Entscheidungsdatum
16.02.2021Norm
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2Spruch
W278 2186832-1/38E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger der Volksrepublik China, gegen die Spruchpunkte II. bis IV. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.01.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.04.2019, 03.11.2020 und 30.11.2020, zu Recht:
A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 58 Abs. 2 iVm §§ 55 Abs. 2 und 54 Abs. 1 Z 2 AsylG ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
II. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1. Vorverfahren:
Der Beschwerdeführer (infolge: BF), ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom XXXX 2002 wurde gegen den BF ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom selben Tag wurde gegen den BF wegen unrechtmäßigen Aufenthalts eine Verwaltungsstrafe von EUR 72,67, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen, verhängt.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom XXXX 2004 wurde gegen den BF die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung, des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und der Abschiebung verhängt, weil der BF im Bundesgebiet ohne Unterstand und ohne gültiges Reisedokument angetroffen wurde.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom XXXX 2004 wurde erneut ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom selben Tag gegen den BF wegen unrechtmäßigen Aufenthalts eine Verwaltungsstrafe von EUR 318,00, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen, verhängt.
Am 02.02.2005 stellte der BF unter dem Alias „ XXXX “ einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.05.2005, Zl. XXXX , abgewiesen und der BF aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom XXXX 2006 wurde gegen den BF wegen unrechtmäßigen Aufenthalts eine Verwaltungsstrafe von EUR 210,00, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen, verhängt.
Am 30.11.2008 wurde der BF im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle aufgegriffen und stellte am 02.12.2008 aus dem Stande der Schubhaft einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.01.2009, Zl. XXXX , wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der BF nach China ausgewiesen wurde.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 04.02.2009, GZ. C3 404.049-1/2009/2E, als unbegründet abgewiesen.
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom XXXX 2009 wurde gegen den BF eine Verwaltungsstrafe in Höhe von EUR 1.000,00, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von zehn Tagen verhängt, weil dieser nicht unverzüglich nach Eintritt der Durchsetzbarkeit des Bescheides vom 16.01.2009 aus dem Bundesgebiet ausgereist ist.
Jeweils am 14.08.2009, am 19.10.2011, am 08.10.2012, am 23.12.2012, am 26.06.2013 sowie am 09.10.2013 erging gegen den BF eine Anzeige wegen rechtswidrigen Aufenthalts gemäß § 120 FPG.
1.2. Gegenständliches Verfahren:
Am 08.06.2015 stellte der BF, wiederum unter dem Namen „ XXXX “ beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (infolge: BFA) gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „besonderer Schutz“ gemäß § 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.
Am 01.04.2016 wurde beim BF ein Reisepass der Volksrepublik China, ausgestellt von der chinesischen Botschaft Bratislava am 26.06.2015 auf den tatsächlichen Namen des BF, sichergestellt.
In weiterer Folge ergingen mehrere Festnahmeaufträge gegen den BF, wobei dieser jeweils an seinem Wohnsitz nicht angetroffen werden konnte.
Mit gegenständlichem Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt III) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Gegen die Spruchpunkte I. bis III. dieses Bescheides erhob der BF mit Schriftsatz vom 15.02.2018 fristgerecht Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Am 17.04.2019 übermittelte der BF (infolge: BVwG) sechs Arbeitsvorverträge sowie die einem Rechtsberater erteilte Vollmacht.
Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 24.04.2019 vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinen Lebensumständen in China und im Bundesgebiet befragt wurde und die Tochter des BF als Zeugin einvernommen wurde. Das ordnungsgemäß geladene Bundesamt hat sich mit Schreiben vom 22.02.2019 für die Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt.
Mit Erkenntnis vom 14.05.2019 wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der BF den Großteil seines Aufenthaltes unter falscher Identität im Bundesgebiet verbracht habe, trotz rechtskräftiger Abweisung zweier Anträge auf internationalen Schutz, die gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbote und die zahlreichen Anzeigen wegen unrechtmäßigen Aufenthalts in Österreich verblieben sei und sein Privatleben zu einem Zeitpunkt entstanden sei, zu dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Der Kontakt zu seinen erwachsenen Kindern und seinen im Bundesgebiet aufhältigen Enkelkindern beschränke sich vorwiegend auf telefonische Kontakte und sei es dem BF zumutbar, den Kontakt durch gelegentliche Besuche und andere Kommunikationsmittel aufrecht zu erhalten. Schließlich verfüge der BF über keinerlei Sprachkenntnisse, sei in Österreich nicht legal erwerbstätig gewesen, beziehe seit 2014 Leistungen aus der Grundversorgung und seien die vorgelegten Arbeitsvorverträge als Gefälligkeitsschreiben zu werten. Demgegenüber sei der BF in seinem Herkunftsstaat geboren und aufgewachsen, sei dort sozialisiert worden, habe eine Familie gegründet, seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeitsleistung erwirtschaftet und stehe im Bundesgebiet ausschließlich mit Personen chinesischer Herkunft in Kontakt, sodass er seiner Heimatkultur trotz des langjährigen Auslandsaufenthaltes nicht derart entrückt sei, dass eine Reintegration im Herkunftsstaat unmöglich oder unzumutbar erscheine. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung eines geordneten Fremdenwesens überwiege daher gegenüber den persönlichen Interessen des BF am Verbleib in Österreich, weshalb die Rückkehrentscheidung zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der BF fristgerecht außerordentliche Revision.
Mit Erkenntnis vom 17.04.2020, GZ: Ra 2019/21/0188-10, wies der Verwaltungsgerichtshof die Revision hinsichtlich der Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 zurück und hob das Erkenntnis des BVwG hinsichtlich der erlassenen Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festlegung einer 14-tätgigen Frist für die freiwillige Ausreise auf.
Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, dass sich der BF zwar aufgrund des multiplen fremdenrechtlichen Fehlverhaltens, insbesondere seines Aufenthaltes unter falscher Identität, nicht auf die lange, zehn Jahre übersteigende, Aufenthaltsdauer außerhalb Chinas berufen könne. Dennoch könne die lange Abwesenheit von China nicht gänzlich ausgeblendet werden und sei im Zusammenhang mit der Frage, ob sich der BF im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen könne, zu berücksichtigen. Ebenso sei die individuelle Situation des BF, insbesondere seine fehlende Bildung, sein Analphabetismus, sein fortgeschrittenes Alter und damit verbundene gesundheitliche Beschwerden, miteinzubeziehen und mit den getroffenen Länderfeststellungen, insbesondere bezüglich der für den Erhalt von Sozialleistungen erforderlichen „Wohnrechtsregistrierung“ in Beziehung zu setzen. Insgesamt könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass dem BF in China die Erhaltung seiner Existenz nicht möglich sei.
Mit Verfahrensanordnung des BVwG vom 25.05.2020 wurde der BF aufgefordert, binnen zwei Wochen medizinische Unterlagen, Unterlagen zu seinen Familienangehörigen sowie Unterlagen zu seinen Integrationsbemühungen vorzulegen.
Mit Schriftsatz vom 17.06.2020 übermittelte der BF die aufgetragenen Unterlagen, beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, verwies auf sein bisheriges Vorbringen und führte ergänzend aus, dass etliche Untersuchungen und Kontrollen Corona-bedingt nicht hätten durchgeführt werden können. Der Kontakt zu seinem Sohn sei völlig abgebrochen. Angesichts seines Gesundheitszustandes, seines fortgeschrittenen Alters, seiner mangelnden Bildung und der langen Ortsabwesenheit würde er im Falle der Rückkehr nach China in eine ausweglose Situation geraten. In Österreich sei er in das Familienleben seiner Tochter eingebunden.
Am 19.06.2020 richtete das BVwG eine zur Versorgung von Rückkehrern und der medizinischen Versorgung des BF eine Anfrage an die Staatendokumentation. Die entsprechenden Anfragebeantwortungen langten am 19.08.2020 und 01.09.2020 beim BVwG ein.
Am 03.11.2020 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinen Lebensverhältnissen in China und in Österreich befragt wurde und mit der Zeugeneinvernahme des Schwiegersohnes des BF begonnen wurde.
Am 30.11.2020 wurde die am 03.11.2020 begonnene mündliche Verhandlung fortgesetzt, die Tochter des BF sowie sein Schwiegersohn zu ihrer Beziehung zum BF als Zeugen befragt, der BF ergänzend zu seinen familiären Bindungen einvernommen und ihm eine vierwöchige Frist zur Stellungnahme zu den amtswegig eingeholten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation gewährt.
Am 29.12.2020 übermittelte der BF einen Arbeitsvorvertrag sowie eine Verpflichtungserklärung und nahm Stellung zu den in der mündlichen Verhandlung ins Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation und dem Länferinformationsblatt.
2. Feststellungen:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der BF heißt XXXX , ist am XXXX in der Provinz XXXX geboren und Staatsangehöriger der Volksrepublik China. Seine Identität steht fest.
Der BF lebte in China in seinem eigenen Haus, betrieb eine Landwirtschaft und verrichtete Gelegenheitsarbeiten. Er hat weder Schulbildung noch eine abgeschlossene Berufsausbildung und spricht den Dialekt seiner Herkunftsregion sowie Hochchinesisch.
Der BF hat in China einen Sohn, zu dem kein Kontakt besteht.
Der BF leidet an hohem Blutdruck, Depressionen sowie an Magen- und Blasenproblemen und ist in medikamentöser Behandlung. Die Erkrankungen erreichen nicht das Ausmaß einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Erkrankung.
2.2. Zum (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der BF reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein und wurde erstmals am 14.08.2002 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Chinarestaurant wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet festgenommen. Bis zur Sicherstellung seines Reisepasses am 01.04.2016 führte er die Identität „ XXXX , geb. XXXX “.
Der BF verblieb trotz der rechtskräftigen Ausweisungen sowie trotz der über ihn mit Bescheiden der Bundespolizeidirektion Wien vom XXXX 2002 sowie vom XXXX 2005 verhängten fünfjährigen Aufenthaltsverbote im Bundesgebiet und hielt sich im Zeitraum von 02.02.2005 bis 16.05.2005 sowie von 02.12.2008 bis 06.02.2009 auf Basis zweier unbegründeter Anträge auf internationalen Schutz unter falscher Identität im Bundesgebiet auf.
Das Bestehen eines durchgehenden Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet seit dem 14.08.2002 kann nicht festgestellt werden.
Im Jahr 2015 reiste der BF in die Slowakei und beantragte einen neuen Reisepass.
In Österreich leben die volljährige Tochter des BF, die einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“, gültig bis XXXX 2025, hat mit ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern, die jeweils österreichische Staatsbürger sind, und ein volljähriger Sohn des BF, der im Besitz eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“, gültig bis XXXX 2021, ist.
Auch die Exfrau des BF lebt in Österreich, welche die Volksrepublik China nicht mit ihm gemeinsam verlassen hat. Die Ehe wurde bereits in der Volksrepublik China geschieden. Zu ihr besteht kein Kontakt.
Der BF trifft sich mit seiner Tochter und ihrer Familie zumindest zweimal im Monat, wird von seiner Tochter und deren Ehemann gelegentlich finanziell unterstützt und hat Kontakt zu seinem in Österreich aufhältigen Sohn. Ein Abhängigkeitsverhältnis oder ein besonderes Naheverhältnis besteht nicht.
Der BF hat eine Freundin, die Asylwerberin ist und in derselben Flüchtlingsunterkunft lebt sowie einen Bekanntenkreis.
Der BF ist in die österreichische Gesellschaft nicht integriert.
Der BF verfügt über keine Deutschkenntnisse, hat keine Sprachprüfungen absolviert und auch keinen Werte- und Orientierungskurs besucht. Er ist nicht Mitglied in einem Verein, hat während seines Aufenthalts in Österreich keine gemeinnützigen Tätigkeiten verrichtet und war nie legal erwerbstätig. Er lebt in einer Flüchtlingsunterkunft und bezieht seit 17.03.2014 Leistungen aus der Grundversorgung. Zuvor finanzierte er sich seinen Aufenthalt durch illegale Erwerbstätigkeiten und wurde im Bundesgebiet mehrfach bei der Schwarzarbeit betreten.
Der BF legte am 17.04.2019 mehrere Arbeitsvorverträge vor, bei denen es sich um jeweils in derselben Handschrift ausgefüllte Formulare handelt. Einen weiteren Arbeitsvorvertrag, der dem BF von seinem Schwiegersohn ausgestellt wurde, übermittelte er am 29.12.2020.
Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
2.3. Zur Situation des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat:
Der BF ist Analphabet, hat in seinem Herkunftsstaat weder Schulbildung noch eine abgeschlossene Berufsausbildung und war zumindest seit dem Jahr 2002 nicht mehr in China.
Der BF hat in China keine gesicherte Unterkunft, keine tragfähigen familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte, auf die er im Falle der Rückkehr zurückgreifen könnte und verfügt nicht über ausreichende eigene finanzielle Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes.
2.4. Zur maßgeblichen Situation in China:
Aufgrund der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen werden folgende Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
2.4.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu China, letzte Änderung am 18.12.2020:
„COVID-19
[…]
Nach Bekanntwerden von COVID-19 Fällen im Dezember 2019, wurde von den Behörden trotz eines umfassenden, landesweit ausgebauten Meldesystems für Epidemien die bestehenden Vorfälle verharmlost und vertuscht (TNYT 1.2.2020). Die chinesischen Behörden haben medizinische Fachkräfte, die über das „geheimnisvolle Lungenleiden“ informierten, vorgeworfen, Falschinformationen zu verbreiten (DP 4.4.2020).
Wuhan wurde als Ausgangspunkt der Pandemie rund eineinhalb Monate nach der Registrierung des ersten Patienten unter Quarantäne gestellt (DW 12.2.2020), nachdem von staatlicher Seite mehr als 55.000 Infektionsfälle gemeldet wurden (TG 23.4.2020). Später folgten weitere Regionen, in denen – je nach Anzahl der Infektionen – unterschiedlich strenge Maßnahmen durch die Regierung angeordnet wurden. Von den ergangenen drastischen Regelungen waren rund 60 Millionen Menschen betroffen (Addendum 20.3.2020; vgl. ZO 14.4.2020, SF 9.4.2020).
Die Industrieproduktion ging im Januar und Februar um 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück (ZO 14.4.2020), was den stärksten Einbruch seit 30 Jahren bedeutet (LVAk 5.2020; vgl. ZO 14.4.2020). Mittlerweile meldet China kaum noch neue COVID-19 Fälle (DW 8.5.2020; vgl. FORBES 17.4.2020), doch treten vermehrt „importierte Fälle“ auf (FORBES 17.4.2020; vgl. DS 27.3.2020). Verschwiegen wird jedoch in den Staatsmedien stets, dass es sich bei den eingereisten Infizierten bis zu 90 Prozent um Staatsbürger der Volksrepublik China handelt. Ausländer, darunter auch Diplomaten, durften damals nur in Ausnahmefällen ins Land (LVAk 5.2020).
Seit 28.3.2020 besteht ein Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger (WKO 10.12.2020). Das chinesische Gesundheitssystem hielt nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung mit. Gemäß aktuellen Vergleichszahlen der OECD sind für 1.000 Einwohner 2,7 Krankenschwestern und -pfleger sowie zwei Ärzte verfügbar. Zwar räumt die Regierung Schwachstellen im zentralisierten Gesundheitswesen ein (HB 19.2.2020), jedoch haben Kritik am Vorgehen der Regierung, wie auch eine kritische Berichterstattung mitunter Verhaftungen wegen der „Verbreitung falscher Gerüchte“ zur Folge (RSF 14.4.2020). Der chinesische Präsident Xi Jinping hat sich währenddessen verpflichtet, ein leistungsfähiges öffentliches Gesundheitssystem aufzubauen, das für Chinas Entwicklungsstrategie und nationale Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist (SCMP 5.6.2020).
Im März und April 2020 nahmen Fabriken und unterschiedliche Unternehmen, ihre Arbeit wieder auf (LVAk 5.2020). In der Jahresmitte 2020 stellte sich die COVID-19-Gesamtsituation sich landesweit stabil dar, sporadische Fälle traten auf (XN 4.6.2020; vgl. FR 26.5.2020) und es wird von vereinzelten (XN 4.6.2020; vgl. DW 30.5.2020, FR 26.5.2020), vorrangig aus dem Ausland importierten Fällen von Neuinfektionen berichtet (CGTN 8.6.2020; vgl. FR24 1.6.2020, AnA 26.5.2020, TG 23.5.2020). Das seit 28.3.2020 gültige Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger nach Festlandchina, auch für solche mit gültiger Aufenthaltsberechtigung, ist weiterhin aufrecht (BMEIA 24.11.2020; vgl. MoFA CH 26.3.2020).
Im Ursprungsland des Coronavirus bleiben die Neuinfektionen seit Monaten derart niedrig, dass an den offiziellen Zahlen Zweifel bestehen. Konstant vermelden die chinesischen Behörden zwar neue Infektionen, aber die sind nahezu täglich im niedrigen zweistelligen Bereich. Tauchen doch kleinere Cluster auf, müssen sich alle Bewohner einem Test unterziehen. Zudem werden für einzelne Stadtviertel oder gesamte Städte strikte Ausgangssperren verhängt. Verwunderlich aber ist es dennoch, dass die Zahl der Neuinfektionen so gut wie nie 30 überschreitet (DS 12.10.2020).
[…]
Sicherheitslage
[…]
Wegen der Ausbreitung von COVID-19 kommt es in China zu verschärften Einreisekontrollen, Gesundheitsüberprüfungen und seit 28.03.2020 zu einer Einreisesperre für Ausländer (BMEIA 24.11.2020). Die Fallzahlen haben sich in China auf einem niedrigen Niveau stabilisiert (AA 7.12.2020).
Aufgrund einer massiven Präsenz von Sicherheitskräften in besonders gefährdeten Regionen ist eine Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen in China generell niedrig (GW 19.6.2020). Berichten zufolge wurden in den letzten zehn Jahren 170 Millionen Überwachungskameras in Städten und Gemeinden im ganzen Land installiert (DFAT 3.10.2020). Dennoch kann es vereinzelt zu Demonstrationen und Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften kommen. Auch sind in den letzten Jahren in China Anschläge verübt worden (EDA 23.7.2020). Konflikte und mutmaßliche Diskriminierung und Ungleichbehandlung durch die Han-Mehrheitsbevölkerung und die anhaltende harte Linie der lokalen Regierung, können die laufende Problematik der muslimischen Gemeinschaft über die uigurischen Minderheiten hinaus noch verschärfen (GW 17.6.2020).
Zwar gibt es in China noch keine unversöhnlichen ethnischen, sozialen oder religiösen Spaltungen, soziale Unruhen sind allerdings an der Tagesordnung. Auch wenn die meisten Demonstrationen als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik personell meist gering ausfallen, betreffen sie dennoch existentielle Fragen wie Lohnrückstände, dem Abriss von Häusern und der Umsiedlung oder Enteignung (BS 29.4.2020). Landerwerb ohne volle Einbeziehung der örtlich Betroffenen stößt zunehmend auf Proteste, insbesondere in Guangdong, Fujian, Zhejiang, Jiangsu, Shandong und Sichuan. Proteste wegen der Modalitäten von Zwangsumsiedlungen wie auch Entschädigungsleistungen sind an der Tagesordnung und die Behörden verfolgen einige der Anführer solcher Proteste strafrechtlich. Die Wahrscheinlichkeit von Protesten, vor allem in Form von Demonstrationen und Blockaden, wird in Bezug auf den Bau größerer Infrastrukturprojekte, dem Bergbau, etc. auch weiterhin hoch eingeschätzt. Wesentliche Störungen sind aufgrund einer starken Sicherheitspräsenz unwahrscheinlich (GW 17.6.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, BS 29.4.2020).
China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019). Die staatliche Kontrolle durch eine massive, sichtbare Polizeipräsenz an strategischen Punkten und wichtigen Orten wird aufrechterhalten (BS 29.4.2020). Medienberichten zu Folge haben die chinesische Polizei und die Sicherheitsbehörden 2016 damit begonnen, Fotodatenbanken, künstliche Intelligenz und Überwachungskameras mit Gesichtserkennungstechnologie zu kombinieren, um Verdächtige und „destabilisierende Akteure“ in der Gesellschaft aufzuspüren (DFAT 3.10.2020). Berichten zufolge werden auch gewonnene DNA-Proben, Urinproben, Sprachaufzeichnungen, Fingerabdrücke, Fotos und eine Vielzahl von persönlichen Daten von den Sicherheitsbehörden gesammelt (BBC 19.12.2019; vgl. RFA 23.8.2019, HRW 16.5.2017).
Auf der Tagung des Volkskongresses im Mai 2020 kündigte der Ministerpräsident an, dass auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie sowie des Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten, der Verteidigungshaushalt im laufenden Jahr abermals deutlich steigen soll. Die Ankündigung erfolgte vor dem Hintergrund der in den vergangenen Jahren gewachsenen Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarstaaten sowie die USA wegen der von Peking erhobenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer (SN 22.5.2020; vgl. FAZ 21.5.2020, WKO 12.5.2020)
China und Russland:
Die chinesisch-russischen Beziehungen werden aus chinesischer Sicht als eine „stabile strategische Partnerschaft“ betrachtet (LVAk 5.2020; vgl. GH 17.2.2016). Diese politische, wirtschaftliche und auch militärische Partnerschaft beruht auf einer nüchternen Einschätzung der jeweiligen nationalen Interessen (CISR 2020; vgl. LVAk 5.2020). Langfristigen Aussichten für die chinesisch-russische Partnerschaft sind ungewiss. Vor dem Hintergrund eines unruhigen internationalen Umfelds stehen China und Russland vor großen Herausforderungen, um die Dynamik ihrer Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten (CISR 2020).
Seit 2003 arbeiten Russland und China eng im UN-Sicherheitsrat zusammen. Um die jeweiligen Positionen zu koordinieren, werden die diplomatische Rahmenstrukturen der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika)-Gruppe und die SCO (Shanghai Cooperation Organization – SCO), Russland, China, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan genutzt. Äußerst relevant stellt sich die Sicherheitskooperation innerhalb der SCO dar. Diese widmet sich dem Kampf der „three evil forces“, Terrorismus, Separatismus (Taiwan, Tibet und Xinjiang) und Extremismus. In diesen Bereichen soll auch ein Austausch nachrichtendienstlicher Informationen erfolgen und Auslieferungsabkommen exekutiert werden (LVAk 5.2020; vgl. BAMF 2.2020).
China und Indien:
Der südasiatische Subkontinent ist der bedeutendste geopolitische Rivale Chinas in Asien (IPG 15.10.2020). Die Streitigkeiten zwischen China und Indien über den Grenzverlauf im bevölkerungsarmen Himalaya-Gebiet ist seit dem Grenzkrieg von 1962 nicht beigelegt (LVAk 5.2020). China und Indien beanspruchen gegenseitig Geländeabschnitte, wobei es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in diesem Grenzgebieten kommt (LVAk 5.2020; vgl. REUTERS 2.9.2020). Ein „Handgemenge“ zwischen indischen und chinesischen Soldaten führte zuletzt am 15. Juni 2020 zum Tod von Soldaten auf beiden Seiten (WSJ 17.6.2020).
China betreibt im Zuge seiner „String of pearls Strategy“ (CEFIP 13.8.2019; vgl. FA 9/10 2019) den weiteren Ausbau von Häfen in befreundeten Staaten an der nördlichen Küste des Indischen Ozeans wie Kambodscha, Myanmar, Bangladesch, Sri Lanka, Pakistan, den Malediven und darüber hinaus in Afrika forciert aus und bedroht damit im Zuge der „Belt and Road“-Initiative Einflusssphären Indiens in diesem Raum (DRM 26.8.2019). Die guten Beziehungen zwischen China und Pakistan stellen besonders im Hinblick auf den verbindenden Wirtschaftskorridor und die Unterstützung Chinas der pakistanische Anliegen im Kaschmir ein weiterer Konfliktpunkt zwischen China und Indien dar (SWP 2016; vgl. DRM 26.8.2019).
China und USA:
Die Verschlechterung der Beziehungen zwischen China und den USA sowie eine zunehmend konfrontative diplomatische Sprache und militärische Haltung erhöhen das Risiko unbeabsichtigter Eskalationen in den umstrittenen Regionen (GW 23.8.2020; vgl. DRM 26.8.2020).
[…]
Allgemeine Menschenrechtslage
[…]
Offiziell erkennt China die grundlegenden Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte an. Außerdem hat die Volksrepublik China einer Reihe von Übereinkünften zum Schutz der Menschenrechte der Vereinten Nationen zugestimmt (GIZ 9.2020a; vgl. ÖB 10.2020).
Die Menschenrechtslage in China bietet ein zwiespältiges und trotz aller Fortschritte im Ergebnis negatives Bild. 2004 wurde der Begriff „Menschenrechte“ in die Verfassung aufgenommen, die individuellen Freiräume der Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft wurden in den letzten Jahren erheblich erweitert. Andererseits bleiben die Wahrung der inneren Stabilität und der Machterhalt der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) oberste Prämisse und rote Linie (AA 1.12.2020).
Die Menschenrechtslage ist weiterhin durch ein systematisches Vorgehen gegen jede Form von Dissens gekennzeichnet (AI 30.1.2020). Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht „geschaffen“ werden (ÖB 10.2020).
Oberstes Ziel ist die Aufrechterhaltung „sozialer Stabilität“, die aus Sicht der chinesischen Führung unerlässlich für die weitere Entwicklung des Landes ist. Die chinesische Führung geht kompromisslos gegen jene vor, die als Bedrohung dieser Prioritäten angesehen werden, wie beispielsweise regierungskritische Schriftsteller, Blogger, Bürgerrechtsaktivisten, Menschenrechtsanwälte, Petitionäre oder Mitglieder nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Falun Gong, Hauskirchen etc.). Einschüchterungsmaßnahmen umfassen etwa Hausarrest, willkürliche Haft in sogenannten schwarzen Gefängnissen („black jails“ bzw. „legal education center“), Folter, Berufsverbote und Druck auf Familienangehörige durch Bedrohungen bis hin zur „Sippenhaft“. Flankiert wird dies durch neue Gesetzgebung sowie eine Verschärfung von bestehenden Verordnungen und Gesetzen in den letzten Jahren. Personen, die in Opposition zu Regierung und herrschender Ideologie stehen, setzen sich unmittelbar der Gefahr von Repression durch staatliche Stellen aus, wenn sie aus Sicht der Regierung die Kommunistische Partei, die Einheit des Staates oder das internationale Ansehen Chinas gefährden. Die Schwelle ist immer dann erreicht, wenn die chinesischen Sicherheitsbehörden annehmen, dass ein – noch so loses – Netzwerk gebildet werden könnte. Aus Sicht der Regierung geht von separatistischen Bestrebungen und Untergrundaktivitäten innerhalb Chinas die größte Gefahr aus (AA 1.12.2020).
Es gibt weiterhin besorgniserregende Verletzungen rechtsstaatlicher Mindeststandards in ganz China. So gibt es immer noch willkürliche Inhaftierungen durch die Regierung, erzwungenes Verschwindenlassen von Personen, sowie Folter und unrechtmäßige Tötungen durch die Regierung, harte und lebensbedrohliche Gefängnis- und Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre, erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, Zensur und Sperrung von Webseiten, physische Angriffe und strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Anwälten, Schriftstellern, Bloggern, Dissidenten, Petitionären und anderen Personen sowie deren Familienangehörigen, Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, einer restriktiven Gesetzgebung gegenüber Nichtregierungsorganisationen (NGOs), strenge Einschränkungen der Religionsfreiheit, erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Korruption, Geburtenbeschränkungen, in manchen Fällen Zwang zur Sterilisation oder Abtreibung, Menschenhandel und Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).
Häufig kommt es zu Übergriffen lokaler Amtspersonen bzw. von denen beauftragter Dritter. Dies betrifft im Schwerpunkt die Überwachung politisch Andersdenkender auf lokaler Ebene. Zumeist handelt es sich um Demonstrantinnen und Demonstranten bei Fällen mit wirtschaftlichem Hintergrund (illegale Landnahme, Korruption etc.). Petentinnen und Petenten, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um Unliebsame aus dem Verkehr zu ziehen (AA 1.12.2020).
Die chinesische Regierung hat 2020 ein soziales Kreditsystem (SCS) eingeführt, das Menschen in allen Lebenslagen bewertet und entsprechend belohnt oder bestraft (EuZ 29.8.2019; vgl. LVAk 9.2019). Als Datenquellen werden das Verhalten in den sozialen Medien, beim Online-Shopping, beim Verfassen von Kurznachrichten, aber auch Kranken- und Gerichtsakten, Verkehrsdelikte, Steuersünden, rüpelhaftes Verhalten in der Öffentlichkeit, Rauchen in öffentlichen Räumen etc. genutzt (EuZ 29.8.2019). Die derzeitigen Tests will die Regierung bis Ende 2020 abschließen, um dann landesweit ein verpflichtendes einheitliches SCS einzuführen. Starten soll es aller Voraussicht nach in Peking. Unklar ist derzeit noch, wie später auch ländliche Regionen angeschlossen werden sollen, die aktuell noch keinen Internetzugang haben. Trotz aller Kontrolle ist die Zustimmung hoch (HO 8.5.2020).
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Bewegungsfreiheit
Das Gesetz sieht eine innerstaatliche Bewegungsfreiheit, die Möglichkeit von Auslandsreisen und die Möglichkeit einer Rückkehr vor (ÖB 13.8.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Doch werden diese Rechte nicht immer durch die Regierung ermöglicht. Die Behörden verschärften die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit vor wichtigen Jubiläen, Besuchen ausländischer Würdenträger oder großen politischen Ereignissen, um Demonstrationen vorzubeugen (USDOS 11.3.2020).
Ein Umzug bzw. eine Umregistrierung in einer anderen Region ist (nur) im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des Hukousystems (Haushaltsregistrierungssystem) möglich – insbesondere wenn man in einem anderen Ort eine Arbeitsstelle hat und der Arbeitgeber entsprechend die Formalitäten erfüllt. In einigen Orten (z.B. Beijing und Shanghai) gibt es lange (mehrjährige) Wartezeiten für die Umregistrierung des Hukou nach einem Punktesystem, da der Zuzug hier streng geregelt wird (ÖB 28.5.2020; vgl. NMoFA 1.7.2020).
Durch das Hukou-System wird verhindert, dass rund 290 Millionen Arbeits- und Binnenmigranten in den Städten, in denen sie arbeiten, vollen legalen Status als Einwohner genießen. Durch die Regierung wurde angekündigt, das geltende System schrittweise zu reformieren und die Vorteile des städtischen Wohnsitzes auf 100 Millionen Migranten auszuweiten. Doch würde eine Umsetzung dieses Plans immer noch eine große Mehrheit der Migranten ohne gleiche Rechte oder vollen Zugang zu sozialen Diensten bedeuten (FH 4.3.2020; vgl. NMoFA 1.7.2020).
Anderswo in China, wo 2019 die ersten Stufen eines Sozialkreditsystems eingeführt wurden, sehen sich Berichten zufolge Millionen von Bürgern aufgrund ihrer niedrigen Punktzahlen mit Einschränkungen bei Flug- und Bahnreisen konfrontiert. Millionen Menschen, viele von ihnen Uiguren und Tibeter, sind von staatlichen Einschränkungen beim Zugang zu Auslandsreisen und Reisepässen betroffen (FH 4.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020).
Die beschriebenen Repressionen erfolgen landesweit nicht einheitlich. Da wegen der Größe des Landes und der historisch überkommenen Strukturen Einfluss und Kontrolle der Zentralregierung in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich stark ausgeprägt sind, treten staatliche oder dem Staat zurechenbare Übergriffe in den Regionen unterschiedlich häufig auf. Daher kann es im Einzelfall möglich sein, durch einen Ortswechsel Repressalien auszuweichen. Allerdings ist ein Umzug von in der Volksrepublik China lebenden Chinesen in einen anderen Landesteil durch die restriktive Registrierungspraxis („Hukou“-System) nur schwer möglich (Verlust des Zugangs zu Bildung und Sozialleistungen). Für Personen aus ländlichen Gebieten ist es schwierig, legal in eine Stadt zu ziehen. Insbesondere für aus politischen Gründen Verfolgte gibt es keine sichere Ausweichmöglichkeit innerhalb Chinas (AA 1.12.2020).
Ein Untertauchen, also eine nicht registrierte Niederlassung in einen anderen Landesteil als jenem des Melde-Wohnorts, ist schwierig. Sowohl bei Inlandsflügen als auch bei Zugfahrten wird systematisch die Identität überprüft, auch Zugtickets können nur mit Personalausweis gekauft werden und sind nicht übertragbar. Kraftfahrzeuge mit Kennzeichen von außerhalb der Stadt oder der Provinz und deren Passagiere werden systematisch überprüft. Es besteht ein sehr effizientes System der Überwachung durch Nachbarschaftskomitees. In der Tibetischen Autonomen Region und in Xinjiang besteht eine besonders strenge Überwachung unter anderem durch das System der kollektiven Bestrafung von Dorfgemeinschaften und starken Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, wonach Personen, die ihr Dorf oder ihre Region verlassen wollen, hierfür Genehmigungen einholen müssen, welche teilweise nur für bestimmte andere Regionen ausgestellt werden. In Xinjiang werden darüber hinaus in von Uiguren bewohnten Gegenden an Straßensperren Identitätskontrollen – vor allem von jungen männlichen Uiguren – durch die bewaffnete Volkspolizei und die Volksbefreiungsarmee durchgeführt (ÖB 10.2020).
Die Bewegungsfreiheit für Tibeter ist stark eingeschränkt (IHRWch 17.8.2018). Ohne zahlreiche Genehmigungen dürfen sie sich außerhalb ihres Wohngebietes nicht bewegen und auch nicht arbeiten. Das Alltagsleben für Tibeter ist durch eine Vielzahl von Kontrollen gekennzeichnet (ST 30.8.2019).
Seit 2016 gelten für die Einwohner Xinjiangs strenge Auflagen für den Erwerb von Reisedokumenten. Biometrische-Daten, eine DNA-Blutprobe, Fingerabdrücke sowie eine Stimmaufzeichnung und ein dreidimensionales Foto des Körpers müssen bei einem Antrag zur Verfügung gestellt werden (DZ 25.11.2016; vgl. BBC 7.6.2016). Personen in der Provinz Xinjiang müssen für Reisebewegungen zwischen Städten bei der Polizei eine Erlaubnis erwirken und eine Vielzahl von Kontrollpunkten durchlaufen. Es wird von einer Zunahme von Kontrollmaßnahmen auf Flughäfen, Bahnhöfen, sowie Kontrollpunkten an öffentlichen Bewegungslinien, wie Straßen, etc. berichtet (HRW 9.9.2018).
Die Meldekarte („Hukou-System“) ist weiterhin nötig für die (legale) Aufnahme einer Arbeit oder den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Chinesen, die keinen für ihre Zwecke gültigen Hukou haben (z.B. minderjährige Wanderarbeiter, welche offiziell noch nicht arbeiten dürften), verwenden mitunter gefälschte „Hukou-Karten“ oder solche von Verwandten (ÖB 10.2020).
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Grundversorgung und Wirtschaft
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Mit der Öffnung Chinas gegenüber dem kapitalistischen Westen schaffte es das Land, ausgelöst durch wirtschaftliche Reformen, in den letzten vier Jahrzehnten den Aufstieg von einem planwirtschaftlichen Agrarstaat zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt (Darimont 2020). Der Lebensstandard hat sich für die Bevölkerung dabei insgesamt verbessert (NZZ 26.5.2020).
In den Jahren von 2000 bis 2010 erreichte China ein Wirtschaftswachstum zwischen 8 und 14 Prozent (GIZ 6.2020b; vgl. BS 2020). China soll 2020 zu den wenigen Ländern zählen, die ein Plus vor das Wirtschaftswachstum setzen können. Wirtschaftsexperten rechnen mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von immerhin 1,7 Prozent. Auf ein vorgegebenes Wachstumsziel ist 2020 angesichts der Unsicherheiten über die wirtschaftliche Entwicklung verzichtet worden (WKO 9.10.2020; vgl. WKO 10.2020).
Die Ausbreitung von COVID-19 im Dezember 2019 in der Provinz Hubei führte Anfang 2020 zum massiven Einbruch des Wirtschaftswachstums (GIZ 6.2020b). Quarantäneverordnungen und Reiseverbote legten das wirtschaftliche Leben in der Folge weitgehend lahm (ZO 14.4.2020). Zahlreiche Unternehmen konnten ihren Betrieb nicht wie geplant wiederaufnehmen. Nicht zuletzt aufgrund nachlassender internationaler Nachfrage kann davon ausgegangen werden, dass China sein Wachstumsziel verfehlen wird (WKO 9.10.2020).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist seit einigen Jahren gewährleistet (AA 1.12.2020), doch kam es in den letzten Jahren zu einem rasanten Anstieg der Nahrungsmittelpreise (ÖB 10.2020). Trotz beispielloser Erfolge bei der Armutsbekämpfung geht die UNO davon aus, dass derzeit noch über 124,5 Millionen Menschen unterernährt sind. Die ländliche Bevölkerung ist bezüglich der Nahrungsmittelsicherheit, vor allem im unterentwickelten Westen des Landes, strukturell benachteiligt (GIZ 6.2020b). Der Lebensstandard der Bevölkerung steigt kontinuierlich an, der Abstand zwischen Stadt- und Landbevölkerung, deren Einkommen im Vergleich zur Stadt lediglich etwa ein Drittel beträgt, ist seit den 1990er-Jahren kontinuierlich gewachsen (AA 1.12.2020; vgl. UN DESA 2020). Neben Armutsproblemen hat China vor allem mit einer immer stärkeren Einkommensungleichheit zu kämpfen (GIZ 6.2020b). Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben im urbanen Umfeld (CIA 24.11.2020), Das aktuelle Pro-Kopf-Einkommen lag 2019 bei 42.359 Yuan (rund 5.300 EUR), wohingegen auf dem Land nur 16.021 Yuan (rund 2.000 EUR) verdient wurden (GIZ 6.2020b).
Alle der 2012 angegebenen 832, von landesweit insgesamt 2.851 Verwaltungseinheiten auf Kreisebene, die damals noch als arm eingestuft worden sind, gelten gegenwärtig auf der Grundlage statistischer Daten hinsichtlich des Durchschnittseinkommens nicht mehr als arm. Präsident Xi Jinping erklärte 2015, die Armut, in der noch etwa 70 Millionen Menschen der Landbevölkerung lebten, bis Ende 2020 beseitigen zu wollen. Kritiker argumentieren, dass China die Armutsgrenze zu niedrig angesetzt habe und dass die Nachricht eine starke Zunahme der Einkommensunterschiede zwischen Stadt und Land verdecke. Auch habe sich das Programm zur Beseitigung der Armut auf die Landbevölkerung konzentriert und berücksichtige nicht die in den Städten lebenden Armen. Seit den 1990er-Jahren wurden mit dem Aufstieg Chinas zur zweitgrößten Volkswirtschaft in der Volksrepublik etwa 700 Millionen Menschen aus der Armut gehoben (BAMF 30.11.2020).
Trotz des laufenden Ausbaus des Sozialsystems bleibt angesichts des niedrigen Niveaus der Sozialleistungen die familiäre Solidarität in Notfällen ein entscheidender Faktor. Die meisten sozialen Leistungen sind zudem an die Wohnrechtsregistrierung („Hukou-System“) gekoppelt, wobei auf dem Land mit einem noch niedrigeren Niveau an staatlicher Hilfeleistung zu rechnen ist. Eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt in den ländlichen Regionen ist oft sehr schwierig (ÖB 10.2020).
Seit 2012 geht die chinesische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter kontinuierlich zurück. Bis 2030 soll ein Viertel der Bevölkerung Chinas älter als 60 Jahre sein. Auch die Einführung der Zwei-Kind-Politik 2016 hat zu keiner Entspannung beigetragen. Damit ist zu befürchten, dass wenige Menschen im arbeitsfähigen Alter somit für eine immer größer werdende Anzahl an Pensionisten aufkommen müssen und das chinesische Pensionssystem damit an seine Kapazitätsgrenzen stößt. Angesichts der demographischen Entwicklung sind Gebiete mit vielen Wanderarbeitern übermäßig belastet (ÖB 10.2020). Provinzen, die nicht über genügend eigene Mittel verfügen, erhalten Subventionen von der Zentralregierung (Darimont 2020).
Das Pensionsantrittsalter liegt bei Männern bei 60 Jahren, bei Frauen bei 50 bzw. 55 Jahren (öffentlich Bedienstete). Frühpension sowie eine Aufschiebung des Pensionsantrittes ist möglich, sofern die Voraussetzung einer Teilnahme am Arbeitsmarkt von 15 Jahren erfüllt ist. In Fällen von Schwerarbeit ist ein Pensionsantritt auch unter 15 Arbeitsjahren möglich. Grundsätzlich leisten Arbeitnehmer Beiträge in der Höhe von 8 Prozent ihres Einkommens, Arbeitgeber tragen mit maximal 20 Prozent bei. Bis 2015 mussten öffentliche Bedienstete keine eigenen Beiträge zur Pension leisten (ÖB 10.2020).
Das chinesische Sozialsystem deckt folgende Gruppen ab:
- Senioren: Personen über 60 Jahre, arbeitsunfähig, ohne Einkommen, ohne Unterhaltszahlungen und Beihilfe oder deren Angehörige sie nicht unterstützen können.
- Waisen ohne Verwandtschaft.
- Ausgesetzte Babys und Kinder, deren biologische Eltern nicht auffindbar sind (IOM 2019).
Das seit 2014 bestehende Programm zur Sicherung des Existenzminimums („di bao“) ähnelt der Sozialhilfe. Dafür ist eine lokale Wohnmeldung („Hukou-System“) vorausgesetzt, weshalb die Millionen Wanderarbeiter in Städten in der Regel keinen Anspruch haben. Ein nationales Gesetz ist seit Jahren in Planung, bisher jedoch nicht verabschiedet, da unklar ist, wie eine überregionale Bedarfsprüfung angesichts der Mobilität der Bevölkerung und der Größe des Landes bewerkstelligt werden kann. Die Höhe des „di bao“ wird regional festgelegt und beträgt in Städten durchschnittlich 373 RMB (ca. 52 EUR) und auf dem Land 203 RMB (28 EUR) (ÖB 10.2020).
Laut einem Beschluss des Staatsrats vom 11. Oktober 2016 sollen bis 2020 allerdings 100 Millionen Chinesen, die ohne städtischen „Hukou“ (Meldeberechtigung) bereits „ständig“ in Städten leben, Zugang zu sozialen Leistungen, wie medizinischer Versorgung und Bildung erhalten. Bisher verfügten nur 39,9 Prozent der Stadtbewohner über einen städtischen „Hukou“ mit Zugang zu sozialen Leistungen, dieser Prozentsatz solle in den kommenden fünf Jahren auf 45 Prozent steigen. Entsprechende Durchführungsverordnungen wurden bisher nicht erlassen. Die Maßnahmen betreffen jedoch nicht einmal die Hälfte der derzeit geschätzten 288 Millionen Wanderarbeiter (ÖB 10.2020).
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Medizinische Versorgung
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China verkündete Ende 2014, die Abdeckung von 95 Prozent der Bevölkerung mit grundlegender Krankenversicherung erreicht zu haben. In der Praxis bestehen jedoch große Unterschiede in Qualität und Umfang der Absicherung (ÖB 10.2020).
Die Meldekarte (Hukou) ist weiterhin nötig für den (legalen) Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Laut einem Beschluss des Staatsrats vom 11. Oktober 2016 sollen bis 2020 allerdings 100 Mio. Chinesen, die ohne städtischen Hukou (Meldeberechtigung) bereits „ständig“ in Städten leben, Zugang zu sozialen Leistungen wie medizinischer Versorgung und Bildung erhalten. Bisher verfügten nur 39,9 Prozent der Stadtbewohner über einen städtischen Hukou mit Zugang zu sozialen Leistungen. Dieser Prozentsatz solle in den kommenden fünf Jahren auf 45 Prozent steigen. Die Maßnahmen betreffen jedoch nicht einmal die Hälfte der derzeit geschätzten 288 Mio. Wanderarbeiter. Chinesen, die keinen für ihre Zwecke gültigen Hukou haben (z.B. minderjährige Wanderarbeiter, welche offiziell noch nicht arbeiten dürften), verwenden mitunter gefälschte Hukou-Karten oder solche von Verwandten (ÖB 10.2020).
Grundsätzlich wird es allen chinesischen Staatsbürger ermöglicht, am Ort ihrer Haushaltsregistrierung Leistungen der nationalen Grundkrankenversicherung in Anspruch zu nehmen. Das gilt nach erfolgter Registrierung auch für chinesische Staatsbürger, die aus dem Ausland zurückgekehrt sind. Dabei werden von der Krankenversicherung in der Regel eine medizinische Grundversorgung in für den Wohnort designierten Krankenhäusern abgedeckt. Dabei können medizinische Leistungen nur dann bezogen werden, wenn eine Hukou-Registrierung besteht (ÖB 13.8.2020).
Das chinesische Gesundheitssystem hält nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt. Gemäß aktuellen Vergleichszahlen der OECD sind für 1.000 Einwohner 2,7 Krankenschwestern/-pfleger sowie zwei Ärzte verfügbar (HB 19.2.2020). Auch die finanzielle Absicherung im Krankheitsfall ist nach wie vor ungenügend. Krankheiten, die intensive ärztliche und/oder therapeutische Behandlungen erfordern, stellen für Bezieher durchschnittlicher und niedriger Einkommen nach wie vor enorme, häufig existenzbedrohende finanzielle Belastungen dar. Wie auch in anderen Politikfeldern herrscht im Gesundheitswesen ein gravierendes Stadt-Land-Gefälle vor. Elementare medizinische Dienstleistungen sind in abgelegenen ländlichen Gebieten kaum vorhanden, eine zeitnahe ärztliche Versorgung kaum möglich, und die vorhandenen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet. Auch wer in einer städtischen Krankenversicherung versichert ist, muss einen großen Teil der Behandlungskosten selbst tragen, da die Erstattungsbeträge aus der Krankenversicherung in der Regel nicht mehr als 60 Prozent betragen (ÖB 10.2020; vgl. IOM 2019, AA 1.12.2020). Ärztliche Behandlungskosten müssen von Patienten im Voraus bezahlt werden. Die meisten Versicherten erhalten eine Kostenerstattung bei jährlichen Kosten bis 1.300 RMB (170 EUR), darüber hinausgehende Kosten müssen selbst getragen werden. Bedienstete von Staatsbetrieben erhalten nahezu kompletten Kostenersatz. Obwohl die chinesische Regierung kontinuierlich mehr in das Gesundheitswesen investiert, ist die Abdeckung oft ungenügend. Besonders im ländlichen Raum müssen häufig arme Familien ihre gesamten Ersparnisse für Behandlungen kranker Familienmitglieder aufwenden. Auch die staatlichen Krankenhäuser müssen sich weitgehend selbst finanzieren, und tun dies vor allem durch extensives Verschreiben überteuerter Medikamente (10.2020).
Chinas System der Haushaltsregistrierung (das Hukousystem) trägt zu beobachtbaren Ungleichgewichten und der Marginalisierung von Landbewohnern und Migranten in den urbanen Zentren bei. Neuzuwanderer in städtische Gebiete haben aufgrund der strengen Registrierungsanforderungen oft keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Wohnraum (UNDESA 2020).
In China gibt es keine niedergelassenen, sondern nur in den Kliniken angestellte Ärzte (coliquio 10.8.2018). Krankenhäuser sind sowohl in großen als auch in kleinen Städten zu finden (IOM 2019). Der Arztberuf genießt in China relativ geringes Ansehen, Ärzte können von ihrem Grundgehalt kaum leben und es herrscht akuter Mangel an qualifiziertem Personal. Die große Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Gesundheitssystem äußert sich regelmäßig in gewalttätigen Übergriffen gegen medizinisches Personal (ÖB 10.2020).
Der Markt für Medikamente in China ist relativ gut entwickelt. Grundsätzlich sind Medikamente im ganzen Land erhältlich. Während die Kosten für lokal hergestellte Medikamente gering sind, ist importierte Medizin mit besonderen Wirkstoffen sehr teuer (IOM 2019). Seit März 2016 wurde eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, darunter eine Anhebung der Kostenerstattung für Patienten, die Anhebung der Zahl der Ärzte auf 70.000, die zentralisierte Beschaffung von Medikamenten für Spitäler und der Aufbau eines nationalen Netzwerks für die Kostenerstattung in der Krankenversicherung, sodass Kosten landesweit erstattet werden können (ÖB 10.2020).
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Rückkehr
Grundsätzlich besitzen chinesische Staatsbürger nach ihrer Rückkehr nach China das Recht, sich wieder im Land niederzulassen und sich unter entsprechenden Bedingungen auch im „Hukou-System“ registrieren zu lassen. Voraussetzung dafür ist eine „Bescheinigung zur Rückkehr und Ansiedlung von Auslandschinesen“. Voraussetzungen für die Ausstellung einer solchen Rückkehrbescheinigung ist der Nachweis eines gesicherten Lebensunterhaltes und die Verfügbarkeit einer rechtlichen häuslichen Unterkunft für die rückkehrende Person. Auch wenn diese Bescheinigung verbindlichen Rechtsanspruch besitzt, obliegen dem Staat Möglichkeiten, diese Ansprüche bei Vorliegen von Straftaten betreffend der allgemeinen Sicherheit und Ordnung, deren Auslegung einen weiten Raum für Anschuldigungen bieten, zu verwehren. Für eine Registrierung an einem anderen Ort als dem bisherigen Lebensmittelpunkt sind zusätzliche lokal 71 erlassene Bedingungen zu erfüllen, unter anderem auch eine Straffreiheit der Antragsteller (ÖB 10.2020).
Es erfolgen lückenlose, automatisierte Kontrollen an den Grenzkontrollstellen (ÖB 10.2020). Ein Asylantrag allein ist nach chinesischem Recht kein Straftatbestand. Personen, die China illegal, etwa unter Verletzung der Grenzübertritts-Bestimmungen verlassen haben, können bestraft werden (AA 1.12.2020). Es ist anzunehmen, dass die chinesischen Behörden über das Verhalten chinesischer Asylsuchender während ihres Aufenthalts außerhalb Chinas informiert sind (DFAT 3.10.2020). Im Oktober 2016 wurden zur Verstärkung der Überwachung von Auslandskontakten in einem ersten Schritt die Pässe der Einwohner Xinjiangs zurückgerufen. Zudem haben die Behörden in Xinjiang 2017 alle chinesischen Uigurinnen und Uiguren im Ausland aufgefordert, bis Ende Mai 2017 in die VR China zurückzukehren, um sich registrieren zu lassen. Verstöße dagegen können nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen von den chinesischen Behörden sanktioniert werden. Doch auch die freiwillige Rückkehr in der vorgegebenen Frist ist keine Garantie für Straffreiheit und Sicherheit (AA 1.12.2020).
Einige Gruppen (v.a. Angehörige der Minderheiten der Uiguren und Tibeter) sowie als politische bzw. Menschenrechtsaktivisten eingestufte oder im „Shuanggui“ System [ein nicht gesetzlich geregeltes Verfahren, welches eine zeitlich nicht näher begrenzte Arrestierung erlaubt] verfolgte Personen riskieren nach ihrer Rückkehr nach China regelmäßig unfaire Verfahren (ÖB 10.2020; vgl. AA 1.12.2020). Der Verbleib von Angehörigen dieser generalverdachtsmäßig als staatsgefährdend angesehenen Minderheiten bleibt nach deren Rückkehr oft ungeklärt und es ist mit einem ungewissem, auf unbestimmte Zeit festgelegten Verbleib dieser Personengruppen zu rechnen (AA 1.12.2020).
Oppositionelle Betätigung im Ausland kann zu Problemen führen, wenn die Behörden der Ansicht sind, dass „Verbrechen gegen die nationale Sicherheit“ (etwa Verrat von Staatsgeheimnissen, Separatismus, Terrorismus) begangen wurden. Einige Gruppen (v.a. Angehörige der Minderheiten der Uiguren und Tibeter) sowie als politische- bzw. Menschenrechtsaktivisten eingestufte oder im „Shuanggui“ System verfolgte Personen riskieren nach ihrer Rückkehr nach China regelmäßig unfaire Verfahren (ÖB 10.2020).
Das chinesische Außenministerium konfisziert, annulliert oder verweigert die Verlängerung der Reisepässe von Uiguren und anderen im Ausland lebenden turksprachigen Muslimen, einschließlich Personen mit rechtmäßigem Daueraufenthaltsstatus oder Staatsbürgerschaft in anderen Ländern, als Zwangsmaßnahme, um sie zur Rückkehr nach Xinjiang zu bewegen (USDOS 10.6.2020).
Darüber hinaus fordert die Zentralregierung andere Regierungen auf, Uiguren, die aus China geflohen sind, in ihre Heimat rückzuführen (NYP 22.9.2019). China übt dabei auf seine Nachbarstaaten Druck aus, uigurische Flüchtlinge, die pauschal des „Terrorismus“ bezichtigt werden, beschleunigt nach China rückzuführen (DW 17.2.2020). Auch wurden entsprechende Auslieferungsabkommen mit einigen, an die Autonome Region Xinjiang grenzende Nachbarstaaten, wie Kasachstan (ÖB Nur-Sultan 7.2020a), Kirgisistan (ÖB Nur-Sultan 7.2020b), Tadschikistan (ÖB Nur-Sultan 8.2020) und Usbekistan (ÖB Moskau 17.5.2019) abgeschlossen. Die Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) beobachtet mit großer Sorge, dass sich der Einfluss Chinas bei der Verfolgung religiöser und ethnischer Minderheiten weltweit immer weiter ausdehnt, wie das Beispiel der Uiguren in der Türkei zeigt (IGFM 22.6.2020; vgl. NM 19.5.2020). In den letzten Jahren kam es, vermutlich auf chinesischen Druck, immer wieder zur Abschiebung von uigurischen Asylwerbern aus Nachbarländern, zumeist aus Kambodscha, Thailand, Pakistan, Malaysia, Algerien und Ägypten (ÖB 10.2020; vgl. AA 1.12.2020, SZ 12.4.2019, DW 17.2.2020). Es gibt auch Berichte, wonach die chinesischen Behörden die Rückkehr von Uigurinnen und Uiguren mit Aufenthaltsrecht in EU-Mitgliedstaaten zur „Umerziehung“ in ihren Heimatorten in Xinjiang erzwingen. Oftmals werden dafür in China lebende Familienmitglieder als Faustpfand benutzt. Über den Verbleib der rückkehrenden Personen ist oft nichts bekannt (AA 1.12.2020).
Die Rückkehrsituation für mittellose, kinderreiche Personen ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz und ohne familiäre Anbindung in China, insbesondere auf dem Land, ist als schwierig zu beurteilen (ÖB 10.2020).
[…]“
2.4.2. Auszug aus der Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 18.08.2020 zur Versorgung von Rückkehrern in China
„Zusammenfassung:
Chinesische Staatsbürger, die sich im Ausland niedergelassen haben, besitzen grundsätzlich das Recht, sich nach ihrer Rückkehr nach China wieder im Land niederzulassen und sich unter entsprechenden Bedingungen auch im „Hukou-System“ registrieren zu lassen. Dazu ist vor der geplanten Rückkehr entweder bei einer chinesischen Vertretungsbehörde im Ausland oder bei der entsprechenden Behörde am vorgesehenen Wohnort einen Antrag zu stellen, mit welchem dem Antragsteller eine „Bescheinigung zur Rückkehr und Ansiedlung von Auslandschinesen“, also eine „Rückkehrbescheinigung“ überantwortet wird.
Voraussetzungen für die Ausstellung dieser Rückkehrbescheinigung sind die Beantragung der genannten Bescheinigung, der Reisepass, eine Erklärung, auf das ausländische Aufenthaltsrecht zu verzichten und Straffreiheit. Bei Kriminalstraftaten kann die Registrierung verwehrt oder entzogen werden.
Auch werden die Voraussetzungen für eine Registrierung in China geprüft und es muss durch die antragstellende Person der Nachweis vorgebracht werden, dass diese eine bestimmte Zeit lang in China aufhältig war. Die Dauer des Aufenthalts variiert in den verschiedenen Provinzen.
Darüber hinaus ist ein gesicherter Lebensunterhalt und die Verfügbarkeit einer rechtlichen häuslichen Unterkunft für die rückkehrende Person nachzuweisen.
Für eine Registrierung an einem anderen Ort als dem bisherigen Lebensmittelpunkt sind zusätzliche lokal erlassene Bedingungen zu erfüllen.
Bei einer genehmigten „Rückkehr zur Ansiedlung“ in China müssen sich Auslandschinesen innerhalb von sechs Monaten zur Registrierung mit der gültigen Rückkehrbescheinigung an das Büro für öffentliche Sicherheit am vorgesehenen Wohnsitz wenden.
Auch wenn die „Bescheinigung zur Rückkehr und Ansiedlung“ verbindlichen Rechtsanspruch besitzt, obliegen dem Staat Möglichkeiten, diese Ansprüche bei Vorliegen von Straftaten betreffend der allgemeinen Sicherheit und Ordnung zu verwehren.
Verschiedene Kapitel von infrage kommenden Kriminalstraftaten können den Einzelquellen entnommen werden.
Chinesischen Staatsbürger, die alle entsprechenden gesetzlichen Formalitäten zur Rückkehr und Niederlassung in China erbringen, können nach Rückkehr Sozialhilfe beantragen. Darüber hinaus haben rückkehrende Chinesen Anspruch auf die gesetzliche Grundversorgung, wenn sie ihre Arbeitsfähigkeit verloren haben und über keine finanziellen Mittel zur Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes verfügen.
Angemerkt wird in diesem Zusammenhang, dass eine Rückkehrbescheinigung in der Regel jedoch nur dann erteilt wird, wenn durch die antragstellende Person nachgewiesen werden kann, dass der Lebensunterhalt gesichert ist und ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht.
So stellt sich in den meisten Fällen die Frage um Beantragung von Sozialleistungen für Rückkehrer erst gar nicht.
Aus dem Ausland rückgekehrte chinesische Staatsbürger können nach entsprechender, bereits beschriebener Registrierung am Ort der Haushaltsregistrierung Leistungen der nationalen Grundkrankenversicherung in Anspruch nehmen. Durch die chinesische Krankenversicherung wird in der Regel die medizinische Grundversorgung in den für den Wohnort designierten Krankenhäusern abgedeckt.
Voraussetzung für einen Anspruch von Leistungen durch die Krankenversicherung ist wiederum eine Hukou-Registrierung, die voraussetzt, dass der Lebensunterhalt sowie ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht.
Chinesische Staatsbürger können auch nach Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters beschäftigt werden, wobei der automatisch mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters endende Arbeitsvertrag durch eine erneute schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und -nehmer, welcher die Rechte und Pflichten während der Arbeitszeit im Hinblick auf die Arbeitsaufgaben, Vergütung, medizinische Versorgung und Arbeitsversicherung regelt, abschlossen wird.
Durch diese Art der Beschäftigung wird kein arbeitsvertragliches, sondern vielmehr ein dienstvertragliches Verhältnis begründet. Dabei gibt es keine Einkommensbeschränkungen oder Hinzuverdienstgrenzen und Kürzungen von Pensionsleistungen.
Limitierend wirken sich dabei die Faktoren der allgemeinen Beschäftigungslage, des Tätigkeitsbereiches, dem Ort und den notwendigen Qualifikationen aus.
Persönliche Devisengeschäfte werden durch chinesische Banken mittels des vom chinesischen Devisenbüro festgelegten Informationsmanagementsystems abgewickelt. Transaktionen können von Österreich aus nach China allgemein durch Paypal, Western Union, Transferwise usw. durch