Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei „W*****“ *****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Michael Tinzl und Mag. Albert Frank, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Armin Exner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Aufkündigung und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Jänner 2021, GZ 4 R 141/20v-19, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 1. Juli 2020, GZ 3 C 5/20w-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird
aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin kündigte am 3. 1. 2020 den mit dem Beklagten abgeschlossenen Mietvertrag gerichtlich auf. Sie stützte sich auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 1 Z 4 (erkennbar gemeint: erster Fall) sowie Z 6 MRG, weil der Beklagte die Wohnung zur Gänze untervermietet habe, und begehrte die Räumung binnen 14 Tagen nach dem 30. 4. 2020. Mit Schriftsatz vom 11. 2. 2020 stellte sie – nach Zustellung der Kündigung an den Beklagten – den Kündigungstermin mit 30. 4. 2020 klar und brachte ergänzend vor, dass der Beklagte bereits im Februar 2019 zu seiner Freundin in eine von ihm im Nachbarort für sie gemietete Wohnung gezogen sei.
[2] Der Beklagte wandte ein, dass er die Wohnung nicht untervermietet, sondern bloß seit September 2019 einen Bekannten vorübergehend – bis er eine passende Wohnung gefunden habe – bei sich wohnen habe lassen. Er habe währenddessen selbst in der gekündigten Wohnung gewohnt. Der Bekannte habe sich bloß anteilig an den Betriebskosten beteiligt und sei mittlerweile wieder ausgezogen. Die für seine Freundin gemietete Wohnung diene nur deren Wohnzwecken. Er selbst sei beruflich oft im Ausland und nur an den Wochenenden in der gekündigten Wohnung. Er habe schon im Sommer 2019 geplant, diese neu einzurichten und zu möblieren bzw zu renovieren, wozu sie zunächst ausgeräumt werden hätte müssen. Die Wohnung diene weiterhin seinem dringenden Wohnbedürfnis.
[3] Das Erstgericht hob die Kündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab, weil mangels Weitergabe der Wohnung sowie wegen des dringenden Bedarfs des Beklagten an dieser in naher Zukunft (der Mietvertrag über die von seiner Freundin benutzte Wohnung wurde mittlerweile gekündigt) der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG und aufgrund seines dringenden Wohnbedürfnisses auch jener der Z 6 leg cit nicht vorliege.
[4] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung ab, erklärte die Kündigung für wirksam und trug dem Beklagten die Übergabe der geräumten Wohnung auf.
[5] Nach den in zweiter Instanz unangefochten gebliebenen Feststellungen habe der Beklagte ab September 2019 seinem Bekannten gestattet, die Wohnung gegen einen Kostenbeitrag vorübergehend zu bewohnen. Er selbst habe sich seither nur „sporadisch“ bzw „gelegentlich“ darin aufgehalten. Damit habe er die Wohnung an seinen Bekannten weitergegeben. Da der Beklagte die gekündigte Wohnung seit März 2019 – aufgrund beruflicher Auslandsaufenthalte sowie der Aufenthalte bei seiner Freundin und an den Wochenenden im Sommer in seiner Ferienwohnung – nur „sporadisch“ bzw „gelegentlich“ benutzte, habe er keinen künftigen Bedarf an dieser nachweisen können. Es liege daher der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG vor.
[6] Auf die von der Klägerin bekämpften Feststellungen, wonach nicht feststehe, ob der Beklagte seit März 2019 seinen Lebensmittelpunkt in der für seine Freundin gemieteten Wohnung hatte, und er die gekündigte Wohnung zeitweise – wenn er nicht beruflich im Ausland, bei seiner Freundin oder in seiner Ferienwohnung war – zu Wohnzwecken nutzte, wobei nicht festgestellt werden konnte, wie oft dies pro Woche der Fall war, komme es rechtlich nicht an. Die diesbezügliche Beweisrüge blieb daher unbehandelt.
[7] Die ordentliche Revision sei aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Beklagten ist
entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausging, dass den von der Klägerin bekämpften Feststellungen keine rechtliche Bedeutung zukommt. Sie ist mit ihrem – im Abänderungsantrag
enthaltenen (RIS-Justiz RS0041774 [T1]) – Aufhebungsantrag auch berechtigt.
[9] 1.1. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers ist die Kündigung nicht schon mangels Angabe eines Kündigungstermins unwirksam. Eine Berichtigung der dazu in der Kündigung enthaltenen Angaben während des Verfahrens ist jedenfalls möglich, wenn – auch für den Kündigungsgegner erkennbar – nur ein offenkundiger Ausdrucks- oder Schreibfehler korrigiert wird (vgl 1 Ob 18/09t; 2 Ob 9/10b; siehe auch 1 Ob 194/20s; Iby in Fasching/Konecny³ § 562 ZPO Rz 15). Diese Möglichkeit besteht auch nach der Zivilverfahrensnovelle 2009, mit der – soweit hier relevant – nur die Wirksamkeit von Kündigungen, die dem Gegner nach Beginn der Kündigungsfrist zugehen, für den darauffolgenden Termin bewirkt werden sollte, ohne vor dieser Novelle bestehende Verbesserungsmöglichkeiten einzuschränken.
[10] 1.2. Die Klägerin begehrte in ihrer Kündigung, den Beklagten zur Räumung binnen 14 Tagen nach dem 30. 4. 2020 zu verpflichten. Dass sie aufgrund des Einwands des Beklagten, die Kündigung enthalte keinen Kündigungstermin sondern nur eine Kündigungsfrist, klarstellte, das Bestandverhältnis zum 30. 4. 2020 aufzukündigen, kann auch aus dessen Sicht nur als Berichtigung eines erkennbaren „Ausdrucksfehlers“ angesehen werden.
[11] 2.1. Auf den Fall der Weitergabe einer Wohnung ist nur § 30 Abs 2 Z 4 MRG als hierfür getroffene speziellere Regelung anzuwenden und nicht § 30 Abs 2 Z 6 MRG, der vor allem als Abhilfe gegen das „Horten“ mehrerer Wohnungen durch den Mieter gedacht ist (RS0070500). Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die Kündigung wegen der erkennbar behaupteten Weitergabe („Untervermietung“) des Mietobjekts berechtigt ist.
[12] 2.2. § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG setzt die gänzliche Weitergabe (oder eine ihr gleichzuhaltende teilweise Weitergabe) sowie das Fehlen eines dringenden Bedarfs des Mieters (oder eintrittsberechtigter Personen) am Mietobjekt voraus (vgl 8 Ob 68/20p mwN). „Weitergabe“ in diesem Sinn ist jede entgeltliche oder unentgeltliche Gebrauchsüberlassung (RS0070650). Erforderlich ist das Verlassen des Mietobjekts durch den Mieter und die Übernahme durch einen Dritten, die zu keiner Änderung der Parteien des bestehenden Mietvertrags führt, jedoch vom Willen der an der Weitergabe beteiligten Personen, vor allem des die (hier) Wohnung verlassenden Mieters, umfasst ist (RS0070718 [T6]; RS0107690 [T2]; RS0070650 [T3]). Keine Weitergabe liegt vor, solange der Mieter die Wohnung weiter regelmäßig benützt, auch wenn er einem Dritten deren (Mit-)Benützung gestattet (RS0070718 [T4]). Andererseits ist eine Weitergabe anzunehmen, wenn die Wohnung nicht (mehr) regelmäßig zu Wohnzwecken, sondern nur „als Absteigequartier“ verwendet wird (10 Ob 16/16z). Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Weitergabe der Wohnung ist der Vermieter behauptungs- und beweispflichtig (vgl 8 Ob 105/18a).
[13] 2.3. Nach den von der Klägerin bekämpften erstinstanzlichen Feststellungen nutzte der Beklagte die gekündigte Wohnung auch nach dem Einzug seines Bekannten weiter zu Wohnzwecken, soweit er sich nicht beruflich im Ausland, bei seiner Freundin oder in seiner Ferienwohnung aufhielt, wobei nicht festgestellt werden konnte, wie oft eine solche Nutzung pro Woche erfolgte. Unbekämpft blieb die Feststellung, dass dies schon seit März 2019 „nicht mehr als sporadisch bzw gelegentlich“ der Fall war. Demnach nutzte er die Wohnung bereits vor (Mit-)Benutzung durch seinen Bekannten – die er ihm bloß „vorübergehend“ gestattete, bis er eine geeignete Wohnung gefunden habe – nur eingeschränkt und nach dessen Einzug nicht weniger oft als zuvor. Aus der in zweiter Instanz unbekämpft gebliebenen Feststellung ergibt sich somit, dass der Beklagte die gekündigte Wohnung dadurch, dass er seinem Bekannten deren „vorübergehende“ (Mit-)Benutzung gestattete, nicht iSd § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG „weitergab“ (vgl 7 Ob 53/98i).
[14] 2.4. Dass das Berufungsgericht die Beweisrüge der Klägerin in den genannten Punkten unbehandelt ließ, hat für die rechtliche Beurteilung des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG also tatsächlich keine Bedeutung, entgegen dessen Ansicht allerdings in dem Sinn, dass schon die unbekämpft gebliebenen Feststellungen eine Weitergabe der Wohnung nach dieser Bestimmung ausschließen. Auch die von der Klägerin begehrte Ersatzfeststellung, der Beklagte habe seit März 2019 nicht mehr in der gekündigten Wohnung übernachtet und sie seither nicht zu Wohnzwecken benutzt, lässt nicht erkennen, inwieweit der Beklagte die Wohnung aufgrund des „vorübergehenden“ Einzugs seines Bekannten verlassen, sie also an diesen weitergegeben hätte. Damit war für die Klägerin aus der von ihr angestrebten Feststellung – für die Beurteilung des Kündigungsgrundes der Z 4 leg cit – nichts zu gewinnen.
[15] 3.1. Mangels Vorliegens des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 4 erster Fall MRG ist in weiterer Folge der ebenfalls angezogene Kündigungsgrund der Z 6 leg cit zu prüfen. Dabei handelt es sich – im Vergleich zur lex specialis der Z 4 – um die allgemeinere Bestimmung, die (nur) eine fehlende regelmäßige Verwendung des aufgekündigten Objekts zu Wohnzwecken und den Mangel eines dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters (oder eintrittsberechtigter Personen) voraussetzt (vgl RS0070217). Die fehlende regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken hat der Vermieter zu beweisen (RS0079350 [T8]; RS0079253). Fehlt es an dieser, ist das vom Mieter zu behauptende und zu beweisende dringende Wohnbedürfnis zu beurteilen (RS0079350 [T6]), das etwa auch dann besteht, wenn er in „nächster Zukunft“ in die Wohnung zurückkehren wird, deren Nichtbenützung also nur eine absehbare vorübergehende Unterbrechung darstellt (vgl RS0079350).
[16] 3.2. Eine regelmäßige Verwendung einer Wohnung wird nach der Rechtsprechung angenommen, wenn sie der Mieter wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr bzw einige Tage in der Woche als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt (RS0079240; RS0079241 [T1, T11, T14]; RS0068679) bzw als Mittelpunkt seiner Lebensgestaltung nutzt (RS0079241). Eine Abwesenheit aus beruflichen Gründen verwirklicht den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG schon nach dem letzten Halbsatz dieser Bestimmung grundsätzlich nicht; ebensowenig wird dieser durch die Benützung mehrerer Wohnungen erfüllt, solange der Lebensmittelpunkt zumindest zum Teil in der gekündigten Wohnung liegt (RS0079252). Es genügt, dass die Wohnung zumindest „in mancher Beziehung“ (vgl RS0068874) den Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit (Haushaltsführung) oder des Familienlebens – dem je nach Person des Mieters eine mehr oder weniger große Bedeutung zukommt; bei einer alleinstehenden Person wurde diesem Kriterium nur untergeordnetes Gewicht beigemessen (vgl RS0079241; RS0068874 [T7]) – bildet. Ob die Aufgabe der gekündigten Wohnung im Hinblick auf das Bestehen einer anderen Wohnung zumutbar wäre, spielt für die Beurteilung des Kündigungsgrundes keine Rolle (RS0068874).
[17] 3.3. Da das Berufungsgericht die Beweisrüge der Klägerin (teilweise) unerledigt ließ (die bekämpften Feststellungen insoweit also nicht übernahm), kann nicht beurteilt werden, ob der Beklagte die Wohnung im Kündigungszeitpunkt regelmäßig zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses benutzte. Die Klägerin begehrte anstatt der Feststellung, dass er sie zeitweise zu Wohnzwecken nutzte, wobei nicht festgestellt werden konnte, wie oft dies pro Woche der Fall war und ob der Beklagte den Mittelpunkt seiner Lebensführung in der von seiner Freundin benutzten Wohnung hatte, die Ersatzfeststellung, der Beklagte habe bereits seit März 2019 nicht mehr in der gekündigten Wohnung übernachtet, sie seitdem nicht zu Wohnzwecken benutzt und seinen Lebensmittelpunkt in der für seine Freundin gemieteten Wohnung gehabt. Auf Basis dieser angestrebten Feststellungen wäre von keiner regelmäßigen Verwendung des gekündigten Objekts zu Wohnzwecken auszugehen und daher das dringende Wohnbedürfnis des Beklagten zu prüfen. Würde man hingegen von dem in erster Instanz festgestellten Sachverhalt ausgehen, wonach nicht feststeht, wie viele Tage pro Woche der Beklagte die „gelegentlich“ zu Wohnzwecken benutzte Wohnung nutzte und ob er seinen Lebensmittelpunkt in der von seiner Freundin bewohnten – oder eben in der gekündigten – Wohnung hatte, wäre der Klägerin der ihr obliegende Nachweis der fehlenden regelmäßigen Benutzung der gekündigten Wohnung zu Wohnzwecken hingegen nicht gelungen.
[18] 3.4. Erledigt das Berufungsgericht eine Beweisrüge, mit der eine entscheidungswesentliche Feststellung bekämpft wurde, aus rechtlichen Gründen nicht, liegt mangels gesicherter Tatsachengrundlage ein Feststellungsmangel vor, der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung in dritter Instanz wahrzunehmen ist (3 Ob 153/16w mwN). Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (RS0043371 [T11]).
[19] 3.5. Sollte sich im weiteren Verfahren ergeben, dass die Beweisrüge der Klägerin berechtigt und eine regelmäßige Verwendung des gekündigten Objekts zu Wohnzwecken zu verneinen wäre, müsste bei der dann erforderlichen Prüfung des dringenden Wohnbedürfnisses des Beklagten an der gekündigten Wohnung auf dessen Behauptung eingegangen werden, wonach er schon im Sommer 2019 geplant gehabt habe, die Wohnung neu einzurichten, zu möblieren und das Bad zu renovieren. Hätte er die Wohnung nämlich nur oder doch primär zum Zweck dieser „Renovierungsarbeiten“ verlassen (und wäre er etwa währenddessen zu seiner Freundin gezogen), so könnte davon ausgegangen werden, dass deren Nichtbenützung nur eine absehbare, vorübergehende Unterbrechung darstellte (vgl RS0079350). Dazu fehlt es aber an Feststellungen.
[20] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Textnummer
E131693European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00042.21I.0421.000Im RIS seit
02.06.2021Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021