Entscheidungsdatum
25.01.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I413 2203315-1/31E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.05.2020 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I., II. und III. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. wie folgt zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird XXXX nicht erteilt.“
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. und VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak aus Mosul, Irak, stellte am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er wie folgt begründete: „Mein Bruder wurde am 25.02.2011 bei einer Demonstration von der irakischen Armee erschossen. Daraufhin leiteten wir als seine Angehörigen ein Verfahren ein, welches als Anzeige durch unbekannt endete. Wir wollten zu höheren Instanzen gehen und die Sache weiterverfolgen. Daraufhin haben wir dann telefonisch anonyme Drohungen bekommen, wenn wir damit weitermachen, dass wir mit unserem Leben bezahlen müssen. Man hat dann später immer wieder behördliche Fahrzeuge zu unserer Haustüre geschickt, um uns einzuschüchtern. Daraus ist eine zweite noch größere Gefahr entstanden. Die IS dache, dass wir mit der Behörde gegen sie kooperieren, da immer wieder Fahrzeuge von der Behörde vor unserem Haus standen. Damals sind auch die IS an uns herangetreten und sagte, dass wie uns ihnen anschließen sollten, um unseren Fehler wiedergutzumachen. Dies wollten wir aber nicht. Ich bin Student und möchte nicht in den Krieg. Danach haben wir beschlossen Richtung Kirkuk zu reisen. Mich hat man hineingelassen, aber meinen Bruder und seine Freundin aber nicht. Ich bin geflüchtet aus Angst um mein Leben, da ich nicht getötet werden möchte, egal von welcher Seite.“
2. Mit Schriftsatz vom 18.05.2017, eingelangt bei der belangten Behörde am 22.05.2017, erstattete der Beschwerdeführer ein Vorbringen und legte ein Zertifikat Deutsch B1 (gut bestanden) vom 18.11.2016, eine Kursbestätigung eines Vorstudienlehrgangs der Wiener Universitäten für Deutsch für Fortgeschrittene und Fachkurs Mathematik, eine Registrierungsbestätigung im Rahmen des Aufnahmeverfahrens für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien und ein Dienstzeugnis betreffend Refugeeswork.at vor.
3. Am 02.05.2018 führte die belangte Behörde die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch, in der er zusammengefasst angab, an Morbus Crohn zu leiden, an der Wirtschaftsuniversität Wien zu studieren und zu seinen Fluchtgründen angab, 2011 hätten Demonstrationen im Irak stattgefunden und dabei sei sein Bruder erschossen worden. Die Polizei habe Untersuchungen aufgenommen und zwei Jahre später sei das Verfahren eingestellt worden, weil kein Täter gefunden werden konnte. Sein Vater, der als Universitätsprofessor sehr gute Kontakte hatte, hätte sich bemüht, dass die Ermittlungen wiederaufgenommen werden. Über seine Kontakte hätte er den Täter erfahren und gegen diesen Anzeige erstattet. Daraufhin hätte sein Vater 2013 einen Drohanruf erhalten. Regierungsfahrzeuge seien nach Hause gekommen, um ihm Angst einzujagen. Einmal sei Geld geboten worden, damit sie nichts sagten. Der Beschwerdeführer und sein Bruder hätten in dieser Zeit nicht mehr regelmäßig zur Schule gehen können, weil sie sich beobachtet fühlten. Am 10.06.2014 sei der IS in die Stadt eingedrungen und in weiterer Folge hätte sein Bruder einen Anruf von einem IS-Mitglied erhalten, dass sie öfter mit dem irakischen Militär Kontakt gehabt hätten und deswegen Buße tun und zum IS kommen müssten. Am 28.09.2014 habe ihn sein Vater angerufen und ihn gebeten nicht mehr nach Hause zu kommen, weil IS-Mitglieder nach ihm und seinem Bruder suchen würden. Am 02.10.2014 verließen sein Bruder und er Mosul und seien nach Kirkuk geflüchtet. Bei einem Kontrollpunkt an der Stadtgrenze sei er hineingelassen worden, weil er damals zu Schule gegangen sei, nicht aber sein Bruder. Dieser sei mit seiner Ehefrau nach Sulemanyia weitergereist. Der Beschwerdeführer habe in Kirkuk die Prüfungen abgelegt und sei am 29.11.2014 in die Türkei weitergereist. Nach der Befreiung von Mosul seien sein Bruder und seine Ehefrau nach Mosul zurückgekehrt. Erst im August 2017 habe sein Vater Anzeige wegen der Mörder seines Bruders erstatten können. Der Mörder sei ein Offizier namens Zaid ALCHAFAJI aus Bagdad. Sein Bruder sei am 18.01.2018 verschwunden.
4. Mit Schriftsatz vom 08.05.2018 erstattete der Beschwerdeführer zu den Länderfeststellungen eine Stellungnahme.
5. Am 01.06.2018 erstattete die Staatendokumentation der belangten Behörde eine Anfragebeantwortung zur Gewährleistung der Behandlungsmöglichkeiten von Morbus Crohn und zur Erhältlichkeit von Medikamenten im Irak sowie zu den Kosten solcher Medikamente und der Tragung solcher Kosten. Zusammengefasst ist die Behandlung von Morbus Crohn im Irak, ua in Mosul, möglich, chinesische Medizin ist nicht erhältlich, wohl aber Medikamente mit dem Wirkstoff Colecalciferol und Azathiprin sowie verschiedene Arten von Sterioden. Die Kosten solcher Medizin muss der Patient selbst tragen.
6. Mit Schriftsatz vom 22.06.2018, eingelangt bei der belangten Behörde am 25.06.2018, erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.06.2018.
7. Mit Bescheid vom 05.07.2018, 1093575710-151698076/BMI-BFA_NOE_AST_02, wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom 13.10.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und hinsichtlich eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.) und sprach aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
8. Gegen diesen dem Beschwerdeführer am 11.07.2018 zugestellten Bescheid richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.
9. Mit Schriftsatz vom 10.08.2018 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habendem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.
10. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L524 abgenommen und der Gerichtsabteilung I413 neu zugewiesen.
11. Mit Schriftsatz vom 18.12.2019 gab die Rechtsanwaltsgesellschaft Gabler Ortner Rechtsanwälte GmbH bekannt, dass diese vom Beschwerdeführer mit seiner Vertretung beauftragt und bevollmächtigt wurde und ersuchte künftige Zustellungen an sie vorzunehmen.
12. Am 14.05.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer als Partei und Magdalena A XXXX WIMMER als Zeugin befragt und die aktuelle Situation im Herkunftsstaat erörtert wurden. Das Bundesverwaltungsgericht beschloss, Beweis durch einen medizinischen Sachverständigen aufzunehmen, um die in der mündlichen Verhandlung thematisierten gesundheitlichen Probleme des Beschwerdeführers und deren Behandlungsbedürftigkeit abzuklären. Zudem beschloss das Bundesverwaltungsgericht, eine Anfragebeantwortung durch die Staatendokumentation zur Frage der Behandlungsmöglichkeit von Morbus Chron im Irak einzuholen.
13. Mit Beschluss vom 14.05.2020 (OZ 13Z) wurde ao. Univ.-Prof. Dr. C XXXX M XXXX zum nichtamtlichen Sachverständigen aus dem Fachbereich Innere Medizin bestellt.
14. Mit Schreiben vom 14.05.2020 (OZ 16Z) richtete das Bundesverwaltungsgericht eine Anfrage an das BFA-Staatendokumentation betreffend die Frage der medizinischen Versorgung und Behandlungsmöglichkeit von Morbus Crohn im Irak sowie der Verfügbarkeit entsprechender Medikamente im Irak zur Behandlung dieser Krankheit.
15. Mit dem am 05.06.2020 eingelangten Gutachten vom 02.06.2020 (OZ 19) beantwortete der nichtamtliche Sachverständige die an ihn gestellten Fragestellungen nach entsprechender Befundaufnahme ua durch persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.05.2020 wie folgt:
„1.) Wie ist der aktuelle Gesundheitszustand des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Krankheit Morbus Crohn zu beschreiben? Ist der Zustand stabil?
Bei Herrn XXXX wurde 2016 im Rahmen einer Durchuntersuchung in der Krankenanstalt Rudolfstiftung ein Morbus Crohn des terminalen lleums sowohl makroskopisch als auch histologisch durch den Nachweis einer erosiven Entzündung im terminalen lleum und von Epitheloidzellgranulomen diagnostiziert. Derzeit wird der Patient mit Buzhongyiqi Tang (TCM) und ein Mal pro Woche hochdosiertes Vitamin D Dekristol 20.000 Einheiten behandelt, nachdem er ab 2016 schulmedizinische Therapieversuche mit Cortison, Imurek, Budosan und Puri-Nethol nach anfänglichem Ansprechen wegen Nebenwirkungen und teilweise weiterbestehenden Beschwerden beendet hatte. Der Zustand des Beschwerdeführers ist seit längerer Zeit als stabil zu bezeichnen, er berichtet nur über gelegentliche Bauchschmerzen und müsse 1-3 Mal pro Tag (teilweise stressabhängig) auf die Toilette, der Stuhl sei jedoch immer geformt und ohne Blutbeimengungen.
2.) Ist diese Krankheit beim Beschwerdeführer aktuell behandlungsbedürftig? Wenn ja, welche Behandlung ist aus fachlicher Sicht notwendig?
Der Morbus Crohn ist eine chronisch entzündliche Darmerkrankung, die sich im Dünndarm und/oder auch im Dickdarm durch Rötungen, Durchfälle, Blutbeimengungen und Bauchschmerzen äußern kann. Sie verläuft typischerweise chronisch (über Jahre oder Jahrzehnte) und sehr oft in Schüben, wobei durchaus längere Intervalle (Monate bis Jahre) zwischen den Schüben liegen können und das Auftreten eines Schuhes nicht vorhergesagt werden kann. Es gibt Patienten mit häufigen und regelmäßigen Schüben alle paar Monate, andererseits gibt es jedoch auch Patienten, die nach einem ersten Schub, der zur Diagnose Morbus Crohn geführt hat, einen sehr milden Verlauf ohne wesentliche weitere entzündliche Schübe aufweisen. Auch diese unterschiedlichen Verlaufsformen können nicht vorausgesagt werden. Derzeit wird der Beschwerdeführer mit Buzhongyiqi Tang (TCM) und Dekristol 20.000 Einheiten 1 Mal pro Woche behandelt, eine Behandlung, die sicher nicht dem Repertoire der Schulmedizin zuzurechnen ist und über deren allgemeine Effektivität mangels kontrollierter klinischer Studien aus schulmedizinischer Sicht keine Aussage getroffen werden kann. Es ist durchaus denkbar, dass die vom Patienten empfundene Verbesserung seiner Beschwerden seit Einleitung dieser nicht schulmedizinischen Therapie lediglich Ausdruck des sehr milden spontanen Verlaufes des Morbus Crohn darstellt. Es ist daher auch durchaus möglich, dass der Morbus Crohn derzeit überhaupt nicht behandlungsbedürftig ist, auch nicht mit einer schulmedizinischen Basaltherapie.
3.) Welche Behandlungsmethoden sind notwendig um eine möglichst hohe Beschwerdefreiheit bzw. Heilung beim Beschwerdeführer im Hinblick auf die Krankheit Morbus Crohn zu erreichen?
Nach heutigem schulmedizinischen Verständnis ist eine tatsächliche Heilung des Morbus Crohn derzeit nicht zu erreichen, auch wenn es Patienten gibt, deren milder Verlauf mit jähre- bzw. jahrzehntelanger Beschwerdefreiheit einer Heilung sehr nahekommt. Allgemein gilt, dass aus schulmedizinischer Sicht eine anti-entzündliche, das Immunsystem unterdrückende Therapie je nach Entzündungsaktivität gegeben wird mit dem Ziel, nicht nur subjektive Beschwerdefreiheit zu erreichen, sondern die Entzündung im Darm möglichst auch histologisch zum Verschwinden zu bringen. Tatsächlich ist bei der letzten Koloskopie im Oktober 2019 praktisch keine entzündliche Aktivität im Darm feststellbar gewesen, so dass auch aus diesem Grund die Notwendigkeit einer weiter führenden Behandlung derzeit nicht eindeutig gegeben ist.
4.) Benötigt der Beschwerdeführer laufende medizinische Betreuung, allenfalls auch in Krankenhäusern?
Da die medizinischen Beschwerden von Herrn XXXX gering sind, erscheint auch eine laufende regelmäßige medizinische Betreuung nicht notwendig zu sein. Auch eine regelmäßige Betreuung in Krankenhäusern erscheint nicht notwendig. Da ein akuter Schub eines Morbus Crohn jedoch nie richtig vorausgesagt werden kann, gilt diese Aussage nur für den Augenblick.
5.) Dem Beschwerdeführer wurde mit Buzhongyiqi Tang (TCM) und Dekristol 20.000 Tabletten verordnet, ist dies eine übliche Behandlung bei Morbus Crohn?
Diese Therapie ist sicherlich keine übliche Behandlung des Morbus Crohn, zumindest nicht nach schulmedizinischen Kriterien.
6.) Welche Alternativen bestehen zur verschriebenen Medizin? (Bitte insbesondere den Wirkstoff angeben)
An medizinischen Therapiemöglichkeiten stehen Corticosteroide (Prednisolon), aber auch der Cortison-Abkömmling Budesonid zu Verfügung. In milderen Fällen kann bei Morbus Crohn auch Mesalazin gegeben werden. Weitere Medikamente wären Azathioprin oder 6-Mercaptopurin, in schweren Fällen Biologika wieTNF-alpha-Blocker, Integrin-Blockeroder JAK-lnhibitoren.
7.) Werden spezielle Medizinprodukte oder Sanitärartikel im Zusammenhang mit Morbus Crohn beim Betroffenen benötigt, wenn ja welche?
Herr XXXX benötigt keine spezifischen Medizinprodukte oderSanitärartikel.
8.) Benötigt der Beschwerdeführer wegen seiner Erkrankung bestimmte Nahrungsergänzungsmittel? Wenn ja, welche?
Herr XXXX kann sich von normaler gemischter Kost ernähren, er benötigt keine bestimmten Nahrungsergänzungsmittel.
9.) Aktuell wird der Beschwerdeführer nach eigener Aussage nur mit traditioneller chinesischer Medizin (Buzhongyiqi Tang) behandelt, welche Alternativen aus dem Bereich der Schulmedizin bestehen zu dieser Medizin zur Behandlung von Morbus Crohn?
Die alternativen Medikationen wurden unter Punkt 6.) aufgelistet.
10.) Welche Folgen hätte ein Absetzen der in Österreich begonnenen medizinischen Behandlung? Würde der Beschwerdeführer bei Abbrechen der medizinischen Behandlung Qualen erleiden oder in Todesgefahr geraten?
Derzeit wird der Beschwerdeführer mit Buzhongyiqi Tang (TCM) und Dekristol 20.000 (Vitamin D3) behandelt, diese Behandlung hat aus schulmedizinischer Sicht keine nachgewiesene Wirkung. Aus schulmedizinischer Sicht ist daher das Abbrechen der bisherigen Behandlung nicht als Abbrechen einer wirksamen Behandlung anzusehen und es ist daher auch nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer dadurch Qualen erleidet oder in Todesgefahr gerät.
11.) lst Akupunktur eine zur Behandlung von Morbus Crohn erforderliche medizinische Behandlung?
Nach schulmedizinischen Kriterien hat die Akupunktur in der Behandlung des Morbus Crohn keinen Stellenwert.
12.) lst eine Person, die an Morbus Crohn erkrankt ist, als Teil der Risikogruppe in Bezug auf Covid-19 anzusehen?
Da Herr XXXX weder eine dauernde Cortisongabe mit mehr als 20 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag erhält, noch mit immunsuppressiven Medikamenten behandelt wird, ist er nicht als Teil der Risikogruppe in Bezug auf Covid-19 anzusehen (Covid-19 Risikogruppen-Verordnung 7.Mai 2020).“
16. Mit Schreiben vom 05.06.2020 (OZ 20Z) übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien das Gutachten und räumte diesen die Möglichkeit ein bis zum 29.06.2020 hierzu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme.
17. Mit Schriftsatz vom 10.06.2020 gab die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.
18. Am 19.08.2020 langte die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Behandelbarkeit von Morbus Crohn im Irak ein. Daraus geht zusammengefasst hervor, dass die Krankheit in Mossul behandelbar und die Behandlung für irakische Staatsbürger kostenlos ist. Mit Ausnahme von Akkupunktur, die nur im privaten Sektor verfügbar ist, stellt der staatliche Gesundheitssektor alle notwendigen Medikamente und Behandlungen zur Verfügung, mit Ausnahme der Akupunktur, die, wie oben erwähnt, nur im privaten Sektor verfügbar.
19. Mit Schreiben vom 26.08.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien die Anfragebeantwortung und räumte diesen die Möglichkeit ein, binnen zwei Wochen ab Erhalt des Schreibens hierzu Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung, die einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat entgegensteht. Er leidet an Morbus Crohn (einer entzündlichen Darmerkrankung). Deren adäquate Behandlung ist in Mossul gewährleistet. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein, wo er sich seit (spätestens) 13.10.2015 aufhält.
Er stammt aus Mossul in der Provinz Ninawa im Nordwesten des Irak, wo er bis Oktober 2014 gelebt hat. Im Anschluss zog er nach Kirkuk, wo er seine insgesamt 13-jährige Schulbildung mit Matura abschloss und im November 2014 legal in die Türkei ausreiste. In Mossul leben nach wie vor die Eltern des Beschwerdeführers, zu denen er in regelmäßigem Kontakt steht.
Im Bundesgebiet führt der Beschwerdeführer seit Februar 2018 eine Beziehung mit der österreichischen Staatsangehörigen Magdalena WIMMER. Der Beschwerdeführer hält sich überwiegend bei seiner Freundin in deren Wohnung auf und führen der Beschwerdeführer und seine Freundin den Haushalt gemeinsam. Eine gemeinsame Hauptwohnsitzmeldung besteht bislang jedoch nicht und ist der Beschwerdeführer nur mit Nebenwohnsitz bei seiner Freundin gemeldet.
Neben seinen Arabisch-, Englisch- und Türkischkenntnissen spricht der Beschwerdeführer Deutsch und legte er bereits rund ein Jahr nach seiner Einreise eine Sprachprüfung auf Niveau B1 erfolgreich ab. Mittlerweile verfügt er über ausgezeichnete Deutschkenntnisse auf C1-Niveau.
In Österreich begann der Beschwerdeführer zunächst ein BWL-Studium, welches er im Oktober 2018 abbrach. Seither studiert er Englisch auf Lehramt und kann einen ausreichenden Studienerfolg vorweisen. Neben seiner universitären Ausbildung war er an der Volkshochschule Wien zunächst ehrenamtlich als Kinderbetreuer tätig, absolvierte dort im September 2019 eine „Grundausbildung zum Sprachkursleiter“ und leitet mittlerweile gegen eine Aufwandsentschädigung wöchentliche Deutsch-Sprachkurse. Zudem hat er einen Werte- und Orientierungskurs absolviert, an einem Erste-Hilfe Grundkurs teilgenommen und betätigt sich seit Dezember 2018 als ehrenamtliches Mitglied des Roten Kreuzes im Bereich Katastrophenhilfe. Neben den Genannten hat der Beschwerdeführer an zahlreichen weiteren Kursen, Informationsmodulen und einem Workshop teilgenommen. Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Vereine „Miteinander am Berg“ und „Österreichischer Alpenverein“ und geht mit dem Bruder seiner Freundin mehrmals monatlich klettern. Zudem hat er zahlreiche Freundschaften in Österreich geschlossen.
Der Beschwerdeführer geht in Österreich keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach und bezieht Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtmotiven und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak der Gefahr einer aktuellen Verfolgung durch den IS ausgesetzt ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt wäre.
Er wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
1.3. Zur Lage im Irak:
Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage:
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
1.3.2. Islamischer Staat (IS):
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS = Daesh) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Ba‘q?bah im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).
Die Gegenden, in denen IS Zellen tätig sind, haben sich nach den Einschätzungen von Knights and Almeida seit Ende 2018 fast verdoppelt. Diese Autoren geben 47 Gegenden an, in denen IS-Zellen aktiv sind, in Anbar, Salah al-Din, Baghdad, Diyala, Kirkuk und Ninewa. Die Taktik dieser Zellen richtet sich dahin, den Straßenverkehr zu unterbrechen, die Aussöhnung lokaler Gruppen zu stören und Städte ökonomisch zu blockieren sowie Terrain im offenen Feld zu erhalten. Gegenwärtig ist der IS in folgenden ländlichen Gegenden aktiv: Anbar: südwestliche Anbar Wüste, Horan Tal bis zum al-Abiach Tal bia zum al-Kadef Tal, und der nördliche Teil von Rawa; Ninewa: der südliche Teil der Ninewa Wüste, Baaj; Erbil: Makhmour; Baghdad: der Gürtel; Diyala: die nordöstlichen Gegenden; Kirkuk: der Süden von Kirkuk, Hawija, Zab und Abbasi; Salah al-Din: Shirqat, Khanuqa, Hamrin Berge, Osten des Thathar-Sees. In den vergangenen Jahren hat sich die Aktivität des IS zu einem gewissen Grad südwärts von Kirkuk nach Salah al-Din und Diyala verlegt, wo seine Aktivitäten zugenommen haben. Es hat sich auch gegen Baghdad bewegt. Es hat seine frühere Strategie wiederaufgegriffen, die Kontrolle über größere Ortschaften und ländliche Gegenden zu erlangen (EASO 30.2020).
Der Staat hat Gegenwehraktivitäten gegen den IS ergriffen, so in Kirkuk. Wegen der öffentlichen Proteste nahmen diese aber in der Priorität ab. Wegen nachlassender Unterstützung durch die Koalitionskräfte und wegen der Corona-Pandemie verlangsamte sich das Tempo der Gegenwehr und verloren auch die staatlichen Kräfte wieder vom IS befreites Terrain (EASO 30.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020
- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Ba‘q?bah. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020
- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020
- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
1.3.3. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:
Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich August 650 zivile Todesopfer im Irak (Statista 21.09.2020).
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- EASO Iraq (30.2020), Security Situation, October 2020, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf, Zugriff 13.11.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 30.9.2020
1.3.4. Sicherheitslage Nord- und Zentralirak
Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten (Joel Wing 3.2.2020), so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen (Joel Wing 2.12.2019).
In den sogenannten „umstrittenen Gebieten“, die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Die Sicherheitsaufgaben in den „umstrittenen Gebieten“ werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt (Rudaw 31.5.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Bei den zwischen Bagdad und Erbil „umstrittenen Gebieten“ handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem „arabischen“ und „kurdischen“ Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt (Crisis Group 14.12.2018). Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala (USIP 2011). Die Bevölkerung der „umstrittenen Gebiete“ ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die „umstrittenen Gebiete“ umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen (Crisis Group 14.12.2018).
Gouvernement Ninewa
Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus (Joel Wing 3.5.2019). Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen (Joel Wing 5.6.2019). Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten (ISW 19.4.2019).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Ninewa 40 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 33 Toten und 25 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es zwölf Vorfälle mit 35 Toten und 15 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Ninewa ereigneten sich im Süden des Gouvernements (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- Anadolu Agency (13.12.2019): Death toll in Iraq from suspected terror blasts hits 15, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/death-toll-in-iraq-from-suspected-terror-blasts-hits-15/1672348, Zugriff 13.3.2020
- BasNews (16.1.2020): Car Bomb Hits Iraqi Army Convoy, Kills Two, http://www.basnews.com/index.php/en/news/iraq/574768, Zugriff 13.3.2020
- Crisis Group (14.12.2018): Reviving UN Mediation on Iraq’s Disputed Internal Boundaries, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/194-reviving-un-mediation-iraqs-disputed-internal-boundaries, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (19.4.2019): ISIS Resurgence Update - April 2019, https://iswresearch.blogspot.com/2019/04/isis-resurgence-update-april-16-2019.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (25.11.2019): Islamic State Forcing People Out Of Rural Diyala, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/11/islamic-state-forcing-people-out-of.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.5.2019): Islamic State Announces New Offensive But Amounts To Little So Far, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/05/islamic-state-announces-new-offensive.html, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (23.12.2019): Car bomb kills 2 Iraqi soldiers, wounds one in western Anbar, https://www.kurdistan24.net/en/news/649d80f9-2f80-474a-b371-331269bb7792, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (7.8.2019): ISIS increases activity in Iraq's disputed territories, https://www.kurdistan24.net/en/news/16f3d2f2-8395-40b8-94f3-ebbd183f398d, Zugriff 13.3.2020
- NINA - National Iraqi News Agency (29.12.2019): An Officer and /3 / fighters were wounded by a suicide bombing, west of Tharthar Valley, https://ninanews.com/Website/News/Details?key=804671, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (12.12.2019): ISIS militants kill 11 PMF in Saladin attack: security officials, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/121220193, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (3.12.2019): Diyala villagers flee spike in attacks by resurging Islamic State, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/03122019, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 13.3.2020
- USIP - United States Institute of Peace (2011): Iraq‘s Disputed Territories, https://www.files.ethz.ch/isn/128591/PW69.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Xinhua (22.12.2019): Iraqi soldier killed, 7 civilians wounded in separate attacks in Iraq, http://www.xinhuanet.com/english/2019-12/22/c_138648985.htm, Zugriff 13.3.2020
Der IS agiert angesichts territorialer Verluste und verringerter Leistungsfähigkeit primär noch in entlegenen Wüstengebieten und ländlichen Regionen der Verwaltungsbezirke Al-Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninawa und Salah ad-Din, wo die irakischen Sicherheitskräfte außerhalb der Ballungsräume nur begrenzt präsent sind.
Eingeschränkte Militäreinsätze gegen den IS finden nach wie vor statt und verhaften Sicherheitskräfte häufig IS-Verdächtige, entschärfen Sprengkörper und decken Waffenverstecke, geheime Unterschlüpfe und unterirdische Tunnel auf. Berichten zufolge sind die irakischen Sicherheitskräfte nach wie vor stark auf die Unterstützung der internationalen Koalition angewiesen, vor allem in Bezug auf die Sammlung und Analyse geheimer Informationen sowie auf die Volksmobilmachungskräfte zur Sicherung der von ISIS zurückeroberten Gebiete. Es wird berichtet, dass in vielen zurückeroberten Gebieten Gruppierungen der Volksmobilmachungskräfte mit den irakischen Sicherheitskräften und den Kurdischen Sicherheitskräften um Kontrolle und Einfluss konkurrieren und dass es zu Belästigungen und Misshandlungen von Zivilisten durch diese Gruppen kommt.
Quelle:
- UNHCR - Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Mai 2019, https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 19ff, Zugriff 18.8.2020
Die Anzahl ziviler Todesopfer pro 100.000 Einwohner reduzierte sich im Gouvernement Ninawa von 2017 auf 2018 von 265,15 auf 46,46 und sohin auf etwa ein Sechstel.
Im Jahr 2018 wurden im Gouvernement Ninawa 217 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 1596 zivilen Todesopfern verzeichnet, was ebenfalls einen drastischen Rückgang im Vergleich zum Jahr 2017 darstellt, wo noch 600 sicherheitsrelevante Vorfälle mit insgesamt 9211 zivilen Todesopfern dokumentiert wurden.
Quelle:
- EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, March 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/publications/EASO-COI-Report-Iraq-Security-situation.pdf, S 124, Zugriff 18.8.2020
Im Gouvernement Ninawa ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Ninawa zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Dennoch ist die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle verhältnismäßig hoch, sodass im Gegensatz zu anderen Gouvernements des Irak lediglich ein vergleichsweise geringes Maß zusätzlicher, individueller Umstände erforderlich ist um die Annahme zu rechtfertigen, dass ein nach Ninawa zurückkehrender Zivilist dem realen Risiko einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
Quelle:
- EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf, S 29, Zugriff 18.8.2020
In einem Bericht vom Februar 2019 zitiert EASO verschiedene Quellen zum Thema Vertreibung und Rückkehr im Irak. Die Rückeroberungsversuche der Regierung und die damit verbundenen Gefechte im Jahr 2017 hätten zur Vertreibung von mehr als 800.000 Menschen aus der Stadt Mossul geführt. Gegen Ende des Jahres 2017 habe die Zahl der nach Mossul Zurückgekehrten 564.120 betragen, bis Mai 2018 seien weitere 77.200 Rückkehrer hinzugekommen. Nach Berichten aus dem Jahr 2018 übersteige die Zahl der Rückkehrer im Irak jene der Vertriebenen, es würde jedoch weiterhin neuerliche und sekundäre Vertreibung verzeichnet, die hauptsächlich auf schlechte oder fehlende Grundversorgung, Existenzgrundlagen, Sicherheitsbedenken und der Gefahr von Explosionen in den Herkunftsgebieten zurückzuführen sei.
Quellen:
- EASO COI Report: Iraq, Internal Mobility, February 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002601/Iraq-Internal_Mobility.pdf, S 13, Zugriff 18.8.2020
1.3.5. Sicherheitslage in Bagdad:
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah un