TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/24 W150 2196809-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.02.2020
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Entscheidungsdatum

24.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W150 2196809-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX 1989, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch RA Mag. Dr. Andreas MAUHART, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.12.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides gem. § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes III. stattgegeben.
XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 und § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III. Gemäß § 9 BFA-VG idgF wird der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt.

IV. Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides, wonach „festgestellt gemäß § 52 Abs. 9 FPG wird, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist“ wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

V. Der Spruchpunkt VI. wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang:

1. Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, welcher der ethnischen Gruppe der TADSCHIKEN angehört sowie sich selbst als sunnitischer Moslem definiert, stellte am 20.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am folgenden Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt.

In deren Verlauf gab dieser zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, in XXXX geboren und aufgewachsen zu sein. Unmittelbar nach Abschluss seiner insgesamt zwölfjährigen Schulbildung habe der BF ein Geschäft eröffnet, welches er bis zu seiner Ausreise erfolgreich betrieben hätte; aktuell würde sein jüngerer Bruder selbiges weiterführen. Die finanzielle Situation seiner Person sowie seiner nach wie vor in Afghanistan lebenden Familie sei generell gut und würde man unter anderem neben dem Geschäft auch über ein eigenes Wohnhaus verfügen.

Fluchtauslösend wäre eine akute Lebensgefahr für den BF gewesen. Konkret hätten sowohl sein jüngerer Bruder als auch er selbst ein sehr gutes Verhältnis im wortwörtlichen Sinn zum Sheikh der gegenüber ihrem Geschäft gelegenen Moschee gepflegt. Letztgenannter habe regelmäßig bei ihnen eingekauft und sei das Brüderpaar oft in seiner Kultstätte beten gewesen. „Eines Tages fragte der Sheikh mich, ob er Waffen bei mir im Geschäft verstecken könne (Seite 11 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Der Beschwerdeführer hätte auf die Frage nicht geantwortet, sondern stattdessen wenig später einen befreundeten Polizisten darüber informiert, demzufolge der Leiter der Moschee Waffen lagern würde. Kurze Zeit danach wäre der Sheikh verhaftet worden. Einem zeitlich nicht allzu weit versetzt verübten Bombenanschlag sei jedoch sein Freund von der Polizei zum Opfer gefallen – ein Vorfall, der nach Ansicht des BF in kausalem Zusammenhang mit der zuvor vorgenommenen Festnahme stehen müsse. „Die Leute, denen die Waffen gehören, wissen bestimmt, dass ich das Waffenversteck verraten habe (Seite 11 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Aus Angst, ein ähnliches Schicksal wie das Anschlagsopfer teilen zu müssen, wäre der Beschwerdeführer umgehend ausgereist. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er für sich daher auch das Schlimmste: „Ich kann nichts beweisen, aber ich bin mir sicher, dass mich diese Leute finden und töten werden (Seite 13 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“

2. In weiterer Folge brachte der BF im Zusammenwirken mit seinem gewillkürten Vertreter folgende Beweismittel in Vorlage:

-        Tazkira;

-        ÖSD-Zertifikat A1 vom XXXX 03.2017;

-        Teilnahmebestätigung „Deutsch A1 Teil 2 – Deutsch als Fremdsprache“ vom XXXX 11.2016;

-        Teilnahmebestätigung „Deutsch als Fremdsprache A2/1“ vom XXXX 04.2017;

-        Unternehmens-Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2017 an das Finanzamt;

-        Firmenbuchauszug vom XXXX 06.2016;

-        Gesellschaftsgründungsbekanntgabe;

-        Beschluss des LG XXXX , über Eintragung ins Firmenbuch vom XXXX 06.2016;

-        Gesellschaftsvertrag vom XXXX 06.2016.

3. Am 03.04.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Bereits im Vorfeld übermittelte sei rechtsfreundlicher Vertreter am selben Tag ein Konvolut von fünf Lichtbildern.

Abgesehen von geringfügigen Rückenproblemen uneingeschränkt gesund, habe er anlässlich seiner Ersteinvernahme stets die Wahrheit gesagt.

Vor etwa drei Jahren illegal ins Bundesgebiet eingereist, hätte der BF insgesamt etwas mehr als US-$ 10.000,00.-- für seine Schleppung gezahlt. Der Betrag stamme ausschließlich aus seinem Ersparten, welches der Betreiber eines Lebensmittelgeschäfts jederzeit abrufbar besessen habe. Seine damaligen monatlichen Einnahmen als selbstständiger Unternehmer würden sich im Durchschnitt auf ungefähr US-$ 1.000,00.- bis 1.500,00.- belaufen.

Im Bundesgebiet verfüge der Beschwerdeführer über einen Halbbruder, der seine weiterhin in XXXX lebenden Eltern und Brüder zusätzlich zu deren Erwerbstätigkeit unterstützen würde. Finanziell gehe es seinen Angehörigen in Afghanistan durchwegs gut.

Ausschlaggebend für das Verlassen seines Heimatlandes wären Probleme mit Privatpersonen gewesen. So habe der BF von seinem Laden aus stets zur nahegelegenen Moschee hinüberschauen und auf diese Weise wiederholt am späteren Abend verdächtige Männer beobachten können, welche den Mullah in der Gebetsstätte getroffen hätten. Diese eigenartigen Vorgänge habe der Beschwerdeführer gegenüber einen seiner Kunden, welcher für die Sicherheitsbehörden tätig gewesen sei, erwähnt. Dieser habe sich sehr interessiert gezeigt und angekündigt, sich der Angelegenheit höchstpersönlich anzunehmen. Nach ungefähr einem Monat wären spät abends plötzlich mehrere Fahrzeuge vor der Moschee aufgefahren und hätten die darin befindlichen Polizisten innerhalb einer halben Stunde den Mullah sowie mehrere seiner Mitarbeiter verhaftet. Einige Tage später sei sein Bekannter von der Polizei wieder in seinem Geschäft gewesen und habe die Festnahme bestätigt. In den Folgewochen wäre die Moschee ohne Geistlichen geblieben; dann hätte ein Anschlag stattgefunden. An einer Brücke sei ein dort zuvor angebrachter Sprengsatz detoniert, als am frühen Morgen sein Freund diese mit dem Auto überquert hätte. Die Explosion habe das Fahrzeug in zwei Teile gerissen und die beiden Insassen ebenso getötet, wie einen zur selben Zeit auf der Brücke befindlichen Busfahrer, dessen Transportmittel daraufhin in ein Gebäude gerast wäre und durch die Kollision auch eine Frau verletzt hätte. Da sein auf diese tragische Weise getötete Kunde ihm zuvor mitgeteilt habe, demzufolge bekannt sei, dass die Verhaftung des Mullahs auf ihn und den BF zurückzuführen wäre, hätte letzterer nunmehr Todesangst bekommen und wenige Tage später sein Geschäft verlassen, um über Pakistan auszureisen.

Ergänzend brachte der Beschwerdeführer vor, demzufolge vor der Inhaftierung des Mullahs selbiger zu ihm in den Laden gekommen sei „und mir Waffen brachte (Seite 172 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Der BF solle darauf aufpassen – ein Ansinnen, aus dem Letztgenannter sofort eine Zusammenarbeit zwischen dem Geistlichen und den Taliban abgeleitet habe. Zitternd hätte der Beschwerdeführer den Wunsch des Mullahs abgeschlagen, worauf dieser wortlos das Geschäft wieder verlassen habe. Sein Freund von der Polizei hätte ihn daraufhin gewarnt, dass sei in Leben in Gefahr wäre. Derselben Quelle zufolge sei die Rolle des BF im Zusammenhang mit der Verhaftung des Geistlichen auch den Taliban bekannt geworden. Nach dem Bombenattentat, welchem ausgerechnet dieser Polizeibedienstete zum Opfer gefallen wäre, „war ich mir sicher, dass ich der Nächste sei (Seite 173 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).“ Dies nicht zuletzt, da der Mullah von seiner Bekanntschaft mit dem Sicherheitsbeamten Kenntnis gehabt habe.

In Österreich verbringe er seine Zeit ähnlich wie auch in seinem Heimatland mit seiner beruflichen Tätigkeit im eigenen Geschäft sowie Fußballspielen; über eine Freundin oder Lebensgefährtin verfüge er hingegen nicht. In dem Unternehmen, welches er gemeinsam mit seinem Halbbruder – mittlerweile österreichischer Staatsbürger – im Bundesgebiet aufgebaut habe, hätten die beiden noch sechs weitere Mitarbeiter angestellt.

Im Falle seiner Rückkehr fürchte der BF Racheakte der Taliban, welche generell sehr gut vernetzt wären. Zudem halte er es für durchaus denkbar, dass zwischenzeitlich auch der Mullah wieder aus der Haft entlassen sein könnte.
4. Mit Bescheid vom 19.04.2018, Zl. XXXX , wies die Erstinstanz den Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, wonach der Genannte keinerlei Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht habe. Im vorliegenden Fall hätte keine individuelle Gefährdungslage in Bezug auf den Beschwerdeführer festgestellt werden können.

Insgesamt sei die behauptete Fluchtgeschichte in seiner Gesamtheit schon allein deshalb absolut unglaubwürdig, zumal das Vorbringen nicht nur lebensfremd, unplausibel und vage, sondern darüber hinaus auch noch grob widersprüchlich erstattet worden wäre.

Subsidiärer Schutz würde ihm nicht zuerkannt, da im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes auf Grund der derzeitigen, allgemeinen Lage in Afghanistan nicht drohe.

Als jungem gesunden Mann mit langjähriger Schulbildung und Berufserfahrung könne dem Beschwerdeführer grundsätzlich eine Teilnahme am lokalen Erwerbsleben zugemutet werden; insbesondere in XXXX stelle sich die allgemeine Versorgungslage und Infrastruktur laut zugrundegelegtem Ländergutachten in Summe befriedigend dar und wären des Weiteren auch Verdienstmöglichkeiten für männliche Rückkehrer ohne soziale respektive familiäre Anknüpfungspunkte gegeben. Darüber hinaus wären ihm sowohl Landessprache als auch kulturelle Gepflogenheiten in Afghanistan bekannt. In einer Gesamtschau könnten daher vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte keinerlei Anhaltspunkte dahingehend erkannt werden, die eine ernsthafte Gefahr für Leben oder Unversehrtheit des BF, der gegebenenfalls zudem auf Kernfamilienmitglieder in XXXX zurückgreifen könne, nahelegen würden.

Dass der Beschwerdeführer über keinerlei nennenswerte private oder familiäre Bindungen im Bundesgebiet verfüge, ergebe sich aus seinen eigenen diesbezüglichen Angaben. Wenngleich durch das Führen eines selbstständigen Unternehmens zusammen mit seinem Halbbruder grundsätzlich selbsterhaltungsfähig und auch der deutschen Sprache in Grundzügen mächtig, liege keine berücksichtigungswürdige Eingliederung in die österreichische Gesellschaft vor. Private Bindungen zu Österreich könnten vor diesem Hintergrund nicht erkannt werden. Abgesehen von Geschäftsbeziehungen beschränke sich das soziale Umfeld des BF lediglich auf Bekanntschaften, welche er im Rahmen seines Asylverfahrens gemacht habe; ehrenamtliche Tätigkeiten würden ebensowenig ausgeübt wie auch keinerlei Mitgliedschaft in Vereinen oder Organisationen angestrebt.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF über seinen rechtsfreundlichen Vertreter am 24.05.2018 Beschwerde.

6. In weiterer Folge wurden der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter im Rahmen eines Verspätungsvorhalts vom 25.03.2019 auf die Tatsache hingewiesen, wonach der angefochtene Bescheid am 23.04.2018 zugestellt worden sei. Das Ende der gesetzlich normierten vierwöchigen Beschwerdefrist müsse daher mit 21.05.2018 angesetzt werden, jedoch wäre erst am 24.05.2018 am elektronischen Weg via Email Beschwerde erhoben worden.

7. Im Rahmen der daraufhin mit Schriftsatz vom 27.03.2019 erfolgten Stellungnahme seitens des gewillkürten Vertreters verwies dieser auf einen Zustellmangel, welcher erst am 26.04.2018 geheilt worden sei, wodurch der Rechtsmittelschriftsatz als fristgerecht eingebracht zu qualifizieren wäre.

8. Mit Schriftsatz vom 24.11.2020 wurde ein Antrag gemäß § 56 AsylG gestellt. Begründend wurde ausgeführt, demzufolge die gesamte noch lebende Familie des seit 21.10.2015 ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältigen BF mittlerweile in Österreich leben würde – ein Umstand, welcher im Rahmen der in § 55 AsylG angeführten berücksichtigungswürdigen Gründe zur Anwendung gelangen müsse.

Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer als Mitbegründer und -gesellschafter einer OG unternehmerisch ausgesprochen erfolgreich, was sich auch an dessen Jahreseinkommen von € 38.961,71.- deutlich ablesen lassen würde.

Schließlich habe sich der BF zwischenzeitlich erheblich integriert; so wäre dieser etwa Stammspieler des XXXX sowie in diversen namentlich nicht genannten Vereinen aktiv. Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (Stufe B1 mit Integrationspaket) sei ebenfalls positiv abgelegt worden. Sollten diese Faktoren noch immer als nicht ausreichend erachtet werden, würde der Bruder XXXX jederzeit eine Patenschaftserklärung gemäß §§ 2 Abs. 1 Z 26 iVm 56 Abs. 3 unterfertigen und erforderlichenfalls nachreichen.

Unter einem wurden dem Schreiben in Kopie beigelegt:

-        Zeugnis B1;

-        Gewinnaufstellung 2019;

-        Bestätigung XXXX ;

-        Bestätigung XXXX samt Spielerpass.

9. Am 21.12.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die Fluchtgründe, die maßgebliche Lage in Afghanistan, das Privat- und Familienleben des BF und seine Integrationsschritte erörtert.

Prinzipiell gesund, sei er zwar durch eine Sportverletzung am linken Fuß derzeit an Krücken gebunden aber ansonsten uneingeschränkt verhandlungsfähig.

Ursprünglich in XXXX geboren, entsprächen sämtliche seiner vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl getätigten Angaben allesamt der Wahrheit.

Als sunnitischer Moslem beachte der Beschwerdeführer die daraus resultierenden religiösen Gebote - zumindest soweit sich diese in sein Alltagsleben integrieren ließen. Prinzipiell respektiere der ethnische Tadschike aber auch sämtliche anderen Religionen.

Bis zu seiner Ausreise in XXXX XXXX wohnhaft, wären aktuell noch seine Mutter und zwei Brüder in seinem Heimatland ansässig. Demgegenüber sei sein Vater mittlerweile verstorben; ein weiterer Bruder ebenso in Österreich angesiedelt wie auch die Enkelkinder seiner Tante; Cousins seiner Mutter würden demgegenüber in Deutschland leben.

Nach seiner insgesamt zwölf Jahre umfassenden Schulbildung hätte der BF zwar zunächst in einer Fleischhauerei gearbeitet, jedoch keinerlei Berufsausbildung absolviert.

Weiterhin ledig und kinderlos habe der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus Angst um sein Leben verlassen müssen. Konkret sei sein Geschäft gegenüber einer Moschee namens XXXX gelegen gewesen und hätte er von dort aus verdächtige Aktivitäten vor der Kultstätte wahrgenommen. Der Mullah habe auch zu seinen Stammkunden gezählt und wären dem BF wiederholt binnen zweier Wochen eigenartige Personen aufgefallen, welche die Moschee betreten hätten.

Einem ihm bekannten V-Mann namens XXXX habe der Beschwerdeführer sodann von seinen Beobachtungen berichtet und hätte dieser zugesichert, sich der Sache persönlich anzunehmen. Der Mullah sei weiterhin als Kunde in seinem Lebensmittelladen ein und aus gegangen und wäre in dieser Zeit sogar einmal mit dem Ersuchen an den BF herangetreten, dieser solle eine in einem Plastiksackerl verstaute Pistole in seinen Geschäftsräumlichkeiten verwahren. Da sich dieser jedoch geweigert habe, die Waffe entgegenzunehmen, sei der Gottesmann wieder unverrichteter Dinge gegangen.

Auch dieses Erlebnis hätte der Beschwerdeführer seinem bekannten V-Mann berichtet. Wenig später wären in einem großangelegten Polizeieinsatz der Mullah ebenso wie mehrere andere Leute festgenommen worden. XXXX habe ihn danach gewarnt vorsichtig zu sein. Eine Woche später wäre dieser zusammen mit seinem Fahrer durch eine Mine an einer Brücke getötet worden, ebenso wie auch ein weiterer Fahrer; eine Frau sei zudem verletzt worden.

Dieser Anschlag habe im BF die Befürchtung geweckt, derzufolge die Ermordung des Informanten aus der Festnahme des Mullahs resultieren und somit allenfalls auch er selbst in das Visier der Attentäter geraten könnte. Um einem ähnlichen Schicksal wirksam entgehen zu können, wäre der Beschwerdeführer sicherheitshalber drei Tage nach der Explosion ausgereist.

Auf Vorhalt, wonach der BF vor der Erstinstanz gänzlich abweichende Zeitangaben präsentiert hätte, behauptete dieser, „dass es mir an diesem Tag mental wirklich nicht gut ging (Seite 16 der Niederschrift vom 21.12.2020).“ Anlässlich der Erstbefragung sei es ihm sogar noch viel schlechter gegangen.

Auf dieses wiederholte mentale Unwohlsein wären vermutlich sowohl seine divergierenden Angaben hinsichtlich eines Waffenverstecks sowie hinsichtlich der Zahl der Waffen, welche er für den islamischen Geistlichen laut eigenem Vorbringen hätte aufbewahren sollen, zurückzuführen.

Im Falle seiner Rückkehr befürchte der BF das Schlimmste, „weil man kennt mich dort (Seite 19 der Niederschrift vom 21.12.2020).“ Zudem würde Österreich im Vergleich zu diversen anderen Staaten in seiner Wertschätzung weitaus besser abschneiden, weshalb er auch in keinem anderen Land leben wolle. In Afghanistan würde sich der Beschwerdeführer demgegenüber selbst im Falle eines uneingeschränkten Lebens frei von Beeinträchtigungen „geistig und seelisch tot fühlen (Seite 19 der Niederschrift vom 21.12.2020).“

Neben seinem fußballerischen Engagement besuche der Beschwerdeführer auch regelmäßig das Sprachcafé und Feste; letztere zumeist mit einigen Freunden aus Österreich, Afghanistan und der Türkei. In dem von ihm und seinem Bruder geleiteten Lebensmittelgeschäft hätten die beiden Geschwister neben drei Mitarbeitern auch noch eine Putzfrau angestellt. In nächster Zukunft wolle man auf einem zugekauften Grundstück weitere Gebäude errichten, welche sowohl zu privaten als auch beruflichen Zwecken genutzt werden sollten. Der Baubeginn des bereits fertig geplanten Projekts sei lediglich wetterabhängig. Nach Fertigstellung wolle er seine aktuelle Freundin ehelichen und mit dieser in seine Doppelhaushälfte neben seinen Bruder einziehen.

10. Mit Schreiben vom 21.12.2020 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter des BF den Grundbuchsauzug der im Beschwerdeverfahren angesprochenen zugekauften Liegenschaft.

11. Der Beschwerdeführer legte im Zuge seines Verfahrens folgende Dokumente und Schriftstücke vor:

- Grundbuchsauszug der XXXX ;

- Lichtbildkonvolut eines zerstörten Pkws;

- Tazkira;

- ÖSD-Zertifikat A1 vom XXXX 03.2017;

- Teilnahmebestätigung „Deutsch A1 Teil 2 – Deutsch als Fremdsprache“ vom XXXX 11.2016;

- Teilnahmebestätigung „Deutsch als Fremdsprache A2/1“ vom XXXX 04.2017;

- Unternehmens-Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2017 an das Finanzamt;

- Firmenbuchauszug vom XXXX 06.2016;

- Gesellschaftsgründungsbekanntgabe;

- Beschluss des LG XXXX , über Eintragung ins Firmenbuch vom XXXX 06.2016;

- Gesellschaftsvertrag vom XXXX 06.2016;

- Zeugnis B1;

- Gewinnaufstellung 2019;

- Bestätigung XXXX ;

- Bestätigung XXXX samt Spielerpass.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der ledige wie auch kinderlose Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der TADSCHIKEN. Die seinerseits ins Treffen geführte Identität konnte aufgrund der Vorlage authentischer Urkunden positiv festgestellt werden. Seine Muttersprache ist DARI. Konfessionell formal dem sunnitischen Islam zugehörig, praktiziert der BF einen eher pragmatischen Glaubensalltag. Nach seiner insgesamt knapp zwölfjährigen Schulbildung ging er zunächst der Tätigkeit in einer Fleischhauerei nach, um dann wenig später seinen eigenen Lebensmittelhandel zu führen. Bis zu seiner Ausreise hat er zusammen mit Eltern und Geschwistern in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt. Der Beschwerdeführer ist uneingeschränkt gesund und arbeitsfähig; allfällige Hinweise auf lebensbedrohende oder schwerwiegende Krankheiten des BF sind im Verfahren nicht hervorgetreten und wurden solche auch nicht behauptet.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der BF ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich zumindest seit dem 20.10.2015 durchgehend in Österreich auf. Aktuell verfügt der Beschwerdeführer über einfache Kenntnisse der deutschen Sprache, die ihm die Kommunikation über Dinge des täglichen Lebens rudimentär ermöglichen. Offiziell hat der BF Kurse der Sprach-Niveaustufe B1 besucht und eine positive Prüfung abgelegt. Aktuell führt er zusammen mit seinem Bruder erfolgreich ein gemeinsames Unternehmen in der Lebensmittelbranche, welches ihm wirtschaftlich den Selbsterhalt ermöglicht.

Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer abgesehen von dem eben genannten Bruder über keinerlei Kernfamilienmitglieder.

Seine Zeit in Österreich verbringt der BF neben seinem unternehmerischen Engagement vorwiegend mit sportlichen Aktivitäten innerhalb eines Fußballclubs sowie dem Besuch von lokalen Festen.

Der Beschwerdeführer erweist sich zum Entscheidungszeitpunkt als strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

In casu kann es dahingestellt bleiben, ob das vom BF ins Treffen geführte Szenario den Tatsachen entspricht, zumal dieses mangels individueller Verfolgung seiner Person nicht unter die Tatbestandsmerkmale der Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert werden kann.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten könnte. Im Falle einer Verbringung des Genannten in seinen Herkunftsstaat droht diesem daher kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die Existenz familiärer Anknüpfungspunkte in konkreter Gestalt seiner Mutter sowie zweier Brüder verwiesen, deren finanzielle Situation wiederholt als „gut“ qualifiziert wurde und die dem BF unbestrittenermaßen im Falle seiner Rückkehr den Weidereinstieg in die berufliche Existenz spürbar erleichtern würden.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, letzte Information 18.05.2020 - Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst):

Neueste Ereignisse:

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abs.chnitt 3/Sicherheitslage; Abs.chnitt 2/Politische Lage; Abs.chnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, dieTaliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a). Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verAbs.chiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u. a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht.

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019). Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abs.tänden zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b). Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019).

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abs.chnitt 2/Politische Lage; Abs.chnitt 3/Sicherheitslage; Abs.chnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten.

Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und USVertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte USUnterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen USVertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019). Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abs.chnitt 2/Politische Lage und Abs.chnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem AutobahnAbs.chnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abs.chnitt 2/Politische Lage und Abs.chnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abs.chnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distrikten wurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

KI vom 11.9.2018, Angriffe des Islamischen Staates (IS/ISKP) in Kabul, Anschläge in Nangarhar und Aktivitäten der Taliban in den Provinzen Sar-i Pul und Jawzjan (relevant für Abs.chnitt 3 / Sicherheitslage)

Anschläge in Nangarhar 11.9.2018

Am 11.9.2018 kamen nach einem Selbstmordanschlag während einer Demostration im Distrikt Mohamad Dara der Provinz Nangarhar mindestens acht Menschen ums Leben und weitere 35 wurden verletzt (Tolonews 11.9.2018; vgl. TWP 11.9.2018, RFE/RL 11.9.2018). Kurz zuvor wurde am Vormittag des 11.9.2018 ein Anschlag mit zwei Bomben vor der Mädchenschule "Malika Omaira" in Jalalabad verübt, bei dem ein Schüler einer nahegelegenen Jungenschule ums Leben kam und weitere vier Schüler verletzt wurden, statt (RFE/RL 11.9.2018; AFP 11.9.2018). Davor gab es vor der Mädchenschule "Biba Hawa" im naheligenden Distrikt Behsud eine weitere Explosion, die keine Opfer forderte, weil die Schülerinnen noch nicht zum Unterricht erschienen waren (AFP 11.9.2018).

Weder die Taliban noch der IS/ISKP bekannten sich zu den Anschlägen, obwohl beide Gruppierungen in der Provinz Nangarhar aktiv sind (AFP 11.9.2018; vgl. RFE/RL 11.9.2018, TWP 11.9.2018).

Kämpfe in den Provinzen Sar-e Pul und Jawzjan 11.9.2018

Am Montag, dem 10.9.2018, eroberten die Taliban die Hauptstadt des Kham Aab Distrikts in der Provinz Jawzjan nachdem es zu schweren Zusammenstößen zwischen den Taliban und den afghanischen Sicherheitskräften gekommen war (Tolonews 10.9.2018a; Tolonews 10.9.2018b). Sowohl die afghanischen Streitkräfte als auch die Taliban erlitten Verluste (Khaama Press 10.9.2018a).

Am Sonntag, dem 9.9.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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