Entscheidungsdatum
08.02.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 1430388-2/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.02.2017, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.02.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 05.10.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.10.2012 führte der BF zu seinen Fluchtgründen soweit wesentlich aus, er habe sein Land verlassen, weil er mit Personen in Streit geraten sei. Diese Personen hätten gegen seine gesamte Familie eine falsche Anzeige erstattet. Diese Leute hätten ihn töten wollen, weswegen er geflüchtet sei. Bei einer Rückkehr habe er Angst, von seinen Feinden getötet zu werden.
I.3. In der Einvernahme vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) am 24.10.2012 gab der BF an, seine wirtschaftliche Situation sei zur Zeit seiner Ausreise sei sehr schlecht gewesen. Er sei Sympathisant der Bangladesh Nationalist Party (im Folgenden: BNP), jedoch kein Parteimitglied. Er sei erstmals vom politisch gegnerischen Gemeinderat vor ca. acht Jahren fälschlicherweise wegen Diebstahls angezeigt worden. Er habe jedoch seine Unschuld beweisen können. Vor zwei Jahren sei er einmal festgenommen und geschlagen worden. Hinter diesem Vorfall hätten dieselben Leute gesteckt. Der BF habe dagegen Anzeige erstatten wollen; die Polizei habe seine Anzeige jedoch nicht entgegengenommen. Der BF sei von denselben Personen Ende 2010, Anfang 2011 nochmals zusammen mit seiner ganzen Familie wegen Diebstahls angezeigt und von der Polizei aufgrund eines Haftbefehls gesucht worden. Die Polizei sei insgesamt drei oder vier Mal bei ihm zuhause gewesen. Der BF sei der Hauptbeschuldigte. Der BF sei nach finanzieller Unterstützung durch seine Familie von Bangladesch nach Dubai ausgereist. Zur Zeit seines Aufenthaltes in Dubai hätten seine Gegner nach ihm gesucht. Bei einer Rückkehr fürchte er sich sowohl vor einer Verfolgung durch seine einflussreichen Gegner als auch vor einer Verfolgung durch die Polizei.
I.4. Mit Bescheid vom 24.10.2012, XXXX wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.) und den BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Bangladesch aus (Spruchpunkt III.).
Im Wesentlichsten zusammengefasst führte das BAA in seiner Begründung aus, das Gesamtvorbringen stelle eine ausschließliche gedankliche Konstruktion dar, weil der BF dem BAA trotz Nachfragen einen höchst oberflächlichen, unkonkreten und gesteigerten Sachverhalt ohne Angabe jeglicher Details geschildert habe. Der BF habe zudem kein Beweismittel in Vorlage gebracht. Für die Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens spreche, dass bei tatsächlichem behördlichem Interesse an seiner Person der BF seinerseits zwecks Ausstellung eines Reisedokumentes keinen Kontakt mit Behörden aufgenommen hätte. Auffällig sei weiters, dass der BF in der Erstbefragung angegeben habe, in seinem Herkunftsort fünf Jahre lang die Grundschule besucht zu haben, während er sich vor dem BAA als Analphabet präsentiert habe. Als erwachsener, gesunder und erwerbsfähiger Mann mit familiären Anknüpfungspunkten in seinem Heimatland könne der BF zudem bei einer Rückkehr auch in einem anderen Teil seines Heimatlandes ein zumutbares Auskommen, etwa durch Verrichtung von Gelegenheitsarbeiten, finden.
I.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, in der der BF den angefochtenen Bescheid vollumfänglich wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften anficht.
Infolge eines Streits sei der BF von einer politisch einflussreichen Person wegen Diebstahls angezeigt worden. Der BF und weitere Familienangehörige seien von ihren Gegnern geschlagen und der BF von ihnen auch mit dem Umbringen bedroht worden. Die Polizei habe jedoch keine Anzeige entgegengenommen. Den Länderfeststellungen zufolge sei die Polizei in Bangladesch sehr korrupt, unterstütze die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber. Der BF habe keine Möglichkeit gehabt, Schutz bei den staatlichen Behörden zu suchen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe dem BF nicht offen.
Das BAA habe sich in seiner Entscheidung nur unzureichend mit dem konkreten Vorbringen und der daraus erwachsenden Verfolgungssituation des BF auseinandergesetzt. Dem BF sei auch keine Gelegenheit zur Vorlage von Beweismitteln gegeben worden.
I.6. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 24.10.2012 wurde dem BF für das Beschwerdeverfahren vor dem Asylgerichtshof die XXXX und XXXX , als Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.
I.7. Im Zuge einer Nachreichung zur Beschwerdevorlage legte der BF mit Schreiben vom 23.11.2012 Übersetzungen in die englische Sprache von Unterlagen bezüglich von in Bangladesch gegen ihn anhängiger Strafverfahren – insbesondere Übersetzungen von zwei gegen seine Person gerichteten Haftbefehlen vor.
I.8. Mit E-Mail vom 27.02.2015 übermittelte die Rechtsberatung des BF dem Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung über das Absolvieren gemeinnütziger Arbeit im Ausmaß von insgesamt 120 Stunden, einen in Bangladesch ausgestellten Arztbrief betreffend den Gesundheitszustand seiner Ehefrau, und eine Zuweisung der Salzburger Gebietskrankenkasse des BF wegen chronischer Halsschmerzen vor.
I.9. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.03.2015, XXXX wurde der Bescheid vom 24.10.2012, XXXX , in Erledigung der Beschwerde behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das nunmehr zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) zurückverwiesen.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht soweit wesentlich aus, der BF sei vor dem BAA nur oberflächlich zu seinen Fluchtgründen befragt worden. Das BAA habe sich vor dem Hintergrund der seiner Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen nicht näher mit dem Fluchtvorbringen des BF auseinandergesetzt. Ob dem BF in Bangladesch Bestrafung drohe und, ob die vom BF behaupteten Anzeigen, Verfahren und drohenden Bestrafungen politisch motiviert seien, könne der angefochtenen Entscheidung nicht entnommen werden. Diesbezüglich fehle es an diesbezüglichen Ermittlungen bzw. Feststellungen im Bescheid. Das BAA hätte – auf Grundlage ergänzender Ermittlungen im Heimatland des BF – sich mit dem Fluchtvorbringen in seiner Gesamtheit näher auseinandersetzen müssen.
Das BAA habe den BF insbesondere nicht dazu befragt, ob er Beweismittel zur Untermauerung seines Fluchtvorbringens beibringen könne und habe von selbst auch nicht versucht, solche amtswegig beizubringen.
Ohne die unterlassenen Ermittlungen und Feststellungen erscheine eine sachgerechte Beurteilung des Antrages des BF auf internationalen Schutz und der damit verbundenen Beschwerde ausgeschlossen. Daher sei der Bescheid zu beheben.
I.10. Am 14.07.2015 wurde der BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.
Dabei aufgefordert, seine persönlichen Fluchtgründe darzulegen, führte der BF aus, ein Gegner seiner Familie, XXXX , welcher reich sei und in Dubai lebe, habe seinen Bruder zweimal entführt. Der Grund hiefür sei, dass dieser der Familie des BF illegal das Feld wegnehmen habe wollen. Neben der Straße der Familie sei ein Feld, welches einen Wert von ca. 50 Millionen Taka (ca. € 50.000,– bis € 60.000,–) habe. Befragt, wenn dieser Gegner so reich sei, weshalb er dann das Feld haben wolle, gab der BF an: „Das ist unser einziges Feld, er wollte es illegal wegnehmen.“ XXXX habe noch einen Bruder und die würden sich abwechseln, jeden zweiten Monat kämen sie nach Bangladesch. Sie hätten mehrere Felder illegal weggenommen, es würden ca. 100 Anzeigen „laufen“. Es liefen vier oder fünf Anzeigen gegen die Familie des BF. Aber auch gegen Bewohner des Dorfes des BF, wer den Mund aufmache, werde angezeigt und körperlich angegriffen.
Die Entführungen seien nicht angezeigte worden, weil die Partei des Gegners, die Awami League (im Folgenden: AL) an der Macht sei und der Polizeibezirk die Anzeige nicht angenommen habe. Seine Familie sympathisiere mit der BNP. Der Vater des BF habe den XXXX angezeigt. Der Vater des BF werde immer bedroht und die Polizei komme auch öfter zur Familie des BF. Von ihnen bekomme dann die Polizei Geld, damit sie wieder gehen werde. Wenn die Familie des BF ihnen kein Geld gebe, werde sein Vater angegriffen und es werde nachgefragt, wo die Kinder wären.
Befragt, ob die Eltern des BF jemals mit dem Gedanken gespielt hätten, das Feld zu veräußern, gab der BF an „Das ist das einzige Feld mit dem Grundstück wo wir derzeit leben, die anderen Felder wurden verkauft und mir hat er auch fast 12000 EUR gegeben.“ Sein Bruder sei auf die Polizeistation entführt worden. Die Polizei habe ihn aufgrund des Auftrages von XXXX entführt. Befragt, ob sein Bruder ein- oder zweimal entführt worden sei, gab der BF zu Protokoll: „Er ist ein kleiner Junger. Wir waren nicht zuhause und er wurde entführt, geschlagen und danach ist er nach Indien gegangen. LA: War das jetzt zweimal oder einmal? VP: Zweimal. Das erste Mal ist er frei gekommen und hat sich im Ort versteckt und das zweite Mal wurde er wieder entführt.“
Im Folgenden wurden dem BF einige Vorhalte gemacht: „LA: Neu bringen Sie heute vor, dass gegen Sie bzw. Ihre Familie 4, 5 Anzeigen laufen. Weshalb erwähnen Sie das heute zum ersten Mal? VP: Nein, ich habe vorher auch gesagt, dass drei, vier Anzeigen laufen. LA: Wie viele Anzeigen sollen gegen Ihre Person laufen, wo Sie konkret erwähnt werden? VP: 2 Anzeigen. LA: Ist das Grundstück Ihrer Familie registriert? VP: Ja, auf alle Geschwister. LA: Wenn Sie aufgrund der Grundstücksprobleme – weshalb Sie auch Anzeigen erhalten haben sollen – ausgereist sind. Das Grundstück auf alle Geschwister registriert ist, 5 Geschwister von Ihnen nach wie vor in Bangladesch leben, weshalb mussten ausgerechnet Sie ausreisen? VP: Die Schwestern leben mit deren eigenen Familie und mit Mann zusammen, die bekommt keinen Teil des Grundstückes, wir Brüder bekommen die Anteile. LA: 2 Brüder von Ihnen leben in Bangladesch. Wie können die unbehelligt dort aufhältig sein? VP: Die zwei sind sehr klein. Einer besucht die 8 Schulstufe und der jüngste in die 5. Schulstufe. LA: Sie gaben an, dass zwei Anzeigen gegen Ihre Person laufen. Schildern Sie das bitte ausführlicher! VP: Wegen einer Anzeige habe ich das Land verlassen. Ich wurde geschlagen und deshalb musste ich das Land verlassen. Meiner Mutter wurde auch die rechte Hand gebrochen. Ich habe mich überall versteckt, bei meinen Schwiegereltern und auch bei meinem Schwager. Mit Hilfe meines Schwagers habe ich das Land verlassen. Derzeit lebt mein Schwager auch in Saudi Arabien. LA: Wegen welcher Anzeige mussten Sie das Land verlassen? Schildern Sie bitte genauer, was darin steht? VP: Anzeige von XXXX , der mich geschlagen hat. Ich war fast einen Monat im Krankenhaus, der Herrgott hat mich geschützt, sonst würde ich nicht mehr leben. Mein rechter Fuß ist auch betroffen. LA: Haben Sie die Verletzungen angezeigt? VP: Seine Partei ist an der Macht, die Polizei hat keine Anzeige angenommen. Wenn wir zur Polizeistation gehen, geht gar nichts, aber wenn diese Leute einmal anrufen, funktioniert alles. LA: Haben Sie versucht, Anzeige zu erstatten? VP: Ja, ich habe es versucht, aber es wurde nicht angenommen. LA: Wo haben Sie es versucht? VP. In der Polizeiinspektion und auch beim Gericht, wurde aber nicht angenommen. LA. Welche Polizeiinspektion, welches Gericht? VP: Polizeiinspektion XXXX und das XXXX . LA: Was wurde Ihnen gesagt von der Polizeistation und dem Gericht? VP: Man hat mir gesagt, wir dürfen die Anzeige nicht annehmen, jemand hat angerufen und ich glaube, dass er mit Geld alles erkauft hat.“ Der BF sei 2011, am Ende des zehnten Monats, geschlagen worden. Damit meine er nicht etwa Oktober, sondern Ende 2010, Anfang 2011 sei er hierhergekommen. Da sei er nach Dubai gekommen. Sein Schwager habe das irgendwie organisiert. Der BF sei Analphabet, er könne sich nicht genau erinnern, wann er geschlagen worden sei. Dem BF wurde vorgehalten, dass er in der Erstbefragung von fünf Jahren Grundschule gesprochen habe. Dazu gab er zu Protokoll: „Nein, ich habe das nicht so gesagt. Ich kann nicht mal unterschreiben, die Unterschrift habe ich in Österreich gelernt.“ Der BF sei einen Monat im Krankenhaus XXXX behandelt worden. Der BF sei danach noch ca. acht, neun Monate in „[ü]berall“ Bangladesch aufhältig gewesen. Ab und zu bei seinen Schwiegereltern, ab und zu bei Bekannten. In dieser Zeit hätte niemand den BF erwischt, sonst hätten sie ihn umgebracht. Sein Schwager habe alles organisiert und sei jetzt auch im Ausland. Im Auftrag von XXXX seien drei Leute umgebracht worden. Der BF habe gehört, dass diesbezüglich Anzeigen nicht angenommen wären. Was in der vorgelegten Anzeige stünde, wisse der BF nicht, weil er nicht lesen könne. Er wisse, dass er in der Anzeige genannt werde, weil er seinen Namen lesen könne. Sein Bruder, der derzeit in Indien lebe, habe ihm die Anzeige übermittelt. Soweit der BF wisse, werde in der Anzeige seinen Eltern, seinen Brüdern, seinen Cousins (und wohl auch dem BF [arg.: „wir“]) vorgeworfen, sie hätten Geld und Schmuck gestohlen. Den Inhalt der Anzeige habe der BF von seiner Familie erfahren. Im Nachbarort habe es fünf, sechs Monate später auch einen Mord gegeben und der Name des BF sei „rein geschrieben“ worden. Dem BF wurde vorgehalten, dass er ja den Beweis hätte, dass er nicht im Land gewesen sein könnte, wenn er bereits ausgereist worden sei. Dazu gab der BF an, er habe das Land verlassen, weil er geschlagen, bedroht und am Kopf verletzt worden sei. Die Frage wurde wiederholt und der BF gab dazu an: „Wahrscheinlich haben sie nicht gewusst, dass ich das Land verlassen habe. Später hat er erfahren, dass ich mich in Dubai aufhalte und deshalb habe ich auch Dubai verlassen.“ Dem BF wurden im Weiteren Vorhalte gemacht: „LA: Sie gaben in der Ersteinvernahme an, vor acht Jahren einmal angezeigt worden zu sein und das Ermittlungsverfahren ergab, dass Sie unschuldig sind. Weshalb mussten Sie nach der aktuellen Anzeige, die auf denselben Gründen basiert, ausreisen, wenn Sie abermals unschuldig sind? VP: Es stimmt, damals war es wegen einem Reisfeld. Er hat die Anzeige erstattet, ich hätte illegal die Reispflanzen weggeschnitten. Jetzt geht es über unser Grundstück. Der Gemeindevorsitzende hat versucht mit beiden Parteien eine Lösung zu finden, aber das hat auch nicht funktioniert. LA: Verstehe ich es richtig, die Gemeinde hat versucht, den Streit zu schlichten? VP: Der Gemeindevorsitzende hat versucht eine Lösung zu finden und eine Diakoniebetreuung in Österreich hat gesagt, ich soll mir ein Schreiben des Vorsitzenden schicken lassen und die Beschreibung habe ich auch mit. VP legt ein fremdsprachiges Dokument in Kopie vor.“ Der BF wurde im Folgenden zu den Anzeigen befragt. Zum Übergriff auf seine Person befragt gab der BF zu Protokoll: „Von meinem Haus ist ungefähr 2,5 km das Ortszentrum entfernt. Ich bin am Abend auf dem Weg zurück nachhause gewesen gegen 20 oder 21 Uhr. Vor mir war ein älterer Herr, die Leute haben mich aufgehalten, es war nebenan ein Friedhof wo kein Strom und kein Licht ist, dorthin haben sie mich mitgenommen. Ich habe gesehen, dass es ungefähr 5, 6 Personen gewesen sind und ich habe einen Schlag auf den Kopf bekommen und habe nichts mehr mitbekommen. Nebenan war ein Fluss gewesen, ein kleiner Kanal, jemand war mit einem kleinen Boot unterwegs, er hat mich gefunden und zum Arzt gebracht. Das hat er mir nachher erzählt. Befragt, war das jemand der vom Ortszentrum in meinen Ort unterwegs ist. Er ist jemand der ein paar Häuser neben uns wohnt.“ Als er unterwegs gewesen sei, habe er niemanden gesehen. Sie hätten ihn von hinten festgenommen, den Mund zugeklebt und mit Gewalt mitgenommen. Der ältere Herr vor ihm habe glaublich nichts mitbekommen, der BF habe ihn gesehen. 15 Tage später sei der BF in einem Krankenhaus aufgewacht. Der BF habe das nicht gesehen, weil sie von hinten und von der Seite gekommen seien. Er habe gar nichts gesehen, er habe nicht einmal schreien können. Er habe nicht in anderen Landesteilen ausweichen können, weil es seit die AL an der Macht sei, es Voter ID-Cards gebe und die Regierung könne im Computer nachschauen und „die Personen“ finden. Ohne diese Karten bekomme man auch keine Wohnung. Der BF habe eine solche Karte nicht.
Im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch sei das Leben des BF in Gefahr. Entweder seine Gegner brächten ihn um oder die Polizei nehme ihn fest.
I.11. Am 17.01.2017 wurde der BF neuerlich vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen soweit wesentlich zu Protokoll XXXX sei ein Gegner der Familie des BF. Er habe der Familie Felder unrechtmäßig wegnehmen wollen. Er habe so viele Felder von Leuten illegal weggenommen. Bei einer Auseinandersetzung habe er die Mutter des BF geschlagen und ihre Hand gebrochen. Er habe den BF geschlagen und er sei ca. einen Monat im Krankenhaus Osmani gewesen. Danach habe er sein Haus verlassen, sei zu seinen Schwiegereltern gegangen und habe sieben bis acht Monate im Verborgenen gelebt. Er habe den BF angezeigt, deswegen habe er das Land verlassen müssen. Seine Geschwister bzw. meine Brüder seien alle im Ausland, sie dürften nicht in die Heimat zurück. Das sei der einzige Grund des BF.
Die Felder hätte er schon weggenommen. Angezeigte Angehörige seien versteckt oder weggegangen. Befragt, warum ausgerechnet der BF habe fliehen müssen und etwa nicht das Familienoberhaupt, gab der BF an: „Ich habe mit XXXX gestritten und er hat mich geschlagen.“ Der BF brachte zahlreiche Unterlagen in Vorlage.
Seine zwei Brüder hätten nicht das Land verlassen, weil sie noch klein seien und zur Schule gingen. Ende 2010 sei der körperliche Angriff auf den BF gewesen. Der BF habe erst Ende 2011 das Land verlassen, weil er versucht habe, an anderen Orten zu wohnen, damit die Situation ruhiger werde. Schließlich habe sich der BF dazu entschlossen, dass dies nicht ginge und er das Land verlassen müsse. Zum Ablauf des Angriffes befragt, gab der BF zu Protokoll: „(VP deutet Augenbinden an) von hinten haben sie mit etwas meine Augen geschlossen. (VP deutet mit Zeigefinger auf die Stirn, aufs Bein und auf die Seite) nach dem ersten Schlag auf meinen linken Augenbereich habe ich nichts mehr mitgekriegt. Danach wie ich meine Augen aufgemacht habe im Krankenhaus haben mir die Leute erzählt, wie sie mich gefunden und ins Krankenhaus gebracht haben. Ich habe mich dann im Haus meiner Schwiegereltern versteckt. Wie ich mich schließlich zum Verlassen meines Landes entschieden habe hatte ich keinen Pass. Den hat irgendwie mein Schwager organisiert (VP wird erklärt, dass die Flucht ansich und die Fluchtroute später thematisiert wird)“. Er sei zur Polizei gegangen, aber diese habe ihm nicht helfen können.
Wann sein Bruder entführt worden sei, könne der BF nicht sagen. Der BF sprach in der Einvernahme wiederholt undeutlich. Ca. vor zwei Jahren seien die Entführungen gewesen. Zu den Entführungen seines Bruders gab der BF folgendes an: „LA: Wann wurde Ihr Bruder entführt also datumsmäßig? VP: Leider, das kann ich nicht sagen. (VP redet undeutlich) VP wird ersucht, das undeutlich Gesagte zu wiederholen LA: Datumsmäßig kann ich es Ihnen nicht sagen, aber meine Eltern haben mir mitgeteilt, dass er entführt wurde und so und so (VP gestikuliert mit der Hand) LA: Wissen Sie, wie lange die Entführungen in etwa her sind? Von heute zurückgerechnet. VP: Cirka zwei Jahre. LA: Wie viel Zeit verging zwischen den Entführungen? VP: Ein mal 10 bis 15 Tage, das andere mal 4 bis 5 Tage. LA: Er wurde zwei Mal entführt, oder? VP: Ja. LA: Wenn Sie mir zwei verschiedene Abstandszeiten nennen muss es aber drei Entführungen gegeben haben. VP: Er wurde zwei Mal entführt. LA zeichnet eine Zeitleiste und erkundigt sich, was das dritte Ereignis ist. VP: Zwei mal wurde er entführt, ich habe so cirka 10-15 Tage, und das zweite Mal 4-5 Tage gesagt. LA: Also Sie meinen den Zeitraum, den Ihr Bruder bei seinen Entführern verbrachte? VP: Das war cirka gedacht, aber ich weiß nicht genau, ob das richtig ist 10 Tage oder 15 Tage. LA: Wie viel Zeit verging ZWISCHEN den Entführungen? VP: Zwischen den Entführungen waren cirka 7-8 Monate, dann war die zweite Entführung. LA: Von wem wurde Ihr Bruder entführt? VP: Mit Hilfe von XXXX oder in seinem Auftrag hat die Polizei ihn entführt. LA: Wo fand diese Entführung statt? VP: Im Ortszentrum unsres Dorfes. Einmal vom Ortszentrum, einmal zu Hause. LA: Was haben die Polizisten mit Ihrem Bruder gemacht? Wissen Sie da etwas? VP: Misshandelt, geschlagen und Geld verlangt. Und mit Hilfe des Lehrers, weil mein Bruder ist engagierter Schüler, er hat zwei Mal Stipendien bekommen, deswegen hat der Lehrer geholfen.“ Gegen den BF sei eine falsche Anzeige erstattet worden. Seine Familie hätte in einem Geschäft und einem Haus Geld und Schmuck geraubt. Das Datum der Anzeige könne er nicht nennen. Einmal sei der BF angezeigt worden, daraufhin habe er das Land verlassen müssen. Eine zweite Anzeige habe es nach seiner Ausreise gegeben. Der BF habe sich versteckt, er sei nicht vor Gericht erschienen. Die zweite Anzeige sei noch aufrecht. Die Polizei habe nach dem BF gesucht. Würde er zurückkehren, würde er von der Polizei festgenommen und umgebracht. Zu den Vorwürfen gegen den BF gab er zu Protokoll: „LA: Was genau soll bei der Auseinandersetzung zwischen AL und BNP passiert sein? VP: Bei der Auseinandersetzung von den zwei Parteien bzw. ihren Mitgliedern ist jemand am Tatort verstorben. LA: Wissen Sie etwas über die genauen Umstände? VP: Von oben hat jemand runtergeschoben, er ist nach unten gefallen und auf eine Eisenstange gefallen. Und am Tatort verstorben. LA: Also derjenige starb durch einen Sturz auf eine Eisenstange? VP: Stimmt. Ein Parteimitglied der BNP sagt, die AL hätte ihn hinuntergestoßen, die AL sagt, die BNP hätte den Mann selbst umgebracht. Es war ein BNP-Mitglied, das gestorben ist. LA: Und Sie sollen angeblich mitgeholfen haben, ihn hinunterzuwerfen? VP: Zu diesem Zeitpunkt war ich im Ausland, das war nach meiner Ausreise. Damals war ich in Griechenland. Wie ich in Österreich eingereist bin habe ich das gehört. LA: Dass Sie zu der Zeit nicht mehr in Bangladesch sind weiß ich schon, aber Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie mitgeholfen haben, den Mann hinunterzustoßen, oder? VP: Stimmt, weil wir sind BNP-Sympathisanten. LA: Woher wissen Sie, was passiert ist und was Ihnen vorgeworfen wird? VP: Während meines Traiskirchenaufenthalts habe ich in meinem Heimatland angerufen, so habe ich das erfahren. Der Reisewegs von Griechenland nach Österreich hat fast 2 Monate gedauert, in Serbien war ich fast 1 Monat lang in einem unbekannten Waldstück. LA: Was hat das jetzt mit der Mordanzeige zu tun? VP: Mein Gegner XXXX hat meinen Namen illegal reingeschrieben, weil er wahrscheinlich nicht gewusst hat, dass ich mein Heimatland verlassen habe. LA: Wer hat Ihnen den Ablauf geschildert? VP: Mein Bruder, der sich zur Zeit in Indien aufhält, hat mir das erzählt. Damals war er im Heimatland. LA: Haben Sie die Anzeige bzw. die Polizeidokumente gelesen? VP: Nein, ich habe meine Heimat verlassen. LA: Kennen Sie einen XXXX VP: XXXX Nein. Neben dem Ortszentrum gibt es ein Dorf. Es wurden unrechtmäßig viele Angeklagte reingeschrieben. LA: (Vorhalt) Laut der Übersetzung, welche Sie selbst vorgelegt haben, hat sich der Mord völlig anders abgespielt: Sie und XXXX sollen auf einer Demonstration Pistolen dabeigehabt haben und nach Drohungen in die Menge geschossen haben. Also völlig anders, als das, was Sie mir geschildert haben. Was sagen Sie dazu? VP: Nein, so habe ich nicht gesagt. (VP fährt sich mit der Hand übers Gesicht) LA: Das stimmt, dass Sie das so nicht gesagt haben. Das steht so in den Dokumenten, die Sie als Beweis vorgelegt haben. VP: Ich bin keine gelernte Person, ich weiß nicht, was drinnensteht, mein Bruder hat mir das geschickt. LA: Wie kann es sein, dass Sie nichts darüber wissen? Wenn ich wegen Mordes gesucht würde, würden mich die Umstände sehr interessieren. VP: Ich weiß überhaupt nicht, wie das passiert ist und so weiter. Wie ich in Österreich eingereist bin habe ich Kontakt mit meinem Bruder aufgenommen und er hat mir mitgeteilt, in unsrem Ortszentrum ist ein Mord passiert zwischen zwei Parteimitgliedern, wo ich angezeigt wurde. LA: Gerade noch haben Sie mir aber mehr oder minder detailliert den Ablauf geschildert. Mich würde jetzt interessieren, warum das von Ihnen Geschilderte so sehr von Ihren eigenen Beweismitteln abweicht. VP: (VP spricht leise) Ich bin keine gelernte Person und manche Sachen werden jetzt neu gestellt. Das wurde ich vorher nicht gefragt. (VP spricht undeutlich) VP wird ersucht, das undeutlich Gesagte zu wiederholen. VP: Was Sie mich gefragt haben, habe ich beantwortet. Manche Fragen haben Sie neu gestellt über Dinge, die ich vorher nicht gehört habe, zum Beispiel den Namen. LA: Das heißt, Sie irritiert, dass ich jetzt andere Fragen stelle, als die, die Ihnen das letzte Mal gestellt wurden? VP: Stimmt. (leise) Es gibt verschiedene Fragen. LA: Was hat das, dass die Fragen neu sind, damit zu tun? Sie müssen ja wissen, was passiert ist. VP: Ich habe Ihnen vorher eh erklärt, ich bin keine gelernte Person, ich kann mich an Daten und Namen nicht erinnern. Ich besuche jetzt auch drei verschiedenen Schulen, aber wenn ich zurückkomme kann ich mir nicht merken, was ich gelernt habe. Ich kann die Sachen auch nicht merken, ob ich etwas für mich gekauft habe oder ob ich etwas von fremden Leuten bekommen habe. Zum Beispiel wenn ich Eier kaufe und mitnehme weiß ich nicht, ob ich diese gekauft habe oder jemand anders. LA: Wie kann es sein, dass Ihr Bruder Ihnen das Geschehen völlig anders schildert, wenn er Ihnen die Unterlagen schickt? Er muss ja die Unterlagen gelesen haben, wenn er Ihnen sagt, was passiert sein soll bzw. weshalb Sie angezeigt wurden. VP: Er hat gesagt, ich bin angezeigt worden und es gab andere verschiedene Leute. Die kenne ich aber eigentlich nicht und er auch nicht. LA: Mir ging es jetzt nicht um die Namen. Ich möchte wissen, wie es sein kann, dass Ihr Bruder Ihnen eine Anzeige schickt, die er offenbar auch liest, und Ihnen gegenüber am Telefon den angeblichen Geschehensablauf völlig anders darstellt als er in der Anzeige geschildert ist. VP: Er hat gesagt über das Ortszentrum, dass ich angezeigt wurde. LA: Das heißt, Sie können mir nicht erklären, warum Ihr Bruder einen Tod durch Sturz schildert und die Anzeige von einem Tod durch Schusswaffen spricht? VP: Er hat mir telefonisch erklärt, im Ortszentrum sind Parteibüros zerstört und randaliert und es gab Auseinandersetzungen von BNP und AL Mitgliedern, wobei eine Person umgebracht wurde. LA: Vorhin haben Sie gesagt, Ihr Bruder hätte gesagt, jemand wurde wo hinuntergeworfen und ist auf eine Eisenstange gefallen und dadurch gestorben. Jetzt nachdem ich Ihnen den Inhalt der Anzeige vorhalte rudern Sie völlig zurück. Dass ich Schwierigkeiten habe, das nachzuvollziehen werden Sie verstehen. VP: Mein Bruder ist auch nicht so eine gelernte Person. Was er mir telefonisch erzählt hat, habe ich Ihnen erzählt, und die Dokumente habe ich Ihnen vorgelegt. LA: (Vorhalt) Es ist amtsbekannt, dass in Bangladesch gefälschte Dokumente sehr leicht zu beschaffen sind. Vor allem Gerichts- und Polizeidokumente. Ich habe den Eindruck, Sie haben sich gefälschte Dokumente besorgt und sich mit Ihrem Bruder oder dem Fälscher diesbezüglich schlecht abgesprochen. Bzw. nicht damit gerechnet, dass die Dokumente von uns wirklich gelesen werden und Sie zum Inhalt befragt werden. Was sagen Sie dazu? VP: Nein, so ist es nicht. Was Sie gesagt haben stimmt. Mein Bruder hat auch das Land verlassen. Er lebt in Indien.“ Nicht nur der BF, sondern auch seine Brüder seien angezeigt worden.
Dem BF wurde vorgehalten, dass er einerseits angegeben habe, Analphabet zu sein, andererseits bei der Erstbefragung behauptet zu haben, fünf Jahre die Grundschule besucht zu haben. Dazu gab der BF an, die Schule besucht zu haben, aber dennoch nicht lesen zu können.
Im Falle einer Rückkehr erwarte den BF ein Mord. Ohne Probleme wäre er ohne seine Frau nicht hierhergekommen.
I.12. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.02.2017, XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.13. Mit Schriftsatz vom 09.03.2017 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – durch die XXXX vertretenen – BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.
Neben Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes, der behaupteten Fluchtgründe und nicht (mehr) relevanten Ausführungen zu verfassungsrechtlichen Bedenken zur damaligen zweiwöchigen Beschwerdefrist führt die Beschwerde soweit wesentlich aus, das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt und es habe mangelhafte Länderfeststellungen getroffen. Darüber hinaus habe es eine mangelhafte Beweiswürdigung unternommen. Daraus resultiere inhaltliche Rechtswidrigkeit. Dem BF sei der Status des Asylberechtigten, zumindest aber der eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Zudem sei der BF um seine Integration im Bundesgebiet „sehr bemüht“. „Aufgrund seiner psychotherapeutischen Behandlung“ falle ihm das Erlernen der deutschen Sprache sehr schwer. Er sei „außerordentlich gewillt, in Österreich schlussendlich Fuß fassen zu dürfen“. Zudem sei der Sachverhalt derart mangelhaft ermittelt worden, dass die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung notwendig erscheine.
Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid zu beheben und dem BF Asyl zu gewähren, in eventu, Spruchpunkt II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu, Spruchpunkt III. aufzugeben bzw. dahingehend abzuändern, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt werde und dem BF ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilt werde, in eventu den Bescheid „ersatzlos“ zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung das BFA zurückzuverweisen.
I.14. Mit Schreiben vom 13.03.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.15. Mit Schreiben vom 30.10.2020 wurden zahlreiche Urkunden des BF vorgelegt, die seinen Gesundheitszustand betreffen, weiters ein A2-Zertifikat, ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag sowie Bestätigungen zur gemeinwirtschaftlichen Tätigkeit.
I.16. Am 11.01.2021 legte die XXXX die Vertretungsvollmacht vor.
I.17. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand Dezember 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 03.02.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.18. Am 18.01.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Eingangs wurden nochmals Unterstützungsschreiben, eine Einstellungszusage sowie Stellungnahmen zum Gesundheitszustand des BF vorgelegt.
Der BF bestätigte, dass er fähig sei, der Verhandlung zu folgen, obwohl er immer Medikamente nehmen müsse wegen seiner Schmerzen im Kopf und auch Schlafmittel.
Er habe „mit meiner Familie keinen Kontakt“, jedoch „mit seinem Vater … alle sechs Monate oder einem Jahr“. Seine Familie bestehe aus dem Vater, der Mutter, ein jüngerer Bruder und die Brüder, die im Ausland (zwei in Saudi-Arabien, Dubai, Katar) wären (BVwG S 4 und S 6).
Erst über gezielte Nachfrage gab der BF an, dass er – standesamtlich - verheiratet sei und zwei Kinder habe. Er habe jedoch seit drei Jahren keinen Kontakt mehr, weil seine Frau „mit jemanden anderen“ weggegangen sei, die Kinder wären beim Großvater mütterlicherseits. Er sei aber nicht geschieden. (BVwG S 5f), emotional betonte der BF, dass er seine Kinder sehr vermissen würde.
Der Schwiegervater sei „sehr weit weg“ von seinem Dorf (BVwG S 6), es „müsste 10 Kilometer entfernt sein“ (BVwG S 11; andere Aussage vor BFA: „mit dem Bus etwa eineinhalb Stunden“; AS 63).
Nach der Rückübersetzung des Protokolls gab der BF noch von sich aus dazu an, dass er noch die Brautgabe von 800.000 bis 1 Mio Taka zahlen müsse, wenn er nach Hause käme, und ihn seine Frau ins Gefängnis stecken würde, wenn er nicht zahle. Er müsste auch für die Kosten der Kinder aufkommen und nachzahlen. (BVwG S 19).
Die schlepperunterstützte Reise habe dem € 10.000 bis 12.000 gekostet (BVwG S 19; andere Aussage bei Ersteinvernahme: € 5.000 bis Griechenland, von Griechenland bis hier her € 3.000; AS 9; ähnliche Aussage vor BFA: 1,2 Mio Taka; der Vater habe dafür ein Grundstück verkauft AS 53). Der BF habe Bangladesch mit dem Flugzeug von Dhaka nach Dubai verlassen. Er habe das Land „Ende 2011“ verlassen (BVwG S 10f; ebenso vor BFA: „Ende 2011“; er sei „in der Türkei 30 Tage in Haft gewesen, in Griechenland, in Serbien, in Ungarn war ich in Haft wegen der illegalen Reise und ich keine Dokumente gehabt habe“. AS 317).
In Österreich habe der BF keine Verwandten, keine Kinder und auch keine Beziehung.
Eine Konversation mit dem BF in deutscher Sprache war eigentlich nicht möglich. Dies hing nicht mit der Hörbeeinträchtigung des BF zusammen, sondern mit dem extrem begrenzten Wortschatz des BF, der auch bei Basisfragen (zB „Was trinken sie gerne?: Was essen Sie gerne?; Arbeiten Sie derzeit?“) zumeist wenig bis gar nicht antwortete; soweit Antworten kamen, wurden lediglich Wortfetzen hingeworfen. Das Niveau von A2, wie es der BF mittels Zertifikat des ÖSD aus 2018 bestätigt bekam, war bei der Verhandlung nicht gegeben.
Der BF betonte, dass er die „Magistratsarbeit“ mache, welche ihm im Rahmen des Projektes „Gemeinnützige Beschäftigung für Asylwerbende“ der Stadt XXXX ermöglicht wird, welche sich auf „Pflegearbeiten im XXXX “ erstrecke. Er finanziere sein Leben mit der Grundversorgung.
Zu seiner Ausbildung befragt gab der BF an, dass er in Bangladesch eine Schule besucht habe („ein bisschen, aber das habe ich alles vergessen“; BVwG S 9; ähnliche Aussage vor BFA: „Damals hatte mein Vater sehr wenig Geld und konnte es sich nicht leisten, uns in die Schule zu schicken, wir alle waren viele Geschwister, mein Vater hat im Dorf gearbeitet“; AS 57). Er habe die „Landwirtschaftsarbeit“ und die „Gebäudearbeit“ gemacht (BVwG S 16; andere Aussage bei Einvernahme BFA: „Ich habe in einer Baufirma gearbeitet, ich war Hilfsarbeiter beim Straßenbau“; AS 57).
Seine Freunde seien „von diesem Land“ und auch Bangladeschi.
Auf Grund der am Anfang der Verhandlung vorgelegten Unterlagen und der im Administrativakt enthaltenen Gesundheitsunterlagen (zB mehrfacher Kur-Behandlungsplan XXXX mit Gymnastik, Elektrotherapie und Moorpackungen) nahm auch der Gesundheitszustand des BF breiten Raum in der Verhandlung ein. Im Administrativakt findet sich bereits ein aus dem Jahr 2014 enthaltener Bericht des Universitätsklinikums XXXX aus dem hervorgeht, dass der BF am 08.08.2014 in Begleitung eines Bekannten, der sich als Dolmetscher in englischer Sprache einbringt, einen kurzen Sachverhalt darstellt. Der BF habe Frau und Kinder in Bangladesch, es sei für ihn als Analphabeth nicht möglich, die deutsche Sprache zu lernen, und es würde der bengalische Dolmetscher hindeuten, dass „der Patient seine Familie sehr vermissen würde“ sowie dass eine Bestätigung des Arztes „reichen würde, dass er seine Gattin und die Kinder nach Österreich holen könne“. Vom Hausarzt seien bereits weitere medizinische Abklärungen vorgeschrieben worden. In der Beurteilung steht „emotionale Anpassungsstörung“. Ca sechs Wochen später sei der Patient wieder gekommen, weil er nicht arbeiten dürfe und er deswegen seine Familie nicht finanziell unterstützen könne; die Fortsetzung der bisherigen Therapie wurde daraufhin mit leicht geänderter Medikation mit zwei Medikamenten empfohlen (AS 339). Im Administrativakt finden sich darüber hinaus zahlreiche Bestätigungen über den Besuch einer Physio-Therapie-Einrichtung, offensichtlich um behauptete Gelenksschmerzen zu lindern. Die Physio-Therapie erfolgte 8 Monate lang zwischen November 2015 und Juni 2016 (AS 539 – 571).
Ebenfalls im Administrativakt befindet sich der Ambulanzbericht der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 29.02.2016 mit der Diagnose „Bekannte Anpassungsstörung“ und „chronischer Nikotinabusus“ mit der Empfehlung einer „Nikotinkarenz“; hinsichtlich der Medikamente bestünde kein Einwand Generika zur Verwendung zu bringen (AS 501). Ein weiterer Ambulanzbericht datiert vom 08.04.2016, in welchem als Diagnose „F 43.2 Anpassungsstörung“ sowie „V.a Somatisierungsstörung“ angeführt wird; die Betreuung durch einen niedergelassenen Psychiater wird empfohlen (AS 499).
Darüber hinaus findet sich im Administrativakt eine englischsprache Information (17.09.2013) der International Organization for Migration (IOM) derzufolge - zusammengefasst - „psychotic disorders“ in Bangladesch behandelbar sind, sowohl in der Hauptstadt Dhaka als auch in anderen großen Städten. Ein Tagesaufenthalt in einem Spital betrage zwischen 500 – 1200 Taka, die Medikamentenkosten kämen extra dazu. Die Kosten müssten der Patient oder seine Verwandten tragen. Zum Thema „post-traumatic stress disorder“ wird ausgeführt, dass dies in allen „Medical College Hospitals“, als auch in Gebietskrankenhäusern in Dhaka und den großen Städten sowie in Privatkliniken zu den gleichen Bedingungen behandelt werde. Die für die Behandlung für die genannten Krankheiten erforderlichen Medikamente und deren Preise (umgerechnet zwischen 3 und 4,5 Cent pro Tablette) wären in Bangladesch erwerbbar, jedoch ohne Zuschuss des Staates oder von NGO (AS 445 – 451).
In der vom BF nunmehr für die Verhandlung vorgelegten „fachärztlichen Bestätigung“ vom 01.02.2021 verwies der Facharzt für Psychiatrie auf seine Stellungnahme vom 04.12.2021. Es sei mit negativem Aufenthaltsbescheid möglich, dass eine Dekompensation stattfände. In dieser „fachärztlichen Bestätigung“ wird von XXXX ausgeführt, dass der BF vier Jahre zu ihm käme und er acht Jahre auf eine Entscheidung seine Zukunftsperspektive betreffend warte. Es sei eine durchgreifende Stabilisierung ohne Zukunftsperspektive unmöglich. Die derzeitige Situation würde den BF in seiner Erkrankung gefangen halten und zusätzlich krankmachen. Die behördliche Vorgehensweise führe die medizinische und psychotherapeutische Anstrengung ad absurdum und es sei ihm unverständlich, wie so eine Vorgehensweise überhaupt möglich sei. Der behandelnde Arzt möchte „noch einmal explizit meiner Empörung über die konsequente Sabotage einer positiven Zukunftsperspektive Ausdruck verleihen“. Im „Medikamentenverordnungsblatt“ führt der gleiche „Facharzt für Psychiatrie“ wörtlich aus: „#Asyl: nach nunmehr 8 Jahren dringend positive Erledigung gefragt! Die Verzögerung ist als Menschenrechtswidrige Quälerei einzustufen!“; „#Soziale Integrationsmaßnahmen: keine Aufgabe, keine Arbeit, keine Schule, kein Bescheid. Die Folge ist, dass er immer kränker wird“. Erst danach erfolgt die Vorschreibung von fünf verschiedenen Medikamenten.
In der von XXXX , Psychotherapeut und Theologe in München, abgegebenen Stellungnahme vom 29.01.2021 ist folgendes enthalten: der BF befände sich seit April 2016 in Psychotherapie. Er sei wegen posttraumatischer Belastungsstörung und schwerer Depression mit intensiven körperlichen Beschwerden zur Psychotherapie zugewiesen worden.
Er sei aus Bangladesch geflohen, wo die Ehefrau mit zwei Kindern lebe, weil sein Leben bedroht wurde. Er sei im Auftrag eines Politikers von einem Schlägertrupp bewusstlos geschlagen worden und im Krankenhaus gelegen. Als er ausreichend wiederhergestellt war, hätte er die Flucht ergriffen. Er hätte Schuldgefühle seiner Familie gegenüber, weil er über keine Mittel verfüge, seine Familie zu unterstützen. Aus diesem Grund „habe sich seine Frau von ihm scheiden lassen“ und das belaste ihn erneut, noch dazu, weil er „mittlerweile einen Betrag von mehr als € 10.000 Unterhaltsleistung schulde“. Dies würde sich alles in großer Intensität auch „psychosomatisch“ äußern, er sei auf Schlaf- und Schmerzmittel angewiesen. „Wir hatten schon große Verbesserungen in seinem Befinden erreicht“, aber die Verzögerung seiner Entscheidung fesselt ihn immer wieder erneut an seine Krankheitssymptome. „Insgesamt hat sich seine Gesundheit dennoch verbessert“. Der Gefertigte „hoffe sehr, dass sein Asylansuchen jetzt positiv beantwortet werde. Dann kann sich auch wirkliche Gesundheit einstellen. Und dann kann er auch zu einem nützlichen Mitglied unserer Bürgergemeinschaft werden, von der er bis jetzt ausgeschlossen ist“.
Der BF nehme Tabletten gegen die Schmerzen im Kopf und zwei Schlaftabletten (BVwG S 4).
Der BF gab zu seiner medizinischen Behandlung an, dass er „früher jede Woche“, seit einem Jahr alle zwei Wochen zur Psychotherapie ginge. Es sei dies eine halbe Stunde mit dem Fahrrad entfernt. Sein Psychotherapeut komme wöchentlich aus München nach XXXX Nachgefragt, wie diese Sitzungen während der gesperrten Grenzen während der Corona-Zeit erfolgten, meinte der BF „Er ist gekommen, aber ich habe es vergessen, 1-2 Wochen hat er es mit dem Mobiltelefon gemacht. Gefragt, wie er sich mit dem Psychotherapeuten unterhalte, führte der BF aus, dass ein Bengale als Dolmetscher fungiere. Dieser sei immer dabei. (BVwG S 16).
Er habe sich früher auch mit dem Facharzt für Psychiatrie mittels Dolmetscher unterhalten, jetzt mache er es in deutscher Sprache, „soweit ich kann, sage ich es“ (BVwG S 17).
Gefragt, ob sich der BF als arbeitsfähig einschätze, führte er aus: „Ja, ich könnte für meine Kosten aufkommen. Bis jetzt hat man für mich die Arztkosten immer bezahlt. Sei es Gottes Wille kann ich dann für meine Kosten aufkommen.“ Gefragt, ob er wisse, wieviel der Psychotherapeut pro Stunde koste, antwortete der BF, es sei um die €°100. Nachgefragt, ob er glaube, dass er sich einen Psychotherapeuten leisten könne, wenn er selber dafür bezahlen müsse, meinte der BF, dass er dies nicht könnte (BVwG S 18), er hätte diese Behandlung und diesen Schutz in seinem Heimatland nicht erhalten und sei sehr dankbar dafür.
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er geflüchtet sei wegen eines Grundstücksstreites mit XXXX (phonetisch).
Konkret sei das Haus des XXXX angrenzend an das Haus der Familie des BF; dieser habe versucht das Vermögen wegzunehmen. Das Haus und die Liegenschaft hätte sein Vater „uns Brüdern“ gegeben. Die Brüder seien schon im Ausland gewesen, als das Problem entstand und könnten jetzt nicht mehr zurückkehren. Die Eltern würden derzeit „in unserem Zu Hause leben, aber XXXX besetzt alles“. Die Mutter sei geschlagen und ihr Arm gebrochen worden.
Der BF sei auch überfallen worden, als er am Abend zum Bazar ging und auf dem Rückweg war. 4 bis 5 Personen hätten den BF mit Metallstangen angegriffen, ihn geschlagen und zu Boden geworfen. Er kenne die Personen, die ihn angriffen, sie gehören zu XXXX . Der BF sei danach ins Spital gebracht worden und blieb dort einen Monat lang. (BVwG S 10; Aussage vor dem BFA: es war dunkel, es seien 5, 6 Personen gewesen, sie seien von hinten gekommen, er habe einen Schlag auf den Kopf erhalten und „nichts mehr mitbekommen“, man habe ihm Mund und Augen zugeklebt, an der Stimme habe er den „Bruder von XXXX erkannt“. AS 313).
Eine Anzeige habe die Polizei nie angenommen (BVwG S 11; andere Aussage vor BFA auf die Frage: „Sind Sie jemals aus eigenem Antrieb zur Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft gegangen?“. BF: „Nein“; AS 55).
Der genannte XXXX sei mächtig, er habe mächtige Lizenzen, er sei manchmal in Dubai, ebenso wie dessen Bruder.
Der BF habe immer in seinem Heimatdorf gelebt, als die Überfälle passierten sei er im 10 Kilometer entfernten Haus des Schwiegervaters untergetaucht (BVwG 11; Aussage vor BFA: „er habe sich ca 8, 9 Monate versteckt bei den Schwiegereltern und bei Bekannten, es gab danach keine Vorfälle mehr; AS 301f)).
Zu seiner politischen Tätigkeit befragt gab der BF an, dass er Mitglied der BNP gewesen sei. Er sei bei Treffen und Demonstrationen der BNP sowie in ihrem Büro gewesen; er habe Poster aufgehängt und dergleichen Tätigkeiten ausgeführt. Er habe dies schon von klein auf gemacht, „seitdem ich Verstand bekam“. Der habe jedoch keine Votar-card, welche für die Stimmabgabe bei Wahlen erforderlich ist.
Es gäbe eine Anzeige gegen den BF, „wegen der Anzeige bin ich ja ausgereist“ (BVwG 14). Es gäbe eine Anzeige gegen die gesamte Familie, weil diese Goldschmuck, Geld etc geplündert und weggenommen habe. Der BF habe aber davon gehört, dass es gegen ihn persönlich eine Anzeige gäbe, weil es nach einer Auseinandersetzung zwischen der AL und der BNP eine Person gestorben sei. Sein Name sei hinzugefügt worden.
Der Vertreter des BF fragte den BF, ob die Polizei ihn gesucht habe, worauf dieser antwortete: „Ja, sie suchte mich, deswegen bin ich ja hierhergekommen.“. Die Polizei habe ihn „sehr oft“ gesucht, auch „als ich bei meinem Schwiegervater war oder beim Bruder der Schwiegermutter.“ Nachgefragt gab der BF zu Protokoll, dass die Polizei ihn „zur Zeit der Anzeige 2011“ gesucht habe.
Damit konfrontiert, dass der Vertrauensanwalt der Republik Österreich die Anzeigen gegen den BF als Fälschung erkannte, meinte der BF lediglich: „Nein, das sind keine Fälschungen, sonst hätte ich ja nicht meine Eltern verlassen“. Danach verwies er sogleich darauf, dass seine Frau ihn verlassen habe und er die Gesetze hier respektiere (BVwG S 16).
Grundlage dieser Fragestellung in der Verhandlung vor dem BVwG war der Bericht des Vertrauensanwaltes (AS 419), dem zu Folge der BF in der von ihm vorgelegten Anzeige XXXX als 5. Beschuldigte genannt werde, im Original der BF jedoch gar nicht vorkomme. Auch in der zweiten Anzeige XXXX kommt der BF nicht vor (Original: „Der Staat gegen XXXX “; laut BF: „ XXXX gegen 7 Beschuldigte, davon der BF als Nr. 5“). Auch das vom BF übermittelte Dokument hinsichtlich Parteibestätigung konnte nicht verifiziert werden. Wie der Zusammenfassung des Vertrauensanwaltes entnommen werden kann ergab sich, darüber hinaus, dass die Ehefrau und die Kinder des BF beim Schwiegervater wohnen, seine Eltern an der bestehenden Adresse. Den ortsansässigen Personen ist ein „ XXXX “ unbekannt, der Vater des BF gab diesen als seinen „Cousin“ an. Eine Auseinandersetzung zwischen XXXX und der Familie des BF sei den Ortsansässigen nicht bekannt, eine Attacke gegen den BF und ein späterer Spitalsaufenthalt seien ebenso unbekannt. Der BF sei auch nicht in politische Tätigkeiten involviert gewesen und es gäbe auch keine Anzeigen gegen ihn. Lediglich der Vater des BF habe den BF als aktives Mitglied der BNP beschrieben (AS 433).
Andere Fluchtgründe oder Vorfälle, die für seine Flucht maßgeblich waren, nannte der BF über ausdrückliches Befragen vor dem BVwG nicht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.
Der BF ist in Bangladesch geboren und hat dort gelebt. Der BF entstammt ärmlichen Verhältnissen. Er hat in seinem Heimatland über eine nicht feststellbare Zeit die Grundschule besucht und in Bangladesch sowohl im väterlichen landwirtschaftlichen Betrieb als auch als Hilfsarbeiter im Straßenbau (widersprüchlich: „die Gebäudearbeit“) gearbeitet.
Der BF ist mit einer Bengalin verheiratet und hat eine Tochter sowie einen Sohn. Seine Frau hält sich mit den Kindern in Bangladesch auf, sie lebte bei ihren Eltern, ist aber mittlerweile mit jemand anderen verzogen, die Kinder sind weiterhin bei den Großeltern. Weiters halten sich die Eltern und ein jüngerer Bruder und zwei Schwestern des BF in Bangladesch auf. Zwischen dem BF und seinen Verwandten besteht – angeblich – derzeit kein Kontakt. Der BF vermisst seine Kinder sehr.
Der BF ist im Oktober 2012 illegal in das Bundesgebiet eingereist.
Der BF ist nach eigener Aussage arbeitsfähig. Er ist in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Bei einem Verein ging der BF zweimal wöchentlich Hilfstätigkeiten nach. Der BF hat für die Stadt XXXX ehrenamtliche Hilfstätigkeiten durchgeführt.
Der BF hat an einem Sprachtraining teilgenommen und ein A2 Zertifikat erlangt. Der BF verfügt dennoch über geringste Deutschkenntnisse, faktisch ist eine Unterhaltung mit dem BF selbst auf einem Basissprachwortschatz nicht möglich.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF wurde nach diversen Schmerzen verschiedentlich medizinisch behandelt, absolvierte eine Kur in einer Kuranstalt sowie für 8 Monate Physiotherapie.
Der BF war später in psychotherapeutischer Behandlung, die seine psychischen Leiden etwas gelindert hat; diese konnte aber die zugrundeliegende psychosomatische Problematik, nämlich seine Schuldgefühle gegenüber seiner Familie, nicht beseitigen.
Festgestellt wird, dass die vom BF vorgelegte Stellungnahme seines Facharztes der Psychologie weder Befund noch gutachterliche Qualität besitzt, sondern lediglich eine emotionale Meinung zum Asylverfahren wiedergibt.
Festgestellt wird, dass die Stellungnahme des Psychotherapeuten des BF ebenfalls fachlichen Befund und gutachterliche Qualität vermissen lässt.
Festgestellt wird, dass sowohl die vom BF vorgelegten Stellungnahmen des Psychiaters als auch des Psychotherapeuten des BF von falschen Grundannahmen ausgehen und nicht den Fakten über die wahre Geschichte des BF basieren. Festgestellt wird, dass sowohl der Facharzt als auch der Psychotherapeut sich eines Dolmetschers bedienen müssen, um sich mit dem BF zu unterhalten; manchmal erfolgen die „Therapiesitzungen“ über Mobiltelefon. Festgestellt wird, dass der BF sich „in deutscher Sprache“ mit dem Facharzt unterhalte, „soweit er es könne“.
Festgestellt wird, dass in den Akten eine Analyse der International Organization for Migration (IOM) darlegt, dass in Bangladesch die Leiden des BF hinsichtlich seines post traumatic stress disorder behandelbar sind. Darüber hinaus stellt diese Stellungnahme die Behandlungsmöglichkeiten einschließlich der damit verbundenen Kosten dar.
Festgestellt wird, dass sich der BF nach seinen Angaben eine psychotherapeutische Behandlung in Österreich nicht leisten könnte, wenn er dafür selber bezahlen müsste.
Festgestellt wird, dass der BF realistischer Weise wegen seiner nicht vorhandenen Berufsausbildung, seiner unzureichenden Sprachkenntnisse, seiner gesundheitlichen Belastungsfähigkeit, insbesondere bei einem allfälligen Nachzug seiner Kinder (als Alleinerzieher), nicht selbsterhaltungsfähig wäre.
Hingegen kann nicht festgestellt werden, dass der BF an einer derart stark ausgeprägten psychischen Beeinträchtigung leidet, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland in eine ausweglose Notlage geriete, weil er dort familiären Rückhalt, keine sprachlichen Barrieren und berufliche Tätigkeiten, die er bereits ausübte, wiederfände. Darüber hinaus kann der BF sich in seinem Heimatland verstärkt um das Wohl seiner beiden Kinder kümmern.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete (politische) Verfolgung des BF in Bangladesch.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, dass er „wegen eines Grundstücksstreites“ des XXXX mit der Familie des BF geflüchtet sei. Festgestellt wird, dass dieser XXXX angeblich der Cousin des Vaters des BF ist. Der BF behauptet, dass XXXX versuche sich Grundstücke der Familie des BF anzueignen.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, dass er und seine Familie wegen Diebstahles von Goldschmuck und Geld von XXXX angezeigt worden zu sein.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, dass es auch gegen ihn persönlich eine Anzeige gäbe wegen Teilnahme an einer Auseinandersetzung zwischen der Al und der BNP, bei der eine Person verstorben sei.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, Mitglied der BNP gewesen zu sein und die BNP unterstützt habe.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, dass er überfallen wurde und – obwohl es dunkel war, die Täter von hinten gekommen seien, ihn auf den Kopf geschlagen hätten, er nichts mehr wahrgenommen habe, ihm die Augen und der Mund verklebt wurde - er die Stimme des Bruders von XXXX erkannte. Der BF habe sich danach einen Monat lang im Spitalsbehandlung befunden.
Festgestellt wird, dass der BF widersprüchliche Aussagen macht, ob er diesen Überfall bei der Polizei anzeigen wollte: er sei „niemals“ bei der Polizei gewesen; anders: die Polizei habe die Anzeige nicht entgegengenommen.
Festgestellt wird, dass die Staatendokumentation der Republik Österreich nach Übersetzung der vorgelegten Anzeigen durch das BFA und Recherchen des Vertrauensanwaltes der Republik Österreich vor Ort zu dem Ergebnis kam, dass:
- Die behauptete Anzeige gegen die Familie des BF, insbesondere aber den BF selbst, wegen Diebstahls eine Fälschung ist
- Die behauptete Anzeige gegen den BF ebenfalls eine Fälschung ist
- Die vorgelegte bengalische Parteibestätigung nicht verifiziert wurde.
- Der BF nicht als aktives Mitglied der BNP von den Ortsansässigen wahrgenommen wurde – ausgenommen von seinem Vater
- Den ortsansässigen Personen ein- angeblich mächtiger - XXXX nicht bekannt ist, noch weniger eine Auseinandersetzung mit der Familie des BF
- Ein Überfall auf den BF sei den ortsansässigen Personen nicht bekannt.
- Nur der Vater des BF berichtete, dass XXXX sein Cousin sei.
- Dass die Kinder (und zum Erhebungszeitpunkt auch die Ehefrau des BF) bei seinem Schwiegervater leben
Festgestellt wird, dass das BVwG keinen Grund hat, an den umfassenden Feststellungen der Staatendokumentation im gegenwärtigen Fall Zweifel zu hegen.
Festgestellt wird, dass sowohl der Facharzt der Psychologie des BF als auch der Psyochotherapeut des BF offensichtlich von einem vollkommenen falschen Bild hinsichtlich des Lebens des BF in Bangladesch ausgehen und keine Ahnung von den wahren Verhältnissen und den nicht existenten „Fluchtgründen“ des BF haben.
Festgestellt wird, dass der BF angibt, dass er seiner Frau noch die Brautgabe in Höhe von 800.000 bis 1 Mio Taka (ca. € 8.000 bis 10.000) schulde; er müsste auch für die Kosten für die Kinder aufkommen und nachzahlen. Festgestellt wird, dass weder die erforderliche Begleichung einer offenen Brautgabe noch die bisher nicht geleisteten Unterhaltszahlungen für seine beiden Kinder keine asylrelevanten Fluchtgründe sind.
Festgestellt wird, dass der BF unter dem Vorwand asylrechtlicher Gründe versucht sich seiner finanziellen Verpflichtungen als Ehemann und Vater zu entziehen.
Festgestellt wird, dass der BF von der AL nicht bedroht wurde und sein Bruder nicht entführt wurde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF angezeigt wurde oder er von der bengalischen Polizei gesucht würde. Festgestellt wird, dass der BF ohne Behelligungen per Flugzeug sein Heimatland verlassen konnte, obwohl er angeblich zum damaligen Zeitpunkt bereits von der regierenden Awami League gesucht wurde.
Allfälligen Behelligungen kann der BF durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen ausweichen.
Festgestellt wird, dass der BF keine anderen asylrelevanten Gründe geltend machte.
II.1.2. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19:
Letzte Änderung: 11.11.2020
Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar