsgericht unterlassen, sich mit den beigezogenen – und im Erkenntnis abgedruckten – Länderfeststellungen, insbesondere hinsichtlich der Situation von (aus Myanmar geflüchteten) Angehörigen der Volksgruppe der Rohingya auseinanderzusetzen. Aus diesen geht unter anderem hervor, dass "[d]ie überwiegende Mehrheit der Rohingya […] über keinen offiziellen Flüchtlingsstatus [verfügt] und […] unter einem völligen Mangel an Zugang zu medizinischer Versorgung, Beschäftigung und Bildung [leidet] und […] erheblichen Schikanen ausgesetzt [ist] (FH 2020). […] Die Regierung Bangladeschs will eine dauerhafte Ansiedlung vermeiden (AA 27.7.2019). Die Bedingungen in den Lagern verschlechterten sich, als die Regierung den Druck auf die Flüchtlinge erhöhte, nach Myanmar zurückzukehren. […] Dennoch beharrt die Regierung von Bangladesch weiterhin darauf, dass die Lager nur vorübergehend seien und behinderte Verbesserungen der Infrastruktur, insbesondere in Bezug auf Unterkünfte und Bildung. Auch wurde der Zugang zu Internet und Online-Kommunikation für die Flüchtlinge in den Lagern eingeschränkt. Darüber hinaus wurde mit dem Bau von Zäunen um die Flüchtlingslager in Cox's Bazar begonnen. Diese Maßnahme, welche mit der Aufrechterhaltung der Sicherheit des Lagers begründet wird, verstößt gegen die internationalen Menschenrechtsvorschriften (HRW 14.1.2020). Die Grundversorgung wird durch die bangladeschische Regierung sowie von UN-Organisationen und NGOs gesichert (AA 27.7.2019). Die Regierung Bangladeschs drohte wiederholt damit, die Flüchtlinge auf die Insel Bhasan Char umzusiedeln, obwohl die Bewohnbarkeit der Insel ernsthaft infrage gestellt wurde (HRW 14.1.2020; vgl TS 21.10.2019, HRW 14.3.2019). Die Gefahr von Seuchen und Epidemien ist aufgrund der beengten Verhältnisse hoch. Es gibt nur unzureichend Möglichkeiten im Bildungsbereich und die Menschen leben in einem quasi rechtsfreien Raum. […] Die bangladeschische Stammbevölkerung fühlt sich in den Kernflüchtlingszonen durch die große Zahl von Rohingyas zunehmend be- und verdrängt (ua Sinken des lokalen Lohnniveaus), was nunmehr häufiger zu Repressalien durch die Bevölkerung – aber auch seitens bangladeschischer offizieller Stellen – führt und das allgemeine Klima verschlechtert (ÖB 8.2019). Die Regierung kooperiert und unterstützt UNHCR und andere humanitäre Organisationen nur mangelhaft, nicht zu allen betroffenen, hilfesuchenden Personen wird der Zugang gestattet (ÖB 8.2019). UNHCR und das Welternährungsprogramm weisen weiters darauf hin, dass Unterernährung besonders bei Kindern in Flüchtlingslagern verbreitet ist (ÖB 8.2019; vgl STC 22.8.2018)."
Der pauschale Hinweis, dass von einer "flächendeckenden Inhaftierung oder Benachteiligung von Rohingyas (lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit) [nicht] auszugehen ist" findet daher keine Deckung in den aus den Länderberichten gewonnen Feststellungen (vgl VfGH 26.6.2019, E5061/2018 ua). Das Bundesverwaltungsgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren daher nicht nur mit der Frage zu befassen haben, inwieweit dem Beschwerdeführer eine individuelle Verfolgung im Zusammenhang mit einer etwaigen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Rohingya droht, sondern auch, ob die Zugehörigkeit zur Volksgruppe für sich genommen bereits Asylrelevanz hat (vgl zur Asylrelevanz von Gruppenverfolgungen im Allgemeinen zuletzt VwGH 25.9.2020, Ra 2019/19/0407 mit Verweis ua auf VwGH 29.4.2015, Ra 2014/20/0151; VfGH 23.2.2021, E3215/2020).
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet, weshalb das Erkenntnis schon aus diesem Grund aufzuheben war.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E2687.2020Zuletzt aktualisiert am
01.06.2021