TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/19 W171 2191850-1

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Veröffentlicht am 19.02.2021
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Entscheidungsdatum

19.02.2021

Norm

BFA-VG §22a
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs1
VwGVG §35

Spruch


W171 2191850-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Herbert Pochieser, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.04.2018, zu Recht erkannt:

A)

I.

Der Beschwerde wird gemäß § 76 Absatz 1 FPG in Verbindung mit § 22a Absatz BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft seit 22.03.2018 für rechtswidrig erklärt.

II.

Gemäß § 22a Absatz 3 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

III.

Gemäß § 35 VwGVG in Verbindung mit der Aufwandsersatzverordnung hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen des ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von insgesamt Euro 1.659,60 binnen 2 Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Antrag auf Kostenersatz der Behörde wird gemäß § 35 Absatz 3 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Absatz 4 b-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) stellte am 09.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.03.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowie auf subsidiären Schutz abgewiesen und dem BF kein Aufenthaltstitel gewährt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Erledigung der daraufhin erfolgten Beschwerde an das BVwG wurde diese mit Erkenntnis vom 22.11.2017, in allen Spruchpunkten abgewiesen. Gegen dieses Erkenntnis wurde Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 27.02.2018, ablehnte und mit Beschluss vom 29.03.2018 an den Verwaltungsgerichtshof abtrat.

1.2. Der BF wurde am 22.03.2018 festgenommen. Am selben Tag fand vor dem BFA eine Einvernahme statt, in welcher der BF im Wesentlichen ausführte, dass er sich am 26.01.2018 behördlich abgemeldet habe, da er eine Abschiebung befürchte. Er lebe auf der Straße und habe kein Geld. Er werde von Bekannten und österreichischen Familien unterstützt. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich und halte sich seit zwei Jahren durchgehend im Bundesgebiet auf.

1.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Mandatsbescheid wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Der BF werde am 28.03.2018 der afghanischen Delegation zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments vorgeführt.

Die Behörde begründete die Verhängung der Schubhaft damit, dass sein Antrag auf internationalen Schutz in zweiter Instanz rechtskräftig abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei. Der BF halte sich illegal in Österreich auf und sei weder familiär noch sozial oder beruflich integriert. Er sei nicht behördlich gemeldet. Der BF habe selbst angegeben, sich durch Abmeldung der Abschiebung entziehen zu wollen. Er besitze kein gültiges Reisedokument und keine ausreichenden Barmittel, um seinen Unterhalt in Österreich zu finanzieren. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich und es bestehe kein schützenswertes Privatleben. Der BF lebe auf der Straße und werde von Bekannten und österreichischen Familien unterstützt. Er sei für die Behörde nicht greifbar, es liege somit begründete Fluchtgefahr vor. Die Voraussetzungen für die Inschubhaftnahme des BF seien daher gegeben und zur Sicherung der Abschiebung wegen bestehender Fluchtgefahr auch verhältnismäßig. Ein gelinderes Mittel komme im gegenständlichen Fall nicht zum Zuge und sei die Inschubhaftnahme als „ultima ratio“ zu Sicherung der Abschiebung des BF dringend erforderlich.

1.5. Am 23.03.2018 stellte der BF einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

1.6. Gegen den Schubhaftbescheid erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter am 06.04.2018 Beschwerde und begründete die Rechtswidrigkeit der Schubhaft im Wesentlichen damit, dass sich der BF am 22.03.2018 über einen Verein anmelden habe wollen, da er seinen Schlafplatz häufig wechsle. Er habe zuvor bei diversen Freunden und Familien gewohnt. Er habe große Angst vor einer Abschiebung gehabt und befürchtet, dass sein Unterkunftgeber Probleme bekommen könne, wenn er sich dort nicht tatsächlich regelmäßig aufhalte. Im Zuge der Anmeldung sei er festgenommen worden. Er habe einen Folgeantrag auf internationalen Schutz eingebracht, der faktische Abschiebeschutz sei bisher nicht aberkannt worden. Der BF habe am Tag der Festnahme vorgehabt, sich anzumelden, womit der Grund für die Verhängung der Schubhaft weggefallen wäre. Er werde seit Dezember 2017 anwaltlich vertreten, weshalb er über seine Vertretung jederzeit für die Behörde erreichbar sei. Es sei geboten, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs abzuwarten. Im Schriftsatz wurde weiters auf die vom BF im Zuge des zweiten Asylantrags vorgebrachte Verfolgung verwiesen und vorgebracht, dass eine maßgeblich geänderte Sachlage vorliege. Das Abwarten der beabsichtigten behördlichen Meldung, eine regelmäßige polizeiliche Meldung, der Schulbesuch des BF oder die Zustellung von Ladungen an die rechtsfreundliche Vertretung hätten den Zweck der Schubhaft ebenso gut erfüllt. Der BF habe keine Mitwirkungspflichten oder Meldeverpflichtungen verletzt. Die Behörde habe es unterlassen, durch Einsicht in den Akt des Bundesverwaltungsgerichts zu ermitteln, dass dem BF Ladungen über seinen Rechtsvertreter zugestellt werden könnten. Der BF könne eine Unterhaltszusage, die Einräumung eines Wohnrechts und eine Einstellungszusage vorweisen. Er stehe in engem Kontakt mit zwei namentlich genannten österreichischen Familien und besuche die Schule. Er habe versucht sich wieder behördlich zu melden, weshalb eine Fluchtgefahr nicht vorliegen könne.

Die Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, die Gewährung einer aufschiebenden Wirkung sowie Verfahrenskostenersatz wurden beantragt.

1.7. Das BFA legte am 10.04.2018 die Verwaltungsakten vor, beantragte unter Hinweis auf die Begründung im angefochtenen Mandatsbescheid die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde und erstattete eine Stellungnahme. In der Beschwerde selbst werde geschildert, dass der BF zwar geraume Zeit behördlich gemeldet, aber an dieser Anschrift für das Verfahren nicht greifbar gewesen sei. Dass der BF sich selbst anmelden habe wollen, sei nicht dem Umstand gleichzuhalten, dass er sich dem Verfahren zur Außerlandesbringung gestellt hätte. Der Festnahmeauftrag sei zu diesem Zeitpunkt bereits in den Rechtsbestand eingetreten und folgerichtig vollzogen worden. Der Sicherungsbedarf bestehe auch weiterhin in einem solchen Ausmaß, dass mit Anwendung eines gelinderen Mittels nicht das Auslangen gefunden werden könne. Der faktische Abschiebeschutz durch den Folgeantrag des BF werde aberkannt. Die Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats sei von der afghanischen Behörde bereits am 28.03.2018 erteilt worden.

1.8. Nach Einvernahme des BF durch das BFA am 11.04.2018 wurde der faktische Abschiebeschutz durch mündlich verkündeten Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben.

1.9. Am 13.04.2018 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, zu der die belangte Behörde nicht erschien.

Der BF brachte im Beisein seiner Rechtsvertretung vor, dass er sich von Dezember 2017 bis inklusive Jänner 2018 an seiner Meldeadresse aufgehalten habe. Nach seiner Abmeldung habe er bei drei bis vier Freunden in Wien gewohnt. Er habe auch einmal auf der Straße genächtigt. Schließlich habe er sich bei einem Verein obdachlos melden wollen und sei dann am Meldeamt festgenommen worden. Er habe sich in dieser Zeit je zwei bis drei Mal bei den anwesenden drei Zeugen aufgehalten. Das BFA habe nicht gewusst, wo er sich aufgehalten habe, er habe seinen Aufenthaltsort nicht bekannt gegeben. Er hätte auch nach dem 26.01.2018 an seiner bisherigen Meldeadresse wohnen können. Er habe von September bis zum 04.12.2017 die Schule besucht. Er habe einem Professor mitgeteilt, dass er nach Wien müsse, aber später die Schule weiter besuchen wolle. Vor seiner Festnahme habe er sich bei XXXX anmelden wollen. Er habe einmal bei XXXX gewohnt und sei damals dort ausgezogen, weil er das Gefühl gehabt habe, dass er die Familie störe. Hinsichtlich der erwähnten Sicherheitsleistung von 11.000 Euro hätten sowohl XXXX als auch er jederzeit Zugriff auf dieses Sparbuch. Bei Entlassung aus der Schubhaft würde er sich bei XXXX anmelden und weiter in die Schule gehen. Der BF könne schon jetzt jederzeit das Haus durch einen Fingerabdruckscanner betreten.

Der Zeuge XXXX gab an, dass der BF von September 2015 bis Juni 2017 bei ihm gewohnt habe. Der Kontakt sei kurz unterbrochen gewesen, ab Oktober 2017 hätten sie wieder in Kontakt gestanden. Von Dezember 2017 bis Jänner 2018 habe sich der BF bei ihm sowie XXXX und XXXX aufgehalten. Auch im Februar und März 2018 habe er sich abwechselnd an diesen Adressen aufgehalten. Er könne nicht sagen, ob er in dieser Zeit auch bei Personen Unterschlupf gefunden habe, die er nicht kenne. Der BF habe seiner Meinung nach schon gewusst, dass er sie 100-prozentig in Anspruch nehmen könne, er habe das jedoch in der Form nicht gewollt. Er habe auch Angst gehabt, dass sie in die Sache mit hineingezogen werden könnten. Wenn der BF nun wieder aus der Haft entlassen werden würde, würde er sich darum bemühen, dass er bald wieder in die Schule gehen könnte. Er habe seine Einstellungszusage schon ernst gemeint, für ihn habe jedoch die Schule Priorität.

Der Zeuge XXXX gab an, dass er den BF etwa Mitte Dezember durch die Zeugin XXXX kennengelernt habe. Er habe einige Tage bei ihm, dann wieder bei anderen Personen übernachtet. Diese Phase, in der er tageweise bei ihm gewesen sei, habe bis zu seiner Festnahme am Meldeamt gedauert. Der BF habe für die Familie gekocht und Mitglieder der Familie hätten mit ihm gelernt. Er habe auch einen Wohnungsschlüssel erhalten.

Zeugin XXXX gab an, dass der BF etwa seit Mitte, Ende Dezember 2017 abwechselnd bei ihr und ihrem Lebensgefährten XXXX genächtigt habe. Er habe dazwischen auch immer wieder Freunde besucht. Die Phase habe bis zu seiner Festnahme Ende März 2018 gedauert.

Die anwesende Rechtsvertreterin gab zu Protokoll: Wenn in dem Mandatsbescheid auf Seite 10 ausgeführt werde, dass dem BF unkooperatives Verhalten vorgeworfen werde, sei dazu auszuführen, dass er bei der Vorführung zur Schubhaft kein unkooperatives Verhalten gezeigt, sondern lediglich die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit seiner Rechtsvertretung gesucht habe. Dies sei ein grundlegendes Recht, dass dem BF zustehe und ihm verwehrt worden sei. Das Recht sei in § 6 Absatz 2 Anhalteordnung und § 19 Absatz 2 Anhalteordnung normiert. Der BF habe einen Folgeantrag gestellt. Er werde sich daher jedenfalls umgehend melden. Auch gemäß dem bisherigen Verhalten des BF, nämlich dass er sich beim Meldeamt habe melden wollen, sei zu schließen, dass er sich dem Verfahren keineswegs entziehen wolle und in Zukunft auch nicht entziehen werde. Die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft lägen daher jedenfalls nicht mehr vor. Der BF habe ein soziales Netz und familiäre Anknüpfungspunkte hier in Österreich.

Im Anschluss an die Verhandlung wurde die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 29 Absatz 2 VwGVG mündlich verkündet.

1.10. Am 27.04.2018 beantragte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 2a, Abs. 4 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

1.1. Der BF ist vor seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz illegal nach Österreich eingereist.

1.2. Er hat in Österreich am 09.09.2015 seinen ersten und am 23.03.2018 seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.3. Der BF ist in Österreich unbescholten.

Zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Die Rückkehrentscheidung vom 06.03.2017 ist durchsetzbar. Der faktische Abschiebeschutz durch Stellung eines Folgeantrags wurde mit mündlich verkündetem Bescheid vom 11.04.2018 aufgehoben.

2.2. Die rechtzeitige Erlangung eines Heimreisezertifikates ist wahrscheinlich.

2.3. Ein konkreter Termin für die Abschiebung in den Herkunftsstaat ist nicht vorhanden.

2.4. Der BF ist gesund, haft- u. flugtauglich.

Zum Sicherungsbedarf:

3.1. Das Asylverfahren anlässlich des Antrages vom 09.09.2015 ist abgeschlossen. Eine rechtskräftige (durchsetzbare) Rückkehrentscheidung liegt vor.

3.2. Der BF hat im Inland bisher zwei Asylanträge gestellt.

3.3. Der BF hat im Rahmen seines Aufenthaltes im Inland über eine Dauer von etwa zwei Monaten gegen die ihn treffenden Meldeverpflichtungen verstoßen.

3.4. Der BF ist am 22.03.2018 unaufgefordert bei einem Magistrat der Stadt Wien erschienen um eine Wohnsitzanmeldung vorzunehmen, und wurde sodann unvorbereitet festgenommen.

Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1. Der BF hat keine familiären Bindungen im Bundesgebiet.

4.2. Der BF lebte von September 2015 bis Juni 2017 bei XXXX . Von Dezember 2017 bis Jänner 2018 lebte der BF abwechselnd bei XXXX sowie bei Freunden in Wien. Er verfügt über ein tragfähiges soziales Netz.

4.3. Der BF besuchte bis 04.12.2017 ein Gymnasium in Niederösterreich.

4.4. Der BF verfügt über zwei Einstellungszusagen, datiert mit 22.03.2018 und 23.03.2018.

4.5. Dem BF wurde durch XXXX am 22.03.2018 ein Wohnrecht sowie eine Unterhaltszusage erteilt.

4.6. Der BF geht im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person:

Der Verfahrensgang und die hiezu getroffenen Feststellungen sowie die Feststellungen zur Person des BF (1.1 bis 1.2), ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts, deren Akteninhalt der BF in keiner Phase des Verfahrens substantiiert entgegengetreten ist.

Die Feststellung, dass der BF unbescholten ist (1.3) ergibt sich aus einem Strafregisterauszug vom 10.04.2018.

2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.4.):

Aus dem Verfahrensakt ergib sich, dass durch die Abweisung der Beschwerde des BF mit Erkenntnis des BVwG vom 22.11.2017, XXXX , die zugrundeliegende Rückkehrentscheidung rechtskräftig und durchsetzbar wurde. Gegen dieses Erkenntnis wurde Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 27.02.2018, XXXX ablehnte und mit Beschluss vom 29.03.2018 an den Verwaltungsgerichtshof abtrat. Es war daher zum Entscheidungszeitpunkt von einer Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung auszugehen.

Aus der Stellungnahme des BFA vom 10.04.2018 geht hervor, dass die afghanische Behörde die Zustimmung zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats bereits am 28.03.2018 erteilte. Daraus ergibt sich, dass zum Entscheidungszeitpunkt ein Heimreisezertifikat nicht vorlag und auch noch kein Termin für die Abschiebung feststand. Hinsichtlich der Gesundheit des Beschwerdeführers und der Haft- wie auch Flugtauglichkeit basieren die Feststellungen auf den Angaben im Akt und der Aussage des BF in der mündlichen Verhandlung am 13.04.2018.

2.3. Zum Sicherungsbedarf:

Die Feststellungen 3.1 und 3.2 gründen sich auf die Angaben im Akt des BVwG und aus den Angaben im aktuellen Asylakt des BVwG.

Die Feststellung zu 3.3 ergibt sich aus dem Einblick in das ZMR. Daraus ist zu entnehmen, dass der BF seit dem 26.01.2018 bis zu seiner Inhaftierung über keinen Hauptwohnsitz im Inland verfügte. In dieser Zeit war er für die Behörde nicht greifbar.

Die Feststellung zu 3.4 ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2018.

2.4. Familiäre/soziale Komponente:

Die Feststellungen zu 4.1. bis 4.6 gründen sich auf die glaubwürdigen Angaben des BF sowie auf die gleichlautenden Angaben der anwesenden Zeugen in der mündlichen Verhandlung am 13.04.2018. Für das Gericht bestand kein Grund dafür, an der Richtigkeit der Ausführungen der Zeugen und des BF im Rahmen der Verhandlung zu zweifeln.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfestellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessne Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.1.3. Das Ermittlungsverfahren vor Verhängung der Schubhaft wurde durch das BFA mangelhaft geführt. Der BF wurde in der Einvernahme am 22.03.2018 nicht näher zu seiner sozialen Verwurzelung in Österreich, insbesondere zur Unterstützung durch österreichische Familien, befragt. Obwohl der BF Angaben zu einer finanziellen Unterstützung machte („Ich habe hier Bekannte, die mich unterstützen. Weiters werde ich von österreichischen Familien unterstützt.“), erfolgte zu diesem Punkt keine nähere Befragung. Die Behörde hat im Zuge der Einvernahme des BF keine eingehende Erörterung darüber vorgenommen, inwiefern der BF in Österreich über ein tragfähiges soziales Netz verfügt. Die Einvernahme des BF war denkbar knapp und beschränkte sich nur auf zehn Fragen. Hierzu ist zwar festzuhalten, dass der BF ohne Beisein seines Anwalts keine weiteren Angaben machen wollte, die Behörde hat jedoch keine Schritte gesetzt, um die Einvernahme im Beisein des Anwalts fortzusetzen, sondern noch am selben Tag und ohne weitere Ermittlungsschritte den angefochtenen Bescheid erlassen. Dies allein wäre noch kein Grund für eine konkrete Mangelhaftigkeit gewesen, so die Behörde ersatzweise den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes beigeschafft hätte. Wäre dies erfolgt, so hätte sie dem Akt entnehmen können, dass eine Feststellung in der Weise, dass der BF über keinerlei soziale Kontakte verfüge, jedenfalls nicht haltbar wäre. So gab der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass er nach seiner Einreise ein Jahr bei einer österreichischen Familie gelebt habe und von dieser Familie auch eine mündliche Einstellungszusage erhalten habe (Verhandlungsprotokoll vom 09.11.2017, Seite 8/9). Weiters habe er viele Freunde in Wien. Im behördlichen Verfahren wurde in der Folge hinsichtlich der sozialen Situation und des BF somit eine gravierende unrichtige Feststellung getroffen. Aufgrund der mangelhaften Verfahrensführung konnte daher keine korrekte Abwägung durch das BFA erfolgen. Dass der BF über keine soziale Verankerung in Österreich verfügt, hat sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als unrichtig herausgestellt. Die Behörde hätte weiterführende Ermittlungen im Hinblick auf bestehende Anhaltspunkte einer guten sozialen Integration für ihre Feststellungen und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit tätigen müssen. Die Verhängung der gegenständlichen Schubhaft mit Bescheid vom 22.03.2018 war daher rechtswidrig.

Zu Spruchpunkt II. – Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft

Im Zuge des gerichtlichen Verfahrens war zu ermitteln, ob hinsichtlich des BF von Sicherungsbedarf, respektive Fluchtgefahr auszugehen ist. Ausgehend von den diesbezüglichen Feststellungen der Behörde hat das Verfahren ergeben, dass der BF ausreiseunwillig war. Er hat durch seine Abwesenheit von seiner damaligen Meldeadresse und seiner Abmeldung am 26.01.2018 die Abschiebung behindert (Z 1), da er dadurch für die Behörde nicht mehr greifbar war. Der BF meldete sich laut eigenen Angaben von seinem bisherigen Wohnsitz ab und besuchte die Schule nicht mehr, um einer Abschiebung zu entgehen. Das Verfahren hat darüber hinaus ergeben, dass er im Jänner 2018, als er noch über eine aufrechte Meldeadresse verfügte, an dieser jedenfalls nicht anzutreffen gewesen wäre. Der BF stellte seinen zweiten Asylantrag am zweiten Tag seiner Anhaltung in Schubhaft und zu einem Zeitpunkt, als gegen ihn eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand (Z 5). Er war über die die Zeit von etwa 8 Wochen nicht ordnungsgemäß mit einem Wohnsitz gemeldet und daher als untergetaucht anzusehen und hat daher seine Meldeverpflichtung verletzt (Z 8).

Das Verfahren hat darüber hinaus jedoch ergeben, dass der BF über einen gesicherten Wohnsitz verfügt, sein Fortkommen finanziell abgesichert ist, bis vor sein Untertauchen die Schule besuchte und sich in die österreichische Gesellschaft bereits gut integriert hatte. Im Zuge der mündlichen Verhandlung stellte sich heraus, dass der BF ab etwa Dezember 2017 abwechselnd bei den Zeugen XXXX nächtigte, von diesen Familien sowohl organisatorisch als auch finanziell und emotional unterstützt wurde und damit auf ein überdurchschnittliches, sehr tragfähiges soziales Netz zurückgreifen konnte. Ihm wurde vom Zeugen XXXX schriftlich ein Wohnrecht eingeräumt und eine Unterhaltszusage gewährt. Nach seiner Entlassung aus der Schubhaft würde der BF dort Unterkunft nehmen und den Schulbesuch wieder aufnehmen. Der BF hat darüber hinaus Zugriff auf ein Sparbuch mit einer Einlage in Höhe von 11 000 €, wodurch eine finanzielle Absicherung in jedem Fall gegeben ist. Auch zwei schriftliche Einstellungszusagen liegen vor. Der BF wird von mehreren österreichischen Familien unterstützt, die ihm Unterkunft und auch Zugang zu ihren Wohnungen (in Form von Übergabe des Schlüssels) gewährt haben. Der Tatbestand der Z 9, fehlende soziale Verankerung in Österreich, ist daher jedenfalls nicht erfüllt. Dies hat das gerichtliche Verfahren, insbesondere die mündliche Verhandlung, klar gezeigt.

Auf Grund der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung geht das Gericht jedoch insgesamt von Fluchtgefahr aus.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung war zu beurteilen, ob die persönlichen Interessen des BF daran, sich in Freiheit zu befinden, die vorliegenden öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen überwiegen. Hierbei wird festgehalten, dass der BF über keine Vorstrafen verfügt und auch sonst keine die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Verhaltensweisen gesetzt hat, er somit nicht als Sicherheitsrisiko angesehen werden kann. Der BF konnte im Zuge des Beweisverfahren klar darlegen, dass er im Rahmen des sich erwiesenen bestehenden sozialen Netzes durchaus bemerkenswerte persönliche Interessen daran haben konnte, sich auch in dem für ihn ausgebreitetem Netz weiterhin bewegen zu können und zu dürfen. Die Einvernahme der drei Zeugen hat ergeben, dass sich dieses soziale Netzwerk in seiner Ausprägung etwa spätestens im Dezember 2017 entstanden ist und über die gesamte weitere Zeit vorhanden war. Die Einvernahmen haben ergeben, dass dieses soziale Gefüge gut ineinandergreift und sämtliche beteiligte Familien dem BF durchaus Halt dabei bieten können, in Zukunft die Ergebnisse seiner laufenden Verfahren abzuwarten und dabei ein altersgemäßes weiteres Fortkommen zu finden. Dabei sind besonders die Möglichkeit des weiteren Schulbesuchs und unter Umständen der Erwerb eines Schulabschlusses hervorzuheben. Aus Sicht des Gerichts ist im konkreten Fall das dem BF zur Verfügung stehende gute soziale Netz und die damit verbundene gute finanzielle Absicherung ausreichend, um den BF von einem Untertauchen in die Anonymität abhalten zu können. Darüber hinaus vermittelte der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG, der kein Vertreter der Behörde beiwohnte glaubhaft, in Panik verfallen und deshalb untergetaucht zu sein. Er habe sich jedoch sodann besinnt und ist aus freien Stücken zur behördlichen Anmeldung zum Meldeamt gegangen. Die durch den BF zuvor gesetzte Panikreaktion war nach Ansicht des erkennenden Gerichts zudem auch auf die Jugendlichkeit des BF zurückzuführen und war dies daher auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch aus diesem Gesichtspunkt in die Abwägung mit einzubeziehen.

Unter Berücksichtigung der mangelhaften Verfahrensführung durch die Behörde hat sich gezeigt, dass die Verhängung und Anhaltung in Schubhaft bis zum Entscheidungszeitpunkt rechtswidrig war. Die im Rahmen der Verhandlung vorgenommene Prüfung des Falles hat ergeben, dass das Gericht aus obigen Gründen von einer Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Anhaltung in Schubhaft ausgeht.

Zu Spruchpunkt III. – Kostenbegehren

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da der BF vollständig obsiegte, steht ihm nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage zu Spruchpunkt III. war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung Ermittlungspflicht finanzielle Mittel Fluchtgefahr Folgeantrag Integration Kostenersatz mangelhaftes Ermittlungsverfahren Obsiegen öffentliche Interessen private Interessen Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf soziale Verhältnisse Untertauchen Verhältnismäßigkeit Wohnsitz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W171.2191850.1.00

Im RIS seit

18.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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