TE OGH 2021/4/21 1Ob27/21h

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** und 2. G*****, vertreten durch die Berger Daichendt Grobovschek Rechtsanwälte OG, Salzburg, gegen die beklagte Partei R*****gmbH, *****, vertreten durch die Braun Königstorfer Rechtsanwälte OG, Salzburg, wegen Unterlassung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2020, GZ 1 R 89/20v-70, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. April 2020, GZ 14 Cg 64/16y-63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil insgesamt (unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile) wie folgt lautet:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die an der Grenze des Grundstücks 960/13, EZ *****, und des Grundstücks 959, EZ *****, jeweils KG *****, errichtete Grenzmauer entweder zu beseitigen und den vorherigen Zustand wiederherzustellen oder die Grenzmauer durch geeignete Maßnahmen wasserundurchlässig auszuführen, sodass Niederschlags- und Oberflächenwässer von den Grundstücken 960/6, 960/12 und 960/13, jeweils EZ *****, KG *****, nicht auf das Grundstück 959 abfließen können; in eventu

die beklagte Partei sei schuldig, die an der Grenze des Grundstücks 960/13 und des Grundstücks 959 errichtete Grenzmauer zu beseitigen und den vorherigen Geländezustand wiederherzustellen oder die Grenzmauer durch geeignete Maßnahmen wasserundurchlässig auszuführen, sodass Niederschlags- und Oberflächenwässer von den Grundstücken 960/6, 960/12 und 960/13 nicht in einem das ortsübliche, geländebedingte Ausmaß übersteigenden Maß auf das Grundstück 959 abfließen können; in eventu

die beklagte Partei sei schuldig, es zu unterlassen Oberflächen- und Niederschlagswässer von ihren Grundstücken 960/6, 960/12 und 960/13 sowie über Grundstück 960/13 Oberflächenwässer anderer Liegenschaften direkt oder indirekt auf das Grundstück 959 abzuleiten; in eventu

die beklagte Partei sei schuldig, es zu unterlassen Oberflächen- und Niederschlagswässer von ihren Grundstücken 960/6, 960/12 und 960/13 sowie über Grundstück 960/13 Oberflächenwässer anderer Liegenschaften direkt oder indirekt auf das Grundstück 959 abzuleiten soweit dies das ortsübliche, geländebedingte Ausmaß übersteigt,

wird abgewiesen.“

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 23.303,90 EUR (darin 2.516,80 EUR USt und 8.203 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten

des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

         Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 6.312,37 EUR (darin enthalten 580,16 EUR USt und 2.831,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1]            Die Kläger sind jeweils Hälfteeigentümer einer Liegenschaft mit dem als Wiese genutzten Grundstück 959. Darauf befindet sich – an der Grenze zum Grund der Beklagten – ein Entwässerungsgraben, in den eine rund 40.000 m² große landwirtschaftliche Grundfläche der Kläger entwässert. Auf der Wiese der Kläger kommt es wegen der geringen Sickerfähigkeit des Bodens bei intensiven Niederschlägen immer wieder zu einem breiten oberflächlichen Wasserabfluss.

[2]            Die Beklagte ist seit 2011 Eigentümerin einer an das Grundstück der Kläger angrenzenden Liegenschaft mit dem Grundstück 960/6, das während des Verfahrens in die Grundstücke 960/6 [neu], 916/12 und 916/13 geteilt wurde. Es fällt in Richtung des Grundstücks der Kläger – zum dort verlaufenden Entwässerungsgraben – ab. Beim Erwerb durch die Beklagte war darauf ein Einfamilienhaus mit einer Dachfläche von ca 150 m² errichtet. Das Regenwasser lief über Dachrinnen frei auf dem Grundstück aus. Neben dem Haus besteht seit Jahrzehnten ein Schacht, von dem ein Betonrohr quer über das im Eigentum eines Dritten stehende Nachbargrundstück 960/9 führt und von dort in den Entwässerungsgraben der Kläger mündet. Wofür dieser Schacht bzw das Rohr ursprünglich benutzt und ob darin Oberflächenwasser abgeleitet wurde, steht nicht fest. Das (zunächst ungeteilte) Grundstück der Beklagten entwässerte aufgrund seines natürlichen Gefälles schon vor Erwerb durch diese in den Entwässerungsgraben der Kläger, wobei das Wasser wegen der geringen Sickerfähigkeit des Bodens überwiegend oberflächlich abfloss und vom tiefsten Punkt in den Graben strömte.

[3]            Die Beklagte errichtete auf ihrem (zunächst ungeteilten) Grundstück eine Wohnhausanlage. Das Gefälle zum Grundstück der Kläger veränderte sich dadurch kaum. Durch die umfangreichere Bebauung verblieb nur eine unverbaute (Grün-)Fläche von 286 m², sodass im Vergleich zur früheren Bebauung (mit dem Einfamilienhaus) weniger Wasser versickern kann. An der Grenze zum Grundstück der Kläger errichtete die Beklagte – statt eines vorher dort befindlichen Betonsockels – eine mit Kies hinterfüllte Mauer aus Betonformsteinen. Aufgrund der damit verbundenen Wirkung als Drainage kann dort nunmehr Wasser im Boden versickern. Als Teil ihres Entwässerungskonzepts errichtete die Beklagte auch zwei Retentionsbecken, in die neben Wasser von den Dachflächen teilweise auch Oberflächenwasser von der unverbaut gebliebenen Fläche eingeleitet wird. Über das bestehende Betonrohr wird das Wasser aus diesen Becken – über das benachbarte Grundstück 960/9 – in den Entwässerungsgraben der Kläger geleitet. Der Zufluss von Wasser von den (nunmehr geteilten) Grundstücken der Beklagten in diesen Graben wurde durch die Retentionsbecken – im Vergleich zum Zustand vor Neubebauung durch die Beklagte – zwar nicht absolut, jedoch „pro Zeiteinheit“ verringert („gedrosselt“). Soweit die Entwässerung ihrer Grundstücke nicht über die Retentionsbecken erfolgt (und Wasser nicht versickert), fließt das Niederschlagswasser weiter – allerdings „breiter verteilt und weniger punktförmig“ als vor Neubebauung durch die Beklagte – entlang der Grundgrenze in den Entwässerungsgraben der Kläger. Das von den Grundstücken der Beklagten in den Entwässerungsgraben der Kläger fließende Wasser hat insgesamt keinen Einfluss auf den bei stärkeren Regenereignissen erfolgenden großflächigen Wasserabfluss über deren Wiese.

[4]       In den Entwässerungsgraben wird auch Niederschlagswasser aus einer Drainageleitung eingeleitet, die von einem „Gully“ auf dem im Eigentum eines Dritten stehenden Grundstück 960/11 über das im Eigentum eines weiteren Dritten stehende (dazwischenliegende) Grundstück 960/7 und über das Grundstück 960/13 der Beklagten führt, von wo sie „rund zwei Meter nördlich der Grundgrenze“ (also von dem an das Grundstück der Beklagten angrenzenden, im Eigentum eines weiteren Dritten stehenden Grundstück 960/9) in den Entwässerungsgraben mündet. Diese (Rohr-)Leitung war aufgrund einer zulasten des Grundstücks 960/7 sowie des Grundstücks 916/13 (der Beklagten; dieses war ursprünglich Teil des Grundstücks 960/7 und wurde 2007 dem [damals ungeteilten] Grundstück 960/6 zugeschrieben) und zugunsten des Grundstücks 960/11 im Grundbuch eingetragenen Dienstbarkeit errichtet worden. Deren Rechtsgrundlage war ein 1983 zwischen den damaligen Eigentümern der Grundstücke 960/11 und 960/7 abgeschlossener Vertrag, in dem vereinbart wurde, dass die auf dem Grundstück 960/11 „anfallenden Abwässer über das [damals noch ungeteilte] Grundstück 960/7 [nunmehr 960/7 und 960/13] abgeleitet werden“ und zu diesem Zweck die „unentgeltliche Dienstbarkeit der Duldung und Erhaltung eines Abwasserkanals über das Grundstück 960/7“ [nunmehr 960/7 und 960/13] eingeräumt wird. Im Zuge der Bauarbeiten der Beklagten wurde die Drainageleitung durchtrennt, von der Beklagten aber wiederhergestellt (verbunden).

[5]            Das Hauptbegehren, der Beklagten sei aufzutragen, die auf ihrem Grundstück 960/13 errichtete Mauer zu beseitigen oder diese wasserundurchlässig zu gestalten, weil es dort in der Vergangenheit (einmal) zu einem Wasserzufluss zum Grundstück der Kläger gekommen sei, sowie das Eventualbegehren, der Beklagten sei dies (nur) insoweit aufzutragen, dass Wasser vom Grund der Beklagten „nicht in einem das ortsübliche, geländebedingten Ausmaß auf ihr Grundstück abfließen könne“, wurden von den Vorinstanzen rechtskräftig abgewiesen; ebenso das weitere Hilfsbegehren, die Beklagte habe eine „indirekte“ Ableitung von Wasser (aus während der Bauarbeiten auf ihrem Grundstück offenliegenden Rohren) gänzlich – oder soweit dies das ortsübliche, „geländebedingte“ Ausmaß übersteigt – zu unterlassen. Darauf muss in dritter Instanz daher nicht mehr eingegangen werden.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr das (weitere Hilfs-)Begehren der Kläger zu beurteilen, die Beklagte habe es zu unterlassen, Wasser einerseits von ihren Grundstücken (über das bestehende Betonrohr aus den Retentionsbecken) und andererseits von dem im Eigentum eines Dritten stehenden Grundstück 960/11 (über die Drainageleitung) – direkt auf ihr Grundstück abzuleiten; hilfsweise habe sie solche (direkten) Wasserableitungen (von ihren Grundstücken sowie vom Grundstück 960/11) zu unterlassen, die das ortsübliche, „geländebedingte“ Ausmaß übersteigen.

[6]       Das Erstgericht gab dem auf Unterlassung jeglicher (direkter) Wasserableitung auf das Grundstück der Kläger gerichteten (Hilfs-)Begehren statt, weil dafür kein Rechtstitel bestehe und eine unmittelbare Zuleitung ohne einen solchen nicht hingenommen werden müsse. Ein Unterlassunganspruch bestehe auch hinsichtlich des vom Grundstück 960/11 – über die Drainageleitung – auf den Grund der Kläger abgeleiteten Wassers, weil sich die zugrundeliegende Servitut nur auf die Ableitung vom herrschenden Grundstück 960/11 auf das Grundstück der Beklagten und nicht auch auf jenes der Kläger beziehe und die Beklagte das Wasser aus dieser Leitung durch „Ergänzung der Rohrleitung“ in den Entwässerungsgraben der Kläger eingeleitet habe. Die Beklagten hätten weder ein Recht auf Einleitung von ihrem Grundstück (durch das bestehende Betonrohr) noch vom Grundstück 960/11 (durch die Drainageleitung) ersessen oder sonst erworben.

[7]            Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung sowie die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach die Einleitung von Wasser in den Entwässerungsgraben der Kläger aus den Retentionsbecken
– wodurch es zu einer Veränderung des natürlichen Wasserabflusses gekommen sei – eine unmittelbare Zuleitung zum Grundstück der Kläger darstelle, die ohne besonderen Rechtstitel unzulässig sei. Auch die unmittelbare Ableitung von Wasser von dem im Eigentum eines Dritten stehenden Grundstück 960/11 (durch die Drainageleitung) gehe vom Grund der Beklagten aus, erfolge den Klägern gegenüber titellos und sei daher zu unterlassen. Eine missbräuchliche Rechtsausübung könne ihnen nicht vorgeworfen werden.

[8]       Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[9]       Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht
bindenden – Ausspruch zulässig; sie ist auch berechtigt.

[10]     1. Zum Wasserzufluss aus den Retentionsbecken:

[11]           1.1. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von seinem Grund ausgehenden Einwirkungen insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Eine unmittelbare Zuleitung ist nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung ohne besonderen Rechtstitel „unter allen Umständen“ unzulässig, auch wenn sie von einer (an sich) behördlich genehmigten Anlage iSd § 364a ABGB ausgeht (vgl RIS-Justiz RS0010528; RS0010683). Nach der Rechtsprechung ist unter einer unmittelbaren Zuleitung gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB eine solche zu verstehen, die durch eine „Veranstaltung“ bewirkt wird, die für eine Einwirkung gerade in Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich ist (RS0010635). Sie erfordert kein zielgerichtetes Verhalten des Liegenschaftseigentümers (also dessen Absicht, den Nachbarn zu beeinträchtigen; vgl 1 Ob 206/15y), setzt aber voraus, dass durch den belangten Nachbarn überhaupt eine Veränderung (seines Grundstücks) erfolgte (vgl RS0117337 [T3]). Der Begriff „Veranstaltung“ soll ausdrücken, dass Auswirkungen der natürlichen Beschaffenheit des Nachbargrundes hinzunehmen sind (RS0010635 [T12]), nicht aber Änderungen der natürlichen Gegebenheiten, wodurch Immissionen auf den Nachbargrund bewirkt werden (RS0010635 [T26]), wie dies etwa bei einer Veränderung der natürlichen (Wasser-)Abflussverhältnisse durch ein Bauwerk (RS0010635 [T22]; RS0115461 [T3]; RS0117337 [T2]) oder einer Zuleitung von Wasser durch Rohre oder Rinnen (2 Ob 11/05i; 4 Ob 57/20s; vgl auch 1 Ob 42/01k mwN) der Fall ist.

[12]     1.2. Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, dass es sich bei der hier zu beurteilenden Ableitung des in den Retentionsbecken gesammelten Wassers über das bestehende Betonrohr in den Entwässerungsgraben der Kläger um eine unmittelbare Zuleitung iSd § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB handelt, wurde dadurch doch der vormals (vor Neubebauung der Grundstücke der Beklagten gegebene) natürliche, überwiegend oberflächliche Abfluss des (Niederschlags-)Wassers durch Konzentration in einem Rohr (und somit durch eine „Veranstaltung“) geändert.

[13]           1.3. Soweit sich die Beklagte auch in dritter Instanz auf eine Dienstbarkeit zur Einleitung des Wassers von ihrem Grundstück in den Entwässerungskanal der Kläger stützt und sich darauf beruft, dass das Betonrohr, über welches das Wasser abgeleitet wird, bereits seit mehr als 30 Jahren bestehe (und daher eine Servitut ersessen worden sei), ist ihr entgegenzuhalten, dass nicht feststeht, wofür dieses Rohr in der Vergangenheit benutzt und ob darin – wie dies nunmehr der Fall ist – Niederschlags- bzw Oberflächenwasser vom (ursprünglich ungeteilten) Grundstück der Beklagten abgeleitet wurde. Für eine (schlüssige) Vereinbarung einer Dienstbarkeit fehlen ohnehin jegliche Anhaltspunkte.

[14]           1.4. Die Rechtsmittelwerberin weist aber zutreffend darauf hin, dass ein auf § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB gestützter Unterlassungsanspruch nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dann nicht berechtigt ist, wenn sich eine willkürliche Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse (also eine „Veranstaltung“ im Sinn der zu 1.1. dargestellten Judikatur), durch die es zu einer unmittelbaren Zuleitung auf das Nachbargrundstück kommt, auf dieses nur geringfügig auswirkt und dies kein vernünftiger Mensch als nennenswerten Nachteil ansähe (vgl RS0121625; RS0107625 [T6]; grundsätzlich zustimmend auch Kerschner, RdU 2007/15, Glosse zu 1 Ob 169/06v). Unmittelbare Einwirkungen mit nur geringfügigen Auswirkungen auf das betroffene Grundstück können demnach nicht mit Unterlassungsklage (Eigentumsfreiheitsklage) abgewehrt werden (10 Ob 45/14m).

[15]           1.5. Im vorliegenden Fall übersteigen die von den (nunmehr geteilten) Grundstücken der Beklagten ausgehenden Auswirkungen auf das Grundstück der Kläger – im Vergleich zu den vor Bauführung durch die Beklagte gegebenen, weitgehend natürlichen Abflussverhältnissen – diese Geringfügigkeitsgrenze nicht. Bereits vor der Neubebauung entwässerten die Grundstücke der Beklagten zur Gänze in den Entwässerungsgraben der Kläger. Durch die Neubebauung wurde zwar ein größerer Teil der Grundfläche versiegelt, sodass das Wasser insoweit nicht mehr auf dem Grund der Beklagten versickern kann; allerdings wies der Boden auch ursprünglich nur eine geringe „Versickerungsrate“ auf, weshalb das Wasser überwiegend oberflächlich – dem natürlichen (Hang-)Verlauf des Grundstücks folgend – in den Entwässerungsgraben der Kläger ablief. Außerdem schuf die Beklagte im Bereich der von ihr errichteten und mit Kies „hinterfüllten“ Mauer die – zuvor nicht vorhandene – Möglichkeit, dass dorthin abfließendes (nicht in den Retentionsbecken gesammeltes) Oberflächenwasser versickert. Die Erfassung des Großteils des Niederschlagswassers in den Retentionsbecken führt dazu, dass der Abfluss (durch das bestehende Betonrohr) in den Entwässerungsgraben der Kläger – im Vergleich zum Zustand vor Bebauung durch die Beklagte – zwar nicht absolut aber „pro Zeiteinheit“ verringert („gedrosselt“) wurde. Da über den Graben insgesamt eine Wiesenfläche der Kläger von rund 40.000 m² entwässert wird, kommt dem Umstand, dass diesem auch das Niederschlagswasser des rund 1.000 m² großen Grundstücks der Beklagten zufließt, was aufgrund der natürlichen Abflussverhältnisse auch schon vor dessen Neubebauung (aufgrund der schlechten Sickerfähigkeit des Bodens in wohl nicht wesentlich geringerem Umfang) der Fall war, keine nennenswerte Auswirkung auf das Grundstück (den Entwässerungsgraben) der Kläger zu. Auch dass das Niederschlagswasser durch das bestehende Betonrohr abgeleitet wird, bewirkt im Ergebnis nur eine geringfügige Änderung der vorher bestehenden, weitgehend natürlichen Abflusssituation, erfolgte der Zufluss in den Entwässerungsgraben doch schon vor Bebauung durch die Beklagte „konzentriert“ am tiefsten Punkt ihres (zunächst ungeteilten) Grundstücks.

[16]           1.6. Aufgrund der im Vergleich zum ursprünglichen Zustand insgesamt – hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Grundstück der Kläger – bloß geringfügigen Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse durch die Beklagte, die ein vernünftiger (Durchschnitts-)Mensch nicht als nennenswerten Nachteil empfinden würde (nach den erstinstanzlichen Feststellungen hat der Wasserzufluss vom Grundstück der Beklagten auch keinen Einfluss auf den bei stärkeren Regenereignissen auftretenden großflächigen Wasserabfluss über die Wiese der Kläger), kommt dem Unterlassungsbegehren, soweit es auf den Abfluss von auf den Grundstücken der Beklagten anfallendem Wasser gerichtet ist, somit keine Berechtigung zu.

[17]           2. Zum Zufluss aus der „Drainageleitung“:

[18]           2.1. Für Unterlassungsansprüche nach § 364 Abs 2 ABGB ist grundsätzlich der Nachbar passivlegitimiert, von dessen Grund Immissionen ausgehen. Der Unterlassungsanspruch kann sich aber auch gegen denjenigen richten, der die Störung nur mittelbar veranlasst hat; auch derjenige ist passiv legitimiert, der den Eingriff nicht selbst vornimmt, sondern nur veranlasst, indem er durch Handlungen oder Unterlassungen die Voraussetzungen dafür schuf, dass Dritte die Störung begehen können (RS0011737 [T5 und T11]). Für Störungen durch andere haftet der Grundeigentümer nur dann, wenn er das störende Verhalten duldet, obwohl er es zu hindern berechtigt und imstande gewesen wäre und damit der erforderliche Zusammenhang zwischen Sachherrschaft (über die Immissionsquelle) und dem Schadenseintritt (der Störung durch die Immission) hergestellt ist (vgl RS0053260; siehe auch Eccher/Riss in KBB6 § 364 ABGB Rz 16; Winner in Rummel/Lukas4 § 364 ABGB Rz 13). Die Unterlassungspflicht umfasst auch die Verpflichtung, auf solche Dritte einzuwirken, auf die der Unterlassungspflichtige Einfluss zu nehmen in der Lage ist (vgl RS0011737).

[19]           2.2. Im Fall der zu 9 Ob 86/10b ergangenen Entscheidung ging die schädigende Einwirkung auf das Nachbargrundstück von einem von einem Dritten als Servitutsberechtigten „betriebenen“ Kanal aus, den der beklagte Grundeigentümer als Servitutsbelasteter zu dulden hatte. Der Oberste Gerichtshof verneinte in diesem Fall den für die Passivlegitimation des dienstbarkeitsverpflichteten Grundeigentümers erforderlichen Sachzusammenhang zwischen der zu beurteilenden Immission und der Sachherrschaft (über die Kanalanlage) und verwies auf die Haftung des Servitutsberechtigten als unmittelbarer Störer. Wenngleich diese Entscheidung zu § 364a ABGB erging, liegt es nahe, die dort angestellten Erwägungen zur „Verantwortlichkeit“ des Grundeigentümers für die Immissionsquelle auch auf den hier zu beurteilenden Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB anzuwenden. Auch im vorliegenden Fall erfolgt die Zuleitung von Wasser auf den Grund der Kläger vom herrschenden Grundstück eines Dritten über das dienende Grundstück der Beklagten, die den darüber verlaufenden Kanal (das Drainagerohr) zu dulden hat (vgl RS0011523; Koch in KBB6 § 482 Rz 1; Memmer in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 482 Rz 2). Der für die Passivlegitimation der Beklagten erforderliche Sachzusammenhang zwischen der Immission und der Sachherrschaft über den diese verursachenden Kanal ist daher zu verneinen. Dass die Beklagte aufgrund der Vereinbarung aus 1983 auch zur Erhaltung des Kanals auf ihrem Grund verpflichtet ist, ändert daran nichts, weil der Wasserabfluss in den Entwässerungsgraben der Kläger aus dessen „normalen Betrieb“ und nicht aus einem – auf eine mangelhafte Erhaltung zurückzuführenden – Gebrechen resultiert.

2.3. Im Übrigen ergibt sich die fehlende Passivlegitimation der Beklagten für den auf den Zufluss von Wasser aus der (vom herrschenden Grundstück eines
Dritten stammenden) Drainageleitung gestützten Unterlassungsanspruch schon daraus, dass diese Leitung vom dienenden Grundstück der Beklagten auf das im Eigentum eines Dritten stehende Grundstück 960/9 führt, von wo aus der Abfluss in den Entwässerungsgraben der Kläger erfolgt. Die Beklagte kann daher weder als mittelbare noch als unmittelbare Störerin angesehen werden. Eine Unterlassungspflicht könnte sie nur dann treffen, wenn sie die Verlängerung der Drainageleitung auf das angrenzende (fremde) Grundstück (960/9) selbst vorgenommen hätte, was die Kläger aber gar nicht behaupten und wofür auch keine Anhaltspunkte bestehen. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Zufluss erfolge vom Grundstück der Beklagten aus, findet im Sachverhalt keine Deckung. Dass die Beklagte die während der Bauarbeiten durchtrennte Drainageleitung wiederhergestellt (verbunden) hat, vermag ihre Passivlegitimation nicht zu begründen. Insoweit ist auch die Ansicht der Revisionsgegnerin unverständlich, die Beklagte habe die Leitung „in dieser Form hergestellt“, weshalb ihr kein Anspruch gegen den Servitutsberechtigten als Störer zustehe.

[20]           3. Mangels Berechtigung des auf jegliche Ableitung von Wasser auf den Grund der Kläger gerichteten Unterlassungsbegehrens ist auf das dazu hilfsweise erhobene Begehren einzugehen, mit dem die Kläger die Unterlassung der Ableitung von Wasser in einem das ortsübliche, „geländebedingte“ Ausmaß übersteigenden Umfang anstreben. Dazu reicht ein kurzer Hinweis auf die bisherigen Ausführungen. Da sich der Abfluss von Wasser von den Grundstücken der Beklagten auf das Grundstück der Kläger nur geringfügig auswirkt, wird auch das ortsübliche Ausmaß nicht überschritten. Hinsichtlich der begehrten Unterlassung der Einleitung von Wasser über die Drainageleitung vom Grundstück 960/11 schlägt die fehlende Passivlegitimation der Beklagten auch auf das Eventualbegehren durch.

4. Die aufgrund der Abänderung der angefochtenen Entscheidung auch für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren neu zu fassende Kostenentscheidung beruht hinsichtlich aller drei

Instanzen auf § 41 Abs 1 ZPO (für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO). Entsprechend den Einwendungen der Kläger zum Kostenverzeichnis der Beklagten war deren Schriftsatz ON 18 nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich, weil das darin enthaltene Vorbringen auch in der mündlichen Verhandlung erstattet werden hätte können. Die „Mitteilungen“ ON 26 und ON 29 sowie der Schriftsatz ON 34 sind nach TP1 RATG und der Schriftsatz ON 52 nach TP 2 RATG zu honorieren. Kostenersatz für die Berufungsbeantwortung der Beklagten steht ihr – ausgehend von den verzeichneten Tarifansätzen – nur auf Basis des Berufungsinteresses (der Kläger) von 10.000 EUR zu. Im Revisionsverfahren ist eine Pauschalgebühr von (einschließlich Streitgenossenzuschlag nach § 19a GGG) bloß 1.574,10 EUR angefallen.

Textnummer

E131721

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00027.21H.0421.000

Im RIS seit

04.06.2021

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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