Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. April 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pauritsch in der Strafsache gegen ***** P***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1a und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Genannten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 22. Juli 2020, GZ 33 Hv 33/19m-87, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten P***** zu A./a./, A./d./, A./g./ und A./i./, ferner in der Subsumtion der vom Schuldspruch A./ umfassten Taten nach § 147 Abs 2 StGB und § 148 zweiter Fall StGB sowie in der dazu gebildeten Subsumtionseinheit, demzufolge auch im Strafausspruch dieses Angeklagten aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte P***** und die Staatsanwaltschaft, soweit sie sich gegen das Unterbleiben eines Verfallsausspruchs in Ansehung der dem Schuldspruch zu A./a./, A./d./, A./g./ und A./i./ zugrundeliegenden Taten richtet, auf die Aufhebung verwiesen.
Zur Entscheidung über die verbleibende Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten P***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von
Relevanz – ***** P***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1a und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB (A./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er
A./ zwischen Anfang März 2017 und 2. März 2019 in „I*****, G*****, D***** (Niederlande), B***** ([richtig:] Frankreich), Z***** (Polen), Gr*****, S*****, W*****, J***** und andernorts“ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Verfügungsberechtigte folgender Rechtsträger durch Täuschung über die Anwendung nach der Anlage der Anti-Doping-Konvention (BGBl 1991/451) verbotener Wirkstoffe, nämlich von Wachstumshormonen, und einer danach verbotenen Methode, nämlich der Wiederzufuhr von Eigenblut („Blutdoping“), zu Zwecken des Dopings im Sport zu Handlungen verleitet, die diese Rechtsträger in einem mehr als geringen, zusammen 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen teils schädigten, teils schädigen sollten, und zwar
a./ ab März 2017 die „S*****“ zu Zahlungen von 83.333,33 Euro,
d./ am 1. August 2017 „bzw ab 1. Jänner 2018“ die „L*****“ zu Zahlungen von 170.400 Euro,
g./ im August 2018 die Veranstalter der „Polenrundfahrt“ zu einer (nicht geleisteten) Zahlung von 3.000 Euro,
i./ am 7. September 2018 „bzw ab 1. Jänner 2019“ die „L*****“ zu Zahlungen von 28.400 Euro,
l./ im Tatzeitraum weitere Veranstalter von Radrennen in Italien zu (nicht geleisteten) Zahlungen in unbekannter Höhe.
[3] Gegen a./, d./ und i./ des Schuldspruchs A./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P*****, der Berechtigung zukommt.
Rechtliche Beurteilung
[4] Nach den – unter dem Gesichtspunkt des Beschwerdevorbringens – wesentlichen Festellungen verleitete der Angeklagte die „S*****“ und die „*****“ (nachfolgend kurz Radrennmannschaften) sowie Veranstalter und Unterstützer zur Zahlung von Entlohnungen, Platzierungsprämien und Aufwandsentschädigungen für die Saisonen 2017, 2018 und 2019 (US 7 f). Die von ihm unterfertigten Verträge (unklarer Art und Anzahl) enthielten die Verpflichtung zur Einhaltung des (jeweils) geltenden „Dopingreglements“ (erkennbar gemeint: der Regeln der Anti-Doping-Konvention [US 11 und 13]). Er wendete seit Anfang März 2017 (erkennbar) nach der Anlage der Anti-Doping-Konvention, BGBl 1991/451, verbotene Wirkstoffe (Wachstumshormone) und ab Dezember 2017 auch nach dieser Konvention verbotene Methoden (Blutdoping) an (erneut US 7). Der Angeklagte nahm an Wettkämpfen teil und gab trotz des von ihm praktizierten Blutdopings und der Einnahme von (verbotenen) Wachstumshormonen vor, nicht gedopt zu sein (US 11). Nach dem Urteil in seiner Gesamtheit war für die Zahlungen der Radrennmannschaften das vermeintlich dopingfreie Bestreiten von Radrennen ursächlich (insb US 7 f und 13). Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätten die Opfer die „Entlohnungen, Aufwandsentschädigungen und Platzierungsprämien“ nicht bezahlt. Der Schaden ist daher „in gesamter Höhe der Zahlungen“ eingetreten (US 15).
[5] Die Österreichische Anti-Doping-Rechtskommission erkannte dem Angeklagten mit Entscheidung vom 18. Juni 2019 wegen Verstoßes gegen die UCI Anti-Doping Rules sämtliche Titel, Medaillen, Preise sowie Start- und Preisgelder ab und verpflichtete ihn zur Rückzahlung aller Start- und Preisgelder (US 10).
[6] Hinsichtlich der subjektiven Tatseite stellten die Tatrichter fest, dass der Angeklagte die Anwendung nach der Anlage der Anti-Doping-Konvention verbotener Wachstumshormone und Methoden (Blutdoping) für gewiss hielt und er in der Absicht handelte, darüber zu täuschen. Zudem umfasste der Vorsatz des P***** den Eintritt eines 5.000 Euro übersteigenden Schadens am Vermögen der Radrennmannschaften und seine unrechtmäßige Bereicherung (US 8 f).
[7] Wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu A./a./, A./d./, und A./i./ zutreffend geltend macht, ist diesen ohne Differenzierung nach Getäuschten und Art der Zuwendungen getroffenen Sachverhaltsannahmen nicht mit Bestimmtheit zu entnehmen, ob die Radrennmannschaften Platzierungsprämien, Aufwandsentschädigungen und/oder Entlohnungen bezahlten, auf welcher Grundlage sie diese Ausgaben tätigten sowie ob und bejahendenfalls welche (geschuldeten und erbrachten oder erwarteten) Gegenleistungen des Angeklagten dadurch abgegolten wurden.
[8] Sie vermögen solcherart – ungeachtet der insoweit ohne Sachverhaltsbezug bleibenden, am Wortlaut der §§ 146, 147 Abs 1 Z 1a, Abs 2 StGB orientierten Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 8; vgl dazu RIS-Justiz RS0119090) – die vorgenommene Subsumtion schon in objektiver Hinsicht nicht zu tragen, weil sie die (rechtliche) Beurteilung nicht zulassen, ob die (wenn auch tatplangemäß täuschungsbedingten; vgl insb US 13) finanziellen Zuwendungen einen Vermögensschaden bei den Getäuschten bewirkt haben oder bewirken hätten können (vgl RIS-Justiz RS0116672; 13 Os 76/18b).
[9] Betrugsstrafbarkeit kommt nämlich zwar
– entgegen der auf arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten basierenden Rechtsmittelauffassung – grundsätzlich auch für den Fall in Betracht, dass es sich bei den hier inkriminierten Zahlungen um Entlohnungen für Arbeitsleistungen handelte, die der Beschwerdeführer aus einem – durch Täuschung erschlichenen oder täuschungsbedingt fortgesetzten – Vertragsverhältnis schuldete, setzt aber (unter anderem auch) voraus, dass dem Entgelt keine gleichwertige Arbeitsleistung gegenüberstand, wozu das Urteil – von der Rüge insoweit zutreffend aufgezeigt – (auf der Tatsachenebene) keine Aussage enthält (näher zum Ganzen gleich unten).
[10] Bleibt mit Blick auf das Beschwerdevorbringen in diesem Zusammenhang anzumerken, dass zwar die Sozialadäquanz bestimmter Verhaltensweisen im Rechtsverkehr die Betrugsstrafbarkeit – auch in Bezug auf die Erschleichung einer Anstellung – einschränkt (Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 73 ff und – unter dem Gesichtspunkt der individuellen Schadenskomponente – Rz 183), wie etwa im Fall der Täuschung über (nicht dauernde Arbeitsunfähigkeit bewirkende) Krankheiten oder (unter bestimmten Umständen) Vorstrafen im Zuge eines Einstellungsgesprächs (vgl RIS-Justiz RS0029438, RS0029211 [T4, T5]; vgl zum Bestehen einer Alkoholkrankheit Firlei, Alkohol am Arbeitsplatz, ZAS 2009, 211 [214]). Stellt das Gesetz aber ein bestimmtes Verhalten – wie hier § 147 Abs 1a StGB die Täuschung über die dort genannten Umstände – (als sozial schädlich; vgl Lewisch in WK2 StGB Nach § 3 Rz 1) unter Strafe, ist jedenfalls von dessen Sozialinadäquanz auszugehen (vgl zur Bedeutung der Bekämpfung von Doping im Sport mit Mitteln des Strafrechts ErläutRV 487 BlgNR 24. GP 5).
[11] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof weiters, dass das angefochtene Urteil im den Angeklagten P***** betreffenden Schuldspruch zu A./g./ mit nicht geltend gemachter materieller Nichtigkeit (Z 9 lit a) behaftet ist, die diesem zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[12] Gemäß § 62 StGB unterliegen Taten den österreichischen Strafgesetzen, wenn der Ort, an dem der Täter gehandelt hat oder hätte handeln sollen, im Inland liegt, oder – im Fall von Erfolgsdelikten (hier: § 146 StGB) – ein dem Tatbild entsprechender Erfolg (hier: Vermögensschaden) ganz oder zum Teil im Inland eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters hätte eintreten sollen (§ 67 Abs 2 StGB). Ein bloßer Zwischenerfolg oder das Setzen (schon) eines Teils der (hier) Täuschungshandlung im Inland genügt (RIS-Justiz RS0092073, RS0091861).
[13] Wenngleich sich aus dem Urteil mit Blick auf die sportrechtlichen Konsequenzen (US 10) hinreichend deutlich ergibt, dass den von den Veranstaltern bezahlten Platzierungsprämien keine äquivalenten Leistungen des Angeklagten gegenüberstanden, beging er die zu A./g./ inkriminierte Tat (zum Nachteil eines Veranstalters) nach den Urteilsannahmen in Polen („Polenrundfahrt“, US 8). Feststellungen, wonach er – etwa im Zuge der Anmeldung oder Zusage von Platzierungsprämien durch den Veranstalter – auch im Inland gehandelt hat oder ein Erfolg im Inland eingetreten ist, sind dem Ersturteil in Bezug auf diese Tat nicht zu entnehmen. Auf Basis des Urteilssachverhalts liegt in Polen begangener Betrug vor, sodass die inländische Gerichtsbarkeit nur unter den (sachverhaltsmäßig hier nicht geklärten) Voraussetzungen des § 65 StGB begründet wäre. Deren im erfolgten Schuldspruch zum Ausdruck kommende Bejahung, also die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines Ausnahmesatzes (hier: des Nichtvorliegens inländischer Gerichtsbarkeit), ist somit auf dieser Sachverhaltsgrundlage unschlüssig (RIS-Justiz RS0122332 [insbesondere T11] und – im gegebenen Zusammenhang – 11 Os 41/19t; vgl RIS-Justiz RS0092267 [T1]; Salimi in WK² StGB Vor §§ 62–67 Rz 32 ff sowie Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634). Dazu hätte es nämlich (mangels hier nicht in Betracht kommender Anknüpfungspunkte iSd § 64 StGB [vgl 11 Os 49/20w]) Feststellungen zu den Anmeldemodalitäten, den weiteren Tatumständen und dem Tatplan bedurft oder – ohne Inlandstatorte – mit Blick auf die österreichische Staatsbürgerschaft des Angeklagten (§ 65 Abs 1 Z 1 StGB) zu jenen (objektiven und subjektiven) Tatbestandsmerkmalen einer in Betracht kommenden ausländischen Strafnorm (vgl Art 286 Abs 1 des polnischen Strafgesetzbuchs, der eine auf die Erlangung eines Vermögensvorteils gerichtete Absichtlichkeit verlangt – vgl dazu US 8 f), die den (auf Basis des Urteilssachverhalts verwirklichten) Tatbeständen des österreichischen Rechts fremd sind (vgl RIS-Justiz RS0092377 [insb T5]; zum Prinzip der „identen Norm“ sowie zum weiteren Erfordernis des Nichtvorliegens von Rechtfertigungs-, Schuldausschließungs- und Strafaufhebungsgründen [etwa Verjährung – § 65 Abs 4 Z 1 StGB] nach Tatortrecht siehe auch Salimi in WK² StGB § 65 Rz 5 f, 31; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 65 Rz 9 ff; zum Ausschluss der Anknüpfung an § 65 Abs 1 Z 1 StGB in den Fällen des § 65 Abs 4 Z 2 bis 4 StGB Salimi in WK² StGB § 65 Rz 32 ff; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 65 Rz 13 ff).
[14] Bleibt zur Stellungnahme der Generalprokuratur anzumerken, dass sich aus den Entscheidungsgründen betreffend den Schuldspruch zu A./l./ zwar ebenfalls nur Auslandstatorte ergeben („Radrennen in Italien“), diese Taten aber auf Basis der Urteilskonstatierungen Art 640 Abs 1 des italienischen Strafgesetzbuchs zu subsumieren sind (zur Verjährungsfrist von zumindest sechs Jahren im Fall von Verbrechen [iSd italienischen Rechts] siehe Art 157 Abs 1 des italienischen Strafgesetzbuchs), weshalb insoweit kein Konstatierungsdefizit vorliegt.
[15] Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen war das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten P***** sowie aus deren Anlass im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e teils iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO). Da der Schaden zum verbleibenden Schuldspruch zu A./e./, A./f./ und A./l./ nach den Urteilsfeststellungen 5.000 Euro nicht übersteigt, ist der Qualifikation nach § 147 Abs 2 StGB die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für jene nach § 148 zweiter Fall StGB, weil das verbleibende Feststellungssubstrat die rechtliche Annahme einer der Varianten des § 70 Abs 1 Z 1 bis 3 StGB nicht trägt. Hier ist – unter dem Gesichtspunkt der konstatierten auf die Begehung schwerer Betrügereien gerichteten gewerbsmäßigen Absicht (US 9) – zu berücksichtigen, dass der von § 147 Abs 1a StGB geforderte, mehr als geringe Schaden durch die (jeweilige) Tat herbeigeführt sein muss und sich nicht erst aus der Zusammenrechnung von Schadensbeträgen mehrerer Taten ergeben darf (vgl zu § 150 StGB Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 150 Rz 3; Tipold, SbgK § 150 Rz 24). Demnach begründen die zu A./l./ zusammengefassten Taten aufgrund der nicht festgestellten (intendierten) Schadenshöhe (US 8) diese Qualifikation nicht.
[16] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte P***** und die Staatsanwaltschaft, soweit sie sich gegen das Unterbleiben eines Verfallsausspruchs in Ansehung der dem Schuldspruch zu A./a./, A./d./, A./g./ und A./i./ zugrundeliegenden Taten richtet, auf die Aufhebung zu verweisen.
[17] Zur Entscheidung über die gegen das Unterbleiben eines Verfallsausspruchs betreffend den verbleibenden Schuldspruch gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft waren die Akten zunächst dem Oberlandesgericht Innsbruck zuzuleiten (§ 285i StPO).
[18] Im weiteren Rechtsgang wird zu beachten sein:
[19] Wie bereits dargestellt kommt Betrugsstrafbarkeit im Fall des Vorliegens einer Verpflichtung des Angeklagten zur Erbringung von Arbeitsleistungen gegen ein wiederkehrendes Entgelt („Entlohnung“) grundsätzlich sowohl dann in Betracht, wenn schon der entsprechende Vertragsabschluss durch (nach dem oben Gesagten sozialinadäquate) Täuschung über die Anwendung der hier in Rede stehenden Wirkstoffe und Methoden erschlichen wurde (Eingehungsbetrug; vgl dazu Kienapfel/Schmoller BT II² § 146 Rz 102, zum sogenannten „Anstellungsbetrug“ Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 75; Kert, SbgK § 146 Rz 309 ff; Flora/Leukauf/Steininger, StGB4 § 146 Rz 50; Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 205), als auch dann, wenn die Täuschung über das Betreiben von Doping erst während eines bestehenden (nicht täuschungsbedingt eingegangenen) Vertragsverhältnisses erfolgt. Bei letzterer Konstellation setzt eine Subsumtion nach §§ 146 ff StGB unter dem Aspekt der Kausalität aber voraus, dass entweder aufgrund spezieller Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien die (ansonsten weiter bestehende) Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung im Fall einer Vertragsverletzung per se entfallen ist, oder dass die Radrennmannschaften aufgrund eines durch die Täuschung bewirkten Irrtums über ein vertragskonformes Verhalten des Angeklagten zur Abstandnahme von der Ausübung eines (in der Vertragsbeendigung wegen vereinbarungswidrigen Verhaltens bestehenden) Gestaltungsrechts verleitet wurden.
[20] Demzufolge werden im weiteren Rechtsgang – neben Konstatierungen zur Art der inkriminierten Zahlungen und deren Grundlage sowie zu den dafür vom Angeklagten geschuldeten und erbrachten oder erwarteten Gegenleistungen – Feststellungen zum Zeitpunkt der Täuschung, zum Inhalt der entsprechenden Verträge (sowohl in Ansehung der geschuldeten Leistung als auch der Konsequenzen einer Vertragsverletzung durch den Angeklagten) sowie – bei Erweislichkeit einer allein im Unterlassen der Aufklärung über das Doping bestehenden Täuschungshandlung – zu den für die (rechtliche) Beurteilung einer allfälligen Garantenstellung notwendigen Umständen (vgl Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 23 ff; Flora/Leukauf/Steininger, StGB4 § 146 Rz 18) zu treffen sein.
[21] Schließlich ist der Tatbestand des Betrugs (auch in beiden der eben beschriebenen Fallkonstellationen) nur dann begründet, wenn ein täuschungsbedingter Irrtum zu einer Vermögensverfügung des Getäuschten führt, die geeignet ist, unmittelbar den Eintritt eines Vermögensschadens bei ihm oder einem Dritten zu bewirken. Dieser besteht in der aus der Vermögensverfügung resultierenden Verringerung des wirtschaftlichen Werts des Gesamtvermögens (Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 146). Für die Schadensberechnung ist die Vermögenslage vor und nach der Verfügung im Wege der Gesamtsaldierung zu vergleichen, sodass Vermögensverlust und im unmittelbaren Ausgleich dafür Zugeflossenes miteinander zu verrechnen sind (= Schadenskompensation [RIS-Justiz RS0094376; Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 77 f; Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 161 ff]).
[22] Bei Austauschverhältnissen kommt es demnach für die Beurteilung des Schadens auf die rechnerische Differenz zwischen Leistung und Gegenleistung an (RIS-Justiz RS0094374); sind sie gleichwertig (äquivalent), tritt kein Schaden ein (Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 161, 169; vgl RIS-Justiz RS0094263). Stellt sich jedoch das vom Opfer Erhaltene als wirtschaftlich wertlos dar, findet es bei der Schadensberechnung keine Berücksichtigung (vgl dazu und zur fehlenden Äquivalenz im Allgemeinen Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 165 und 170 ff).
[23] In die Bewertung der Gegenleistung sind auch opferbezogene Faktoren einzubeziehen, auf deren Grundlage zu prüfen ist, ob das Geleistete für das Opfer (individuell) brauchbar war (objektiv-individueller Maßstab [RIS-Justiz RS0094308 {T3}; Kirchbacher/Sadoghi in WK² § 146 Rz 80; Kert, SbgK § 146 Rz 247; Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 175 ff]). Dabei sind die persönlichen Vorstellungen des Opfers und seine Präferenzen („persönlicher Wirtschaftsplan“) einzubeziehen, wobei nur (aus wirtschaftlicher Sicht) willkürliche Individualinteressen außer Betracht zu bleiben haben (RIS-Justiz RS0094237; Kert, SbgK § 146 Rz 222, 247 ff, 249 f; Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 173, 175, 179, 184; vgl auch Perron in Schönke/Schröder, StGB30 § 263 Rz 121). Ist die Gegenleistung unter diesen opferbezogenen Gesichtspunkten wertlos, tritt der Schaden in voller Höhe der irrtumsbedingten Leistung des Getäuschten ein (RIS-Justiz RS0094263 [T17], RS0119371).
[24] Bei Doping im Berufssport rückt aufgrund dessen Besonderheiten und der Bedeutung „sauberen Sports“ unter dem Gesichtspunkt individueller Nützlichkeit der Gegenleistungen das sportliche und wirtschaftliche Umfeld der (hier) Radrennmannschaften ins Blickfeld, so etwa die Auswirkungen von (drohenden) Maßnahmen (zB des Ausschlusses von laufenden und/oder zukünftigen Bewerben) wegen Dopings gegen den Sportler oder sie selbst auf ihre Wettkampffähigkeit und die Erreichbarkeit der verfolgten sportlichen Ziele sowie die Folgen des Dopings auf ihr Image und die Finanzmittelakquirierung (Sponsoring, Förderungen etc). Bei dieser unter Zugrundelegung eines individuellen Maßstabs vorzunehmenden Bewertung der Gegenleistungen kommt es ausschließlich auf die Nützlichkeit aus Sicht der Radrennmannschaften an, die als solche nicht bezifferbar ist. Somit ist unter Zugrundelegung der (beispielhaft) geschilderten – aus wirtschaftlicher Sicht nicht willkürlichen – opferbezogenen Faktoren allein die (Tat-)Frage zu beantworten, ob die Arbeitsleistungen individuell brauchbar waren. Verneinendenfalls finden sie (hier) mangels Verwertungsmöglichkeiten (vgl zum anders gelagerten Fall des Abstellens auf den Wiederverkaufspreis von Waren Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 177 f) bei der Schadensberechnung zur Gänze keine Berücksichtigung.
[25] Das Fehlen eines arbeitsrechtlichen Rückforderungsanspruchs ist demgegenüber für den Eintritt eines Vermögensschadens – entgegen dem sich darauf berufenden Beschwerdevorbringen – ohne Bedeutung (12 Os 129/05w; vgl Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 70; Kert, SbgK § 146 Rz 195; siehe auch Perron in Schönke/Schröder StGB30 § 263 Rz 120).
[26] Zur Bewertung des im Austauschverhältnis Erbrachten und Erhaltenen sind die erforderlichen (mängelfrei begründeten) Feststellungen zu treffen. Erst auf Basis dieser Sachverhaltsgrundlage ist in rechtlicher Hinsicht der (tatsächliche oder zumindest mögliche) Schadenseintritt zu prüfen (vgl RIS-Justiz RS0116672 [„gemischte Frage“]).
[27] Aus der Kausalität des täuschungsbedingten Irrtums für die Vermögensverfügung kann (in rechtlicher Hinsicht) nicht auf den Eintritt eines Vermögensschadens geschlossen werden. Denn beide Tatbestandsvoraussetzungen sind voneinander zu unterscheiden, weil erstere die Ursache der Handlung des Getäuschten betrifft und zweitere deren Auswirkungen auf sein Vermögen oder jenes eines Dritten (siehe hingegen US 15; vgl Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 180).
[28] In subjektiver Hinsicht muss der von § 146 StGB vorausgesetzte Schädigungsvorsatz sämtliche für die (rechtliche) Beurteilung des Schadenseintritts im Einzelfall notwendigen (äußeren) Tatumstände umfassen (Kienapfel/Schmoller, BT II² § 146 Rz 210).
[30] Schließlich wird zu A./a./, A./d./, und A./i./ (mit Blick auf allenfalls im Ausland gelegene Orte der Vertragsunterfertigungen – ON 30 S 485 ff, 517 und 579) zu beachten sein, dass auch hier die Orte der Täuschungshandlungen oder die Erfolgsorte konkret festzustellen und im Fall ausschließlicher Auslandstatorte die für die inländische Gerichtsbarkeit nach § 65 StGB erforderlichen Sachverhaltsannahmen zu treffen sind.
[31] Die Subsumtionseinheit nach § 29 StGB wird hinsichtlich aller dem Angeklagten letztlich zur Last liegenden Betrugstaten neu zu bilden sein (RIS-Justiz RS0116734; Ratz, WK-StPO § 289 Rz 10).
[32] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E131711European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00119.20M.0427.000Im RIS seit
02.06.2021Zuletzt aktualisiert am
22.10.2021