TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/25 W192 2236461-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.2021
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Entscheidungsdatum

25.02.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
IntG §9 Abs4 Z1

Spruch


W192 2236461-1/7E

W192 2236460-1/6E

W192 2236459-1/6E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch RAe Rast & Musliu, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2020, Zlen. 1.) 567325900/200589503 2.) 604761202/200589686, 3.) 1118206700/200589830, zu Recht erkannt:

A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der bekämpften Bescheide werden gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt II. bis IV. stattgegeben und diese behoben. Gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig.

III. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

XXXX wird gemäß § 55 Abs. 2 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., eine „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die zuständige NAG-Behörde teilte mit Schreiben vom 07.12.2016 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass mit am 18.10.2016 erlassenen Bescheiden Anträge der Beschwerdeführer, einer Staatsangehörigen von Serbien und ihrer beiden minderjährigen Kinder, auf Erteilung von Erstaufenthaltstitel, abgewiesen worden sind.

Mit Straferkenntnis der zuständigen Landespolizeidirektion vom 26.09.2017 wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin wegen der Verwaltungsübertretung des unrechtmäßigen Aufenthalts im österreichischen Bundesgebiet eine Geldstrafe von € 500 verhängt.

Am 13.07.2020 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die Beschwerdeführer ein und richtete mit diesem Tag eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme an die Beschwerdeführer, worin ihnen die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt und an sie Fragen über ihre privaten und familiären Verhältnisse gestellt wurden.

Mit Schriftsatz ihres nunmehrigen Rechtsvertreters vom 28.07.2020 gaben die Beschwerdeführer dazu eine Stellungnahme ab und legten Bescheinigungsmittel vor.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 29.09.2020, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Serbien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die verwitwete Erstbeschwerdeführerin sich mit ihren beiden Söhnen, alle Staatsangehörige von Serbien, illegal im Bundesgebiet aufhalte, da sie nicht im Besitz von Aufenthaltstiteln sind. Es bestehe ein Familienleben mit den beiden Söhnen und einem Lebensgefährten. Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Kernfamilie der Beschwerdeführer in Serbien lebe und ihr Privatleben in Österreich nicht schutzwürdig sei. Die Erstbeschwerdeführerin könne in Österreich keiner legalen Beschäftigung nachgehen und habe auch sonst keine Möglichkeit, auf legale Art und Weise an Geld zu kommen. Die Beschwerdeführer seien im Bundesgebiet zwar sprachlich und familiär integriert, befinden sich jedoch illegal hier und seien nicht gewillt, die österreichische Rechtsordnung zu respektieren. Die Bindungen zum Heimatsstadt seien als wesentlich höher zu werten als jene zu Österreich, da die Beschwerdeführer sich bislang illegal aufgehalten hätten und eine rechtskräftige Bestrafung der Erstbeschwerdeführerin nach dem Fremdenpolizeigesetz erfolgt sei. Überlange Verzögerungen seitens der Behörde hätten nicht stattgefunden, da die Verfahren unmittelbar nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens abgeschlossen worden seien.

Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 Asylgesetz würden nicht vorliegen und es sei vor dem Hintergrund von Feststellungen über die Situation im Herkunftsstaat eine Abschiebung der Beschwerdeführer zulässig.

3. Mit Schriftsatz vom 27.10.2020 erhoben die Beschwerdeführer durch ihren Rechtsvertreter Beschwerde im vollen Umfang und brachten im Wesentlichen vor, dass sich die Erstbeschwerdeführerin mit einigen Unterbrechungen seit dem Jahr 2011 im Bundesgebiet befinde und der Zweitbeschwerdeführer und Drittbeschwerdeführer hier geboren worden seien. Die Behörde habe den Sachverhalt nicht umfassend ermittelt und eine unrichtige Interessenabwägung vorgenommen, weil sie die soziale Integration und Aufenthaltsverfestigung der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht berücksichtigt habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe im Herkunftsstaat keinerlei familiären und sozialen Anknüpfungspunkte und ihre minderjährigen Kinder seien im Bundesgebiet geboren und würden hier in die Schule bzw. den Kindergarten gehen. Weiters habe die Behörde die aufrechte Lebensgemeinschaft der Erstbeschwerdeführerin nicht berücksichtigt.

Die Erstbeschwerdeführerin verfüge weiters über einen Hauptmietvertrag hinsichtlich einer Gemeindewohnung, welche sie nach dem Tod ihres Ehemannes übernommen habe, es liege eine Einstellungszusage vor und es würden die Beschwerdeführer über einen Krankenversicherungsschutz verfügen. Die minderjährigen Beschwerdeführer seien weiters zum Bezug von Waisenpensionen in Österreich berechtigt.

Mit Schriftsatz ihres Rechtsvertreters vom 13.11.2020 gab die Erstbeschwerdeführerin auf Anfrage dem BVwG bekannt, dass sie mit dem in der Beschwerde bezeichneten Lebensgefährten nicht mehr liiert sei und legte Lohnzettel ihres Onkels und ihrer Cousine vor.

Mit Schriftsatz ihres Rechtsvertreters vom 16.02.2021 legte die Beschwerdeführerin zwei arbeitsrechtliche Vorverträge als Reinigungskraft, Bestätigungen des Bezugs der Waisenpension durch den Zweitbeschwerdeführer und den Drittbeschwerdeführer und eine den Zweitbeschwerdeführer als ordentlichen Schüler der zweiten Schulstufe einer allgemeinen Sonderschule betreffende Semesterinformation samt Pensenbuch vor.

4. Am 25.02.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, an welcher die Erstbeschwerdeführerin teilnahm und zu der das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keinen Vertreter entsandt hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Erstbeschwerdeführerin, eine unbescholtene Staatsangehörige von Serbien, schloss im Oktober 2011 in Serbien die Ehe mit einem damals bereits in Österreich niedergelassenen serbischen Staatsangehörigen. Sie hat sich laut erfolgten Hauptwohnsitzmeldungen seit November 2011 wiederholt immer wieder befristet bei ihrem in Österreich niedergelassenen Ehegatten aufgehalten. In Österreich wurden während solcher Aufenthalte auch die beiden aus der Ehe entstammenden Söhne, der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer geboren. Ein erster Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 10.01.2012 wurde von der zuständigen Behörde am 22.02.2012 abgewiesen.

Ein weiterer von der Erstbeschwerdeführerin für sich und den Zweitbeschwerdeführer und in weiterer Folge auch den Drittbeschwerdeführer gestellter Antrag auf Erteilung von Aufenthaltstiteln zum Familiennachzug wurde von der zuständigen Behörde mit Bescheiden vom 18.10.2016 abgewiesen.

Die Ehe der Erstbeschwerdeführerin mit ihrem früheren Gatten wurde durch ein serbisches Gericht mit Urteil vom 27.12.2016 geschieden. Mit Straferkenntnis der zuständigen Landespolizeidirektion vom 26.09.2017 wurde gegen die Erstbeschwerdeführerin wegen der Verwaltungsübertretung des unrechtmäßigen Aufenthalts im österreichischen Bundesgebiet eine Geldstrafe von € 500 verhängt.

Die Erstbeschwerdeführerin und ihre beiden Söhne reisten im Jänner 2017 nach Serbien und kehrten im August 2017 nach Österreich zurück, wo sie beim früheren Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin wieder einen Hauptwohnsitz begründeten. Der frühere Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweit- und Drittbeschwerdeführers verstarb am im Dezember 2017. Die Beschwerdeführer sind seither in Österreich verblieben und haben in der von der Erstbeschwerdeführerin übernommenen Mietwohnung des verstorbenen früheren Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin gewohnt. Der Eintritt in den Mietvertrag wurde durch die vermietende Gemeinde ermöglicht, in weiterer Folge wurde der Erstbeschwerdeführerin eine Minderung des Mietzinses gewährt.

Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer beziehen jeweils eine Waisenpension in der Höhe von ca. € 360. Der Zweitbeschwerdeführer hat als außerordentlicher Schüler 2018/2019 die Vorschulstufe sowie 2019/2020 die erste Schulstufe der Volksschule bzw. allgemeinen Sonderschule absolviert und ist nunmehr ordentlicher Schüler der zweiten Schulstufe einer allgemeinen Sonderschule. Der Drittbeschwerdeführer besucht seit Sommer 2018 einen Kindergarten.

Die Erstbeschwerdeführerin hat mit 13.04.2019 die Integrationsprüfung auf Sprachniveau B1 bestanden.

Die Beschwerdeführer haben in Österreich keine Leistungen des Grundversorgungssystems in Anspruch genommen und ihren Lebensunterhalt durch Unterstützung des früheren Ehegatten bzw. Vaters, durch die Leistungen der Waisenpension sowie mit Unterstützung von in Österreich niedergelassenen Verwandten (Cousine und Onkel der Erstbeschwerdeführerin, Großeltern väterlicherseits des Zweit- und Drittbeschwerdeführers) bestritten. Sie erhalten außer der Minderung des Mietzinses keine Sozialleistungen. Die gesunde und arbeitsfähige Erstbeschwerdeführerin hat Vorverträge von zwei Betrieben für eine Beschäftigung als Reinigungskraft vorgelegt.

Die Beschwerdeführer haben mit den ebenfalls an ihrem Wohnort auf Grundlage von Aufenthaltstiteln niedergelassenen Großeltern väterlicherseits des Zweit- und Drittbeschwerdeführers regelmäßige Kontakte und es liegt ein familiäres Naheverhältnis vor.

Die Beschwerdeführer haben sich seit August 2017 nicht mehr längerfristig im Herkunftsstaat aufgehalten, die Erstbeschwerdeführerin zuletzt im August 2019, ihre Söhne zuletzt 2018. Es bestehen nur geringe Bindungen zu dort niedergelassenen Familienangehörigen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Identität der Beschwerdeführer basieren auf den vorgelegten Reisepässen. Die Feststellungen zu ihren Lebensumständen gründen sich auf den getätigten glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin im gegenständlichen Verfahren und dem Inhalt der vorgelegten Belege (Schulzeugnisse, Diplom der Integrationsprüfung, Bestätigungen des Bezugs der Waisenrenten, arbeitsrechtliche Vorverträge, Geburtsurkunden, Scheidungsurkunde, Sterbeurkunde).

Aus den vorgelegten Reisedokumenten der Beschwerdeführer ist auch ersichtlich, dass sie seit August 2017 nur wenige kurzfristige Reisen in ihren Herkunftsstaat unternommen haben.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben sowie dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin weder gegenüber der belangten Behörde, noch in der Beschwerde konkrete, durch entsprechende medizinische Unterlagen belegte Angaben tätigte, welche auf eine schwere gesundheitliche Beeinträchtigung oder auf eine Ermangelung ihrer grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit schließen lassen würden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zum Spruchteil A

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG ist eine Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des Fremdenpolizeigesetzes zu verbinden, wird einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes das FPG fällt, von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

3.2.1. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist, noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist, noch die BF Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 FPG wurde. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 FPG substantiiert behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

3.2.2. Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkte II. bis IV. der angefochtenen Bescheide:

3.3.1. Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ übertitelte § 55 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., lautet wie folgt:

„(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.

dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne

des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.

der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9

Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt

eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche

Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

(ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

3.3.2. Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 Z 1IntG, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

„1.einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der

Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

 

 

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10 ) beinhaltet das Modul 1.“

Modul 2 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 10 Abs. 2 Z 3 IntG, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF.erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige:

„3. minderjährig ist und im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (§ 3 Abs. 3 Schulorganisationsgesetz (SchOG), BGBl. Nr. 242/1962) besucht oder im vorangegangenen Semester besucht hat,“

3.3.3. Gemäß § 52 Abs. 1. Z 1 FPG hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA- Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 56/2018 (BFA-VG) auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ übertitelte § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF, lautet:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:       

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes, jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei der Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat-und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.9.2007, B 1150/07; 12.6.2007, B 2126/06; VwGH vom 26.6.2007, 2007/01/479; vom 26.1.2006, 2002/20/0423; vom 17.12.2007, vom 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl-und Fremdenrecht K15 ff zu § 9 BFA-VG).

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27. 10. 1994, Kroon u.a. gg. die Niederlande, ÖJZ 1995, 296; siehe auch VfGH 28. 6. 2003, G 78/00).

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK umfasst auch nicht formalisierte eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau; bei solchen ist normalerweise das Zusammenleben der beiden Partner in einem gemeinsamen Haushalt erforderlich, es können aber auch andere Faktoren, wie etwa die Dauer oder die Verbundenheit durch gemeinsame Kinder unter Beweis stellen, dass die Beziehung hinreichend konstant ist (EGMR vom 27.10.1994, 18535/91 Kroon und andere gg. die Niederlande, Z 30; EGMR vom 22.04.1997, 21.830/93, X,Y und Z gg. Vereinigtes Köngreich, Z 36).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 4. 10. 2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9. 10. 2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16. 6. 2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Ewald Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer [Hg.], Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52).

Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu. Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

3.3.4. Die Beschwerdeführer halten sich nach rechtskräftiger Abweisung des letzten Antrags der Beschwerdeführer auf Erteilung eines Erstaufenthaltstitels mit Bescheid der zuständigen NAG-Behörde vom 18.10.2016, nachfolgender Ausreise im Jänner 2017 und erfolgter Wiedereinreise im August 2017 seither unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die davor stattgehabten mehrfach unterbrochenen Aufenthalte der Beschwerdeführer erfolgten – mit Ausnahme des zu einer Verwaltungsstrafe führenden unrechtmäßigen Aufenthalts der Erstbeschwerdeführerin vom 23.07.2016 bis 03.10.2016 und 15.10.2016 bis 02.01.2017 – auf Grund zulässiger visumfreier Einreisen.

Die Beschwerdeführer verfügen im Bundesgebiet über familiäre Anknüpfungspunkte zu den hier niedergelassenen Großeltern väterlicherseits des Zweit- und Drittbeschwerdeführers sowie zur Schwägerin und einem Onkel der Erstbeschwerdeführerin. Es bestehen keine intensiv ausgeprägten familiären Bindungen zu Familienangehörigen im Herkunftsstaat.

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. vs. Lettland). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, U485/2012). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720). Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 6 FrPolG 2005) vermag die persönlichen Interessen des Fremden nicht entscheidend zu stärken (VwGH 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde im Ergebnis auch nicht beanstandet, dass in Sprachkenntnissen und einer Einstellungszusage keine solche maßgebliche Änderung des Sachverhalts gesehen wurde, die eine Neubeurteilung im Hinblick auf Art. 8 MRK erfordert hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Zl. 2012/22/0056; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0017).

Für die wirtschaftliche Integration ist nicht maßgeblich, ob es sich um eine qualifizierte Tätigkeit handelt. Hingegen erachtet der Verwaltungsgerichtshof die Integration als stark gemindert, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen oder bloße Gelegenheitsarbeiten den Unterhalt gewährleisten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter ins Treffen geführt werden kann und bis dahin Sozialhilfe bezogen wurde (vgl. VwGH vom 11. 10. 2005, 2002/21/0124; VwGH vom 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH vom 5. 7. 2005, 2004/21/0124 u.a.).

Aspekte zugunsten des/der Fremden können daher neben Verwandten und Freunden im Inland auch Sprachkenntnisse, ausreichender Wohnraum und die Teilnahme am sozialen Leben sein. In Anbetracht der meistens nicht sehr langen Aufenthaltsdauer und des "abgeschwächten" Aufenthaltsrechts werden strafgerichtliche Verurteilungen die Interessenabwägung erheblich zuungunsten der privaten Interessen verschieben. Weitgehende Unbescholtenheit gilt hingegen als wichtiges Element für die Annahme sozialer Integration (vgl. VwGH vom 5. 7. 2005, 2004/21/0124 u.a.; sowie Marx, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung, ZAR, 2006, 261 ff).

3.3.5. Ausgehend von einem bestehenden Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich, fällt die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung zu Gunsten der Beschwerdeführer aus und würde die Rückkehrentscheidung jedenfalls einen unzulässigen Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK darstellen. Dies aus folgenden Gründen:

3.3.5.1. Die unbescholtene Erstbeschwerdeführerin lebt seit ihrer ersten Einreise im November 2011 zunächst mit Unterbrechungen im Bundesgebiet und ist seit August 2017 durchgehend mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Die beiden in Österreich geborenen minderjährigen Kinder haben immer bei der Erstbeschwerdeführerin gelebt und dadurch den weit überwiegenden Teil ihres Lebens hier verbracht. Zwar kommt ihrer Aufenthaltsdauer allein noch keine maßgebliche Bedeutung zu, doch hat sich die Erstbeschwerdeführerin um eine umfassende Integration bemüht. So verfügt sie über gute Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und hat die Integrationsprüfung abgelegt. Sie hat aktuelle arbeitsrechtliche Vorverträge mit zwei Betrieben vorgelegt und hat somit berufliche Kontakte in Österreich geknüpft.

Die in Österreich geborenen Zweit- und Drittbeschwerdeführer haben den größten Teil ihres Lebens hier verbracht und auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass sie sich noch in einem anpassungsfähigen Alter befinden, hier ihre erste grundlegende Prägung erfahren und den Eintritt in das Ausbildungssystem getätigt. Sie sind als Berechtigte zum Bezug der Waisenpensionen krankenversichert.

Es ist weiters zu ihren Gunsten zu werten, dass die Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet zu keinem Zeitpunkt Leistungen der staatlichen Grundversorgung in Anspruch nehmen mussten und auch keine unberechtigten Anträge auf internationalen Schutz gestellt haben.

Die vorgelegten arbeitsrechtlichen Vorverträge rechtfertigen die Erwartung, dass die Erstbeschwerdeführerin künftig in Österreich selbsterhaltungsfähig sein wird.

Festzuhalten ist auch, dass die Erstbeschwerdeführerin über die gesamte Zeit hindurch unbescholten geblieben und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl. VwGH vom 25.02.2010, 2010/0018/0029).

Es wird nicht verkannt, dass zu Lasten der Beschwerdeführer zu werten ist, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet mit rechtskräftiger Entscheidung über ihren letzten Antrag betreffend die Aufenthaltstitel sowie neuerlich infolge des Verbleibs im Bundesgebiet nach der im August 2017 erfolgte Wiedereinreise unrechtmäßig wurde. Allerdings ist die Dauer des seit November 2012 zunächst immer wieder unterbrochenen Aufenthalts der Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet aber jedenfalls als beachtlich zu qualifizieren. Dies gilt ebenso für die entsprechenden Inlandsaufenthalte des Zweitbeschwerdeführers und des Drittbeschwerdeführers und besteht auch vor diesem Hintergrund in Zusammenschau mit dem Umstand, dass die Beschwerdeführer durchaus Integrationsschritte in oben beschriebener Weise im Bundesgebiet gesetzt haben, ein starkes Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass das BFA nach der Wiedereinreise der Beschwerdeführer und neuerlichen Begründung von Hauptwohnsitzen im August 2017 bis zur Einleitung der vorliegenden Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen am 13.07.2020 fast drei Jahre den Bemühungen der Beschwerdeführer zur Aufenthaltsverfestigung nicht entgegengetreten ist. Ähnliches gilt in diesem Zusammenhang für die durch die Wohnsitzgemeinde im Jänner 2018 ermöglichte Übernahme des Mietvertrags der Gemeindewohnung ihres verstorbenen Ehegatten durch die Erstbeschwerdeführerin.

Letztlich haben die Beschwerdeführer im Vergleich zu den Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet nur sehr wenig verbleibende Bindungen zum Herkunftsstaat; dies gilt in besonderem Maße für die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer.

Daher würden die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund der bisher unternommenen Anstrengungen der Beschwerdeführer und des sich daraus entwickelten, schützenswerten Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer in Österreich schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.3.5.2. Im gegenständlichen Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit nicht genützt hätten, um sich sozial zu integrieren und einen beruflichen Einstieg vorzubereiten. Zudem vermag das Verhalten der Beschwerdeführer nicht nahezulegen, dass von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch sie auszugehen ist. Berücksichtigt man all diese Aspekte, so überwiegen - im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt - die aus den erwähnten Umständen in ihrer Gesamtheit erwachsenden privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung ihres bestehenden Privatlebens in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind. Die Rückkehrentscheidung würde daher unverhältnismäßig in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer eingreifen und war daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auszusprechen, dass die Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

3.4. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels:

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH vom 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

3.4.1. Die Erstbeschwerdeführerin hat die Integrationsprüfung iSd § 9 Abs. 4 Z 1 IntG abgelegt, sodass ihr daher eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zu erteilen war.

3.4.2. Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer besucht als ordentlicher Schüler im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht eine Primarschule (Sonderschule) und erfüllt daher Modul 2 der Integrationsvereinbarung gemäß § 10 Abs 2 Z 3 IntG, sodass ihm daher eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zu erteilen war.

3.4.3 Der minderjährige Drittbeschwerdeführer erfüllt die Integrationsvereinbarung nicht und ist naturgemäß nicht erwerbstätig, sodass ihm daher eine "Aufenthaltsberechtigung " gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 zu erteilen war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2236461.1.00

Im RIS seit

19.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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