Entscheidungsdatum
16.02.2021Norm
AsylG 2005 §8 Abs4Spruch
W203 1425248-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.01.2019, Zl. 820184305/190041027, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben.
II. XXXX wird aufgrund seines Antrages vom 04.12.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 16.02.2023 erteilt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am 13.02.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2016 wurde – nach bescheidmäßiger Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) – dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und diesem eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.01.2017 erteilt.
Begründet wurde die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten damit, dass festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr aufgrund der allgemein schlechten Sicherheitslage in Afghanistan sowie der schlechten Versorgungslage in seiner Heimatregion mit Eingriffen in seine Sphäre zu rechnen hätte, die eine Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würden. Dies insbesondere, da er in seiner Heimat über kein soziales oder familiäres Netz mehr verfüge. Diese Feststellungen zur Rückkehrprognose des Beschwerdeführers hätten sich aus dem – im Erkenntnis wiedergegebenen -Sachverständigengutachten sowie aus den Länderfeststellungen ergeben.
3. Am 21.12.2016 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht einen „Antrag auf Verlängerung § 8“ bei der belangten Behörde ein und ersuchte um Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.
4. Mit Bescheid vom 23.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer dessen Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.01.2019 verlängert.
5. Am 04.12.2018 brachte der Beschwerdeführer erneut einen „Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG“ bei der belangten Behörde ein.
6. Am 14.01.2019 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab er an, dass er „grundsätzlich gesund“ sei, aber sein Kopf sei „gebrochen“ gewesen in Afghanistan und er nehme Medikamente ein. Eines zum Einschlafen, eines gegen Kopfschmerzen und ein weiteres, da er schnell „aufgebracht“ werde und vergesslich sei. Einmal im Monat bzw. alle zwei Monate müsse er zum Arzt um sich die Medikamente neu verschreiben zu lassen. Seine davor berichteten Herzprobleme betreffend gab er an, dass er deswegen seit längerem keine Medikamente mehr nehme, die Schmerzen würden nur manchmal kommen und würden sich verschlimmern, wenn er sich große Sorgen mache. Der Beschwerdeführer gab an, dass er Deutschkurse besuche und ein Praktikum in einer Tischlerei gemacht habe, er wäre aber nicht übernommen worden. Dies sei 2017 gewesen und es sei ihm gesagt worden, dass er die Sprache noch nicht entsprechend beherrsche. Er spreche nur wenig Deutsch, obwohl er seit sieben Jahren in Österreich lebe, da er mit niemandem Kontakt habe, mit dem er die Sprache lernen könne und wenn er etwas lerne, vergesse er es schnell wieder. Er habe einige afghanische Freunde in Österreich. In Oberösterreich habe er auch ein paar österreichische Freunde gehabt, jetzt in Wien nicht mehr. Der Beschwerdeführer wolle in Österreich als Tischler arbeiten, dies habe er acht Jahre lang in Afghanistan und ein Jahr im Iran getan. Er habe das letzte Mal 4 – 5 Monate vor der Einvernahme Kontakt mit seiner Mutter gehabt, die sich damals im Iran aufgehalten habe. Eine Schwester des Beschwerdeführers lebe in Kabul und sei verheiratet, seine andere Schwester lebe im Iran, genauso wie sein jüngerer Bruder. Mit den zwei Onkeln und den insgesamt vier Tanten, welche in Kabul leben würden, habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Als der Beschwerdeführer geflohen sei, hätten diese in Kabul gelebt. Er habe nicht versucht, mit seinen Familienangehörigen in Kabul in Kontakt zu treten. Die Lage in Afghanistan habe sich verschlimmert, was er aus dem Fernsehen, den Nachrichten und den Zeitungen wisse. Der Beschwerdeführer sei nicht verheiratet, er sei aber seit zwei Jahren an eine Frau, die in Kanada lebe, „versprochen“. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, da er dort Schwierigkeiten habe. Sein Leben sei in Gefahr gewesen. Sein Bruder sei geschlagen worden, deswegen sei er in den Iran gegangen, dann wieder nach Afghanistan zurückgekehrt. Daraufhin sei dieser abermals geschlagen worden und wieder in den Iran gegangen. Der Beschwerdeführer sei nicht wegen des Geldes nach Österreich gekommen, er habe in seiner Heimat ohnehin als Tischler „gut verdient“. Er sei gegangen, da sein Bruder verletzt worden sei. Der Bruder des Beschwerdeführers habe damals in Kabul bei seiner Schwester gelebt. Auf Vorhalt, dass der Bruder nach wie vor Kontakt zur Schwester aufnehmen könne, und der Beschwerdeführer somit nicht sagen könne, dass er keinen Kontakt zur Verwandtschaft habe, gab er an, dass - selbst wenn er Kontakt hätte - ihm dies nichts bringen würde. Er könne aufgrund von Schwierigkeiten nicht nach Kabul zu seiner Verwandtschaft zurückkehren. Es gehe nicht um Arbeit, die finde man überall. Er sei nicht geflohen, weil er keine Arbeit gehabt habe, sondern wegen privater Schwierigkeiten. Die Regierung in Afghanistan könne nicht für Sicherheit sorgen.
Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, dass sich dessen subjektive Lage im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt - als diesem subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei - geändert habe, da nichts festzustellen sei, was eine reale Gefahr für sein Leben oder die Gesundheit bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Weder lasse sich eine solche Gefahr aus der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat noch aus einer etwaigen lebensbedrohlichen und in seinem Herkunftsstaat nicht ausreichend behandelbaren Erkrankung des Beschwerdeführers ableiten. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei dem Beschwerdeführer zuzumuten, da er insbesondere in Kabul, wo er auch über private Anknüpfungspunkte verfüge, Sicherheit erlangen könne und auch eine zumutbare Lebenssituation vorfände. Er könne auf die Unterstützung seiner in Afghanistan lebenden Familie zurückgreifen. In Anbetracht der Umstände seines Aufenthaltes - keine Arbeit, wenig Deutschkenntnisse - sowie auch fehlender familiärer oder privater Bindungen in Österreich sei nicht ersichtlich, dass eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf Achtung des Familien- oder Privatlebens darstellen würde. Es sei daher eine Aberkennung einzuleiten. Dem Vorhalt begegnete der Beschwerdeführer dahingehend, dass er nicht verstehe, weswegen ihm Schutz gewährt worden sei, wenn er nun zurückgeschickt werde. Er habe den Tod nicht gescheut, um nach Österreich zu kommen.
7. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 15.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm nicht erteilt und es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Es wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen gesetzt.
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Situation des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:
Der Beschwerdeführer stamme aus Kabul und leide an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Er sei ledig und habe keine Kinder, er sei arbeitsfähig, aber nicht berufstätig. Er könne auf familiäre und soziale Netzwerke, im speziellen in Kabul, zurückgreifen. Er könne auf Unterstützung „seiner Volksgruppe“ zählen. Die subjektive Lage des Beschwerdeführers zum damaligen Entscheidungszeitpunkt habe sich geändert. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dieser aktuell in seinem Herkunftsland Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre und es läge auch keine allgemeine Gefährdungslage für ihn in seiner Heimatprovinz vor. Er könne seinen Lebensunterhalt mit Unterstützung der internationalen Organisationen in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat bestreiten.
Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner familiären bzw. sozialen Kontakte in bzw. nach Afghanistan angegeben habe, dass sich seine Mutter und eine Schwester im Iran aufhalten würden und er Kontakt zu diesen hätte. Eine weitere, verheiratete Schwester befinde sich in Kabul. Hier sei festzustellen, dass der Kontakt zur Familie wiederhergestellt sei, da der Beschwerdeführer noch in der Einvernahme am 10.01.2012 angegeben habe, keinen Kontakt zur Familie zu haben. Auf weitere Fragen, ob der Beschwerdeführer weitere Familienangehörige in Afghanistan habe, habe dieser (bei der Einvernahme am 14.01.2019 ausweichend geantwortet und angegeben, dass er keinen Kontakt hätte. Aus diesem Verhalten erkenne die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer versuche, jeglichen Kontakt zu seiner Verwandtschaft in Kabul zu verheimlichen. Dass dieser Kontakt bestehe, sei „eindeutig festzustellen“. Der Bruder des Beschwerdeführers sei kurzfristig 2017 in Kabul bei der Schwester wohnhaft gewesen, weswegen gewährleistet sei, dass der Kontakt über den Bruder zur Schwester möglich sei. Ebenso sei der Kontakt zu den in Kabul lebenden Onkeln und Tanten über die Mutter möglich. Überdies sei auch der Aufenthalt der Mutter im Iran zu hinterfragen, da diese noch bei der Einvernahme 2012 bei der Tochter in Kabul aufhältig gewesen sei und die belangte Behörde nicht habe feststellen können, wieso die Mutter in den Iran gezogen sein solle. Fakt sei, dass die Mutter mit Sicherheit den Kontakt zu ihrer in Kabul lebenden Tochter nicht abreißen lassen habe. Die belangte Behörde stelle somit fest, dass der Beschwerdeführer auf familiäre und soziale Netzwerke - vor allem in Kabul - Zugriff habe und dass er bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit sowohl auf die Unterstützung der vorhandenen Familienangehörigen als auch auf die Unterstützung „seiner Volksgruppe“ zurückgreifen könne, so wie er auf diese Unterstützung auch in Österreich zählen könne. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage und wegen privater Schwierigkeiten nicht zurückkehren könne. Demgegenüber stünden jedoch die Länderfeststellungen, welche eindeutig belegen würden, dass trotz der Anschläge in Afghanistan eine Rückkehr für einen arbeitsfähigen, jungen Afghanen als zumutbar einzuschätzen sei. Da der Beschwerdeführer aufgrund der damaligen Sicherheitslage sowie deswegen, da er offensichtlich keinen Zugriff auf familiäre Netzwerke gehabt habe, subsidiären Schutz bekommen habe, hätte er keine Gefährdungslage in Afghanistan zu befürchten. Die Behörde erkenne die Änderung der subjektiven Lage zum damaligen Entscheidungszeitpunkt anhand folgender Fakten: Der Beschwerdeführer habe nun Zugriff auf ein familiäres Netzwerk, er könne auf die Unterstützung seiner Schwester in Kabul zählen, zumal diese auch den Bruder - zumindest mit Wohnraum - unterstützt habe. Die Änderung bestehe darin, dass der Beschwerdeführer damals angegeben habe, dass er nicht bei seiner Schwester wohnen könne. Der Beschwerdeführer habe auch 2012 angegeben, dass er überhaupt keinen Kontakt zu seiner Familie habe, weswegen das BVwG damals von keinen Unterstützungsmöglichkeiten ausgehen musste. Dies sei mittlerweile nicht mehr korrekt, zumal auch von einer Unterstützungsmöglichkeit durch die Geschwister der Mutter ausgegangen werden muss. Auch eine ausweglose Lebenssituation im ganzen Staatsgebiet sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer habe selbst in der Einvernahme angegeben, überall im Land Arbeit finden zu können. Der Beschwerdeführer könne bei einer Rückkehr auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen und seien auch die Unterstützungsprogramme wie z.B. von IOM mittlerweile derart manifestiert, dass er auch auf diese zurückgreifen könne. Es bestehe kein Zweifel, dass der Beschwerdeführer als erwachsener, gesunder und arbeitsfähiger Mann im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. Betreffend seine Lebenserfahrung wurde darauf hingewiesen, dass er mit seinem Aufenthalt in Österreich bereits unweigerlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, auf ein bestehendes Netzwerk zurückzugreifen, was ihm zweifelsohne bei einer Rückkehr in Anbetracht des damit gewonnenen Erfahrungsschatzes zugutekommen und entsprechend hilfreich sein würde. Dass der Beschwerdeführer sich Netzwerke bediene, sei bei der Einvernahme ganz klar hervorgekommen.
8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 31.01.2019 Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen wie folgt:
Die Mutter, der jüngere Bruder sowie die jüngere Schwester des Beschwerdeführers würden sich im Iran aufhalten. Der Beschwerdeführer habe nur selten Kontakt zu diesen, der Vater des Beschwerdeführers sei verstorben. Die ältere Schwester des Beschwerdeführers lebe in Kabul und sei verheiratet. Diese Konstellation sei seit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten am 08.01.2016 gleichbleibend. Die belangte Behörde habe im angefochtenen Bescheid insbesondere nicht darlegen können, inwiefern sich die Lage in Afghanistan sowie die persönliche Situation des Beschwerdeführers im Vergleich zum Entscheidungszeitpunkt am 08.01.2016 maßgeblich geändert habe und dadurch der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z1 AsylG erfüllt sei.
Hinsichtlich der seitens der Behörde behaupteten Änderung der familiären bzw. sozialen Situation des Beschwerdeführers in Afghanistan sei anzuführen, dass der Beschwerdeführer bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 11.11.2015 angegeben habe, dass sich seine Mutter, sein jüngerer Bruder und seine jüngere Schwester im Iran aufhalten und dass er schon seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr zu diesen habe. Er habe aber nicht behauptet, dass eine Kontaktaufnahme unmöglich sei. In der Einvernahme vor der belangten Behörde habe er angegeben, dass er vor etwa 4 – 5 Monaten Kontakt mit seiner Mutter gehabt habe. Er gab auch an, dass seine ältere Schwester in Kabul lebe und verheiratet sei. Zu den zwei Onkeln mütterlicherseits und den vier Tanten habe der Beschwerdeführer weiterhin keinen Kontakt. Indem die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung die Situation des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Einvernahme vom 10.01.2012 als Vergleichsgrundlage heranziehe, verkenne sie die Rechtslage, da dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 08.01.2016 subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Richtigerweise hätte die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor dem BVwG heranziehen müssen. Die familiären Anknüpfungspunkte seien bis dato unverändert.
Der Beschwerdeführer hätte im Falle seiner Rückkehr infolge folgender besonderer Vulnerabilitäten keinen Zugang zu grundlegender Infrastruktur wie Wohnraum, Erwerbsmöglichkeit oder medizinischer Versorgung:
Er verfüge in Afghanistan über keinerlei Netzwerke, weswegen er keinen Zugang zu Erwerbsmöglichkeiten und Unterkunft habe und aufgrund seiner langen Abwesenheit aus Afghanistan, seinem Aufenthalt im europäischen Ausland und weil er nie länger in Herat bzw. Mazar-e Sharif gelebt habe, verfüge er weder über die nötigen örtlichen noch kulturell-gesellschaftlichen Kenntnisse, um sich in einer Großstadt zurechtzufinden und seine Existenz aus eigenem sichern zu können.
Es habe sich an der persönlichen Situation des Beschwerdeführers nichts Wesentliches geändert. Dass der Beschwerdeführer jung, ledig und arbeitsfähig sei, seit bereits dem Erkenntnis vom 05.06.2012 als Sachverhalt zugrunde gelegt worden. Der Beschwerdeführer sei inzwischen bloß einige Jahre älter geworden.
Auch an der objektiven Situation in Afghanistan habe sich nichts geändert. Eine Schutzalternative in Kabul sei nicht gegeben. Es sei im Rahmen der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde keine Gegenüberstellung des Inhaltes der dem Erkenntnis vom 08.01.2016 zugrunde gelegten Länderberichte mit jener Berichtslage, welche die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogen hat, erfolgt. Eine solche Gegenüberstellung werde allerdings im Rahmen der Prüfung der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten von der Rechtsprechung verlangt. Die belangte Behörde habe es somit gänzlich unterlassen, die Veränderungen – im Sinne einer Verbesserung der Lage – die seit Gewährung des subsidiären Schutzes eingetreten seien, zu prüfen. Hätte sie dies getan, wäre sie zu der Feststellung gelangt, dass die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z1 AsylG 2005 mangels wesentlicher und nachhaltiger Änderung der maßgeblichen Umstände gegenständlich nicht vorlägen. Es habe keine Verbesserung der Lage in Afghanistan stattgefunden, sondern vielmehr sei eine Verschlechterung eingetreten.
9. Einlangend am 06.02.2019 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Aus einer Stellungnahme der belangten Behörde vom gleichen Tag geht hervor, dass die Beschwerdeführung hinsichtlich der Änderung der persönlichen Lage des Beschwerdeführers verkenne, dass insgesamt sechs weitere Personen - 2 Onkel und 4 Tanten - welche sich in Kabul aufhalten, im Rahmen der Einvernahme vom 14.01.2019 „aufgetreten“ seien. Dies sei bisher nicht in diesem Ausmaß bekannt gewesen und stelle somit eine maßgebliche Änderung dar. Auch der Vorhalt, dass der Beschwerdeführer nicht bei seiner Schwester leben könne, sei haltlos, da schon der Bruder bei seiner Rückkehr aus dem Iran bei seiner Schwester „untergekommen“ sei, was der Einvernahme bzw. dem Bescheid eindeutig zu entnehmen sei. Somit müsse dem seitens der Beschwerdeführung eingeräumten Mangel an Netzwerken entschieden entgegengetreten werden, da dies eindeutig nicht den Tatsachen entspreche.
10. Am 19.02.2019 wurde seitens des Beschwerdeführers eine Teilnahmebestätigung einen Deutschkurs betreffend vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht auf Grundlage der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie durch ein Organ der belangten Behörde sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem fest. Aus den diesbezüglichen Angaben und Informationen werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem dort angegebenen Datum geboren. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum schiitischen Islam.
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren und lebte bis ca. 2011 auch dort. Nachfolgend lebte der Beschwerdeführer ein Jahr im Iran, bevor er nach Österreich reiste.
Die Mutter, der jüngere Bruder sowie die jüngere Schwester des Beschwerdeführers leben im Iran. Eine weitere, verheiratete Schwester lebt in Kabul, Afghanistan. Zwei Onkel und vier Tanten leben ebenfalls in Afghanistan. Es besteht kein Kontakt des Beschwerdeführers zu Familienmitgliedern in Afghanistan, mit seiner Mutter, die im Iran lebt, hat der Beschwerdeführer losen Kontakt. Die Familienverhältnisse des Beschwerdeführers haben sich seit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten durch das BVwG im Jahr 2016 nicht maßgeblich geändert.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Verfahren vor der belangten Behörde:
Dem Beschwerdeführer wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.01.2016 gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.01.2017 erteilt.
Mit Bescheid vom 23.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer dessen Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.01.2019 verlängert.
Mit Bescheid vom 15.01.2019 erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Status eines subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und wies den Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ab. Dem Beschwerdeführer wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und eine Rückkehrentscheidung gegen diesen erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt.
An den maßgeblichen subjektiven Umständen des Beschwerdeführers, die zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, hat sich seit Erlassung des diesbezüglichen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2016 nichts Wesentliches geändert.
Auch an der objektiven Situation in Afghanistan, besonders auch der Sicherheitslage in Kabul, der Herkunftsstadt des Beschwerdeführers, hat sich zwischenzeitig nichts Maßgebliches geändert.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf folgenden nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 18.05.2020 (LIB),
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)
- ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 26.05.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif)
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)
- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1)
- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban“ vom 29.06. 2017 (Landinfo 2)
- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke)
1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).
1.3.2. Aktuelle Entwicklungen
Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).
Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).
Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).
Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).
1.3.3. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).
Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.3.4. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).
1.3.5. Bewegungsfreiheit und Meldewesen
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).
1.3.6. Herkunftsprovinz/-stadt Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).
Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).
Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.3.7. Situation für Rückkehrer/innen
Im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 04.01.2020 kehrten insgesamt 504.977 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurück: 485.096 aus dem Iran und 19.881 aus Pakistan. Seit 01.01.2020 sind 279.738 undokumentierter Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 22).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 22).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 22).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 22).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 22).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (LIB, Kapitel 22).
Unter Rückkehrhilfe wird in Österreich Beratung und – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auf Antrag - Unterstützung in Form von Organisation und Übernahme der Reise- und Dokumentenkosten sowie ein finanzieller Beitrag verstanden.
Die Höhe der finanziellen Starthilfe bemisst sich grundsätzlich nach einem „2-Phasen Modell“:
- 500 EUR für Asylwerber im laufenden Verfahren I. Instanz,
- 250 EUR nach abgeschlossenem negativen Asylverfahren I. Instanz bzw. Fremde (BMI Rückkehrhilfe).
Zudem kann bei Erfüllung der Kriterien eine zusätzliche Reintegrationsunterstützung (Geld- und Sachleistung) vor Ort erfolgen. Das Projektziel dieses Reintegrationsprojektes mit dem Namen RESTART II mit IOM Österreich ist es, die freiwillige Rückkehr und Reintegration der Projektteilnehmer sowie der mit ihnen gemeinsam zurückgekehrten Familienmitglieder zu erleichtern. Rückkehrer sollen mithilfe der gewährten individuellen Unterstützung befähigt werden, sich erfolgreich in ihrem Herkunftsland einzugliedern. Die Reintegrationsleistung betragen 500 EUR Bargeldleistung und 2.800 EUR Sachleistung (BMI Rückkehrhilfe).
Erfolgt keine freiwillige Rückkehr, wird bei Zwangsrückführungen, sofern keine eigenen Mittel vorhanden sind, ein Zehrgeld in der Höhe von 50 EUR gewährt. Dieser Betrag kann im Fall von besonderen Bedürfnissen erhöht werden (BMI Rückkehrhilfe).
Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 22).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
- Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
- Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 22).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 22).
1.3.8. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Ausführungen in den Länderberichten zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere Kabul betreffend, ist nicht festzustellen, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit dem Zeitpunkt der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2016 erfolgten Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten wesentlich und nachhaltig geändert haben. Der Vergleich zwischen dem eingeführten Länderberichtsmaterial im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und dem nunmehr aktuellen Material ist keine Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan ersichtlich.
2. Beweiswürdigung
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zum Namen, Geburtsdatum, zur Herkunft, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zur familiären Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen plausiblen, während des gesamten Verfahrens gleichlautenden und deshalb als glaubhaft anzusehenden Angaben sowie aus der eingebrachten Beschwerde.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Aufwachsen in Afghanistan, zu seinem einjährigen Aufenthalt im Iran, zu seiner Herkunftsprovinz und zu seinen Familienangehörigen sind stringent und vor dem Hintergrund der in Afghanistan bestehenden Strukturen sowie der Länderfeststellungen und der vorgelegten Unterlagen plausibel. Die Angaben des Beschwerdeführers hierzu waren im Wesentlichen während des gesamten Verfahrens gleichbleibend und widerspruchsfrei, was schließlich auch zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesverwaltungsgericht führte.
2.2. Die Feststellungen zur Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten und der Aberkennung eben dieses Status ergeben sich aus den Verwaltungsakten.
2.3. Die Feststellungen zur Länderberichtslage beruhen auf einer Gegenüberstellung des dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2016 zu Grunde gelegten Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Afghanistan mit jenem, welches dem Bescheid der belangten Behörde vom 15.01.2019 zu Grunde gelegt worden ist, und dem nunmehr aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation.
Eine seit Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.01.2016 eingetretene, entscheidungswesentliche Änderung der persönlichen Umstände des Beschwerdeführers kann weder dem Akt entnommen werden noch auf sonstige Grundlagen gestützt werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchpunkt A): Stattgabe der Beschwerde und Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter:
3.2.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen.
Im zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, d.h. wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, wird auf eine Änderung der Umstände abgestellt, die so wesentlich und dauerhaft ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Diese maßgeblichen Sachverhaltsänderungen können nicht immer (allein) in Änderungen im Herkunftsland, sondern auch entscheidungswesentlich in der persönlichen Situation des Schutzberechtigten gelegen sein (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Diese Bestimmung stellt damit auf eine Verbesserung der – persönlichen sowie auch landesspezifischen - Umstände ab, was im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht gegeben ist:
3.2.2.1. Die belangte Behörde begründet die Aberkennung im Wesentlichen damit, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend geändert habe, dass der Beschwerdeführer nunmehr Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan aufnehmen und diese ihm Unterstützung bei einer Rückkehr zukommen lassen könnte.
Insofern die belangte Behörde ausführt, dass der Beschwerdeführer über seine Mutter bzw. seinen Bruder Kontakt zu Familienangehörigen aufnehmen könnte, ist festzuhalten, dass es sich dabei nur um Mutmaßungen handelt, zumal der Beschwerdeführer selbst angegeben hat, zu seiner Schwester in Kabul bzw. auch zu seiner Mutter keinen bzw. nur minimalen Kontakt zu haben. Es ist daher nicht anzunehmen ist, dass diese einen Kontakt mit dem Angehörigen in Afghanistan herstellen könnten, um um Hilfestellung für den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu ersuchen.
Dazu ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer bereits in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 02.10.2014 und am 11.11.2015 diesbezüglich gleichlautende Angaben gemacht hat, wie diese nunmehr dem Aberkennungsbescheid zu Grunde gelegt wurden. Er berichtete bereits damals, dass sich seine Mutter, sein jüngerer Bruder sowie seine jüngere Schwester im Iran und seine ältere Schwester in Kabul befänden. Auch über die nunmehr durch die belangte Behörde herangezogenen zwei Onkel und vier Tanten berichtete der Beschwerdeführer bereits damals. Dies stellt somit keine wesentliche Änderung der subjektiven Verhältnisse des Beschwerdeführers dar, da diese Tatsachen bereits bei der Erlassung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, welche zur Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten führte, bekannt waren.
Im Ergebnis formuliert die belangte Behörde eine neue Begründung, mit der sie den Antrag auf subsidiären Schutz abgelehnt hätte, wäre nunmehr neu zu entscheiden gewesen. Es übersieht dabei die Frage, ob es schon eine rechtskräftige diesbezügliche Entscheidung gibt, an die sie gebunden ist.
3.2.2.2. Bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, mit welchem dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, wurde auch auf die Tatsache eingegangen, dass internationale bzw. nationale Unterstützungsmöglichkeiten für Rückkehrer bestehen.
Diesbezüglich ist auszuführen, dass diese Unterstützungsmöglichkeiten bereits bei der Erlassung des Erkenntnisses durch das Bundesverwaltungsgericht im Jahre 2016 bestanden haben und es sich somit nicht um neue Tatsachen handelt. Diese Möglichkeiten wurden bereits durch das Bundesverwaltungsgericht im diesbezüglichen Erkenntnis gewürdigt. Aus einem Vergleich der dem damals ergangenen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen einerseits mit den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderfeststellungen andererseits lässt sich nicht entnehmen, dass es zu einer dauernden, maßgeblichen Änderung der Situation von Rückkehrern gekommen wäre, die zu einer Aberkennung des seinerzeit gewährten Status des subsidiär Schutzberechtigten führen könnten.
Somit ergibt sich auch diesbezüglich keine maßgebliche Änderung der Sachlage.
3.2.2.3. Wenn die belangte Behörde ausführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Lebens in Österreich und der Tatsache, dass er in Österreich auf Netzwerke zurückgreifen habe können, in Afghanistan dadurch Vorteile erlangen könnte, ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer in Österreich bisher keiner Tätigkeit nachgeht und auch nicht die deutsche Sprache in einem ausreichenden Ausmaß erlernen konnte, als dies notwendig wäre um einer Beschäftigung nachzugehen. Er ist auch in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig, weswegen nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich wäre, sich in Afghanistan ein Leben aufzubauen, das es ihm ermöglichen würde, seine grundlegenden Bedürfnisse in einem ausreichenden Ausmaß abz