TE Vwgh Erkenntnis 2021/5/7 Ra 2020/18/0503

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Veröffentlicht am 07.05.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG 2014 §21 Abs7
VwGG §42 Abs2 Z3 litc

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A M, vertreten durch Mag. Michael Kienzl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2020, W169 2131805-2/6E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 12. September 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

2        Mit Erkenntnis vom 11. Jänner 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3        Nachdem die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 8. Jänner 2018 über Antrag des Revisionswerbers verlängert wurde, stellte er im November 2019 einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

4        Mit Bescheid des BFA vom 29. April 2020 erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, und wies seinen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab. Unter einem erteilte es dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

5        Begründend führte das BFA aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen nicht mehr vor. Der Revisionswerber könne in seine Herkunftsregion Afgooye zurückkehren, überdies stehe ihm die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu offen. Einerseits habe sich die Versorgungslage wesentlich und nachhaltig geändert, andererseits habe der Revisionswerber den Kontakt zu seiner Familie wiederhergestellt. Der Revisionswerber sei volljährig, arbeitsfähig und selbsterhaltungsfähig. Es sei ihm nunmehr zumutbar, durch Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a VwGG für nicht zulässig.

7        Begründend hielt das BVwG zusammengefasst fest, dem Revisionswerber sei subsidiärer Schutz aufgrund der nicht gewährleisteten Grundversorgung der Bevölkerung in Zusammenschau mit der volatilen Sicherheitslage in Afgooye zuerkannt worden. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben gewesen, da der Revisionswerber keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt habe, keine Familienangehörige in Mogadischu festzustellen gewesen seien und auch aufgrund der persönlichen Lebensumstände (keine Schulbildung, Berufstätigkeit lediglich in Afgooye und Vorliegen einer Sehbehinderung) nicht davon auszugehen gewesen sei, dass der Revisionswerber in der Lage sei, sich den notdürftigsten Lebensunterhalt zu verschaffen. Die Umstände hätten sich seither nachhaltig geändert. Angesichts der volatilen Sicherheitslage könne der Revisionswerber weiterhin nicht in seine Herkunftsregion Afgooye zurückkehren. Unter Berücksichtigung der geänderten individuellen Umstände im Falle des Revisionswerbers, der mittlerweile wieder in Kontakt mit seinen Angehörigen stehe, der verbesserten Versorgungslage sowie der nunmehr gegebenen Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung im Falle einer freiwilligen Rückkehr, sei dem Revisionswerber nunmehr die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu möglich und zumutbar.

8        Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die in der Zulässigkeitsbegründung und in der Sache unter anderem geltend macht, das BVwG habe seine Verhandlungspflicht verletzt.

9        Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2015, Ra 2014/20/0017, 0018).

13       Diese Voraussetzungen für das Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG lagen gegenständlich nicht vor.

14       Fallgegenständlich trat der Revisionswerber in seiner Beschwerde der Einschätzung der belangten Behörde, die Umstände hätten sich maßgeblich geändert, substantiiert entgegen. Dabei verwies er zunächst auf näher bezeichnete (bereits dem Bescheid des BFA zugrunde gelegte) Länderberichte, die zusammengefasst die schwierige und ungenügende Arbeitsmarktsituation in Somalia hervorhoben. Darüber hinaus hielt er den Erwägungen des BFA entgegen, dass er in Mogadischu über keine Angehörigen verfüge, die ihn unterstützen könnten. Der Schlussfolgerung, dass er durch Familienangehörige finanzielle Unterstützung erlangen könnte, erwiderte der Revisionswerber in seiner Beschwerde, dass die Familie über keine Besitztümer verfüge. Die belangte Behörde habe in seiner Beurteilung zudem außer Acht gelassen, dass er auf einem Auge blind sei, sodass es für ihn in Somalia schwieriger als für die Durchschnittsbevölkerung sei, eine Arbeit zu finden.

15       Vor dem Hintergrund dieses Beschwerdevorbringens hätte sich das BVwG durch eine mündliche Verhandlung selbst ein persönliches Bild darüber machen müssen, ob im Revisionsfall eine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten ist, welche fallbezogen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu rechtfertigen vermag.

16       Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG sohin - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - unter Berücksichtigung der hg. Leitlinien (vgl. etwa VwGH 29.1.2020, Ra 2019/18/0262, mwN) zu beurteilen haben, ob sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 geändert hat.

17       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

18       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 7. Mai 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180503.L01

Im RIS seit

31.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.06.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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