TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/1 G301 2236823-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.02.2021
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Entscheidungsdatum

01.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G301 2236823-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. René BRUCKNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Kolumbien, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Benno WAGENEDER in Ried im Innkreis, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 23.09.2020, Zl. XXXX, betreffend Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005, zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Oberösterreich, zugestellt am 24.09.2020, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) vom 10.01.2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kolumbien zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Mit dem am 23.10.2020 beim BFA, Regionaldirektion Oberösterreich, eingebrachten und mit 20.10.2020 datierten Schriftsatz erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerde gegen den oben angeführten Bescheid in vollem Umfang.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 12.11.2020 vom BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Kolumbien und im Besitz eines am XXXX 2014 ausgestellten und bis zum XXXX 2024 gültigen kolumbianischen Reisepasses.

Der BF reiste zuletzt am XXXX 12.2019 auf dem Luftweg mit seinem gültigen Reisepass über Frankfurt am Main (Deutschland) in den Schengen-Raum und in weiterer Folge in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich seitdem durchgehend in Österreich auf. Der BF ist seit XXXX 12.2019 mit Hauptwohnsitz an der Adresse seiner in Österreich lebenden erwachsenen Tochter amtlich angemeldet.

Der BF hielt sich seit dem Jahr 2012 immer wieder zu Besuchszwecken – eigenen Angaben zufolge insgesamt etwa 15 Mal – in Österreich jeweils für die erlaubte Aufenthaltsdauer auf.

Der BF stellte am 30.04.2012 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) bei der Österreichischen Botschaft in Bogotá, den er jedoch Anfang Mai 2012 mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen (die Tochter des BF verfügte zu diesem Zeitpunkt nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft) wieder zurückzog. Einen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG stellte der BF seitdem nicht mehr, da er eigenen Angaben zufolge die Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, aufgrund des Fehlens einer alle Risiken abdeckenden Krankenversicherung in Österreich, nicht erfüllen könne.

Der BF ist ledig und Vater von zwei erwachsenen Kindern. In Kolumbien lebte der BF nach der Trennung von seiner Frau weiterhin mit der zu diesem Zeitpunkt zweijährigen Tochter im gemeinsamen Haushalt, während sein Sohn bei seiner Frau aufgewachsen ist. Auch noch nach der Familiengründung seiner Tochter in Kolumbien blieb die Haushaltsgemeinschaft mit dem BF aufrecht. Die erwachsene Tochter des BF übersiedelte mit ihrem Ehemann im Jahr 2012 von Kolumbien nach Österreich, wo die beiden seitdem durchgehend mit den drei gemeinsamen Kindern leben. Im Jahr 2019 wurde der Tochter des BF sowie dessen Schwiegersohn und den drei Enkelkindern die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Der BF verfügt abgesehen von den oben genannten familiären Bindungen über keine sonstigen nennenswerten sozialen Bindungen in Österreich. Der Lebensmittelpunkt des BF befand sich bis zu seiner letztmaligen Einreise in Österreich in Kolumbien, wo auch der erwachsene Sohn des BF und dessen vier Kinder leben.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten. Der BF ist ohne Beschäftigung und verfügt selbst über keine ausreichenden Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Der BF hat in Kolumbien als selbstständiger Werkzeugverkäufer gearbeitet. Er erhielt in Kolumbien eine Art „Pensionsabschlagszahlung“ in der Höhe von etwa 100 Euro, da er auch kurze Zeit unselbständig beschäftigt war und verfügt dort eigenen Angaben zufolge über keinerlei Güter, keine Pension oder andere Unterhaltsmittel. Die Reisekosten und der Aufenthalt des BF in Österreich wurden bislang durch das Einkommen seines Schwiegersohns finanziert. Für die Mietkosten des Appartements in Bogotá kam ab dem Jahr 2016 ebenso der Schwiegersohn auf.

Der BF verfügt über geringe Deutschkenntnisse und hat am 05.09.2019 beim Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) an der Integrationsprüfung A1 teilgenommen, diese jedoch nicht bestanden. Auch die Prüfung am „Goethe-Institut“ in Bogotá (Goethe-Zertifikat A1: Start Deutsch 1) am 26.11.2019 hat der BF nicht bestanden.

Der BF leidet an Diabetes und Bluthochdruck. Beide Erkrankungen werden medikamentös behandelt.

Hinsichtlich des Risikos einer Ansteckung des BF mit dem Corona-Virus (SARS-CoV-2) liegen keine Anhaltspunkte vor, wonach auch unter Berücksichtigung seines Alters bei einer Rückkehr nach Kolumbien und einem dortigen Aufenthalt dieses Risiko maßgeblich höher als in Österreich wäre. Zudem wird festgestellt, dass dem BF trotz seines höheren Alters die Einhaltung der in Österreich geltenden und auch weltweit zur Anwendung gelangenden Präventivmaßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 (insbesondere Einhaltung von Hygieneregeln wie regelmäßiges Händewachsen, Abstandhalten, Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Reduzierung sozialer Kontakte) zugemutet werden kann.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG. In der Beschwerde wird den entscheidungswesentlichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht substanziiert entgegengetreten und auch sonst kein dem festgestellten Sachverhalt entgegenstehendes oder darüber hinaus gehendes Vorbringen in konkreter und substanziierter Weise erstattet. So liegen auch keine widerstreitenden oder sonst strittigen Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit der Feststellung des relevanten Sachverhaltes vor. Mit der vorliegenden Beschwerde wird im Wesentlichen nur die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid bekämpft.

Die auf Grund der vorliegenden Akten in Zusammenschau mit dem Vorbringen in der gegenständlichen Beschwerde getroffenen Feststellungen werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die Feststellungen zu den bisherigen Einreisen sowie zur letztmaligen Einreise des BF in Österreich bzw. zu seinen Aufenthalten im Bundesgebiet beruhen auf den Feststellungen im angefochtenen Bescheid und auf den gleichlautenden Angaben in der Beschwerde sowie auf den Eintragungen im Zentralen Melderegister (ZMR).

Die Feststellung zum gestellten und wieder zurückgezogenen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG beruht auf den eigenen Angaben in der Beschwerde sowie auf den mit diesen Angaben übereinstimmenden Eintragungen im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR). Die Feststellung, dass der BF keinen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem NAG stellte und die diesbezügliche Begründung dafür beruhen auf den eigenen Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 06.02.2020 sowie auf dem im Akt einliegenden Nachweis der Generali Versicherung AG vom 22.11.2019, wonach der Antrag auf Gesundheitsvorsorge des BF abgelehnt wurde.

Die Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen und zu den Lebensumständen des BF in Österreich und in Kolumbien beruhen auf den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF in der Einvernahme vor dem BFA am 06.02.2020 (Verwaltungsakt, AS 111) sowie auf den diesbezüglich unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Die Feststellung, dass sich der Lebensmittelpunkt des BF vor seiner Einreise in Österreich in Kolumbien befand, beruht darauf, dass der BF – abgesehen von seinen Besuchen in Österreich – immer in Kolumbien lebte und auch im gesamten Verfahren einschließlich der Beschwerde nichts Gegenteiliges vorgebracht wurde.

Die Feststellung zum Nichtbestehen von nennenswerten Sozialkontakten des BF in Österreich beruht auf den eigenen Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme am 06.02.2020, wonach er lediglich angab, nicht näher bestimmte Bekannte in der Nachbarschaft habe (Verwaltungsakt, AS 117). Auch aus den der Beschwerde beigelegten und persönlich unterschriebenen Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben (Verwaltungsakt, AS 281), an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind, ist eine enge Freundschaft oder eine sonstige enge private Bindung zwischen diesen Personen und dem BF nicht zu erkennen. In den Schriftstücken wird vorrangig und gleichlautend auf die gute Integration der Tochter des BF und auf die gute Beziehung dieser Personen zur Familie der Tochter des BF eingegangen. Die Wichtigkeit des BF für seine Tochter und seine Enkelkinder wird zum Ausdruck gebracht, sowie die Strapazen, die mit dem Pendeln zwischen Kolumbien und Österreich für den BF einhergehen würden.

Die Feststellung zum Nichtvorliegen ausreichender eigener Mittel für die Sicherung des Lebensunterhalts und die Feststellung zur finanziellen Unterstützung durch den Schwiegersohn und die Tochter des BF, beruhen auf den diesbezüglichen Angaben des BF in der Einvernahme vor dem BFA am 06.02.2020 und den darauf gestützten Feststellungen im angefochtenen Bescheid, deren Richtigkeit auch in der Beschwerde nicht bestritten wurde. Die Feststellung zum Erhalt einer Art „Pensionsabschlagszahlung“ des BF in Kolumbien beruht auf den diesbezüglichen Angaben im Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK (Verwaltungsakt, AS 9) und in der Beschwerde (Verwaltungsakt, AS 217). Dass der BF in Kolumbien über keinerlei Güter, sowie keine Pension oder anderer Unterhaltsmittel verfüge und finanziell von seiner Tochter abhängig sei, beruht auf der im Rahmen der Beschwerde vorgelegten notariell beglaubigten eidesstattlichen Erklärung des BF in Bogotá aus dem Jahr 2012.

Die oben getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie beruhen auf folgenden Erwägungen: Dass der BF aufgrund seines Alters und seiner Vorerkrankungen einer sog. „Risikogruppe“ zuzuordnen ist, ist zwar nachvollziehbar, erklärt aber nicht, weshalb – wie in der Beschwerde behauptet – die Gefahr einer Ansteckung mit dem Corona-Virus (SARS-CoV-2) in Kolumbien höher sein sollte als in Österreich, zumal die derzeitige Situation rund um COVID-19 und die weltweite Ausbreitung nicht nur Kolumbien betrifft, sondern das Virus aktuell besonders auch in Europa und in Österreich aktiv ist. Das in der Beschwerde vorgebrachte Risiko einer Ansteckung mit COVID-19 vermag jedoch für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen, dass die Rückkehr in einen von diesem Virus betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde, zumal eben auch Österreich, wo sich der BF derzeit aufhält, in einem solchen Ausmaß von diesem Virus betroffen ist, dass strenge Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 für das gesamte Bundesgebiet gesetzlich erlassen wurden. Durch Einhaltung der entsprechenden präventiven Schutz- und Hygienemaßnahmen, die gleichsam allgemein und weltweit Gültigkeit haben und deren Einhaltung auch dem BF – ebenso wie in Österreich – zugemutet werden kann, ist das Risiko einer Ansteckung des BF mit COVID-19 daher in Kolumbien nicht maßgeblich höher als in Österreich. Dem Beschwerdevorbringen, wonach der BF aufgrund seines Alters tagsüber das Haus nicht verlassen dürfe und sich daher nicht versorgen könne, ist entgegenzuhalten, dass der Sohn des BF in Bogotá lebt und auch wenn dieser finanziell nicht in der Lage ist, den BF laufend zu unterstützen, doch anzunehmen ist, dass er zumindest lebensnotwendige Besorgungen für den BF erledigen könnte, soweit dies nicht bereits auf andere Weise (z.B. durch staatliche, soziale oder karitative Einrichtungen) möglich wäre. Des Weiteren ist aufgrund der auch im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur Lage in Kolumbien davon auszugehen, dass in einer Millionen-Metropole wie Bogotá auch Lieferdienste die Zustellung von Lebensmitteln und Speisen anbieten bzw. dass auch für Risikogruppen Maßnahmen vorgesehen sind, damit diese die Bedürfnisse des täglichen Lebens decken können.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zum Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, zur Rückkehrentscheidung und zur Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat:

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ betitelte § 55 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, lautet wie folgt:

„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Gemäß § 58 Abs. 8 AsylG 2005 hat das BFA im verfahrensabschließenden Bescheid über die Zurück- oder Abweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 abzusprechen.

Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 sind Anträge gemäß § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Gemäß § 58 Abs. 13 AsylG 2005 begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 AsylG 2005 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 AsylG 2005 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Sie können daher in Verfahren nach dem 7. und 8. Hauptstück des FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

Gemäß § 16 Abs. 5 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, begründet eine Beschwerde gegen eine Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 oder ein diesbezüglicher Vorlageantrag kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. § 58 Abs. 13 AsylG 2005 gilt.

Wird ein Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 abgewiesen, so ist gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Gemäß § 31 Abs. 1 Z 1 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie rechtmäßig eingereist sind und während des Aufenthalts im Bundesgebiet die Befristungen oder Bedingungen des Einreisetitels oder des visumfreien Aufenthalts oder die durch zwischenstaatliche Vereinbarungen, Bundesgesetz oder Verordnung bestimmte Aufenthaltsdauer nicht überschritten haben.

Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen die in Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex, VO (EU) 2016/399, genannten Einreisevoraussetzungen. So muss der Drittstaatsangehörige im Besitz eines gültigen Reisedokuments und, sofern dies in der sog. Visumpflicht-Verordnung VO (EU) 2018/1806, vorgesehen ist, im Besitz eines gültigen Visums sein. Er muss weiters den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben; er darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein und keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaates darstellen und insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.

Gemäß Art. 11 Abs. 1 Schengener Grenzkodex werden die Reisedokumente von Drittstaatsangehörigen bei der Einreise und bei der Ausreise systematisch abgestempelt. Ist das Reisedokument eines Drittstaatsangehörigen nicht mit dem Einreisestempel versehen, so können gemäß Art. 12 Abs. 1 Schengener Grenzkodex die zuständigen nationalen Behörden annehmen, dass der Inhaber des Reisedokuments die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Voraussetzungen hinsichtlich der Aufenthaltsdauer nicht oder nicht mehr erfüllt. Gemäß Art. 12 Abs. 2 Schengener Grenzkodex kann diese Annahme vom Drittstaatsangehörigen durch jedweden glaubhaften Nachweis widerlegt werden, insbesondere durch Belege wie Beförderungsnachweise oder Nachweise über seine Anwesenheit außerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten, aus denen hervorgeht, dass er die Voraussetzungen hinsichtlich der Dauer eines kurzfristigen Aufenthalts eingehalten hat.

Der BF ist Staatsangehöriger von Kolumbien und als solcher Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Als Inhaber eines gültigen biometrischen kolumbianischen Reisepasses ist der BF nach Maßgabe des Anhanges II zu Art. 4 Abs. 1 Visumpflicht-Verordnung, VO (EU) 2018/1806, für einen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Schengener Vertragsstaaten, der 90 Tage nicht überschreitet, von der Visumpflicht befreit.

Der BF reiste zuletzt am XXXX 12.2019 mit seinem gültigen Reisepass in den Schengen-Raum bzw. in das österreichische Bundesgebiet ein. Entgegen der von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht hielt sich der BF jedoch nicht bereits seit dieser letztmaligen Einreise unrechtmäßig im Bundesgebiet auf (weil dieser nach Ansicht des BFA nicht zu touristischen Zwecken, sondern in der Absicht sich in Österreich dauerhaft niederzulassen, eingereist sei), sondern erst nach Ablauf der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen. Der Aufenthalt des BF in Österreich war somit bis 15.03.2020 rechtmäßig.

Der darüber hinaus gehende Aufenthalt des BF im Bundesgebiet ab 16.03.2020 erweist sich hingegen als rechtswidrig, zumal der BF über keine Berechtigung zu einem weiteren Aufenthalt in Österreich verfügt hat.

Die belangte Behörde ist somit jedenfalls zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlich angefochtenen Bescheides zutreffend davon ausgegangen, dass die Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts bereits mehrere Monate abgelaufen war und sich der BF unrechtmäßig in Österreich aufhält.

An der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts ändert auch der Umstand der Stellung des gegenständlichen Antrages nichts, zumal weder durch die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 noch durch eine Beschwerde gegen eine zurück- oder abweisende Entscheidung ein Aufenthalts- oder Bleiberecht eingeräumt wird (§ 58 Abs. 13 AsylG 2005 und § 16 Abs. 5 BFA-VG).

Trotz Fehlens einer Berechtigung zum weiteren Aufenthalt ist der BF jedoch nicht ausgereist, sondern weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens aber ein hoher Stellenwert zu. Das beharrliche unrechtmäßige Verbleiben eines Fremden im Bundesgebiet nach rechtskräftiger Abweisung eines Asylantrages bzw. ein länger dauernder unrechtmäßiger Aufenthalt stellt jedoch eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf die Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens dar, was wiederum eine Aufenthaltsbeendigung als dringend geboten erscheinen lässt (vgl. VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247).

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Blickwinkel des § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK zulässig ist, ist eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit dem Interesse des Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich vorzunehmen.

Auch wenn das persönliche Interesse am Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015,
Ra 2015/19/0247).

In der Beschwerde wird die behauptete Rechtswidrigkeit des Bescheides im Wesentlichen damit begründet, dass die Behörde fälschlicherweise ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet aufgrund finanzieller Abhängigkeit verneint habe, obwohl der BF mit seiner Tochter über das normale Ausmaß hinaus verbunden sei, da er sich seit ihrem zweiten Lebensjahr alleine sowie unter prekären Umständen und im gemeinsamen Haushalt um sie gekümmert habe. Auch nach der Emigration seiner Tochter nach Österreich habe der BF sie so oft wie möglich besucht. Entgegen dem Standpunkt der Behörde sei eine Antragstellung nach dem NAG für den BF aufgrund des fehlenden Krankenversicherungsschutzes in Österreich nicht möglich. Außerdem sei die Gefahr einer Infektion mit dem Corona-Virus in Bogotá hoch und der BF aufgrund seines Alters gefährdet, daran schwer zu erkranken.

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist hier gemäß § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG zu berücksichtigen, dass sich der BF erst seit etwas mehr als einem Jahr im Bundesgebiet aufhält. Der VwGH hat wiederholt ausgesprochen, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191). Unbeachtlich dessen ist im vorliegenden Fall maßgeblich zu berücksichtigen, dass der überwiegende Teil des bisherigen Aufenthalts des BF in Österreich einzig dadurch erreicht werden konnte, dass der BF bislang seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und trotz des Fehlens einer Berechtigung zum weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet verblieben ist. Wie bereits erwähnt, kommt jedoch der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch geordnete Abwicklung des Fremdenwesens aber ein hoher Stellenwert zu.

Für die Beachtung und den Schutz der Rechtsordnung ist es jedoch ganz wesentlich, dass ein bewusstes Fehlverhalten einer Person letztlich nicht dazu führen kann, dass sie sich aus diesem Verhalten einen persönlichen Vorteil verschafft und dann auch auf die Anerkennung eines darauf gestützten Begehrens beruft (Grundsatz des „commodum ex iniuria sua nemo habere debit“).

Was die seit der Einreise des BF in Österreich am XXXX12.2019 bestehende Haushaltsgemeinschaft mit seiner erwachsenen Tochter und deren Familie anbelangt, ist festzuhalten, dass diese Gemeinschaft zu einem Zeitpunkt begründet wurde, als dem BF und seiner Tochter jedenfalls schon bewusst gewesen sein musste, dass der weitere Aufenthalt des BF in Österreich auf Grund der beschränkten Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts immer nur ein vorläufiger ist und der BF auch zum damaligen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit mit einer weiteren oder gar dauerhaften Aufenthaltsberechtigung in Österreich rechnen konnte. So ist dem BF konkret vorzuhalten, dass er vor seiner letztmaligen Einreise in Österreich – aufgrund der Zurückziehung eines entsprechenden Antrages bei Österreichischen Botschaft – in bewusster Kenntnis des Umstandes war, dass er durch das Nichterfüllen der Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nicht ohne Weiteres damit rechnen konnte, dennoch weiterhin im Bundesgebiet verbleiben und hier ein allfälliges Familienleben weiterführen zu können.

In diesem Zusammenhang kann eine aufenthaltsbeendende Maßnahme jedoch nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (vgl. EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., Zl. 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, Zl. 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, Zl. 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., Zl. 26940/10). In der gegenständlichen Rechtssache liegt ein solcher Ausnahmefall jedoch nicht vor, zumal allein die Tatsache des Bestehens einer Haushalts- oder Familiengemeinschaft mit österreichischen Staatsbürgern nicht ausreicht, um annehmen zu können, dass mit der angeordneten Rückkehrentscheidung jedenfalls in unzulässiger Weise in das nach Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben eingegriffen werden würde.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. von verheirateten Ehegatten, sondern auch andere nahe verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine hinreichende Intensität für die Annahme einer familiären Beziehung iSd. Art. 8 EMRK erreichen. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Unter Volljährigen reicht das rechtliche Band der Blutsverwandtschaft allein nicht, um ein Familienleben gemäß Art. 8 MRK zu begründen. Hier wird auf das tatsächliche Bestehen eines effektiven Familienlebens abgestellt, darüber hinaus müssen zusätzliche Merkmale einer Abhängigkeit gegeben sein, die über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehen (vgl. vgl. etwa EGMR 30.11.1999, Baghli; EGMR 10.07.2003, Benhebba; EGMR 17.01.2006, Aoulmi).

Als besondere Umstände im Sinne der Rechtsprechung des EGMR, die zu berücksichtigen sind, zählen etwa ein gemeinsamer Haushalt, ein Pflege- oder Betreuungsverhältnis sowie eine finanzielle oder psychische Abhängigkeit (VwGH 21.04.2011, Zl. 2011/01/0093).

Aus der oben angeführten Judikatur geht hervor, dass zwischen Eltern und erwachsenen Kindern kein Familienleben besteht, solange nicht zusätzliche Elemente der Abhängigkeit nachgewiesen werden. Dem Beschwerdevorbringen, wonach zwischen dem BF und seiner erwachsenen in Österreich lebenden Tochter ein schützenswertes Familienleben bestehe, ist entgegenzuhalten, dass zwischen dem BF und seiner Tochter, seit sie im Jahr 2012 von Kolumbien nach Österreich übersiedelte, kein gemeinsamer Haushalt – jedenfalls bis zur Einreise des BF in Österreich im Dezember 2019 – vorlag. An dieser Beurteilung vermögen auch die zahlreichen Besuche des BF in Österreich nichts zu ändern. Auch dass dem BF aufgrund einer finanziellen Abhängigkeit von seiner in Österreich lebenden Tochter bzw. seines Schwiegersohns ein gemäß Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben zukomme, kann nicht gefolgt werden, da auch in der Beschwerde kein konkreter Grund vorgebracht wurde, weshalb diese bereits in der Vergangenheit regelmäßig geleistete finanzielle Unterstützung durch den Schwiegersohn nicht auch bei einer neuerlichen Rückkehr des BF nach Kolumbien fortgesetzt werden könnte, zumal eine solche Art der finanziellen Unterstützung durch eine internationale Banküberweisung auch nicht an einen Aufenthalt des BF in Österreich gebunden ist. In der Beschwerde wurde in diesem Zusammenhang in keiner Weise näher dargelegt, inwiefern sich die aktuelle Situation von der der letzten Jahre maßgeblich unterscheiden würde. So ist festzuhalten, dass es dem BF jedenfalls in den vielen Jahren vor seiner letztmaligen Ausreise durchaus möglich war, in Kolumbien durch die finanzielle Unterstützung seiner Tochter bzw. seines Schwiegersohns seine Grundbedürfnisse abzusichern.

Hinsichtlich der Fortsetzung des Familienlebens im Fall der Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat Kolumbien ist auszuführen, dass auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dahingehend vorliegen, dass es ihm nicht möglich oder zumutbar wäre, bei Aufrechterhaltung des Wohnsitzes seiner Familienangehörigen in Österreich den Kontakt mit ihnen über diverse Kommunikationsmittel (etwa über das Internet oder Telefon) sowie durch fallweise Besuche der Tochter und deren Familie in Kolumbien aufrechtzuerhalten. So hält sich eigenen Angaben zufolge der Schwiegersohn des BF berufsbedingt immer wieder in Südamerika und auch in Kolumbien auf. Überdies hat der BF – wie in der Vergangenheit – die Möglichkeit, sich unter Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt regelnden Bestimmungen (und mangels Anordnung eines Einreiseverbotes) während der Dauer des erlaubten visumfreien Aufenthalts in Österreich aufzuhalten.

Auch was die privaten Lebensumstände des BF in Österreich anbelangt, ist festzuhalten, dass schon im Hinblick auf die vergleichsweise kurze Dauer seines bisherigen Aufenthalts in Österreich keine Hinweise auf einen zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden hohen Grad einer berücksichtigungswürdigen Integration des BF hervorgekommen sind. Auch in der Beschwerde wurden zuletzt keine Umstände vorgebracht, denen zufolge das Vorliegen einer solchen Integration des BF in Österreich anzunehmen gewesen wäre. Der BF verfügt in Österreich über kein eigenes, seinen Lebensunterhalt sicherndes Einkommen. Der BF verfügt nur über geringe Deutschkenntnisse. Er hat zwar zweimal an einer Deutsch-Sprachprüfung teilgenommen, diese jedoch nicht bestanden. Außerdem reichen auch Deutschkenntnisse allein noch nicht aus, um die fortgeschrittene oder gar vollständige Integration eines Fremden in Österreich annehmen zu können, wenngleich der Spracherwerb und der tatsächliche Wille, die deutsche Sprache zu erlernen, zweifellos ein wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Integration in Österreich darstellen. Des Weiteren konnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass der BF auf Grund seines nunmehr seit XXXX 12.2019 dauernden Aufenthalts außerhalb seines Herkunftsstaates über keinerlei Bindung mehr in seinem Herkunftsstaat verfügen würde, so hat er sein gesamtes Leben dort verbracht und ist mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut und verfügt außerdem durch seinen erwachsenen Sohn und dessen Familie über bestehende familiäre Bindungen in Kolumbien.

Zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF ist festzuhalten, dass die nach § 9 Abs. 2 Z 6 BFA-VG maßgebliche strafrechtliche Unbescholtenheit weder das persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen vermag (vgl. VwGH 19.04.2012, Zl. 2011/18/0253).

Überdies bestünde für den BF auch weiterhin die Möglichkeit vom Ausland aus, allenfalls nach den Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) einen Aufenthaltstitel zu beantragen. Dazu ist festzuhalten, dass keine Umstände hervorgekommen sind, weshalb es dem BF nicht möglich oder zumutbar sein sollte, zum Zweck eines beabsichtigten längerfristigen Aufenthalts in Österreich, insbesondere zur Fortführung eines allfälligen Familienlebens, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zu stellen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein solcher Antrag grundsätzlich auch im Falle einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung gestellt werden kann, wenn seit der Ausreise bereits achtzehn Monate vergangen sind bzw. der Erstantrag im Ausland eingebracht wird, nachdem der Fremde seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist (§ 11 Abs. 1 Z 3 NAG). Der Umstand, dass eine solche Antragstellung nachweis-, gebühren- und allenfalls auch quotenpflichtig ist und für eine positive Entscheidung das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (z.B. ausreichende Existenzmittel, gesicherte Unterkunft und Krankversicherungsschutz) erfordert, vermag daran nichts zu ändern, da eine Antragstellung nach den Bestimmungen des Asylgesetzes mit einer von Anfang an beabsichtigen Umgehung der Bestimmungen des NAG als missbräuchlich anzusehen wäre.

Gesamtheitlich betrachtet ist im gegenständlichen Fall jedoch davon auszugehen, dass die Stellung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK offensichtlich nur in Umgehung der Bestimmungen des NAG erfolgte, da – jedenfalls nach eigener Ansicht des BF – die Voraussetzungen für einen bereits einmal beantragten Aufenthaltstitel nach dem NAG nicht erfüllt gewesen wären.

Im Lichte dieser nach § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung hat sich somit insgesamt nicht ergeben, dass vorhandene familiäre oder nachhaltige private Bindungen in Österreich das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts überwiegen würden. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.

Schließlich sind im Hinblick auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gemäß § 52 Abs. 9 iVm. § 50 FPG getroffene amtswegige Feststellung keine konkreten Umstände dahingehend hervorgekommen, dass allenfalls auch unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens die Abschiebung in den Herkunftsstaat Kolumbien unzulässig wäre (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).

Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 nicht vorliegen und sich sowohl die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als auch die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat als zulässig erwiesen haben, war gemäß § 55 AsylG 2005, § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm. § 52 Abs. 3 FPG sowie § 52 Abs. 9 FPG die gegenständliche Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise:

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid (Spruchpunkt IV.) gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt diese Frist 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Bei Überwiegen solcher besonderen Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 3 FPG einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

Besondere Umstände, welche einen längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage zur Ausreise erforderlich gemacht hätten, wurden vom BF im Verlauf des gesamten Verfahrens weder vorgebracht noch nachgewiesen und sind auch sonst nicht hervorgekommen. Auch in der Beschwerde wurde kein Vorbringen dahingehend erstattet, inwiefern sich der BF durch die gewährte Ausreisefrist von 14 Tagen als beschwert erachtet. Eine – wie in der Beschwerde ohne Darlegung von konkreten Gründen geforderte – Verlängerung der Frist bis zur Möglichkeit einer Impfung gegen COVID-19 kommt schon deshalb nicht in Frage, weil weder besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, dargetan wurden, noch ein Termin für eine Ausreise genannt wurde.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides war daher ebenfalls als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Im gegenständlichen Fall wurde der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substanziierter Weise behauptet (siehe VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018-9).

Es konnte daher gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG – trotz eines entsprechenden Antrages in der Beschwerde – eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.

3.4. Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Interessenabwägung öffentliche Interessen Pandemie Resozialisierung Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G301.2236823.1.00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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