Entscheidungsdatum
25.02.2021Norm
AsylG 2005 §55 Abs1Spruch
W169 2141785-1/49E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Kempf Maier Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2016, Zl. 1067584506-150470921, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.12.2019 und am 22.01.2021, zu Recht erkannt:
A)
I. In Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG idgF eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und XXXX gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm 55 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt wird.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 07.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, aus dem Dorf XXXX zu stammen und zuletzt im Stadtteil XXXX , Herat, Afghanistan gelebt zu haben, die Sprachen Dari und Englisch zu sprechen, der Religionsgemeinschaft der Muslime und der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören und ledig zu sein. Der Beschwerdeführer habe acht Jahre die Grundschule besucht und sei als Elektriker sowie als Security bei einer englischen Firma in Afghanistan tätig gewesen. Zum Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan als Security für eine englische Firma namens „ XXXX “ gearbeitet habe. Er sei von den Taliban telefonisch mit dem Tod bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er um sein Leben.
Der Beschwerdeführer legte im Zuge der Erstbefragung seinen afghanischen Reisepass vor.
2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.07.2016 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, die Sprachen Dari, Farsi, Englisch und ein wenig Deutsch zu sprechen. Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionsgemeinschaft der Sunniten an. Der Beschwerdeführer sei in XXXX , Herat, geboren und in Herat Stadt aufgewachsen. Er habe acht Jahre die Grundschule besucht, danach zwei Jahre in einer Bäckerei und zwei weitere Jahre als Elektriker gearbeitet. Danach habe der Beschwerdeführer ungefähr sechs Monate bei der Firma „ XXXX “ als Security und Dolmetscher und sodann etwa dreieinhalb Jahre bei der Firma „ XXXX “ als Security, Dolmetscher und Fahrer gearbeitet. Er habe zuletzt im Elternhaus in XXXX , Bezirk XXXX , Herat Stadt gewohnt. Er sei gesund, ledig und habe keine Kinder. Seine Eltern, seine Schwester und seine zwei Brüder würden weiterhin im Elternhaus leben. Ein Onkel väterlicherseits, eine Tante väterlicherseits, drei Onkel mütterlicherseits und vier Tanten mütterlicherseits würden ebenso in Herat, eine Tante väterlicherseits und zwei Onkel mütterlicherseits im Iran leben. Von einer weiteren Tante väterlicherseits könne er nichts Genaueres sagen. Der Familie des Beschwerdeführers sei finanziell normal gestellt und es bestehe regelmäßiger Kontakt. Zuletzt habe er vor ungefähr zwanzig Tagen Kontakt gehabt.
Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, ungefähr 2010 in Herat bei der Firma „ XXXX “ für „die Amerikaner“ gearbeitet zu haben. Es habe Bedrohungen von verschiedenen Gruppen gegeben, der Beschwerdeführer könne aber nicht genau sagen, von welcher. Afghanen, die für die Ausländer arbeiten, würden von Muslimen in Afghanistan als Feind gesehen werden. Daher habe der Beschwerdeführer seine Tätigkeit beenden müssen, da es zu gefährlich gewesen sei. Er habe sodann bei der Firma „ XXXX “ gearbeitet. Es seien dort großteils Engländer, aber auch Amerikaner, Australier und Rumänen tätig gewesen. Dort sei es der Job gewesen, für die Sicherheit der Ausländer zu sorgen. Es habe eine Geschäftsbeziehung mit der Firma „ XXXX “ (gemeint offenbar: XXXX ) gegeben, für die er als Security, Dolmetscher und Vermittler gearbeitet habe. Es habe auch einen Vertrag mit der ISAF gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich nicht sicher gefühlt, da er von seinen Landsleuten aufgrund seiner Tätigkeit als Ungläubiger und Feind betrachtet worden sei. Auch wenn er seine Arbeit gewechselt hätte, wäre der Beschwerdeführer weiterhin als Feind betrachtet worden. Man sei nicht einmal in der Firma sicher gewesen. „Die Gruppen“ hätten Granaten geworfen und „uns“ beschossen. Dies sei oft passiert. Er sei oft in der Arbeit geblieben, da er Angst gehabt habe, dass ihm auf dem Heimweg etwas passiere. Einmal sei er in einem Zug am Weg nach Hause gewesen und beschossen worden. Der Beschwerdeführer wisse nicht, welche Gruppe das gewesen sei. Sie hätten vorgehabt, alle Leute umzubringen und hätten mit einer „großen Waffe namens Alpici“ geschossen. Es sei aber nur eine Person schwer verletzt worden.
Zu den Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, keine Verwandten in Österreich zu haben. Er habe eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1 abgelegt, das Zeugnis stehe aber noch aus. Er spiele Tennis, dolmetsche und arbeite ehrenamtlich beim Roten Kreuz, bei der Caritas und in einem Altenheim. Er sei in keinem Verein aktiv. Es sei dem Beschwerdeführer wichtig, Deutsch zu lernen. Er könne zukünftig etwa als Elektriker oder in einer Bäckerei arbeiten. Er wolle nicht zu Hause sitzen, sondern arbeiten. Er lebe in keiner Lebensgemeinschaft.
Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Geburtsurkunde, einen Führerschein, vier Bestätigungen und ein Empfehlungsschreiben der Firma „ XXXX “ und eine Bestätigung der Firma „ XXXX “ vor. Weiters legte er zwei Bestätigungen über die freiwillige Mitarbeit beim Roten Kreuz, eine Bestätigung über die freiwillige Mitarbeit im Bezirksalten- und Pflegeheim XXXX , eine Bestätigung über Aushilfsarbeiten des Stadtamtes XXXX , eine Teilnahmebestätigung an der „ÖIF Prüfung Deutsch Integration A1“ der VHS Oberösterreich und ein Zertifikat der Caritas über die ehrenamtliche Mitarbeit in der Einrichtung St. XXXX vor.
3. Am 25.07.2016 brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen kein Glauben geschenkt werde. Unabhängig davon stehe dem Beschwerdeführer aber eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch eine Refoulement schutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan sei nicht gegeben. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von relevanten familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der Beschwerdeführer bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht Beschwerde. Darin wurde angeführt, dass die Beweiswürdigung der belangten Behörde mangelhaft sei, das Vorbringen des Beschwerdeführers Asylrelevanz aufweise, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht bestehe und ein gewisser Grad an Integration erreicht worden sei. Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung.
Vorgelegt wurden neun Bilder des Beschwerdeführers in Afghanistan in Begleitung anderer Personen, jeweils in Kampfausrüstung, eine Bescheinigung des Roten Kreuzes über die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Grundkurs, sowie zwei Prüfungszeugnisse des ÖIF auf dem Deutschniveau A1 und A2.
6. Am 01.03.2017 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung gemäß § 3 Abs. 5 AuslBG des AMS Grieskirchen, wonach dem Beschwerdeführer die Ausübung eines dreimonatigen Volontariats erlaubt werde, sowie eine Bestätigung der VHS Oberösterreich über die Teilnahme an der Bildungsveranstaltung „Deutsch B1 Teil 1 für AsylwerberInnen“ weiter.
7. Am 11.04.2017 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Bundesverwaltungsgericht eine Bestätigung der „Bio Hof Bäckerei XXXX “ über die Absolvierung eines einmonatigen Volontariats des Beschwerdeführers.
8. Mit Schriftsatz vom 31.07.2017 legte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht fünf Unterstützungsschreiben, eine Bestätigung des Union Tennisclub XXXX und eine Bestätigung der Amnesty International Jugendgruppe Grieskirchen über die ehrenamtliche Mitarbeit des Beschwerdeführers vor.
9. Mit Schriftsatz vom 29.08.2018 übermittelte der Beschwerdeführer einen Screenshot eines Facebook-Eintrags über einen Mann, der bei der amerikanischen Botschaft in Afghanistan gearbeitet habe und bedroht worden sei.
10. Mit Schriftsätzen vom 06.11.2017, 26.11.2017, 01.02.2018, 27.02.2018 und 19.03.2018 legte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht Stellungnahmen zur Lage in Afghanistan vor.
11. Mit Schriftsatz vom 28.02.2019 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass der vorgelegte Reisepass des Beschwerdeführers nach durchgeführter Dokumentenprüfung echt sei.
12. Am 26.11.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den Länderberichten über Afghanistan und zu seiner Integration in Österreich ein. Vorgelegt wurden ein Versicherungsdatenauszug vom 19.11.2019, ein Bescheid des AMS Grieskirchen vom 12.11.2019 über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter vom 12.11.2019 bis zum 31.12.2019 und eine Beschäftigungsmeldung vom 20.11.2019.
13. Am 06.12.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt ferngeblieben. Im Rahmen der Beschwerdeverhaltung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen, Rückkehrbefürchtungen und Integrationsbemühungen in Österreich befragt (siehe Verhandlungsprotokoll OZ 26Z). Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung ein Konvolut von Fotos über seine Integration in Österreich (Beilage ./A) sowie ein Konvolut von aktuellen Integrationsunterlagen bestehend aus sieben Unterstützungsschreiben, einer Bestätigung über die Absolvierung eines dreimonatigen Volontariats bei einer Pizzaria, einer Bestätigung über gemeinnützige Arbeit im Bezirksalten- und Pflegeheim XXXX und einer Bestätigung über Tätigkeiten für das oberösterreichische Hilfswerk (Beilage ./B) vor.
14. Mit Schriftsatz vom 09.01.2020 legte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht eine Mitteilung des AMS Grieskirchen über den Leistungsanspruch auf Arbeitslosengeld, eine Beschäftigungsmeldung vom 07.01.2020 und eine Meldung an das AMS Grieskirchen über die Aufnahme einer Beschäftigung am 08.01.2020 vor.
15. Am 23.01.2020 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht einen Bescheid des AMS Grieskirchen vom 07.01.2020 über die Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4 AuslBG als gastgewerbliche Hilfskraft bis zum 06.01.2021 im Ausmaß von 40 Wochenstunden und einem Monatsentgelt von EUR 1.558,- brutto
16. Mit Schreiben vom 05.02.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 zur Abgabe einer Stellungnahme.
17. Am 17.02.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine diesbezügliche Stellungnahme des Beschwerdeführers ein.
18. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020, Zl. W169 2141785-1/30E, wurde die Beschwerde gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und in Erledigung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und dem Beschwerdeführer gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm 55 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt werde (Spruchpunkt II.). Schließlich wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser ersatzlos behoben (Spruchpunkt III.).
19. Gegen die Spruchpunkte II. und III. dieses Erkenntnisses erhob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine außerordentliche Amtsrevision und führte dazu im Wesentlichen aus, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen sei, indem es das Kriterium des unsicheren Aufenthaltsstatus nach § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG nicht entsprechend berücksichtigt habe, und bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren in concreto keine außergewöhnliche Konstellation vorliege, aufgrund derer das Privatleben des Beschwerdeführers die öffentlichen Interessen überwiegen würde.
20. Gegen Spruchpunkt I. dieses Erkenntnisses erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter fristgerecht eine außerordentliche Revision und begründete dies im Wesentlichen damit, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung in Zusammenhang mit der angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative unvertretbar sei.
21. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 11.08.2020, Ra 2020/14/0278-3, wurde die Revision des Beschwerdeführers mangels Entscheidungsrelevanz zurückgewiesen.
22. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 17.11.2020, Ra 2020/19/0139-6, wurde der Amtsrevision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl stattgegeben und das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Umfang seiner Spruchpunkte II. und III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Begründend wurde ausgeführt, dass das Bundesverwaltungsgericht das Kriterium des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG außer Acht gelassen habe und dem Mitbeteiligten zwar zuzugestehen sei, dass er erfolgreiche Integrationsbemühungen unternommen habe, aber vor dem Hintergrund der unter fünf Jahre liegenden Aufenthaltsdauer eine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass von einer außergewöhnlichen Konstellation gesprochen werde könne und dem Beschwerdeführer allein wegen seiner erfolgreichen Integrationsbemühungen unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsse, nicht zu erkennen sei.
23. Mit Stellungnahme vom 15.12.2020 machte der Beschwerdeführer weitere Ausführungen zu seiner Integration in Österreich und übermittelte dazu einen Dienstvertrag zwischen ihm und dem Seminarhof XXXX vom 08.01.2020 über eine Beschäftigung des Beschwerdeführers als Hilfsarbeiter im Gastgewerbe zu einem Bruttomonatslohn von EUR 1.558,80, Lohnzettel vom September, Oktober und November 2020, ein Schreiben des Arbeitgebers vom 09.12.2020 und des früheren Arbeitgebers vom 10.12.2020, einen Mietvertrag vom 01.02.2020 zu einem Mietzins von EUR 250,-, ein Schreiben der österreichischen Lebenspartnerin des Beschwerdeführers vom 12.12.2020 und ein negatives COVID-19-Testergebnis vom 11.12.2020 im Rahmen der Aktion „Österreich testet“. Der Beschwerdeführer wies weiters daraufhin, dass er inzwischen mehr als fünf Jahre in Österreich aufhältig sei, sodass diesem Kriterium nun maßgebliche Bedeutung zukomme und insoweit eine entscheidungswesentliche Änderung im Vergleich zum Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020 eingetreten sei.
24. Am 22.01.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine (zweite) öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt ferngeblieben. Im Rahmen der Beschwerdeverhaltung wurde der Beschwerdeführer neuerlich zu seinen Integrationsbemühungen in Österreich befragt (siehe Verhandlungsprotokoll OZ 47Z). Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung einen Lohnzettel vom Dezember 2020 (Beilage ./B) und ein Foto von Fischprodukten aus einer mit einem Österreicher gemeinsam geführten Zucht (Beilage ./C) vor.
25. Am 27.01.2021 übermittelte der Beschwerdeführer eine Kopie seiner bis zum 30.03.2021 gültigen Aufenthaltskarte „Aufenthaltsberechtigung plus“.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der Vorlage eines afghanischen Reisepasses fest. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Religionsgemeinschaft der Sunniten und der Volksgruppe der Tadschiken. Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Provinz Herat, geboren und ist als Kind mit seiner Familie in die Stadt Herat gezogen, wo er auch zuletzt lebte. Er ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter.
Der Beschwerdeführer spricht die Sprachen Dari und Farsi sowie Deutsch und Englisch. Er besuchte acht Jahre die Grundschule in der Stadt Herat und hat zwei Jahre als Bäcker, zwei Jahre als Elektriker und zuletzt ungefähr vier Jahre als Security, Dolmetscher und Fahrer für ausländische Firmen gearbeitet.
Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Die Mutter und die beiden Brüder des Beschwerdeführers leben in einem Mietshaus in der Stadt Herat. Die Mutter des Beschwerdeführers bezieht eine Witwenpension, ein Bruder des Beschwerdeführers arbeitet als Gelegenheitsarbeiter und kann somit den Lebensunterhalt der Familie finanzieren. Ein Bruder des Beschwerdeführers besucht noch die Schule. Die verheiratete Schwester des Beschwerdeführers lebt mit ihrem Ehegatten, der auf Baustellen arbeitet, ebenfalls in der Stadt Herat. Der Beschwerdeführer hat in Herat noch einen Onkel und eine Tante väterlicherseits sowie vier Onkel und vier Tanten mütterlicherseits. Weiters hat er einen Onkel mütterlicherseits im Iran, sowie eine Tante väterlicherseits, deren Aufenthaltsort nicht festgestellt werden kann. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie in Herat.
Der Beschwerdeführer ist gesund und leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten und nimmt keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.
Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich. Er hat Deutschkurse auf dem Niveau A1 und B1/1 besucht und Prüfungen des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) auf dem Niveau A1 und A2 erfolgreich absolviert. Der Beschwerdeführer hat die Integrationsprüfung des ÖIF auf dem Niveau B1 bestanden. Der Beschwerdeführer hat sehr gute Deutschkenntnisse. Er hat einen Erste-Hilfe-Grundkurs beim Roten Kreuz besucht, ehrenamtliche Tätigkeiten beim Roten Kreuz, im Bezirksalten- und Pflegeheim XXXX , im Caritas Wohnheim St. XXXX und beim oberösterreichischen Hilfswerk ausgeübt. Er hilft bei der Amnesty International Jugendgruppe Grieskirchen mit. Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Sportunion XXXX und Mitglied in einer Beachvolleyball-Mannschaft.
Der Beschwerdeführer hat gemeinnützige Arbeiten für die Stadtgemeinde XXXX ausgeübt. Er hat ein einmonatiges Volontariat in einer Bäckerei und ein dreimonatiges Volontariat in einer Pizzeria absolviert. Der Beschwerdeführer war vom 19.06.2018 bis zum 11.12.2018 bei der Firma „ XXXX “, einem Biobetrieb mit Fischzucht und Restaurant in Winkling, beschäftigt. Der Beschwerdeführer hat vom 29.05.2019 bis zum 27.10.2019 im Gasthaus XXXX („ XXXX “) in XXXX gearbeitet. Er war zudem vom 12.11.2019 bis zum 31.12.2019 im Ausmaß von 30 Stunden pro Woche für ein Monatsentgelt von EUR 922,50 brutto als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Firma XXXX beschäftigt. Der Beschwerdeführer ist aktuell seit 08.01.2020 im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche für ein Monatsentgelt von EUR 1.558,- brutto als gastgewerbliche Hilfskraft im „Seminarhof XXXX “ in XXXX beschäftigt, wobei er sich zur Zeit aufgrund der notorischen Situation im Gastgewerbe aufgrund der mit der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einhergehenden normierten Beschränkungen in sogenannter Corona-Kurzarbeit befindet. Es bestand zunächst eine Beschäftigungsbewilligung bis zum 06.01.2021 sowie nunmehr ein unbeschränkter Arbeitsmarktzugang bis zum 30.03.2021. Zuletzt arbeitete der Beschwerdeführer auch in einer Fischzucht und Fischverarbeitung mit. Der Beschwerdeführer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Beschwerdeführer wohnt privat in einer Mietwohnung zu einem Mietzins von EUR 250,-.
Der Beschwerdeführer hat eine Vielzahl österreichischer Freunde und Bekanntschaften. Er führt seit April 2020 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, ein gemeinsamer Haushalt besteht nicht.
2. Beweiswürdigung:
Die Identität des Beschwerdeführers konnte aufgrund des vorgelegten, seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl als echt klassifizierten afghanischen Reisepasses festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers und zu seiner Herkunft ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubwürdigen und gleichlautenden Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.07.2016 und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.12.2019.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Dari und Farsi sowie Deutsch und Englisch spricht, folgt aus den insoweit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers, den diesbezüglich im Verfahren vorgelegten Unterlagen und dem persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer in den mündlichen Beschwerdeverhandlungen, in denen sich die erkennende Richterin von den sehr guten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers überzeugen konnte. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer acht Jahre in Herat die Grundschule besuchte und mehrere Jahre als Bäcker, Elektriker, Security, Dolmetscher und Fahrer arbeitete, folgt ebenso aus den insoweit glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers und den diesbezüglich im Verfahren vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellungen zu den Familienangehörigen und der Verwandtschaft des Beschwerdeführers, zu ihren Aufenthaltsorten und dem Bestand von Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie folgen aus den insoweit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.12.2019.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gesund ist, folgt aus seinem Vorbringen bzw. dem Unterlassen gegenteiliger Behauptungen.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine Familienangehörige oder Verwandten in Österreich hat, ergibt sich aus seiner glaubwürdigen Aussage in der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (AS 66) und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.12.2019 und am 22.01.2021.
Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer in Österreich Deutschkurse auf dem Niveau A1 und B1/1 besucht hat, folgten aus den vorgelegten Bestätigungen der Volkshochschulen Oberösterreich vom 08.07.2016 (AS 99) und vom 16.01.2017 (OZ 4). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Deutschprüfungen auf dem Niveau A1 und A2 erfolgreich absolviert hat, folgt aus vorgelegten Zeugnissen des ÖIF vom 08.07.2016 (AS 373) und vom 17.09.2016 (AS 371). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 bestanden hat, ergibt sich aus dem vorgelegten Zeugnis des ÖIF vom 28.03.2018 (OZ 24). Im Übrigen konnte sich das erkennende Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlungen selbst überzeugen, dass der Beschwerdeführer über sehr gute Deutschkenntnisse verfügt.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer einen Erste-Hilfe-Grundkurs besucht hat, ergibt sich aus einer vorgelegten Bestätigung des Roten Kreuzes vom 12.10.2016 (AS 337).
Die Feststellungen über die ehrenamtlichen Tätigkeiten des Beschwerdeführers folgen aus entsprechenden vorgelegten Bestätigungen des Roten Kreuzes vom 15.07.2016 (AS 91 und AS 93), des Bezirksalten- und Pflegeheims XXXX vom 18.07.2016 (AS 95) und vom 28.11.2019 (Beilage ./B), des Caritas Wohnheims St. Pius vom 15.07.2016 (AS 101), des oberösterreichischen Hilfswerks vom 05.12.2019 (Beilage ./B) und der Amnesty International Jugendgruppe Grieskirchen (undatiert, OZ 8). Die Feststellung über die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers bei der Sportunion XXXX ergibt aus einer entsprechenden vorgelegten Bestätigung (OZ 8 und OZ 9). Dass er auch in einer Beachvolleyball-Mannschaft mitspielt, hat er glaubhaft in der Verhandlung vom 22.01.2021 angegeben (Verhandlungsprotokoll S. 3).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer gemeinnützige Arbeiten für die Stadtgemeinde XXXX ausgeübt hat, stützt sich auf eine vorgelegte Bestätigung vom 15.07.2016 (AS 97). Die Feststellungen über die Absolvierung eines ein- bzw. eines dreimonatigen Volontariats ergeben sich aus einer vorgelegten Anzeigebestätigung des AMS Grieskirchen vom 21.02.2017 (OZ 4), zwei vorgelegten Bestätigungen der Bäckerei „ XXXX “ vom 11.04.2017 (OZ 5 und OZ 6) und einer vorgelegten Bestätigung der Pizzeria „Tschapo“ vom 29.11.2019 (Beilage ./B). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer vom 19.06.2018 bis 11.12.2018 bei der Firma Autarkler eGen und vom 29.05.2019 bis 27.10.2019 im Gasthaus Maria Kirchental gearbeitet hat, ergibt sich aus dem vorgelegten Versicherungsdatenauszug vom 19.11.2019 (OZ 24). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer vom 12.11.2019 bis 31.12.2019 im genannten Ausmaß zum genannten Entgelt als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Firma Autarkler eGen beschäftigt war, ergibt sich glaubwürdig aus einer vorgelegten Beschäftigungsbewilligung des AMS Grieskirchen vom 12.11.2019 (OZ 24). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seit 08.01.2020 im genannten Ausmaß zum genannten Entgelt als gastgewerbliche Hilfskraft im Seminarhof XXXX beschäftigt ist, wobei eine Beschäftigungsbewilligung zunächst bis 06.01.2021 bestand, folgt aus der im Akt aufliegenden Beschäftigungsbewilligung des AMS Grieskirchen vom 07.01.2020 (OZ 27) sowie den vorgelegten Meldungen an den Sozialversicherungsträger vom 07.01.2020 und an das AMS Grieskirchen vom 08.01.2020 (OZ 28) und den zuletzt vorgelegten Dienstvertrag vom 08.01.2020 (OZ 43) sowie die vorgelegten Lohnzettel von September bis Dezember 2020 (OZ 43; Beilage ./B). Dass der Beschwerdeführer sich derzeit in der sogenannten Corona-Kurzarbeit befindet, geht aus den vorgelegten Lohnzetteln hervor und hat der Beschwerdeführer in der Verhandlung vom 22.01.2021 auch ausgeführt (Verhandlungsprotokoll S. 3). Dass der Beschwerdeführerführer nunmehr über einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang bis zum 30.03.2021 verfügt, folgt rechtlich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020, mit welchem ihm der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt wurde, und wurde vom Beschwerdeführer auch durch die vorgelegte Aufenthaltskarte belegt (OZ 48). Dass der Beschwerdeführer zuletzt außerdem in einer Fischzucht und Fischverarbeitung mitarbeitet, hat er in der mündlichen Verhandlung vom 22.01.2021 glaubhaft dargelegt (Verhandlungsprotokoll S. 3 und 5; Beilage ./C). Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, folgt aus einer vorgelegten Mitteilung über den Leistungsanspruch des AMS Grieskirchen vom 30.12.2019 (OZ 28). Dass er privat in einer Mietwohnung zum festgestellten Mietzins wohnt, hat der Beschwerdeführer durch den vorgelegten Mietvertrag belegt (OZ 43).
Dass der Beschwerdeführer über eine Vielzahl österreichischer Freunde und Bekanntschaften verfügt, ergibt sich aus seinen glaubwürdigen Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.12.2019 (siehe Verhandlungsprotokoll S. 20ff), der in jener Verhandlung erschienenen österreichischen Freunde, den vorgelegten Fotos, die den Beschwerdeführer bei verschiedenen Tätigkeiten und Ereignissen mit Freunden und Bekannten zeigen (Beilage ./A), sowie den zahlreich vorgelegten Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben (OZ 7, OZ 8, OZ 10, Beilage ./B). Dass er mit einer Österreicherin nun eine Beziehung führt, wobei aber kein gemeinsamer Haushalt besteht, hat er in der Verhandlung vom 22.01.2021 glaubhaft vorgebracht und geht auch aus einem von ihr verfassten Schreiben hervor (Verhandlungsprotokoll S. 4; OZ 43).
Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nimmt und strafgerichtlich unbescholten ist, ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Grundversorgungssystem und in das österreichische Strafregister.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Vorab ist festzuhalten, dass das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020, W169 2141785-1/30E, durch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.11.2020, Ra 2020/19/0139-6, lediglich hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben wurde. Spruchpunkt I. des Erkenntnisses ist hingegen in Rechtskraft erwachsen, zumal die dagegen erhobene Revision mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 11.08.2020, Ra 2020/14/0278-3, zurückgewiesen wurde.
Zu prüfen ist daher lediglich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan (Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides).
Zum Spruchteil A)
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Afghanistan kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).
Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich. Die Rückkehrentscheidung bildet somit keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz des Familienlebens.
Unter dem Privatleben sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.6.2005, Fall Sisojeva ua, Appl 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378). Im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, argumentierte er, „dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [..] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zu (VwGH 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). In solchen Fällen einer relativ kurzen, d.h. weniger als fünf Jahre betragenden, Aufenthaltsdauer muss die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich sein, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig zu erklären (etwa VwGH 15.04.2020, Ra 2019/14/0420; 24.01.2019, Ra 2018/21/0191).
Wie der Verwaltungsgerichtshof im gegenständlich ergangenen Erkenntnis vom 17.11.2020, Ra 2020/10/0139-6, aussprach, entspricht es seiner ständigen Rechtsprechung, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste.
Allerdings entspricht es umgekehrt ebenso der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, dass der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt werden darf. Dieser Aspekt hat schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann (zuletzt etwa VwGH 05.08.2020, Ra 2020/14/0199; 06.04.2020, Ra 2020/20/0055; 23.01.2020, Ra 2019/21/0378; 30.04.2019, Ra 2018/14/0375; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003).
Im gegenständlichen Fall geht zwar aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 17.11.2020 hervor, dass die Interessenabwägung im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020 aufgrund der noch nicht fünfjährigen Aufenthaltsdauer zu Lasten des Beschwerdeführers ausgehen hätte müssen. Die aus § 63 Abs. 1 VwGG folgende Bindungswirkung dieses Erkenntnisses liegt aber nur solange vor, wie sich die Sach- und Rechtslage nicht wesentlich geändert hat. Eine solche Änderung ist im gegenständlichen Fall aber eingetreten, da der Beschwerdeführer inzwischen deutlich mehr als fünf Jahre in Österreich aufhältig ist, wodurch dieser Aufenthaltsdauer im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs anders als zuvor bereits maßgebliche Bedeutung zu seinen Gunsten zukommt (vgl. dazu VwGH 16.05.2019, Ra 2019/21/0110, Rz 12).
Der Beschwerdeführer ist nun seit fast sechs Jahren in Österreich wohnhaft. In dieser Zeit hat der Beschwerdeführer – dies wurde auch vom Verwaltungsgerichtshof nicht bezweifelt – erfolgreiche und nachhaltige Bemühungen unternommen, sich sozial, sprachlich und beruflich zu integrieren. Er verfügt über einen großen österreichischen Freundes- und Bekanntenkreis, der zahlreiche Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben eingebracht hat, in denen ein durchwegs positives Bild des Beschwerdeführers gezeichnet wird. Seit bald einem Jahr führt er auch eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen. Er hat zuletzt die Integrationsprüfung des ÖIF auf dem Niveau B1 erfolgreich absolviert. In der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2019 konnte sich das Bundesverwaltungsgericht von den sehr guten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers selbst überzeugen und in der Verhandlung vom 22.01.2021 feststellen, dass der Beschwerdeführer diese Kenntnisse in der Zwischenzeit noch weiter steigern konnte. Der Beschwerdeführer hat einen Erste-Hilfe-Kurs besucht und ist oder war bei mehreren Organisationen und (Sozial-)Einrichtungen ehrenamtlich tätig und hilft mit. Er spielt in seiner Freizeit unter anderem Tennis und Beachvolleyball und ist Mitglied in einem Verein. Der Beschwerdeführer hat gemeinnützige Tätigkeiten erfüllt und sich selbständig für (unbezahlte) Volontariate gemeldet und ist diesen auch nachgegangen. Nicht zuletzt war der Beschwerdeführer zwischen Juni 2018 und Jänner 2019 rund zwölf Monate, d.h. zwei Drittel dieser Zeit, über der Geringfügigkeitsgrenze erwerbstätig und ist seit Jänner 2020 wiederum durchgehend vollzeitbeschäftigt, wobei ihm ein (bereits steuerpflichtiger) Bruttomonatslohn von EUR 1.558,- gebührt und eine Beschäftigungsbewilligung bis zumindest Ende März 2021 vorliegt. Der Beschwerdeführer befindet sich damit um mehr als EUR 1.000,- über der Geringfügigkeitsgrenze und ist bereits jetzt in der Lage, für seinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen. Entsprechend nimmt der Beschwerdeführer seit Juli 2019 keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr in Anspruch. Dass der Beschwerdeführer sich aufgrund der notorischen Lage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie derzeit in sogenannter Corona-Kurzarbeit befindet, kann ihm keinesfalls angelastet werden. Vielmehr zeigt sich darin, dass der Beschwerdeführer auch in dieser Situation seine Arbeit behalten konnte, da er offenkundig von seinem Arbeitgeber als wertvolle Arbeitskraft betrachtet wird.
Mag der Verwaltungsgerichtshof diese weitreichende Integration auch nicht als außergewöhnlich bewertet haben, so ist dies nun aufgrund der inzwischen mehr als fünfjährigen Aufenthaltsdauer nicht mehr wesentlich, da – wie oben zitiert – das Kriterium der „außergewöhnlichen Konstellation“ in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs nur auf Fälle einer relativ kurzen – d.h. weniger als fünf Jahre betragenden – Aufenthaltsdauer Anwendung findet.
Folgt man zudem der Argumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in seiner Amtsrevision, dass dann, wenn dem Zeitablauf keine maßgebliche Bedeutung zukommt (d.h. bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren), auch der Integration, die erst durch den Zeitablauf an Bedeutung gewinne, in der Regel keine maßgebliche Bedeutung zukomme, dann folgt daraus im Umkehrschluss, dass dann, wenn dem Zeitablauf bereits maßgebliche Bedeutung zukommt, auch der Integration maßgebliche Bedeutung zukommt. Dies schlägt nun aber beides eindeutig zugunsten des Beschwerdeführers aus.
Die Aufenthaltsdauer erreicht damit nun jedenfalls im Sinne der obzitierten Judikatur bereits jenen Zeitraum, dem Maßgeblichkeit beizumessen ist. Folglich tritt in den Hintergrund, dass sich der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet bisher im Wesentlichen nur auf einen Antrag auf internationalen Schutz stützte, der Aufenthaltsstatus also insoweit unsicher war. Aus der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zu folgern, dass dieser unsichere Aufenthalt zwar die Integrationsbemühungen relativiert, dem jedoch keinesfalls maßgebliche Bedeutung in dem Sinne zugemessen werden könnte, dass damit jegliche Integration zu verneinen wäre. Zudem konnte die inzwischen längere Verfahrensdauer sowie nicht zuletzt der aufgrund des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.03.2020 ausgestellte Aufenthaltstitel im Beschwerdeführer die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer abweisenden Entscheidung zu rechnen sei (vgl. dazu VfGH 19.09.2014, U2377/2012). Auch beruhten seine Integrationsbemühungen auf einem einzigen Verfahren und waren somit weder Folge eines nur durch Folgeanträge begründeten Aufenthaltsstatus (vgl. dazu etwa VfGH 18.06.2012, U713/11) noch eines überhaupt illegalen Aufenthalts, sodass sein Aufenthaltsstatus nie völlig prekär war. Das Bewusstsein des unsicheren Aufenthalts konnte daher in der notwendigen Gesamtbetrachtung nicht maßgeblich zulasten des Beschwerdeführers gewertet werden.
Festzuhalten ist, dass die fast sechsjährige Verfahrensdauer dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden kann, zumal er keine verfahrensverzögernden Handlungen setzte, sondern stets am Verfahren mitwirkte (vgl. VfGH 03.10.2013, U 477/2013; VfGH vom 21.02.2014, U 2552/2013; VfGH 06.06.2014, U 145/2014).
Weiters ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten ist und sich auch keiner „groben“ Verstöße gegen die Verwaltungsvorschriften – von der illegalen Einreise abgesehen – schuldig gemacht hat.
Gesamt betrachtet überwiegt somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privatlebens des Beschwerdeführers im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen, weshalb in Erledigung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid die Rückkehrentscheidung für dauerhaft unzulässig zu erklären war.
Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch überwiegen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts in diesem vorliegenden Fall die privaten Interessen des Beschwerdeführers angesichts der erwähnten Umstände in ihrer Gesamtheit die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher aufgrund der vorgenommenen Interessenabwägung unter Berücksichtigung der genannten besonderen Umstände dieses Beschwerdefalles zu dem Ergebnis, dass eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer unzulässig ist. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind und es ist daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass die Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.
Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.
Da die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG im Fall des Beschwerdeführers in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit einer ihn betreffenden Rückkehrentscheidung gegeben ist, war ihm eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen. Der Beschwerdeführer hat sowohl ein Zeugnis über die Absolvierung der Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 vorgelegt, wodurch er gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 iVm § 12 IntG das Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wobei gemäß § 9 Abs. 4 letzter Satz IntG die Erfüllung des Modul 2 das Modul 1 beinhaltet. Darüberhinaus übt der Beschwerdeführer eine erlaubte Erwerbstätigkeit aus, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze iSd. § 5 Abs. 2 ASVG – derzeit EUR 460,66 – erreicht und sogar deutlich überschritten wird. Der Beschwerdeführer (über-)erfüllt damit konkret die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG zweifach.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG auszufolgen, der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.
Aufgrund der Erteilung eines Aufenthaltstitels war der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG (vgl. VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) ersatzlos zu beheben.
Zum Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt, sondern ausschließlich tatsachenlastig ist. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Zur Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ist die zur asylrechtlichen Ausweisung ergangene zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs übertragbar.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Einzelfallentscheidung Integration Interessenabwägung Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W169.2141785.1.00Im RIS seit
19.05.2021Zuletzt aktualisiert am
19.05.2021