TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/22 L519 2165238-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.02.2021
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Entscheidungsdatum

22.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L519 2165234-1/21E

L519 2165237-1/19E

L519 2165239-1/17E

L519 2165238-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX (BF1), geb. XXXX , 2. XXXX (BF2), geb. XXXX , 3. XXXX (BF3), geb. XXXX , und 4. XXXX (BF4), geb. XXXX , sämtliche StA Irak, sämtliche vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 29.6.2017, Zlen. XXXX , XXXX , XXXX und XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       

1.       Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide werden gem. § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

2.       Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II der angefochtenen Bescheide wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

3.       Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

4.       Die Spruchpunkte III und IV der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.


B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer( in weiterer Folge entsprechend der Reihenfolge im Spruchh auch als BF1 bis BF4 bezeichnet) sind Staatsangehörige des Irak, gehören zur Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum sunnitischen Islam. Sie brachten nach nicht rechtmäßiger Einreise am 14.9.2015 bei der belangten Behörde Anträge auf internationalen Schutz ein.

Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die BF1, welche die Mutter der BF2 bis BF4 ist, im Wesentlichen Folgendes vor: Sie habe in XXXX die Flüchtlinge von Al Mosel unterstützt und sei deshalb vom IS bedroht worden. In ihrer Gegend hätten Schiiten gewohnt, deshalb seien sie von verschiedenen Gruppierungen bedroht worden. Sie fürchte um ihr Leben und das ihrer Kinder.

Vor dem BFA brachte die BF1 zum Fluchtgrund zusammengefasst vor, dass sie von den schiitischen Milizen bedroht worden sei. Es habe Probleme mit den Kindern in der Schule gegeben, so sei sie zB gefragt worden, weshalb diese keine schwarze Kleidung tragen. Die Kinder hätten in der Schule die Toiletten reinigen müssen und seien immer wieder schikaniert worden. Die BF1 sei wegen ihres sunnitischen Glaubens gekündigt worden. 2014 habe sie begonnen, den aus Mosul Vertriebenen, die nach XXXX kamen, zu helfen. Plötzlich seien bei den BF Leute aufgetaucht, die fragten, was sie mit den Vertriebenen machen. Anschließend hätten sie das Haus der BF durchsucht und gesagt, dass sie gehört hätten, dass die BF Vertriebene bei sich aufgenommen hätten. Das sei 1 Jahr lang so gegangen. 2 Monate vor der Ausreise hätten sie begonnen, der BF1 keine Medikamente und kein Obst mehr zu verkaufen. Jemand habe ihr geraten, in eine andere Gegend zu ziehen und dass es eine Verordnung gebe, wonach ihr nichts mehr verkauft werden dürfe. Während des Fastenbrechens nach dem Ramadan sei ein schwarzes Auto gekommen und mehrere Männer seien ins Haus gestürmt, hätten die BF sowie die Schwiegereltern an Stuhlfüsse gebunden. Die Kinder seien mit Waffen bedroht worden. Das Haus sei erneut durchsucht und alle Wertgegenstände, darunter der Eigentumsvertrag für das Haus, seien mitgenommen worden. Den BF sei gesagt worden, sie hätten 15 bis 20 Tage Zeit, um das Haus zu verlassen. Falls die BF dies nicht tun würden, würden sie getötet und die Töchter der BF1 vergewaltigt. Die BF1 und ihre Schwiegereltern seien auch geschlagen worden. Sie seien einen Tag gefesselt geblieben, bis am nächsten Tag der Ehegatte der BF1 vom Dienst zurückkam. Dann hätte die BF1 getrachtet, mit den Kindern so schnell wie möglich den Irak zu verlassen. In den letzten 20 Tagen vor der Ausreise seien sie bei der Schwägerin der BF1 gewesen. Der Gatte der BF1 sei im Irak geblieben, weil das Geld nicht reichte und es für ihn als Beschäftigten im öffentlichen Dienst schwierig sei, auszureisen. Die Schwiegereltern seien zwischenzeitig nach Amerika ausgereist. Die gesamte Familie der BF1 sei aber noch im Irak.

2. Die Anträge der BF auf internationalen Schutz wurden mit im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status von Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung der BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:

Die Angaben der BF1 zum Fluchtgrund hätten sich als sehr vage und ohne jeglichen Bezug im Detail zu den handelnden Personen bzw. den örtlichen Gegebenheiten dargestellt und seien von der BF1 generell sehr allgemein gehalten vorgetragen worden. Dem Vorbringen werde aus diesen Blickpunkten kein Glauben geschenkt.

Die BF1 gab an, seit 2011 Gemeindebedienstete gewesen zu sein und dass ihre Töchter in der Schule sehr gute Leistungen erbracht hätten. Sie erwähnte weder beruflich noch privat Probleme gehabt zu haben bis zu dem Zeitpunkt, als Vertriebene nach XXXX kamen und sie begann, diesen zu helfen und die Töchter die Schule wechselten. Als fluchtauslösenden Moment gab die BF1 an, dass sie zu Hause von vermutlich schiitischen Milizen aufgesucht worden sei, die ihr unterstellten, Vertriebenen Unterschlupf gewährt zu haben. Den Angaben der BF1 zufolge seien sie und ihre Schwiegereltern von diesen geschlagen und gefesselt worden. Diese vermutlich schiitischen Milizen hätten der BF1 ihr Eigentum weg genommen und eine Frist von 15 bis 20 Tagen eingeräumt, um das Haus zu verlassen. Nachgefragt gab die BF1 dazu an, dass sich ihr Mann während dieses Vorfalls in der Arbeit befand.

Die Behauptung einer konkreten Verfolgung in der Heimat könne nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund der mangelnden Plausibilität und Nachvollziehbarkeit, wie nachstehend begründet, keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden könne.

Die BF1 gab an, von diesen Milizen über 1 Jahr lang ca. 5 Mal zu Hause aufgesucht worden zu sein. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, dass sich die BF1, erst nachdem sie gefesselt und geschlagen wurde, an die Behörden des Heimatstaates gewendet hat. Die BF1 konnte weiter nicht nachvollziehbar darlegen, warum sie sich nach dem von ihr behaupteten Vorfall, bei dem sie ihren Angaben nach gefesselt und geschlagen wurde, örtlich von ihrem Mann getrennt hat. Das Verhalten der BF1 nach diesem Vorfall stelle sich völlig konträr zu dem zu erwartenden Verhalten eines unbescholtenen Menschen in einer vergleichbaren Lebenssituation dar. Eine unmittelbare Gefahr gegen Leib und Leben konnte die BF1 weder für sich noch für eines der anderen Familienmitglieder glaubhaft und plausibel machen. Den entsprechenden Vorhalten konnte sie in der Befragung vor dem BFA nicht entscheidend entgegentreten.

Darüberhinaus sei ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit der BF1, dass sie den eigentlich für sie fluchtauslösenden Moment in der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnte. Darüber hinaus müsse der BF1 klar sein, dass ein alles umfassender präventiver staatlicher Schutz gegen gewalttätige Übergriffe von Privatpersonen aus rassistischen, kriminellen oder sonstigen Motiven heraus realistischerweise nicht erwartet werden könne und dementsprechend auch im Ramen des Asyl- und Flüchtlingsrechts nicht verlangt werden kann.

Die BF1 sei bei der Einvernahme nicht in der Lage gewesen, die Rahmenumstände und die Fluchtgründe konkret und detailliert zu schildern. Ihre Darlegung im Rahmen der Befragung vor dem BFA begrenzte sich lediglich auf einige Eckpunkte einer Rahmengeschichte, ohne diese durch die Präsentation spezifischer detaillierter Angaben anzureichern.

Selbst auf Nachfrage der Behörde im Zuge der Einvernahme konnte die BF1 ihre Ausführungen nicht lebensnahe und somit auch nicht nachvollziehbar und glaubhaft machen. Dabei vermochte sie nicht, den Handlungsablauf so vorzutragen, dass die Behörde davon ausgehen konnte, dass sich dieses Ereignis so zugetragen hat, wie es die BF1 schilderte.

Es bleibe somit abschließend festzuhalten, dass die Ausführungen der BF1 abgeglichen mit den Informationen der Staatendokumentation über ihre Heimat, als vage, nicht nachvollziehbar und in der Folge nicht glaubhaft zu werten sind.

2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiter keine Hinweise für Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stellen die Rückkehrentscheidungen auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

3. Gegen diese Bescheide wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsätzen innerhalb offener Frist Beschwerden erhoben.

Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Angaben vorgebracht, dass sich die BF1 für Flüchtlinge aus Mossul eingesetzt habe. Da sie für diese große Mengen an Medikamenten, Nahrung und Kleidung eingekauft habe, sei sie in das Fadenkreuz schiitischer Milizen und des IS geraten. Letztlich habe sie von den Apotheken und Marktbeschickern nichts mehr bekommen, da diese Angst hatten, ebenfalls in das Visier der Milizen zu geraten.

Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt und mangelhafte Länderberichte herangezogen. In den Bescheiden der Kinder sei unzulässigerweise auf die Zusammenstellung der Staatendokumentation im Asylverfahren der BF1 verwiesen worden. Demzufolge sei der belangten Behörde in Hinblick auf die Verfahren der BF2 bis BF4 ein rechtswidriges Verhalten vorzuwerfen. Zudem seien die Länderberichte unvollständig und unrichtig ausgewertet worden. So fehlen ausführliche Feststellungen zur Lage der Sunniten im Irak, zum Vorgehen schiitischer Milizen gegen Sunniten, zur Situation von Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nach erfolgter Asylantragstellung, zum Einfluss des IS sowie zur Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des irakischen Staates und zur Lage von Frauen, welche sich aktiv und öffentlich zivilgesellschaftlich engagieren. Die Länderberichte seien zudem veraltet und stammen teilweise aus 2014 und 2015.

Die belangte Behörde habe es auch verabsäumt, Recherchen zur aktuellen Lage im Irak anzustellen. Exemplarisch würden dazu nachstehende Berichte erwähnt: Achim Rhode, Konfliktporträt, Irak vom 9.11.2015; UK Home Office: Country Information and Guidance Iraq: Security Situation vom November 2015; USDOS: 2014 Report of international Religious Freedom vom 14.10.2015; AI, Kriegsverbrechen schiitischer Milizen; Handelsblatt vom 14.10.2014: Schiitische Milzen im Irak-Teufelskreis von religiös motivierter Gewalt; UNHCR: Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak vom 31.5.2012; ACCORD: Anfragebeantwortung vom 22.8.2016: Aktuelle Menschenrechtslage, insbesondere Rekrutierung durch schiitische Milizen; ACCORD-Anfragebeantwortung vom 27.3.2017 zur Lage in XXXX ; UNHCR-Position on Returns to Iraq vom 14.11.2016; www.n-tv.de/politik/IS-hinterlaesst-Mossul-in-Trümmern-article19850132.html;

Die Beweiswürdigung sei schon deshalb mangelhaft, weil es die belangte Behörde unterlassen habe, aktuelle und vollständige Länderberichte zu recherchieren. Eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens sei nicht erfolgt. Im Übrigen dürfen Asylwerber bei der Erstbefragung gar nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden.

Es sei auch zu wenig Rücksicht auf das Kindeswohl und den Umstand, dass auf das Auto des Kindesvaters ein Bombenanschlag verübt wurde, genommen worden. Auch der psychische Zustand der BF1 sei nicht berücksichtigt worden, ebenso nicht die westliche Einstellung der BF.

Im Übrigen seien die BF unbescholten und sehr gut in Österreich integriert, was die vorgelegten Unterschriftenlisten bestätigen würden.

4. Für den 28.5.2019 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, an der die BF1 mit ihrer Rechtsvertretung teilnahm.

5. Mit Schreiben des BVwG vom 28.1.2021 wurden den Verfahrensparteien die aktuellen Länderfeststellungen zur asyl- und abschieberelevanten Lage im Irak mit der Einladung übermittelt, dazu binnen 2 Wochen (Einlangen BVwG) eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

5.1. Mit Schriftsätzen vom 10. bzw. 11.2.2021 führten die BF zusammengefasst aus, dass die Sicherheitslage im Irak noch immer instabil und hochgradig alarmierend sei (DFAT Country Information report vom 17.8.2020). Anschlagsziele seien unter anderem auch Zentren des öffentlichen Verkehrs, Märkte und Schulen. Insbesondere stellen die Milizen, welche im Kampf gegen den IS mobilisiert wurden, eine erhebliche bedrohung für die Bevölkerung dar. Auch der IS sei nach wie vor hauptverantwortlich für Gewalt und Gräueltaten im Irak. Sunniten würden weiterhin bedroht und verfolgt.

Das Land habe auch keine Versorgungssituation, um ausreichend Covid19-Tests durchzuführen. Überdies werde das Gesundheitssystem aufgrund der Pandemie demnächst kollabieren. Im Schatten der Pandemie gewinne auch der IS wieder an Stärke. Seit Wochen häufen sich nächtliche Überfälle, Sprengfallenm, Entführungen etc.

Laut einer Entscheidung des VfGH vom 20.9.2020 komme derzeit eine Rückkehr nach XXXX nur für arabische, sunnitische oder schiitische, alleinstehende gesunde Männer oder ebensolche kinderlose Paare im erwerbsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilitäten in Betracht. Familien mit Kindern sind als vulnerabel einzustufen. Im Erkenntnis vom 21.9.2020 hielt der VfGH zudem fest, dass die Sicherheitslage im Irak als volatil zu bezeichnen sei. Eine IFA stehe den BF daher ebenfalls nicht zur Verfügung.

BF1 bis BF3 sind weiblichen Geschlechts und daher in ihrer Freiheit im Irak massiv eingeschränkt. BF2 bis BF4 sind minderjährig und daher besonders vulnerabel. Das Kindeswohl ist besonders zu berücksichtigen. Eine Förderung der Kinder und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten ist im Irak nicht möglich.

Zwischenzeitig ist der Ehemann der BF1 Opfer eines Anschlags von schiitischen Milizen geworden und ist am 31.1.2021 verstorben. Der BF1 wurde von ihrer Familie mitgeteilt, dass im Fall einer Rückkehr geplant sei, die weiblichen BF zu verheiraten. Die BF können im Fall einer Rückkehr auch keine Unterstützung durch ihre Familie erwarten.

Auch sei zwischenzeitig die Integration der BF sehr weit fortgeschritten.

6. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer:

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um irakische Staatsangehörige, welche zur Volksgruppe der Araber gehören und sich zum sunnitischen Islam bekennen. Die BF sind damit Drittstaatsangehöriger. Die BF1 ist die Mutter der mj. BF2 bis BF4.

Die BF1 wurde in XXXX geboren und hat bis zur Ausreise mit ihrem Mann und den BF2 bis BF4 auch in XXXX , XXXX , gelebt. Wie lange die BF tatsächlich die Schule besucht hat, kann nicht festgestellt werden. Sie hat keine Berufsausbildung und hat im Irak zuletzt beim Magistrat als Sekretärin gearbeitet.

Die BF1 war sowohl standesamtlich als auch traditionell verheiratet; jetzt ist sie Witwe. Der Ehemann, der als Elektriker beim Verkehrsamt in XXXX beschäftigt war, ist am 31.1.2021 verstorben, wobei nicht festgestellt werden kann, ob er tatsächlich Opfer schiitischer Milizen wurde.
Im Irak, XXXX , XXXX , leben die Eltern, 2 Brüder, eine verheiratete Schwester der BF1 sowie die Großmutter. Die Eltern und die beiden Brüder bewohnen ein Mietshaus. Der Vater bezieht eine Pension, ein Bruder arbeitet als Krankenpfleger, ein Bruder ist behindert, die Mutter ist Hausfrau und pflegt die ebenfalls im gemeinsamen Haushalt lebende Großmutter.

Die mj. BF2 bis BF4 wurden ebenfalls in XXXX geboren. Die BF2 und BF3 haben im Irak, XXXX die Schule besucht.

Die BF1 ist eine verwitwete, arbeitsfähige Frau mit einer im Irak – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherten Existenzgrundlage.

Bei der BF1 liegen folgende gesundheitlichen Defizite vor: Panikstörung, PTBS, chronisches Schmerzsyndrom, ausgeprägte Gonarthrosen bds., thorakales Vertebralsyndrom, Omarthrose bds., degenerativer Schaden LWS Forameneinengung, Chondromalazie III – IV, Hypertonie, Bauchdeckenhernie rechts, Übergewicht; Die BF1 besucht eine Psychotherapie. Nicht festgestellt werden kann, dass die BF1 tatsächlich täglich 2 Tabletten Vimovo 500 mg/20mg, Wirkstoffe Naproxen/Esmeprazol gegen Schulterschmerzen, 2 Tabletten Thrombo ASS 100 mg gegen Bluthochdruck, 3 Tabletten Novalgin gegen Gelenksschmerzen, 2 Tabletten Pregabalin 25 mg gegen Herzrasen und 2 Tabletten Aurorix 150 mg gegen Vergesslichkeit einnimmt.

Die BF2 ist Bettnässerin und nimmt dagegen täglich eine Tablette Minirin MELT 120mg, Wirkstoff Desmopressinacetat.

Die gesundheitlichen Defizite der BF1 und BF2 sind nicht lebensbedrohlich.

Die BF3 und BF4 haben keine gesundheitlichen Defizite.

Die strafmündigen BF1 und BF2 sind strafrechtlich bislang unbescholten. Sämtliche BF leben von Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 ernsthafte Bemühungen zur Herstellung der Selbsterhaltungsfähigkeit unternommen hätte. Die BF1 hat bislang keinen Deutschkurs besucht. Sie hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Die BF1 hat von Mai von Oktober 2020 als Aushilfskraft in einem Gasthaus gearbeitet. Ob dafür eine Beschäftigungsbewilligung odgl. vorgelegen hat, kann nicht festgestellt werden. Seit Dezember 2020 nimmt die BF1 am wöchentlich stattfindenden Projekt „Elterngruppe“ bei „Jugend am Werk Stmk. GmbH“ teil.

Die BF2 bis BF4 besuchen die Schule. Die BF2 und BF3 sind im Jugendgemeinderat ihrer Wohnsitzgemeinde. Die BF2 hat einen Kinderschnupperkletterkurs belegt. Die BF2 hat sich beim RK für ein Praktikum angemeldet.

Für die BF wurden Unterstützungsschreiben abgegeben.

Der BF haben keine über ihre Kernfamilie hinausgehenden familiären oder relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die Identität der BF steht aufgrund der vorgelegten irakischen Personalausweise fest.

Die BF reisten legal vom Irak in die Türkei und schlepperunterstützt und unrechtmäßig in die Europäische Union und in weiterer Folge in das österreichische Bundesgebiet ein.

Die BF halten sich lediglich aufgrund der Bestimmungen des Asylgesetzes vorübergehend legal in Österreich auf und besteht kein Aufenthaltsrecht nach anderen gesetzlichen Bestimmungen.

Nicht festgestellt werden kann, dass es sich bei XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , um die Schwiegereltern der BF1 handelt.

Die Lage im Herkunftsstaat Irak:

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak werden folgende Feststellungen (Staatendokumentation des BFA) getroffen:

Politische Lage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in XXXX und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in XXXX kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in XXXX und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in XXXX , nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 17.3.2020

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, XXXX , Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in XXXX , neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020

- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020

- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 17.3.2020

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in XXXX (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

(ACCORD 26.2.2020)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Quellen:

- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage XXXX

Letzte Änderung: 17.3.2020

Das Gouvernement XXXX ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt XXXX liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement XXXX betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in XXXX wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt XXXX selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in XXXX ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt XXXX (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement XXXX 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt XXXX zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in XXXX , zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

[Anm.: Weiterführende Informationen zu den Demonstrationen können dem Kapitel 11.1.1 Protestbewegung entnommen werden.]

Quellen:

- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in St

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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