TE Vwgh Erkenntnis 1997/4/16 96/21/0269

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Veröffentlicht am 16.04.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 8. Jänner 1996, Zl. Fr 4890/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde) wurde festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in Somalia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 9. August 1995 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Sein Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. August 1995 mit der wesentlichen Begründung abgewiesen worden, daß die Furcht vor dem Bürgerkrieg keinen Fluchtgrund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstelle und der Bürgerkrieg keine konkrete individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlung sei. Die Bezirkshauptmannschaft Mattersburg habe den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 11. August 1995 gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 FrG ausgewiesen. Mit weiterem Bescheid vom 14. September 1995 sei festgestellt worden, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer in Somalia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei. In diesem Bescheid sei festgehalten worden, daß der Beschwerdeführer über ausdrückliches Befragen erklärt habe, keinen konkreten Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen in Somalia ausgesetzt oder in Haft gewesen zu sein. Lediglich im Jahre 1992 sei er von Banditen bedroht worden. In Durchsetzung des gegen den Beschwerdeführer bestehenden Ausweisungsbescheides sei versucht worden, ihn in sein Heimatland abzuschieben. Nach einem zweitägigen Aufenthalt am Flughafen in Dubai sei er am 27. Oktober 1995 neuerlich in das Bundesgebiet eingereist. Der Beschwerdeführer sei daraufhin neuerlich gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 FrG ausgewiesen worden. In seinem Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung vom 27. November 1995 habe der Beschwerdeführer auf den Asylantrag und die Einvernahme durch die Bezirkshauptmannschaft Mattersburg hingewiesen. Ergänzend habe er ausgeführt, daß ihm in Dubai der "immigration officer" bestätigt habe, daß er in Mogadischu in größter Gefahr sei. Eine Einreise über einen anderen Flughafen habe nicht vorgenommen werden können.

Der Beschwerdeführer habe in der Berufung gegen den den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung abweisenden erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt, die Behörde hätte umfassende Erkundigungen über Somalia tätigen müssen. Tatsächlich sei Somalia nicht nur ein Bürgerkriegsland und handle es sich bei Mogadischu keineswegs um einen normalen zivilen Flughafen. Dieser Ort werde von rivalisierenden Clans umkämpft und wochenweise von verschiedenen Clans beherrscht.

Der Beschwerdeführer habe anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme im Asylverfahren am 10. August 1995 angegeben, daß er bis zu seiner Ausreise keinen Verfolgungen aus politischen, religiösen, rassischen oder anderen Gründen ausgesetzt gewesen sei. Er sei auch nie in Haft gewesen und nie festgenommen worden. Er habe nur Angst, aufgrund der Stammeskriege in Somalia sein Leben zu verlieren. Im Jahre 1992 sei der Beschwerdeführer von Banditen bedroht worden, welchem Stamm diese angehörten, habe er nicht angeben können. In Somalia herrsche Anarchie und sei ein geordnetes Leben nicht möglich. Die Eltern des Beschwerdeführers gehörten verschiedenen Stämmen an. Aufgrund dieses Vorbringens habe die belangte Behörde eine Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 nicht feststellen können. Die allgemeine durch den Bürgerkrieg hervorgerufene Furcht sei nicht geeignet, die für die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung geforderte Bedrohung durch den Staat zu ersetzen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid zunächst an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Beschluß vom 13. März 1996, B 812/96). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. In der Beschwerdeergänzung heißt es nach Ausführungen über die Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte und nationaler Verwaltungsgerichte, es sei denkbar, daß eine Art. 3 MRK widersprechende drohende Behandlung von nichtstaatlicher Seite, also etwa von Bürgerkriegsparteien, Rebellengruppen, Terrororganisationen oder marodierenden Banden, die Anwendung des Refoulement-Prinzipes gebieten könne. Die Frage, ob eine sichere Rückschiebung möglich sei, hänge daher auch davon ab, welcher Clan im Besitze des Flughafens in Mogadischu sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde ging davon aus, daß die allgemeine, durch den Bürgerkrieg hervorgerufene Furcht nicht geeignet sei, die für die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung geforderte Bedrohung durch den Staat zu ersetzen. Diese Auffassung widerspricht in ihrer Allgemeinheit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich wiederholt ausgesprochen, daß drohende Behandlungen oder Verfolgungen im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG von bestimmten Bevölkerungsgruppen (Personen) durch andere den Fällen der vom Staat ausgehenden oder von ihm gebilligten Bedrohung gleichgestellt sind, wenn der betreffende Staat entweder nicht bereit oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht in der Lage ist, solche Verfolgungen zu verhindern (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Februar 1997, Zl. 96/21/0093, und Zl. 96/21/0096, und die das Heimatland des Beschwerdeführers betreffenden Erkenntnisse vom 3. November 1994, Zl. 94/18/0723, und vom 1. Februar 1995, Zl. 94/18/0731). Ausgehend von der Behauptung des Beschwerdeführers, in Somalia herrsche Anarchie und daher sei aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit sein Leben akut bedroht, hätte die belangte Behörde Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Beschwerdeführer im Falle seiner konkreten Abschiebung einer derartigen Gefahr ausgesetzt wäre, entweder, weil im gesamten Staatsgebiet eine solche Gefahr droht, oder aber weil eine Abschiebung nur in einen Teil dieses Staatsgebietes möglich ist, wo eine solche Gefahr besteht. Ausgehend von ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung hat die belangte Behörde Feststellungen dazu nicht getroffen. Dadurch belastete sie den Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - unter Abstandnahme von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG - aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996210269.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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