TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/28 W182 2219022-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2021
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Entscheidungsdatum

28.01.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3

Spruch


W182 2219022-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Nikolaus Rast, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.04.2019, Zl. 733013705/18107651, gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1 und Abs. 4, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, §§ 46, 52 Abs. 2 und Abs. 9, 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf drei Jahre herabgesetzt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Muslim, stammte aus Tschetschenien, reiste im Oktober 2003 im Alter von XXXX Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und wurde für ihn am 04.10.2003 ein Asylerstreckungsantrag gestellt.

Für den BF wurden keine eigenen Fluchtgründe dargetan, sondern die Antragstellung ausschließlich mit den Fluchtgründen des Vaters begründet.

Dem Vater des BF wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 18.02.2004, Zl. 241.709/0-VI/18/03, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl I Nr. 1997/76 idF BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass aufgrund der gegenwärtigen Lage in Tschetschenien durch den noch immer anhaltenden Tschetschenienkrieg mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden könne, dass der Vater des BF dort zumindest einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, wobei für ihn in übrigen Teilen der Russischen Föderation aus Gründen seiner ethnischen Herkunft keine Möglichkeit bestehe, sich dort niederzulassen.

In weiterer Folge wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.03.2004, Zl. 246.533/0-VI/18/04, dem Asylerstreckungsantrag des BF stattgegeben, ihm gemäß § 11 Abs. 1 AsylG durch Erstreckung Asyl in Österreich gewährt und gemäß § 12 leg.cit. festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

1.2. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2012, Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 60 Tagessätzen à 4,- € rechtskräftig verurteilt.

Danach wurde der BF mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 2016, Zl. XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei der Vollzug der verhängten Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der BF am XXXX .2014 eine Person dadurch am Körper verletzt hat, dass er ihr zwei Faustschläge ins Gesicht und anschließend Fußtritte versetzte, wobei die Tat neben Prellungen, einer Rissquetschwunde und Abschürfungen eine Gehirnerschütterung sowie einen Jochbeinbruch zur Folge hatte. Als mildernd wurde das Geständnis, als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe gewertet.

Der BF wurde in weiterer Folge mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2019, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 2 und 3, Abs. 3 zweiter Fall SMG, § 12 StGB, weiters wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung lag zu Grunde, dass der BF im Zeitraum von XXXX 2018 bis XXXX 2019 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung folgende Straftaten begangen hat: Er hat in vier Fällen vorschriftswidrig Suchtgift ( XXXX ) in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge (insgesamt zumindest über XXXX Gramm) aus XXXX mit dem Zug bzw. mit dem PKW ausgeführt und nach Österreich eingeführt; er hat in fünf Fällen weitere Personen beauftragt, Suchtgift ( XXXX ) in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge (insgesamt zumindest XXXX Gramm) aus XXXX aus- und nach Österreich einzuführen; er hat in zwei bzw. mehreren Angriffen XXXX teilweise gewinnbringend drei Personen in einem Fall in einer Menge von zumindest einem Gramm, in den anderen beiden Fällen in einer nicht mehr festzustellenden Menge überlassen, wobei er die Taten gewerbsmäßig begangen hat; er hat in mehrfachen Angriffen zumindest XXXX teilweise zum eigenen Gebrauch erworben und besessen; er ist an das Suchtmittel ( XXXX ) gewöhnt und hat diese Straftaten vorwiegend deshalb begangen, um sich für seinen persönlichen Gebrauch XXXX zu verschaffen. Als mildernd wurden das reumütige Geständnis sowie der Beitrag zur Wahrheitsfindung, als erschwerend das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehrerer Vergehen, zwei einschlägige Vorstrafen und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit gewertet.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB, wegen der Verbrechen des Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 15 StGB und der Vergehen der Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 15, 12 zweiter Fall zu einer unbedingten Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt. Den Verurteilungen lagen nachfolgende Straftaten zugrunde: Der BF hat im XXXX 2018 als Mittäter einer Person in zumindest drei Angriffen, indem er dem Opfer zahlreiche Schläge versetzt hat, zumindest XXXX , einen Labtop, ein XXXX sowie ein XXXX weggenommen; im Zeitraum ab XXXX 2017 bis XXXX 2017 hat er zwei Personen durch Androhung, dass sie ansonsten Schläge bekommen werden bzw. er ihnen „ XXXX “ werde, wobei er zur Untermauerung dieser Drohungen des Öfteren auch ein schwarzes Kampf- bzw. Überlebensmesser auf den Tisch legte, zumindest XXXX weggenommen bzw. abgenötigt; er hat im Zeitraum vom XXXX 2017 bis XXXX 2019 in acht weiteren Fällen Personen teilweise in mehreren Angriffen durch Androhung von Gewalttätigkeiten gegen die Opfer und teilweise auch gegen deren Angehörige insgesamt zumindest XXXX , Bargeld, Paysafe-Karten, Mobiltelefone, ein Tablet und einen Labtop weggenommen bzw. abgenötigt; er hat vom XXXX 2018 bis XXXX 2019 versucht, einem Opfer durch Androhung von Gewalttaten einen PKW Marke XXXX abzunötigen, indem er es einen Kaufvertrag über diesen PKW unterschreiben hat lassen; er hat im Frühjahr 2018 eine Person in mehreren Angriffen durch Morddrohung zur Entgegennahme seiner Telefonate genötigt; er hat im Zeitraum von XXXX 2019 bis XXXX 2019 in der Justizanstalt eine Person zur Abänderung einer Aussage zu seinen Gunsten zu nötigen versucht, in dem er dritten Personen gesagt hat, dass sie dem Opfer ausrichten sollen, dass er seine Familie zu dessen Familie schicke, dessen Fotos auf Facebook posten und ihn XXXX suchen lasse werde, bzw. dass draußen eine böse Überraschung auf ihn warte; er hat im Februar 2019 eine Person dazu bestimmt, einer anderen Person Drohungen für den Fall, dass diese eine Anzeige gegen ihn nicht zurückziehe, auszurichten; er hat als Mittäter im XXXX 2019 durch Ablenkungshandlungen einen PKW und einen Flachbildfernseher gestohlen. Als mildernd wurde das überwiegend umfassende reumütige Geständnis, der Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, der Beitrag zur Wahrheitsfindung und die teilweise Sicherstellung der Beute (Fahrzeug), als erschwerend die zwei einschlägigen Vorstrafen, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit, das Zusammentreffen von einer Vielzahl an Verbrechen und Vergehen, die teilweise Tatbegehung mit Tätern bei einem Raubüberfall, die Verwirklichung beider Begehungsformen beim Raub, nämlich durch Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gewertet. Dazu wurde weiters ausgeführt, dass die Massivität der Taten sowie die Vielzahl der Angriffe deutlich die Gefährlichkeit des BF aufzeigen. Aus diesem Grund erscheine die ausgemessene Zusatzstrafe in der Dauer von fünf Jahren als täter-, tat- und schuldangemessen. Eine bedingte Nachsicht der Freiheitstrafe oder eines Teiles davon sei hingegen schon aufgrund der ausgemessenen Höhe nicht möglich. Zudem bedürfe es des Vollzugs der Freiheitstrafe, um den BF eindringlich vor Augen zu führen, dass sein kriminelles Verhalten nicht geduldet werde. Überdies sei der Vollzug der Freiheitstrafe aus spezialpräventiven und generalpräventiven Überlegungen erforderlich, um den Angeklagten sowie Dritte von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Die durch den Drogenkonsum ( XXXX ) des BF allenfalls bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit werde durch den Vorwurf aufgewogen, den der Gebrauch der berauschenden Mittel im konkreten Fall begründe und sei daher nicht als mildernd zu werden.

2.1. Nachdem über den BF am 22.03.2019 die Untersuchungshaft verhängt wurde, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) im März 2019 ein Aberkennungsverfahren ein.

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 28.03.2019 verwies der BF auf die Frage, welche Befürchtungen er aktuell bei einer Rückkehr ins Herkunftsland hege, auf den Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Der BF räumte auf Vorhalt ein, im Jahr 2017 zwei bis drei Wochen in Tschetschenien (Grosny und XXXX ) gewesen zu sein. Auf die Frage, wie oft er sich im Herkunftsland aufhalte, gab er an: „Im Jahr ein bis zwei Mal“. Vor drei Wochen sei einer seiner Onkel verstorben. Zwei Onkel väterlicherseits würden in Tschetschenien leben. Der BF habe in Österreich eine Lebensgefährtin und XXXX gemeinsame Kinder. Seit 2015 habe er nicht mehr mit ihr zusammengewohnt, die letzten zwei Monate sei er wieder mit ihr zusammengewesen.

Einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister ist zu entnehmen, dass der BF von August 2008 bis April 2012 an einer gemeinsamen Meldeadresse mit seiner Lebensgefährtin gemeldet war.

2.2. Mit dem im Spruch genannten, angefochtenen Bescheid vom 15.04.2019 erkannte das Bundesamt dem BF den mit Bescheid vom 09.03.2004 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 3 Z 5 FPG idgF wurde gegen den BF ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF in Österreich wiederholt wegen Körperverletzungen rechtskräftig verurteilt worden sei und eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat habe er nicht glaubhaft machen können. Er verfüge über Familienangehörige im Herkunftsland. Er lebe in Österreich mit seinen Familienangehörigen (Lebensgefährtin, XXXX Kinder) nicht in einem gemeinsamen Haushalt und gehe hier keiner Arbeit nach. Die Aberkennung des Asylstatus wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF straffällig geworden sei und die Umstände, aufgrund deren der BF als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr bestehen würden. Da der BF keine Gründe glaubhaft gemacht habe, die ein Leben in der Russische Föderation für unzumutbar darzustellen vermögen, sei ihm auch kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen gewesen. In einer Interessensabwägung wurde im Hinblick auf die Verurteilungen des BF dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung mehr Gewicht beigemessen, als dem privaten und familiären Interessen des BF. Dazu wurde ergänzend ausgeführt dass kein aktives Zusammenleben des BF mit seiner Kernfamilie (Lebensgefährtin, sechs Kinder) festgestellt werden habe können.

Mit Verfahrensanordnung vom 15.04.2019 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

2.3. Gegen den Bescheid wurde binnen offener Frist im vollen Umfang Beschwerde erhoben. Darin wurde im Wesentlichen geltend gemacht, dass die letzte Verurteilung des BF im XXXX 2016 erfolgt sei und somit schon drei Jahre zurückliege. Keine Feststellungen habe die belangte Behörde hinsichtlich der Aufenthalte des BF im Heimatland getroffen. Aus dem bekämpften Bescheid gehe nicht hervor, wie lange der BF im Heimatland aufhältig gewesen sei bzw. wie er dorthin eingereist sei. Es sei möglich, dass er durch Schmiergeldzahlungen in das Gebiet der Russischen Föderation eingereist sei, ohne dass seine Einreise registriert worden sei. Auch in diesem Punkt sei der Bescheid mangelhaft. Der BF habe sich seit drei Jahren wohlverhalten und gehe daher von ihm keine Gefährdung der Gemeinschaft mehr aus. Zudem habe der BF bei der Einvernahme angegeben, wieder mit seiner Lebensgefährtin zusammen zu sein. Diese Aussage habe die belangte Behörde völlig außer Acht gelassen und sohin das Vorbringen des BF völlig ignoriert. In einer Zeugeneinvernahme könne die Lebensgefährtin des BF bestätigen, dass sie im gemeinsamen Haushalt leben würden. Die belangte Behörde habe das Privat- und Familienleben des BF nicht ausreichend gewichtet.

2.4. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 10.07.2020 wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF in Anwesenheit eines Vertreters des BF und der belangten Behörde sowie weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Der BF brachte im Wesentlichen vor, dass er befürchte, bei einer Rückkehr ins Herkunftsland Probleme wegen seines Vaters bzw. XXXX zu bekommen. Der BF bestätigte im Jahr 2017 etwa zwei Wochen in Tschetschenien verbracht zu haben, um sich von einem sterbenskranken Onkel zu verabschieden, der dann auch verstorben sei. Davor habe er einmal im Jahr PKWs von XXXX nach XXXX überstellt.

Dem BF wurde zu Kenntnis gebracht, dass seinem Vater mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes (vom 30.10.2018, Zl. 731498400 – 180457978/BMI-BFA_BGLD_RD) gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 im Wesentlichen aufgrund einer nachhaltige Lageänderung im Herkunftsstaat der zuerkannte Status einer Asylberechtigten aberkannt und der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde. Einem gleichfalls zu Kenntnis gebrachten Sozialversicherungsauszug für den Zeitraum Juli 2010 bis Juli 2020 war zu entnehmen, dass der BF zuletzt von November 2012 bis Juni 2013 und davor seit Juli 2010 zusammengerechnet knapp 26 Tage als Arbeiter erwerbstätig war. Weiters wurde dem BF der rechtskräftige Bescheid des Bundesamtes vom 07.10.2019, Zl. 771014902/190288928, zu Kenntnis gebracht, wonach seiner Lebensgefährtin gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der zuerkannte Status einer Asylberechtigten aberkannt und der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt wurde. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass seiner Lebensgefährtin seither ein Aufenthaltstitel nach dem NAG zukomme.

In der Beschwerdeverhandlung wurden den Parteien weiters aktuelle Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation zu Kenntnis gebracht und dem BF dazu eine Frist von zwei Wochen für eine Stellungnahme eingeräumt.

2.5. In einer Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters des BF vom 20.07.2020 wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass die Lebensgefährtin des BF aufgrund XXXX im Koma liege und der BF damit eine noch wichtigere Position im Leben seiner Kinder einnehme. Der BF habe zudem sämtliche Kontakte in sein Heimatland mit dem Tod seines Onkels abgebrochen. Er habe seine Straftaten unter dem Einfluss von Drogen getätigt und sei seine Sucht seit der erfolgreichen Therapie während der Haft besiegt. Dazu wurde die von einer Psychologin ausgestellte Teilnahmebestätigung vom 19.08.2019 vorgelegt, wonach der BF seit 03.06.2019 auf freiwilliger Basis an einer klinisch- psychologischen Gruppensitzung zum Thema Sucht teilnehme.

Nach Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde seitens des BF mit Schreiben vom 31.07.2020 ein Befund einer Krankenanstalt nachgereicht, wonach seine Lebensgefährtin am XXXX infolge eines XXXX in eine Intensivstation überstellt worden sei.

Die Lebensgefährtin des BF ist im XXXX 2020 verstorben.

Mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX 2020, XXXX , berichtigt mit Beschluss vom XXXX 2020, wurde die Obsorge (Recht und Pflicht zur Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung und gesetzliche Vertretung) für die minderjährigen Kinder des BF zur Gänze an die Großeltern väterlicherseits übertragen. Dazu wurde u.a. ausgeführt, dass der BF mit der Mutter seiner Kinder nach tschetschenischem Recht verheiratet war, derzeit in Haft und somit nicht in der Lage ist, die Kinder zu versorgen, vertreten und betreuen. Die Kinder würden sich bei den Großeltern wohl fühlen und haben letztere die Kindesmutter bereits vorher unterstützt und die Kinder vorallem am Wochenende zu sich genommen. Die Kinder haben eine vertraute Beziehung zu ihnen. Zudem werden die Großeltern auch von Onkeln und Tanten unterstützt. Der BF habe auch vor seiner Inhaftierung nur phasenweise mit der Familie zusammengelebt. Der BF sei mit der Obsorgebetreuung seiner Eltern für seine Kinder für die Zeit seiner Inhaftierung einverstanden. Nach Haftentlassung des BF könne die Obsorgeregelung erforderlichenfalls neu geregelt werden.

In einer Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters des BF vom 08.10.2020 wurde darauf hingewiesen, dass die Eltern des BF schwer krebskrank seien. Zwischen seiner Mutter und dem BF sei deshalb vereinbart worden, dass die Obsorge künftig dem BF alleine zustehe und dessen Kinder bis zum Ende der Strafhaft sich hauptsächlich bei der Mutter des BF aufhalten. Eine pflegschaftliche Genehmigung sei bereits beantragt worden. Dem Schreiben war in Kopie eine entsprechende schriftliche Vereinbarung vom 06.10.2020 beigefügt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 18.11.2020 wurde der Antrag des BF, die zwischen ihm und seiner Mutter am 06.10.2020 getroffene Obsorgevereinbarung pflegschaftgerichtlich zu genehmigen, mit der Begründung abgewiesen, dass Vereinbarungen nur in den ausdrücklich gesetzlich geregelten Fällen möglich seien und ihm Übrigen eines gerichtlichen Beschlusses bedürfen. Auch für die gerichtliche Genehmigung einer diesbezüglich getroffenen Vereinbarung bestehe daher kein Raum.

Ein Antrag des BF vom 10.12.2020, ihm die Obsorge für seine Kinder zu übertragen und den hauptsächlichen Aufenthalt bei den väterlichen Großeltern festzulegen ist zur Zeit beim Bezirksgericht anhängig.

2.6. Der BF befindet sich seit XXXX 2019 in Justizhaft, laut Mitteilung der zuständigen Justizanstalt ist das Strafende mit XXXX .2025 datiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste im Oktober 2003 im Alter von XXXX Jahren illegal ins Bundesgebiet ein und wurde ihm mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 09.03.2004, Zl. 246.533/0-VI/18/04, gemäß § 11 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG), BGBl. I. Nr. 76/1997 idF Nr. 126/2002, durch Erstreckung auf seinen Vater Asyl gewährt.

Der BF spricht Tschetschenisch, Deutsch und Russisch. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Im Herkunftsland halten sich Onkel und Tanten väterlicher- und mütterlicherseits auf. In Österreich leben seine Eltern, ein Bruder, eine Schwester sowie seine XXXX Kinder. Die Lebensgefährtin bzw. Gattin des BF und Mutter der Kinder ist im XXXX 2020 verstorben. Die Obsorge hinsichtlich der Kinder des BF kommt laut Beschluss eines Bezirksgerichtes vom September 2020 zur Zeit zur Gänze seinen beiden Eltern zu. Die in Österreich geborenen Kinder des BF im Alter von XXXX Jahren sind russische Staatsangehörige und verfügen über einen Aufenthaltstitel nach dem NAG.

Der BF war zuletzt im Jahr 2017 etwa zwei bis drei Wochen im Herkunftsland in Tschetschenien aufhältig, davor war er im Jahr etwa zwei Mal im Herkunftsland zu Besuch.

Der BF wurde in Österreich insgesamt vier Mal wegen Vergehen und tw. schwererer Verbrechen (Körperverletzung, Raub, schwerer Raub mit Waffe, Suchtgifthandel) durch Gerichte rechtskräftig verurteilt. Zuletzt wurde er mit Urteil eines Landesgerichtes für Strafsachen vom 15.01.2020 u.a. wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren (unbedingt) rechtskräftig verurteilt.

Der BF ist zuletzt seit XXXX in Justizhaft.

Es liegen stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass vom BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht.

Die Umstände, auf Grund deren der Vater des BF als Flüchtling anerkannt worden ist, bestehen nicht mehr. Dem Vater des BF wurde der ihm durch Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 18.02.2004, Zl. 241.709/0-VI/18/03, zuerkannte Status des Asylberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2018, Zl. 731498400 –180457978/BMI-BFA_BGLD_RD, gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylg 2005 rechtskräftig aberkannt und dies im Wesentlichen mit einer nachhaltigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat begründet.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung oder einer sonstigen unmenschlichen Behandlung ausgesetzt ist.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die Verwandten des BF in der Russischen Föderation könnten ihm nach einer Rückkehr im Bedarfsfall anfänglich unterstützen.

Es ist dem BF zudem grundsätzlich möglich und zumutbar, sich in der Russischen Föderation auch außerhalb der Republik Tschetschenien niederzulassen und sich dort anzumelden. Der BF hat im Herkunftsstaat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung.

Im Übrigen werden die Ausführungen im Verfahrensgang der Entscheidung zugrunde gelegt.

1.3. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

Politische Lage

(Letzte Änderung: 27.03.2020)

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

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?        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

?        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

?        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

?        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

?        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

?        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

?        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

?        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

?        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

?        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

?        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

?        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

?        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür

des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Dagestan

Letzte Änderung: 27.03.2020

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert – anders als in der Nachbarrepublik – zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan – und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht – Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende Nordkaukasus-Republik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 10.3.2020

?        Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system-opposition, Zugriff 10.3.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351, Zugriff 10.3.2020

?        ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

?        Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-dagestan-festgenommen, Zugriff 10.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

?        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

?        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

?        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits, weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

?        Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

?        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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