TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/27 W140 2238842-1

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Veröffentlicht am 27.01.2021
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Entscheidungsdatum

27.01.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §76 Abs3 Z1
FPG §76 Abs3 Z3
FPG §76 Abs3 Z9
VwGVG §35

Spruch


W140 2238842-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2021, Zl. 1134911500/210064645, sowie die Anhaltung in Schubhaft seit 17.01.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3 und Z 9 FPG idgF wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

III. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesminister für Inneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach rechtswidriger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.11.2016 mit seiner Familie (Ehegattin, 2 Kinder) einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.12.2018 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 als unbegründet abgewiesen. Die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gerichtete Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.2020, Ra 2019/20/0593-5, zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 19.03.2020 wurde für die Beschwerdeführer ein zweiter Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit Bescheiden des BFA vom 12.06.2020 wurden die zweiten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich des Status von Asylberichtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 68 Abs. 1 AVG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurden gegen die Beschwerdeführer auf die Dauer von zwei Jahren befristete Einreiseverbote erlassen (Spruchpunkt VII.). Gegen diese Bescheide wurden mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführer vom 25.06.2020 Beschwerden erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.10.2020 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 09.12.2020, Zl. 4210-4213/2020-5, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Behandlung der Beschwerde wurde abgelehnt (Spruchpunkt II). Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Spruchpunkt III).

Am 19.01.2021 wurde eine außerordentliche Revision erhoben. Diese wurde am 22.01.2021 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 15.01.2021 (um 07:20 Uhr) wurde der BF mit seiner Familie durch Beamte der LPD Oberösterreich gemäß Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen und in die Familienunterkunft XXXX verbracht. Im Zuge der Amtshandlung wurde dem BF am 15.01.2021 (um 07:20 Uhr) nachweislich die Information zur bevorstehenden Abschiebung am 17.01.2021 mitgeteilt. Am 16.01.2021 fand zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr ein Informationsgespräch bezüglich der bevorstehenden Abschiebung durch Beamte der LPD Wien in der Familienunterkunft XXXX statt. Im Zuge dieses Gespräches gab der BF an: „Wir werden sicher nicht fliegen“. Am 17.01.2021 wurde der BF mit seiner Familie begleitet auf den Flughafen gebracht. Aufgrund des Verhaltens des BF und seiner Familie musste die begleitete Abschiebung abgebrochen werden.

Mit Mandatsbescheid des BFA, EAST West, vom 17.01.2021 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF verweigerte bei der Übernahme des Mandatsbescheides am 17.01.2021 (22:20 Uhr) die Unterschrift.

Der BF befand sich von 16.01.2021-19.01.2021 im Hungerstreik.

Der BF wurde am 20.01.2021 durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Diese Einvernahme gestaltete u. a. sich wie folgt:

„(…)F: Wie ist die Verständigung mit dem Dolmetscher? Haben Sie dazu Einwände?

A: Ja die Verständigung ist sehr gut.

F: Sind Sie gesund und können Sie dieser Einvernahme folgen? Nehmen Sie Medikamente?

A: Ich bin gesund, ich nehme keine Medikamente.

F: Sind Sie derzeit rechtsfreundlich vertreten?

A: Ja, Hr. XXXX .

Amtshilfeersuchen der EAST West

Dem Fremden wird erklärt, dass es sich bei dieser Einvernahme um ein Amtshilfeersuchen der EAST West handelt und das der Fremde bei Fragen bezüglich seiner Verfahren an den zuständigen Referenten oder an die Rechstberatung oder die Schubhaftsbetreuung wenden soll.

F: Wissen Sie wo sich Ihre Ehefrau, Fr. XXXX und Ihr mj. Sohn, XXXX derzeit aufhalten?

A: Ich weiß es nicht. Ich habe meinen Anwalt und einen Bekannten gefragt und die wissen es auch nicht.

F: Stehen Sie derzeit mit Ihrer Frau in Kontakt?

A: Nein.

F: Haben Sie die Möglichkeit Kontakt zu Ihrer Frau aufzunehmen?

A: Nein.

Ihre Frau und Ihr mj. Sohn haben eine Meldeverpflichtung in der Familienunterkunft Wien- XXXX . Laut Bericht der LPD sind sie der Meldeverpflichtung letztmalig am 18.01.2021 nachgekommen. Eine Anwesenheit in der Unterkunft konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

Die Konsequenzen einer Nichtbefolgung der Meldeverpflichtung wurde Ihrer Frau zur Kenntnis gebracht. Sollte Ihre Frau der Meldeverpflichtung weiter nicht nachkommen, so wird die Behörde alle notwendigen Schritte setzten und gegen Ihre Ehefrau die Schubhaft verhängen. Ihr mj. Sohn müsste in diesem Fall der Jugendfürsorge übergeben werden.

Sie werden nun aufgefordert mit Ihrer Frau Kontakt aufzunehemen und sie über die vorherrschende Sachlage zu informieren.

F: Möchten Sie etwas dazu sagen?

A: Mir wurde gesagt dass meine Frau und mein Soh in dem PAZ RL sind. Wo sie jetzt sind weiß ich nicht.

Dem Fremden werden nochmals die Konsequenzen der Nichteinhaltung der Meldeverpflichtung erklärt.

F: Haben Sie alles verstanden?

A: Ich habe verstanden.(…)“

Der BF befindet sich seit 17.01.2021 in Schubhaft.

Am 22.01.2021 erhob der BF durch seine Vertretung Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft und führte im Wesentlichen aus, dass der Bescheid und die weitere Anhaltung rechtswidrig seien. Der BF und seine Familienangehörigen hätten am 01.12.2020 eine Verfassungsgerichtshofbeschwerde mit dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eingebracht. Eine Entscheidung liege noch nicht vor. Fluchtgefahr bestehe nicht. Ein „Untertauchen“ der ganzen Familie mit minderjährigen Kindern sei nicht vorstellbar. Es sei daher mit gelinderen Mitteln vorzugehen.


Am 22.01.2021 langte eine Stellungnahme des BFA mit folgendem Inhalt ein:

„Zum Sachverhalt wird seitens des BFA EASt-West wie folgt Stellung bezogen:

Eingangs sowie im Besonderen wird auf den im Schubhaftbescheid vom 17.01.2021 umfassend dokumentierten Sachverhalt verwiesen.

Zu der seitens BVwG gestellten Frage bezüglich des Vorhandenseins eines HRZ. Es liegen für den BF als auch für die anderen Familienangehörigen gültige Reisedokumente in Form türkischer Personalausweise – siehe Kopie in der Aktenvorlage - welche zur Einreise in die Türkei berechtigen, der belangten Behörde vor.

Bezüglich der gestellten Frage eines Abschiebetermins. Derzeit ist eine nationale Charterrückführung in die Türkei seitens der belangten Behörde in Vorbereitung, da aufgrund des einschlägigen Verhaltens des BF bzw. der anderen Familienangehörigen, eine begleitete Abschiebung mittels Linienverbindung – unter Berücksichtigung der allgemeinen Flugsicherheit – nicht den Vorzug gegeben werden kann.

Zu dem in der Beschwerde erhobenen Vorbehalt, der BF sowie dessen Familienangehörigen haben am 01.12.2020 im Asylfolgeantragsverfahren eine Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof sowie den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eingebracht und das darüber noch keine Entscheidung vorliege, wird der (aktenkundige) Beschluss des VfGH Zl.: E 4210-4213/2020-5 vom 09.12.2020 entgegenhalten. In dem Beschluss wurde unter anderem die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Entscheidung der Beschwerde wurde zum Verwaltungsgerichtshof abgetreten. Somit ist derzeit kein VfGH Beschwerde in diesem Fall anhängig. Da bis dato der VwGH die aufschiebende Wirkung in der Causa nicht zuerkannt hat, besteht keine höchstgerichtliche Relevanz, die es seitens der belangten Behörde in Hinblick auf die Abschiebung zu berücksichtigen gibt.

Zu der in der Beschwerde angeführten Rechtswidrigkeit der Anordnung der Schubhaft, da nach Ansicht des BF bzw. dessen Rechtsbeistand keine Fluchtgefahr bestünde und ein „Untertauchen“ der gesamten Familie mit minderjährigen Kindern nicht vorstellbar sei, hält die belangte Behörde entgegen, dass die Ehefrau des BF,- XXXX über welche nach Abbruch der Abschiebung am 17.01.2021 das gelindere Mittel der Unterkunftnahme in der Familienunterkunft XXXX sowie die tägliche Meldeverpflichtung ebendort angeordnet wurde, seit 18.01.2021 dieser behördlichen Anordnung nicht mehr nachgekommen sind und in die Anonymität untergetaucht sind und somit für die Behörden dzt. nicht mehr greifbar sind. Laut niederschriftlicher Einvernahme des BF vom 20.01.2021 wisse dieser den momentanen Aufenthaltsort seiner Ehefrau sowie seines mj Sohnes nicht.

Seitens der belangten Behörde wird festgehalten, dass sich der BF im Zeitraum von 16.01.2021 bis 19.01.2021 im Stande der Schubhaft, vollzogen im PAZ RL im Hungerstreik befunden hat.

In der Gesamtschau des Verhaltens des BF kann nach Ansicht der belangten Behörde somit nicht einmal ansatzweise von einer Paktfähigkeit ausgegangen werden, welche jedoch im Falle einer Anwendung eines gelinderen Mittels jedenfalls vorliegen müsste.

Die Begründungen der gegenständlichen Schubhaftbeschwerde, gehen somit nach Ansicht der belangten Behörde vollends ins Leere.
Seitens des BFA wird beantragt die gegenständliche Schubhaftbeschwerde kostenpflichtig abzuweisen und gem. § 35 VwGVG iVm § 1 Z 3 bis 5 VwG-Aufwandersatzverordnung folgende Kosten zuzusprechen: 1. Ersatz des Vorlageaufwandes der Belangten Behörde als obsiegende Partei: € 57,40, 2. Ersatz des Schriftsatzaufwandes der Belangten Behörde als obsiegende Partei: € 368,80, 3. Sowie gegebenenfalls Ersatz des Verhandlungsaufwandes der Belangten Behörde als obsiegende Partei: € 461,00 und so die Verfahrensicherung und Abschiebung sicherzustellen.(…)“

Die Stellungnahme des BFA wurde der Vertretung des BF am 22.01.2021 zum Parteiengehör übermittelt. Am 22.01.2021 übermittelte die Vertretung des BF eine Stellungnahme mit folgendem Inhalt:

„Der Vorwurf des Bundesamtes, wonach der Beschwerdeführer verheimlichen würde, wo sich seine Familie aufhalten würde, ist unverständlich, da er aus der Schubhaft keine konkreten Informationen darüber erhalten kann. Selbstverständlich ist seine Gattin und das gemeinsame Kind aber weiterhin erreichbar, und hat kein Interesse daran, sich fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen.

Auffällig ist an der Stellungnahme, dass das Bundesamt bestätigt, dass kein Reisedokument für den Beschwerdeführer vorhanden ist, sondern lediglich ein „Personalausweis". Zu hinterfragen ist, ob dieses Dokument den Beschwerdeführer überhaupt berechtigt, ein Flugzeug zu besteigen, selbst ein gechartertes Flugzeug. Ebenfalls ist zu hinterfragen, ob die Corona-Sicherheitsmaßnahmen diesbezüglich eingehalten werden, eine Impfung hat der Beschwerdeführer nicht erhalten, und eine Quarantäne ist in der Schubhaft in keiner Weise einzuhalten; im Gegenteil ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion in der Schubhaft besonders hoch.

Ebenfalls erstaunt an der Stellungnahme des Bundesamtes, dass die Höchstgerichte vom Innenministerium derart gering geschätzt werden. Dass das Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, wird auch in der Stellungnahme bestätigt. Ein Abwarten bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung wäre wohl keine unzumutbare Verzögerung, gerade auch in Hinblick auf die eventuellen Konsequenzen einer für den Beschwerdeführer positiven Entscheidung - Rückholung nach Österreich mit hohen Kosten, Risiken für den Beschwerdeführer usw. Relevant ist dies auch bezüglich der Beurteilung der Fluchtgefahr, da eine solche für den Beschwerdeführer objektiv nicht bestehen kann, solange sein Verfahren anhängig ist, da er schließlich gerade in Österreich bleiben will.

Von einer „ultima ratio" kann keine Rede sein, die Annahme, der Beschwerdeführer würde sich dem Verfahren entziehen, ist spekulativ und unbegründet.

Ein gelinderes Mittel ist daher jedenfalls zweckmäßig und sinnvoll und ich beantrage die Enthaftung des Beschwerdeführers.“

Die Stellungnahme der Vertretung des BF wurde dem BFA, EAST West, am 25.01.2021 zum Parteiengehör übermittelt. Am 25.01.2021 übermittelte das BFA eine Stellungnahme mit folgendem Inhalt:

„In Bezugnahme des Schreibens des MigrantInnenvereins St. Marx vom 22.01.2021, XXXX in dem u.a. ausgeführt wird, dass für den BF kein gültiges Reisedokument vorliege, da der BF nur über einen Personalausweis verfüge, wird seitens BFA festgestellt, dass Rückführungen – auch zwangsweise – in die Türkei mittels Personalausweis jedenfalls möglich und auch gängige Praxis sind. Im gegenständlichen Fall wurde die Abschiebung am 17.01.2021 seitens BFA aufgrund der, der Behörde vorliegenden, Personalausweise gebucht und diese Personendokumente auch von der Fluggesellschaft – Turkish Airline – anstandslos als gültiges Reisedokument angesehen.

Zu der, seitens des MigrantInnenvereins St. Marx, im Schreiben angeführten Revision an den Verwaltungsgerichtshof wird seitens BFA angemerkt, dass bis dato keine Zuerkennung einer aufschiebendend Wirkung vorliegt und deshalb die mit 21.10.2021 in II. Instanz rechtskräftig negative Entscheidung des BFA vom 12.06.2020 IFA: 1134911500/200330585 den Abschiebetitel für die Beendigung des Aufenthaltes des BF sowie dessen Familienangehörige in Österreich darstellt.

Das sich Teile der Familie bereits seit 18.01.2021 aktiv fremdenpolizeilichen Maßnahmen entzieht – Mutter und mj Sohn – durch abtauchen in die völlige Anonymität aus dem gelinderen Mittel XXXX , ist Faktum und steht somit im krassen Widerspruch zu dem beschriebenen Verhalten der Gattin in der schriftlichen Stellungnahme des MigrantInnenvereins St. Marx vom 22.01.2021 wonach kein Interesse bestünde sich fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen.

In der Gesamtschau der Vorhalte durch den MigrantInnenverein St. Marx gegen die belangte Behörde sind diese als Substanzlos zu betrachten und gehen völlig in Leere.“


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist türkischer Staatsangehöriger. Die Identität des BF steht fest. Der BF besitzt weder die österreichische Staatsbürgerschaft, noch ist er in Österreich asylberechtigt bzw. subsidiär Schutzberechtigter.

Der BF stellte nach rechtswidriger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.11.2016 mit seiner Familie (Ehegattin, 2 Kinder) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des BFA vom 18.12.2018 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 als unbegründet abgewiesen.

Die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gerichtete Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.2020, Ra 2019/20/0593-5, zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 19.03.2020 wurde für die Beschwerdeführer ein zweiter Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Bescheiden des BFA vom 12.06.2020 wurden die zweiten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich des Status von Asylberichtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 68 Abs. 1 AVG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurden gegen die Beschwerdeführer auf die Dauer von zwei Jahren befristete Einreiseverbote erlassen (Spruchpunkt VII.). Gegen diese Bescheide wurden mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführer vom 25.06.2020 Beschwerden erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.10.2020 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 09.12.2020, Zl. 4210-4213/2020-5, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Behandlung der Beschwerde wurde abgelehnt (Spruchpunkt II). Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Spruchpunkt III). Am 19.01.2021 wurde eine außerordentliche Revision erhoben. Diese wurde am 22.01.2021 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Bis zum Entscheidungszeitpunkt wurde keine aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 15.01.2021 (um 07:20 Uhr) wurde der BF mit seiner Familie durch Beamte der LPD Oberösterreich gemäß Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen und in die Familienunterkunft XXXX verbracht. Im Zuge der Amtshandlung wurde dem BF am 15.01.2021 (um 07:20 Uhr) nachweislich die Information zur bevorstehenden Abschiebung am 17.01.2021 mitgeteilt. Am 16.01.2021 fand zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr ein Informationsgespräch bezüglich der bevorstehenden Abschiebung durch Beamte der LPD Wien in der Familienunterkunft XXXX statt. Im Zuge dieses Gespräches gab der BF an: „Wir werden sicher nicht fliegen“. Am 17.01.2021 wurde der BF mit seiner Familie begleitet auf den Flughafen gebracht. Aufgrund des Verhaltens des BF und seiner Familie musste die begleitete Abschiebung abgebrochen werden. Der BF befand sich von 16.01.2021-19.01.2021 im Hungerstreik.

Mit Mandatsbescheid des BFA, EAST West, vom 17.01.2021 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF verweigerte bei der Übernahme des Mandatsbescheides am 17.01.2021 (22:20 Uhr) die Unterschrift. Der BF befindet sich seit 17.01.2021 in Schubhaft.

Die Frau sowie der minderjährige Sohn des BF entzogen sich dem gelinderen Mittel. Ab dem 18.01.2021 sind sie der Meldeverpflichtung nicht mehr nachgekommen. Der volljährige Sohn des BF befindet sich in Schubhaft.


Der BF und seine Familie halten sich seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung illegal in Österreich auf. Der BF und seine Familie bemühten sich nicht um eine freiwillige Ausreise.

Der BF brachte bereits im Zuge des Informationsgesprächs am 16.01.2021 vor: „Wir werden sicher nicht fliegen“. Aufgrund des Verhaltens des BF und seiner Familie musste die begleitete Abschiebung am 17.01.2021 abgebrochen werden. Der BF ist nicht vertrauenswürdig.

Der BF verfügt nicht über ausreichend Barmittel um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Der BF geht keiner legalen Beschäftigung nach. Der BF verfügt über keinen ordentlichen Wohnsitz. Der BF und seine Familie befanden sich vor ihrer Festnahme in Grundversorgung. Der BF ist nicht integriert, er verfügt jedoch über ein soziales Netz in Österreich, welches ihm ein Leben im Verborgenen ermöglicht.

Der BF wird in der Schubhaft medizinisch betreut. Laut Befund und Gutachten des Amtsarztes vom 27.01.2021 ist der BF haftfähig.

Im Fall des BF ist aufgrund des Vorverhaltens von Fluchtgefahr/Gefahr des Untertauchens auszugehen.

Die begleitete Abschiebung des BF und seiner Familie in die Türkei war für den 17.01.2021 geplant. Diese musste jedoch aufgrund des Verhaltens der BF abgebrochen werden. Die begleitete Abschiebung am 17.01.2021 wurde seitens des BFA aufgrund der - der Behörde vorliegenden - Personalausweise geplant. Diese Personendokumente wurden von der Fluggesellschaft - Turkish Airlines - als gültiges Reisedokument angesehen. Eine zeitnahe begleitete nationale Charterrückführung des BF in die Türkei ist seitens des BFA geplant.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes bezüglich des BF. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und dem bisherigen Verfahren ergeben sich aus der Aktenlage.


Die fehlende Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus dem bisherigen Verhalten des BF.

Die Feststellungen zu den behördlichen Meldungen des BF ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister sowie der GVS. Die Feststellungen die Barmittel des BF betreffend ergeben sich aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung. Die Feststellungen zu den Familienangehörigen des BF ergeben sich aus den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 und vom 20.10.2020 sowie dem vorgelegten Verwaltungsakt. Das Fehlen beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet ergibt sich aus dem Verwaltungsakt. Die Feststellungen zur Festnahme und der weiteren Anhaltung ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt und entsprechen dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes (Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung).

Der fremdenrechtliche Status des BF - rechtskräftige Rückkehrentscheidung iVm einem auf die Dauer von 2 Jahren befristeten Einreiseverbot - ergibt sich aus der Aktenlage.

Die Haftfähigkeit des BF ergibt sich aus dem Befund und Gutachten des Amtsarztes vom 27.01.2021.

Die Feststellungen zu den Personendokumenten sowie zur zeitnah geplanten begleiteten nationalen Charterrückführung des BF ergeben sich aus den Stellungnahmen des BFA.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.


3. Rechtliche Beurteilung

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1.       er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2.       er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3.       gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).


Zu Spruchpunkt A.I.) Mandatsbescheid vom 17.01.2021 und Anhaltung in Schubhaft von 17.01.2021 bis 27.01.2021

§ 76 FPG idgF lautet:

(1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG darf Schubhaft nur angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

Gemäß § 76 Abs 3 FPG liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei sind insbesondere die Kriterien des § 76 Abs 3 Z 1 bis 9 zu berücksichtigen.
Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist gemäß § 76 Abs 3 Z 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert.

Am 15.01.2021 (um 07:20 Uhr) wurde der BF mit seiner Familie durch Beamte der LPD Oberösterreich gemäß Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG festgenommen und in die Familienunterkunft XXXX verbracht. Im Zuge der Amtshandlung wurde dem BF am 15.01.2021 (um 07:20 Uhr) nachweislich die Information zur bevorstehenden Abschiebung am 17.01.2021 mitgeteilt. Am 16.01.2021 fand zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr ein Informationsgespräch bezüglich der bevorstehenden Abschiebung durch Beamte der LPD Wien in der Familienunterkunft XXXX statt. Im Zuge dieses Gespräches gab der BF an: „Wir werden sicher nicht fliegen“. Am 17.01.2021 wurde der BF mit seiner Familie begleitet auf den Flughafen gebracht. Aufgrund des Verhaltens des BF und seiner Familie musste die begleitete Abschiebung abgebrochen werden. Der BF befand sich von 16.01.2021-19.01.2021 im Hungerstreik.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs 3 Z 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat.

Der BF stellte nach rechtswidriger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.11.2016 mit seiner Familie (Ehegattin, 2 Kinder) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des BFA vom 18.12.2018 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.11.2019 als unbegründet abgewiesen.

Die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gerichtete Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.01.2020, Ra 2019/20/0593-5, zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 19.03.2020 wurde für die Beschwerdeführer ein zweiter Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Bescheiden des BFA vom 12.06.2020 wurden die zweiten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer hinsichtlich des Status von Asylberichtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 68 Abs. 1 AVG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurden gegen die Beschwerdeführer auf die Dauer von zwei Jahren befristete Einreiseverbote erlassen (Spruchpunkt VII.). Gegen diese Bescheide wurden mit Schriftsatz des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführer vom 25.06.2020 Beschwerden erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.10.2020 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen.

Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 09.12.2020, Zl. 4210-4213/2020-5, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen (Spruchpunkt I). Die Behandlung der Beschwerde wurde abgelehnt (Spruchpunkt II). Die Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten (Spruchpunkt III).

Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist gemäß § 76 Abs 3 Z 9 FPG auch der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Der BF verfügt über keine Barmittel und kann seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten. Der BF geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach. Der BF befand sich vor seiner Festnahme mit seiner Familie in Grundversorgung. Es lagen für das BFA keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF aufgrund des Grades seiner familiären, sozialen und beruflichen Verankerung in Österreich einen so verfestigten Aufenthalt hat um nicht seine Abschiebung zu erschweren und unterzutauchen.

Das BFA ging daher aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3 und Z 9 FPG von Fluchtgefahr aus.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Anordnung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung hat ergeben, dass mehrere Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Es war daher eine konkrete Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, welche ergeben hat, dass das Verhalten des BF nicht vertrauenswürdig ist.

Am 16.01.2021 fand ein Informationsgespräch bezüglich der bevorstehenden Abschiebung durch Beamte der LPD Wien in der Familienunterkunft XXXX statt. Im Zuge dieses Gespräches gab der BF an: „Wir werden sicher nicht fliegen“. Am 17.01.2021 wurde der BF mit seiner Familie begleitet auf den Flughafen gebracht. Aufgrund des Verhaltens des BF und seiner Familie musste

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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