Entscheidungsdatum
05.02.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W195 2216903-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.03.2019, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.02.2021 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (BF) brachte am 04.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Der BF gab unter anderem an, er sei staatenlos.
I.2. Der BF wurde am 21.05.2012 durch das Bundesasylamt (BAA) niederschriftlich einvernommen. Soweit von Bedeutung führte der BF aus, er sei am XXXX in Myanmar geboren, und habe bis 1990 dort gelebt. Dann sei er mit seiner Familie nach Bangladesch geflüchtet. Der BF gab an, er habe weder eine Geburtsurkunde noch andere Identitätsdokumente, er habe nur ein Familienbuch. Er sei staatenlos, gehöre der Volksgruppe der Rohingya an und sei Moslem.
I.3. Mit Bescheid des BAA vom 22.05.2012 wurde dem Antrag des BF auf internationalen Schutz stattgegeben und wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Das BAA hielt in einem Aktenvermerk vom selben Tag fest, dass der BF staatenlos sei und der Volksgruppe der Rohingya angehöre. Das Vorbringen hinsichtlich seiner Situation in Burma sei glaubwürdig. Die Identität stehe nicht fest, da der BF überhaupt keine Dokumente in Vorlage gebracht habe. In einer Gesamtbeurteilung sei davon auszugehen, dass dem BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Rohingyas im Falle seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung drohe. Hiezu werde auf eine im Administrativakt enthaltene Anfragebeantwortung der Staatendokumentation verwiesen, in der die Situation der Rohingya ausführlich und tiefgehend dargestellt wurde.
I.4. Der (adoptierte) Sohn des BF stellte am 10.09.2018 einen Einreiseantrag bei der Österreichischen Botschaft in Neu Delhi. Im Zuge des Einreiseverfahrens legte der Sohn eine eidesstattliche Erklärung der Adoption vom 02.05.2011, einen gerichtlichen Beschluss vom 04.08.2011 und eine Geburtsurkunde vor.
I.5. Der BF wurde am 28.02.2019 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Befragt gab der BF an, er sei in Myanmar geboren, er sei in Bangladesch aufgewachsen. Er sei staatenlos. Er habe nie Dokumente von Bangladesch gehabt, er habe nur ein Rohingya-Familienbuch. Er und seine Eltern seien registrierte Flüchtlinge gewesen. Über Vorhalt, dass auf den seitens seines Adoptivsohnes vorgelegten Urkunden der BF als bengalischer Staatsbürger ausgewiesen werde, führte dieser an, er habe keine bengalische Staatsbürgerschaft, sondern seine Frau. Die Adoption habe ein beauftragter Notar organisiert. Er könne sich nicht erklären, warum dort stehe, dass er bengalischer Staatsbürger sei. Über Vorhalt, auch in der Geburtsurkunde stehe, dass er Bengale sei, führte der BF aus, er könne sich vorstellen, dass bei der Ausstellung einfach angenommen worden sei, dass er bengalischer Staatsbürger sei. Dies, weil seine Frau Staatsbürgerin von Bangladesch sei und der BF nicht mit einer bengalischen Frau verheiratet sein dürfe. Die Unterlagen müsse seine Frau beim Notar vorgelegt haben. Die belangte Behörde hielt dem BF außerdem vor, dass Ausländer nach fünf Jahren in Bangladesch einen Antrag auf Staatsangehörigkeit stellen könnten. In Anbetracht des Staatsbürgerschaftsgesetzes von Bangladesch, sowie dem Einreiseverfahren vorgelegten Dokumente, ergebe sich für die erkennende Behörde, dass der BF bengalischer Staatsbürger sei. Der BF führte dazu aus, dass bis dato keinem seiner Volksgruppe die Staatsangehörigkeit von Bangladesch zugesprochen worden sei.
I.6. Mit Bescheid vom 05.03.2019 nahm das BFA das Asylverfahren vom 04.02.2012 von Amts wegen wieder auf. Die belangte Behörde stellte fest, dass der BF bei der polizeilichen Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BAA wahrheitswidrig angegeben habe, dass er staatenlos sei und habe er seine bengalische Staatsbürgerschaft gänzlich verschwiegen. Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, aus den vorgelegten Unterlagen aus Bangladesch würde sich eindeutig ergeben, dass der BF die Staatsangehörigkeit von Bangladesch besitze. Die eidesstattliche Erklärung sei am 02.05.2011 ausgestellt worden. Die Geburtsurkunde des Kindes sei am XXXX ausgestellt worden. Dass es zweimal innerhalb von sechs Jahren zu einem solchen Fehler kommen würde, erachtete belangte Behörde als unwahrscheinlich. Anzumerken sei, dass die eidesstattliche Adoption gemeinsam mit dem Anwalt des BF verfasst worden sei. Die Geburtsurkunde sei von einer Behörde im Bangladesch ausgestellt worden. Die belangte Behörde wäre in ihrer Annahme zusätzlich bestärkt, dass Ausländer nach fünf Jahren in Bangladesch einen Antrag auf Staatsangehörigkeit stellen könnten. Den Angaben des BF folgend sei er von 1990 bis zu seiner Ausreise Anfang 2012 durchgehend in Bangladesch gewesen. Es könne somit ausgeschlossen werden, dass er staatenlos sei. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, der BF habe seine Asylanerkennung durch falsches Zeugnis, nämlich der Verschleierung seiner bengalischen Staatsbürgerschaft erschlichen. Es liege somit ein Sachverhalt vor, der unter § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG subsumiert werden könne.
I.7. Mit Schriftsatz vom 01.04.2019 erhob der vertretene BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte im Wesentlichen aus, die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei mangelhaft. Nach der herrschenden Lehre sei Tatbestand der Erschleichung nur dann erfüllt, wenn eine Partei objektiv unrichtige Angaben machen oder Tatsachen verschweige, zu deren Bekanntgabe die Partei verpflichtet gewesen wäre. Nach der Rechtsprechung sei dann nicht von einer Erschleichung auszugehen, wenn die Behörde die Unrichtigkeit der Angaben Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens hätte selbst erkennen können. Die belangte Behörde stütze die Wiederaufnahme einzig auf das Vorliegen einer bengalischen Geburtsurkunde des Adoptivsohnes unter eidesstattlichen Erklärung der Adoption, wobei aus letzterer die Staatsangehörigkeit des BF nicht eindeutig hervorgehe. Weitere Ermittlungsschritte habe die belangte Behörde unterlassen.
I.8. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.04.2019, XXXX , wurde die Beschwerde abgewiesen.
I.9. Der dagegen erhobenen Revision gab der VwGH mit Erkenntnis vom 09.04.2020, XXXX Folge und behob das Erkenntnis des BVwG vom 23.04.2019. Begründend führte der VwGH – zusammengefasst - aus, dass ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Anbetracht des Vorbringens des BF die umfassende Würdigung des vorliegenden Sachverhaltes und der vorgebrachten Beweismittel nur unzureichend erfolgen könne. Darüber hinaus stellte der VwGH fest, dass der Vorsatz hinsichtlich einer Täuschungsabsicht bei der Wiederaufnahme eines Verfahrens entsprechende Bedeutung habe.
I.20. Am 05.08.2020 legte der BF eine Heiratsurkunde vom 31.01.2020, XXXX Standesamt Imst, vor, der zu Folge er XXXX , StA Bangladesch, heiratete.
I.21. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem BVwG wurde dem BF der aktuelle Länderbericht zu Bangladesch, Stand Dezember 2020, zur Kenntnis gebracht.
I.22. Mit Eingabe vom 03.02.2021 erfolgte die Vollmachtsbekanntgabe der nunmehrigen Rechtsvertretung sowie die Urkundenvorlage (Kopien) des Rohingya Familienbuches und einer Bestätigung in englischer Sprache hinsichtlich des Standes des BF als ursprünglicher Einwohner von Myanmar.
I.23. Mit Eingabe vom gleichen Tag wurde ein Wikipedia-Auszug zu Myanmar vorgelegt. Darüber hinaus die Kopie der Einstellung eines Strafverfahrens hinsichtlich des BF durch die StA Innsbruck vom 02.12.2019, XXXX betreffend § 119 FPG.
I.24. Am 04.02.2021 erfolgte die Verhandlung vor dem BVwG in Anwesenheit des BF und seines Rechtsanwaltes sowie einem Dolmetsch für die bengalische Sprache als auch die Sprache der Rohingya.
Neben seinem Reisepass legte der BF auch das Rohingya Familienbuch im Original vor, in welchem sein Name auf der vierten Seite als Nr 3 vermerkt ist.
Hinsichtlich seiner derzeitigen Beschäftigung wurden in Kopie zwei Lohn-/Gehaltsabrechungen vorgelegt, welche ein monatliches Nettoeinkommen zwischen € 1.280 und 1.430 ausweisen.
Im Zuge der Verhandlung wurden die vom Rechtsanwalt des BF vorgelegten Unterlagen angesprochen.
Der BF gab an, dass er schon im ersten Asylverfahren angegeben habe, dass er Rohingya sei und er das Familienbuch vorgelegt habe.
In weiterer Folge erklärte der Anwalt des BF nochmals die persönliche Sicht des BF, der 1990 aus Myanmar nach Bangladesch geflohen war. An der Erstellung der Adoptionsunterlagen hatte der BF keine Beteiligung, seine standesamtliche Hochzeit im Jahr 2020 in XXXX durch eine Heiratsurkunde belegt – die Hochzeit in Bangladesch war seinerzeit lediglich „traditionell“ geschlossen worden - , ein Strafverfahren in Österreich wurde eingestellt. Unter Berücksichtigung der in den Länderberichten enthalten Probleme für Rohingyas in Bangladesch könne davon ausgegangen werden, dass der BF selbst keine falschen Angaben gemacht habe; er sei staatenlos.
Der BF führte abschließend aus, dass er „nie jemanden absichtlich angelogen“ habe. Vermutlich habe die Behörde etwas falsch verstanden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des BAA vom 22.5.2012 rechtskräftig der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Festgestellt wird, dass das BAA im Zusammenhang mit dem Verfahren um Zuerkennung von internationalem Schutz eine umfassende und tiefgehende Analyse der Staatendokumentation betreffend das Schicksal der „Rohingya“ und deren rechtlichen Status in Bangladesch zur Verfügung stand. Es hat diese Recherche auch ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.
Festgestellt wird, dass in dem betreffenden Verfahren das BAA nicht davon ausgegangen ist, dass der BF Staatsangehöriger von Bangladesch ist. Diese – rechtskräftige – Feststellung beruhte nicht von vorherein auf falschen Angaben des BF, der im gesamten Verfahren auf seine Stellung als Rohingya, der in Bangladesch lebte, hinwies, sondern hat das BAA diese Beurteilung vorgenommen. Dass Rohingya tatsächlich in Bangladesch als geduldete Flüchtlinge rechtlich (im besten Fall) wie „Staatsangehörige von Bangladesch“ zu beurteilen sind, ist sowohl dem damaligen 12-seitigem Bericht der Staatendokumentation vom 16.04.2012 als auch der aktuellen Berichtslage (Länderberichte zu Bangladesch, Stand Dezember 2020) zu entnehmen.
Diese aktuelle Berichtslage der Staatendokumentation enthält folgende Informationen:
„IDPs und Flüchtlinge:
Letzte Änderung: 16.11.2020
In Bangladesch halten sich 860.000 bis zu eine Million Flüchtlinge aus der Volksgruppe der Rohingya auf (ÖB 9.2020; vgl. RW 22.10.2020, HRW 14.1.2020). Etwa 270.000 von ihnen leben in den Dörfern und Städten um Cox’s Bazar, seit sie ab den 1990er-Jahren aus Myanmar geflüchtet sind (FH 2020; vgl. ÖB 9.2020, AA 21.6.2020). Die Regierung gewährt den Rohingya mangels Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention kein Asyl und stuft sie als illegale Wirtschaftsflüchtlinge ein. Von ihnen leben 33.000 in den zwei offiziellen Flüchtlingslagern Kutupalong und Nqayapara als registrierte, offizielle Flüchtlinge (ÖB 9.2020).
Die überwiegende Mehrheit der Rohingya verfügt über keinen offiziellen Flüchtlingsstatus und leidet unter einem völligen Mangel an Zugang zu medizinischer Versorgung, Beschäftigung und Bildung und ist erheblichen Schikanen ausgesetzt (FH 2020). Im Jahre 2017 setzte durch Unruhen in Myanmar eine neue Flüchtlingswelle Richtung Bangladesch ein (ÖB 9.2020), die eine humanitäre Krise auslöste (FH 2020; vgl. HRW 14.1.2020). Die Bedingungen in den Lagern verschlechterten sich, als die Regierung den Druck auf die Flüchtlinge erhöhte, nach Myanmar zurückzukehren (HRW 14.1.2020).
Aufgrund der bestehenden Gewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen Rohingyas in Myanmar war eine sichere und freiwillige Rückkehr in ihr Herkunftsland bisher nicht möglich (ÖB 9.2020). Dennoch beharrt die Regierung von Bangladesch weiterhin darauf, dass die Lager nur vorübergehend seien und behinderte Verbesserungen der Infrastruktur, insbesondere in Bezug auf Unterkünfte und Bildung. Die Regierung kooperiert und unterstützt UNHCR und andere humanitäre Organisationen nur mangelhaft, nicht zu allen betroffenen, hilfesuchenden Personen wird der Zugang gestattet (ÖB 9.2020). UNHCR und das Welternährungsprogramm weisen weiters darauf hin, dass Unterernährung besonders bei Kindern in Flüchtlingslagern verbreitet ist (ÖB 9.2020). Die Grundversorgung wird durch die bangladeschische Regierung sowie von UN-Organisationen und NGOs gesichert (AA 21.6.2020).
Die Gefahr von Seuchen und Epidemien ist aufgrund der beengten Verhältnisse hoch. Es gibt nur unzureichend Möglichkeiten im Bildungsbereich und die Menschen leben in einem quasi rechtsfreien Raum. Vor allem Frauen und Kinder, die den Großteil der letzten Fluchtwelle ausmachen, befinden sich in großer Gefahr, u.a. sexueller und körperlicher Gewalt, Zwangsheirat, Kinderarbeit, Organ- und Menschenhandel zum Opfer zu fallen (AA 21.6.2020). Die bangladeschische Stammbevölkerung fühlt sich in den Kernflüchtlingszonen durch die große Zahl von Rohingyas zunehmend be- und verdrängt (u.a. Sinken des lokalen Lohnniveaus), was nunmehr häufiger zu Repressalien durch die Bevölkerung – aber auch seitens bangladeschischer offizieller Stellen – führt und das allgemeine Klima verschlechtert (ÖB 9.2020). Spannungen mit der bangladeschischen Bevölkerung nehmen zu. Verwicklungen in illegale Tätigkeiten wie Drogenschmuggel und Menschenhandel sowie der rasante Preisanstieg und Druck auf die Löhne haben eine zunehmende Diskriminierung von Rohingyas im gesamten Land zur Folge. Islamismus breitet sich über informelle Koranschulen in den Lagern aus (AA 21.6.2020; vgl. ÖB 9.2020). Die Regierung Bangladeschs drohte wiederholt damit, die Flüchtlinge auf die Insel Bhasan Char umzusiedeln, obwohl die Bewohnbarkeit der Insel ernsthaft infrage gestellt wird (HRW 14.1.2020; vgl. TS 21.10.2019, HRW 14.3.2019).
Die „Bangladesh Citizenship (Temporary Provisions) Order“ aus 1972 regelt die Staatsangehörigkeitsfrage seit der Unabhängigkeit des Landes. Laut Artikel 2 gilt jeder als bangladeschischer Staatsangehöriger, der in diesem Territorium geboren wurde, oder dessen Vater oder Großvater dort geboren wurde, und der am 25. März 1971 und später dort seinen ordentlichen Wohnsitz und Aufenthalt hatte. Inwieweit dies auch für in Bangladesch geborene Kinder von Flüchtlingen gelten soll, ist jedoch unklar und wird in den Medien ab Einsetzen der jüngsten Rohingya-Flüchtlingswelle 2017 regelmäßig thematisiert (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 5.11.2020
? DW - Deutsche Welle (7.9.2020): Fast 300 Rohingya-Flüchtlinge in Indonesien gestrandet, https://www.dw.com/de/fast-300-rohingya-fl%C3%BCchtlinge-in-indonesien-gestrandet/a-54842563, Zugriff 5.11.2020
? FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030829.html, Zugriff 1.4.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 9.11.2020
? HRW – Human Rights Watch (14.3.2019): For Rohingya, Bangladesh’s Bhasan Char „Will Be Like a Prison“, https://www.hrw.org/news/2019/03/15/rohingya-bangladeshs-bhasan-char-will-be-prison, Zugriff 9.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch
? RW - ReliefWeb (22.10.2020): Conference on Sustaining Support for the Rohingya Refugee Response, https://www.ecoi.net/en/file/local/2039427/Rohingya_Conference_Background.pdf, Zugriff 5.11.2020
? TS – Tagesschau.de (21.10.2019): Rohingya sollen umgesiedelt werden, https://www.tagesschau.de/ausland/rohingya-umsiedlung-insel-101.html, Zugriff 12.11.2020
? ZO - Zeit Online (16.4.2020): Mehrere Rohingyas sterben auf der Flucht, https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-04/bangladesch-festnahme-rohingyas-flucht-malaysia, Zugriff 5.11.2020
Zusammenfassend wird festgestellt, dass im vorliegenden Fall eine durch den BF bewusste Täuschung der zum damaligen Zeitpunkt entscheidenden Behörde nicht festgestellt werden kann. Daran ändern auch neuere Dokumente hinsichtlich des Sohnes des BF, welche jedoch zweifelsfrei nicht ausschließlich durch den BF zustande kamen, nichts.
Festgestellt wird, dass die Staatsanwaltschaft Innsbruck ein Verfahren gegen den beschuldigten BF wegen § 119 FPG am 02.12.2019 einstellte.
II.2. Beweiswürdigung:
II.2.1. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Administrativakten sowie der vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 04.02.2021. Die im Verfahren des Sohnes hervorgekommenen Dokumente belegen nicht, dass der BF zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt des BAA dieses bewusst über seinen Status als Rohingya bzw Staatsangehöriger von Bangladesch getäuscht hat.
II.3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
II.3.1. Zu A) I.:
Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
§ 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. 51/1991, idgF lautet:
"Wiederaufnahme des Verfahrens
§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder
2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde;
4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat."
Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt somit voraus, dass es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt, welches durch Bescheid erledigt wurde. Das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes ist, da er eine Durchbrechung der Rechtskraft und damit einen Eingriff in die Rechtssicherheit ermöglicht, streng zu prüfen (vgl. dazu bereits die in Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, § 69 Rz 3 und 8 angeführte ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Die belangte Behörde geht erkennbar davon aus, dass der Beschwerdeführer den Asylzuerkennungsbescheid aufgrund seiner unrichtigen Angaben zu seiner Staatsangehörigkeit erschlichen habe.
Ein "Erschleichen" eines Bescheides liegt dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, wobei Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. bereits das Erk des VwGH vom 16.4.1985, Zl. 84/04/0050 uva). Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu werten. Zusammengefasst müssen daher drei Voraussetzungen vorliegen: Objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung, ein Kausalitätszusammenhang zwischen der unrichtigen Angabe der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde und Irreführungsabsicht der Partei, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen (vgl. zu allem bereits das Erk. des VwGH vom 20.9.2011, Zl. 2008/01/0777, mwN bzw. zur Rechtslage nach dem VwGVG das Erk. vom 9.8.2018, Zl. Ra 2018/22/0076). Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat absoluten Charakter; es kommt nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich eine anderslautende Entscheidung ergangen wäre bzw. ob die Behörde oder das VwG im neuen Verfahren voraussichtlich zu einer anderslautenden Entscheidung gelangen wird. Ermittlungen zur Frage der Relevanz des als Wiederaufnahmegrund herangezogenen Verhaltens sind daher grundsätzlich entbehrlich. Richtig ist lediglich, dass den zu beurteilenden unrichtigen Angaben wesentliche Bedeutung zukommen muss. Das die Wiederaufnahme auslösende Verhalten der Partei muss auf die Erlassung eines konkreten Bescheides bzw. Erkenntnisses zielgerichtet sein bzw. das Verhalten denknotwendig der Erlassung des Bescheides bzw. Erkenntnisses vorangehen (vgl. abermals das bereits angeführte Erk. vom 9.8.2018).
Die Beschwerde bringt nun vor, die belangte Behörde hätte nicht ausreichend geprüft, ob der Beschwerdeführer vorsätzlich gehandelt habe. Diesem Vorbringen ist zuzustimmen. Dass die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers (bzw. dessen Staatenlosigkeit) im damaligen Verfahren ausschlaggebend war, dass der Beschwerdeführer internationaler Schutz zuerkannt wurde, ergibt sich bereits aus den Überlegungen der belangten Behörde im Zuge der Asylzuerkennung, wo sie ausführte, dass den Beschwerdeführer in seiner Heimat Myanmar asylrelevante Verfolgung erwarte. Der Beschwerdeführer führte schon während des damaligen Asylverfahrens seine Stellung als Rohingya aus; dass das BAA dies nicht als eine Rechtsstellung, die einem „Staatsangehörigen von Bangladesch“ gleichkommt, beurteilt hat – trotz der umfassenden Stellungnahme der Staatendokumentation – kann nicht zu Lasten des BF gewertet werden.
II.3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.
Schlagworte
amtswegige Wiederaufnahme Asylgewährung Behebung der Entscheidung Erschleichen falsche Angaben Kausalität Kausalzusammenhang Rechtskraftdurchbrechung Staatsangehörigkeit vorsätzliche Täuschung WiederaufnahmeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2216903.1.00Im RIS seit
18.05.2021Zuletzt aktualisiert am
18.05.2021