TE Vfgh Erkenntnis 1995/6/19 G10/95

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Veröffentlicht am 19.06.1995
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
ÄrzteG §13 Abs2

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit des Verbots einer gleichzeitigen Ausübung des Berufes als praktischer Arzt und als Facharzt

Spruch

Der erste und der zweite Satz des §13 Abs2 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1984 - ÄrzteG), Anlage 1 der Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 14. September 1984, BGBl. Nr. 373/1984, mit der das Ärztegesetz wiederverlautbart wird, idF BGBl. Nr. 314/1987, waren verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B56/93 eine Beschwerde eines Facharztes für Kinderheilkunde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 15. Juli 1992 anhängig, mit welchem der Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers auf zusätzliche Eintragung in die Ärzteliste als Arzt für Allgemeinmedizin mit der Begründung abgewiesen wurde, daß die gleichzeitige Eintragung in die Liste der praktischen Ärzte und der Fachärzte unmöglich sei.

Aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens hat der Verfassungsgerichtshof Stellungnahmen des Bundesministers für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz, der Ärztekammer für Salzburg und des Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen eingeholt.

1.2. Bei der Beratung über die Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des ersten und des zweiten Satzes des §13 Abs2 des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1984 - ÄrzteG), Anlage 1 der Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Gesundheit und Umweltschutz vom 14. September 1984, BGBl. Nr. 373/1984, mit der das Ärztegesetz wiederverlautbart wird, idF BGBl. Nr. 314/1987, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluß vom 12. Oktober 1994, B56/93-20, ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften eingeleitet.

2.1. Die §§12 und 13 des ÄrzteG, letzterer idF BGBl. Nr. 314/1987, - die in Prüfung gezogenen Sätze sind hervorgehoben - lauten:

"§12. Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als praktischer Arzt erfüllt haben (§3 Abs2 und 3 sowie §11), sind zur selbständigen Ausübung einer allgemeinärztlichen Berufstätigkeit als praktischer Arzt berechtigt, gleichgültig, ob diese Berufstätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt wird.

§13. (1) Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde erfüllt haben (§3 Abs2 und 4 sowie §11), sind zur selbständigen Ausübung einer ärztlichen Berufstätigkeit als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach berechtigt.

(2) Fachärzte haben ihre ärztliche Berufstätigkeit auf ihr Sonderfach zu beschränken. Dies gilt nicht für Tätigkeiten im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung im Sinne der §§22 ff des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972. Fachärzte eines klinischen Sonderfaches dürfen unter den Voraussetzungen des §15 a in organisierten Notarztdiensten (Notarztwagen bzw. Notarzthubschrauber) fächerüberschreitend tätig werden.

(3) ... Die Bewilligung ist zurückzunehmen, wenn der für die Erteilung maßgebend gewesene Bedarf nicht mehr vorhanden ist. Gegen den Bescheid der Österreichischen Ärztekammer steht die Berufung an den Landeshauptmann offen, in dessen Bereich die Tätigkeit ausgeübt werden soll."

Die ersten beiden Sätze des §13 Abs3 leg.cit., BGBl. Nr. 373/1984 idF BGBl. Nr. 314/1987, lautend

"Die Ausübung der Facharzttätigkeit auf mehr als einem Sonderfach bedarf der Bewilligung der Österreichischen Ärztekammer. Eine solche Bewilligung darf nur einem freiberuflich tätigen Facharzt erteilt werden, wenn eine ausreichende fachärztliche Betreuung der Bevölkerung in dem für die Ausübung des betreffenden Sonderfaches in Aussicht genommenen Ort und dessen Einzugsgebiet nicht gewährleistet ist.",

wurden mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1993, G23/93, als verfassungswidrig aufgehoben.

2.2. Mit dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 100/1994 wurde das ÄrzteG 1984 novelliert. Dabei wurden seine §§12 und 13 wie folgt neu gefaßt:

"§12. Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin (§§3 Abs2 bis 4, 3 a Abs1, 11 a sowie 18 a Abs2) oder als approbierter Arzt (§§3 a, 3 c, 11 a sowie 18 a Abs1) erfüllt haben, sind zur selbständigen Ausübung einer allgemeinärztlichen Berufstätigkeit als Arzt für Allgemeinmedizin oder als approbierter Arzt berechtigt, gleichgültig, ob diese Berufstätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt wird.

§13. (1) Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde erfüllt haben (§§3 Abs2, 3 und 5, 3 b, 3 c sowie 11 a), sind zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach berechtigt, gleichgültig, ob diese Berufstätigkeit freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausgeübt wird.

(2) Fachärzte haben ihre ärztliche Berufstätigkeit auf ihr Sonderfach zu beschränken. Dies gilt nicht für Tätigkeiten im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung im Sinne der §§22 ff. des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972, und für Fachärzte, die unter den Voraussetzungen des §15 a in organisierten Notarztdiensten (Notarztwagen bzw. Notarzthubschrauber) fächerüberschreitend tätig werden."

Diese Vorschriften traten gemäß ArtIII Abs1 des Bundesgesetzes, mit dem das Ärztegesetz 1984 geändert wird, BGBl. Nr. 100/1994, iVm dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. Nr. 909/1993, S. 7664, am 1. Jänner 1994 in Kraft.

2.3. Gemäß §20 Abs1 der Ärzte-Ausbildungsordnung, BGBl. Nr. 152/1994, ist die Ausbildung zum Facharzt eines Sonderfaches auf folgenden Gebieten der Heilkunde möglich:

"1. Anästhesiologie und Intensivmedizin;

2.

Anatomie;

3.

Arbeits- und Betriebsmedizin;

4. Augenheilkunde und Optometrie;

5.

Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin;

6.

Chirurgie;

7.

Frauenheilkunde und Geburtshilfe;

8.

Gerichtsmedizin;

9.

Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten;

10.

Haut- und Geschlechtskrankheiten;

11.

Histologie und Embryologie;

12.

Hygiene und Mikrobiologie;

13.

Immunologie;

14.

Innere Medizin;

15.

Kinderchirurgie;

16.

Kinder- und Jugendheilkunde;

17.

Lungenkrankheiten;

18.

Medizinische Biologie;

19.

Medizinische Biophysik;

20.

Medizinische und Chemische Labordiagnostik;

21.

Medizinische Leistungsphysiologie;

22.

Medizinische Radiologie-Diagnostik;

23.

Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie;

24.

Neurobiologie;

25.

Neurochirurgie;

26.

Neurologie;

27.

Neuropathologie;

28.

Nuklearmedizin;

29.

Orthopädie und Orthopädische Chirurgie;

30.

Pathologie;

31.

Pathophysiologie;

32.

Pharmakologie und Toxikologie;

33.

Physikalische Medizin;

34.

Physiologie;

35.

Plastische Chirurgie;

36.

Psychiatrie;

37.

Sozialmedizin;

38.

Spezifische Prophylaxe und Tropenhygiene;

39.

Strahlentherapie-Radioonkologie;

40.

Tumorbiologie;

41.

Unfallchirurgie;

42.

Urologie;

43.

Virologie;

44.

Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde."

3.1. Der Verfassungsgerichtshof ging in seinem Einleitungsbeschluß davon aus, daß der erste der beiden in Prüfung gezogenen Sätze von der belangten Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendet wurde und daß auch er ihn bei der Beurteilung der vorliegenden Beschwerde werde anzuwenden haben. Weiters war der Verfassungsgerichtshof der Ansicht, daß der für Betriebsärzte geltende zweite Satz des §13 Abs2 leg.cit. zwar nicht angewendet wurde, aber in einem solchen sprachlichen Konnex zu dem in Prüfung gezogenen ersten Satz stehe, daß er im Falle der Aufhebung dieses Satzes ebenfalls müsse aufgehoben werden, da seine Belassung im Rechtsbestand eine wesentliche Sinnveränderung der in §13 Abs1 und 2 ÄrzteG getroffenen Regelung bewirke. Würde nämlich nur der erste Satz der zitierten Vorschrift aufgehoben, nicht aber auch der zweite Satz, bezögen sich dessen einleitende Wörter "Dies gilt nicht" nicht (mehr) auf die dann aufgehobene Bestimmung, sondern auf die Regelung des §13 Abs1 ÄrzteG. Damit würde aber für Betriebsärzte die durch den zweiten Satz des §13 Abs2 leg.cit. verfügte Aufhebung der im ersten Satz angeordneten Beschränkung von Fachärzten auf ihr Sonderfach zu einem Verbot der im Abs1 des §13 enthaltenen Ermächtigung für Fachärzte zur selbständigen Berufstätigkeit in ihrem Sonderfach. Es schien dem Verfassungsgerichtshof daher, daß die in Prüfung gezogenen Sätze sprachlich untrennbar miteinander verbunden seien.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof hegte gegen den ersten Satz des §13 Abs2 ÄrzteG das Bedenken, daß dieser gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und das durch Art6 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verstoße. Er scheine nämlich festzulegen, daß Ärzten eine gleichzeitige Ausübung des Berufes als praktischer Arzt und als Facharzt untersagt ist, je nachdem, ob diese als praktischer Arzt oder als Facharzt in die Ärzteliste (§11 ÄrzteG idF BGBl. Nr. 314/1987) eingetragen sind. Hinsichtlich der Frage nach der sachlichen Rechtfertigung für ein solches Verbot führte der Verfassungsgerichtshof aus:

"Die eingeholten Stellungnahmen stützen die Unvereinbarkeit einer gleichzeitigen Berufsausübung als praktischer Arzt und als Facharzt darauf, daß aus medizinisch-fachlicher Sicht wohl gegen die Kombination von zwei oder mehreren Sonderfächern der Heilkunde grundsätzlich kein Einwand bestehe, weil das Charakteristikum der Sonderfächer in der wissenschaftlichen Konzentration auf jeweils ein enges Aufgabenspektrum liege und den Sonderfächern der Heilkunde grundsätzlich der gleiche Behandlungsansatz und die gleiche Arbeitsmethodik zugrundeliege; bei der Allgemeinmedizin handle es sich demgegenüber nicht um ein eng abgegrenztes Spezialgebiet, sondern um ein eigenständiges, auf ein breites Aufgabengebiet ausgerichtetes medizinisches Wissenschaftsgebiet, dem im Verhältnis zu den Sonderfächern auch ein eigenständiger Behandlungsansatz und eine eigenständige Methodik zugrunde liege.

Der Verfassungsgerichtshof hegt Zweifel, daß diese Sicht allgemein ohne Rücksicht darauf zutrifft, welche fachärztliche Tätigkeit ein Arzt gleichzeitig als Praktiker und als Facharzt ausüben will. Wie die oben wiedergegebene, in §20 Abs1 der Ärzte-Ausbildungsordnung, BGBl. Nr. 152/1994, enthaltene Liste von Fachärzten zeigt, spricht zumindest bei einigen fachärztlichen Berufsausübungen - so zB im Anlaßfall bei der Tätigkeit als Facharzt für Kinderheilkunde - vieles dafür, daß die bisher dem Verfassungsgerichtshof vorgetragenen Argumente keine sachliche Rechtfertigung für das in Prüfung gezogene Verbot einer gleichzeitigen Ausübung des ärztlichen Berufes als praktischer Arzt und als Facharzt sein dürften.

Immerhin war eine gleichzeitige Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt in mehreren Fächern trotz unterschiedlicher Berufsrichtungen - wenn auch bedingt durch das Vorliegen eines Bedarfes nach dem ÄrzteG 1984 - schon vor dem Ergehen des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1993, G23/93 (also bereits auch vor der ÄrzteG-Novelle BGBl. Nr. 100/1994), zulässig. Dem Verfassungsgerichtshof ist nicht erkennbar, warum eine gleichzeitige fachärztliche Berufstätigkeit auf nichtverwandten Gebieten zulässig, die gleichzeitige Ausübung der Berufstätigkeit als Praktiker und als Facharzt auf 'verwandten' Gebieten jedoch nicht möglich und sinnvoll sein sollte."

4. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet und den Antrag gestellt, die in Prüfung gezogene Vorschrift nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Für den Fall der Aufhebung begehrt sie, für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen. Den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hält die Bundesregierung in ihrer Äußerung folgendes entgegen:

"Ausgangspunkt der Überlegungen des Verfassungsgerichtshofes ist eine Deutung des ersten Satzes des §13 Abs2 des Ärztegesetzes 1984, wonach Ärzten eine gleichzeitige Ausübung des Berufes als praktischer Arzt (Arzt für Allgemeinmedizin) und als Facharzt untersagt ist. Dieses Verständnis scheint auch dem Bescheid der Ärztekammer vom 21. April 1992 und dem Berufungsbescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 15. Juli 1992, Z3/06-50.054/46-1992, zugrundezuliegen.

Diese Interpretation des ersten Satzes des §13 Abs2 leg.cit. ist aber - wenngleich die Bundesregierung nicht übersieht, daß sich die bisherige Vollziehungspraxis daran orientiert - nicht zwingend. Vielmehr wird diese Bestimmung als eine Ordnungsvorschrift zu deuten sein, die dem Facharzt verbietet, im Rahmen seiner Berufstätigkeit fachfremde Methoden, Untersuchungen oder Behandlungen anzuwenden. Der Facharzt soll demnach nur diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden anwenden, die von seiner vorangehenden spezifischen Ausbildung in einem Sonderfach erfaßt sind. Für diese Deutung sprechen die folgenden Argumente:

1. Der (erste) in Prüfung gezogene Satz folgt auf die in §13 Abs1 ÄrzteG vorgesehene Regelung, nach der Ärzte, die die Erfordernisse des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde erfüllt haben, zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach berechtigt sind. Dem in Prüfung gezogenen Satz dürfte daher zunächst die Funktion zukommen, diese Anordnung insoweit zu vervollständigen oder zu ergänzen, als sonderfachfremde ärztliche Tätigkeiten untersagt werden. Auch der (vom Prüfungsbeschluß ebenfalls erfaßte) zweite Satz sowie der dritte Satz des §13 Abs2 ÄrzteG scheinen diese Deutung zu untermauern, weil sie in unmittelbarer Folge auf den ersten Satz Ausnahmen davon normieren und sich dabei nicht auf andere fachärztliche Tätigkeiten in einem Sonderfach, sondern auf zwei spezifische ärztliche Tätigkeitsbereiche, die ihrer Natur nach fachübergreifend sind, beziehen. (Angemerkt wird, daß sich der zweite Satz des §13 Abs2 ÄrzteG nicht auf die Berufstätigkeit als Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin bezieht und der dritte Satz dieser Bestimmung Tätigkeiten betrifft, die keinem eigenen Sonderfach entsprechen und schon nach dem Wortlaut der Regelung 'fächerüberschreitend' sind.) Daraus folgend ist aber naheliegend, §13 Abs1 erster Satz ÄrzteG als eine die fächerüberschreitende Tätigkeit von Fachärzten untersagende Norm zu verstehen.

2. In seiner Deutung in den oz. Bescheiden der Österreichischen Ärztekammer bzw. des Landeshauptmannes von Salzburg würde der erste Satz des §13 Abs2 ÄrzteG dem davor stehenden §12 leg.cit. insoweit derogieren, als Ärzte, die die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin erfüllt haben, diesen Beruf dann nicht ausüben dürfen, wenn sie den ärztlichen Beruf als Facharzt in einem Sonderfach bereits ausüben. Hätte der Gesetzgeber diese Wirkung tatsächlich erzielen wollen, so hätte er doch zur Vermeidung dieses offensichtlichen Normwiderspruchs in §12 eine Wortfolge inkludiert, die auf die Einschränkung in §13 Abs2 Bezug nimmt und damit klarstellt, daß eine solche Einschränkung bewußt vorgesehen ist.

3. Versteht man den zweiten Satz des §13 Abs2 ÄrzteG in dem in Pkt. 2 wiedergegebenen Sinn, so hat das zur Folge, daß auch die Ausübung zweier fachärztlicher Berufstätigkeiten durch ein und denselben Arzt dann nicht zulässig wäre, wenn dieser Arzt die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für zwei Sonderfächer der Heilkunde erfüllt hat und somit gemäß §13 Abs1 leg.cit. beide Berufe ausüben dürfte. Aus dem Wortlaut des §13 Abs2 erster Satz leg.cit. ist nämlich nicht ableitbar, daß der Gesetzgeber zwischen der zusätzlichen Betätigung eines Facharztes als Arzt für Allgemeinmedizin einerseits und Facharzt auf einem zweiten Sonderfach andererseits neben einer eigentlichen fachärztlichen Tätigkeit unterscheiden wollte. Dies kann aber der inkriminierten Bestimmung schon deshalb nicht unterstellt werden, weil damit eine noch restriktivere Regelung - nämlich Verbot - der Betätigung von Fachärzten auf mehreren Fachgebieten gelten würde, als vor dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1993, G23/93. Mit diesem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof eine Regelung als mit dem Grundrecht auf Erwerbsausübungsfreiheit gemäß Art6 StGG unvereinbar aufgehoben, weil sie die gleichzeitige Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt in mehreren Fächern davon abhängig gemacht hat, ob ein Bedarf nach dem Ärztegesetz 1984 besteht. Nach Ansicht der Bundesregierung kann aber dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er auf das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes mit der Ärztegesetz-Novelle BGBl. Nr. 100/1994 mit einer deutlich verfassungwidrigen Regelung reagiert hat, nach der die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt in mehreren Sonderfächern gleichzeitig gänzlich verboten wäre.

4. Der nunmehrige Wortlaut des §13 Abs2 erster Satz leg.cit. wurde mit dem Bundesgesetz BGBl. Nr. 50/1964 als §2k erlassen. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 362 BlgNR X. GP, (vgl. Seite 27) beschreiben die Berufsausübung des praktischen Arztes als allgemeinärztliche Tätigkeit auf allen Fachgebieten. Nichts deutet darauf hin, daß der Gesetzgeber diesen Ärzten die Berufsausübung als Facharzt auf einem Sonderfach trotz besonderer Spezialisierung bzw. Ausbildung auf diesem Sonderfach verbieten wollte. Einen so gravierenden Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit der Ärzte hätte der Gesetzgeber wohl ausdrücklich angeordnet oder wäre zumindest zu erwarten, daß diese Regelungsabsicht in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage angesprochen worden wäre. Aus diesen Erläuterungen scheint aber demgegenüber ableitbar zu sein, daß die damals intendierte Neuregelung primär das Verhältnis der Fachärzte verschiedener Sonderfächer untereinander betreffen sollte, weil die Sonderfachbeschränkung von Fachärzten in den Erläuternden Bemerkungen nur in ihrem Zusammenhang gegenüber anderen Sonderfächern erwähnt wird.

5. Aus den bisherigen Ausführungen erhellt, daß dem Wortlaut des §13 Abs2 erster Satz ÄrzteG keineswegs eindeutig der Inhalt zu entnehmen ist, der ihm in den oz. Bescheiden der österreichischen Ärztekammer und des Landeshauptmannes von Salzburg unterstellt wird. Auch wenn man die oben angebotenen Deutungen als nicht völlig gesichert ansehen wollte, so scheint nicht zu bestreiten zu sein, daß der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes Zweifel am Auslegungsergebnis der erwähnten Behörden gerechtfertigt erscheinen lassen. Erscheint aber ein Gesetzestext in verschiedener Weise auslegbar, so engt sich die Wahl auf jene Auslegung ein, die das Gesetz verfassungskonform erscheinen lassen (vgl. etwa VfSlg. 11466/1987). Das ist aber jedenfalls die in den Punkten 1. bis 4. erörterte Interpretation, die somit vorzuziehen wäre.

6. Schließlich weist die Bundesregierung noch darauf hin, daß es sich beim §13 Abs2 erster Satz ÄrzteG - wie schon eingangs bemerkt - um eine wesentliche gesundheitspolitische Ordnungsvorschrift im Interesse der Patienten handelt, die den Bereich des zulässigen fachärztlichen Handelns klar eingrenzt und Verletzungen unter Strafe stellt (vgl. §108 Abs2 in Verbindung mit §13 Abs2 ÄrzteG). Ohne eine solche präventive Regelung wäre die Eingrenzung erst nach einem Schadensfall, in einem allfälligen Straf- oder Zivilprozeß, vorzunehmen. Einer solchen ex post wirkenden, am Grundsatz der Einlassungsfahrlässigkeit orientierten Konstruktion ist aber die vorliegende, als Verwaltungsübertretung konstruierte, das Wohl der Patienten vor fachfremder Selbstüberschätzung des Arztes schützende Regelung vorzuziehen."

5. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

5.1. Im Gesetzesprüfungsverfahren ist weder vorgebracht worden noch sonst hervorgekommen, daß die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Beschwerde und die Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen unzutreffend wären. Da alle Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

5.2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes treffen zu.

5.2.1. Der Verfassungsgerichtshof nahm in seinem Einleitungsbeschluß an, daß der erste Satz des §13 Abs2 ÄrzteG Ärzten die gleichzeitige Ausübung ihres Berufes als praktischer Arzt und als Facharzt zu untersagen scheine. Ausgehend von dieser Prämisse erschien dem Verfassungsgerichtshof in weiterer Folge die sachliche Rechtfertigung für ein solches Verbot einer gleichzeitigen Ausübung des ärztlichen Berufes als praktischer Arzt und als Facharzt zweifelhaft.

5.2.2. Die Bundesregierung wendet sich in ihrer Äußerung lediglich gegen die Prämisse der Bedenken des Verfassungsgerichtshofes und versucht darzutun, daß der erste Satz des §13 Abs2 ÄrzteG als Ordnungsvorschrift zu deuten sei, "die dem Facharzt verbietet, im Rahmen seiner Berufstätigkeit fachfremde Methoden, Untersuchungen oder Behandlungen anzuwenden." Sie schreibt ihm insofern die Funktion der Vervollständigung oder Ergänzung des §13 Abs1 ÄrzteG zu, welcher Regelung zufolge Ärzte, die die Erfordernisse des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde erfüllt haben, zur selbständigen Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach berechtigt sind.

Diese Deutung der in Prüfung gezogenen Regelung ist jedoch verfehlt. Aus §13 Abs1 ÄrzteG ergibt sich nämlich, daß die Berechtigung zur Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein Sonderfach der Heilkunde die Erfüllung sowohl der allgemeinen Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als auch die Erfüllung der für das jeweilige Sonderfach spezifischen Erfordernisse voraussetzt. Daraus aber folgt im Umkehrschluß, daß dann, wenn die Erfordernisse für die Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für ein bestimmtes Sonderfach der Heilkunde nicht erfüllt sind, der ärztliche Beruf als Facharzt auf diesem Teilgebiet der Heilkunde als Sonderfach mangels Berechtigung nicht ausgeübt werden darf. Das aber heißt, daß der - in Prüfung gezogene - erste Satz des §13 Abs2 ÄrzteG, der die Beschränkung der ärztlichen Berufstätigkeit von Fachärzten auf deren jeweiliges Sonderfach verfügt, dann, wenn man ihn im Sinne der Argumentation der Bundesregierung verstehen wollte, nur in schärferer Form wiederholen würde, was bereits durch die Vorschrift des §13 Abs1 ÄrzteG zum Ausdruck gebracht wird. Will man aber dem Gesetzgeber nicht Redundanz unterstellen, so kann die ausdrückliche Anordnung des §13 Abs2 erster Satz ÄrzteG, daß Fachärzte ihre ärztliche Berufstätigkeit auf ihr Sonderfach zu beschränken haben, nur dahin verstanden werden, daß ihr normativer Gehalt über die Vorschrift des §13 Abs1 leg.cit. hinausgeht und dem Facharzt nicht nur verbietet, in einem anderen Sonderfach der Heilkunde als demjenigen, für welches er die Erfordernisse zur Ausübung des ärztlichen Berufes erfüllt hat, tätig zu werden, sondern daß sie ihm auch im Falle, daß die einschlägigen Erfordernisse erfüllt sind, die Ausübung des ärztlichen Berufes als Arzt für Allgemeinmedizin untersagt.

Dieses Ergebnis wird entgegen der Auffassung der Bundesregierung durch den zweiten und dritten Satz des §13 Abs2 ÄrzteG nicht widerlegt, sondern bestätigt. Diese, eine Ausnahme von der Beschränkung des §13 Abs2 erster Satz leg.cit. normierenden Sätze haben zwar, wie die Bundesregierung zutreffend ausführt, ärztliche Tätigkeitsbereiche zum Gegenstand, die nach ihrer Natur fächerüberschreitend sind. Aber sowohl bei Tätigkeiten im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung als auch bei Notarztdiensten ist die Annahme, daß es ausschließlich zu sonderfachspezifischen Tätigkeiten kommt, nicht zwingend. Denn gerade im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung fallen nach den einschlägigen Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes 1972 (im folgenden: ASchG), auf welche §13 Abs2 ÄrzteG verweist, Tätigkeiten an, die typischerweise allgemeinärztliche sind, wie etwa die Erste-Hilfe-Leistung bei Unfällen und plötzlichen Erkrankungen sowie die ambulante Nachbehandlung (§22 a Abs5 ASchG) und die Durchführung von Untersuchungen betreffend die gesundheitliche Eignung der Arbeitnehmer für bestimmte Tätigkeiten (§22 a Abs4 iVm §8 ASchG). Legt aber der zweite Satz des §13 Abs2 ÄrzteG fest, daß in einem bestimmten Fall, nämlich in dem der betriebsärztlichen Betreuung, ein Facharzt über die Tätigkeit in seinem Sonderfach hinaus auch - ausnahmsweise - allgemeinärztliche Tätigkeiten verrichten darf, so ist klar, daß eben der erste Satz des zitierten Absatzes Fachärzten generell die Berufsausübung als praktischer Arzt verbietet.

Die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, daß der erste der beiden in Prüfung gezogenen Sätze Ärzten eine gleichzeitige Ausübung des Berufes als praktischer Arzt und als Facharzt untersagt, erweist sich damit allein schon aus diesen Gründen als zutreffend.

Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen dieses Verbot treffen zu. Die Bundesregierung hat gegen sie nichts vorgebracht. Im Verfahren ist auch nichts hervorgekommen, was das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entkräften könnte, daß das in Rede stehende Verbot in undifferenzierter Weise die gleichzeitige Ausübung der Berufstätigkeit als praktischer Arzt und als Facharzt selbst auf "verwandten" Gebieten unmöglich macht, obwohl selbst mehrere fachärztliche Tätigkeiten nebeneinander zulässig sind, und mithin der sachlichen Rechtfertigung entbehrt.

5.3. Die Novellierung des Abs2 des §13 ÄrzteG trat mit 1. Jänner 1994 in Kraft (ArtIII Abs1 des Bundesgesetzes, mit dem das Ärztegesetz 1984 geändert wird, BGBl. Nr. 100/1994, iVm dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, BGBl. Nr. 909/1993, S. 7664), womit die in Prüfung gezogenen Sätze außer Kraft getreten sind.

Es war daher auszusprechen, daß der erste und zweite Satz des §13 Abs2 des ÄrzteG, BGBl. Nr. 373/1984 idF BGBl. Nr. 314/1987, wegen Widerspruches gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig waren.

6. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung dieser Feststellung erfließt aus Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ärzte, Berufsrecht Ärzte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G10.1995

Dokumentnummer

JFT_10049381_95G00010_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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