Entscheidungsdatum
23.02.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W123 2237152-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2020, Zl. 631379707/190634150, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 09.04.2019, Zl. XXXX , Strafsache XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer), wurde hinsichtlich der am 28.02.2019 wegen Verstößen gegen das StGB bzw. das WaffGz verhängten Freiheitsstrafe von 14 Monaten dem Beschwerdeführer gemäß § 39 SMG Strafaufschub bis zum 28.02.2021 gewährt, um sich notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen im Rahmen einer stationären Therapie mit anschließender ambulanter Weiterbetreuung zu unterziehen.
2. Am 07.01.2020 stellte der Beschwerdeführer beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung einer Duldungskarte nach
§ 46a Abs. 4 FPG.
3. Mit Schriftsatz vom 16.06.2020 verständigte die belangte Behörde den Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme (beabsichtigte Abweisung des Antrages auf Duldung) mit der Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
4. Der Beschwerdeführer erstatte am 15.07.2020 eine Stellungnahme und brachte insbesondere vor, dass er eine gerichtliche Weisung auf Therapie habe, welcher er aktuell im XXXX dezentral nachkomme.
5. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z 1-4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) abgewiesen.
6. Mit Schriftsatz vom 11.11.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde und brachte zusammenfassend vor, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Abschiebung des Fremden für die Dauer des Strafaufschubes nach § 39 Abs. 1 SMG nicht erfolgen dürfe. Die belangte Behörde übersehe zudem bei der Anwendung des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG, dass die demonstrative Aufzählung darauf schließen lasse, dass der Gesetzgeber unter den von einem Fremden zu vertretenden Gründen nur jene im Auge gehabt habe, die er im Rahmen der Durchsetzung der Rückkehrentscheidung setzt, um diese zu vereiteln. Da dies auf den Beschwerdeführer nicht zutreffe, hätte die Behörde den Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete stattgeben müssen. Dem Beschwerdeführer drohe ein Freiheitsentzug, der einen massiven Eingriff in seinem ihm nach Art. 5 EMRK garantierten Recht bedeuten würde.
7. Mit Schreiben vom 11.12.2020 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht einen Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.10.2020, Zl. XXXX , vor, in dem die mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.02.2019 zu XXXX verhängte Freiheitstrafe in der Dauer von 14 Monaten gemäß § 40 Abs. 1 SMG unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Gemäß § 51 Abs. 1 und 3 StGB wurde dem Beschwerdeführer mit seiner ausdrücklichen Zustimmung die Weisung erteilt, sich einer ambulanten psychiatrischen Behandlung einschließlich der indizierten Medikation zu unterziehen und dies dem Gericht vierteljährlich unaufgefordert durch Vorlage schriftlicher Bestätigungen vorzulegen.
In der Begründung verwies das Landesgericht auf den Beschluss vom 09.04.2019, in welchem dem Beschwerdeführer Strafaufschub gewährt wurde und verwies auf einen Bericht vom 21.09.2020 der Therapieeinrichtung XXXX , wonach die Therapie mit 19.09.2020 abgeschlossen worden sei. Der Beschwerdeführer bedürfe jedoch dringend psychiatrischer Betreuung und Behandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der oben unter I. Verfahrensgang wiedergegebene Sachverhalt wird festgestellt.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Der mit „Duldung“ überschriebene § 46a FPG lautet auszugsweise wie folgt:
„(1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange
1. deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;
2. deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;
3. deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder
4. die Rückkehrentscheidung im Sinne des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist;
es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß § 61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an. Die Ausreiseverpflichtung eines Fremden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Satz 1 geduldet ist, bleibt unberührt
(2) […]
(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor, wenn er
1. seine Identität verschleiert,
2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder
3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.“
3.2. Die Bestimmung des § 46a Abs. 1 FPG zählt taxativ 4 Voraussetzungen auf, unter denen der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet zu dulden ist. § 46a Abs. 3 FPG (vgl. „Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen jedenfalls vor“) bezieht sich ausschließlich auf den Tatbestand des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG (vgl. „vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen“). In
§ 46a Abs. 3 FPG werden demonstrativ 3 Gründe aufgezählt, in denen der Fremde eine Abschiebung verunmöglichte. In solchen Fällen ist gemäß § 46a Abs. 1 FPG der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet nicht zu dulden.
3.3. Gemäß § 59 Abs. 4 FPG ist der Eintritt der Durchsetzbarkeit einer Rückkehrentscheidung für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das so zu interpretieren, dass die Durchsetzbarkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch in jenen Fällen aufgeschoben wird, in denen über den Fremden auf Grund einer mit Strafe bedrohten Handlung eine Freiheitsstrafe unbedingt verhängt, aber - etwa auf Grund eines Strafaufschubes nach § 39 Abs.1 SMG - noch nicht (zur Gänze) vollzogen worden ist (vgl. grundlegend schon zur mit § 59 Abs. 4 FPG gleichlautenden Formulierung des § 40 Abs. 1 zweiter Satz FrG 1997 VwGH 31.3.2000, 99/18/0419, VwSlg. 15390 A; zur Übertragbarkeit dieser Judikatur auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen nach dem FPG siehe VwGH 18.12.2008, 2007/21/0555). Für die Dauer des Strafaufschubes nach § 39 Abs. 1 SMG (und die im Zuge dessen durchgeführte Suchtgifttherapie) darf eine Abschiebung des Revisionswerbers daher ohnehin nicht erfolgen (VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0240).
3.4. Mit dem Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz, dass der Gesetzgeber unter den von einem Fremden „zu vertretenden Gründen“ nur jene im Auge gehabt habe, die er im Rahmen der Durchsetzung der Rückkehrentscheidung setzt, um diese zu vereiteln, interpretiert der Beschwerdeführer die Bestimmung des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG im Sinne des Gesetzes.
Hingegen kann den rechtlichen Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, wonach die Abschiebung derzeit aus von dem Beschwerdeführer vertretenden Gründen nicht möglich sei, da der Grund des Strafaufschubes eine rechtskräftige Verurteilung in Verbindung mit der Suchtmittelabhängigkeit des Beschwerdeführers sei, nicht gefolgt werden. Zwar ist der belangten Behörde insoweit beizupflichten, als der mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien gewährte Strafaufschub bis zum 28.02.2021 ohne vorherige rechtskräftige Verurteilung nicht möglich gewesen wäre und daher kausal mit dem rechtswidrigen Handeln des Beschwerdeführers im Zusammenhang steht. Jedoch führt nicht jede rechtskräftige Verurteilung automatisch zu einem Strafaufschub bzw. steht es ausschließlich dem erkennenden Gericht zu, ob in einem konkreten Fall ein Strafaufschub zu gewähren ist. Gegenständlich lagen die Voraussetzungen offenkundig vor (vgl. Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 09.04.2019) und wurde dem Beschwerdeführer ein Strafaufschub bis 28.02.2021 gewährt. Weder haben Fremde auf einen Strafaufschub einen Rechtsanspruch, noch können sie einen solchen in irgendeiner Weise beeinflussen.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist daher eine Konstellation wie jene im vorliegenden Sachverhalt nicht unter die demonstrative Aufzählung des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG zu subsumieren. Die Unmöglichkeit der Abschiebung ist folglich aufgrund vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenen Gründen verunmöglicht (vgl. auch die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
3.5. Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist zudem noch auf den – zeitlich 6 Tage nach dem angefochtenen Bescheid ergangenen – Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.10.2020 zu verweisen, wonach die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachgesehen und dem Beschwerdeführer (mit dessen Zustimmung) die Weisung erteilt wurde, sich einer ambulanten psychiatrischen Behandlung zu unterziehen, mit der gleichzeitigen Aufforderung der vierteljährlichen Vorlage schriftlicher Bestätigungen. Auch aus diesen Gründen kommt derzeit eine Abschiebung des Beschwerdeführers nicht in Frage.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Abschiebung aufrechte Rückkehrentscheidung Aufschub Behebung der Entscheidung Duldung Haft Haftstrafe Karte für Geduldete Kassation Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat SuchtmitteldeliktEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2237152.1.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021