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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)Norm
ABGB §6Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision der M L in W, vertreten durch die Eckert Nittmann Rechtsanwälte GmbH in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1b, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 7. April 2016, Zl. VGW-042/014/4548/2015-13, betreffend Übertretungen des Arbeitsruhegesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (also mit Ausnahme der Bestätigung des behördlichen Spruchpunktes A.) 23.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 13. März 2015 legte die belangte Behörde der Revisionswerberin zur Last, sie habe es als handelsrechtliche Geschäftsführerin der H. GmbH, die das Bewachungsgewerbe betreibt, zu verantworten, dass in den Fällen des Spruchpunktes A.) 1.-23. den dort bezeichneten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die während der Zeit der Wochenendruhe in näher angeführten Zeiträumen bzw. Wochen im Jahr 2014 beschäftigt wurden, in der jeweiligen Kalenderwoche anstelle der Wochenendruhe keine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden gewährt worden sei, und dass in den Fällen des Spruchpunktes B.) 1.-33. den dort bezeichneten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die während der Zeit der Wochenendruhe in näher angeführten Zeiträumen bzw. Wochen im Jahr 2014 beschäftigt wurden, in der jeweiligen Kalenderwoche anstelle der Wochenendruhe keine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden gewährt worden sei und diese Wochenruhe keinen ganzen Wochentag eingeschlossen habe. Hiedurch sei zu A.) § 4 erster Satz Arbeitsruhegesetz (ARG) und zu B.) § 4 zweiter Satz ARG verletzt worden und es seien daher gemäß § 27 Abs. 1 ARG iVm. § 9 Abs. 1 VStG zu A.) 23 Geldstrafen von je € 400,00 (23 Ersatzfreiheitsstrafen von je einem Tag) und zu B.) 33 Geldstrafen zu je € 400,00 (33 Ersatzfreiheitsstrafen von je einem Tag) zu verhängen.
Begründend wurde ausgeführt, gemäß § 4 ARG habe der Arbeitnehmer, der nach der für ihn geltenden Arbeitszeiteinteilung während der Zeit der Wochenendruhe beschäftigt werde, in jeder Kalenderwoche an Stelle der Wochenendruhe Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden. Diese Wochenruhe habe einen ganzen Wochentag einzuschließen. § 22 Abs. 1 ARG lasse Sonderreglungen durch den Kollektivvertrag des Bewachungsgewerbes (in Folge auch: KV) zu §§ 3, 4 und 7 ARG zu, diese seien aber zu konkretisieren. § 22 Abs. 2 ARG normiere, dass die wöchentliche Ruhezeit in einzelnen Wochen 36 Stunden unterschreiten oder ganz unterbleiben dürfe, wenn in einem kollektivvertraglich festgelegten Zeitraum eine durchschnittliche Ruhezeit von 36 Stunden erreicht werde. Eine solche kollektivvertragliche Regelung sei nicht erfolgt, daher könne die Sonderbestimmung für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Betrieben des Bewachungsgewerbes nicht wirksam werden. Somit seien die Regelungen des § 4 ARG anwendbar.
2 In der über die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht brachte die Revisionswerberin vor, §§ 8 und 12 KV normierten, dass eine Änderung der Wochenarbeitszeit und der Wochenruhezeit vorgesehen und möglich sei. Die Wochenarbeitszeit könne demnach auf sechs Tage verteilt werden und die Ruhezeit sei in diesem Fall mit 24 Stunden ausreichend. Es sei zulässig, dass nur ein Ruhetag bestehe, unter der Voraussetzung, dass auch die tägliche Arbeitszeit kürzer sei. Dies sei bei allen Dienstnehmern, zu denen Übertretungen vorgeworfen worden seien, der Fall. Durchrechnungszeitraum sei nach § 8 KV ein Kalendermonat. Die meisten Arbeitnehmer im Unternehmen seien in der Verwendungsgruppe A (Wachdienst) tätig. Darüber hinaus gebe es Arbeitnehmer in der Verwendungsgruppe B1 (Service), C1 (Kontrollordienst) sowie D1 (Revierdienst). Mischverwendung der Arbeitnehmer in den unterschiedlichen Verwendungsgruppen sei zulässig und würde auch gelebt.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis änderte das Verwaltungsgericht den Schuldspruch dahingehend ab, dass die Revisionswerberin in ihrer Funktion als verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 Abs. 2 VStG zur Verantwortung gezogen werde und als jeweilige Strafnorm § 27 Abs. 1 erster Strafsatz ARG zur Anwendung gelange. Der Beschwerde wurde teilweise insofern Folge gegeben, als die Geldstrafen in näher bezeichneter Weise herabgesetzt wurden. Des Weiteren wurde ausgesprochen, dass die Revision unzulässig sei.
In der Begründung wurde, soweit für das gegenständliche Verfahren wesentlich, unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ausgeführt, dass im Beschwerdefall entgegen der Ansicht der Revisionswerberin § 4 ARG „voll“ zur Anwendung komme. Der Kollektivvertrag habe keine Regelungen iSd. § 22 ARG getroffen. § 12 KV sei die einzige Bestimmung, die auf § 22 ARG Bezug nehme, jedoch enthalte sie lediglich die Definition einer Kalenderwoche, bezeichne aber nicht den Durchrechnungszeitraum, innerhalb dessen eine durchschnittliche Ruhezeit von 36 Stunden zu erreichen sei und verweise auch nicht auf § 8 KV.
4 Gegen dieses Erkenntnis, mit Ausnahme der Bestätigung des erstinstanzlichen Spruchpunktes A.) 23., richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der das Verwaltungsgericht die Verfahrensakten vorlegte. Die belangte Behörde verzichtete auf die Erstattung einer Revisionsbeantwortung.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 1. Die Revision ist - entgegen der im Wesentlichen nur den Gesetzeswortlaut wiedergebenden und damit unzureichend begründeten Auffassung des Verwaltungsgerichts - aus den von ihrer Zulässigkeitsbegründung genannten Gründen (Fehlen von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu den vorliegend relevanten, näher ausgeführten, Rechtsfragen) zulässig. Sie ist im Ergebnis auch begründet.
7 2.1. § 129 der Gewerbeordnung 1994 in der vorliegend maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 212/2013 (GewO 1994) lautet auszugsweise:
„Sicherheitsgewerbe (Berufsdetektive, Bewachungsgewerbe)
§ 129. (1) ...
...
(4) Einer Gewerbeberechtigung für das Bewachungsgewerbe (§ 94 Z 62) unterliegt die Bewachung von Betrieben, Gebäuden, Anlagen, Baustellen, Grundstücken und von beweglichen Sachen sowie der Betrieb von Notrufzentralen.
(5) Zu den im Abs. 4 genannten Tätigkeiten gehören insbesondere auch folgende Tätigkeiten:
...“
8 2.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Arbeitsruhegesetzes, BGBl. Nr. 144/1983 idF. BGBl. I Nr. 71/2013, (ARG) lauten auszugsweise:
„Wochenendruhe
§ 3. (1) Der Arbeitnehmer hat in jeder Kalenderwoche Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden, in die der Sonntag zu fallen hat (Wochenendruhe).
...
Wochenruhe
§ 4. Der Arbeitnehmer, der nach der für ihn geltenden Arbeitszeiteinteilung während der Zeit der Wochenendruhe beschäftigt wird, hat in jeder Kalenderwoche an Stelle der Wochenendruhe Anspruch auf eine ununterbrochene Ruhezeit von 36 Stunden (Wochenruhe). Die Wochenruhe hat einen ganzen Wochentag einzuschließen.
...
Sonderbestimmungen für Arbeitnehmer in Betrieben des Bewachungsgewerbes
§ 22. (1) Für Arbeitnehmer in Betrieben des Bewachungsgewerbes im Sinne des § 129 Abs. 4 GewO 1994 kann durch Kollektivvertrag die wöchentliche Ruhezeit und die Ruhezeit an Feiertagen abweichend von den §§ 3, 4 und 7 geregelt werden.
(2) 1. Die wöchentliche Ruhezeit darf in einzelnen Wochen 36 Stunden unterschreiten oder ganz unterbleiben, wenn in einem kollektivvertraglich festgelegten Zeitraum eine durchschnittliche Ruhezeit von 36 Stunden erreicht wird. Zur Berechnung dürfen nur mindestens 24stündige Ruhezeiten herangezogen werden.
2. ...
...
Strafbestimmungen
§ 27. (1) Arbeitgeber, die den §§ 3, 4, 5 Abs. 1 und 2, §§ 6, 6a, 7, 8 und 9 Abs. 1 bis 3 und 5 oder den §§ 10 bis 22b, 22c zweiter Satz, 22f sowie 24 bis 25a zuwiderhandeln, sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 2 180 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 2 180 Euro zu bestrafen.
...“
9 2.3. Der Kollektivvertrag für Wachorgane im Bewachungsgewerbe betreffend das Arbeits- und Lohnverhältnis für Arbeiter und Arbeiterinnen im Bewachungsgewerbe, abgeschlossen zwischen der Wirtschaftskammer Österreich, Fachverband der gewerblichen Dienstleister, einerseits und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft vida, andererseits, gliedert sich in drei Teile, und zwar den Allgemeinen Teil (§§ 1 bis 3), den Arbeitsrechtlichen Teil (§§ 4 bis 20) und den Lohnrechtlichen Teil (§§ 21 bis 30) sowie drei Anhänge. Der gegenständlich relevante „Arbeitsrechtliche Teil“ wiederum enthält zunächst Bestimmungen zur Art der Arbeit (§§ 4 bis 7) und anschließend zu Arbeits- und Ruhezeiten (§§ 8 bis 12) sowie zu sonstigen Ansprüchen (§§ 13 bis 20). Er lautet in der Fassung vom 1. Jänner 2014 auszugsweise:
„§ 4 Verwendungsgruppen und Dienstarten
Bei der Aufnahme eines Wachorgans ist ausdrücklich zu vereinbaren, in welcher Verwendungsgruppe dieses beschäftigt wird. Bestehen innerhalb einer Verwendungsgruppe mehrere Dienstarten, wird mit der Einordnung in diese Verwendungsgruppe die Beschäftigung in sämtlichen Dienstarten der betreffenden Verwendungsgruppe durch Anordnung des Arbeitgebers möglich. Beschäftigungen in verschiedenen Verwendungsgruppen (Mehrfachverwendung) sind möglich, wenn dies bei Eintritt des Wachorgans schriftlich vereinbart worden ist. Die spätere Änderung der Verwendungsvereinbarung muss schriftlich erfolgen und bedarf der Zustimmung des Betriebsrates. Die 6 Verwendungsgruppen (A bis F) und die 17 Dienstarten (B1 bis B7, C1 bis C3 und D1 bis D8) lauten:
A - Wachdienst
B - Service und Sicherheitsdienst
B1. Service
...
C - Sonderdienst
C1. Kontrollordienst
...
D - Mobiler Dienst
D1. Revierdienst
...
§ 8 Allgemeine Bestimmungen zur Arbeitszeit
(1) Verteilung der Wochenarbeitszeit
Die Wochenarbeitszeit der Vollbeschäftigten ist auf 4 oder 5 Tage in der Woche zu verteilen. Unter der Voraussetzung einer kürzeren täglichen Arbeitszeit kann in den Verwendungsgruppen A und E sowie in den Dienstarten B1, B2, B3, C2, C4, D1, D2, D3 und bei Teilzeitbeschäftigung in den Dienstarten D6, D7 und D8 auch an 6 Tagen die Woche gearbeitet werden.
An den Flughäfen Innsbruck und Salzburg darf im ersten Kalenderquartal von Vollbeschäftigten in 9 Kalenderwochen, unter der Voraussetzung einer kürzeren täglichen Arbeitszeit zuschlagsfrei an 6 Tagen in der Woche gearbeitet werden.
(2) Durchrechnungsregelung
1. Zulässigkeit
Für die Beschäftigten in den Verwendungsgruppen A, B, C und F wird eine einheitliche Durchrechnungsregelung angewendet, sofern die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden oder mehr beträgt. Der Durchrechnungszeitraum ist jeweils ein Kalendermonat. Er kann mit Betriebsvereinbarung auf ein Kalenderquartal verlängert werden.
Unzulässig ist die Anwendung der Durchrechnung bei Wachorganen, welche in einer Dienstart der Verwendungsgruppe D (‚Mobiler Dienst‘) oder in der Verwendungsgruppe E (‚Veranstaltungssicherheitsdienst‘) eingesetzt werden. ...
Durchrechnung ist weiters unzulässig bei allen teilzeitbeschäftigten Wachorganen. Als teilzeitbeschäftigt ist ein Wachorgan dann anzusehen, wenn - unabhängig von der Verwendungsgruppe - das Ausmaß der vereinbarten wöchentlichen Arbeitszeit weniger als 40 Stunden beträgt.
Die Anwendung der Durchrechnungsregelung ist auch im Falle der Mehrfachverwendung zulässig.
Die Durchrechnung erfolgt nach den Bestimmungen dieses Kollektivvertrags.
2. Mehrarbeit
...
3. Überstunden
...
4. Zeitausgleich für Mehrarbeit
...
5. Entgeltregelungen
...
(3) ...
...
§ 12 Ruhe- und Feiertage
Allen Wachorganen gebühren innerhalb des Zeitraumes einer Kalenderwoche zwei Ruhetage, welche nicht auf einen gesetzlichen Feiertag fallen sollen. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat können zwei Ruhetage getrennt gewährt werden.
Unter der Voraussetzung einer kürzeren täglichen Arbeitszeit gebührt in den Verwendungsgruppen A und E, in der Verwendungsgruppe F unter den Voraussetzungen gemäß § 8 Abs. 1, 2. Absatz, sowie in den Dienstarten B1, B2, B3, B7 C2, C3, D1, D2, D3, und für Teilzeitbeschäftigte in den Dienstarten D6, D7 und D8 nur ein Ruhetag, wenn die für Vollbeschäftigte zulässige Wochenarbeitszeit auf sechs Tage aufgeteilt wird.
Die Kalenderwoche wird jeweils von Montag bis Sonntag bemessen.
Gemäß § 22 ARG kann zur Aufrechterhaltung der ordnungsgemäßen Bewachung eine finanzielle Abgeltung der Ersatzruhe vorgenommen werden. Die finanzielle Abgeltung erfolgt dadurch, dass für Arbeiten an wöchentlichen Ruhetagen ein Zuschlag von 100 % zum Normallohn (inklusive der Zulagen gemäß § 22, 23 und 24 dieses Kollektivvertrags) vergütet wird.
...“
10 3. Unstrittig ist, dass die Revisionswerberin Geschäftsführerin eines Unternehmens, das das Bewachungsgewerbe im Sinne des § 129 Abs. 4 GewO 1994 ausübt, und verantwortliche Beauftragte gemäß § 9 Abs. 2 VStG für Belange wie die vorliegenden ist. Weiters unstrittig ist, dass der Kollektivvertrag für Wachorgane im Bewachungsgewerbe anzuwenden ist.
11 3.1. § 22 ARG ist eine Spezialnorm für Arbeitnehmer in Betrieben des Bewachungsgewerbes im Sinne des § 129 Abs. 4 GewO 1994. § 22 Abs. 1 ARG stellt eine Abweichungsermächtigung zu den §§ 3, 4 und 7 ARG dar. § 22 Abs. 2 ARG präzisiert den Rahmen für die möglichen Abweichungen von der wöchentlichen Ruhezeit. Die Abweichungen dürfen nicht über diesen Rahmen hinausgehen (Schrank, Arbeitszeit Kommentar4 § 22 ARG Rz 2, ebenso: Lutz/Heilegger: ARG5 § 22 Rz 5).
12 § 22 Abs. 2 ARG sieht in Z 1 für die wöchentliche Ruhezeit von 36 Stunden eine Abweichung von § 4 ARG unter zwei Voraussetzungen vor, nämlich dass im Kollektivvertrag ein Durchrechnungszeitraum festgelegt wird und dass in diesem durchschnittlich 36 Stunden an Ruhezeit erreicht werden (zu deren Berechnung nur mindestens 24stündige Ruhezeiten herangezogen werden dürfen). Sofern diese Voraussetzungen aber im Kollektivvertrag nicht oder nicht vollständig im Sinne des § 22 ARG erfüllt werden, ist weiterhin § 4 ARG maßgeblich. Zu prüfen ist daher, ob der gegenständliche Kollektivvertrag diese Anforderungen erfüllt.
13 3.2. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen. Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann. Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, müssen sich darauf verlassen können, dass die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat, weshalb für sie nur der in der Norm objektiv erkennbare Wille des Normgebers maßgebend ist. Bei der Auslegung von Kollektivverträgen ist daher in erster Linie der Wortsinn, auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen, zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen, wobei zu unterstellen ist, dass diese eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen, um einen Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeizuführen, sowie eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (vgl. VwGH 31.8.2015, Ro 2015/11/0013, mit zahlreichen Nachweisen zur Judikatur des OGH).
14 3.3. Bei Beachtung dieser Auslegungsmaximen ergibt sich für den gegenständlichen Kollektivvertrag, dass dieser - entgegen der im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Ansicht - eine Durchrechnungsregelung iSd. § 22 ARG enthält. So bestimmt § 8 KV in seinem Abs. 2 Z 1, dass „für die Beschäftigten in den Verwendungsgruppen A, B, C und F ... eine einheitliche Durchrechnungsregelung angewendet“ wird und Durchrechnungszeitraum grundsätzlich ein Kalendermonat ist. Abgesehen vom Wortlaut der Bestimmung, der eine Anwendung der Durchrechnungsregel auf Ruhezeiten keineswegs verbietet, spricht vor allem die Systematik des Kollektivvertrags für eine Geltung der Durchrechnungsregel für Arbeitszeiten im weiteren Sinn, somit auch für die begleitenden Ruhezeiten.
15 Wie bereits unter Punkt 2.3. dargestellt, gliedert sich der Kollektivvertrag in drei Teile, deren zweiter, der gegenständlich relevante „Arbeitsrechtliche Teil“, zunächst Bestimmungen zur Art der Arbeit (§§ 4 bis 7) und anschließend zu Arbeits- und Ruhezeiten (§§ 8 bis 12) sowie zu sonstigen Ansprüchen (§§ 13 bis 20) enthält. Am Beginn der Regelung von Arbeits- und Ruhezeiten steht der mit „Allgemeine Bestimmungen zur Arbeitszeit“ übertitelte § 8, der in seinem Abs. 1 die „Verteilung der Wochenarbeitszeit“ regelt und in Abs. 2 eine detaillierte (in fünf Ziffern untergliederte) Durchrechnungsregel enthält.
16 Die Stellung der Bestimmung am Beginn des Abschnitts über Arbeits- und Ruhezeiten und ihre Bezeichnung als „allgemein“ spricht für die Absicht der Kollektivvertragsparteien, § 8 nicht isoliert nur für Arbeitszeiten im engeren Sinn, sondern insgesamt gelten zu lassen. Für diese Auffassung spricht auch, dass es sich bei Regelungen über Ruhezeiten um Bestimmungen zur Arbeitszeit im weiteren Sinn (Zeiten, in denen nicht gearbeitet werden darf) handelt.
17 Der in Rede stehende Kollektivvertrag enthält demnach eine Durchrechnungsregel iSd. § 22 ARG, nämlich § 8 Abs. 2, der sich auch auf die in § 12 geregelten Ruhetage bezieht.
18 3.4. Da somit die erste Voraussetzung des § 22 Abs. 2 Z 1 ARG für eine Abweichung von § 4 ARG, nämlich die Festlegung eines Durchrechnungszeitraums, im Kollektivvertrag erfüllt ist, bliebe nur mehr zu prüfen, ob im vorliegenden Fall im (grundsätzlich einen Kalendermonat umfassenden) Durchrechnungszeitraum eine durchschnittliche Ruhezeit von 36 Wochenstunden erreicht wurde.
19 Dazu wären jedoch Feststellungen zu den Zeiträumen vor und nach den jeweils inkriminierten Kalenderwochen notwendig, welche das Verwaltungsgericht - offenbar aufgrund seiner unzutreffenden Rechtsauffassung, § 4 ARG gelange mangels einer Durchrechnungsregel im Kollektivvertrag „voll“ zur Anwendung - nicht getroffen hat.
20 4. Da dieser Begründungsmangel auf einer unzutreffenden Beurteilung der Rechtslage beruht, war das Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
21 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
22 6. Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht durchgeführte mündliche Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 17. Oktober 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016110093.L00Im RIS seit
04.06.2021Zuletzt aktualisiert am
07.06.2021