Entscheidungsdatum
05.02.2021Norm
AsylG 2005 §8 Abs1Spruch
W104 2161854-1/32E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Christian BAUMGARTNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Peter LECHENAUER und Dr. Margrit SWOZIL, Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX Außenstelle XXXX , vom 21.4.2017, Zl. 1078879200-150893423, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 2.5.2019 und am 17.12.2020 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 5.2.2022 erteilt
III. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellte am 19.7.2015 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.7.2015 gab der Beschwerdeführer an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und hänge der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Er sei ledig und am XXXX in der afghanischen Provinz Ghazni im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren. Bereits seit seinem vierten Lebensjahr habe er jedoch in Pakistan gelebt. Zum Fluchtgrund führte er aus, er habe Afghanistan bereits als Kleinkind verlassen. Sein Vater sei in einer Organisation tätig gewesen und von Talibankämpfern erschossen worden. Zudem habe seine Familie Feindschaften in Afghanistan wegen Grundstücksstreitigkeiten. Er sei daher damals mit seiner Familie aus Afghanistan nach Pakistan geflohen. Aus Pakistan sei er letztendlich geflüchtet, weil Hazara dort verfolgt und getötet würden. Als er einmal kurz wieder in Afghanistan gewesen sei, sei er von einer ihm unbekannten Person verfolgt worden.
3. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23.11.2016 führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, sein Vater sei Mitglied bei der Partei XXXX in Afghanistan gewesen und von den Taliban ermordet worden. Nach dem Tod des Vaters hätten Feinde seine Mutter geschlagen und ihnen das Haus und das Grundstück weggenommen. Er sei daher mit seiner Familie im Alter von vier Jahren nach Pakistan geflohen. Dort habe es jedoch immer wieder Anschläge und Überfälle auf Hazara und Schiiten gegeben, weshalb der Beschwerdeführer im Jahr 2015 nach XXXX , Afghanistan zurückgegangen sei. Dort habe ihn jedoch ein Mann namentlich angesprochen und mit ihm reden wollen. Der Beschwerdeführer habe Angst vor dem Mann gehabt und daher wieder nach Pakistan fliehen wollen. Dabei sei er jedoch von der pakistanischen Polizei erwischt, geschlagen und nach Afghanistan abgeschoben worden. Es sei in Afghanistan nicht sicher für den Beschwerdeführer, weil er dort Feinde habe und alles gefährlich sei. Er sei daher nach Europa geflohen.
4. Mit Schreiben vom 27.3.2017 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer die letzten Kurzinformationen des aktuellen Länderinformationsblatts zur Kenntnisnahme und räumte ihm eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme ein.
5. Der Beschwerdeführer brachte dazu am 21.4.2017 nach Ablauf der gesetzten Frist eine Stellungnahme ein, in der er nochmals seine Fluchtgründe darlegte. Weiter brachte er im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass sein Bruder in Pakistan am Schulweg von zwei Männern geschlagen worden und diese Männer mit einem Auto über das Bein seines Bruders gefahren seien. Der Beschwerdeführer und seine Familie seien daher nach wie vor im Fokus der Feinde, nämlich der Mörder seines Vaters.
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21.4.2017, zugestellt am 26.4.2017, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. .2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen (gemeint: 14 Tagen) ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen sei rational nicht nachvollziehbar, spekulativ und nicht logisch-schlüssig fundiert. Der Beschwerdeführer sei politisch nicht engagiert, eine Verfolgung aufgrund seiner Nationalität bzw. Volksgruppenzugehörigkeit sei nicht erkennbar. Seine Familie könne ihn auch von Pakistan aus finanziell unterstützen, eine Niederlassung in Kabul sei ihm jedenfalls zumutbar.
7. Dagegen richtet sich die am 12.5.2017 bei der belangten Behörde eingelangte vollumfängliche Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde sei ihrer Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung des maßgebenden Sachverhalts nicht nachgekommen, die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig, insbesondere sei die schlechte Lage der Hazara in Afghanistan mangelhaft festgestellt worden. Angesichts der schlechten Sicherheitslage sei Kabul keine interne Schutzalternative und eine Niederlassung in Kabul nicht zumutbar. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Vaters, der ihm unterstellten politischen Gesinnung sowie seiner Zugehörigkeit zur religiös-ethnischen Gruppe der schiitischen Hazara.
8. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Entscheidung vorgelegt.
9. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.3.2019 wurde die gegenständliche Rechtssache der erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen.
10. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 5.4.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 2.5.2019 an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.
11. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 18.4.2019 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Es werde die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt und um Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls ersucht.
12. Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 2.5.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde blieb der mündlichen Verhandlung fern.
In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, zwischenzeitlich krank zu sein. Er leide regelmäßig an Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen und habe Rückenbeschwerden und Bandscheibenprobleme. Zu seinen Fluchtgründen befragt, hielt der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen aufrecht und gab ergänzend an, zum christlichen Glauben ( XXXX ) konvertiert zu sein. Im Fall seiner Rückkehr befürchte er, wegen seiner Feinde umgebracht zu werden.
13. Mit Erkenntnis vom 27.5.2019, W104 2161854-1/10E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Im Übrigen gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde statt und erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zu (Spruchpunkt A.II.). Unter Spruchpunkt A.III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.5.2020 erteilt. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen zusammengefasst aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft. Zwar sei der Vater des Beschwerdeführers ermordet worden und der Beschwerdeführer danach im Alter von vier Jahren mit seiner Familie nach Pakistan geflüchtet; bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohe dem Beschwerdeführer jedoch nunmehr keine Verfolgung mehr durch die Feinde des Vaters bzw. seiner Familie. Es sei auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2015 selbst in Afghanistan bedroht worden bzw. überhaupt nochmals nach Afghanistan zurückgekehrt sei. Auch wegen seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit drohe dem Beschwerdeführer keine Verfolgung bei seiner Rückkehr nach Afghanistan. Zur vorgebrachten Konversion zum Christentum führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer sei nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert, der christliche Glaube sei nicht wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden. Dem Beschwerdeführer drohe daher keine asylrelevante Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan. Mangels drohender Verfolgung sei ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen.
Im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz Ghazni, die zu den volatilen und stark von bewaffneten Konflikten betroffenen Provinzen zähle, bestehe jedoch die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen verletzt oder getötet zu werden. Auch die Hauptstadt Kabul sei von innerstaatlichen Konflikten bzw. öffentlichkeitswirksamen Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen betroffen. Dagegen blieben die Provinzen Balkh und Herat von bewaffneten Auseinandersetzungen weitgehend verschont. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass eine Niederlassung in den unter der Kontrolle der Regierung stehenden Städten Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) oder Herat (Stadt) für den Beschwerdeführer eine Gefahr für seine körperliche Integrität aufgrund von Kampfhandlungen bzw. Anschläge bedeuten würde. Allerdings sei es dem Beschwerdeführer nicht möglich, bei einer Niederlassung in diesen Städten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, so wie es auch seine Landsleute führen könnten. Er liefe in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer sei ein junger nicht ganz gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter. Er habe jedoch lediglich die ersten vier Jahre seines Lebens in Afghanistan verbracht. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass er mit den dortigen Gegebenheiten sowie den Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vertraut sei. Im Fall seiner Rückkehr sei der Beschwerdeführer gezwungen, sich als Fremder im eigenen Land niederzulassen. Der Beschwerdeführer sei als Rückkehrer nach langer Abwesenheit erkennbar und müsse mit Diskriminierungserfahrungen rechnen, was eine Erschwernis bei der Unterkunfts- und Arbeitssuche darstelle. Nach den Länderinformationen komme sozialen Netzwerken, insbesondere der Großfamilie, in Afghanistan eine wichtige Rolle bei der Sicherung des wirtschaftlichen Überlebens, etwa bei der Arbeitssuche, zu. Über solche Netzwerke verfüge der Beschwerdeführer nicht. Durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe könne der Beschwerdeführer nur kurzfristig ein Auslangen finden. Vor dem Hintergrund der allgemein prekären Situation in Afghanistan sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) nicht Fuß fassen und dort kein Leben ohne unbillige Härte führen könnte, sondern in eine ausweglose Situation geraten würde. Damit stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative auch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat nicht zur Verfügung. Dem Beschwerdeführer sei daher der Status des subsidiär Schutzberechtigen zuzuerkennen.
14. Am 3.6.2019 legte der Beschwerdeführer ergänzende medizinische Unterlagen der XXXX betreffend einen stationären Aufenthalt im Krankenhaus im Zeitraum 14.5.2019 und 24.5.2019 und die Durchführung einer Operation an seiner Wirbelsäule vor. Weiter übermittelte er eine Bestätigung des Vereins XXXX vom 31.5.2019 zum Beweis seiner aktiven Teilnahme an Bibelstunden und dem Gottesdienst.
15. Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom 18.6.2019 um Übermittlung des am 2.5.2019 aufgenommenen Verhandlungsprotokolls. Diesem Ersuchen kam das Bundesverwaltungsgericht am 19.6.2019 nach.
16. Am 8.7.2019 langte eine außerordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 6 Z 2 B-VG des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl beim Bundesverwaltungsgericht ein, welche sich gegen die Spruchpunkte A.II. und A.III. des Erkenntnisses vom 27.5.2019, W104 2161854-1/10E, richtet. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der näher zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative abgewichen. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sei dem Beschwerdeführer die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar, zumal er, wenn auch in Pakistan, im afghanischen Familienverband aufgewachsen und sozialisiert worden sei.
17. Das Bundesverwaltungsgericht legte dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Verwaltungsakt der belangten Behörde sowie dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes vor, übermittelte den Parteien die außerordentliche Revision und teilte ihnen mit, dass allfällige weitere Eingaben ausschließlich beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen seien.
18. Mit Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0282-11, erklärte der Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision der belangten Behörde für zulässig und berechtigt und hob das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes in seinen Spruchpunkten A.II. und A.III. infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Beschwerdeführer mit den Gegebenheiten sowie den Lebensgewohnheiten, Sitten und Gebräuchen in Afghanistan nicht vertraut sei, sei nicht nachvollziehbar. Es ergebe sich nicht, dass sich die Situation des Beschwerdeführers maßgeblich von jener unterscheide, in der sich afghanische Staatsangehörige befinden, die sich Zeit ihres Lebens in Afghanistan aufgehalten hätten und gleichfalls keine detaillierten Ortskenntnisse betreffend die afghanischen Großstädte aufweisen würden. Auch wenn in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien) von einer Dürre in den Provinzen Herat und Balkh berichtet werde, könne allein daraus noch nicht darauf geschlossen werden, dass eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK infolge des Fehlens der Lebensgrundlage bei Niederlassung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat bestünde. Von Relevanz könne in diesem Zusammenhang die aktuelle Versorgungslage sein, die sich in den genannten Städten im Entscheidungszeitpunkt ergebe. Dazu habe das Bundesverwaltungsgericht jedoch keine aktuellen Länderberichte eingeholt bzw. keine Feststellungen getroffen. Dies stelle einen Verfahrensmangel dar, da das Bundesverwaltungsgericht seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde legen hätte müssen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben. Das angefochtene Erkenntnis sei daher in seinen Spruchpunkten A.II. und A.III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 3 Z 3 lit c VwGG aufzuheben.
19. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte mit Schreiben vom 6.11.2020 eine mündliche Beschwerdeverhandlung für den 17.12.2020 an, brachte Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer sowie der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme.
20. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom 13.11.2020 mit, dass ein informierter Vertreter an der Beschwerdeverhandlung teilnehmen werde.
21. Mit Schreiben vom 3.12.2020 gab die bisherige Rechtsvertretung des Beschwerdeführers, die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, bekannt, dass der Beschwerdeführer die Vertretungsvollmacht gekündigt habe und nunmehr von einem Rechtsanwalt vertreten werde. Am 16.12.2020 langte eine Vollmachtsbekanntgabe von Dr. Peter LECHENAUER und Dr. Margrit SWOZIL, Rechtsanwälte, für den Beschwerdeführer ein.
22. Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts am 17.12.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, ein Vertreter der belangten Behörde und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen familiären Verhältnissen, seinen Befürchtungen im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan und zu seinem derzeitigen Leben in Österreich befragt. Der Beschwerdeführer verwies dabei insbesondere auf seine Erkrankungen und führte aus, er sei in Österreich operiert worden und müsse regelmäßig Medikamente einnehmen. In der mündlichen Verhandlung wurden ein Befundbericht der neurologischen Notfallambulanz der XXXX vom 18.6.2019 samt Arbeitsunfähigkeitsmeldung, ein Versicherungsdatenauszug und ein Mietvertrag vorgelegt und zum Akt genommen. Zur Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Frist von 14 Tagen eingeräumt.
23. Mit Urkundenvorlage vom 18.12.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 30.12.2020, legte der Beschwerdeführer ein Konvolut medizinischer Unterlagen vor. Diese Urkundenvorlage übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der belangten Behörde mit Schreiben vom 5.1.2021 zur Kenntnisnahme und allfälligen Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen.
24. Mit Schreiben vom 11.1.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 16.12.2020 ins Verfahren ein. In einem gab das erkennende Gericht den Parteien die Möglichkeit, dazu binnen einer Frist von zwei Wochen Stellung zu nehmen.
25. Am 25.1.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zur Länderberichtslage beim Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen Vorbringen zur allgemeinen Sicherheitslage erstattet wird.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Diverse Bestätigungsschreiben betreffend den Besuch von Deutschkursen;
? Teilnahmebestätigung des ÖIF betreffend Teilnahme am Werte- und Orientierungskurs vom 7.3.2017;
? Bestätigung der XXXX über Teilnahme am Kurs „Sexualaufklärung und Kulturelle Bildung“ am 11.4.2017 (undatiert);
? Bestätigung des WIFI XXXX für die kostenlose Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Kurs „Brückenkurs zum Pflichtschulabschluss“ im Zeitraum 24.4.2017 bis 6.7.2017 vom 21.4.2017;
? Teilnahmebestätigung der XXXX betreffend die Teilnahme am Projekt XXXX bestehend aus mehreren Workshops und Einzelberatungen vom 26.4.2017 und vom 9.6.2017;
? Bestätigung des WIFI XXXX betreffend Teilnahme am „Brückenkurs zum Pflichtschulabschluss“ im Zeitraum 24.4.2017 bis 6.7.2017 vom 6.7.2017;
? ÖSD Zertifikat A1 „gut bestanden“ vom 20.7.2017;
? Bestätigung der XXXX betreffend die Teilnahme am Kurs „ XXXX – Basisbildungskurs kompakt“ im Zeitraum 18.9.2017 bis 9.2.2018 vom 9.2.2018;
? Zeugnis zur Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz (Niveau: A2) und zu Werte- und Orientierungswissen vom 25.1.2019;
? Bestätigung des WIFI XXXX betreffend Teilnahme an der Veranstaltung „FIT – Elektrikerin/Elektriker – Vielfalt als Chance“ im Zeitraum 4.2.2019 bis 8.2.2019 vom 8.2.2019;
? Bestätigung der XXXX betreffend den Besuch des Einstiegsmoduls für den Pflichtschulabschluss seit 25.2.2019 vom 30.4.2019;
? Vereinbarung „Gemeinnützige Beschäftigung für Asylwerbende“ der Stadtgemeinde XXXX vom 27.3.2018;
? Servicecard des Betriebsrates der XXXX für die Jahre 2018 bis 2022 samt Bestätigungsschreiben über ehrenamtliche Tätigkeit vom 18.9.2018;
? Versicherungsdatenauszüge (Stand 1.12.2020 und 10.12.2020);
? Mietvertrag vom 9.5.2020;
? Urkunde betreffend die Teilnahme am Refugee-Fußballturnier vom 21.5.2016;
? Diverse Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben;
? Konvolut an medizinischen Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer;
? vier Lichtbilder, die den Bruder des Beschwerdeführers und dessen Verletzung zeigen sollen;
? Taufzertifikat der freikirchlichen Gemeinde „ XXXX “ vom 14.10.2018;
? Bestätigung der freikirchlichen Gemeinde „ XXXX “ betreffend den Besuch der Bibelstunden und des Gottesdienstes vom 31.5.2019;
? Bestätigung der freikirchlichen Gemeinde „ XXXX “ betreffend die Teilnahme an Bibelkursen und Gottesdiensten vom 10.12.2020.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
? Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl;
? Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht;
? Einsichtnahme in folgende vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Berichte:
- Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 16.12.2020;
- European Asylum Support Office (EASO): Country Guidance: Afghanistan, June 2019; https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf;
- European Asylum Support Office (EASO): Country of Origin Information Report: Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017; https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports
- European Asylum Support Office (EASO): Bericht Afghanistan Netzwerke (Übersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), Stand Jänner 2018;
https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports;
- Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, 31.5.2018;
- Ecoi.net – European Country of Origin Information Network: Anfrage-beantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke), 15.2.2013;
- Landinfo, Informationszentrum für Herkunftsländer: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Arbeitsübersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staaten-dokumentation), 23.8.2017; https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf;
? Einsichtnahme in folgende Berichte und Informationen zur aktuell maßgeblichen Situation in Afghanistan aufgrund der COVID-19-Epidemie:
- Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 16.12.2020;
- Homepage der Word Health Organization (WKO), letzter Zugriff jeweils am 5.2.2021;
https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19;
https://covid19.who.int/region/emro/country/af;
- ACCORD, Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.4.2020;
https://www.ecoi.net/de/dokument/2030099.html
- ACCORD, Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.4.2020;
https://www.ecoi.net/de/dokument/2030080.html;
? Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und Berichte.
2. Feststellungen:
2.1. Zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der afghanischen Provinz Ghazni geboren. Er ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und wuchs als schiitischer Moslem auf. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Weiter spricht er Deutsch zumindest auf Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Er ist ledig und kinderlos.
Der Beschwerdeführer lebte bis zu seinem vierten Lebensjahr gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Schwester und seinem jüngeren Bruder im Heimatdorf im familieneigenen Haus. Nach dem Tod seines Vaters reiste der Beschwerdeführer im Alter von etwa vier Jahren gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinem jüngeren Bruder nach Pakistan aus. Der Beschwerdeführer wuchs in Pakistan, Region XXXX in der Stadt XXXX gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und seinem jüngeren Bruder auf. Er besuchte in XXXX lediglich zwei Jahre eine Grundschule und erhielt keine Ausbildung. Ab seinem achten Lebensjahr arbeitete der Beschwerdeführer als Straßenverkäufer. Der Beschwerdeführer war seit seiner Ausreise im Alter von vier Jahren nicht mehr in seinem Herkunftsstaat Afghanistan. Auch im Jahr 2015 kehrte er nicht nach Afghanistan zurück, um dort Arbeit zu suchen.
Der Vater des Beschwerdeführers verstarb, als der Beschwerdeführer ungefähr vier Jahre alt war. Auch die Schwester des Beschwerdeführers ist zwischenzeitlich wegen Herzbeschwerden gestorben. Die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Pakistan. Derzeit hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt zu seiner in Pakistan lebenden Familie. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte dafür aufgekommen, dass die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers diesen im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan finanziell von Pakistan aus unterstützen könnten. Der Beschwerdeführer verfügt über keine – allenfalls auch entfernten – Verwandten in Afghanistan. Er hat in Afghanistan kein soziales Netzwerk.
Der Beschwerdeführer leidet unter mehreren gesundheitlichen Einschränkungen bzw. Beeinträchtigungen und befindet sich seit zumindest 2018 laufend in ärztlicher Behandlung: Im September 2018 wurde dem Beschwerdeführer von Dr.med. XXXX , Fachärztin für Neurologie, mit Befundbericht vom 10.9.2018 eine rezidivierende Schwindelsymptomatik unklarer Genese, eine posttraumatische Belastungsstörung, eine familiäre Belastungsreaktion, eine geringe arteriosklerotische Gefäßveränderung (extracraniell) derzeit ohne klinische Relevanz, ein unerschöpflicher Endstellnystagmus und eine chronische Cephalea (Spannungskopfschmerz) diagnostiziert. Weiter wurde festgehalten, dass sich das am 3.7.2018 durchgeführte Schädel-CT unauffällig zeigte. Dr.med. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, bestätigte mit Schreiben vom 30.4.2019, dass der Beschwerdeführer noch immer unter regelmäßigen Kopfschmerzen, Schwindel und Konzentrationsstörungen leidet, wobei es nach wie vor keine Erklärung für diese Symptomatik gebe. Der Beschwerdeführer wurde daher zur weiteren Abklärung an Dr. XXXX , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, überwiesen.
Nach einem Treppensturz im Jahr 2019 traten beim Beschwerdeführer Rückenbeschwerden, Bandscheibenprobleme und Schmerzen im linken Bein auf. Am 14.5.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen einer akuten Extensorenschwäche und lumboischialgieformen Beschwerden in der XXXX , Uniklinik für Neurochirurgie, Wirbelsäulenstation vorstellig. Dort wurde eine CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule durchgeführt und dem Beschwerdeführer ein Diskusprolaps lumbal (lumbaler Bandscheibenvorfall) diagnostiziert. Es erfolgte die stationäre Aufnahme des Beschwerdeführers zur weiteren Therapie. Am 15.5.2019 wurde der Beschwerdeführer operiert, wobei eine mikrochirurgische interarcuäre Discusextraktion L4/L5 links (Entfernung der geschädigten Bandscheibe bzw. des Bandscheibenvorfalls) durchgeführt wurde. Am 24.5.2019 wurde der Beschwerdeführer mit der Diagnose einer akuten Lumboischialgie (Wurzelreizsymptom) mit Extensorenschwäche links bei kernspintomographisch-gesichertem Discusprolaps (Bandscheibenvorfall) L4/L5 links entlassen. Dem Beschwerdeführer wurde empfohlen, längeres Stiegensteigen und größere Belastungen zu vermeiden. Der Beschwerdeführer wurde für Juni 2019 zur Kontrolle bestellt und erhielt Brufen 600 mg 1-0-1 und Pantoloc 40 mg 1-0-0 als Medikation.
Am 18.6.2019 fand sich der Beschwerdeführer in der Neurologischen Notfallambulanz der XXXX ein, wo sich klinisch-neurologisch ein radikuläres Syndrom L5 mit leichter Schwäche für die Vorfußhebung und einer Hypästhesie (herabgesetzte Druck- bzw. Berührungsempfindung) im Dermatom L5 links zeigte. Im CT der Lendenwirbelsäule zeigte sich korrelierend zu den Beschwerden der Verdacht auf eine erneute mechanische Radikulopathie (Reizung oder Schädigung einer Nervenwurzel) L5 links. Dem Beschwerdeführer wurde ein radikuläres Syndrom L5 links bei Verdacht auf Rezidivprolaps (neuerlicher Bandscheibenvorfall) L4/L5 links und eine Vorfußheberschwäche KG 4 links diagnostiziert. Er wurde mit der Therapieempfehlung Naprobene 500 mg 1-0-1, Novalgin 30gtt bis zu drei Mal täglich und Pantoloc 20 mg 1-0-0 entlassen. Weiter wurde dem Beschwerdeführer Physiotherapie empfohlen.
Am 19.6.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen fortbestehender Schmerzen im Bereich der linken Hüfte und einem fortbestehenden Taubheitsgefühl im Dermatom L5 links in der Neurochirurgischen Ambulanz der XXXX , Uniklinik für Neurochirurgie, vorstellig. Weiter klagte er über einen dumpfen Kopfschmerz und Schwierigkeiten beim Sehen. Das angefertigte Schädel-CT fiel jedoch unauffällig aus. Das ergänzte Lendenwirbelsäulen-CT zeigte keinen Hinweis auf eine raumfordernde Nachblutung oder einen großen Rezidivdiscusprolaps. Bei der Untersuchung zeigte sich ein endlagig positives Lasegue-Zeichen links und eine diskrete Parese im Bereich der Fußheber links (4/5) sowie der Großzehenheber (2/5) links, beides vorbestehend. Dem Beschwerdeführer wurde eine Lumboischialgie (Wurzelreizsymptom) links bei Zustand nach Discektomie (Entfernung von geschädigtem Bandscheibengewebe) L4/L5 links am 15.5.2019 diagnostiziert. Zur weiteren Abklärung der Beschwerden wurde eine Vorstellung an der Augenambulanz sowie ergänzend ein MRT der Lendenwirbelsäule empfohlen. Aufgrund seiner Beschwerden war der Beschwerdeführer von 2.7.2019 bis 22.9.2019 arbeitsunfähig.
Am 10.8.2020 wurde dem Beschwerdeführer in der Neurologischen Notfallambulanz der XXXX , Uniklinik für Neurologie ein Lumbovertebralsyndrom (unspezifische, akute Rückenschmerzen, auch mit ausstrahlenden Schmerzen in die Beine) diagnostiziert. Als Therapie wurden dem Beschwerdeführer unter anderem die konsequente Einnahme von Diclofenac 75 mg ret. 1-0-1 für fünf bis sieben Tage, moderate Bewegung und Physiotherapie empfohlen.
Zuletzt war der Beschwerdeführer von 28.12.2020 bis 30.12.2020 in stationärer Behandlung in der XXXX , Uniklinik für Neurologie, um den Verdacht einer schlaffen Hemiparese (Halbseitenlähmung) links abzuklären. Am 30.12.2020 wurde der Beschwerdeführer mit den Diagnosen Hemiparese (Halbseitenlähmung) sowie Hemihypästhesie (herabgesetzte Berührungs- bzw. Schmerzempfindung) links ohne neuroanatomisches Korrelat in erster Line funktionell, radikuläres Syndrom L5 links bei Diskusprolaps L4/5 links und Diskusextraktion 05/2019 und rezidivierende Zephalgien (Kopfschmerzen) nach Kopftrauma mit Blutgerinnsel 2009 in Pakistan entlassen. Die medikamentöse Therapie umfasst die Einnahme von XXXX 10 mg 0-0-0-1, Diclofenac 75 mg ret. bei Schmerzen bis zu 2x täglich und Bioflorin 1-0-0-0. Weiter wurden dem Beschwerdeführer psychologische Betreuung im niedergelassenen Bereich und das Durchführen von Physiotherapie im ambulanten Bereich nahegelegt. Gleichzeitig befindet sich der Beschwerdeführer nach wie vor wegen der Diagnosen Zustand nach Discusextraktion L4/5, chronisches Lumbalsyndrom, chronische Cephalea und posttraumatische Belastungsstörung in ärztlicher und physiotherapeutischer Behandlung. Von 18.2.2021 bis 12.3.2021 ist ein Kur-Aufenthalt des Beschwerdeführers im XXXX in XXXX geplant. Regelmäßige fachärztliche Kontrollen und physiotherapeutische Behandlungen sind im Fall des Beschwerdeführers unbedingt erforderlich. Aufgrund seiner Erkrankungen ist der Beschwerdeführer mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit konfrontiert und kann nicht jedwede Arbeit verrichten. Insbesondere ist dem Beschwerdeführer körperlich schwere Arbeit nicht möglich.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer stellte am 22.7.2015 seinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet und hält sich seither durchgehend in Österreich auf. Er ist erwerbstätig und bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
Der Beschwerdeführer hat seit seiner Einreise an mehreren Deutsch- und Integrations- bzw. Basisbildungskursen teilgenommen. Im März 2017 besuchte der den Werte- und Orientierungskurs des ÖIF und legte im Juli 2017 eine Prüfung zu seinen Deutschkenntnissen auf Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens mit der Bewertung „gut beanstanden“ ab. Im Jänner 2019 absolvierte der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz aus Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen und zu Werte- und Orientierungswissen. Der Beschwerdeführer besuchte auch einen Brückenkurs zum Pflichtschulabschluss und begann anschließend einen Pflichtschulabschluss-Lehrgang, den jedoch er wegen seiner gesundheitlichen Beschwerden abbrechen musste. Im April und Mai 2018 war der Beschwerdeführer gemeinnützig für die Stadtgemeinde XXXX tätig, wo er Hilfstätigkeiten im Rahmen des Gemeindebauhofes erbrachte, die Amphibienschutzanlage betreute, Grünflächen reinigte und bei der Pflege der Wanderwege mithalf. Anschließend engagierte er sich von Mai bis September 2018 ehrenamtlich bei der XXXX , wo er Gartenarbeiten durchführte. Seit September 2019 ist er Beschwerdeführer durchgehend erwerbstätig. Derzeit ist er seit September 2020 als Küchenhilfe in einem Asia-Restaurant beschäftigt. Seit Mai 2020 bewohnt der Beschwerdeführer eine eigene Mietwohnung in XXXX . In seiner Freizeit war der Beschwerdeführer sportlich sehr aktiv, spielte Fußball oder besuchte das Fitnessstudio. Diese Aktivitäten musste der Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankung jedoch einstellen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte – auch zu österreichischen Staatsbürgern – geknüpft und besucht regelmäßig den Sonntags-Gottesdienst der freikirchlichen Gemeinde „ XXXX “.
In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige wichtige Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.
2.2. Zu den Fluchtgründen und der Rückkehrsituation des Beschwerdeführers
Mit Erkenntnis vom 27.5.2019, W104 2161854-1/10E, wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.I.). Dieser Spruchpunkt war nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof und wurde vom Verwaltungsgerichtshof nicht mit Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0282-11, aufgehoben.
Über die Fluchtgründe des Beschwerdeführers wurde daher bereits mit Spruchpunkt A.I. des Erkenntnisses vom 27.5.2019, W104 2161854-1/10E, rechtskräftig abgesprochen. Es werden daher keine (neuerlichen) Feststellungen zu den vorgebrachten Fluchtgründen des Beschwerdeführers getroffen.
Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Ghazni) zählt zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Aufständische, darunter die Taliban, sind in einigen Distrikten aktiv und versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Es kommt häufig zu Kämpfen in der Provinz, wobei die Taliban Sicherheitsposten, Militäreinrichtungen oder Konvoys der Regierung angreifen und die Regierungskräfte das Feuer erwidern. Hauptursache für zivile Opfer sind Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und Kämpfen am Boden. Im Juli 2020 drangen die Taliban bis in die Nähe des Sicherheitsgürtels um die Stadt Ghazni vor und blockierten die Straßen zur Provinzhauptstadt. Im Oktober 2020 standen mehrere Distrikte der Provinz unter der Kontrolle der Taliban, während zahlreiche andere Distrikte als umkämpft galten.
Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.
Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban und anderer militanter Gruppierungen betroffen. Kabul verzeichnet eine hohe Anzahl ziviler Opfer. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch.
Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.
Die Provinzen Balkh und Herat zählten zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, die vom Konflikt relativ wenig betroffen sind. In Balkh hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen der abgelegenen Distrikte der Provinz verschlechtert, da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen. Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz. Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari als umkämpft galten. Die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif ist davon jedoch wenig betroffen und gilt nach wie vor als vergleichsweise sicher. Im Jahr 2019 kam es beinahe monatlich zu kleineren Anschlägen mit improvisierten Sprengkörpern, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif jedoch so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein.
Die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen Afghanistans. Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, ist die Hauptstadt der Provinz – Herat (Stadt) – davon wenig betroffen. In Herat (Stadt) kam es in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte. Die Distrikte um die Stadt Herat stehen unter der Kontrolle der Regierung. Je weiter man sich von der Stadt Herat, die im Jänner 2019 als „sehr sicher“ galt, und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban. Herat (Stadt) gilt trotz Anstiegs der Kriminalität nach wie vor als relativ sicher.
Sowohl Mazar-e Sharif in Balkh als auch Herat (Stadt) stehen unter Regierungskontrolle. Beide Städte verfügen über einen internationalen Flughafen, über den sie sicher erreicht werden können.
Die Provinzen Balkh und Herat waren im Jahr 2018 von einer Dürre betroffen. Durch die sozioökonomischen Auswirkungen der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus und den damit einhergehenden Anstieg der Lebensmittelpreise hat die Ernährungsunsicherheit inzwischen wieder ein ähnliches Niveau erreicht wie während dieser Dürre. Aufgrund der derzeit bestehenden Pandemie durch das Corona-Virus ist der Zugang zu einer medizinischen Versorgung in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) zwar vorhanden, jedoch beschränkt. In Krankhäusern sind sogenannte „Fix-Teams“ stationiert, die verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort untersuchen und in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung stehen. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet. Aufgrund kurzfristiger Lockdowns kann auch die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeitlich begrenzt eingeschränkt sein, wenngleich es gegenwärtig weder in Mazar-e Sharif, noch in Herat (Stadt) Ausgangssperren gibt. Die Versorgungslage ist angespannt und der Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund der herrschenden COVID-19-Pandemie zusätzlich beschränkt. Aktuell sind alle Grenzübergänge geöffnet. Die internationalen Flughäfen in Mazar-e Sharif und Herat (Stadt) werden aktuell international wie auch national angeflogen. Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Hotels, Teehäuser und andere Möglichkeiten der Unterkunftnahme sind aktuell geöffnet. Mit Stand 21.9.2020 war die Zahl der COVID-19-Fälle in Afghanistan seit der höchsten Zahl der gemeldeten Fälle am 17.6.2020 kontinuierlich zurückgegangen, was zu einer Entspannung der Situation in den Krankenhäusern führte. Zuletzt sind die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten jedoch wieder leicht angestiegen.
Für den Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) kann nicht festgestellt werden, dass diesem die Gefahr droht, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.
Dem Beschwerdeführer wäre es im Fall einer Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) jedoch nicht möglich, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, so wie es auch seine Landsleute führen können. Der Beschwerdeführer leidet an Hemiparese (Halbseitenlähmung) sowie Hemihypästhesie (herabgesetzte Berührungs- bzw. Schmerzempfindung) links ohne neuroanatomisches Korrelat in erster Line funktionell, an einem radikulären Syndrom L5 links bei Diskusprolaps (Bandscheibenvorfall) L4/5 links und Diskusextraktion im Mai 2019, rezidivierenden Zephalgien bzw. chronischen Kopfschmerzen und an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund seiner Erkrankungen ist er nicht in der Lage, jedwede Arbeit anzunehmen und kann insbesondere keine schwere (körperliche) Arbeit verrichten. Der Beschwerdeführer hat keine abgeschlossene Ausbildung, durfte in Pakistan nur zwei Jahre die Schule besuchen und verfügt lediglich über Arbeitserfahrung als Straßenverkäufer in Pakistan. Aufgrund der COVID-19-Pandemie ist die Arbeitsmarktsituation äußerst angespannt, viele Tagelöhner finden keine bzw. nur unzureichende Arbeit. Der Beschwerdeführer verfügt über kein Vermögen und ist mittellos. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in Pakstan aufgewachsen ist und über kein Unterstützungsnetzwerk in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) verfügt, welches ihn allenfalls zu Beginn unterstützen könnte. Zwar leben die Mutter und der Bruder des Beschwerdeführers in Pakistan, es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass diese in der Lage wären, den Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan von Pakistan aus finanziell zu unterstützen. Damit verfügt der Beschwerdeführer auch außerhalb von Afghanistan über kein unterstützungsfähiges soziales Netzwerk. Aufgrund seiner Erkrankungen ist der Beschwerdeführer auf eine medikamentöse Behandlung, regelmäßige Physiotherapie sowie auf Zugang zu regelmäßigen fachärztlichen Kontrollen angewiesen. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung in Afghanistan ist jedoch durch Mangel an gut an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal, mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Ohne adäquate Behandlung droht dem Beschwerdeführer jedoch eine deutliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Zu den erwähnten körperlichen Erkrankungen des Beschwerdeführers tritt noch eine bestehende posttraumatische Belastungsstörung hinzu. Die Behandlung psychischer Erkrankungen findet in Afghanistan jedoch nicht in ausreichendem Maße statt und ist nicht gesichert. Insbesondere ist die Begleitung durch ein Familienmitglied in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans notwendig. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch über keine Familienangehörigen in Afghanistan. Im Fall einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat (Stadt) liefe der Beschwerdeführer, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuell bestehenden COVID-19-Pandemie und seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Gefahr, mangels sozialer und familiärer Unterstützung sowie mangels ausreichender (leistbarer) Unterkunftsmöglichkeiten grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie seine medizinische, physiotherapeutische und fachärztliche Behandlung, Nahrung, Unterkunft und Kleidung nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Auch wäre die ärztliche Behandlung des Beschwerdeführers im Fall einer Infektion mit COVID-19 nicht gewährleistet.
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat
Die folgenden Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
? Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatendokumentation, Stand 16.12.2020 (im Folgenden: LIB);
? European Asylum Support Office (EASO): Country Guidance: Afghanistan, June 2019 (im Folgenden: EASO);
https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf;
? UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018 (im Folgenden: UNHCR);
? European Asylum Support Office (EASO): Country of Origin Information Report: Afghanistan, Individuals targeted by armed actors in the conflict, December 2017 (im Folgenden: EASO Individuals); https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports;
? European Asylum Support Office (EASO): Bericht Afghanistan Netzwerke (Übersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation), Stand Jänner 2018 (im Folgenden: EASO Netzwerke);
https://www.easo.europa.eu/information-analysis/country-origin-information/country-reports;
? Landinfo, Informationszentrum für Herkunftsländer: Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne (Arbeitsübersetzung durch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staaten-dokumentation), 23.8.2017 (im Folgenden: Landinfo 1);
https://landinfo.no/asset/3590/1/3590_1.pdf;
? Homepage der Word Health Organization (WKO), letzter Zugriff jeweils am 5.2.2021 (im Folgenden: WHO);
https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19;
https://covid19.who.int/region/emro/country/af;
? ACCORD, Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.4.2020 (im Folgenden: ACCORD Masar-e Sharif);
https://www.ecoi.net/de/dokument/2030099.html
? ACCORD, Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.4.2020 (im Folgenden: ACCORD Herat);
https://www.ecoi.net/de/dokument/2030080.html
Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (LIB, Kapitel 5).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 7).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 5).
Aktuelle Entwicklungen
Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 4).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (LIB, Kapitel 5).
Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4).
Im September starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (LIB, Kapitel 4). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt. Für den Berichtszeitraum 01.01.2020-30.09.2020 verzeichnete UNAMA 5.939 zivile Opfer. Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 13% zurückgegangen, das ist der niedrigste Wert seit 2012. Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu. Die aktivsten Konfliktregionen sind in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gehen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (LIB, Kapitel 5).
Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben. Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Doch bisher (Stand 10.2020) hat es keine Fortschritte gegeben, da sich die kriegführenden Seiten in Prozessen und Verfahren verzettelt haben, so diplomatische Quellen (LIB, Kapitel 4).
COVID-19
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf, einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (WHO).
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt. Offiziellen Zahlen der WHO zufolge gab es bis 16.11.2020 43.240 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 1.617 Tote. Mit dem Herannahen der Wintermonate deutet der leichte Anstieg an neuen Fällen darauf hin, dass eine zweite Welle der Pandemie entweder bevorsteht oder bereits begonnen hat (LIB,