Entscheidungsdatum
17.11.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G308 2230612-6/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ im Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG von XXXX , geb. XXXX , StA.: Russische Föderation, zu BFA-Zl. XXXX zu Recht:
A) Es wird gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Verfahrensgang:
Mit Bescheid vom XXXX .03.2020, Zl. XXXX , ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) - aufschiebend bedingt mit dem Ende der über XXXX (im folgenden betroffener Fremder oder BF) verhängten und von diesem verbüßten Strafhaft - gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung seiner Abschiebung in den Herkunftsstaat an.
Gegen diesen Bescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnissen des BVwG zur GZ: W275 2230612-1 vom 05.05.2020, wurde die Beschwerde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen sind (Spruchpunkt II.) und der BF dem Bund gemäß § 35 Abs. 1 und 3 VwGVG iVm § 1 Z 3 und 4 VwG-AufwErsV Aufwendungen in Höhe von EUR 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen habe (Spruchpunkt III.).
Mit den mündlich verkündeten Erkenntnissen des BVwG vom 03.08.2020, GZ. G301 2230612-2/6Z und vom 31.08.2020, GZ. G309 2230612-3/6Z, sowie mit Erkenntnis des BVwG vom 28.09.2020, GZ. G305 2230612-4/2E und 27.10.2020, GZ. G310 2230612-5/2E, wurde nach Aktenvorlage durch das BFA nach § 22a Abs 4 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung, die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
Am 16.11.2020 legte das BFA den Bezug habenden Akt erneut zur amtswegigen Überprüfung der Anhaltung des BF zum Zweck der Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 4 BFA-VG vor.
Feststellungen:
Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation. Er verfügt über Kenntnisse der deutschen und russischen Sprache. Er ist haftfähig; es bestehen keine schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme. Es gibt auch keine Anzeichen, dass der BF einer COVID-19-Risikogruppe angehören würde.
Der (damals minderjährige) BF reiste gemeinsam mit seinen Eltern illegal nach Österreich ein und stellten diese für ihn am 11.04.2004 einen Asylerstreckungsantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.12.2004 abgewiesen wurde. Aufgrund seiner dagegen erhobenen Beschwerde wurde dieser Bescheid mit Erkenntnis des (damaligen) Asylgerichtshofes vom 17.04.2009 behoben und der Antrag als unzulässig zurückgewiesen, da er Österreich nachweislich verlassen hatte und in Spanien polizeilich gesucht wurde.
Am 05.05.2009 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab unter anderem an, dass er sich etwa zwei Jahre in Spanien aufgehalten hätte, wo er ebenfalls - am 30.10.2008 - Asyl beantragt hatte und von wo aus er Anfang April 2009 zurückgekehrt war.
Mit Bescheid vom 30.03.2010 wies das Bundesasylamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutz-berechtigten ab und wurde der Beschwerdeführer in die Russische Föderation ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 02.07.2010 vollinhaltlich ab.
In der Folge wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX .2012 der BF wegen des Verbrechens des schweren Raubes und des Verbrechens des versuchten schweren Raubes zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt.
In einem mit 02.06.2017 datierten handschriftlichen Schreiben an das BFA nahm der BF zu seiner familiären Situation in Österreich Stellung und führte dazu insbesondere aus, dass er in Tschetschenien keine Möglichkeit gehabt hätte, eine Ausbildung zu absolvieren. In Österreich habe er sich um eine Ausbildung bemüht, jedoch sei ihm dies „als Flüchtling nicht gewährt worden“. In Österreich habe er seinen 2011 geborenen Sohn, seine Eltern und seine Geschwister. In Tschetschenien habe er keine Verwandten mehr. Die gesamte Familie befinde sich in Österreich. Im Krieg sei außerdem der ganze Besitz in Tschetschenien zerstört worden. In Österreich habe er bis zu seiner Inhaftierung gemeinsam mit den Eltern in einer Wohnung gelebt. Nach seiner Entlassung könne er wieder bei seinen Eltern wohnen. Er wolle sich in Österreich nach seiner Entlassung aus der Strafhaft ein geordnetes Leben aufbauen. Sein gesamter Lebensmittelpunkt und sein Umfeld befinde sich in Österreich. In Tschetschenien habe er weder familiäre noch soziale Bindungen.
Am 14.06.2017 stellte der betroffene Fremde aus dem Stande der Strafhaft einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und brachte in der nachfolgenden Einvernahme vor dem BFA unter anderem vor, dass er einen Sohn habe, der bereits vier oder fünf Jahre alt sei. Seinen Sohn habe er ein einziges Mal gesehen. Wenn er sich nicht täusche, sei der Sohn letztes Jahr zu seinem Geburtstag da gewesen. Er befinde sich wegen schweren Raubes in Haft, die Haftentlassung sei mit Oktober 2020 angesetzt. Davor sei er fünfmal wegen schwerer Körperverletzung verurteilt worden. Er sei mit 16 Jahren hierhergekommen, sei jetzt fast 30 Jahre alt und könne er auch seine eigene Muttersprache fast nicht mehr. Er habe weiters keinen Schulabschluss und auch keine Möglichkeit gehabt, eine Lehre zu machen, denn er habe keine Arbeitsbewilligung erhalten. Sein halbes Leben habe er umsonst hier verbracht. Auf die Frage, warum er immer wieder straffällig wurde, führte der Beschwerdeführer aus, dass das Leben in der Heimat ganz anders gewesen sei, bis er verstanden habe, wie das hier alles funktioniere, seien ein paar Dinge schief gelaufen. Er habe sich provozieren lassen, dafür habe er auch eine Strafe erhalten. Er habe immer von 40 Euro leben müssen, mehrere Jahre lang, er habe versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen. Seine ganze Familie lebe hier in Österreich. Er müsse seiner Familie helfen, den Sohn groß zu ziehen und auch seinen Neffen. Er brauche die Familie, die Eltern seien außerdem krank. Nach der Haftentlassung wolle er einen Abschluss machen und wie alle normalen Leute hier leben.
Mit Bescheid vom 05.10.2017 wies das BFA den Folgeantrag des BF auf Gewährung von internationalem Schutz in Hinblick auf den Herkunftsstaat wegen entschiedener Sache zurück und sprach aus, dass ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde. Überdies wurde eine Rückkehrentscheidung wider den BF erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei; eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das BVwG mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis vom 27.02.2018 als unbegründet ab.
Mit Schreiben vom 11.07.2018 informierte das BFA den BF über das gegen ihn eingeleitete Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem unbefristeten Einreiseverbot und der beabsichtigten Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nach dem Ende der Strafhaft und gewährte ihm die Möglichkeit, zu seinen familiären und privaten Lebensumständen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
Mit Schreiben vom 06.08.2018 führte der BF insbesondere aus, dass seine Eltern, seine Geschwister, seine Ehefrau und sein Sohn in Österreich leben würden. Er selbst halte sich seit 2004 in Österreich auf und habe mehrere Anträge auf internationalen Schutz gestellt. In der Russischen Föderation habe er keine Familienangehörigen, er spreche kaum Russisch und würde im Fall seiner Abschiebung keine Lebensgrundlage vorfinden.
Mit Bescheid vom 10.10.2018 sprach das BFA aus, dass dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und erließ ein unbefristetes Einreiseverbot gegen ihn. Einer allfälligen Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.03.2019 als unbegründet ab und sprach aus, dass auch der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unzulässig zurückgewiesen werde.
Der BF wurde in Österreich sechs Mal strafgerichtlich verurteilt.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Bezirksgerichtes vom XXXX .2005 wurde er wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Schlag gegen das Gesicht des Opfers unter Verwendung eines Schlagringes) sowie wegen unerlaubten Waffenbesitzes nach § 50 Abs. 1 und 2 WaffG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren zur Gänze nachgesehen wurde (Jugendstraftat).
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2005 wurde er wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Faustschlag in das Gesicht des Opfers) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt (Jugendstraftat). Die Probezeit wurde in der Folge auf fünf Jahre verlängert.
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2006 wurde er wegen des Vergehens der Hehlerei nach den §§ 164 Abs. 2, 164 Abs. 4 dritter Fall, 164 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt (Jugendstraftat).
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2007 wurde er erneut wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Versetzen von Schlägen auf den Kopf und Rücken des Opfers mit einem Glas und dreimaligen Faustschlägen in das Gesicht eines weiteren Opfers) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, weiters unter Anordnung der Bewährungshilfe, die im April 2008 - weil er unbekannten Aufenthalts war - aufgehoben wurde, verurteilt (junger Erwachsener).
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2009 wurde er abermals wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (Fußtritte gegen Kopf und Körper des Opfers) sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren verurteilt (Zusatzstrafe gemäß den §§ 31 und 40 StGB).
Mit (rechtskräftigem) Urteil eines Landesgerichtes vom XXXX .2012 wurde er wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB sowie des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Urteilsbegründung zufolge habe der BF zu nachstehenden Zeitpunkten in XXXX in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit abgesondert verfolgten Mittätern unter Verwendung einer Waffe durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89) anderen Personen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch Zueignung dieser Sachen unrechtmäßig zu bereichern, und zwar gemeinsam mit M. M. und S. P. am XXXX .2012 Verfügungsberechtigten einer näher genannten Tankstelle Bargeld in unbekannter Höhe, indem M. M. völlig vermummt mit vorgehaltenem Messer auf zwei Angestellte zulief, wobei der BF und der ebenfalls völlig vermummte S. P. im Eingangsbereich Aufpasserdienste geleistet hätten, wobei alle drei Täter aufgrund der lauten Rufe der Opfer nach der Polizei wieder aus dem Verkaufsraum flüchteten und die Tat daher beim Versuch geblieben ist; weiters habe der BF gemeinsam mit M. M., S. P., M. A. und A. D. am XXXX .2012 Verfügungsberechtigten einer näher genannten Tankstelle Bargeld in Höhe von EUR 2.275,-- sowie einer näher genannten Person ein Handy Samsung Galaxy S im Wert von EUR 600,-- weggenommen, indem er, M. M. und S. P. völlig vermummt in den Tankstellenshop stürmten, S. P. „Überfall!“ und „Geld her!“ geschrien und dabei mit einer Pistole auf den Kopf des näher genannten Angestellten gezielte hätte, M. M. ebenfalls eine Pistole gegen den Angestellten gerichtet und S. P. das gesamte Bargeld aus der von dem Angestellten herausgegebenen Kassenlade entnommen hätte, wobei der BF die beiden anwesenden Kunden zur Herausgabe ihrer Geldtaschen aufgefordert und M. A. sowie A. D. vor der Tankstelle Aufpasserdienste geleistet hätten. In der Urteilsbegründung heißt es weiter, dass der BF seine Komplizen erst kurz vor Ausübung der beiden Raubüberfälle bei mehreren zufälligen Treffen in einem näher genannten Park in XXXX kennengelernt hätte und dass alle Tatbeteiligten aus verschiedenen Motiven verschuldet gewesen wären und daher dringend Geld benötigt hätten. Mildernd wurde der Umstand gewertet, dass der BF an einer der beiden begangenen strafbaren Handlungen nur in untergeordneter Weise beteiligt gewesen sei und dass es teilweise beim Versuch geblieben war und das teilweise Geständnis; als erschwerend wertete das erkennende Strafgericht die vier einschlägigen Vorstrafen des BF, das Zusammentreffen von zwei Verbrechen sowie die Tätermehrheit und Bedrohung von jeweils mehreren Personen bei beiden begangenen strafbaren Handlungen.
Neben diesen Strafbemessungsgründen wurde im Zuge der allgemeinen Strafzumessung überdies berücksichtigt, dass der BF gleich an zwei schweren Raubüberfällen innerhalb weniger Tage beteiligt war, wobei die zweite Tatbegehung trotz Fehlschlags und Flucht beim ersten Versuch vorgenommen wurde. Bei beiden Überfällen wurde zumindest eine Waffe, beim zweiten Überfall wurden sogar zwei Pistolen zur Untermauerung der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eingesetzt und könne daraus eine Steigerung der hohen kriminellen Energie ersehen werden und habe sich diese Steigerung der kriminellen Energie nach Ansicht des zuständigen Landesgerichtes bereits anlässlich der Vorverurteilungen des BF abgezeichnet. Weiters habe der BF eine außerordentlich brutale Vorgehensweise an den Tag gelegt. Die sich ihm bietenden Besserungschancen durch vorbehaltene Strafe und bedingte Strafnachsichten samt Beigebung eines Bewährungshelfers habe er nicht ergriffen, um ein Umdenken in seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten der österreichischen Gesellschaft herbeizuführen bzw. zu zeigen. Obwohl der betroffene Fremde bisher noch nie ein Haftübel verspüren musste, habe das zuständige Landesgericht aus den angeführten Gründen bei einem Strafrahmen von 5 bis 15 Jahren die Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe in der Dauer von siebeneinhalb Jahren aus general- und spezialpräventiven Gründen als geboten erachtet.
Der BF verfügt in Österreich über familiäre und soziale Anknüpfungspunkte. Er hat in Österreich insbesondere seine Eltern und seine Geschwister; bei diesen hat er auch gewohnt. Er hat in Österreich eine asylberechtigte russische Staatsbürgerin nach islamischem Ritus geheiratet und mit dieser einen im Jahr 2011 geborenen Sohn; die nach traditionellem Ritus geschlossene Ehe wurde mittlerweile geschieden. Der BF befindet sich seit dem Herbst 2012 durchgehend in (Straf-)Haft und hat mit seinem minderjährigen Sohn nie im gemeinsamen Haushalt gelebt und auch nie Unterhalt für ihn geleistet. Der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers lebt gemeinsam mit seiner Mutter, deren Lebensgefährten und seinen Halbgeschwistern in einem gemeinsamen Haushalt. Der BF weist Deutschkenntnisse auf, ist in Österreich jedoch nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er verfügt über kein ausreichendes Einkommen aus legaler Tätigkeit und über kein, zur Sicherung seiner Existenz in Österreich ausreichendes Vermögen.
Der BF wird seit seiner Entlassung aus der Strafhaft - sohin seit dem XXXX .2020 - in Schubhaft angehalten.
Gegen den BF besteht eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme. Das BFA hat bei der Vertretungsbehörde der Russischen Föderation rechtzeitig ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den BF eingeleitet.
Eine für den 10.04.2020 geplant gewesene Abschiebung in die Russische Föderation musste aufgrund der derzeitigen Corona-Pandemie storniert werden.
Der BF ist nicht gewillt, die österreichischen Gesetze und die österreichische Rechtsordnung zu achten. Er ist nicht vertrauenswürdig und nicht zu einem gesetzeskonformen Verhalten zu bewegen. Er ist während des laufenden Asylverfahrens nach Spanien gereist und hielt sich dort ungefähr zwei Jahre lang auf. Auch dort stellte er am 30.10.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Darüber hinaus unternahm er den Versuch, sich durch Hungerstreik die Freilassung aus der Schubhaft zu erpressen. Konkret befand er sich von 12.04.2020 bis 22.04.2020 in Hungerstreik.
Der BF weigert sich beharrlich, in die Russische Föderation zurückzukehren.
Eine HRZ-Zusage der russischen Botschaft vom 24.10.2020 liegt vor. Die letzten Verlängerungsanträge erfolgten am 11.02.2020 und am 24.06.2020. Sobald eine Flugbuchung (Charteranmeldung) vorliegt, wird bei der russischen Botschaft eine Verlängerung der bereits erfolgten HRZ-Zusage beantragt, da die Zustimmung zur Ausstellung eines HRZ grundsätzlich nur für 90 Tage gilt. Weitere rechtliche oder faktische Hindernisse hinsichtlich der Effektuierung der Rückkehrentscheidung sind nicht zu erkennen.
Da Einzelabschiebungen aufgrund der COVID-19-Pandemie derzeit nicht möglich sind, ist die Abschiebung mittels Charterrückführung am 03.12.2020 vorgesehen.
Den getroffenen Entscheidungsgründen der bisherigen Erkenntnisse des BVwG betreffend Fortsetzung und Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft kommt zum Zeitpunkt dieser Entscheidung weiterhin unverändert Geltung zu. Auf diese wird daher vollinhaltlich verwiesen.
Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass die tatsächliche Ausstellung eines für die Rückführung notwendigen Reisedokuments durch die Vertretungsbehörde der Russischen Föderation und auch die Durchführung einer Rückführung nicht hinreichend wahrscheinlich oder gänzlich ausgeschlossen wäre, liegen jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – auch unter besonderer Berücksichtigung der derzeit bestehenden (Flug-)Reisebeschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie – nicht vor.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der oben genannten Gerichtsakten des BVwG.
Name, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit des BF beruhen auf seinen konsistenten Angaben dazu.
Es sind keine Hinweise auf signifikante Erkrankungen oder Einschränkungen der Haftfähigkeit des BF aktenkundig. Weder seinen Angaben noch den Ausführungen in der Aktenvorlage oder den Eintragungen in der Anhaltedatei ist zu entnehmen, dass der BF einer COVID-19-Risikogruppe angehört.
Die Feststellungen zu den bisherigen, den BF betreffenden Verfahren beim BFA und beim BVwG werden anhand der angegebenen Gerichtsakten und Erkenntnisse getroffen, wie auch anhand der Abfragen der Strafregisterauskunft, des Zentralem Melderegister und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister.
Aufgrund der eigenen Angaben des BF sowie des Akteninhalts steht fest, dass er nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren möchte. Auch unter Beachtung seiner familiären und sozialen Verankerung, ist daher zu Recht davon auszugehen, dass er seine Freilassung nur dazu nützen wird, sich durch Untertauchen seiner Abschiebung zu entziehen.
Die Behörde ist zutreffend von einer hohen Fluchtgefahr des BF ausgegangen, was die Verhängung der Schubhaft und das Absehen eines gelinderen Mittels rechtfertigte. Bei seiner Befragung erklärte er ausdrücklich, nicht in seinen Heimatstaat zurück zu wollen und in Österreich oder in einem anderen europäischen Staat leben zu wollen.
Der Gang des Verfahrens zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments für den BF und die vorübergehende Unmöglichkeit einer Außerlandesbringung des BF wurde vom BFA schlüssig und im Einklang mit den Ausführungen in den vorangegangenen Gerichtsverfahren dargelegt.
Die Feststellung, dass die Abschiebung des BF weder völlig unwahrscheinlich noch tatsächlich ausgeschlossen ist, beruht darauf, dass bereits eine verlängerbare HRZ-Zusage erfolgte und sind auch im gegenständlichen Verfahren vor dem BVwG keine konkreten Umstände hervorgekommen oder vorgebracht worden, wonach anzunehmen gewesen wäre, dass seitens der zuständigen Vertretungsbehörde der Russischen Föderation eine Kooperation mit der belangten Behörde mit dem Ziel einer Rückführung des betroffenen Fremden und letztlich eine Erledigung der entsprechenden Ersuchen nicht gegeben wären.
Was die aufgrund der aktuellen COVID-19-Pandemie praktisch weltweit geltenden (Flug-)Reisebeschränkungen anbelangt, ist festzuhalten, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine baldige Aufhebung oder zumindest eine Abschwächung der getroffenen Maßnahmen in einigen Wochen nicht völlig unwahrscheinlich erscheint und die tatsächliche Möglichkeit einer Rückführung des betroffenen Fremden auch weiterhin nicht gänzlich auszuschließen ist.
Rechtliche Beurteilung:
Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs 4 BFA-VG die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom BVwG zu überprüfen. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das BVwG hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
An den Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft hat sich nichts Entscheidungswesentliches geändert. Sein Antrag auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig abgewiesen. Gegen dem BF besteht eine durchsetzbare und rechtskräftige Rückkehrentscheidung und ein unbefristetes Einreiseverbot. Es gibt bereits eine gültige HRZ-Zusage, die verlängerbar ist. Die nächste Charterrückführung ist für den 03.12.2020 vorgesehen. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (vgl. VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).
In Zusammenschau mit dem bisherigen Verhalten des BF und der mangelnden Rückkehrbereitschaft liegt nach wie vor Fluchtgefahr iSd § 76 Abs 3 Z 3 FPG vor. Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des weiterhin rückkehrunwilligen BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF nach wie vor als begründet. Auch haben ihn seine familiären und privaten Bindungen nicht davon abhalten können massiv straffällig zu werden, weswegen davon auszugehen ist, dass seine Bezugspersonen ihn auch nicht von einem Untertauchen abhalten können.
Die massive Delinquenz des BF vergrößert das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich (§ 76 Abs. 2a FPG).
Das BFA hat im Sinne der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen zu Recht die Schubhaft wegen Fluchtgefahr angeordnet, weil aus den Angaben des BF, der sowohl erklärtermaßen als auch durch Handlungen untermauert (Hungerstreik) nicht mehr in den Herkunftsstaat zurück will, mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass er seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern bzw. zu behindern beabsichtigt. Zudem hat er durch sein Verhalten keine Bereitschaft gezeigt, mit der Behörde zusammenarbeiten zu wollen. Im Hinblick auf sein bisheriges Verhalten hat das BFA zu Recht das Bestehen einer erheblichen Fluchtgefahr und einen akuten Sicherungsbedarf angenommen.
Aufgrund seines bisherigen Verhaltens ist daher davon auszugehen, dass er sich dem behördlichen Zugriff durch Untertauchen entziehen würde, sollte sich eine Gelegenheit dazu bieten. Schon einmal ist er während seines in Österreich laufenden Asylverfahrens illegal nach Spanien gereist. Da er trotz familiären und sozialen Netzes im Bundesgebiet mehrfach straffällig wurde, ist nicht ersichtlich, was den BF im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft von einem Untertauchen abhalten sollte.
Den persönlichen Interessen des BF kommt daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung. Das BFA kommt seiner Verpflichtung, die Schubhaft so kurz wie möglich zu halten nach. Das Verfahren hat keine maßgebliche Änderung der Umstände seit der Verhängung der Schubhaft ergeben.
Das BFA hat im Zuge der Aktenvorlage glaubhaft dargelegt, dass eine Abschiebung des BF zeitnah durchgeführt werden könnte, sofern bis dahin auch die im Hinblick auf die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie getroffenen, derzeit noch geltenden Reisebeschränkungen einer tatsächlichen Abschiebung auf dem Luftweg nicht mehr entgegenstehen.
Der VwGH hat sich im Beschluss vom 01.04.2020, Ra 2020/21/0116, unter anderem mit den Auswirkungen der aktuellen weltweiten Flugreisebeschränkungen auf die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft auseinandergesetzt und festgehalten, dass die Annahme, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen binnen weniger Wochen zu rechnen, nicht unvertretbar sei.
Im vorliegenden Fall hat sich jedenfalls nicht ergeben, dass – zumindest in diesem Stadium – die Ausstellung eines Heimreisezertifikats und die Durchführung einer Abschiebung in den Herkunftsstaat tatsächlich unmöglich wäre, etwa weil die derzeitigen Reisebeschränkungen nicht bloß vorübergehender Natur wären, sondern längerfristig in Geltung stehen würden. Aufgrund mittlerweile bereits in zahlreichen Staaten getroffener Erleichterungen im Reiseverkehr und angekündigter weiterer Schritte zur Abschwächung oder Beseitigung der derzeit geltenden Reisebeschränkungen erscheint die Annahme der belangten Behörde durchaus begründet, dass auch zeitnah erfolgende Abschiebungen auf dem Luftweg weiterhin als nicht völlig ausgeschlossen gelten.
Die Annahme, wonach es sehr wahrscheinlich ist, dass im Fall der Beendigung der Schubhaft und Freilassung letztlich eine Rückführung des BF durch Untertauchen vereitelt oder erschwert werden könnte, erweist sich unter Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF, insbesondere seines strafrechtlichen Fehlverhaltens, der mangelnden Vertrauenswürdigkeit sowie seiner fehlenden sozialen und beruflichen Verankerung in Österreich nach wie vor als begründet.
Ein Sicherungsbedarf zur Durchführung einer Rückführung in den Herkunftsstaat ist somit weiterhin gegeben. Ein gelinderes Mittel ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere des Vorliegens von Fluchtgefahr, zur Erreichung des Sicherungszwecks nicht geeignet.
Die Fortsetzung der Schubhaft ist auch unter Berücksichtigung der in § 80 FPG vorgesehenen Regelungen über die Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft zulässig und zur Erreichung des Sicherungszwecks (Sicherung der Abschiebung) verhältnismäßig. Die Schubhaftdauer überschreitet zwar bereits sechs Monate, kann aber gemäß § 80 Abs 4 Z 2 BFA-VG für maximal 18 Monate aufrechterhalten werden, da die HRZ-Zusage am 24.10.2020 erfolgte und zuletzt am 10.11.2020 um Verlängerung der Zusage angesucht wurde. Aufgrund der begrenzten Gültigkeit der Zusage von 90 Tagen liegt zum Entscheidungszeitpunkt keine gültige Bewilligung der russischen Botschaft vor.
Da davon auszugehen ist, dass die Rückführung des BF in die Russische Föderation innerhalb der nächsten Monate durchgeführt werden kann, ist die Schubhaft trotz der aktuellen Einschränkungen des internationalen Reiseverkehrs und der Aussetzung von Einzelrückführungen derzeit noch verhältnismäßig.
Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wie im Spruch angeführt zu entscheiden. Die Schubhaft kann daher fortgesetzt werden.
4. Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde eindeutig geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Zu Spruchpunkt B): Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war und sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte. So hat sich der VwGH im Beschluss vom 01.04.2020, Ra 2020/21/0116, unter anderem mit den Auswirkungen der aktuellen weltweiten Flugreisebeschränkungen auf die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Aufrechterhaltung der Schubhaft auseinandergesetzt und festgehalten, dass die Annahme, es wäre mit einer Aufhebung dieser Maßnahmen binnen weniger Wochen zu rechnen, nicht unvertretbar sei.
Schlagworte
Fluchtgefahr Interessenabwägung öffentliche Interessen Schubhaft Schubhaftbeschwerde Sicherungsbedarf Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G308.2230612.6.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021