TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/15 W196 2149806-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2021
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Entscheidungsdatum

15.01.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


W196 2149803-1/15E

W196 2149806-1/18E

W196 2149809-1/16E

W196 2149812-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX 3.) XXXX , geb. XXXX und 4.) XXXX , geb. XXXX alle StA. Russische Föderation, vertreten durch Mag. Sauseng gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2017, zu Zlen 1.) 1082994900-151115828, 2.) 1066145207-150422587, 3.) 1082995004-151116123, und 4.) 1082995102-151115968 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.10.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis IV. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 52 FPG iVm. § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

III.) XXXX , wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus" jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin. Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführer, stammen aus XXXX / Tschetschenien. Der Erstbeschwerdeführer brachte am 26.04.2015, die Zweitbeschwerdeführerin brachte für sich und ihre minderjährigen Kinder am 18.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein.

Im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 26.04.2015 gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe die Russische Föderation wegen seines Cousins verlassen. Dieser wäre Widerstandskämpfer gewesen und die russische Polizei habe nach ihm gesucht und habe daher den Erstbeschwerdeführer auch inhaftiert, um ihn nach dem Aufenthalt seines Cousins zu fragen. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

Am 28.09.2016 wurde der Erstbeschwerdeführer im Rahmen einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt, wobei er angab, dass er bis zu seiner Flucht in XXXX gelebt habe und am 22. April 2015 die Heimat endgültig verlassen habe. Die Ausreise habe er mit Ersparnissen finanziert. Ein Bruder lebe noch im Heimatland. Die Frau und die Kinder befänden sich seit August 2015 auch in Österreich. Zu seinen Flucht- und Asylgründen befragt gab der Erstbeschwerdeführer an, alles habe im Mai 2001 begonnen. Die Polizei habe ihn und seinen Bruder mitgenommen und über seinen Cousin befragt. Diesen Cousin hätten sie während einer Säuberungsaktion einen Tag lang bei sich zu Hause im Garten versteckt. Der Erstbeschwerdeführer und sein Bruder seien drei Tage festgehalten worden und durch die Polizei vernommen worden, da diese nicht glauben wollten, dass sie nicht wüssten wo sich der Cousin befände. Danach sei der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie nach Inguschetien gezogen in die Stadt XXXX . Bis 2007 hätte es dann keine Probleme mehr gegeben. Danach sei der Bruder nach Frankreich geflüchtet und die Probleme hätten wieder begonnen man hätte ihn bei der Polizei wieder über dem Bruder und über den Cousin befragt und die Polizei habe wissen wollen, wo sich diese beiden Personen befänden. Der Erstbeschwerdeführer sei geschlagen worden und er und seine Familie beschimpft worden. Nach 3 Tagen sei er wieder freigelassen worden und bis 2015 sei nichts mehr vorgefallen. Nach dem Terroranschlag in XXXX 2014 habe die Polizei wieder nach ehemaligen Widerstandskämpfern gesucht und sei daher auch zu Erstbeschwerdeführer ins Haus gekommen. Man habe die Reisepässe (Auslands und Inlandspass) gefunden, diese mitgenommen und sei wieder gegangen. Daraufhin habe der Erstbeschwerdeführer Tschetschenien am nächsten Tag verlassen.

Er habe Tschetschenien nicht schon früher verlassen, da sein Vater das nicht wollte. Der sei aber 2013 verstorben und daher habe er dann den Entschluss gefasst das Land zu verlassen. Ein Bruder lebe noch in der Heimat. In Österreich lerne er Deutsch und bemühe sich um Kontakt mit der österreichischen Bevölkerung. Wenn er eine Genehmigung bekomme, werde er arbeiten gehen.

Im Rahmen der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.08.2015 gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie habe die Russische Föderation verlassen, weil sie von verschiedenen politischen Gruppierungen in XXXX verfolgt würde. Ihr Vater sei während des ersten Krieges von den Russen getötet worden. Danach hätten diese sie und die Familie terrorisiert. Sie hätte ständig Angst gehabt. ihr Mann sei schon im März 2015 aus politischen Gründen nach Österreich geflüchtet und da sie zwei minderjährige Kinder habe sei sie ebenfalls geflohen. Außerdem habe sie vermeiden wollen, dass die Tochter mit einem alten Mann verheiratet werde und sie habe wieder mit ihrem Mann zusammen als Familie in Frieden leben wollen. In der Heimat werde sie weder von der Polizei oder sonstigen staatlichen Einrichtungen gesucht. Für ihre mit ihr gereisten Kinder würden dieselben Fluchtgründe gelten wie für sie.

Am 02.11.2016 (im Bescheid S3 irrtümlich 16.12.2016) wurde die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt, wobei sie angab, dass sie Russland endgültig verlassen habe, weil immer wieder Polizisten zu ihr in die Arbeit gekommen seien seit ihr Mann geflüchtet war und nach dem Ehemann gefragt hätten.

In ihrer Heimat habe sie neun Jahre lang die Schule besucht. Danach habe sie eine Ausbildung als Näherin gemacht und ein Jahr in einer Schneiderei gearbeitet. Sie habe auch einen dreimonatigen Kurs für Maniküre und Pediküre besucht und einen Friseurkurs abgeschlossen. Danach habe sie 15 Jahre lang als Friseurin gearbeitet. Die Ausreise hätte sie finanziert in dem sie den Friseurladen und auch ihr Auto verkauft habe. In der Heimat lebe noch ihre Mutter, ihr Bruder und ihre Schwester. In Österreich lebe ein Bruder.

Nach den Gründen für das Verlassen der Heimat gefragt, gab sie an, nur wegen der Probleme ihres Mannes die Heimat verlassen zu haben. Dieser sei immer wieder nach einem Verwandten gefragt worden den sie während einer Säuberungsaktion der Russen im Jahre 2000 im Gemüsegarten versteckt hätten. Danach sei ihr Mann von den Russen mitgenommen worden und nach dem Verwandten gefragt worden. Das war 2001.2007 sei ihr Schwager nach Frankreich geflüchtet und daraufhin sei ihr Mann wieder nach dem Verwandten und seinem Bruder von den Russen befragt worden. Dann sei sieben Jahre bis 2014 Ruhe gewesen. Im Jahr 2014 als die Rebellen das Haus der Presse angegriffen haben, seien maskierte Personen in die Wohnung eingedrungen und hätten diese durchwühlt und ihren Mann mitgenommen. Im April 2015 sein wieder Personen gekommen und hätten den Inland und Auslandsreisepass des Mannes mitgenommen und gesagt, dass er ihn am nächsten Tag bei der Polizei abholen müsse. An diesem Tag habe ihr Schwager das Land verlassen. Einzelheiten wisse sie leider nicht sie habe ihre Kinder genommen und sei zu ihrer Mutter gezogen. Die Polizei sei ein bis zweimal zu ihrer Arbeit gekommen und habe sie nach dem Ehemann gefragt. Der Grund für die Flucht sei gewesen, dass es in der Familie nicht üblich sei verheiratet zu sein und getrennt zu leben. Deswegen und weil ihr Mann in Österreich gewesen war, sei es der Tochter nicht gut gegangen Sie habe auch Angst bekommen, weil die Polizei zum Arbeitsplatz gekommen sei. Sie sei geflohen, um bei ihr Mann zu leben und weil sie nicht wisse wie es in ihrer Heimat weitergehen würde. Daher sei sie mit ihren Kindern ausgereist.

Mit Bescheid vom 16.02.2017 wies das Bundesamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 26.04.2015 (bezüglich des Erstbeschwerdeführers ) und vom 18.08.2015 (bezüglich der Zweitbeschwerdeführerin und ihrer beiden Kinder des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin) bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 ab, erteilte einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht und erließ gemäß § 10 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und setzte die Frist für ihre freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

Begründend wurde darin zur Asylfrage ausgeführt, dass das Vorbringen zu den Ausreisegründen keine asylrelevante Verfolgung darstelle. Der von den Beschwerdeführern als Fluchtgrund vorgebrachte Sachverhalt sei unglaubhaft, auffallend vage und nicht nachvollziehbar. Selbst wenn der Erstbeschwerdeführer tatsächlich von der Polizei verhaftet und befragt worden wäre, sei es wegen der zeitlichen Abstände und dem Grund der Befragung lediglich eine gesetzliche Behördentätigkeit gewesen und stehe mit keinem der Konventionsgründe im Zusammenhang.

Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer durch ihren Vertreter mit Schriftsatz vom 07.03.2017 vollinhaltlich Beschwerde und führte im Wesentlichen aus, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe sie hätte andere bzw. ergänzende Feststellungen treffen müssen sodass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Fall der Beschwerdeführer vorgelegen hätte und bei einer Rückkehr in die Russische Föderation sie einem realen Risiko einer Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Die Beschwerdeführer hätten große Angst in ihr Heimatland zurückzukehren, da sie von der Polizei aufgrund der Tätigkeit des Cousins des Erstbeschwerdeführers gesucht würden und bei einer Rückkehr mit großer Wahrscheinlichkeit gefoltert und misshandelt würden. Die Behörde ziehe ihre Schlussfolgerung zur aktuellen Situation in Tschetschenien auch größtenteils aus irrelevanten und überwiegend veralteten Länderberichten. Es werden daher die Anträge gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung internationalen Schutz erteilen oder jedenfalls die auf Dauer bestehende Unzulässigkeit der Rückkehr fest zu stellen und den Beschwerdeführern einen humanitären Aufenthaltstitel erteilen.

Am 27.10.2020 fand zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, bei welcher die Beschwerdeführer in Anwesenheit ihrer Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin auch auf Deutsch befragt wurden. Sie wiederholten dabei im Wesentlichen ihre bereits vor dem Bundesamt gemachten Angaben zu ihren Fluchtgründen.

Eröffnung der Verhandlung

Befragung BF1:

RI: Wie gut verstehen Sie Deutsch?

BF1: Nicht besonders gut, bitte mit der Dolmetscherin. Ich habe den A2 Kurs geschafft vor einem Jahr.

RI: Was war der Grund, weswegen Sie geflüchtet sind?

BF1: Es gab ständige Überprüfungen. Ich habe getrennt von meinen Brüdern gelebt in der Stadt. Ich habe in der Stadt mit meiner Frau und mit meinen Kindern gelebt. Es begann alles mit meinem Cousin. Das war ein Cousin dritten Grades. Als es Säuberungsaktionen gegeben hat, hat er sich bei uns versteckt. Die Polizeimitarbeiter und die Beamten der Sicherheitsbehörde haben das erfahren. Man hat uns ständig nach ihm gefragt. Das hat schon 2001 begonnen. Während der Kampfhandlungen bin ich in ein Dorf übersiedelt, um dort zu leben, weil es in der Stadt gefährlich war, dort gab es Bombardierungen, deswegen habe ich bei meinem Vater gelebt. Ca. im Frühling wurde ich und mein junger Bruder mitgenommen. Mein jüngerer Bruder hat auch beim Vater gelebt. Wir wurden verschleppt und wussten nicht, wo wir uns befinden. Wir wurden dort gefoltert und zusammengeschlagen. Meinem Bruder wurde die Schulter gebrochen. Dann wurden wir freigelassen. Man hat mich nach meinem Cousin gefragt und ich habe nicht gewusst, wo er ist. Dann bin ich mit meiner Familie weggefahren in eine andere Republik nach XXXX . Mein Bruder ist auch weggefahren, er ist in eine Ortschaft namens XXXX übersiedelt. Nach drei Jahren bin ich nach XXXX wieder zurückgekehrt, weil es dort ruhiger war, es gab keine Bombardierungen mehr. Nach ein paar Jahren hat es wieder begonnen. Meine Familie befand sich damals bei meiner Schwiegermutter. Die Polizisten sind gekommen. Sie haben von mir gefordert, mit meinem Pass hinauszukommen. Dann stand ein Auto. Man hat mich mit einem Sturmgewehr bedroht und gezwungen, in das Auto einzusteigen. Dann wurde ich mit dem Auto weggebracht in die Polizeistelle, indem für mich zuständigen Rayon. Damals hat es auch ähnliche Verhöre gegeben, man hat mich ebenfalls nach meinem Cousin befragt.

RI: Warum hat man Ihren Cousin so dringend gesucht?

BF1: Er war im Widerstand. Er heißt XXXX . Nach zwei Tagen wurde ich freigelassen. Dann gab es wieder eine ruhigere Zeit, aber die Polizisten sind manchmal wieder gekommen. Dann gab es in XXXX einen Terroranschlag. Das Pressehaus und die Schule wurden überfallen. Damals sind die Leute wieder gekommen. Sie haben mich in eine Abteilung gebracht. Man hat mich dort befragt, ob ich irgendwem von diesen Leuten kenne, ob ich irgendwelche Informationen diesbezüglich habe. Danach wurde ich freigelassen. Dann 2015 sind die Leute wieder zu mir nach Hause gekommen. Sie haben mir nichts erklärt. Das ganze Haus wurde durchsucht, man hat alles durcheinandergebracht. Meine Dokumente wurden mir weggenommen, auch der Auslandspass und der russische Inlandspass. Man sagte mir, dass ich am nächsten Tag in der Früh zur Polizei kommen soll. Ich bin dann am nächsten Tag in der Früh mit meinem Bruder ausgereist. Ich habe einen Führerschein und mit diesem Führerschein bin ich ausgereist. Nachgefragt: Das ist auch ein jüngerer Bruder, aber nicht der, von dem ich zuvor gesprochen habe. Der Bruder, von dem ich gesprochen habe, heißt XXXX , er lebt in Frankreich. Der andere Bruder heißt XXXX , mit dem bin ich ausgereist. Ich bin gleich hierhergekommen. Zuerst nach Rostov, dann über die Ukraine weiter mit einem Taxi. Den Führerschein habe ich als Dokument verwendet.

Befragung BF2:

RI: Wie gut verstehen Sie Deutsch?

BF2 (auf Deutsch): Ich verstehe, aber nicht so gut. Ich kann besser Deutsch als mein Mann.

RI: Was haben Sie für einen Kurs gemacht?

BF2: Ich habe den A2 Kurs gemacht und absolviert.

RI: Haben Sie Wahrnehmungen bezüglich der Bedrohung Ihres Mannes? Setzen Sie dort fort, wo Ihr Mann ausgereist ist.

BF2: Das, was mein Mann erzählt hat, habe ich alles miterlebt. Bevor wir die Republik verlassen haben, habe ich gearbeitet. Ich habe einen Friseursaloon gehabt. Als er weggefahren ist, nach ca. zwei Wochen, klopfte man bei mir an der Tür. Das war in der Arbeit. Man sagte mir, dass mein Mann mit Dokumenten hätte kommen sollen. Man hat ihm die Dokumente abgenommen und man hat ihn ersucht, zu der Polizeistelle zu kommen und die Dokumente zu holen, er hat ja aber die Republik verlassen. Man hat mich gefragt, wo er ist. Ich sagte, dass ich das nicht weiß. Damals wusste ich das auch nicht. Ich wusste, dass er weggefahren ist, aber ich wusste nicht, wo er angekommen ist. Also bin ich zu meiner Mutter mit den Kindern übersiedelt, um dort in XXXX zu leben. Meine Mutter lebt in XXXX . Nach zwei Monaten sind die Leute wieder gekommen zu meiner Arbeit. Man hat mir gesagt, dass ich doch zwei Kinder habe und mich gefragt, ob ich keine Angst um sie habe. Ich hatte große Angst, ich wusste nicht, was passieren wird. Deswegen lebten wir dort nicht mehr lange. Wir haben dann die Republik verlassen, mit den Dokumenten. Wir sind mit einem Bus über Moskau gefahren, dann mit einem Zug nach Brest. Zu dieser Zeit wusste ich, wo mein Mann ist.

Befragung BF3:

RI: Erzählen Sie.

BF3 (auf Deutsch): Was ich dazu sagen kann … 2014, als die Rebellen das Pressehaus attackiert haben … Wir wurden untersucht, unsere Wohnung. Wir wurden ständig bedroht. Die Leute kannten unsere Familie. Sie meinten dann: „Was ist mit dir, wirst du auch ein Terrorist wie dein Onkel?“. So haben sie mich bedroht. Ansonsten kann ich nichts dazu sagen. Ich bin dann mit meiner Mutter ausgereist.

Befragung BF4:

BF4 (auf Deutsch): Als sie zu uns gekommen sind in die Wohnung, haben sie mich auch bedroht. Sie haben gesagt, dass ich einen älteren Mann von ihnen heiraten müsse, sobald ich 17 Jahre alt bin. In XXXX war ich eine Schülerin, ich habe die Matura abgeschlossen. Als ich bei meiner Oma war, war ich draußen und habe gespielt, dann ist ein Auto gekommen, es waren fünf Männer, ein Mann ist ins Geschäft gegangen, ich war alleine, drei Jungs waren da und haben diese Männer beschimpft, dann haben die Männer zu mir gesagt: „Diese Jungst sind schlimm, du bist nicht schlimm, du bist brav“. Dann haben sie mich gerufen und gefragt, ob in der Nähe ein Polizist ist. Ich sagte, dass ich das nicht weiß. Dann sagte er mir: „Komm ein bisschen her“. Ich sagte nein. Dann bin ich schnell zu meinem Onkel, der im Haus neben der Oma wohnt, gelaufen. Ich habe das dann seiner Frau erzählt. Wir sind dann zusammen rausgegangen. Das Auto war weiter weg. Wir haben dann gewartet bis sie weg sind. Später bin ich zu meiner Oma gegangen. Alle waren betrunken. Einer der Männer hatte ein Bier in der Hand.

Befragung RV:

RV: Wenn ich es richtig verstanden habe, hat es drei Festnahmen gegeben?

BF1: Ja, drei Tage hat die Festnahme von XXXX gedauert. Das war in einem anderen Rayon. Ich glaube, er wurde in einer Polizeistation festgenommen.

RV: Die zweite Festnahme, wie lange hat die gedauert?

BF1: Zwei Tage.

RV: Die letzte Festnahme war im Jahr 2014?

BF1: Ja.

RV: Wie lange hat die gedauert?

BF1: Ein paar Stunden.

RV: Zum XXXX , der in Frankreich lebt, hat er um Asyl angesucht in Frankreich?

BF1: Ja und bekommen.

RV: Was war sein Fluchtgrund, den er in Frankreich angegeben hat?

BF1: Das gleiche, so wie es war.

RV: Keine weiteren Fragen.

Schluss der Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Einvernahme der Beschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der Befragung der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 27.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht, und Unterlagen durch die Beschwerdeführer sowie der Einsichtnahme in die Länderinformationen (LIB der Staatendokumentation, Stand 27.03.2020, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern des Drittbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin. Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Sie bekennen sich zum moslemischen Glauben und stellten am 26.04.2015 (der Erstbeschwerdeführer) und am 18.08.2015 (die Zweitbeschwerdeführerin und ihre Kinder, der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin) Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin lebt in Österreich.

Festgestellt wird, dass den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation keine, an asylrelevante Merkmale anknüpfende, aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

In der russischen Föderation leben noch Verwandte des Erstbeschwerdeführers wie zum Beispiel ein Bruder in der Nähe von XXXX . Ein anderer Bruder des Erstbeschwerdeführers lebt in Frankreich.

Die Beschwerdeführer befinden sich seit über sieben Jahren in Österreich, sind ausgesprochen um Integration bemüht und konnten das durch viele Beweisdokumente belegen.

Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, wird basierend auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Folgendes festgestellt:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2020:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

-        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

-        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits, weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

-        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

-        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 27.03.2020

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2019). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.3.2020).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden, sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter, etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2019). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexej Uljukaew im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2019).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2019). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, US DOS 11.3.2020). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht. Mit Ende 2018 waren beim EGMR 11.750 Anträge aus Russland anhängig. Im Jahr 2018 wurde die Russische Föderation in 238 Fällen wegen einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt. Besonders zahlreich sind Konventionsverstöße wegen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Verstöße gegen das Recht auf Leben, insbesondere im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien oder der Situation in den russischen Gefängnissen. Außerdem werden Verstöße gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gerügt (ÖB Moskau 12.2019).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer „nichtgenehmigten“ friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der „Absicht“ angenommen haben, die „Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen“. NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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