Entscheidungsdatum
09.02.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I403 2239411-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Marokko, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2021, Zl. XXXX zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Marokko, stellte am 11.01.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit der wirtschaftlichen Situation in Marokko begründete.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 18.01.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 11.01.2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß „§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG“ wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt. Gemäß „§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß „§ 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.), und es wurde gemäß „§ 52 Abs. 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß „§ 55 Abs. 1a FPG“ wurde dem Beschwerdeführer keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) sowie einer Beschwerde gegen die Entscheidung über diesen Antrag auf internationalen Schutz gemäß „§ 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG“ die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).
Der Bescheid wurde am 19.01.2021 zugestellt und fristgerecht mit Schriftsatz vom 04.02.2021, eingelangt bei der belangten Behörde am 05.02.2021, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Am 09.02.2021 erfolgte die Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Marokko. Er ist ledig und kinderlos, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.
Er ist gesund und erwerbsfähig. In Marokko arbeitete er als KFZ-Mechaniker. Seine Eltern, ein Bruder und drei Schwestern leben in Marokko, ein Bruder in Frankreich. Vor seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und seinem Bruder zusammen. Sein Bruder versorgt die Familie. Der Beschwerdeführer hat eine gute Beziehung zu seiner Familie, allerdings aktuell aufgrund des Umstandes, dass er kein Mobiltelefon besitzt, keinen Kontakt.
Am 29.01.2019 stellte der Beschwerdeführer bei der französischen Botschaft einen Antrag auf Erteilung eines Schengenvisums, der aber am 12.02.2019 abgewiesen wurde.
Der Beschwerdeführer reiste am 09.03.2020 per Flugzeug in die Türkei aus, wo er seinen Reisepass und Personalausweis zurückließ. Er hielt sich einige Monate in der Türkei und Bosnien auf, ehe er am 11.01.2021 nach Österreich gelangte und hier einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer verließ Marokko aus wirtschaftlichen Gründen, er wird dort nicht verfolgt. Es besteht auch keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Marokko einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.
Abgesehen von seinem in Frankreich lebenden Bruder verfügt der Beschwerdeführer in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten über keine familiären Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer befindet sich erst ungefähr einen Monat in Österreich.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Gemäß § 1 Z 9 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) gilt Marokko als sicherer Herkunftsstaat.
Zur Corona-Pandemie ist festzuhalten, dass es in Österreich am 09.02.2021 insgesamt 422.572 bestätigte Fälle und 7.984 Verstorbene gab (abrufbar unter https://coronavirus.datenfakten.at/), in Marokko wurden bis zum 01.02.2021 471.157 Infizierte und 8.275 Todesfälle gemeldet (abrufbar unter https://www.laenderdaten.info/Afrika/Marokko/gesundheit.php). Die Zahlen sind daher durchaus vergleichbar, doch muss berücksichtigt werden, dass Marokko mit 36 Millionen weitaus mehr Einwohner hat als Österreich. In Relation zur Einwohnerzahl liegt die Infektions- sowie die Sterberate in Marokko somit prozentual noch deutlich unter jener von Österreich.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie zB Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1%.
Viele Arbeitnehmer oder Kleinstunternehmer in Marokko haben im Zuge der COVID-19-Pandemie ihre Arbeitsplätze und Einnahmequellen verloren. Der Export ist stark rückläufig, die Tourismuseinnahmen sind eingebrochen. Es gibt Direktzahlungen aus dem staatlichen Krisenfonds an Haushalte, eine Stundung von Krediten, eine Ankündigung zur Unterstützung der Wirtschaft, eine Aussetzung von Steuerprüfungen und von Zöllen auf bestimmte Grundnahrungsmittel. Gemessen am Prozentsatz des BIP steht Marokko bei der Mobilisierung von Ressourcen weltweit an 4. Stelle (ÖB Rabat 5.2020). Für die Dauer der Pandemie wurde eine Art bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt, das auch die im informellen Sektor beschäftigten Menschen erhalten. Die Hilfe kommt 4,3 Millionen Menschen zugute (i.d.R. werden die Familienoberhäupter gezählt) (Focus 6.7.2020).
Im Gesundheitsbereich ist die Situation unter Kontrolle. Es gibt keinen Wasser- oder Nahrungsmittelengpass (ÖB Rabat 5.2020).
König Mohammed VI gab Anfang Dezember den Auftrag an seine Regierung, dass all seinen Staatsbürgern und ansässigen Ausländern ein gratis Impfschutz gegen COVID-19 bereitgestellt werden soll. Seit 29. Januar ist die Impfkampagne angelaufen, es werden je nach verfügbarem Impfstoff bis zu 400.000 Menschen pro Tag geimpft (WKÖ).
Quellen:
- AGES: FAQ Coronavirus, https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/
- Focus (6.7.2020): Mehrere Millionen Tote erwartet: Die schlimmste Corona-Epidemie droht der Welt erst noch, https://www.focus.de/gesundheit/news/corona-in-afrika-die-schlimmste-epidemie-droht-der-welt-erst-noch_id_12170350.html
- ÖB Rabat –Österreichische Botschaft Rabat (5.2020): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation per E-Mail
- WKÖ, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-in-marokko.html
Zur aktuellen Lage in Marokko werden zudem folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
Politische Lage
Marokko ist ein zentralistisch geprägter Staat. Das Land ist eine Monarchie mit dem König als weltlichem und geistigem Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und "Anführer der Gläubigen" (AA 6.5.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Laut der Verfassung vom 1.7.2011 ist Marokko eine konstitutionelle, demokratische und soziale Erbmonarchie, mit direkter männlicher Erbfolge und dem Islam als Staatsreligion. Abweichend vom demokratischen Grundprinzip der Gewaltenteilung kontrolliert der König in letzter Instanz die Exekutive, die Judikative und teilweise die Legislative (GIZ 5.2020a; vgl. ÖB 5.2019). Im Zusammenhang mit den Protestbewegungen in Nordafrika im Frühjahr 2011 leitete der König im Jahr 2011 eine Verfassungsreform und vorgezogene Neuwahlen ein. Proteste im Norden des Landes sind vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Umsetzung sozioökonomischer Reformen, die schleppend verläuft (AA 6.5.2019a). Die Verfassung vom 1.7.2011 brachte im Grundrechtsbereich einen deutlichen Fortschritt für das Land; in Bezug auf die Königsmacht jedoch nur eine Abschwächung der absolutistischen Stellung. Das Parlament wurde als Gesetzgebungsorgan durch die neue Verfassung aufgewertet und es ist eine spürbare Verlagerung des politischen Diskurses in die Volksvertretung hinein erkennbar. Die Judikative wird als unabhängige Staatsgewalt gleichberechtigt neben Legislative und Exekutive gestellt. Das System der checks und balances als Ergänzung zur Gewaltenteilung ist jedoch in der Verfassung vergleichsweise wenig ausgebildet (ÖB 5.2019).
Vier Schlüsselministerien sind in Marokko der Kontrolle des Parlamentes und des Premierministers entzogen: Inneres, Äußeres, Verteidigung, Religiöse Angelegenheiten und Stiftungen. Soziale Reformen während der Regentschaft Mohamed VI sollten mehr Wohlstand für alle bringen - doch faktisch nahm die ohnehin starke Kontrolle der Königsfamilie und ihrer Entourage über die Reichtümer und Ressourcen des Landes weiter zu (GIZ 5.2020a). Hauptakteure der Exekutive sind die Minister, der Regierungschef und der König, der über einen Kreis hochrangiger Fachberater verfügt. Der König ist Vorsitzender des Ministerrates, hat Richtlinienkompetenz und ernennt nach Art. 47 der Verfassung von 2011 den Regierungschef aus der Partei, die bei den Wahlen als Sieger hervorgeht. Marokko verfügt seit der Unabhängigkeit über ein Mehrparteiensystem. Das Wahlrecht macht es schwierig für eine Partei, eine absolute Mehrheit zu erringen; Mehrparteienkoalitionen sind deshalb die Regel (AA 6.5.2019a).
Das marokkanische Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Unterhaus (Chambre des Représentants, Madschliss an-Nuwwab) und dem Oberhaus (Chambre des conseillers, Madschliss al-Mustascharin). Die Abgeordneten des Unterhauses werden alle fünf Jahre in direkten allgemeinen Wahlen neu gewählt. Das Unterhaus besteht aus 395 Abgeordneten. Entsprechend einer gesetzlich festgelegten Quote sind mindestens 12% der Abgeordneten Frauen. Das Oberhaus (Chambre des Conseillers) besteht aus mindestens 90 und maximal 120 Abgeordneten, die in indirekten Wahlen für einen Zeitraum von sechs Jahren bestimmt werden (GIZ 5.2020a).
In Marokko haben am 7.10.2016 Wahlen zum Unterhaus stattgefunden. Als stärkste Kraft ging die seit 2011 an der Spitze der Regierung stehende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung („Parti de la Justice et du Développement“) hervor. Am 5.4.2017 ernannte König Mohammed VI Saad-Eddine El Othmani zum Premierminister. Größte Oppositionspartei ist die Partei für Authentizität und Modernität (PAM) (AA 6.5.2019a). Sie rangiert an zweiter Stelle mit 102 Sitzen und konnte ihre Stimmengewinne mehr als verdoppeln und gilt daher als heimliche Siegerin. Dahinter gereiht ist mit 46 Sitzen die traditionsreiche Unabhängigkeitspartei (PI – Parti de l'Istiqlal), dahinter andere Parteien (GIZ 5.2020a).
Seit Anfang 2017 ist Marokko wieder offiziell Mitglied der Afrikanischen Union (GIZ 5.2020a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (6.5.2019a): Marokko - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/-/224120, Zugriff 21.1.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 9.7.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Sicherheitslage
Marokko kann grundsätzlich als stabiles Land betrachtet werden (EDA 9.7.2020). Das französische Außenministerium rät bis auf einige Regionen zu normaler Aufmerksamkeit im Land, dem einzigen in Nordafrika, das auf diese Weise bewertet wird (FD 9.7.2020). In den Grenzregionen zu Algerien wird zu erhöhter Aufmerksamkeit geraten (FD 9.7.2020), bzw. wird von Reisen abgeraten (AA 9.7.2020).
Die Westsahara darf nur nach Genehmigung durch die marokkanischen Behörden und nur auf genehmigten Strecken bereist werden (FD 9.7.2020). Zusätzlich besteht für die Grenzregionen zu Mauretanien in der Westsahara eine Reisewarnung (AA 9.7.2020; vgl. FD 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020).
Im Jahr 2019 konnte Marokko sein Terrorismusrisiko weitgehend eindämmen und die Zahl der Verhaftungen im Vergleich zu 2018 verdoppelt. Das Land sah sich jedoch weiterhin sporadischen Bedrohungen ausgesetzt, die hauptsächlich von kleinen, unabhängigen Terrorzellen ausgingen, von denen die meisten angeben, sie seien vom Islamischen Staat (IS) inspiriert oder mit ihm verbunden. Im März 2019 repatriierte Marokko acht Kämpfer aus Syrien. Im Jahr 2019 wurden in Marokko keine terroristischen Vorfälle gemeldet (USDOS 25.6.2020).
Demonstrationen und Protestaktionen sind jederzeit im ganzen Land möglich (EDA 9.7.2020; vgl. IT-MAE 9.7.2020). Auch nicht genehmigte Demonstrationen verlaufen meist friedlich, es kommt jedoch vereinzelt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Die Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen Missständen (IT-MAE 9.7.2020; vgl. AA 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020, EDA 9.7.2020). In der Region Rif kann es zu Übergriffen durch Kriminelle kommen, die in Drogenproduktion und -handel involviert sind (FD 9.7.2020; vgl. EDA 9.7.2020).
In großen Teilen der Sahara sind bewaffnete Banden und islamistische Terroristen aktiv, die vom Schmuggel und von Entführungen leben. Das Entführungsrisiko ist in einigen Gebieten der Sahara und der Sahelzone hoch und nimmt noch zu. Die Grenze zu Algerien ist geschlossen (AA 9.7.2020; vgl. EDA 9.7.2020, BMEIA 9.7.2020).
Das völkerrechtlich umstrittene Gebiet der Westsahara erstreckt sich südlich der marokkanischen Stadt Tarfaya bis zur mauretanischen Grenze. Es wird sowohl von Marokko als auch von der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario beansprucht. Die United Nations Mission for the Referendum in Western Sahara MINURSO überwacht den Waffenstillstand zwischen den beiden Parteien. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie (Sandwall) sind diverse Minenfelder vorhanden (EDA 9.7.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (9.7.2020): Marokko - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 9.7.2020
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (9.7.2020): Reiseinformation Marokko, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/marokko/, Zugriff 9.7.2020
- EDA - Eidgenössisches Departemenet für auswärtige Angelegenheiten (9.7.2020): Reisehinweise für Marokko, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/marokko/reisehinweise-marokko.html, Zugriff 9.7.2020
- FD - France Diplomatie (9.7.2020): Conseils aux Voyageurs - Maroc - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/maroc/#derniere_nopush, Zugriff 9.7.2020
- IT-MAE - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale (9.7.2020): Viaggiare Sicuri – Marocco, http://www.viaggiaresicuri.it/country/MAR, Zugriff 9.7.2020
- USDOS - United States Department of State (24.6.2020): Country Reports on Terrorism 2019 – Chapter 1 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032530.html, Zugriff 9.7.2020
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Justiz ist laut Verfassung unabhängig (USDOS 11.3.2020). In der Praxis wird diese Unabhängigkeit jedoch durch Korruption (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 5.2019, AA 14.2.2018) und außergerichtliche Einflüsse unterlaufen. Behörden setzen manchmal gerichtliche Anordnungen nicht zeitnah durch (USDOS 11.3.2020). Das Gerichtssystem ist nicht unabhängig vom Monarchen, der dem Obersten Justizrat vorsitzt (FH 4.3.2020). Rechtsstaatlichkeit ist vorhanden, aber noch nicht ausreichend entwickelt. Unabhängigkeit der Justiz, Verfassungsgerichtsbarkeit, Transparenz durch Digitalisierung, Modernisierung der Justizverwaltung befinden sich noch im Entwicklungsprozess, der, teils von der Verfassung gefordert, teils von der Justizverwaltung angestoßen wurde. Mit dem in der Verfassung vorgesehenen und im April 2017 eingesetzten Conseil supérieur du pouvoir judiciaire (Oberster Rat der Rechtssprechenden Gewalt) wurden Richter- und Staatsanwaltschaft aus dem Verantwortungsbereich des Justizministeriums herausgelöst und verwalten sich nun selbst. Der Rat agiert als unabhängige Behörde. Mit der Herauslösung der Staatsanwaltschaft wurde formal die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden von der Politik gestärkt. Es gibt jedoch Stimmen, die eine direkte Einflussnahme des Palastes befürchten, da sich Richterschaft und Staatsanwaltschaft nunmehr jeder demokratisch legitimierten Kontrolle entziehen (AA 14.2.2018). In der Praxis werden die Gerichte regelmäßig dazu benutzt, vermeintliche Gegner der Regierung zu bestrafen, darunter andersdenkende Islamisten, Menschenrechts- und Antikorruptionsaktivisten sowie Kritiker der marokkanischen Herrschaft in der Westsahara (FH 4.3.2020).
Formal besteht Gleichheit vor dem Gesetz. Das extreme Gefälle in Bildung und Einkommen, die materielle Unterentwicklung ländlicher Gebiete und der allgegenwärtige gesellschaftliche Klientelismus behindern allerdings die Umsetzung des Gleichheitsgrundsatzes (AA 14.2.2018). Gesetzlich gilt die Unschuldsvermutung. Der Rechtsweg ist formal sichergestellt. Angeklagte haben das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, auf rechtzeitigen Zugang zu ihrem Anwalt und das Recht, Berufung einzulegen. Das marokkanische Recht sieht Pflichtverteidiger für mittellose Angeklagte vor. Der Zugang zu juristischem Beistand ist in der Praxis noch immer unzulänglich (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). NGOs kritisieren, dass die Beschuldigten zu Geständnissen gedrängt werden (FH 4.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Das Strafprozessrecht erlaubt der Polizei, einen Verdächtigen bis zu 48 Stunden in Gewahrsam („garde à vue“) zu nehmen. Der Staatsanwalt kann diese Frist zweimal verlängern. Der Entwurf für ein neues Strafprozessgesetz sieht verbesserten Zugang zu Anwälten bereits im Gewahrsam vor. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet (AA 14.2.2018). Berichten zufolge werden Untersuchungshäftlinge in der Praxis länger als ein Jahr festgehalten, und das Gesetz enthält keine Bestimmungen, die es Untersuchungshäftlingen erlauben, ihre Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Einige Verdächtige, insbesondere diejenigen, die des Terrorismus beschuldigt werden, werden tage- oder wochenlang in geheimer Haft gehalten, bevor eine formelle Anklage erhoben wird. Zudem wird Angeklagten nach ihrer Verhaftung der sofortige Zugang zu Anwälten verwehrt und Verteidigern stoßen beim Zugang bei der Vorlage von Prozessbeweisen zu Hindernissen (FH 4.3.2020).
Im Bereich der Strafzumessung wird häufig kritisiert, dass bestehende Möglichkeiten zur Vermeidung von Haft bei minder schweren Delikten (z.B. Geldstrafen, Sozialstunden) nicht genutzt werden. Auch die Möglichkeit der Entlassung auf Bewährung (libération conditionnelle) wird kaum genutzt (AA 14.2.2018).
Seit Juli 2015 ist die Militärgerichtsbarkeit in Verfahren gegen Zivilisten nicht mehr zuständig. Im Juli 2016 wurden durch das Revisionsgericht die Urteile eines Militärgerichts gegen 23 sahrauische Aktivisten im Zusammenhang mit dem Tod von Sicherheitskräften bei der Räumung des Protestlagers Gdim Izik aufgehoben. Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurden die Angeklagten 2017 zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und lebenslänglich verurteilt (AA 14.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 5.9.2019
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 6.7.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Sicherheitsbehörden
Der Sicherheitsapparat verfügt über einige Polizei- und paramilitärische Organisationen, deren Zuständigkeitsbereiche sich teilweise überlappen. Die DGSN „Direction Générale de la Sûreté Nationale“ (Nationalpolizei) ist für die Umsetzung der Gesetze zuständig und untersteht dem Innenministerium. Bei den „Forces auxiliaires“ handelt es sich um paramilitärische Hilfskräfte, die dem Innenministerium unterstellt sind und die Arbeit der regulären Sicherheitskräfte unterstützen. Die Gendarmerie Royale ist zuständig für die Sicherheit in ländlichen Gegenden und patrouilliert auf Nationalstraßen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Es gibt zwei Nachrichtendienste: den Auslandsdienst DGED („Direction Générale des Etudes et de Documentation“) und den Inlandsdienst DGST („Direction Générale de la Surveillance du Territoire“) (AA 14.2.2018; vgl. ÖB 5.2019). Im April 2015 wurde zusätzlich das „Bureau central d'investigations judiciaires“ (BCIJ) geschaffen. Es untersteht dem Inlandsdienst DGST. Von der Funktion entspricht es etwa dem deutschen Bundeskriminalamt mit originären Zuständigkeiten und Ermittlungskompetenzen im Bereich von Staatsschutzdelikten sowie Rauschgift- und Finanzdelikten im Rahmen von Verfahren der Organisierten Kriminalität (AA 14.2.2018).
Die zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte ist gemäß USDOS wirksam (USDOS 11.3.2020), gemäß auswärtigem Amt hingegen sind die Sicherheitskräfte weitgehend der zivilen Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit entzogen (AA 14.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung gewährleistet die Grundrechte und verbietet Folter und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung. Die Sicherheitsbehörden unterliegen der effektiven Kontrolle der zivilen Behörden und die Regierung bestreitet, dass sie die Anwendung von Folter erlaubt (USDOS 11.3.2020).
Folter ist gemäß Verfassung unter Strafe gestellt (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Marokko ist Vertragsstaat der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen und hat auch das Zusatzprotokoll unterzeichnet (AA 14.2.2018; vgl. ÖB 5.2019). Der CNDH (Conseil National des Droits de l'Homme / Nationaler Menschenrechtsrat) ist für den Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter zuständig (CDNH o.D.; vgl. AA 14.2.2018, AI 26.2.2019). Die marokkanische Regierung lehnt den Einsatz von Folter ab und bemüht sich um aktive Prävention. Der Einsatz von systematischer, staatlich angeordneter Folter wird auch von NGOs nicht bestätigt. Gleichwohl berichten NGOs über Fälle von nicht gesetzeskonformer Gewaltanwendung gegenüber Inhaftierten durch Sicherheitskräfte. Die marokkanische Menschenrechtsorganisation OMDH („Organisation Marocaine des Droits de l’Homme“) geht vom Fehlverhalten einzelner Personen aus (AA 14.2.2018). Es kommt weiterhin zu Fällen übermäßiger Gewalt durch die Polizei und Folter in Gewahrsam. Einige der in den letzten Jahren inhaftierten Demonstranten gaben an, während der Festnahme geschlagen und verletzt worden zu sein, und einige wurden bis zur Verhandlung länger in Einzelhaft gehalten. Gefängnisse leiden häufig unter Überfüllung. Die Verurteilungen der Hirak-Rif-Demonstranten im April 2019 basierten auf durch Folter erlangten Geständnissen, die die Angeklagten während des Prozesses alle widerriefen (FH 4.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, AI 18.2.2020).
Es gibt Berichte, dass Folter oder exzessive Polizeigewalt vorkommen (FH 4.3.2020). Der Staatsminister für Menschenrechte räumt ein, dass Folter in Einzelfällen auftritt, aber es sich nicht mehr um eine systematische Praxis handeln würde. Es besteht kein systematischer Mechanismus, Menschenrechtsverletzungen und Korruption wirksam zu untersuchen und zu bestrafen, was Straffreiheit bei Vergehen durch die Sicherheitskräfte begünstigt (USDOS 11.3.2020). Die Behörden haben es versäumt, den Vorwürfen von Folter und anderen Misshandlungen angemessen nachzugehen, was zu unfairen Gerichtsverfahren führte. In mehreren Fällen wurde eine längere Einzelhaft von Gefangenen verzeichnet, die auf Folter oder andere Misshandlungen hinausläuft (AI 18.2.2020). Inhaftierte Islamisten werfen dem Sicherheitsapparat, insbesondere dem Inlandsgeheimdienst DGST, vor, Methoden anzuwenden, die rechtsstaatlichen Maßstäben nicht immer genügen (z.B. lange U-Haft unter schlechten Bedingungen, kein Anwaltszugang). Die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien dokumentieren diese Vorwürfe nur bruchstückhaft (AA 14.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 9.10.2019
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Morocco and Western Sahara, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025837.html, Zugriff 7.7.2020
- AI - Amnesty International (4.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Morocco/Western Sahara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003693/MDE2998912019ENGLISH.pdf, Zugriff 9.10.2019
- CDNH - Kingdom of Morocco, National Human Rights Council (o.D.): CNDH mandate for the protection of human rights, https://www.cndh.org.ma/an/presentation/cndhs-mandate-area-human-rights-protection, Zugriff 2.4.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022718.html, Zugriff 7.7.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Korruption
Das Gesetz sieht für behördliche Korruption Strafen vor, doch setzt die Regierung die gesetzlichen Regelungen nicht effektiv um (USDOS 11.3.2020). Korruption ist in den staatlichen Institutionen und in der Wirtschaft weit verbreitet (FH 4.3.2020; vgl. GIZ 5.2020a). Staatsbedienstete, die in Korruptionsfälle verwickelt sind, gehen straffrei aus. Es gibt Berichte über Korruptionsfälle bei der Exekutive, Legislative und in der Justiz. Korruption ist bei der Polizei weit verbreitet (USDOS 11.3.2020).
Trotz der offiziellen Rhetorik über die Korruptionsbekämpfung ist die Bilanz bei der Durchsetzung der Gesetze gemischt. Tiefgreifende Reformen zur Bekämpfung der Korruption werden durch einen Mangel an politischem Willen, geringe institutionelle Kapazitäten und den Einfluss von Eliten, die vom Status quo profitieren, gebremst (FH 4.3.2020; vgl. GIZ 5.2020a) .
Die Antikorruptionsbehörde National Authority for Probity, Prevention, and Fighting Corruption (INPPLC), das Justizministerium und die Hohe Rechnungskontrollbehörde (Government Accountability Court) sind für Korruptionsfragen zuständig. Die Behörden ermitteln in Fällen von Korruption kleineren Ausmaßes, jedoch hängen die Fälle manchmal in den Ermittlungs- oder Verhandlungsphasen fest. Korruptionsvorwürfe gegen die Polizei werden oft abgeschmettert, da ausschließlich die Aussagen der Polizisten berücksichtigt werden (USDOS 11.3.2020).
Marokko belegt im Korruptionswahrnehmungsindex 2019 den 80. von insgesamt 180 Plätzen (TI 23.1.2020).
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020
- GIZ- Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/marokko/geschichte-staat/, Zugriff 2.7.2020
- TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Allgemeine Menschenrechtslage
Der Grundrechtskatalog (Kapitel I und II) der Verfassung ist substantiell; wenn man noch die durch internationale Verpflichtungen übernommenen Grundrechte hinzuzählt, kann man von einem recht umfassenden Grundrechtsrechtsbestand ausgehen. Als eines der Kerngrundrechte fehlt die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Verfassung selbst stellt allerdings den Rechtsbestand unter den Vorbehalt der traditionellen „roten Linien“ - Monarchie, islamischer Charakter von Staat und Gesellschaft, territoriale Integrität (i.e. Annexion der Westsahara) - quasi als „Baugesetze“ des Rechtsgebäudes. Der vorhandene Rechtsbestand, der mit der neuen Verfassungslage, v.a. in Bereichen wie Familien- und Erbrecht, Medienrecht und Strafrecht, teilweise nicht mehr konform ist, gilt weiterhin (ÖB 5.2019).
In den unter Titel II aufgeführten Artikeln 19 bis 35 garantiert die Verfassung die universellen Menschenrechte (AA 14.2.2018).
Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht festzustellen. Gewichtige Ausnahme: wer die Vorrangstellung der Religion des Islam in Frage stellt, die Person des Königs antastet oder die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko anzweifelt. Obwohl Kritik an den Staatsdoktrinen strafrechtlich sanktioniert wird, werden entsprechende Verurteilungen in den vergangen Jahren eher selten bekannt. Marokkanische NGOs sind der Auffassung, dass administrative Schikanen eingesetzt und Strafverfahren zu anderen Tatbeständen (z. B. Ehebruch oder Steuervergehen) angestoßen oder auch konstruiert werden, um politisch Andersdenkende sowie kritische Journalisten einzuschüchtern oder zu verfolgen (AA 14.2.2018).
Im Mai 2017 stellte sich Marokko dem Universellen Staatenüberprüfungsverfahren (UPR) des UN-Menschenrechtsrats. Marokko akzeptierte 191 der 244 Empfehlungen (AA 14.2.2018).
Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit garantiert, einige Gesetze schränken jedoch die Meinungsfreiheit im Bereich der Presse und den sozialen Medien ein (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 14.2.2018). Es kommt vereinzelt zur Strafverfolgung von Journalisten. Staatliche Zensur existiert nicht, sie wird durch die Selbstzensur der Medien im Bereich der drei Tabuthemen ersetzt. Ausländische Satellitensender und das Internet sind frei zugänglich (AA 14.2.2018).
Gesetzlich unter Strafe gestellt und aktiv verfolgt sind und werden kritische Äußerungen betreffend den Islam, die Institution der Monarchie und die offizielle Position der Regierung zur territorialen Integrität und den Anspruch auf das Gebiet der Westsahara (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, AA 14.2.2018, FH 4.3.2020), sowie Kritik an Staatsinstitutionen oder das Gutheißen von Terrorismus. Für Kritik in diesen Bereich können weiterhin Haftstrafen verhängt werden. Für kritische Äußerungen in anderen Bereichen wurden Haftstrafen im Rahmen einer Änderung des Pressegesetzes im Juli 2016 abgeschafft und durch Geldstrafen ersetzt (HRW 14.1.2020).
Verfolgung wegen politischer Überzeugungen erfolgt zwar nicht systematisch flächendeckend, bleibt aber ein reelles Risiko für politisch aktive Personen außerhalb des politischen Establishments und Freigeister. Parameter des „Wohlverhaltens“ sind die „roten Linien“ (Monarchie, Islam, territoriale Integrität) sowie der Kampf gegen den Terrorismus. Wer sich dagegen kritisch äußert oder dagegen politisch aktiv wird, muss mit Repression rechnen. Durch Fokussierung auf Einzelfälle, deren Publizierung gar nicht behindert wird, entsteht eine generalpräventive Grundstimmung: die Marokkaner wissen sehr gut abzuschätzen, wann sie mit Äußerungen in tiefes Wasser geraten könnten. Dies hindert aber nicht, dass Jugend, Menschenrechtsaktivisten, Interessensvertreter dennoch laufend ihre Stimme erheben, wobei nicht jede kritische oder freiherzige Äußerung unbedingt Konsequenzen haben muss; insbesondere Medien und Persönlichkeiten mit großer Visibilität wird ein gewisser Freiraum zugestanden. Gegenüber Regierung, Ministern und Parlament etwa kann ganz freimütig Kritik geübt werden. Die „kritische Masse“ für das Eingreifen der Obrigkeit scheint erst beim Zusammentreffen mehrerer Faktoren zustande zu kommen: Etwa Infragestellen des Autoritätsgefüges (Königshaus, Sicherheitskräfte) oder Kritik am Günstlingsumfeld des Hofes („Makhzen“) verbunden mit publizitärer Reichweite des Autors (ÖB 5.2019).
Die – auch im öffentlichen Raum kaum kaschierten – Überwachungsmaßnahmen erstrecken sich auch auf die Überwachung des Internets und elektronischer Kommunikation, wobei Aktivisten, die für eine unabhängige Westsahara eintreten – vor allem im Gebiet der Westsahara selbst – besonders exponiert sind (ÖB 5.2019).
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind in der Verfassung von 2011 verfassungsrechtlich geschützt, werden aber durch die „roten Linien“ Glaube, König, Heimatland eingeschränkt (AA 14.2.2018). Versammlungen von mehr als drei Personen sind genehmigungspflichtig (USDOS 11.3.2020). Die Behörden gehen meist nicht gegen öffentliche Ansammlungen und die häufigen politischen Demonstrationen vor, selbst wenn diese nicht angemeldet sind (AA 14.2.2018; vgl. USDOS 11.3.2020). In Einzelfällen kommt es jedoch zur gewaltsamen Auflösung von Demonstrationen (AA 14.2.2018; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020).
2017 gab es eine Vielzahl von Protesten gegen staatliches Versagen, Korruption und Machtwillkür in der Rif-Region, die unter dem Schlagwort „Hirak“ zusammengefasst werden. Berichtet wurde von zunehmend hartem Durchgreifen der Sicherheitskräfte, Videos von Polizeieinsätzen wurden durch Aktivisten in Facebook hochgeladen (AA 14.2.2018).
Obwohl verfassungsmäßig Vereinigungsfreiheit gewährleistet ist, schränkt die Regierung dieses Recht manchmal ein (USDOS 11.3.2020). Organisationen wird die offizielle Registrierung verweigert (HRW 14.1.2020). Politischen Oppositionsgruppen und Organisationen, die den Islam als Staatsreligion, die Monarchie, oder die territoriale Integrität Marokkos infrage stellen, wird kein NGO-Status zuerkannt (USDOS 11.3.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 10.10.2019
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2030898.html, Zugriff 2.7.2020
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Morocco, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022718.html, Zugriff 20.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Bewegungsfreiheit
Gesetzlich sind innerhalb des Landes Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung gewährleistet. Die Behörden respektieren diese Rechte üblicherweise (USDOS 11.3.2020).
Sahrawis/Sahraouis genießen innerhalb Marokkos uneingeschränkte Bewegungsfreiheit (AA 14.2.2018). Die Regierung stellte Sahrawis weiterhin Reisedokumente zur Verfügung, und es wurden keine Fälle von Behörden gemeldet, die Sahrawis daran hinderten, das Land zu verlassen (USDOS 11.3.2020).
Wer nicht per Haftbefehl gesucht wird, kann unter Beachtung der jeweiligen Visavorschriften in der Regel problemlos das Land verlassen. Dies gilt auch für bekannte Oppositionelle oder Menschenrechtsaktivisten (AA 14.2.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 5.9.2019
- USDOS - United States Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Morocco, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/MOROCCO-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 2.4.2020
Grundversorgung
Die Grundversorgung der Bevölkerung ist gewährleistet, Brot, Zucker und Gas werden subventioniert. Staatliche soziale Unterstützung ist kaum vorhanden, vielfach sind religiös-karitative Organisationen tätig. Die entscheidende Rolle bei der Betreuung Bedürftiger spielt nach wie vor die Familie. Staatliche und sonstige Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer gibt es nicht (AA 14.2.2018).
König Mohammed VI. und die bisherige Regierung streben eine durchgreifende Modernisierung und Diversifizierung des Landes an, das seine Chancen neben dem Hauptpartner EU verstärkt in Afrika sucht. Gebergemeinschaft, OECD und IWF unterstützen diesen Modernisierungskurs (AA 6.5.2019c). Formal ist Marokko eine freie Marktwirtschaft. Bedingt durch die starke Stellung der Königsfamilie und alteingesessener Eliten ist der Wettbewerb jedoch verzerrt. Seit dem Machtantritt von König Mohammed VI. hat die Vormachtstellung der Königsfamilie in Schlüsselsektoren wie Landwirtschaft, Bergbau, Einzelhandel, Transport, Telekommunikation und erneuerbaren Energien weiter zugenommen. Gleichzeitig sind immer mehr Marokkaner auf Überweisungen aus dem Ausland angewiesen, um zu überleben (GIZ 5.2020c).
Ein gravierendes Problem bildet nach wie vor die Arbeitslosigkeit 2018 (laut IMF bei 9,8%, Dunkelziffer liegt wesentlich höher), vor allem unter der Jugend (ÖB 5.2019). Der Bevölkerungszuwachs in den aktiven Altersgruppen liegt deutlich höher als die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die reale Arbeitslosenquote, insbesondere bei Jugendlichen, liegt deutlich über den offiziell angegebenen ca. 10% (AA 6.5.2019c).
Laut Informationen der Weltbank steht Marokko in der MENA-Region bei der Höhe der Auslandsüberweisungen von Migranten (Remittances) an zweiter Stelle. Zur Sicherung des sozialen und politischen Friedens verteilt der Staat Subventionen: Diese wurden in den letzten Jahren allerdings gekürzt, von 5 Mrd. Euro auf voraussichtlich umgerechnet 1,2 Mrd. Euro in 2018. Für das Jahr 2019 wurde eine Erhöhung um 30% auf 1,6 Mrd. Euro angekündigt. Trotz Subventionskürzungen und Privatisierungen hat die Staatsverschuldung in den vergangenen Jahren zugenommen (GIZ 5.2020c).
Der informelle Bereich der Wirtschaft wird statistisch nicht erfasst, entfaltet aber erhebliche Absorptionskraft für den Arbeitsmarkt. Fremdsprachenkenntnisse - wie sie z.B. Heimkehrer aufweisen - sind insbesondere in der Tourismusbranche und deren Umfeld nützlich. Arbeitssuchenden steht die Internet-Plattform des nationalen Arbeitsmarktservices ANAPEC zur Verfügung (www.anapec.org), die neben aktueller Beschäftigungssuche auch Zugang zu Fortbildungsmöglichkeiten vermittelt. Unter 30-Jährige, die bestimmte Bildungsebenen erreicht haben, können mit Hilfe des OFPPT (www.ofppt.ma/) eine weiterführende Berufsausbildung einschlagen. Die marokkanische Regierung führt Programme der Armutsbekämpfung (INDH) und des sozialen Wohnbaus. Eine staatlich garantierte Grundversorgung/arbeitsloses Basiseinkommen existiert allerdings nicht. Der Mindestlohn (SMIG) liegt bei 2.570 Dirham (ca. EUR 234). Ein Monatslohn von etwa dem Doppelten dieses Betrags gilt als durchaus bürgerliches Einkommen. Statistisch beträgt der durchschnittliche Monatslohn eines Gehaltsempfängers 4.711 Dirham, wobei allerdings die Hälfte der - zur Sozialversicherung angemeldeten - Lohnempfänger nur den Mindestlohn empfängt. Ein ungelernter Hilfsarbeiter erhält für einen Arbeitstag (10 Std.) ca. 100 Dirham, Illegale aus der Subsahara erhalten weniger (ÖB 5.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 14.10.2019
- AA - Auswärtiges Amt (6.5.2019c): Marokko - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/wirtschaft/224082, Zugriff 5.9.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020c): LIPortal - Marokko – Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/marokko/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 6.7.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
Medizinische Versorgung
Politisch verantwortlich für die medizinische Versorgung ist das Gesundheitsministerium. Die meisten Marokkaner müssen für ihre Gesundheit allein vorsorgen. Wer einen formellen Arbeitsvertrag hat, ist zwar offiziell krankenversichert, aber viele Leistungen müssen trotzdem aus eigener Tasche bezahlt werden. Patienten mit geringem Einkommen haben seit 2002 die Möglichkeit, sich im Rahmen der öffentlichen Assurance Maladies Obligatoire (AMO) oder des Gesundheitssystems Régime d'Assistance Médicale (RAMED) behandeln zu lassen (GIZ 5.2020b).
Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht ganz zu vergleichen. In Rabat und Casablanca finden sich allerdings ausgezeichnete Privatkliniken von hohem Standard. Auf dem Lande hingegen kann die medizinische Versorgung bezüglich der apparativen Ausstattung bzw. Hygiene problematisch sein (AA 6.7.2020).
Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert. Medizinische Dienste sind kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards. Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 14.2.2018).
Rund 30.000 Menschen in Marokko sollen mit HIV infiziert sein. Knapp 50% der Infizierten sind weiblich. Schätzungsweise 2% der Prostituierten sind HIV-positiv. Damit hat Marokko in der MENA-Region eine Spitzenposition inne (GIZ 10.2019b). Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist allerdings fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 14.2.2018).
Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3% der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen. Die Teilnahme an RAMED ist gratis („Carte RAMED“), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 5.2019). Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine „Carte RAMED“ erhalten. Bei Vorlage dieser Karte sind Behandlungen kostenfrei (AA 14.2.2018).
Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.200 Einwohner); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 5.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 14.10.2019
- AA - Auswärtiges Amt (6.7.2020): Marokko: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/marokko-node/marokkosicherheit/224080, Zugriff 6.7.2020
- GIZ- Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020a), LIPortal - Marokko - Gesellschaft, https://www.liportal.de/marokko/gesellschaft/, Zugriff 6.7.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
Rückkehr
Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Aus den letzten Jahren sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einem Gerichtsurteil wegen der Stellung eines Asylantrags oder wegen des in einem Asylantrag enthaltenen Vorbringens gekommen wäre (AA 14.2.2018).
Auf institutioneller Basis wird Rückkehrhilfe von IOM organisiert, sofern der abschiebende Staat mit IOM eine diesbezügliche Vereinbarung (mit Kostenkomponente) eingeht; Österreich hat keine solche Abmachung getroffen. Rückkehrer ohne eigene finanzielle Mittel dürften primär den Beistand ihrer Familie ansprechen; gelegentlich bieten auch NGOs Unterstützung. Der Verband der Familie und Großfamilie ist primärer sozialer Ankerpunkt der Marokkaner. Dies gilt mehr noch für den ländlichen Raum, in welchem über 40% der Bevölkerung angesiedelt und beschäftigt sind. Rückkehrer würden in aller Regel im eigenen Familienverband Zuflucht suchen. Der Wohnungsmarkt ist über lokale Printmedien und das Internet in mit Europa vergleichbarer Weise zugänglich, jedenfalls für den städtischen Bereich (ÖB 5.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko, https://www.ecoi.net/en/file/local/1424844/4598_1519120123_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-im-koenigreich-marokko-stand-november-2017-14-02-2018.pdf, Zugriff 6.9.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft in Rabat (5.2019): Asylländerbericht Marokko
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die zitierten Länderberichte zu Marokko.
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht fest.
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seinen Familienverhältnissen, seinem Gesundheitszustand, seiner Erwerbsfähigkeit, seiner Berufserfahrung, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Konfession sowie zu seiner fehlenden Integration in Österreich gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufkommen lässt.
2.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer begründete seinen verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz mit wirtschaftlichen Gründen. So gab er in der Erstbefragung an, dass der Zustand in Marokko „allgemein sehr schlecht“ sei, befürchten würde er bei einer Rückkehr aber „nichts Besonderes“. Auch in der ausführlicheren Einvernahme durch die belangte Behörde behauptete der Beschwerdeführer keine Verfolgung; er gab an, dass er Marokko verlassen habe, weil er sich hier ein Leben aufbauen und arbeiten wolle und bestätigte, dass er Marokko aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Die Frage nach persönlichen Problemen oder ob er Probleme bei der Rückkehr erwarte, verneinte er explizit. Nachdem er auf den Umstand hingewiesen wurde, dass Marokko nach österreichischem Recht als sicherer Herkunftsstaat gilt, meinte er, dass es keine Probleme wie Krieg geben würde, aber „normale Probleme“; man habe keine Rechte und verdiene kein Geld.
Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass diesem Vorbringen weder eine konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers noch eine besondere Rückkehrgefährdung zu entnehmen ist. Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er sollte im Falle seiner Rückkehr durch die Aufnahme einer Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei um eine Hilfstätigkeit handelt, seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Seine berufliche Erfahrung als KFZ-Mechaniker wird ihm dabei ebenso zugutekommen wie der Umstand, dass er wieder im Haus seiner Eltern unterkommen kann.
Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19-Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf den Beschwerdeführer. Dass er derzeit an einer COVID-19-Infektion leidet oder im Hinblick auf eine etwaige Vorerkrankung zu einer vulnerablen Personengruppe gehören würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 39 Jahre, ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt bei unter 1%. Auch ist die Situation im marokkanischen Gesundheitsbereich unter Kontrolle, es existiert kein Wasser- oder Nahrungsmittelengpass und wurde für die Dauer der Pandemie zudem eine Art bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt (vgl. dazu die Ausführungen unter Punkt A) 1.2.). Es fehlt daher auch vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie fallgegenständlich an den geforderten außergewöhnlichen Umständen iSd Art. 3 EMRK.
Aus dem Gesagten war die Feststellung zu treffen, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Marokko somit nicht automatisch dazu führt, dass er einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Auch ist er angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
2.3. Zu den Länderfeststellungen:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 200