Entscheidungsdatum
17.02.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W137 2175390-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Palästinensische Autonomiegebiete, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2017, Zl. 17-1166202202/171011355 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Abs. 1 FPG (in der damals geltenden Fassung) iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Anhaltung in Schubhaft von 25.10.2017 bis 08.11.2017 (Erlassung des Mandatsbescheids gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG) für rechtswidrig erklärt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Palästinensischen Autonomiegebiete. Er reiste am 31.08.2017 aus Italien kommend unrechtmäßig nach Österreich ein, wurde von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen, auf Grund eines Festnahmeauftrages des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 34 Abs 1 Z 2 BFA-VG festgenommen und zur beabsichtigten Anordnung der Schubhaft einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, dass er im Jahr 2012 seinen Herkunftsstaat verlassen habe und im Juli oder August 2014 nach Italien eingereist und nach kurzer Zeit zum ersten Mal nach Österreich weitergereist sei. Von hier sei er nach Italien zurückgeschoben worden, habe jedoch abermals Italien verlassen und sei durch Österreich nach Deutschland gereist. Dort habe er um internationalen Schutz angesucht, den Ausgang des Verfahrens jedoch nicht abgewartet sondern sei nach etwa einem Jahr nach Dänemark gereist. Dänemark habe er nach zwei Monaten wieder verlassen und sei nach Italien gereist, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. In Italien habe er Dokumente erhalten und sei nach Belgien gereist, um dort zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr nach Italien sei er festgenommen worden und habe sich in einem Gefängnis befunden. Er habe in Italien einen Bescheid erhalten, in dem gestanden sei, dass er innerhalb von sieben Tagen Italien verlassen müsse. Aus diesem Grund sei er nach Österreich gereist um einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Sein abgelaufener Reisepass sei ihm in Deutschland abgenommen worden. In Österreich oder der EU habe er keine Angehörigen oder engen Freunde, seine Familie befinde sich in Palästina. Er sei gesund und verfüge weder über einen Wohnsitz in Österreich noch über Geld.
Während dieser Einvernahme stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 31.08.2017 wurde über den Beschwerdeführer gemäß Artikel 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) iVm § 76 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 31.08.2017 durch persönliche Übernahme zugestellt. Beschwerde hat der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid nicht erhoben.
3. Am 01.09.2017 wurde der Beschwerdeführer aufgrund seines Antrags auf internationalen Schutz erstbefragt.
4. Die vom Bundesamt am 01.09.2017 an Deutschland und am 05.09.2017 an Dänemark gerichteten Anfragen auf Wiederaufnahme des Beschwerdeführers wurden von Deutschland mit Schreiben vom 05.09.2017 und von Dänemark mit Schreiben vom 06.09.2017 abgelehnt. Ein am 06.09.2017 an Italien gerichtetes Wiederaufnahmegesuch blieb innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO unbeantwortet. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 21.09.2017 wurde Italien vom Zuständigkeitsübergang auf Grund des Fristablaufes in Kenntnis gesetzt.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 – AsylG zurückgewiesen und festgestellt, dass Italien für das Asylverfahren des Beschwerdeführers zuständig ist. Es wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z. 1 FPG die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig ist.
6. Mit Schreiben vom 23.10.2017 hat Italien dem Bundesamt mitgeteilt, dass dem Beschwerdeführer in Italien Asyl gewährt wurde. Daraufhin hat das Bundesamt mit Bescheid vom 25.10.2017 einen neuerlichen Schubhaftbescheid, nunmehr gestützt auf § 76 Abs 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs 1 AVG, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung erlassen.
7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.10.2017 wurde der Bescheid vom 03.10.2017 gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben und mit weiterem Bescheid des Bundesamtes vom 30.10.2017 der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG zurückgewiesen und festgestellt, dass der Beschwerdeführer nach Italien ausreisen muss. Gleichzeitig wurde eine Anordnung zur Außerlandesbringung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien zulässig ist. Der Beschwerdeführer hat am 30.10.2017 auf die Einbringung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid verzichtet.
8. Am 03.11.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde (samt Vollmachtsbekanntgabe) ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Schubhaft bei richtlinienkonformer Auslegung des § 76 Abs 2 Z 1 FPG rechtswidrig sei. Fluchtgefahr liege nicht vor und wäre selbst bei der Annahme, dass Fluchtgefahr vorliege, ein gelinderes Mittel anzuwenden gewesen. Beantragt wurde a) eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme des Beschwerdeführers zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes durchzuführen; b) den angefochtenen Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte; c) im Rahmen einer „Habeas Corpus Prüfung“ auszusprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorlägen; d) die belangte Behörde zum Kostenersatz zu verpflichten.
9. Am 06.11.2017 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt vor; eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen wurde dabei nicht erstattet.
10. Am 07.11.2017 erging ein Mängelbehebungsauftrag gemäß § 13 Abs 3 AVG an den Beschwerdeführer bzw dessen rechtsfreundliche Vertretung mit welchem der Auftrag erteilt wurde, näher bezeichnete Unklarheiten im Zusammenhang mit dem Umfang/Inhalt der Beschwerde zu beseitigen.
11. Ebenfalls am 07.11.2018 wurde die Schubhaft beendet und der Beschwerdeführer nach Italien verbracht. Dort wurde jedoch die Einreise verweigert und wurde der Beschwerdeführer nach Österreich zurückgebracht. Nach Klärung der rechtlichen Situation wurde über den Beschwerdeführer mit Mandatsbescheid vom 08.11.2017 die Schubhaft – nunmehr gestützt auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG (in der damals geltenden Fassung) – angeordnet.
12. Mit Schriftsatz vom 10.11.2017 wurde dem Auftrag entsprochen und die Beschwerde vom 03.11.2017 entsprechend verbessert. Klargestellt wurde, dass mit der Beschwerde vom 03.11.2017 lediglich der am 25.10.2017 erlassene Bescheid des Bundesamtes angefochten werde und sich lediglich gegen die Anhaltung in Schubhaft seit Erlassung des Bescheides vom 25.10.2017 richte.
13. Am 29.11.2017 wurde eine gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft auf Basis des Bescheides vom 08.11.2017 gerichtete Beschwerde seitens des Bundesverwaltungsgerichts abgewiesen.
14. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8a VwGVG Verfahrenshilfe im Umfang der Eingabegebühr gewährt.
Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
Über den Beschwerdeführer wurde am 25.10.2017 die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Abtrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung (§ 76 Abs. 2 Z 1 FPG) angeordnet. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (vom August 2017) war erstinstanzlich mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.10.2017 gemäß § 5 Abs 1 AsylG zurückgewiesen worden; dieser Bescheid vom 03.10.2017 wurde (erst) mit Bescheid des Bundesamtes vom 30.10.2017 aufgehoben und mit einem weiteren Bescheid des Bundesamtes vom 30.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (vom August 2017) gemäß § 4a AsylG zurückgewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes sowie und den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“
2.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der damals geltenden Fassung, lautet:
„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Zu Spruchteil A)
2.3. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der damals geltenden Fassung, lautet:
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
2.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
3. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides und der Anhaltung in Schubhaft
Im gegenständlichen Fall wäre die Schubhaft aufgrund eines Anwendungsfalls der Dublin-III-VO nicht auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG sondern § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt werden müssen – wie das schließlich am 08.11.2017 auch erfolgt ist. Das Bundesamt hat sich damit bei Anordnung der Schubhaft einer falschen Rechtsgrundlage bedient.
Bereits aus diesem Grund erweisen sich – entsprechend der damaligen ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – der angefochtene Bescheid und die Anordnung der Schubhaft als rechtswidrig. Bei Rechtswidrigkeit des Bescheides erweist sich auch die auf diesen gestützte Anhaltung in Schubhaft als rechtswidrig. Auf weitere Punkte der Beschwerde muss aus diesen Gründen nicht mehr eingegangen werden.
Festzuhalten ist lediglich, dass durch die Erlassung eines neuen Schubhaft-Bescheides am 08.11.2017 der Umfang der gegenständlichen Beschwerde auf den Zeitraum vom 25.10.2017 bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt ist. Überdies wurde über eine Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft ab 08.11.2017 bereits rechtskräftig abgesprochen.
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. Durch Einträge in öffentlichen Registern (ZMR, Strafregister, etc.) belegte oder widerlegte Tatsachen beziehungsweise Sachverhaltselemente bedürfen ebenfalls keiner mündlichen Erörterung.
In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen sonstigen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt. Die Beschwerde konnte allein auf Basis der
5. Kostenersatz
5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Der Beschwerdeführer hat damit als vollständig obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz; dem Bundesamt gebührt als vollständig unterlegene Partei hingegen kein Kostenersatz. Es hat einen solchen im Übrigen auch nicht beantragt.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Die Berücksichtigung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Abschiebung Fluchtgefahr Kostenersatz Obsiegen öffentliche Interessen Rechtsgrundlage Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W137.2175390.1.00Im RIS seit
18.05.2021Zuletzt aktualisiert am
18.05.2021