TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/10 W111 2204080-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.2021
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Entscheidungsdatum

10.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W111 2204080-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Bezug auf den am 02.03.2016 gestellten Antrag auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.11.2020, zu Recht:

A) I. Der Antrag auf internationalen Schutz wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wird der Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wird gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsbürger der Russischen Föderation, stellte am 02.03.2016 den vorliegenden Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, nachdem er zuvor auf dem Luftweg ins Bundesgebiet eingereist war. Anlässlich seiner am 03.03.2016 abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er stamme aus Tschetschenien und bekenne sich zum islamischen Glauben. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Jahr 2015 gefasst und er habe Österreich als sein Zielland gewählt, da er seinen hier aufhältigen Bruder, welcher Invalide sei, habe unterstützen wollen. Der Beschwerdeführer habe den Herkunftsstaat legal mit einem Visum für Deutschland verlassen und sei über Deutschland und Frankreich nach Österreich gereist. Zum Grund seiner Flucht führte er aus, seine gesamte Familie leide seit vielen Jahren unter Gewalt und Angriffen durch Kadyrows Armee. Der Beschwerdeführer sei im Jahr 2003 verhaftet und zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er habe sich im schlimmsten Gefängnis in Sibirien befunden und sei dort schwer verletzt und misshandelt worden; ihm sei dort auch die Wirbelsäule gebrochen worden. Sein nunmehr in Österreich aufhältiger Bruder sei ebenfalls verhaftet und für kurze Zeit eingesperrt worden, einige seiner Familienmitglieder seien sogar getötet worden. Die Leute des Kadyrow hätten seinen gesamten Besitz enteignet. Diese Ungerechtigkeit sei politisch motiviert. In Tschetschenien sei es üblich, dass die Armee Auszeichnungen vom russischen Geheimdienst für die Aufdeckung vieler Kriminalfälle erhielte. Nach seiner Entlassung im Jahr 2014 sei der Beschwerdeführer mehrmals von der Polizei vorgeladen und vorgeführt worden. Da er in die Ukraine hätten gehen sollen, um dort zu kämpfen und dies nicht gewollt habe, habe er beschlossen, aus Tschetschenien zu flüchten. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, eingesperrt oder getötet zu werden.

Eine Abfrage aus dem Visa-Informationssystem des Bundesministeriums für Inneres ergab, dass der Beschwerdeführer im Besitz eines deutschen Visums, ausgestellt von der deutschen Botschaft in Moskau, gültig von 03.02.2016 bis 17.02.2016, gewesen ist.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete in der Folge ein Aufnahmegesuch an Deutschland, welchem die deutschen Behörden mit Schreiben vom 25.04.2016 gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ausdrücklich zustimmten.

Am 08.07.2016 wurde dem Beschwerdeführer die beabsichtigte Vorgehensweise des Bundesamtes zur Kenntnis gebracht, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen einer angenommenen Zuständigkeit Deutschlands zurückzuweisen.

Anlässlich einer am 16.07.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgehaltenen Einvernahme im Zulassungsverfahren gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers und einer Rechtsberaterin im Wesentlichen an, er habe im Verfahren bis dato wahrheitsgemäße Angaben erstattet; er leide an Hepatitis C und sei in Österreich viermal wegen Nierenproblemen operiert worden. Der Bruder des Beschwerdeführers lebe als anerkannter Flüchtling in Österreich; dieser sei verheiratet und „zu 50% Invalide.“ Der Bruder sei abhängig von der Hilfe des Beschwerdeführers und brauche dessen psychologische Unterstützung.

Der Beschwerdeführer brachte ein Konvolut an medizinischen Unterlagen sowie Belege über seine Verurteilung und Haft im Herkunftsstaat sowie eine polizeiliche Ladung in Vorlage.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-Verordnung Deutschland zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und es wurde ausgesprochen, dass dessen Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

3. Gegen diesen Bescheid richtete sich eine am 10.10.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachte Beschwerde.

Mit Eingabe vom 27.10.2016 wurden auf Russisch abgefasste Schreiben der in Frankreich lebenden Schwester und weiterer Familienangehöriger des Beschwerdeführers übermittelt, deren Übersetzung ins Deutsche durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Folge veranlasst wurde (vgl. AS 373 ff). In den Schreiben wurde die die Familie des Beschwerdeführers treffende Verfolgungsgefahr näher dargelegt.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2016, Zahl: W240 2137009-1, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei innerhalb der bis 25.10.2016 laufenden sechsmonatigen Überstellungsfrist nicht nach Deutschland überstellt worden, sodass die Zuständigkeit für die Führung des Verfahrens gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung mit Ablauf des 25.10.2016 auf die Republik Österreich übergegangen sei.

5. Am 19.06.2017 wurde der Beschwerdeführer im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er habe bis dato im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben erstattet, welche korrekt protokolliert und rückübersetzt worden seien. Er gehöre der Volksgruppe der Tschetschenen an und sei seit dem Vortag Christ. Er habe sich schon länger mit dem christlichen Glauben befasst und am Vortag den Entschluss gefasst, zu konvertieren. Im Herkunftsland würde noch eine Schwester mit ihrer Familie leben, sein Elternhaus in XXXX stünde leer. Die Eltern des Beschwerdeführers würden als Asylwerber in Deutschland leben. Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder; sein Bruder lebe mit seiner Familie bereits seit neun Jahren in Österreich. In Österreich lerne der Beschwerdeführer Deutsch und habe Kontakt zu seinem Bruder, zudem habe er Kontakt zu einer Familie, welche ihn in der Glaubensfrage begleite. Im Herkunftsstaat habe der Beschwerdeführer die Schule besucht, eine Ausbildung zum Automechaniker absolviert und vor dem Krieg zuletzt selbständig ein Café und ein Geschäft betrieben. Der Beschwerdeführer sei in Zusammenhang mit dem tschetschenischen Konflikt mit Russland vor Gericht gestellt worden, ein Verwandter von ihm sei Kommandant auf tschetschenischer Seite gewesen. Der Beschwerdeführer selbst habe nie an Kampfhandlungen teilgenommen. Seinem Bruder und ihm seien Waffen untergeschoben worden und sie seien eingesperrt worden; von den Schlägen der russischen Kräfte habe der Beschwerdeführer überall am Kopf Narben, er sei zwei Monate lang gelähmt gewesen. Er habe zu Unrecht eine langjährige Haftstrafe bekommen. Nach seiner Entlassung habe er keine Arbeit finden können und sei von seinen Verwandten unterstützt worden; er sei weiterhin verfolgt worden. Auf die Frage, von wem diese Verfolgung ausgegangen sei, antwortete der Beschwerdeführer: „Von Bluträchern“ und gab auf Nachfrage an, es habe sich um eine Familie aus XXXX mit näher bezeichneten Namen gehandelt, dies alles hätte mit seinem Onkel zu tun, welcher Kommandant bei den Tschetschenen gewesen sei. Sie hätten die Sonderbehörden eingebunden, um den Beschwerdeführer zu verfolgen.

Der Grund, weshalb er nun seine Heimat verlassen habe, sei die Rettung seines Lebens gewesen; entweder man hätte ihn umgebracht oder für lange Zeit ins Gefängnis gesteckt, ein zweites Mal hätte er dies nicht mehr überlebt. Ungefähr ein Jahr nach seiner Haftentlassung sei er von der Polizei zusammengeschlagen worden. Man habe ihn auf dem Nachhauseweg in XXXX angehalten, ihn in ein Polizeirevier gebracht und habe ihm die Zähne ausgeschlagen; man habe ihm gesagt, dass man ihn zum Kämpfen in die Ukraine schicken werde, wogegen sich der Beschwerdeführer geweigert hätte. Er hätte auf russischer Seite kämpfen sollen, man habe ihm deswegen die Zähne ausgeschlagen. Der Beschwerdeführer habe Dokumente besessen, welche nachgewiesen hätten, dass er an Tuberkulose erkrankt wäre, sodass die Leute von ihm abgelassen hätten. Aus diesem Grund und wegen der Blutrache sei er ausgereist. Sein Bruder, welcher in Österreich lebe, habe zu Hause ebenfalls Probleme in Zusammenhang mit der Blutrache gehabt. Auf die Frage, wie es zu dieser Blutrache gekommen sei, erklärte der Beschwerdeführer, es habe sich um Leute gehandelt, die den gleichen Familiennamen wie sie gehabt hätten, jedoch nicht mit ihnen verwandt wären. Ein Mann mit diesem Namen sei am Leben, er arbeite für die Russen und sei sehr einflussreich; von 2010 aufwärts habe dieser sehr viele tschetschenische Kämpfer ausgeforscht und getötet. Im Internet gebe es ein Foto und Beschreibungen seiner Person. Zuletzt habe der Beschwerdeführer gehört, dass diese Person angeblich in Syrien sein solle. Der Bruder jenes Mannes sei im zweiten Tschetschenienkrieg getötet worden und dessen Familie sei der Ansicht, dass der in Österreich aufhältige Bruder des Beschwerdeführers hierfür die Verantwortung tragen würde. Wie genau es zu dieser Anschuldigung gekommen wäre, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt, angeblich solle der Bruder des Beschwerdeführers Informationen weitergegeben haben, dies sei jedoch nicht zutreffend. Die Fehde habe begonnen, als der Beschwerdeführer im Gefängnis gewesen sei, also vor etwa neun Jahren. Der Beschwerdeführer selbst habe keinen Kontakt zu der gegnerischen Familie gehabt; er habe diesen Mann einmal gesehen, bevor er ins Gefängnis gekommen sei und es das Problem noch nicht gegeben hätte. Der Mann sei damals noch auf Seite der Tschetschenen gewesen und habe dann die Seiten gewechselt. Konkrete Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer habe es nach seiner Entlassung nicht gegeben, er habe jedoch Drohungen erhalten, welche ihm von anderen Leuten zugetragen worden seien. Zudem seien da noch die Leute, welche den Onkel des Beschwerdeführers umgebracht hätten, es habe sich beim Täter um den Bürgermeister eines näher bezeichneten Ortes gehandelt. Der Onkel sei im Jahr 2005 umgebracht worden und nun werde auch der Beschwerdeführer wegen der Blutrache bedroht. Nach dem Grund der Bedrohung gefragt, gab der Beschwerdeführer an, die eingangs erwähnte Familie habe den Beschwerdeführer aktiv verfolgt und über seine Tante bedroht; sie hätten erfahren, dass er aus der Haft entlassen worden sei. Sein Bruder sei zur Fahndung ausgeschrieben worden und werde immer noch bundesweit gesucht; nach dem Beschwerdeführer werde nicht gefahndet, dieser werde von den Bluträchern verfolgt. Die Blutrache bestehe seitdem der Bruder des erwähnten Mannes getötet worden sei und richte sich gegen alle männlichen Familienmitglieder. Der Bruder des erwähnten Mannes sei durch die föderalen Streitkräfte während des zweiten Tschetschenienkrieges umgebracht worden; der Mann habe zu dieser Zeit schon für Russland gearbeitet, sein Bruder jedoch nicht.

Für den Fall einer Rückkehr habe der Beschwerdeführer wirklich Angst davor, umgebracht zu werden. Er habe seine gesamte Jugend im Gefängnis verbracht und wolle endlich einfach nur leben können. Dem Beschwerdeführer wurden sodann die zu seinem Herkunftsstaat herangezogenen Berichte sowie die Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, demnach dem Beschwerdeführer im Herkunftsland keine relevante Gefahrenlage drohe, zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführer gab dazu an, dass sein Leben in Gefahr wäre.

Er erklärte sodann, ausreichend Gelegenheit zur Darlegung seines Vorbringens gehabt zu haben und bestätigte nach Rückübersetzung die Richtigkeit und Vollständigkeit der aufgenommenen Niederschrift durch seine Unterschrift.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Unterlagen zum Beleg seines Fluchtvorbringens sowie seines Gesundheitszustandes vor.

6. Mit Eingabe vom 06.08.2018 wurde durch den nunmehr bevollmächtigten Rechtsanwalt die gegenständliche Säumnisbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG eingebracht. Begründend wurde ausgeführt, seit der Antragstellung auf internationalen Schutz am 02.03.2016 seien bereits zwei Jahre und vier Monate vergangen, ohne dass die belangte Behörde eine Sachentscheidung getroffen hätte. Es läge sohin jedenfalls eine Säumnis der nunmehr belangten Behörde hinsichtlich der sie treffenden Entscheidungspflicht vor, welche vom Beschwerdeführer nicht verschuldet sei und auch auf keine komplexe Sach- oder Rechtslage zurückgeführt werden könne.

7. Am 23.08.2018 legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gegenständliche Säumnisbeschwerde sowie den bezugshabenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

8. Mit Eingabe vom 01.10.2018 erstattete der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers eine ergänzende Stellungnahme, in welcher auf wiederholte gewaltsame Übergriffe gegen die Person des Beschwerdeführers im Bundesgebiet verwiesen wurde. Der Täter sei durch ein inländisches Gericht zuletzt rechtskräftig verurteilt worden und habe gegenüber dem Beschwerdeführer bereits bekanntgegeben, sich zu einem späteren Zeitpunkt an diesem und allenfalls an Familienangehörigen rächen zu wollen. Der dargelegte, unter einem durch unbedenkliche Urkunden (einstweilige Verfügung vom 21.09.2017, Zeugenvernehmung des Beschwerdeführers vom 11.09.2017 und gerichtliche Zeugenladung vom 19.02.2018) nachgewiesene, Sachverhalt, werde jedenfalls auch im Hinblick auf § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu prüfen sein.

9. Mit Schreiben vom 07.10.2020 wurden medizinische Unterlagen vorgelegt.

10. Am 11.11.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte im Vorfeld schriftlich mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten. In der Verhandlung wurde der Bruder des Beschwerdeführers als Zeuge einvernommen.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:

„R: Bitte schildern Sie mir in kurzen Worten Ihren Lebenslauf.

BF: Mein Name ist XXXX , ich komme aus der tschetschenischen Republik, ich bin XXXX geboren worden, noch in der Sowjetunion. Ich war in der Schule, dann war ich bei der Armee für zwei Jahre. Ich habe eine landwirtschaftstechnische, berufsbildende Schule besucht.

R: Was waren Ihre Eltern von Beruf?

BF: Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater hat auch in der Landwirtschaft gearbeitet an einigen führenden Positionen. Er war kein einfacher Arbeiter und er war in der Verwaltung einer Kolchose. Zu der Zeit, als die Sowjetunion zerfiel und Dudajew Präsident wurde, war mein Vater stellvertretender Leiter der Präfektur der Stadtverwaltung.

R: Lebt Ihr Vater noch?

BF: Ja, er ist in Deutschland. Er hat eine positive Entscheidung in Deutschland bekommen. Sie sind nach mir gekommen.

R: Bitte fahren Sie fort, was haben Sie nach der berufsbildenden Schule gemacht?

BF: Ich war in der Armee (nach der achten Klasse der berufsbildenden Schule). Während ich in der Armee war, ist die Sowjetunion zerfallen. Es kam zu politischen Umbrüchen. Einige Zeit habe ich meinen Vater geholfen in der eigenen Landwirtschaft, dann bin ich nach XXXX gegangen. Einige Zeit habe ich sogar in XXXX beim Zoll gearbeitet und dann bin ich nach XXXX gegangen. Ich musste mich irgendwie versorgen. Als ich in XXXX war, ist der Krieg ausgebrochen. Im Jahr 2000 kehrte ich nach Tschetschenien zurück, dann wurden mein Bruder und ich eingesperrt. Ich wurde zu zwölf Jahre Haft verurteilt und mein Bruder zu vier. Als er freigelassen wurde, hat man ihn weiterverfolgt und dann wieder eingesperrt. Man wollte, dass er zugibt an Ermordungen teilgenommen zu haben. Er hat es auch beweisen können, dass er eingesperrt wurde. Ich war selber im Gefängnis. Mein Bruder ist dann nach Österreich gekommen.

R: Warum wurden Sie inhaftiert?

BF: Man hat Waffen bei mir gefunden.

R: Warum hatten Sie diese Waffen?

BF: Ich habe sie gefunden und sie bei mir aufbewahrt. Es handelte sich um AK-47 Gewehre und zwei Pistolen. Und darüber hinaus vier Stück Handgranaten, einen Teil habe ich gefunden und ein Teil war von mir und meinem Bruder, das waren eigene Waffen. Es war 2000, es waren schwere Zeiten, die Leute wurden umgebracht, links und rechts. Ein Menschenleben hatte nicht viel Wert. Der Bruder meiner Mutter war ein General bei der tschetschenischen Armee unter Dudajew. Er heißt XXXX . Er wurde durch einen Scharfschützen vor ca. 20 Jahren umgebracht. Er hatte Konflikte mit Tschetschenen. Die Einzelheiten kenne ich nicht. Das russische Fernsehen hat darüber berichtet, dass die Russen ihn liquidiert hätten. In diesem Konflikt wurden ungefähr zwölf Leute unserer Verwandten umgebracht. Mein Bruder war z.B. oft bei ihm zu Besuch. Wegen meines Onkels wurde mein Bruder oft inhaftiert, gefoltert und verfolgt. Deshalb hatten wir uns die Waffen zugelegt, wir hatten Angst angegriffen zu werden. Manchmal kamen sie in Uniform der Polizei. Die Russen haben behauptet, dass sie meinen Onkel umgebracht hätten. Eigentlich haben es Tschetschenen in ihrem Auftrag gemacht. Man hat meinem Bruder und mir diese Waffen weggenommen und mir alle Knochen gebrochen. Das war eine Spezialeinheit von Tschetschenien, das war 2003. Ich wurde zu zwölf Jahren verurteilt und in eine Kolonie nach Sibirien geschickt. Im Gefängnis wurde ich mit Hepatitis angesteckt, das wusste ich nicht. In diesen zwölf Jahren hat man bei mir keine Untersuchungen gemacht, obwohl ich darum gebeten habe. Ich war im Oblast XXXX , 5000 km von Tschetschenien entfernt, eingesperrt.

R: Was war der offizielle Grund Ihrer Inhaftierung?

BF: Waffen, die Anklage, dass ich die Polizisten umbringen wollte. § 111, das war nicht vorsätzlicher Mord.

R: Haben Sie jemanden getötet?

BF: Ja, er ist im Krankenhaus gestorben. Das waren Faschisten und Nationalisten. Ich habe ihn mit dem Messer erstochen. Ich habe am Anfang alle meine Unterlagen darüber beim BFA abgegeben. Ich habe in XXXX damals gelebt und bin nach XXXX , ich wollte dort Geschäfte machen. Ich habe ein Gebäude als Geschäft genommen, habe für ein halbes Jahr im Voraus die Miete bezahlt und wollte die Waren aus XXXX dorthin bringen (es handelte sich um Kleidung). Darüber war die Wohnung. Ich hatte eine große Familie und wollte sie unterstützen. Dazu war in unserer Heimat Krieg und es war schwer. Ein Freund und ich haben das Auto am Parkplatz geparkt und sind in ein Cafe gegangen. Nicht weit davon entfernt, war ein Wald. Wir haben gegessen und jeder eine Flasche Bier getrunken. Wir wollten dann nach Hause gefahren. Ins Cafe sind zwei getrennte Gruppen gekommen. Irgendjemand von denen hatte Geburtstag und sie haben das gefeiert. Eine Frau aus dieser Gruppe ist dreimal zu mir gekommen und hat mich zum Tanzen eingeladen. Sie wollte wissen, woher wir sind. Wir sahen, dass sie betrunken und russischen Nationalisten waren. Sie haben etwas gesprochen und zu uns geschaut. Ich habe dann zu meinem Freund gesagt, dass wir weggehen sollen, bevor etwas passiert. Im Fernsehen war viel Propaganda, es war keine angenehme Zeit. Ich habe zu dieser Frau höflich Nein gesagt und gesagt, sie solle das Bier als Einladung für die Gruppe nehmen. Wir wollten den Hinterausgang nehmen, aber sie haben dort schon auf uns gewartet. Davor ist diese Frau zu uns gekommen und zurückgegangen und gesagt, dass diese Leute schlecht über uns gesprochen haben. Sie haben auf uns mit Messern und Schlagstöcken gewartet. Sie haben begonnen, uns zu schlagen. Wir hatten Schnittwunden und Hämatome. Ich wollte weglaufen, sie haben mich aber umzingelt und mich festgehalten. Einer von denen hatte ein Messer, ich habe mir bei der Verteidigung die Hände geschnitten. Ich hatte selber ein kleines Messer, da es eine unruhige Zeit war. Ich habe mit dem Messer herumgewunken, damit mir niemand zu nahekommt. Dann bin ich hingefallen und der Mann hat eine Schnittwunde erlitten (BF zeigt auf die Leistengegend) und dort wurde die Hauptschlagader verletzt. Nachgefragt gebe ich an, dass sich das in XXXX ereignet hat. Meine Familie war in Tschetschenien. Dann bin ich sieben Monate eingesperrt worden und kam dann raus. Ich habe Schmiergeld bezahlt, sehr viel Geld und bin nach Tschetschenien gefahren. Ich war in Haft, mein Vater hat das bezahlt. 2001 wurde ich entlassen. Nachgefragt bestätige ich, dass das nichts mit einer politischen Verfolgung zu tun hat.

R: Waren Sie zu dieser Zeit von staatlicher Seite verfolgt?

BF: Ehrlich gesagt, die ganze Zeit, als ich in Russland gelebt habe, wurde ich verfolgt, ich bin so aufgewachsen. Die zwölf Jahre, die ich im Gefängnis war, wurde ich geschlagen.

R: Wann ist Ihr Onkel gestorben?

BF: Genau weiß ich es nicht.

R: Sie haben gesagt, dass Ihr Onkel vor ca. 20 Jahren ermordet wurde. Da waren Sie ca. 30 Jahre alt. Welche Verfolgungshandlungen sind seitdem gegen Sie gesetzt worden? Bisher ist nur von einer siebenmonatigen Haft bzw. Anhaltung in Folge Totschlag bei einer Schlägerei.

BF: Meine Unterlagen liegen bei Ihnen vor, ich wurde wegen folgender Paragraphen verurteilt: 111, 222 und 318.

R: Sie müssen mir erklären, warum Sie asylrelevant verfolgt sein wollen.

BF: Zu unsere Mietwohnung ist die Polizei gekommen und hat uns geschlagen. Ich war vier Monate gelähmt und ich hatte Brüche. Mehrere Knochen waren gebrochen.

R: Wann ist zu Ihrer Mietwohnung die Polizei gekommen?

BF: 2003.

R: Wer hat dort gewohnt?

BF: Mein Bruder XXXX , ein Freund und ich.

R: Wo haben Ihre Eltern gewohnt?

BF: Im Flüchtlingslager. Meine zwei Schwestern und mein jüngerer Bruder auch.

R: Was haben sie drei dort gemacht? Ich möchte Details wissen, z.B. welcher Beschäftigung Sie nachgegangen sind.

BF: Zu diesen Zeiten war Business unmöglich, wir haben humanitäre Hilfe vom Roten Kreuz und ähnlichen ausländischen Organisationen bekommen. Es waren sehr schwere Zeiten. Die jungen Leuten und alte Leute wurden mitgenommen, gefoltert, gequält und angezündet. Das wurde alles mit der Kamera gefilmt. Dann hat man gesagt, es seien Terroristen. Die Innereien hat man ihnen rausgeschnitten und dann ist der Hubschrauber gekommen und hat die Organe schnell transportiert, um sie dann weiterverkaufen zu können. Dann hat man die Überreste einfach in die Luft gesprengt. Das waren schlimme Zeiten.

R: Waren Sie damals in krumme Geschäfte verwickelt?

BF: Nein, ich habe daran nicht teilgenommen.

R: Waren Sie bei einer politischen Widerstandsgruppe?

BF: Ich war für Widerstand.

R: Warum hatten Sie diese Waffen zuhause?

BF: Weil es unruhige Zeiten waren, wir hatten Krieg.

R: Hatten alle solche Waffen zuhause?

BF: Die meisten hatten Waffen. Für meine Familie war es keine einfache Situation, wegen des Onkels und der Blutrache.

R: Ihr Onkel ms war General unter Dudajew, wurde im Auftrag von Russen erschossen. Warum wären Sie ein Ziel von Blutrache gewesen?

BF: Im Vorfeld haben Verwandte von mir Mitglieder der Familie des Täters umgebracht und so kam es zu einer wechselseitigen Blutrache. Der letzte Onkel wurde ermordet, als ich schon im Gefängnis war. So lange gingen diese Ermordungen. Der Mann, der meinen Onkel umgebracht hat, wurde durch die Polizei zu mir in die Zelle gesetzt.

R: Was ist dann passiert in der Zelle?

BF: Ich wusste damals nicht darüber. Wahrscheinlich hatten sie etwas vor. Dann während wir in dieser Zelle saßen, wurde mein letzter Onkel umgebracht. Nachgefragt gebe ich an, dass ich noch männliche Verwandte in Tschetschenien habe. Mein jüngerer Bruder ist nach Kasachstan ausgewandert und erst vor einem Monat nach Tschetschenien zurückgekehrt. Er will aber auch auswandern. Nachgefragt gebe ich an, dass er erst seit zwei Wochen in Tschetschenien ist. In dieser Zeit ist ihm aber nichts passiert.

Der BF zeigt ein Foto im Internet, es würde sich um einen Mann mit dem Vornamen XXXX handeln. Früher hat er an Kampfhandlungen teilgenommen. Sein Nachname ist ebenfalls XXXX , jedoch nicht mit dem BF verwandt.

BF: Jener Mann verfolgt mich wegen Blutrache. Während ich im Gefängnis war wurde sein jüngerer Bruder ermordet. Mit ihm zusammen mein Cousin, sie wurden beide von den russischen Spezialeinheiten ermordet und das bei meiner Oma zuhause. Dieser XXXX und seine Mutter beschuldigten dafür meinen Bruder und meinen Cousin. Dieser XXXX will Blutrache ausüben, wegen seines Bruders. Als ich freigekommen bin und nach Hause kam, wurde mir das erzählt.

R: Im bisherigen Vorbringen haben Sie vorgebracht, dass Sie einmal wegen Totschlages eingesperrt waren, jedoch wegen Bestechung freikamen. Dieser Totschlag habe tatsächlich stattgefunden. Darüber hinaus hätten Sie in weiterer Folge Waffen besessen, diese Waffen hätte die Polizei gefunden und deswegen wurden Sie mehrere Jahre in Sibirien eingesperrt. Weiters würde es zwischen Ihrer Familie und einer namensgleichen Familie, die jedoch nicht verwandt wäre, eine Blutfede geben. Gibt es sonst noch weitere vorgebrachte Verfolgungshandlungen?

BF: Nein. Als ich entlassen wurde, gab es Drohungen, dass ich wieder eingesperrt werde.

R: Weswegen? Wegen der Blutfede?

BF: Mein Bruder und ich sind schon die Gegenseite von denen. Es geht nachgefragt um Blutrache und nicht um politische Motive, etwa weil mein Onkel umgebracht wurde.

R: Geht es um Ihre politische Gesinnung oder um Ihre Zugehörigkeit zu Ihrer Familie?

BF: Sie haben Recht, es geht um die Zugehörigkeit zu meiner Familie und nicht um politische Motive. Mein Vater war allerdings befreundet mit Dudajew und diese verfeindete Familie gehört dem Lager von Kadyrow an.

R: Wäre das Problem nicht gelöst, indem man in einen anderen Teil Russlands zieht?

BF: Kadyrow hat Zugang und Macht über die ganze Russische Föderation.

R: Bei dem Vorfall als Waffen bei Ihnen gefunden wurden. War Ihr Bruder dabei?

BF: Wir wurden zusammen festgenommen.

R: Bitte schildern Sie mir, wie es dazu gekommen ist, dass Sie mit einer Waffe in der Hand festgenommen wurden?

BF: Bei mir hat die Wohnungseigentümerin an der Tür geklopft. Sie hat gesagt, mach die Tür auf, die Polizei ist da. Ich war nicht sicher, ob das die Polizei war. Auch wenn das die Polizei ist, sie kommen entweder um dich umzubringen oder dich festzunehmen. Das waren schwere Zeiten. Ich habe die Tür geöffnet, im Nebenzimmer schlief mein Bruder und noch ein Freund. Ich habe in diesem Zimmer geschlafen, als ich die Tür öffnete, hatte ich eine Handgranate in der Hand. Ich wusste nicht, wer das wirklich ist. So kam es dazu.

R: Wo war diese Wohnung?

BF: In XXXX . Im Dorf XXXX .

R: Was haben Sie in diesem Dorf gemacht?

BF: Ich lebte dort. Ich konnte ja nicht bei meinen Eltern wohnen, weil ich Angst hatte.

R: Warum hatten Sie Angst?

BF: Weil der FSB ist durch die Flüchtlingslager durchgegangen ist und die jungen Leute mitgenommen und sie umgebracht oder festgenommen hat.

R: Wann war diese Festnahme?

BF: Ich glaube im März. Ich weiß nur, dass ich im Sommer 2014 herauskam, genau zwölf Jahre war ich im Gefängnis. Unter offiziellen Adressen zu wohnen, war zu gefährlich. Wenn sie eine Beförderung oder eine Medaille verdienen wollten, haben sie die Leute willkürlich mitgenommen. Ich habe noch etwas noch nicht gesagt, nach mir wurde gefahndet wegen der XXXX Sache.

R: Gab es wegen des Totschlages in XXXX ein Gerichtsverfahren?

BF: Ja, ich wurde auch deshalb zu zwölf Jahren verurteilt.

R: D.h. Sie wurden zu zwölf Jahren verurteilt, wegen Mord bzw. Totschlag und wegen Waffenbesitzes, darunter automatische Waffen und Handgranaten.

BF: Ja, darüber hinaus wegen versuchten Mordes an einen Polizisten. Nachgefragt gebe ich an, dass es sich um jene Beamten gehandelt hat, die vor der Tür gestanden sind und ich mit einer Handgranate entgegengetreten bin und den Sicherungsbolzen der Granate gezogen habe. Die Granate habe ich auf die Polizisten geworfen. Nachgefragt gebe ich an, dass ich vergessen habe, eine zusätzliche Sicherung zu lösen, weil ich nicht gewusst habe, dass es eine zusätzliche Sicherung an der Granate gibt und allein aufgrund dieses Versehens meinerseits die Granate nicht explodiert ist.

R: Worin besteht nun die asylrelevante Verfolgung, da Sie mit einem solchen Urteil, dessen zugrunde gelegter Sachverhalt nicht bestritten wird, wohl in jedem Staat rechnen müssen.

BF: Als ich im Gefängnis war, hat man meinen Onkel umgebracht. Ich will dieser Sache auch keine politische Farbe geben. Gleichzeitig, als ich die Granate gegen die Polizisten geworfen habe, hat mein Bruder auf die Polizisten geschossen. Es gibt in meinem Vorbringen nichts Politisches.

R: Wurden Sie aus sonstigen, asylrelevanten Gründen verfolgt? (R erklärt die Frage)

BF: Das Einzige, was ich vorbringen kann, ist mein Onkel.

R: Was geschah nach der Haftentlassung?

BF: Ich fuhr mit dem Zug nach Tschetschenien.

R: Wo sind Sie in Tschetschenien dann hingegangen?

BF: Dort, wo meine Eltern gewohnt haben, damals waren sie noch in Tschetschenien.

R: Was ist dann passiert?

BF: Ich war in einem sehr schlechten Zustand, ich hatte einen aufgeblasenen Bauch, ich hatte Hepatitis und wurde nicht behandelt. Ich habe dort eine Nacht geschlafen, dann ging ich ins Krankenhaus in XXXX . Ich habe dort nur eine Infusion bekommen. Dann habe ich Untersuchungen gemacht, damit ich weiß, was ich habe. Da habe ich erfahren, dass ich Hepatitis habe. Als ich freigelassen wurde, wurde ich für drei Jahre unter staatsanwaltschaftliche Überwachung gestellt. Ich bekam Ladungen, ich wurde zur Polizei vorgeladen, zu mir kamen die Polizisten unangemeldet. Das war andauernder Stress für mich. Sie haben meine Fingerabdrücke genommen und ich wurde bedroht, dass ich wieder festgenommen werde. Ich hatte kein Geld, daher hat mein Bruder mir 2500 € geborgt, damit ich um dieses Geld die Beamten bestechen kann, um die staatsanwaltschaftliche Überwachung zu beenden.

R: Womit hat man Ihnen gedroht?

BF: Tschetschenien ist ein Sonderfall, dort braucht man nicht viel, um einen Menschen einzusperren. Sie haben mir gedroht, mich einzusperren.

R: Hat man Sie zu einem Verhalten genötigt bzw. versucht zu nötigen? (Frage wird mehrfach wiederholt)

BF: Nein, nichts Konkretes.

R: Am 19.06.2017 haben Sie angegeben, dass man Sie nötigen wollte, an Kämpfen in der Ukraine teilzunehmen. Jetzt erwähnen Sie das trotz mehrfacher Nachfrage nicht, was sagen Sie dazu?

BF: Ja, es gab so ein Gespräch. Es gab so einen Menschen, der von der Polizei geschickt wurde. Er sollte sich mit mir anfreunden und schlug mir inoffiziell vor, dass ich im Monat 300.000 Rubel bekomme, wenn ich in die Ukraine gehen sollte.

R: Wie haben Sie reagiert?

BF: Ich habe abgelehnt.

R: Wie quittierte man diese Ablehnung?

BF: Die Polizei hat das immer angedeutet, sie haben aber angedeutet, dass man mich einsperren würde, wenn ich nicht in die Ukraine fahren würde.

R: Ist sonst noch etwas passiert nachdem Sie sich geweigert haben, in die Ukraine zu fahren?

BF: Sie haben mich geschlagen. Sie haben mit den Händen zugeschlagen, ausdrücklich nicht ins Gesicht, nur ein Zahn ist mir ausgeschlagen worden. Ich habe die Ladungen bekommen, ich musste mich regelmäßig bei der Polizei melden.

R: In den Einvernahmen vor dem BFA haben Sie überlegt zum Christentum zu konvertieren. Hat es diesbezüglich eine weitere Entwicklung gegeben?

BF: Nein, ich hatte auch nicht vor. Ich habe so viel gelitten wegen meiner Religion, ich würde das nie ändern. Ich habe kein Schweinefleisch gegessen, ich habe sehr gelitten.

R: Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, Christ zu werden?

BF: Nein. Nachgefragt gebe ich an, dass ich das zwar gesagt habe, aber es nie vorhatte.

R: Warum haben Sie es dann gesagt?

BF: Ich wollte die Leute in die Irre führen. Ich habe es einfach gesagt. Damals, als ich das Interview gab, habe ich es einfach gesagt, weil ich eingeschüchtert war.

R: Sie waren nach zwölf Jahren russischen Gefängnisses von einer Einvernahme beim BFA eingeschüchtert?

BF: Mich schockiert nur Russland. Das, was ich jetzt sage, ist nur für die Asylbehörde und den Richter. Ich vertraue dem Richter. Ich möchte den Behörden natürlich vertrauen. Ein Nachbar hat meine Einvernahmen, nachdem ich in XXXX war, in XXXX fotografiert und auch die Einvernahmen von meiner Schwester und meinem Bruder wurden fotografiert und das hat mich eingeschüchtert.

R: Haben Sie bisher sämtliche gegen Sie gerichtete Verfolgungshandlungen vorgebracht?

BF: Ja.

R: Hatten Sie Kontakt zur organisierten Kriminalität bzw. zwielichtige Organisationen vor und nach Ihrer Haftzeit?

BF: Ich assoziiere mich nicht mit Kriminellen. Diese Lebensart befürworte ich auch nicht.

R: Leiden Sie unter schweren oder chronischen Krankheiten?

BF: Hepatitis C wurde bei mir schon geheilt, nachdem ich eine beginnende Leberzirrhose hatte. Es wurden auch Nierensteine entfernt. Ich habe daher gegenwärtig keine schweren oder chronischen Krankheiten, ich nehme auch keine Tabletten. Auch psychisch bin ich fit.

R: Sprechen Sie Deutsch?

BF: Ein wenig.

BF legt eine Bestätigung eines A1.1-Kurses vor.

R: Sind Sie in Vereinen oder Organisationen aktiv?

BF: Ich arbeitete in so einer Organisation. Ich arbeitete für die Caritas ehrenamtlich ungefähr sieben Monate. Ich habe die Bestätigung der Caritas abgegeben. Diese Arbeiten waren ungefähr 2018 oder 2019.

R: Wovon leben Sie?

BF: 150 € bekomme ich von öffentlicher Hand.

R: Gehen Sie einer Erwerbstätigkeit nach?

BF: Nein, wegen Corona. Ich würde gerne, aber wo.

R: Wie ist Ihre familiäre Konstellation?

BF: Ich bin nicht verheiratet, habe aber eine Tochter. Die Mutter der Tochter ist Tschetschenin, ihr Name ist XXXX . Ich habe den Nachnamen der Kindsmutter vergessen. Ich habe offiziell die Vaterschaft nicht anerkannt. Ich bin nicht mehr in Kontakt, weder mit der Kindsmutter noch mit der Tochter. Da ich kein Einkommen habe und keine Familie versorgen kann, lässt mich die Kindsmutter das Kind nicht sehen. Sie ist schon 10 bis 12 Jahre hier. Wir haben keinen Kontakt mehr. Ihre Familie setzt den Akzent darauf, dass ich keine Familie erhalte.

BF: Ich möchte, dass mein Bruder als Zeuge aussagt.

Z betritt den Raum.

Es folgt die Zeugenbelehrung.

R: Ihr Bruder hat angegeben, dass Sie zusammen mit ihm inhaftiert wurden. Können Sie die Umstände dieser Inhaftierung schildern?

Z: 2003 ist um 5 Uhr in der Früh die Polizei zu uns gekommen. Das war am 18. März. Sie (die Polizei) haben uns überfallen. Wir waren zu dritt, wir zwei und noch ein Freund. Wir wurden alle mitgenommen. Wenn ich damals die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich mich lieber in die Luft gesprengt, als mit ihnen zu gehen. Ich habe mich gewehrt, ich habe das Maschinengewehr gezogen, aber leider hat es eine Ladehemmung gegeben.

R: Möchten Sie Ihren Bruder irgendetwas fragen?

BF: Wenn Sie keine Fragen haben, kann ich ihn fragen: Wie sie dich abgeholt haben, was wurde daraus? Die Geschichte mit dem Mann namens XXXX

Z: Viele Leute sterben wegen der Folterungen, die ich erlitten habe. Ich wäre damals glücklich gewesen, zu sterben. Das wäre ein Glück gewesen, aber leider habe ich es überlebt. Ich habe meine Familie in große Probleme gebracht, weil ich nicht gestorben bin und diese Folterung überlebt habe. Wenn wir jetzt lächeln, ist das interessant, aber für mich ist das schwer zu erzählen. Wir leben seit 300 Jahren von Russland okkupiert.

R: Können Sie mir Näheres über den besagten Mann namens XXXX sagen?

Z: Er war in Belgien und jetzt ist er in der Türkei. Er reist nach Syrien. Er ist mit dem FSB in Kontakt.

R: Wie lange sind Sie jetzt in Österreich?

Z: Zehn oder elf Jahre.

R: Können Sie Deutsch?

Z: Ich verstehe, kann aber nicht sprechen. Ich habe einen Invalidenpass. Ich hatte mehrmals einen Schlaganfall.

Z: Ich habe mich hier in Österreich an die Polizei gewandt, an die Caritas, alle schicken mich weg. Es gibt Leute, die mich hier bedrohen und niemand hört mir zu.

R fordert den Z auf, sich an die Polizei zu wenden.

R an BF: Haben Sie noch Fragen an den Z?

BF: Er soll selber erzählen.

Z: Ich will nicht mehr erzählen.

Dem BF wird ein Exemplar des LIB der Staatendokumentation betreffend die russische Föderation (Gesamtaktualisierung am 27.03.2020, letzte Information eingefügt am 21.07.2020) angeboten und eine Frist von 14 Tagen eingeräumt, um schriftlich Stellung zu nehmen.

Der BF verzichtet auf das Exemplar des LIB und verzichtet auf eine Stellungnahme.

R an BF: Möchten Sie noch etwas vorbringen?

BF: Ich höre nur diese Gespräche, dass man uns bedroht.

Als Beilage zum Akt genommen wird die Bestätigung über den Deutschkursbesuch.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem moslemischen Glauben zugehörig. Die Identität steht fest. Der Beschwerdeführer wurde in Tschetschenien geboren. Er besuchte im Herkunftsstaat die Schule und sammelte Berufserfahrung. Der Beschwerdeführer war sieben Monate im Herkunftsstaat in Haft. Der Beschwerdeführer wurde zu 12 Jahren Haft im Herkunftsstaat wegen Mordes bzw. Totschlages sowie wegen Waffenbesitzes, darunter automatische Waffen und Handgranaten, sowie versuchten Mordes an einem Polizisten verurteilt. Diese Strafe hat er bereits im Herkunftsstaat verbüßt. Der Beschwerdeführer verfügt über Verwandte in Tschetschenien; so ist jedenfalls sein jüngerer Bruder, der nach Kasachstan ausgewandert ist, nach Tschetschenien zurückgekehrt.

Der Beschwerdeführer stellte am 02.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 12 Abs. 4 der Dublin III-Verordnung Deutschland zuständig sei. Gemäß § 61 Abs. 1 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung angeordnet und es wurde ausgesprochen, dass dessen Abschiebung nach Deutschland gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid richtete sich eine am 10.10.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebrachte Beschwerde.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.10.2016, Zahl: W240 2137009-1, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

1.2. Dem Beschwerdeführer droht keine landesweite Blutrache. Auch sonst kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer wäre im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation weder in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen noch von der Todesstrafe bedroht; diesem ist es möglich und zumutbar, sich außerhalb Tschetscheniens in einem anderen Teil der Russischen Föderation, etwa in St. Petersburg oder in Moskau, niederzulassen. Zu Moskau ist festzuhalten, dass er bereits vor seiner Ausreise dort gelebt hat. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer verfügt über Kenntnisse der russischen und tschetschenischen Sprache und ist mit den Gegebenheiten im Herkunftsstaat vertraut. Dem Beschwerdeführer ist eine Teilnahme am Erwerbsleben und eigenständige Bestreitung seines Lebensunterhalts möglich und zumutbar. Zudem steht ihm als russischem Staatsbürger ein Rückgriff auf Leistungen des dortigen Sozialhilfesystems offen. Weiters könnten ihn Angehörige finanziell unterstützen.

Der Beschwerdeführer litt unter Hepatitis C, diese wurde jedoch geheilt, nachdem er eine beginnende Leberzirrhose hatte. Zudem wurden auch Nierensteine entfernt. Er leidet gegenwärtig an keinen schweren oder chronischen Krankheiten, er nimmt auch keine Tabletten. Zudem besteht in der Russischen Föderation eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen der Beschwerdeführer hinsichtlich allfälliger psychischer und physischer Leiden ausreichend behandelt werden könnte.

1.3. Aufgrund eines Vorfalles, bei dem der Beschwerdeführer verbal und körperlich attackiert wurde, wurde gegen einen Mitbewohner durch das Bezirksgericht XXXX am 21.09.2017 eine einstweilige Verfügung gemäß § 382b und § 382e EO ausgesprochen, welches insbesondere ein Rückkehr- und Aufenthaltsverbot gemäß § 382b EO geltend 6 Monate ab Erlassung sowie ein Kontakt – und Aufenthaltsverbot gemäß § 382e EO geltend für 12 Monate ab Erlassung umfasste. Eine aktuelle Bedrohungssituation hinsichtlich körperlicher Übergriffe durch diesen Mitbewohnen ist aktuell nicht hervorgekommen.

1.4. Der Beschwerdeführer ist in Österreich unbescholten und nicht verheiratet. Der verheiratete Bruder des Beschwerdeführers lebt mit seiner Familie in Österreich, zu diesem besteht jedoch keine besondere Abhängigkeit. Zudem lebt seine Tochter sowie die Mutter der Tochter im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer hat die Vaterschaft offiziell nicht anerkannt und steht weder mit der Kindsmutter noch mit der Tochter in Kontakt. Die Kindesmutter lässt den Beschwerdeführer das Kind nicht sehen. Die Eltern (AS 463) des Beschwerdeführers leben in Deutschland. Eine Schwester lebt in Frankreich (AS 59). Besondere Abhängigkeiten zu Angehörigen sind insgesamt nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer nahm an einem A1.1 Deutschkurs teil. Er verrichtete ehrenamtliche Tätigkeit. Deutschprüfungszeugnisse, die Deutschkenntnisse auf einem bestimmten Niveau nachweisen würden, liegen hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht vor. Der Beschwerdeführer hat während seines Aufenthaltes Grundversorgung bezogen und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

1.5. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation wird prinzipiell auf das dem Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Beschwerdeverhandlung überreichte Berichtsmaterial verwiesen. Auszugsweise werden die folgenden Feststellungen getroffen:

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 27.03.2020

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a; vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 27.03.2020

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015; vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis Nordkaukasus hatte Dagestan die größte Zahl der Toten und Verwundeten zu verzeichnen; Tschetschenien belegte den zweiten Platz (Caucasian Knot 30.8.2019).

Im Jahr 2019 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] bei 44 Personen, davon wurden 31 getötet (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 19.3.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Tschetschenien

Letzte Änderung: 27.03.2020

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der „Tschetschenisierung“ wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im Jahr 2018 wurden in Tschetschenien mindestens 35 Menschen Opfer des bewaffneten Konflikts, von denen mindestens 26 getötet und neun weitere verletzt wurden. Unter den Opfern befanden sich drei Zivilisten (zwei getötet, einer verletzt), elf Exekutivkräfte (drei getötet, acht verletzt) und 21 Aufständische (alle getötet). Im Vergleich zu 2017, als es 75 Opfer gab, sank die Gesamtopferzahl 2018 um 53,3% (Caucasian Knot 30.8.2019). 2019 wurden in Tschetschenien im Rahmen des bewaffneten Konflikts sechs Personen getötet und fünf verletzt [Anm.: durch Addieren aller Quartalsberichte von Caucasian Knot] (Caucasian Knot 9.9.2019, Caucasian Knot 14.9.2019, Caucasian Knot 18.12.2019, Caucasian Knot 11.3.2020).

Quellen:

Caucasian Knot (30.8.2019): In 2018, the count of conflict victims in Northern Caucasus dropped by 38%, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/reduction_number_victims_2018/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (9.9.2019): 21 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus in Q1 of 2019, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48385/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (14.9.2019): In Quarter 2 of 2019, 10 people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/48465/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (18.12.2019): In 3rd quarter of 2019, seven persons fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/49431/, Zugriff 19.3.2020

Caucasian Knot (11.3.2020): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 4 of 2019 under the data of Caucasian Knot, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/50267/, Zugriff 19.3.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 19.3.2020

SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 21.7.2020

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenre

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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