Entscheidungsdatum
25.02.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs3Spruch
I417 2139068-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Friedrich Zanier als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Graf-Starhemberg-Gasse 39/12, 1040 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.11.2020, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsbürger, reiste am 14.07.2009 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) vom 08.10.2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 sowie gemäß § 8 Abs. 1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Zugleich hatte das Bundesasylamt die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet nach Nigeria verfügt. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Beschwerde an den Asylgerichtshof (nunmehr Bundesverwaltungsgericht).
3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2015, I409 1409696-1, wurde die Beschwerde gegen Spruchpunkt I und II gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen werde. Der Bescheid wurde im Umfang des Spruchpunktes III aufgehoben und die Angelegenheit zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2015 wurde mit Spruchpunkt I dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und § 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG i.V.m. § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt II). Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich wurde ausgeführt, dass er in Österreich keine lebenden Verwandten habe. Er habe keinerlei relevante soziale Kontakte, die ihn an Österreich binden würden. Eine besondere Integrationsverfestigung seiner Person würde nicht bestehen. Er sei in Österreich bereits dreimal rechtskräftig verurteilt worden und befinde sich seit dem 19.06.2014 in Haft. Bereits im Jahr 2010 sei gegen ihn ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot erlassen worden. Er sei gesund und arbeitsfähig. Nach der Wiedergabe von aktuellen Länderfeststellungen zu Nigeria wurde weiter ausgeführt, dass der Beschwerdeführer trotz Aufforderung keine fristgerechte Stellungnahme zu seinem Privat- und Familienleben vorgelegt habe. Auch wenn die rechtsfreundliche Vertretung um eine Fristerstreckung ersucht habe, sei festzuhalten, dass bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Asylverfahren am 18.08.2015 auf sein Privat- und Familienleben in Österreich ausreichend eingegangen worden sei. Es sei bereits im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.08.2015, I409 1409696 - 1 festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK führen würde. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch keine maßgebliche Integration festgestellt.
5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
6. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2015, I403 1409696-2/8E wurde Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
7. Am 18.02.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 Abs 1 AsylG.
8. Nach Aufforderung der belangten Behörde zur Vorlage eines Reisepasses und einer Geburtsurkunde beantragte der Beschwerdeführer die Heilung des Mangels gemäß § 4 AsylG-DV.
9. Der Beschwerdeführer kam einer Ladung der belangten Behörde für den 03.06.2016 unentschuldigt nicht nach.
10. Am 10.06.2016 wurde der Beschwerdeführer der nigerianischen Delegation vorgeführt.
11. Der Beschwerdeführer kam einer Ladung der belangten Behörde für den 25.07.2016 unentschuldigt nicht nach.
12. Der Beschwerdeführer kam einer Ladung der belangten Behörde für den 06.10.2016 unentschuldigt nicht nach.
13. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.10.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK gem. § 58 Abs 10 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) Der Antrag auf Heilung des Mangels wurde gemäß § 4 Abs 2 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.)
14. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 25.10.2016 rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
15. Mit Beschluss vom 16.04.2019 wurde das Verfahren eingestellt, da sich der Beschwerdeführer dem Beschwerdeverfahren entzogen hat, indem er unbekannten Aufenthaltes war.
16. Mit Schreiben vom 17.02.2020 teilte die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers mit, dass dieser wieder über eine aufrechte Meldeadresse verfüge und um Fortsetzung des Verfahrens ersuche.
17. Am 06.11.2020 fand in Anwesenheit des Beschwerdeführers, eines Dolmetschers sowie eines Vertreters der belangten Behörde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes beziehen sich auf all jene Umstände, welche bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid vom 07.10.2016 eingetreten sind:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und bekennt sich zum christlichen Glauben.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig und ging zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides keiner regelmäßigen Beschäftigung nach sondern bezog Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
In Österreich verfügte der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Der Beschwerdeführer behauptet in Deutschland eine Tochter zu haben, mit welcher er jedoch keinen Kontakt pflegt.
Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf A2-Niveau.
Zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides schienen folgende strafgerichtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers im Strafregister der Republik Österreich auf:
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.03.2010, XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 35 Wochen verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde mit diesem Urteil für schuldig erkannt, gewerbsmäßig Heroin und Kokain verkauft zu haben.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 18.05.2011, XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall sowie Abs. 2 SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall SMG, des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 15, § 269 Abs. 1 erster Fall StGB sowie des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Z 4 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde für schuldig erkannt vorschriftwidrig Heroin erworben und bis zum Eigenkonsum besessen, eine die Grenzmenge überschreitende Menge Heroin und Kokain gewinnbringend verkauft und seine Festnahme mit Gewalt zu verhindern versucht zu haben, in dem er Polizeibeamten Schläge mit den Händen versetzte und sie während der Vollziehung ihrer Aufgaben am Körper verletzte, wobei sie Prellungen, Blutergüsse und Hautabschürfungen erlitten.
Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 16.07.2014, XXXX , wurde der Beschwerdeführer gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall sowie Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 14 Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer wurde für schuldig erkannt, gewerbsmäßig Kokain verkauft sowie von Mitte Juni 2013 bis Juni 2014 Marihuana erworben und besessen zu haben.
Der Beschwerdeführer ist trotz aufrechter Rückkehrentscheidung seiner Ausreiseverpflichtung aus Österreich nicht nachgekommen, sondern hält sich weiterhin unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
Aus dem begründeten Antragsvorbringen des Beschwerdeführers gem. § 55 AsylG geht im Vergleich zur rezenten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 12.11.2015 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gem. § 9 Abs 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gem. Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervor.
Seiner Mitwirkungspflicht kam der Beschwerdeführer nicht in ausreichendem Maße nach, insbesondere brachte der Beschwerdeführer keinen Reisepass bei. Er hat weder nachgewiesen, dass ihm die Beschaffung der erforderlichen Urkunden oder Nachweise nicht möglich war, noch, dass ihm dies nicht zumutbar war.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I geführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seinem fehlenden Familienleben in Österreich, zu seiner Tochter in Deutschland, seiner Glaubenszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit, seiner Einreise und seinem Aufenthalt in Österreich ergeben sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2015, I403 1409696-2/8E. Dass es diesbezüglich bis zur gegenständlich angefochtenen Entscheidung zu Änderungen gekommen wäre, wurde nicht behauptet. Sowohl in der Begründung des Antrages wie auch in der Beschwerde wurde nur auf Umstände Bezug genommen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 Asylgesetz 2005 vom 12.11.2015 vorgelegen waren. Dass der Beschwerdeführer eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 absolviert hat und eine Einstellungszusage vorhanden ist, wurde bereits im Vorverfahren berücksichtigt. Die bloße Verlängerung seines Aufenthaltes in Österreich um 11 Monate (die zwischen der Entscheidung vom 12.11.2015 und dem gegenständlichen Bescheid vom 07.10.2016 liegen) stellt keine wesentliche Sachverhaltsänderung dar, zumal der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen wäre, Österreich zu verlassen.
Die Feststellung über die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels Vorlage unbedenklicher identitätsbezeugender Dokumente nicht fest.
Dass gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht, ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.11.2015, Geschäftszahl: I403 1409696-2/8E.
Die im nunmehrigen Verfahren vorgelegten Unterlagen wurden bereits im Verfahren, welches zur letztmalig ergangenen rechtskräftigen Rückkehrentscheidung führte, berücksichtigt. Ergänzend wurden nur vorgedruckte Empfehlungsschreiben vorgelegt. Damit wurden aber keine neuen Umstände aufgezeigt.
Weder aus der Antragsbegründung des nunmehr begehrten Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG, noch aus den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz kann daher ein (maßgeblich) geänderter Sachverhalt gewonnen werden, der zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Bescheides eine neuerliche meritorische Prüfung des Antrages erforderlich machen würde.
Seiner Mitwirkungspflicht kam der Beschwerdeführer nicht in ausreichendem Maße nach, insbesondere brachte der Beschwerdeführer keinen Reisepass bei. Er hat weder nachgewiesen, dass ihm die Beschaffung der erforderlichen Urkunden oder Nachweise nicht möglich war, noch, dass ihm dies nicht zumutbar war.
Der Beschwerdeführer übermittelte der belangten Behörde zwar seine Geburtsurkunde und einen Staatsbürgerschaftsnachweis, jedoch kann der erkennende Richter dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Begründung, wonach er erst nach Nigeria reisen müsse, um sich einen Reisepass ausstellen zu lassen keine Folge leisten, insbesondere da der Beschwerdeführer auch keinerlei Gründe anführte, weshalb die nigerianische Botschaft ihm keinen Reisepass ausstellen sollte. Fernerhin gab der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.11.2020 an, dass er sich nicht um die Erlangung eines Reisepasses bemühte.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Zur Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
Anwendbare Rechtsnormen:
§ 58 Abs. 10 AsylG bestimmt:
(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß §9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. […]
Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1803 BlgNR 24. GP 50) legen zur Bestimmung des § 58 Abs 10 AsylG Folgendes dar:
„Der neue (Abs. 10) entspricht im Wesentlichen § 44b NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011. Mit der Neuerrichtung des Bundesamtes und der damit einhergehenden Verfahrensvereinfachung und organisatorischen Umstrukturierung ist die Einbindung der zuständigen Sicherheitsdirektion entfallen. Die Beurteilung bzw. Prüfung erfolgt nun durch das Bundesamt. Dementsprechend sind Anträge als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 iVm § 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Diese inhaltliche Neubewertung des Sachverhaltes hat sich lediglich auf den Zeitraum zwischen der rechtskräftigen Entscheidung nach dem FPG bis zur Entscheidung des zugrundeliegenden Antrages auf Erteilung des Aufenthaltstitels zu beziehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – im Rahmen einer Neubewertung – wenn ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, ein Aufenthaltstitel zu erteilen sein wird.“
§ 10 Abs. 3 AsylG lautet:
„(3) Wird der Antrag eines Drittstaatsangehörigen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 abgewiesen, so ist diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden. Wird ein solcher Antrag zurückgewiesen, gilt dies nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 vorliegt."
§ 52 Abs. 3 FPG lautet:
„(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.“
Die zur Vorgängerregelung des § 58 Abs. 10 AsylG (also zu § 44b Abs. 1 NAG) ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auf die Auslegung des § 58 Abs. 10 AsylG zu übertragen (dazu VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101). Nach dieser Rechtsprechung liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten würde. Nur in einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung (nunmehr) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zulässig (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101 mit Hinweisen auf VwGH 22.07.2011, 2011/22/0127; 05.05.2015, Ra 2014/22/0115).
Da der Zurückweisungsgrund gemäß § 58 Abs. 10 AsylG (vormals § 44b Abs. 1 Z 1 NAG) der Zurückweisung wegen entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) nachgebildet ist, können die zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten Grundsätze für die Beurteilung, wann eine Änderung des Sachverhaltes als wesentlich anzusehen ist, auch für die Frage herangezogen werden, wann eine maßgebliche Sachverhaltsänderung iSd § 58 Abs. 10 AsylG vorliegt. Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides (bezogen auf § 58 Abs. 10 AsylG: eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK) muss also zumindest möglich sein; in dieser Hinsicht hat die Behörde eine Prognose zu treffen. Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat. Für diese Prognose ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen (vgl. VwGH 09.09.2013, 2013/22/0161; 09.09.2013, 2013/22/0215, mwN).
Anwendung im Beschwerdefall:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zu der durch das VwGVG neu geschaffenen Rechtslage ausgesprochen (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002-0003; 26.02.2015, Ra 2014/22/0152- 0153; 23.06.2015, Ra 2015/22/0040; 16.09.2015, Ra 2015/22/0082-0083; 12.10.2015, Ra 2015/22/0115), dass - wenn die Behörde in erster Instanz den Antrag zurückgewiesen hat - das Verwaltungsgericht lediglich befugt ist, darüber zu entscheiden, ob die von der Behörde ausgesprochene Zurückweisung als rechtmäßig anzusehen ist, dies allein bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Aus diesem Grund war auf den in der Beschwerde gestellten Antrag des Beschwerdeführers, das Bundesverwaltungsgericht möge „in Abänderung des hier angefochtenen Bescheides mir den Aufenthaltstitel erteilen“ nicht einzugehen, weil ein solcher Ausspruch den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten würde.
Weiters ist anzuführen, dass im gegenständlichen Verfahren für das Bundesverwaltungsgericht nur jene Umstände maßgeblich sind, welche bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362).
Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde vor, dass er sich durchgehend seit 2009 in Österreich aufhalte und er Deutsch auf A2-Niveau spreche. In Nigeria habe er keinen Kontakt zu seinen Angehörigen und wäre er der Mittellosigkeit ausgesetzt. Damit zeigt er aber keine Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes gegenüber dem Sachverhalt, der dem Erkenntnis vom 12.11.2015 zugrundegelegt worden war, auf. Es wurde in keiner Weise dargelegt, welche entscheidungsrelevante Änderung in den elf Monaten, die zwischen den beiden Entscheidungen liegen, eingetreten sein sollte.
Im Übrigen hat der Beschwerdeführer seine bereits in der rechtskräftigen Entscheidung vom November 2015 berücksichtigten Schritte zur Integration in Österreich während der folgenden Monate einfach fortgesetzt, dies obwohl ihm gegenüber nunmehr eine rechtskräftige Ausreiseverpflichtung bestand; diese Schritte erfolgten daher weiterhin vor dem Hintergrund eines unsicheren Aufenthaltsstatus. Vor diesem Hintergrund kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung zurückweist, dass ‚kein geänderter Sachverhalt vorliegt‘. Die geltend gemachten Umstände weisen von vornherein keine solche Bedeutung auf, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten würde (Vorgedruckte und unterfertigte Empfehlungsschreiben).
Das Bundesverwaltungsgericht ist auch der Auffassung, dass die im angefochtenen Bescheid gewählte Vorgangsweise, die Zurückweisung nicht mit einer neuerlichen Rückkehrentscheidung zu verbinden, rechtens war. Zwar sieht der Gesetzeswortlaut eine Verbindung sowohl einer Ab- als auch einer Zurückweisung des Antrags nach § 55 AsylG mit einer Rückkehrentscheidung vor (und zwar gemäß § 52 Abs. 3 FPG unterschiedslos, nach § 10 Abs. 3 AsylG jedoch - im Widerspruch zu § 52 Abs. 3 FPG - "nur insoweit, als dass kein Fall des § 58 Abs. 9 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegt."). Das Gericht geht davon aus, dass der Gesetzgeber bei diesen Regelungen den Fall der Zurückweisung wegen bereits durch ergangene Rückkehrentscheidung entschiedener Sache nicht bedacht hat und dass der Regelungsgehalt des § 52 Abs. 3 FPG und des § 10 Abs. 3 AsylG vor dem Hintergrund des Normzwecks (keine neuerliche Entscheidung bei bereits entschiedener Sache, gerade angesichts dessen, dass über alle Aspekte, die bei einem Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG relevant sind, bei Erlassung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung bereits entschieden wurde) für Fälle der Zurückweisung nach § 58 Abs. 8 AsylG nicht zum Tragen kommt. Die bisher dazu ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist - soweit ersichtlich - für diesen Fall nicht einschlägig, sondern betraf andere Arten der Zurückweisung, z.B. wegen Nichtmitwirkung im Verfahren gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG; vgl. VwGH, 14.04.2016, Ra 2016/21/0077 [=VwSlg. 19.347 A/2016]; 17.11.2016, Ra 2016/21/0200 [=VwSlg. 19.482 A/2016]; 17.05.2017, Ra 2017/22/0059; 21.09.2017, Ra 2017/22/0128).
Zudem würde eine allfällige Säumnis in Bezug auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit des Ausspruchs über den Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach Art. 8 EMRK führen. Dieser hängt nämlich nicht von der Rückkehrentscheidung ab (VwGH, 12.12.2018, Ra 2017/19/0553).
Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 (Art. 8 EMRK) gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückzuweisen war und die Beschwerde war demnach spruchgemäß vom Bundesverwaltungsgericht abzuweisen.
3.2. Zur Abweisung des Mängelheilungsantrages (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Die Formulierung des § 4 Abs 1 Z 2 Asylgesetz-Durchführungsverordnung 2005 (AsylG-DVO) in welcher das Wort „kann" gebraucht wird, weist zunächst auf die Einräumung eines Ermessens der Behörde hin. Es gibt jedoch, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl zB VwGH 19.12.2012, 2010/06/0144, 18.05.2010, 2006/11/0085 ua), auch Fälle, in welchen trotz der Verwendung dieses Wortes die von der Behörde zu treffende Entscheidung keine Ermessensentscheidung, sondern eine gebundene Entscheidung ist; dies ist dann der Fall, wenn die in Betracht kommende Verwaltungsvorschrift bereits alle Voraussetzungen normiert, die den ganzen Bereich der Erwägungen, die für die Entscheidung maßgebend sein könnten, umfassen. Es ist aber stets eine Frage der Auslegung, ob eine solche „Kann-Bestimmung" als Einräumung von Ermessen zu deuten ist, oder ob dieses „kann" als „muss" zu verstehen ist. Da in § 4 Abs 1 AsylG-DVO festgesetzt ist, bei welchen in den Z 1 bis 3 tatbestandsmäßigen Voraussetzungen die Heilung eines Mangels zugelassen ist, bleibt nach Auffassung des erkennenden Richters für die Ausübung von Ermessen kein Raum; vielmehr ist die Heilung eines Mangels zuzulassen, wenn die in dieser Gesetzesstelle geforderten Voraussetzungen vorliegen.
Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer behauptete nachweisliche Unmöglichkeit der Erlangung eines Reisepasses nach § 4 Abs 1 Z 3 AsylG-DVO geht das Bundeverwaltungsgericht aufgrund des vom Beschwerdeführer (sowohl in den abgeschlossenen Verfahren als auch in der Beschwerdeverhandlung) gezeigten Verhaltens jedenfalls davon aus, dass ihm die Vorlage der erforderlichen Urkunde möglich gewesen wäre und er keine ernsthaften Bemühungen unternommen hat, sich einen Reisepass seines Herkunftsstaates zu beschaffen. Dies gab der Beschwerdeführer auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.11.2020 zu. Die nigerianische Botschaft in Wien stellt selbstverständlich Reisepässe an ihre Staatsbürger aus. Einen Nachweis wonach ihm die nigerianische Botschaft in Wien keinen Reisepass ausstellt, erbrachte der Beschwerdeführer bislang nicht. Es entspricht zudem auch dem Amtswissen des erkennenden Richters aus anderen Verfahren Nigeria betreffend (vgl BVwG 27.10.2016, I411 1247589-2/10E), dass trotz behaupteter Nichtausstellung eines Reisepasses und einem vorgelegten „Bestätigungsschreiben der nigerianischen Botschaft" dem damaligen Beschwerdeführer unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Reisepass von der nigerianischen Botschaft in Wien ausgestellt wurde.
Daher ist dem Antrag des Beschwerdeführers auf Heilung eines Mangels nach § 4 Abs 1 AsylG-DVO nicht stattzugeben und war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2021:I417.2139068.1.00Im RIS seit
21.05.2021Zuletzt aktualisiert am
21.05.2021