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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AufG 1992 §6;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 98/21/0291 E 12. April 1999Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des C in R, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 17. Juli 1996, Zl. Frb-4250c-10/96, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 4. Juni 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsbürgers, auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz gemäß § 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Gegen ihn sei mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 20. Dezember 1990 ein bis zum 31. Dezember 1995 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Gemäß § 36 Abs. 1 (richtig: Abs. 2) FrG sei die Abschiebung des Beschwerdeführers aufgeschoben worden. Seit Ablauf des Aufenthaltsverbotes am 1. Jänner 1996 halte sich der Beschwerdeführer illegal in Österreich auf. Darin liege eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine ausdrücklich an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg gerichtete Berufung, in welcher er im wesentlichen ausführte, daß er "aufgrund seines langjährigen Aufenthalts assoziationsintegriert im Sinne des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei" sei, weil er aufgrund der ihm bis Ende 1995 wiederkehrend erteilten Abschiebungsaufschübe unbestritten rechtmäßig in Österreich wohnhaft gewesen sei und hier auch seit dem Jahr 1988 gearbeitet habe. Der Beschwerdeführer unterliege daher gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 AufG - und dem dazu ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424 - nicht dem Aufenthaltsgesetz; sein Fall sei nach den §§ 28 ff des Fremdengesetzes zu beurteilen und die Behörde erster Instanz hätte seinen Antrag "als Antrag auf deklaratorische Feststellung seiner Aufenthaltsberechtigung und Erteilung eines deklaratorischen Sichtvermerks verstehen müssen". Der Beschwerdeführer stellte in seiner Berufung ausdrücklich den Antrag, "den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, daß die europarechtliche Aufenthaltsberechtigung des Berufungswerbers im Inland festgestellt wird", dies habe durch Erteilung eines "deklaratorischen Sichtvermerkes" zu erfolgen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde damit begründet, daß gemäß § 70 Abs. 2 FrG gegen die Versagung oder die Ungültigerklärung eines Sichtvermerks eine Berufung nicht zulässig sei. Auch wenn man der Ansicht des Beschwerdeführers folgte und ihm keine Aufenthaltsbewilligung, sondern ein Sichtvermerk zu erteilen wäre, ergäbe sich aus § 70 Abs. 2 FrG, daß seine Berufung unzulässig sei. Im Fall, daß eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen wäre, liege keine Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion vor, sondern wäre eine Berufung an das Bundesministerium für Inneres zu richten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptet wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde einen Bescheid hätte erlassen müssen, in welchem seine Aufenthaltsberechtigung nach Art. 6 des Beschlusses vom 19. September 1980, Nr. 1/80, nach dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 ausdrücklich festgestellt wird. Der Verwaltungsgerichtshof habe mit Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zl. 96/09/0088, für den Bereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgesprochen, daß die Ausstellung eines Befreiungsscheines im Hinblick auf dessen Befristung und konstitutive Wirkung zur Umsetzung des genannten Beschlusses nicht in Betracht komme, sondern vielmehr ein (deklarativer) Feststellungsbescheid zu erlassen sei. Hiefür sei jene Behörde zuständig, zu deren Wirkungsbereich der engste sachliche Zusammenhang bestehe. Diese Überlegungen seien auf das Fremdenrecht zu übertragen, auch die Aufenthaltsberechtigung von assoziationsberechtigten türkischen Staatsbürgern sei durch die Erlassung eines Feststellungsbescheides zu dokumentieren. Für solche bestehe auch eine Zuständigkeit der Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde gemäß § 70 Abs. 1 FrG, zumal der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/19/0424, entschieden habe, daß assoziationsberechtigte türkische Staatsbürger nach § 1 Abs. 3 AufG aus dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes herausfielen.
Der Beschwerdeführer behauptet nicht, bei der gemäß § 65 Abs. 1 FrG hiefür zuständigen Behörde einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes oder auf Erlassung eines fremdenrechtlichen Feststellungsbescheides gestellt zu haben. Er meint bloß, daß sein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz von Amts wegen in derartige Anträge hätte umgedeutet werden müssen oder daß er von der Behörde erster Instanz tatsächlich in dieser Hinsicht umgedeutet worden sei und sie somit über derartige Anträge entschieden habe.
Mit dieser Auffassung ist der Beschwerdeführer zwar nicht im Recht. Bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten ist es nämlich unzulässig, entgegen dem erklärten Willen einer Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar geschlossen werden kann, weil die Behörde nur über die im Antrag umschriebene "Angelegenheit" im Sinne des § 59 Abs. 1 AVG entscheiden darf (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1997, Zl. 95/21/0515, m.w.N.). Auch kann weder aus dem Spruch, noch aus der Begründung des Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 4. Juni 1996 geschlossen werden, daß damit über einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes oder auf Erlassung eines fremdenrechtlichen Feststellungsbescheides entschieden worden wäre.
Dennoch durfte die belangte Behörde das an sie in Form einer Berufung gerichtete Begehren "den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, daß die europarechtliche Aufenthaltsberechtigung des Berufungswerbers im Inland" in Form eines "deklaratorischen Sichtvermerkes" "festgestellt wird", nicht zurückweisen: Ob man nämlich in diesem Begehren einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes bzw. auf Erlassung eines fremdenrechtlichen Feststellungsbescheides erblickt, oder aber ob man darin einen Antrag auf Aufhebung des mit Berufung bekämpften Bescheides, mit dem ein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz abgewiesen wurde, sieht, in beiden Fällen kann der Spruch des angefochtenen Bescheides nicht in der Weise gedeutet werden, daß damit bloß die Feststellung der Unzuständigkeit der belangten Behörde ausgesprochen worden wäre, die nicht als abschließende Entscheidung über den gestellten Antrag qualifiziert werden könnte. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde nämlich nicht nur ihre Unzuständigkeit zu einer meritorischen Entscheidung über den im Berufungsschriftsatz gestellten Antrag des Beschwerdeführers ausgesprochen, sondern mit der Zurückweisung wegen Unzuständigkeit darüber auch endgültig entschieden. Weder § 66 Abs. 4 AVG, noch sonst eine vorliegend in Betracht kommende Bestimmung bietet dafür eine Grundlage. Vielmehr hat eine Behörde, an die eine Berufung nach ihrer Ansicht zu Unrecht gerichtet wird, diese gemäß § 6 AVG an die ihrer Auffassung nach zuständige Berufungsbehörde weiterzuleiten (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Mai 1996, Zl. 94/05/0370). Dies gilt auch für in Berufungsschriftsätzen enthaltene Anträge, die keine Berufungsanträge sind (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Dezember 1996, Zl. 96/21/0041).
Mit der Zurückweisung des als Berufung bezeichneten Schriftsatzes des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde somit nicht nur eine Zuständigkeit zur Zurückweisung des Antrages wahrgenommen, die ihr nicht zukam. Sie hat vielmehr auch über den in der Berufung gestellten Antrag endgültig entschieden. Damit wurde der Beschwerdeführer in seinem Recht auf meritorische Entscheidung über seinen Antrag verletzt, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1 Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Verhältnis zu anderen Materien und Normen AVG Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen Zurückweisung wegen Unzuständigkeit Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996210716.X00Im RIS seit
11.07.2001