TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/13 W189 2236937-1

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Veröffentlicht am 13.01.2021
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Entscheidungsdatum

13.01.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch


W189 2236937-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen die Spruchpunkte IV. – VII. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: „Gemäß § 53 Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) wurde am XXXX in XXXX als Sohn zweier tschetschenischer Asylwerber geboren (Akt I, AS 3).

2. Am XXXX stellte der Vater des BF für diesen mündlich einen Asylantrag (Akt I, AS 29).

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Asylantrag abgewiesen (Akt I, AS 31ff).

4. Mit Eingabe vom XXXX erhob der BF dagegen Berufung (Akt I, AS 87ff).

5. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Berufung des BF stattgegeben, ihm gem. § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und gem. § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme (Akt I, AS 95ff).

6. Laut Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX (in der Folge: LPD XXXX ) vom XXXX wurde der BF verdächtigt, den Tatbestand des Diebstahls verwirklicht zu haben, indem er am XXXX in XXXX mit einem Mittäter den Kassenbereich eines Lebensmittelhändlers mit Lebensmittel verließ, ohne diese zu bezahlen (Akt I, AS 147ff).

7. Laut Meldung der LPD XXXX vom XXXX wurde der BF am XXXX in XXXX wegen des Verdachts der Begehung einer Körperverletzung angezeigt (Akt I, AS 189f).

8. Laut Abschlussbericht der LPD XXXX vom XXXX wurde der BF verdächtigt, den Tatbestand des Diebstahls verwirklicht zu haben, indem er am XXXX die unmittelbare Täterin dazu aufgefordert habe, für ihn „Markengewand“ zu stehlen, weshalb diese am XXXX die Tat ausgeführt habe (Akt I, AS 195ff).

9. Laut Abschlussbericht der LPD XXXX vom XXXX wurde der BF verdächtigt, den Tatbestand der Körperverletzung verwirklicht zu haben, indem er am XXXX in XXXX ein Opfer mit der Faust ins Gesicht geschlagen und dadurch verletzt habe (Akt I, AS 223ff).

10. Mit Schreiben vom XXXX , Zl. XXXX , verständigte die Staatsanwaltschaft (in der Folge: StA) XXXX das BFA von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den BF wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (Akt II, AS 59f).

11. Mit Schreiben vom XXXX , Zl. XXXX , verständigte die StA XXXX das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) von der Erhebung der Anklage gegen den BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB (Akt II, AS 1).

12. Laut Abschlussbericht der LPD XXXX vom XXXX wurde der BF verdächtigt, den Tatbestand der versuchten Körperverletzung, der Unterdrückung von Beweismitteln und der Hehlerei verwirklicht zu haben, indem er in XXXX (1.) am XXXX versucht habe, das Opfer am Körper zu verletzen, indem er dieses mit der Faust in den Bauch geschlagen haben soll, wodurch das Opfer jedoch nicht verletzt worden sei, (2.) am XXXX ein Beweisvideo zu einer anderen Straftat gelöscht habe und (3.) am XXXX gestohlene Energydrinks konsumiert habe, obwohl er gewusst habe, dass diese zuvor gestohlen worden waren (Akt II, AS 39ff).

13. Laut Abschlussbericht der LPD XXXX vom XXXX wurde der BF verdächtigt, den Tatbestand des Raufhandels verwirklicht zu haben, indem er am XXXX in XXXX mit Mittätern ein Opfer leicht am Körper verletzt habe (Akt II, AS 11ff).

14. Mit Schreiben vom XXXX , Zl. XXXX , verständigte die StA XXXX das BFA von der Erhebung der Anklage gegen den BF wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Akt II, AS 29).

15. Mit Schreiben vom XXXX , Zl. XXXX , verständigte die StA XXXX das BFA von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den BF wegen des Vergehens der versuchten Körperverletzung nach § 15 StGB und § 83 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 StGB, des Vergehens der Hehlerei nach § 164 StGB und des Vergehens der Unterdrückung von Beweismitteln nach § 295 StGB (Akt II, AS 71).

16. Am XXXX wurde der minderjährige BF vom Bezirksgericht (in der Folge: BG) XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB verurteilt und gem. § 13 Abs. 1 JGG der Ausspruch der Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten (Akt II, AS 161ff).

17. Am XXXX wurde der minderjährige BF vom Landesgericht (in der Folge: LG) für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB unter Einbeziehung des Schuldspruchs vom XXXX zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon zehn Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, verurteilt. Dem BF wurde zudem gem. § 50 Abs. 1 StGB die Weisung erteilt, binnen sechs Monaten ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren und dies dem Gericht nachzuweisen (Akt II, AS 175ff).

18. Am XXXX wurde der minderjährige BF vom LG für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Verbrechens des teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 erster Fall, teils 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zum Urteil vom XXXX wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert (Akt II, AS 293ff).

19. Laut Abschlussbericht der LPD XXXX vom XXXX stand der BF in Verdacht, im XXXX am XXXX in XXXX und somit für jedermann wahrnehmbar, herumgeschrien zu haben, dass er das Opfer abstechen werde, sowie am XXXX in XXXX das Opfer gegenüber mehreren Zeugen mit dem Umbringen bedroht zu haben, wobei das Opfer jeweils nicht anwesend gewesen sei (Akt II, AS 303ff).

20. Am XXXX benachrichtigte die StA XXXX das BFA von der Einstellung des Verfahrens zu obigen Vorfällen aus rechtlichen Gründen, weil sich bereits aus den Zeugenangaben keine Hinweise auf die zur Erfüllung des Tatbestands erforderliche Absicht des Beschuldigten, dass die Äußerung dem Opfer zur Kenntnis gebracht wird, ergeben habe (Akt II, AS 317f).

21. Am XXXX wurde der BF in Anwesenheit seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin durch das BFA auf Deutsch niederschriftlich einvernommen.

Dabei gab der BF zu seiner Person und seinen Lebensumständen in Österreich an, dem muslimischen Glauben anzugehören, und Deutsch und Tschetschenisch zu sprechen. Er habe in Österreich die Volksschule und die Neue Mittelschule und zuletzt XXXX eine Handelsakademie besucht. In Zukunft würde er gerne eine Lehre als KFZ-Techniker machen. Er habe außer zu seinen Eltern und Geschwistern keine familiären Beziehungen im Bundesgebiet, habe aber österreichische Freunde. Er habe Kontakt zu seinem Vater. Er sei nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er sei gesund.

Auf Vorhalt seiner Straffälligkeit erklärte der BF, dass er falschen Freunden begegnet sei. Er habe mitgemacht, ohne nachzudenken.

Zu seinem Herkunftsstaat befragt, gab der BF zu Protokoll, nie dort gewesen zu sein. Er habe dort Großeltern väterlicherseits, sowie eine Großmutter und zwei Tanten mütterlicherseits. Er telefoniere ab und zu mit den Tanten. Zur Familie seines Vaters habe er keinen Kontakt. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, dort nicht arbeiten zu können, da man dort keine Arbeit finde. Der BF verzichtete auf die Ausfolgung der Länderberichte über die Russische Föderation.

Seine Mutter führte auf Befragung aus, dass sie XXXX und XXXX jeweils zweimal in Tschetschenien gewesen sei. Ihre Mutter sei krank. Sie sei immer alleine gefahren. Sie habe sich vermutlich XXXX einen russischen Reisepass ausstellen lassen.

Auf Vorhalt der beabsichtigten Aberkennung des Status des Asylberechtigten gab der BF an, dass er „nur“ zwei Vorstrafen habe. Er habe in Tschetschenien nichts. Er wolle hier leben und er werde sein Verhalten ändern, wenn er aus dem Gefängnis entlassen werde.

Der BF und seine Mutter verweigerten die Unterfertigung der Niederschrift (Akt II, AS 335ff).

22. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX wurde dem BF der Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation festgestellt (Spruchpunkt V.), die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) und gem. § 53 Abs. 3 Z 5 FPG (aus der rechtliche Beurteilung erkenntlich gemeint: § 52 Abs. 3 Z 1 FPG) ein dreijähriges Einreiseverbot gegen den BF erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass sich die Lage im Herkunftsstaat des BF seit Zuerkennung des Status maßgeblich und nachhaltig geändert habe, weshalb ihm der Status des Asylberechtigten abzuerkennen sei. Eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Russland sei nicht gegeben. Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen. Angesichts der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Russland. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien. Da der BF vorbestraft sei, sei zudem die Verhängung eines Einreiseverbotes geboten gewesen (Akt II, AS 367 ff).

23. Mit Schriftsatz vom XXXX brachte der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. – VII. dieses Bescheides ein und monierte nach Wiederholung des Sachverhaltes und Verfahrensgangs im Wesentlichen, dass die privaten und familiären Interessen des in Österreich geborenen BF die öffentlichen Interessen an einer Rückkehrentscheidung und einem Einreiseverbot überwiegen würden, zumal der BF sich des Unrechts seiner Straftaten bewusst sei (Akt II, AS 457ff).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des BF

1.1.1. Der BF ist russischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tschetschenen sowie der Religionsgemeinschaft der Muslime an. Er ist ein mündiger Minderjähriger und im erwerbsfähigen Alter. Er spricht Tschetschenisch und Deutsch.

Der BF wurde in Österreich als Sohn zweier tschetschenischer Asylwerber geboren. Sein Vater stellte am XXXX für ihn einen Asylantrag und mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom XXXX Zl. XXXX , wurde dem BF gem. § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt und gem. § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Mit insoweit rechtskräftigem Bescheid des BFA vom XXXX wurde dem BF der Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.

Der BF hat in Österreich durch den Besuch der Volksschule und der Neuen Mittelschule die Schulpflicht erfüllt. Er war zuletzt Schüler der ersten Klasse einer Handelsakademie. Er ging bislang keinem Erwerb nach. Seine Eltern und seine XXXX Geschwister sind in Österreich asylberechtigt, wobei gegen den Vater des BF ein Aberkennungsverfahren beschwerdeanhängig ist. Der BF hat österreichische Freunde und ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. Er ist gesund. Er befindet sich in Strafhaft und wird frühestens XXXX spätestens XXXX entlassen.

1.1.2. Der BF wurde seit dem Jahr XXXX mehrfach der Begehung von Straftaten verdächtigt.

1.1.2.1. Am XXXX wurde der BF vom BG XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB verurteilt und gem. § 13 Abs. 1 JGG der Ausspruch der Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorbehalten.

Der BF wurde schuldig gesprochen, am XXXX ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, ohne Einwilligung der Berechtigten in Gebrauch genommen zu haben.

Bei der Strafbemessung mildernd gewertet wurden das reumütige Geständnis, die Unbescholtenheit und das Alter unter 18 Jahren; erschwerend war kein Umstand.

1.1.2.2. XXXX wurde der BF vom LG für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB unter Einbeziehung des Schuldspruchs vom XXXX zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon zehn Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, verurteilt. Dem BF wurde zudem gem. § 50 Abs. 1 StGB die Weisung erteilt, binnen sechs Monaten ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren und dies dem Gericht nachzuweisen.

Der BF wurde schuldig gesprochen, er habe zusammen mit zwei anderen Tätern am XXXX (1.) durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) ohne Anwendung erheblicher Gewalt nachfolgenden Opfern fremde bewegliche Sachen geringen Wertes mit dem Vorsatz weggenommen bzw. abzunötigen versucht, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, und zwar (a.) einem Opfer Bargeld im Wert von EUR 10,-, indem sie es umkreisten, ein Mittäter mit der Faust Drohgebärden vollzog, der BF gegenüber dem Opfer äußerte, dass es Geld hergeben solle, ansonsten werde er es zusammenschlagen, ein Mittäter das Opfer nach sogenannten Air-Pods fragte, wobei schließlich das Opfer dem BF eine 10-Euro-Banknote übergab, (b.) einem Opfer fremde bewegliche Sachen geringen Wertes, nämlich Bargeld bzw. weitere Wertgegenstände, indem sie es einkreisten, ein Mittäter das Opfer aufforderte, Geld herzugeben, auf dessen Weigerung hin mit der Faust einen Schlag in dessen Gesicht andeutete und es sodann selbst nach Wertgegenständen durchsuchte und ein Mittäter es ebenfalls nach Bargeld und nach sogenannten Air-Pods fragte, wobei es mangels Auffindens geeigneter Raubbeute beim Versuch blieb; (2.) eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Air-Pod-Ladestation im Wert von etwa EUR 60,- einem Opfer mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem sie nach Personen mit Air-Pods am XXXX Ausschau hielten, sich dann zu viert dem Opfer näherten und der BF ihm die Ladestation ohne Gewaltanwendung aus der Hand nahm; (3.) durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Vermögen und mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Genötigten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, zur Aushändigung eines Bargeldbetrages von EUR 6,50 genötigt, die diesen am Vermögen schädigte, indem der BF und ein Mittäter dem Opfer gegenüber äußerten, es solle ihnen Geld geben, ansonsten werde es seine Air-Pod-Ladestation nicht mehr zurückbekommen, weshalb das Opfer dem Mittäter den Betrag von EUR 6,50 übergab.

Bei der Strafbemessung erschwerend gewertet wurde, dass der BF schon wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat verurteilt wurde, die Tatbegehung während offener Probezeit, das Zusammentreffen von mehreren Verbrechen und Vergehen und die führende Tatbeteiligung. Mildernd gewertet wurde das teilweise Geständnis.

1.1.2.3. Am XXXX wurde der BF vom LG für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Verbrechens des teils versuchten schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 erster Fall, teils 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zum Urteil vom XXXX wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

Der BF wurde schuldig gesprochen, er habe am XXXX in XXXX dem Opfer durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) und mit Gewalt gegen seine Person eine fremde bewegliche Sache, nämlich dessen Handy in eventu den entsprechenden Wert in Bargeld teils abgenötigt, teils abzunötigen bzw. wegzunehmen versucht, indem er zunächst das Mobiltelefon des Opfers an sich nahm, unter Androhung von Schlägen für dessen Rückgabe EUR 50,- von ihm forderte und EUR 5,- tatsächlich erhielt, und – nachdem das Opfer sein Mobiltelefon unter Ausnützung eines Überraschungsmoments zurückerlangen konnte – schrie: „Gib mir das Handy zurück! Ich schlag dich!“ und dem Opfer einen Faustschlag ins Gesicht versetzte, wodurch es eine an sich schwere Verletzung in Form eines Nasenbeinbruchs mit notwendiger operativer Aufrichtung erlitt, wobei der BF angesichts des Einschreitens einer Zeugin die Flucht ergriff, sodass es letztlich teilweise beim Versuch blieb.

Bei der Strafbemessung mildernd gewertet wurden das teilweise Geständnis und der Umstand, dass es teils beim Versuch geblieben ist. Erschwerend gewertet wurden die zwei einschlägigen Vorverurteilungen, die Tatbegehung im raschen Rückfall nach der letzten Verurteilung und innerhalb offener Probezeit sowie die doppelte Tatbestandsmäßigkeit des Raubes, nämlich durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben und mit Gewalt.

1.1.2.4. Der BF hat im XXXX am XXXX in XXXX und somit für jedermann wahrnehmbar herumgeschrien, dass er eine andere Person abstechen werde, sowie am XXXX in XXXX diese Person gegenüber mehreren Zeugen mit dem Umbringen bedroht, wobei die bedrohte Person jeweils nicht anwesend gewesen war. Das Ermittlungsverfahren wurde von der StA XXXX aus rechtlichen Gründen eingestellt, weil sich bereits aus den Zeugenangaben kein Hinweis auf die zur Erfüllung des Tatbestands erforderliche Absicht des Beschuldigten, dass die Äußerung dem Opfer zur Kenntnis gebracht wird, ergeben habe.

1.1.3. Der BF hat in Tschetschenien einen Großvater väterlicherseits, sowie eine Großmutter und zwei Tanten mütterlicherseits. Der BF steht mit seinen Tanten im telefonischen Kontakt. Die Mutter des BF verfügt über einen russischen Reisepass und hat in den Jahren XXXX und XXXX jeweils zweimal ihre Verwandten in Tschetschenien besucht.

Dem BF ist die Rückkehr in die Russische Föderation – konkret zu seiner Verwandtschaft mütterlicherseits in Tschetschenien – zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihm nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden. Er läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist der BF nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

1.2.1. Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2020).

Quellen:

-        US DOS – United States Department of State (11.3.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2019 – Russland

1.2.2. Grundversorgung im Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken stechen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 2.2020a, vgl. ÖB Moskau 12.2018), obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind. Dennoch hat sich die wirtschaftliche Lage im Nordkaukasus in den letzten Jahren einigermaßen stabilisiert. Wenngleich die föderalen Transferzahlungen wichtig bleiben, konnten in den vergangenen Jahren dank des massiven Engagements der Föderalen Behörden, insbesondere des Nordkaukasus-Ministeriums, signifikante Fortschritte bei der sozio-ökonomischen Entwicklung der Region erzielt werden (ÖB Moskau 12.2019). Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung. Die Bevölkerungspyramide ähnelt derjenigen eines klassischen Entwicklungslandes mit hohen Geburtenraten und niedrigem Durchschnittsalter und unterscheidet sich damit stark von der gesamtrussischen Altersstruktur (AA 13.2.2019).

Der monatliche Durchschnittslohn lag in Tschetschenien im Juni 2019 bei RUB 27.443 [ca. EUR 388] (Chechenstat 2019), landesweit bei RUB 48.453 [ca. EUR 686] im zweiten Quartal 2019 (GKS 16.8.2019). Die durchschnittliche Pensionshöhe lag in Tschetschenien im August 2019 bei RUB 12.440 [ca. EUR 176] (Chechenstat 2019), landesweit im ersten Halbjahr 2019 bei RUB 14.135 [ca. EUR 200] (GKS 30.7.2019). Das durchschnittliche Existenzminimum für das erste Quartal 2019 lag in Tschetschenien für die erwerbsfähige Bevölkerung bei RUB 10.967 [ca. EUR 155], für Pensionisten bei RUB 8.553 [ca. EUR 121] und für Kinder bei RUB 10.552 [ca. EUR 150] (Chechenstat 2019). Landesweit lag das durchschnittliche Existenzminimum für das erste Quartal 2019 für die erwerbsfähige Bevölkerung bei RUB 11.553 [ca. EUR 163], für Pensionisten bei RUB 8.894 [ca. EUR 126] und für Kinder bei RUB 10.585 [ca. EUR 150] (RIA Nowosti 23.7.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        Chechenstat (2019): ??????????? ?????????? (Amtliche Statistiken)

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat

-        GKS.ru (16.8.2019): ?????????????? ??????????? ??????????? ?????????? ????? (durchschnittliches monatliches Gehalt)

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation

-        RIA Nowosti (23.7.2019): ??????? ????????? ???????? ???????????? ???????? ?? I ??????? 2019 ???? (Das Arbeitsministerium hat das Existenzminimum für das erste Quartal 2019 berechnet)

1.2.3. Sozialbeihilfen

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab; eine finanzielle Beteiligung der Profitierenden ist nicht notwendig. Alle Leistungen stehen auch Rückkehrern offen (IOM 2018).

Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds (GIZ 2.2020c).

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 2.2020c).

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Die Mindesthöhe pro Monat beträgt RUB 850 (EUR 12) und die Maximalhöhe RUB 4.900 (EUR 70). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zweimal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden. Arbeitssuchende, die sich bei der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung registriert haben, haben das Recht an kostenlosen Fortbildungen teilzunehmen und so ihre Qualifikationen zu verbessern. Ebenfalls bieten private Schulen, Trainingszentren und Institute Schulungen an. Diese sind jedoch nicht kostenlos (IOM 2018).

Quellen:

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft

-        IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation

1.2.4. Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Die Zusammenarbeit zwischen föderalen und regionalen Behörden bei der innerstaatlichen Migration scheint verbesserungsfähig. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2019).

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft etwa bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung von Problemen zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Im Normalfall sind Rückkehrer aber nicht immer mit Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert (ÖB Moskau 12.2019).

Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Polizei gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 13.2.2019).

Rückkehrende werden grundsätzlich nicht als eigene Kategorie oder schutzbedürftige Gruppe aufgefasst. Folglich gibt es keine individuelle Unterstützung durch den russischen Staat. Rückkehrende haben aber wie alle anderen russischen StaatsbürgerInnen Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden. Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründungen an (IOM 2018).

Neben der allgemeinen Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr haben Rückkehrer die Möglichkeit, eines der vom österreichischen Innenministerium unterstützten Reintegrationsprogramme in ihrem Heimatland in Anspruch zu nehmen. Diese freiwilligen Rückkehrer erhalten eine umfassende Beratung und eine Reintegrationsleistung vor Ort (besteht im Wesentlichen aus einer Sachleistung), welche eine erneute Existenzgrundlage im Herkunftsland ermöglichen und somit eine Nachhaltigkeit der Rückkehr fördern soll (ÖB Moskau 12.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

-        IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation

-        ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation

1.2.5. Zur aktuellen COVID-19-Pandemie

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

In der Russischen Föderation sind bislang 2.877.727 Personen an COVID-19 erkrankt und insgesamt 51.351 Personen verstorben (Quelle: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/coronavirus-disease-answers?query=russia&referrerPageUrl=https%3A%2F%2Fwww.who.int%2Femergencies%2Fdiseases%2Fnovel-coronavirus-2019%2Fcoronavirus-disease-answers&verticalUrl=casesByCountry, Zugriff am 22.12.2020).

Im Bundesgebiet sind bislang insgesamt 336.222 erkrankt und 5.216 Personen verstorben (Quelle: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/coronavirus-disease-answers?query=austria&referrerPageUrl=https%3A%2F%2Fwww.who.int%2Femergencies%2Fdiseases%2Fnovel-coronavirus-2019%2Fcoronavirus-disease-answers, Zugriff am 22.12.2020).

In der Russischen Föderation wurde die Populationszahl bei der letzten Volkszählung im Jahre 2018 mit 144,5 Mio. feststellt (Quelle: https://www.who.int/countries/rus/).

In Österreich ergab die Populationszahl bei der letzten Volkzählung im Jahre 2016 8.712.000 (Quelle: https://www.who.int/countries/aut/).

Die pandemiebedingte Situation in Österreich ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt somit schlechter als in der Russischen Föderation.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person des BF

2.1.1. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des BF, dass er ein mündiger Minderjähriger und erwerbsfähig ist, sowie zu seinen Kenntnissen der tschetschenischen und deutschen Sprache gründen sich auf die glaubhaften Aussagen seiner Eltern im Zuerkennungs- und des BF im Rahmen des Aberkennungsverfahrens und dem insoweit unstrittigen Akteninhalt.

Ebenso unstrittig sind die Feststellungen zur Geburt des BF in Österreich (Akt I, AS 3), der Stellung eines Asylantrags (Akt I, AS 29) zur Zuerkennung des Asylstatus mit Bescheid vom XXXX (Akt I, AS 95ff) und zur mangels Anfechtung rechtskräftigen Aberkennung dieses Status mit Bescheid vom XXXX (Akt II, AS 367ff und 457ff).

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF im Bundesgebiet ergeben sich wiederum aus seinen glaubhaften Angaben im Rahmen der Einvernahme durch das BFA im gegenständlichen Verfahren (Akt II, AS 335ff), bzw. hinsichtlich des Status und Aufenthaltes seiner Angehörigen den unbestritten gebliebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides (Akt II, AS 374 und 407). Dass in Bezug auf den Vater des BF ein Beschwerdeverfahren über die Aberkennung des Status des Asylberechtigten anhängig ist, ist im Übrigen amtsbekannt. Dass der BF sich zum Entscheidungszeitpunkt in Strafhaft befindet und frühestens am XXXX bzw. spätestens am XXXX entlassen wird, ergibt sich der im Akt enthaltenen Vollzugsinformation (Akt II, AS 345) und einem eingeholten Melderegister, woraus sich im Weiteren ergibt, dass der BF nicht zur Hälftestrafe bedingt entlassen wurde.

2.1.2. Dass der BF seit dem Jahr XXXX mehrfach der Begehung von Straftaten verdächtigt wurde, ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt (s. im Einzelnen unter den Punkten I.6. bis I.15. mit Aktennachweisen).

Die Feststellungen über die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF stützen sich ebenso auf den unstrittigen Akteninhalt (Urteil vom XXXX : Akt II, AS 161ff; Urteil vom XXXX : Akt II, AS 175ff; Urteil vom XXXX : Akt II, AS 293ff) und einer Nachschau im Strafregister.

Auch die Feststellung über die Todesdrohungen des BF im XXXX und über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens aus den festgestellten Gründen, folgen dem unstrittigen Akteninhalt (Abschlussbericht der LPD XXXX vom XXXX : Akt II, AS 303ff; Benachrichtigung über die Einstellung des Verfahrens vom XXXX : Akt II, AS 317f).

2.1.3. Die Feststellungen über die Verwandtschaft des BF in Tschetschenien und über den Kontakt folgen seinen Angaben, die Feststellungen, dass die Mutter des BF einen russischen Reisepass besitzt und ihre Verwandten in Tschetschenien besuchte, folgen ihren Angaben in der Einvernahme durch das BFA im gegenständlichen Verfahren (Akt II, AS 339).

Es sind folglich im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nicht auf das soziale Netz seiner Verwandtschaft und die damit verbundene, zumindest vorübergehende Unterkunft und finanzielle Hilfe zugreifen könnte. Da seine Mutter einen russischen Pass besitzt und zuletzt zweimal pro Jahr nach Tschetschenien reiste, könnte sie den BF bei seiner Rückkehr nach Tschetschenien begleiten, ihm dabei helfen, sich in der ersten Zeit zurechtzufinden, und anschließend wieder nach Österreich zurückkehren. Im Übrigen spricht der BF mit Tschetschenisch die Sprache seines Herkunftsgebietes und ist es ihm zumutbar, darüber hinaus auch die russische Sprache zu erlernen. Er hat in Österreich die Schulpflicht beendet und verfügt somit über ausreichende Schulbildung, um auch in Tschetschenien eine Erwerbstätigkeit zu finden, zumal er gesund und arbeitsfähig ist. Auch könnte ihm seine Verwandtschaft bei der Arbeitssuche behilflich sein. Die pauschale Aussage des BF in der Einvernahme durch das BFA, dass man in Tschetschenien keine Arbeit finden könne (Akt II, AS 339), vermag daran nichts zu ändern, da diese Aussage weder substantiiert wurde, noch anhand der Länderberichte oder öffentlich zugänglicher Medienberichte objektivierbar wäre. Allenfalls könnte der BF zudem auf staatliche Sozialleistungen wie Arbeitslosenunterstützung zurückgreifen (s. Punkt II.1.2.3.). Obgleich der BF in Österreich geboren wurde, entstammt er doch einer tschetschenischen Familie, weshalb davon auszugehen ist, dass er sich in den dort gültigen Gewohnheiten und Werten zurechtfinden wird, zumal er nichts Gegenteiliges vorbrachte. Da der BF kurz nach der Einreise seiner Eltern in das Bundesgebiet geboren wurde, lässt nämlich auch annehmen, dass der BF zumindest zunächst von seinen Eltern nach den tschetschenischen Werten und Gewohnheiten großgezogen wurde, da seine Eltern selbst nach diesen sozialisiert wurden.

Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat der BF in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre, ist – zumal aufgrund des Wegfalls der asylbegründenden Umstände – anhand der Länderberichte nicht objektivierbar und wurde im Übrigen auch nicht vom BF behauptet.

Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, hat der BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorkommen.

2.2. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im Länderinformationsblatt wiedergegebenen und zitierten Länderberichten, welche bereits dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurden und weiterhin aktuell sind. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt II.1.2. zitiert.

Aus einem Vergleich der unter II.1.2.5. festgestellten Zahlen ergibt sich, dass die Anzahl der in der Russischen Föderation an COVID-19 erkrankten sowie ebendort daran verstorbenen Menschen in relativer Betrachtung niedriger ist als jene im Bundesgebiet.

3. Rechtliche Beurteilung

Zum Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. – VI. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, und ihm von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach einem anderen Bundesgesetz zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der BF ist als Staatsangehöriger der Russischen Föderation kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Aberkennung seines Status des Asylberechtigten auch seine Aufenthaltsberechtigung endet.

3.1.2. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EGMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EGMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EGMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EGMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EGMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EGMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

Der VwGH erklärte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt (VwGH 26.1.2006, 2002/20/0235).

In Bezug auf das Kindeswohl sprach der VwGH aus, dass die konkreten Auswirkungen einer Familientrennung auf das Wohl des Kindes eingehend in Betracht zu ziehen sind. Das Argument, dass die Mutter die Hauptbezugsperson sei und das Kind hauptsächlich betreue, greife zu kurz. Vielmehr ist auch die weitere Entwicklung des Kindes miteinzubeziehen und dabei darauf Bedacht zu nehmen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf verlässliche Kontakte zu beiden Elternteilen hat (mwN VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282).

Allgemein sind nach dem VwGH im Falle einer Rückkehrentscheidung die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 25.04.2019, Ra 2018/22/0251).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 10.11.2015, 2015/19/0001; VwGH 26.03.2015, 2013/22/0303; VwGH 16.12.2014, 2012/22/0169; VwGH 19.11.2014, 2013/22/0270; VwGH 10.12.2013, 2013/22/0242).

3.1.3. Der Verwaltungsgerichtshof geht aber auch davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden fallen rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht ins Gewicht (vgl. VwGH 27.02.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt). Wie der Verwaltungsgerichtshof auch in jüngster Rechtsprechung immer wieder ausgeführt hat, erhöht eine wiederholte Straffälligkeit das Interesse an einer Rückkehrentscheidung und kann in einer Gesamtabwägung schwerer wiegen als familiäre Interessen (vgl. etwa VwGH 31.08.2017, Ra 2017/21/0012).

Aufenthaltsbeendigende Maßnahmen sind auch unter dem Aspekt der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen zu sehen, wobei die „Zehn-Jahres-Grenze“ in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann eine Rolle spielt, wenn einem Fremden kein erhebliches strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Hierbei kommt es auf den Zeitpunkt und der Art des jeweiligen Fehlverhaltens sowie das seither erfolgte Wohlverhalten an (vgl. VwGH 03.09.2015, Zl. 2015/21/0121; aber auch VwGH 10.11.2015, Zl. 2015/19/0001).

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0184). Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276).

In Bezug auf Gefährdungsprognosen ist es ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, Rn. 8 und 10, mwN; 19.12.2019, Ra 2019/21/0238), dass bei deren Erstellung das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.

In Fällen gravierender Kriminalität und daraus ableitbarer hoher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit steht die Zulässigkeit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auch gegen langjährig in Österreich befindliche Fremde, selbst wenn sie Ehegatten österreichischer Staatsbürger sind, nicht in Frage (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0249).

Eine Trennung von einem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner oder von in Österreich asylberechtigten Familienangehörigen ist gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit. Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses bedarf es einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung, wozu es näherer Feststellungen über die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild bedarf (bspw. VwGH 07.07.2020, Ra 2020/20/0231, mwN).

Grundsätzlich darf auch gegen einen straffälligen Migranten zweiter Generation ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn angesichts der Umstände des Falles und der Schwere der begangenen Straftaten der mit dieser Maßnahme verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben iSd Art. 8 MRK verhältnismäßig ist (VwGH 03.03.2011, 2011/22/0014 mit Verweis auf EGMR 28.06.2007, Kaya gg. Deutschland).

Der Umstand, dass die zu einer gerichtlichen Verurteilung führenden Straftaten im jugendlichen Alter begangen wurden, ist im Rahmen der vor dem Hintergrund des Art. 8 MRK erfolgenden Interessenabwägung entsprechend zu berücksichtigen (VwGH 12.04.2011, 2007/18/0962 mit Verweis auf EGMR 22.04.2004, Radovanovic gg. Österreich und EGMR 22.03.2007, Maslov gg. Österreich).

Im Fall Maslov gegen Österreich erkannte der EGMR mit einer Mehrheit von vier zu drei Gegenstimmen eine Verletzung des Art. 8 EMRK hinsichtlich eines auf 10 Jahre befristeten Aufenthaltsverbots gegen einen minderjährigen Fremden zweiter Generation, der im Alter von sechs Jahren nach Österreich kam und hier zwölf Jahre mit seinen Eltern und Geschwistern lebte, deutsch sprach und seine gesamte Schulbildung hier erhielt, jedoch wegen zahlreicher Fälle von schwerem Einbruchsdiebstahl, Erpressung und Körperverletzung zu insgesamt zwei Jahren und neun Monaten unbedingter Haft verurteilt wurde. Der EGMR hielt es für beachtlich, dass der Fremde diese Straftaten im Alter von 14 bzw. 15 Jahren und damit in der schwierigen Phase der Pubertät beging. Bei den Delikten habe es sich um typische Beispiele von Jugenddelinquenz gehandelt, die mit einer Ausnahme keine Gewalttätigkeiten umfassten. Der Fremde beging auch keine Suchtgiftdelikte. Weiters maß der EGMR der Phase des Wohlverhaltens des Fremden nach seiner Haftentlassung Bedeutung zu, da er nach Haftentlassung noch eineinhalb Jahre in Österreich verblieb, ohne Straftaten zu begehen, wodurch die Befürchtung, der Fremde könne eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, gemildert sei. Der Fremde hatte in jenem Fall die entscheidenden Jahre seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbracht und keine engen Verwandten oder sonstige Bindungen in seinem Herkunftsstaat gehabt. Angesichts dieser Umstände, insbesondere der Art und Schwere der Straftaten, die als nicht gewalttätige Jugenddelinquenz betrachtet hätten werden müssen, dem Wohlverhalten des Fremden nach seiner Haftentlassung und dem Fehlen von Bindungen zu seinem Herkunftsstaat erschien das zehnjährige Aufenthaltsverbot unverhältnismäßig (EGMR 22.03.2007, Maslov gg. Österreich, Appl. No. 1638/03).

Im Fall Radovanovic gegen Österreich erkannte der EGMR ebenso eine Verletzung des Art. 8 EMRK hinsichtlich eines unbefristeten Aufenthaltsverbots gegen einen Fremden zweiter Generation, der als 18-jähriger wegen schweren Raubes und Einbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon lediglich sechs Monate unbedingt, verurteilt wurde. Der EGMR maß den Umständen Bedeutung zu, dass der Fremde zu einer geringen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die Straftaten als Jugendlicher beging und er bis dahin unbescholten war. Die Bindungen des Fremden an das Bundesgebiet, der in Österreich geboren wurde, einen Teil seiner schulischen Bildung und seine Berufsausbildung hier abschloss, während er bei seiner Familie lebte, und der dauerhaft aufenthaltsberechtigt war, seien weitaus stärker gewesen als jene zu seinem Herkunftsstaat, in dem er keine Verwandtschaft hatte. Der EGMR war in der Folge der Ansicht, dass ein unbefristetes Aufenthaltsverbot überzogen war und ein befristetes Verbot ausreichend gewesen wäre (EGMR 22.04.2004, Radovanovic gg. Österreich, Appl. No. 42703/98).

3.1.4. Im Folgenden ist nun diese Judikatur auf das gegenständliche Verfahren anzuwenden. Demnach kommt einerseits den Fakten Bedeutung zu, dass der BF in Österreich geboren wurde und seine Schulpflicht absolvierte, seine engsten Angehörigen hier wohnen und er gerade noch minderjährig ist – wiewohl er aber im Übrigen, abgesehen von Freundschaften, von denen er sich in der gegenständlichen Einvernahme distanzierte, keine sonstige besondere Integration bzw. privaten Bindungen geltend machte. Andererseits wurde der BF, nachdem er bereits ab dem Jahr XXXX immer wieder in Strafermittlungen auftauchte, in kurzer Folge im XXXX , im XXXX und im XXXX strafgerichtlich verurteilt und befindet sich in Strafhaft. Während die Verurteilung nach § 136 Abs. 1 StGB im XXXX noch als gewaltlose Jugenddelinquenz betrachtet werden kann, drohte der BF bei den mit Urteil vom XXXX bestraften Taten bereits mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben, um schließlich in der dem Urteil vom XXXX zugrundeliegenden Straftat schon (zumal nicht ganz unbeträchtlich) gewalttätig zu werden. Dadurch wird die kontinuierliche und erhebliche Steigerung der Gefährlichkeit und des Gefahrenpotenzials des BF augenscheinlich. Sodann ist die kurze Abfolge der Straftaten und Verurteilungen auffällig. Obgleich der BF am XXXX das erste Mal strafgerichtlich verurteilt wurde, beging er bereits XXXX danach, am XXXX , erneut, und zwar deutlich schwerere Straftaten. Obwohl er für diese am XXXX bereits zu einer teilbedingten Strafe verurteilt wurde, wurde er wiederum lediglich XXXX später, am XXXX , noch gravierender rückfällig. Diese äußerst rasche Rückfälligkeit trotz gerichtlicher Verurteilungen lässt auf keinerlei Einsicht und Rechtstreue des BF schließen, woran auch die oberflächlichen Behauptungen in der gegenständlichen Einvernahme nichts ändern, zumal der BF sich noch in Strafhaft befindet und sein Vorbringen damit nicht durch Tatsachen zu untermauern vermag. Entsprechend kann der BF also auch kein Wohlverhalten seit Haftentlassung für sich geltend machen und könnte ein solches angesichts des Vorverhaltens auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Auch ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass dem BF im zweiten Strafurteil eine führende Tatbeteiligung angelastet wurde und er im dritten Strafurteil als Einzeltäter verurteilt wurde, somit nicht die Rede davon sein kann, dass der BF sich lediglich durch den Einfluss schlechter Freunde zu den Taten hinreißen hätte lassen. Hinzu kommt, dass der BF mehr als einmal in aller Öffentlichkeit geäußert hat, eine Person umzubringen. Mag er auch keinen Straftatbestand erfüllt haben, weil der Adressat dieser Drohungen aufgrund eines Gefängnisaufenthaltes nicht anwesend war, muss doch auch dies zulasten des BF miteinbezogen werden, da auch eine derartige Drohung darauf schließen lässt, dass der BF sich bereits sehr weit von einem sozialverträglichen Rechtsverständnis und Gesellschaftsleben entfernt hat. Mag der BF auch seine gesamte Kindheit und Jugend in Österreich verbracht haben, hat er letztere doch vor allem dazu genutzt, um mehrfach und gravierend mit den Strafgesetzen in Konflikt zu geraten, wodurch jegliche Integration und die damit verbundenen privaten wie auch familiären Interessen des BF massiv beeinträchtigt wurden. Der BF hat die gegenständlichen Straftaten zwar als Minderjähriger, nämlich hinsichtlich des ersten Strafurteils als XXXX und hinsichtlich des zweiten und dritten Strafurteils als XXXX begangen, doch musste ihm allerspätestens nach der Verurteilung zu einer teilbedingten Haftstrafe im zweiten Strafurteil das Unrecht seiner Taten vollkommen bewusst gewesen sein, was ihn jedoch nicht davon abhielt, unmittelbar darauf erneut noch schwerer straffällig zu werden. Entsprechend wurde der BF trotz seines jungen Alters zuletzt zu einer bereits nicht mehr als unbeträchtlich zu bezeichnenden unbedingten Haftstrafe von 18 Monaten, bzw. insgesamt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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