TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/30 W155 2183776-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.10.2020
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Entscheidungsdatum

30.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W155 2182952-1/24E
W155 2183776-1/22E
W155 2183782-1/20E
W155 2183775-1/25E
W155 2183785-1/16E
W155 2183778-1/19E
W155 2183777-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerden von

1. XXXX , geboren am XXXX ,

2. XXXX , geboren am XXXX ,

3. XXXX , geboren am XXXX ,

4. XXXX , geboren am XXXX ,

5. XXXX , geboren am XXXX ,

6. XXXX , geboren am XXXX und

7. XXXX , geboren am XXXX

alle Staatsangehörige der islamischen Republik Afghanistan, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , 1. Zahl XXXX , 2. Zahl XXXX 3. Zahl XXXX , 4. Zahl XXXX , 5. Zahl XXXX , 6. Zahl XXXX und 7. Zahl XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist unzulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind Staatsangehörige der islamischen Republik Afghanistan, traditionell verheiratet und Eltern von fünf Kindern. Sie stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet für sich und als gesetzliche Vertreter für die damals minderjährigen Dritt,- Viert,- Fünft,- Sechst- und Siebent-Beschwerdeführer (BF3, BF4, BF5, BF6 und BF7) Anträge auf internationalen Schutz.

Der BF1 gab im Rahmen der polizeilichen Erstbefragung am 25.11.2015 zu den Fluchtgründen befragt Folgendes an: „Mein Bruder XXXX hat ein Liebesverhältnis mit einem Mädchen gehabt. Als die Familie dieses Mädchens von der Beziehung erfahren hat, wurde sie und mein Bruder getötet. Damit ich mich an der Familie nicht rächen kann, wurde auch ich mit dem Tode bedroht. Daher verließ ich vor 4 Jahren Afghanistan und lebte illegal im Iran. …Mir drohte jeden Tag die Abschiebung nach Afghanistan. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.“ Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

Die BF2 führte am 06.11.2015 zusammengefasst an, in Afghanistan geboren zu sein und den im Spruch genannten Namen zu tragen. Sie spreche Dari und sei Tadschikin. Sie sei traditionell afghanisch verheiratet und habe ihren Ehemann bei der Flucht bei einem Fußmarsch über die Grenze zur Türkei verloren. Afghanistan habe sie vor ca. 3 Jahren verlassen, weil dort Krieg und Armut herrsche. Außerdem sei ihr Schwager mit einem Mädchen, dass er nicht heiraten habe dürfen, geflohen. Die beiden seien von der Familie des Mädchens getötet worden. Daher sei auch das Leben des BF1 in Gefahr gewesen, weshalb sie in den Iran geflüchtet seien. Sie nannte Gründe-auch finanzielle-, warum sie den Iran verlassen mussten. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte sie um ihr Leben und das ihrer Familie. Die minderjährigen Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

BF3 und BF4 gaben zu Protokoll, dass der Onkel mit einem Mädchen geflohen sei und beide von der Familie des Mädchens getötet worden wären. Die Feinde hätten auch ihren Vater töten wollen. In Afghanistan wäre ihr Leben in Gefahr. Auf Grund der schlechten finanziellen Lage, hätten sie den Iran verlassen, ein Schulbesuch sei wegen fehlender Aufenthaltsdokumente nicht möglich gewesen. Die iranische Regierung habe den BF3 in den syrischen Krieg schicken wollen.

Auch hinsichtlich der BF5, BF6 und BF7 wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

Am 30.05.2017 bzw. am 13.06.2017 wurden der BF1, die BF2, der BF3, die BF4 sowie die BF5 von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Zu den Fluchtgründen befragt, wiederholten sie im Wesentlichen das in der Erstbefragung geäußerte Fluchtvorbringen und die Angaben zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und zum Herkunftsort. Ergänzend gab der BF1 an, dass seine Familie im Herkunftsort geachtet gewesen sei, er besitze ein Haus und Grundstücke, die er von seinem Vater geerbt habe und nun von seiner Schwester und seinem Neffen betreut werden. Die Grundstücke wurden und werden noch immer landwirtschaftlich bewirtschaftet. Ein weiteres Haus in XXXX welches er selbst errichtet habe, werde vermietet. Er habe regelmäßigen Kontakt mit seiner Schwester bzw. seinem Neffen. In Afghanistan habe er sich grundsätzlich wohl gefühlt. Er habe als Maurer gearbeitet, habe mit seiner Familie etwas unternommen oder habe jemanden besucht. Sein Fluchtmotiv konkretisierte er und führte aus, dass sein jüngerer und sein älterer Bruder im Zusammenhang mit einer verbotenen Liebschaft des jüngeren Bruders zu einer Paschtunin getötet worden wären. Auch der Bruder des Mädchens sei im Zuge der Familienstreitereien getötet worden. Die Familie des Mädchens sei einflussreich und mächtig und habe beim BF1 Blutrache nehmen wollen und die älteste Tochter des BF1 gefordert. Er sei mehrmals telefonisch bedroht worden. Daher habe er mit seiner Familie die Flucht in den Iran und nach Europa ergriffen. Die BF2 ergänzte, dass sie unter psychischen Problemen leide und Medikamente nehme. In Afghanistan habe sie im Haushalt gearbeitet, ihr Ehemann im Baubereich. Die finanzielle Lage sei gut gewesen. Sie sei persönlich nicht bedroht worden, sondern sei die Familie nach dem Tod ihrer Schwager bedroht worden. Es sei auch mit der Entführung der ältesten Tochter gedroht worden, sodass sie Afghanistan haben verlassen müssen. BF3, BF4 und BF5 verwiesen auf die Fluchtgründe ihrer Eltern und die zugrundeliegende Geschichte, die die Eltern erzählt hätten.

In einer Stellungnahme vom 04.07.2017 zu den Länderberichten gaben die Beschwerdeführer an, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan permanent verschlechtere, auch die Situation in Kabul habe sich verschärft. Die männlichen Mitglieder der Familie wären von der Blutrache betroffen und den Töchtern drohe bei einer allfälligen Rückkehr Zwangsverheiratung. Desweitern bestünden in Afghanistan kaum Kapazitäten psychiatrische Erkrankungen zu behandeln. Auf Grund der massiv verschlechternden Sicherheitslage und dem Anstieg der Machtstellung der Taliban sei die gesamte Familie asylrelevant gefährdet.

Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 07.12.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt 1.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt 2.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern nicht erteilt (Spruchpunkt 2.I.), eine Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt 3.) und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt 4.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt 5.) festgelegt.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass das Fluchtvorbringen unglaubwürdig sei, vage geschildert worden wäre und sich auf private Verfolgungsmomente stütze. Ein vom BF1 vorgelegtes Dokument belege, dass die Brüder des BF1 als Schüler bei der Militärakademie von unbekannten bewaffneten Personen und nicht von der Familie der Freundin seines Bruders getötet worden seien. Die Beschwerdeführer hätten keine persönliche Bedrohung oder Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass ihnen der Status eines Asylberechtigen nicht zuerkannt werden könne. Zu Spruchpunkt 2. führte die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführer eine Rückkehr nach Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif möglich und zumutbar sei. Nach Durchführung einer Interessenabwägung kam die belangte Behörde zum Schluss, dass die öffentlichen die privaten Interessen überwiegen und erließ eine Rückkehrentscheidung. Hinsichtlich BF2-BF7 würden sich die Ausreisegründe und Rückkehrbefürchtungen ausschließlich auf die Familieneigenschaft stützen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden wortidenten Beschwerden, in welchen eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens infolge mangelhafter Ermittlung des Sachverhaltes, mangelnder, nicht nachvollziehbarer, willkürlicher Begründung geltend gemacht wurde. Das vom afghanischen Rechtsvertreter des BF1 vorgelegte Dokument beweise die Angaben, dass seine Brüder von Unbekannten getötet worden seien. Das Phänomen der Blutrache und der Beilegung solcher Fehden durch „Baad“ sei notorisch bekannt.

Die Einvernahme einer Zeugin, die langjährige Betreuerin der Beschwerdeführer ist, wurde beantragt, um bei Bedarf über die Integration der Familie auszusagen.

Die Beschwerden und Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 22.01.2018 mit einer Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen vorgelegt.

Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 18.12.2018 wurde BF3 wegen §§ 27 Abs. 1, 27 Abs. 2, 27 Abs. 4 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

Das BVwG führte am 25.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der neben einer Dolmetscherin für die Sprache Dari die Beschwerdeführer und deren Rechtsvertreter sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Die BF1-BF5 wurden u.a. zur Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu ihrem Gesundheitszustand, ihren Familienangehörigen, ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zum Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt. Als Beilage wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen zu den Akten genommen.

Am 29.10.2019 gaben die Beschwerdeführer als auch die belangte Behörde Stellungnahmen ab.

Am 09.03.2020 wurden weitere Integrationsnachweise vorgelegt.

Mit Schreiben des BVwG vom 16.09.2020 wurden die Beschwerdeführer aufgefordert, zu den aktuellen Länderinformationen und zur Covid-19 Situation Stellung zu beziehen. Eine solche wurde jedoch nicht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer führen in Österreich die im Spruch angeführten Namen und Geburtsdaten. Sie sind Staatsangehörige der islamischen Republik Afghanistan. Die Identität steht fest. Sie sind Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennen sich zum sunnitisch islamischen Glauben. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Sie stammen aus der afghanischen Provinz XXXX , Distrikt XXXX , XXXX . BF1 und BF2 sind miteinander verheiratet und Eltern des nunmehr volljährigen und strafrechtlich verurteilten ledigen BF3, der nunmehr volljährigen und verheirateten BF4, der nunmehr volljährigen BF5, des mündigen minderjährigen BF6 und der minderjährigen BF7. Die Beschwerdeführer haben ca. die letzten 4 Jahre vor ihrer Ausreise illegal im Iran gelebt und gemeinsam die Flucht nach Europa angetreten, sie stellten in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer haben Verwandte in Afghanistan.

Die Familie lebt im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt, ausgenommen BF3 und BF4. Die Familie lebt von der Grundversorgung. Die Beschwerdeführer sind gesund und arbeitsfähig, sie sind bis auf BF3 strafrechtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführer verfügen in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Freundes- und Bekanntenkreises; sie nehmen am gesellschaftlichen Leben teil.

Zum Erstbeschwerdeführer

Der BF1 stammt aus XXXX , Provinz XXXX . Er besuchte elf Jahre die Grundschule und arbeitete als Maurer auf Baustellen. Er war selbständig tätig. Er ist Eigentümer von Grundstücken mit Haus in XXXX , XXXX und in XXXX XXXX , die aktuell von seiner Schwester und seinem Neffen bewirtschaftet bzw. betreut werden. Das Haus in XXXX ist vermietet. Der BF1 hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Schwester und seinem Neffen. Ein Bruder des BF1 lebt im Iran, zwei Brüder sind verstorben.

Der BF1 hat in Österreich das ÖSD Zertifikat Niveau A2 bestanden, am Werte- und Orientierungskurs teilgenommen und Brückenmodule an der Volkshochschule absolviert. Er besucht seit März 2020 einen Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses. Er engagiert sich im Kosmopolitischen Garten Eisenstadt, betreibt Sport und baut Gemüse in einem von der Caritas zur Verfügung gestellten Garten an.

Zur Zweitbeschwerdeführerin

Die BF2 stammt ebenfalls aus XXXX , Provinz XXXX und ist dort sowie teilweise in der Stadt XXXX aufgewachsen. Sie besuchte 3 Jahre einen Alphabetisierungskurs (im Iran) und lebte gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwister in einem Haushalt. Die Eltern sind verstorben, eine Schwester lebt in XXXX eine im Iran, ein Bruder in Großbritannien und einer im Iran. Es besteht Kontakt zu ihren Geschwistern. Nach der Eheschließung lebte sie gemeinsam mit ihrem Mann, dessen Vater und Bruder sowie dessen Frau und Kindern im Heimatort. Die BF2 war Hausfrau.

In Österreich besuchte die BF2 Deutschkurse (A1) und Deutsch-workshops (Frauen-Café), absolvierte Brückenmodule und nimmt seit März 2020 an weiterführenden Brückenmodule zur Vorbereitung auf den Einstieg in die Pflichtschulabschlusslehrgänge teil. Sie verrichtet gemeinnützige Tätigkeiten für die XXXX Tafel. Sie nahm im Jahr 2018 (06-09) Psychotherapiegespräche in Anspruch. Sie trägt auch in Österreich ein Kopftuch. Die BF2 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre. Es handelt sich bei der BF2 nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Die BF2 kann sich zum Entscheidungszeitpunkt in einzelnen deutschen Worten verständlich machen. Ihr Leben unterscheidet sich nicht maßgeblich von dem bisher geführten.

Zum Drittbeschwerdeführer

Der BF3 hat keinen eigenen Fluchtgrund, er hat Afghanistan bzw. den Iran gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern verlassen.

Der BF3 besuchte in Afghanistan 6 Jahre die Grundschule. Im Iran hat er seinen Vater auf Baustellen begleitet.

In Österreich hat der BF3 im Frühjahr 2019 die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden und weist entsprechende Deutschkenntnisse auf. In der Beschwerdeverhandlung nimmt er die Übersetzung durch den Dolmetscher in Anspruch. Er bezieht in Österreich Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er möchte eine Ausbildung zum Maurer machen und als Maurer arbeiten. Er hat Freunde, die er in Wien besucht, er spielt Fußball. Er wurde im Dezember 2018 mit Urteil eines Landesgerichtes nach dem Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, welche unter der Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Gegen ihn wurde ein Betretungsverbot bzw. eine Verwarnung in Asylunterkünften wegen Alkoholkonsums und Schlägereien erteilt.

Zur Viertbeschwerdeführerin

Die BF4 hat keinen eigenen Fluchtgrund und Afghanistan bzw. den Iran gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern verlassen. Sie besuchte in Afghanistan und im Iran eine Schule.

Bei der BF4 handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

In Österreich hat sie die Fachschule für wirtschaftliche Berufe abgeschlossen und besucht derzeit den Aufbaulehrgang an der Handelsakademie. Sie will Lehrerin werden. Sie besucht einen Gitarre Kurs. Sie hat ein einmonatiges Praktikum beim Flüchtlingsdienst absolviert. Sie ist seit 12.10.2019 mit XXXX , geb. XXXX , standesamtlich verheiratet. Die Beschwerde gegen seinen negativen Asylbescheid ist beim BVwG zur Zahl XXXX anhängig. Die BF4 spricht in der Beschwerdeverhandlung gut Deutsch. Sie trägt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Kopftuch.

Zur Fünftbeschwerdeführerin

Die BF5 hat keinen eigenen Fluchtgrund und Afghanistan bzw. den Iran gemeinsam mit ihren Eltern und ihren Geschwistern verlassen. Sie besuchte in Afghanistan und im Iran eine Schule.

Bei der BF5 handelt es sich nicht um eine auf Eigenständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

In Österreich hat sie die Fachschule für wirtschaftliche Berufe abgeschlossen und absolviert den Aufbaulehrgang an der Handelsakademie. Sie hat ein zweimonatiges Praktikum bei einer Stadtgemeinde absolviert. Sie trägt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein Kopftuch. Sie möchte die Matura nachholen und Rechtswissenschaften studieren. Sie spricht gut Deutsch.

Zum Sechstbeschwerdeführer

Der BF6 hat keinen eigenen Fluchtgrund und Afghanistan bzw. den Iran gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern verlassen.

In Österreich besucht er eine neue Mittelschule, sein Verhalten in der Schule ist wenig zufriedenstellend.

Zur Siebentbeschwerdeführerin

Die BF7 hat keinen eigenen Fluchtgrund und Afghanistan bzw. den Iran gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern verlassen.

In Österreich besucht sie eine neue Musikmittelschule.

Zu den Fluchtgründen und Rückkehrmöglichkeit

Die von den Beschwerdeführern, insbesondere BF1 ins Treffen geführte Bedrohungssituation liegt nicht vor. Die Beschwerdeführer sind in Afghanistan nicht individuell und konkret bedroht oder verfolgt (worden). Sie waren im Herkunftsstaat keiner individuellen gegen sie gerichteten Verfolgung ausgesetzt noch sind sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer politischen Gesinnung wurde nicht konkret vorgebracht bzw. glaubhaft gemacht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.

Die Beschwerdeführer sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft oder nicht strafmündig. Sie haben sich im Herkunftsstaat nicht politisch betätigt, waren nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatten keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

Bei den weiblichen Beschwerdeführerinnen handelt es sich nicht um auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frauen, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sind.

Dem BF6 und der BF7 droht alleine aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine physische und/oder psychische Gewalt asylrelevanter Intensität.

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung. Den minderjährigen, schulpflichtigen Beschwerdeführer ist ein Schulbesuch in Afghanistan möglich. Den weiblichen Beschwerdeführern droht in Afghanistan keine Zwangsverheiratung, die BF4 ist bereits verheiratet.

Die Beschwerdeführer sind wegen ihres Aufenthaltes in einem westlichen Land oder ihrer Wertehaltung bei einer Rückkehr nach Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität ausgesetzt.

Eine Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Herkunftsprovinz XXXX ist grundsätzlich möglich.

Die Beschwerdeführer könnten sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan in ihrem Herkunftsort in der Provinz XXXX ansiedeln. Dort stehen den Beschwerdeführern durch ihr früheres Haus eine sofortige Unterkunft und den Grundstücksbesitz grundlegende Versorgung und Lebensgrundlagen zur Verfügung. Zudem können die Beschwerdeführer auf ihren eigenen Grundstücken Landwirtschaft betreiben und sich dadurch ihre Existenz sichern. Dem BF1 ist es darüber hinaus möglich, sich wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und seinen früheren Beruf nachzugehen. Sie laufen nicht Gefahr, in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Beschwerdeführer sind bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder einer Blutfehde noch einer Blutrache ausgesetzt.

Zusätzlich könnten sich die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr auch in der Stadt XXXX ansiedeln. Dort steht ihnen ebenfalls das eigene Haus mit Grundbesitz zur Verfügung. Dadurch sind auch ihre grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung) und ihre Lebensgrundlagen gesichert.

Die Beschwerdeführer können auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Die Beschwerdeführer sind anpassungsfähig und arbeitsfähig. Sie sind mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. BF3 ist gesund, jung und erwerbsfähig. Für die BF4, BF5, BF6, BF7 bestehen insbesondere in den Städten Bildungsmöglichkeiten und wird es möglich sein, die begonnene Schulbildung fortzusetzen bis hin zu einer universitären Ausbildung, einen Beruf zu erlernen und auszuüben. Es ist davon auszugehen, dass BF1 und BF2 ihre Kinder, auch die nun volljährige BF5 in jeglicher Hinsicht und Ambitionen unterstützen werden.

Den Beschwerdeführer wäre es zudem möglich und auch zumutbar, sich stattdessen auch in der Stadt Herat oder auch in Mazar-e Sharif niederzulassen. Angesichts der Arbeitsfähigkeit des BF1 und BF3 und deren Berufserfahrung könnten sich die Beschwerdeführer in Herat oder Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen und diese – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei sie Einkünfte durch Verpachtung der eigenen Landwirtschaft und Vermietung der Häuser nutzen könnten. Der BF1 konnte auch bisher durch seine beruflichen Tätigkeiten für sich und seine Familie sorgen. Ihm wäre daher auch der Aufbau einer Existenzgrundlage in Herat oder Mazar-e Sharif möglich. Der BF1 wäre in der Lage, in Herat oder Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Er hätte zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis ist aufgrund der Arbeitsfähigkeit und der bisherigen Berufserfahrung von einer Selbst- und Familienerhaltungsfähigkeit des BF1 auszugehen. Die Beschwerdeführer sind finanziell gut gestellt.

Der BF2 wäre es alleine nicht möglich und zumutbar, sich in der Hauptstadt Herat oder in Mazar-e Sharif niederzulassen. Sie hat keine Schulbildung und verfügt über keine Berufsausbildung und ist noch nie selbst für ihren Unterhalt aufgekommen. Da jedoch der BF1 für ihren Unterhalt sorgen könnte und dies auch in der Vergangenheit seit der Eheschließung getan hat, wäre der BF2 eine Rückkehr nach Herat oder Mazar-e Sharif im Familienverband sehr wohl möglich und zumutbar. Auch könnte sie ihre in Österreich gewonnen Schulbildung nützen und auch in Afghanistan, dem Wunsch in einem Kindergarten zu arbeiten nachgehen.

Auch den minderjährigen BF6 und BF7, die im afghanischen Familienverband aufgewachsen sind, ist es zumutbar und möglich unter der Obsorge ihrer Eltern – sich in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

Es ist den Beschwerdeführern somit möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan und der Ansiedelung in ihrer Heimatprovinz, oder in der Stadt Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif oder auch in XXXX in ihrem eigenen Haus Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019, Stand 29.06.2020 (LIB) und Kurzinformation zur Covid-19 Situation,

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

-        ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 26.05.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)

-        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)

-        EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke)

Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20)

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen:

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftigen Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime. Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments – jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 16.1).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden, und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB, Kapitel 16.1).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der ANA und der ANP repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2) Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 16.2).

Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Die großen COVID-19 bedingten Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Provinzen und Städte

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Balkh:

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. In der Provinz Balkh leben 1.475.649 Personen, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. (LIB, Kapitel 2.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2019 gab es 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (LIB, Kapitel 2.5).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Herat:

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 2.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2019 gab es 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.13).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif/ Herat Stadt

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 2.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gab bzw. gibt es aufgrund der Corona Pandemie Ausgangssperren. Durch diese Ausgangssperren sind insbesondere Taglöhner, welche auf ihre tägliche Arbeit und ihren täglichen Lohn angewiesen sind, und Familien, welche nicht auf landwirtschaftliche Einkünfte zugreifen können, besonders betroffen (ACCORD Masar-e Sharif).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die in der Stadt Mazar-e Scharif und Umgebung befindlichen Orte, an denen die Mehrheit der IDPs und RückkehrerInnen letztlich unterkommen, teilt UNHCR in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie ist das Stadtzentrum, wo die Lebenshaltungskosten vergleichsweise hoch sind. In der zweiten Kategorie befinden sich längerfristige und dauerhafte Siedlungen bzw. Stätten („sites“), welche sich in den Vororten oder am Stadtrand befinden. Dort gibt es ein gew

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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