TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/26 W150 2238386-3

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Veröffentlicht am 26.02.2021
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Entscheidungsdatum

26.02.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
VwG-AufwErsV §1
VwGVG §35

Spruch


W150 2238386-3/64E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1987, StA. LIBANON, RA Dr. Gregor KLAMMER, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.02.2021 gegen die Anhaltung in Schubhaft seit 02.02.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm §§ 76 und 77 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vom 01.02.2021 bis 26.02.2021 für rechtswidrig erklärt und festgestellt, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen.

II. Gemäß § 35 VwGVG iVm VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013 idgF, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 1659,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Verwaltungsbehörde (in der Folge auch: „BFA“) nahm den Beschwerdeführer (in der Folge auch: „BF“) aufgrund eines am 16.07.2020 erlassenen Festnahmeauftrages vor dem Hintergrund des § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG fest und ging in Ihrem im Spruch angeführten Schubhaftbescheid auf der Ebene des Sachverhaltes entscheidungswesentlich davon aus, dass der BF sich seit 18.04.2018, seit dem rechtskräftig negativen Abschluss des Asylverfahrens illegal in Österreich aufhalte und die Ausreise aus Österreich verweigert habe, obwohl er dazu gesetzlich verpflichtet sei. Weiters, dass der BF im Jahr 2016 wegen Nötigung (§ 105 Abs. 1 StGB) und Freiheitsentziehung (§ 99 Abs. 1 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, dass er im Jahr 2019 versucht habe, durch Einwirkung auf Einsatzkräfte einen Suizid herbeizuführen, dass er sich bisher unkooperativ verhalten habe, indem er zu einer Einvernahme am 16.07.2020 nicht erschienen sei. Außerdem sei er sonst nicht sozial verankert und gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Die Verwaltungsbehörde unterstellte diese Sachverhaltsparameter den Tatbeständen des § 76 Abs. 3 Z 1, 1a, 3 und 9 FPG und betonte im Rahmen der Ausführungen zum Bestehen von Fluchtgefahr nochmals, dass der BF wegen Nötigung und Freiheitsentziehung rechtskräftig verurteilt sei, sich im Jahr 2016 der Festnahme durch Anwendung psychischer Gewalt entzogen habe und seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Das gesamte Verhalten zeige seine Gleichgültigkeit gegenüber der österreichischen Rechtsordnung auf. Der BF sei aufgrund seines Vorverhaltens nicht vertrauenswürdig. Er würde bei sich bietender Gelegenheit sofort untertauchen. Ein gelinderes Mittel scheide daher auch aus. Die Anhaltung sei auch verhältnismäßig.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid und die darauf basierende Anhaltung binnen offener Frist Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“)

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 11.01.2021 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen. Am 17.02.2021 wurde dieses mündlich verkündete Erkenntnis schriftlich ausgefertigt.

Bereits mit Schriftsatz vom 28.01.2021 hatte der Beschwerdeführer neuerlich Schubhaftbeschwerde erhoben. und zusätzlich zu bereits im ersten Schubhaftverfahren erstattetem Vorbringen u.a. ausgeführt, dass er nicht mehr haftfähig sein, da er von der Lage und Situation zu zersetzt sei, dass er keine Nahrung mehr zu sich nehmen könne. Zudem habe man ihn angeschrien und ihm die anwaltliche Vertretung verweigert. Weiters habe er einen Asyl-Folgeantrag gestellt über den noch nicht entschieden sei.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des BVwG vom 01.02.2021 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 18.02.2021 brachte der BF die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde ein, in der er das bisherige Vorbringen im Wesentlichen dahingehend erweiterte, dass ihm bezüglich seines Asyl-Folgeantrages der faktische Abschiebeschutz nicht abgesprochen worden sei und er daher freizulassen sei.

Das BFA legte am 22.02.2021 die Akten dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Am 25.02.2021 übermittelte des BFA dem BVwG den zurückweisenden Bescheid bezüglich den Folgeantrag des BF.

Am 25.02.2021 übermittelte das BFA dem BVwG ein amtsärztliches Gutachten vom gleichen Tage, demgemäß der BF haft- und verhandlungsfähig sei.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.02.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung am 26.06.2021 durch, die folgenden Verlauf nahm:

„RI: Verstehen Sie den D gut?

BF: Ja.

Eröffnung des Beweisverfahrens:

RI: Das BFA hat über Sie mit Bescheid vom 30.12.2020 die Schubhaft über Sie verhängt. Sie haben dagegen zeitrecht Beschwerde erhoben. Halten Sie diese Beschwerde nach wie vor aufrecht?

BF: Ja.

BFV teilt mit, dass er den zurückweisenden Bescheid den Folgeantrag den BF betreffend noch nicht zugestellt erhalten hat. Es wird ihm durch Ausdruck des dem Gericht vorliegenden Exemplars hiermit Akteneinsicht erteilt.

BFA: Es wurde mit Zustellverfügung am 25.02.2021 anhand RSa an XXXX übermittelt.

RI: Sind Sie physisch und psychisch in der Lage der Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

BF: Ja, sowohl im Gefängnis, als auch draußen.

RI: Welche Medikamente nehmen Sie ein?

BF: Lexotanil wegen Nervenberuhigung und eine zweite Tablette, wo ich den Namen nicht weiß, auch für Nervenberuhigung.

RI: Herr XXXX Ich weise Sie auf die Bedeutung der heutigen Verhandlung hin und ersuche Sie, wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Sollte Ihnen etwas nicht mehr in Erinnerung sein, so fordere ich Sie auf, dies zu sagen und keine Falschangaben zu machen. Unrichtige Angaben unterliegen der Beweiswürdigung. Ebenso besteht Ihre Verpflichtung, an der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken. Eine Falschaussage betreffend die eigene Identität hätte verwaltungsstrafrechtliche Konsequenzen.

Ebenso weise ich Sie darauf hin, dass Sie die Beantwortung einer Frage verweigern dürfen, falls Sie durch diese Antwort sich selbst oder einen Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würden oder sie Ihnen oder Ihren Angehörigen zur Unehre gereichen würde. Sollte so eine Frage im Verlauf der Verhandlung gestellt werden sollte, so sagen Sie mir das bitte gleich und ich werde Sie ersuchen, Ihre diesbezüglichen Gründe glaubhaft zu machen. Haben Sie das alles verstanden?

BF: Ja.

RI: Haben Sie irgendwelche neue Dokumente (Ausweise, Bestätigungen, etc.) oder alte Dokumente, die Sie nachträglich erhalten haben, die Ihre Person oder Ihre Familienangehörigen betreffen, die sie mir heute vorweisen wollen?

BF: Nein, ich habe keine.

RI: Haben Sie mittlerweile Reisedokumente erlangt?

BF: Nein, habe ich nicht.

RI: Warum haben Sie sich bis dato nicht darum bemüht, ein Reisedokument von den libanesischen Behörden zu erlangen?

BF: Ich möchte nicht in den Libanon zurück.

RI: Wann wurde rechtskräftig Ihr Asylantrag im ersten Verfahren abgewiesen? Wissen Sie das noch?

BF: Vor ca. drei Jahren.

RI: Warum sind Sie seitdem nicht ausgereist?

BF: Ich habe im Libanon Schwierigkeiten und Probleme, ich kann in den Libanon nicht zurück.

RI: Was genau hat sich bei Ihnen und Ihren Lebensumständen seit dem 01.02.2021, der letzten Verhandlung am BVwG, geändert?

BF: Ich befinde mich im Gefängnis, was soll sich da ändern.

RI: Gehören Sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft an? Wenn ja, welcher? Wenn nein, haben Sie ein religiöses Bekenntnis?

BF: Ich gehöre der islamisch sunnitischen Religionsgemeinschaft an.

RI: Meinen Sie damit wirklich die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich oder meinen Sie allgemein, dass Sie diesem religiösen Bekenntnis angehören?

BF: Allgemein.

RI: Wie äußert sich ihre religiöse Überzeugung? Woran können Außenstehende erkennen, dass sie sunnitischer Moslem sind?

BF: Im Libanon weiß man vom Akzent, meiner Stimme und vom Ort wo ich wohne, vom Familiennamen her, von der Herkunft, dass ich der sunnitischen Religionsgemeinschaft angehöre.

RI: Wir befinden uns nicht im Libanon, wie können wir das erkennen?

BF: Hier in Europa gibt es diesen Unterschied nicht, hier ist man ein Mensch. Es gibt keine Unterschiede zwischen der Religion.

RI: Wie leben Sie Ihren Glauben?

BF: Ich praktiziere in Österreich keine religiöse Tätigkeit.

RI: Galten Sie irgendwelche Speise- oder Fastengebote ein?

BF: Nein, nicht in Europa.

RI: Halten Sie sich sonst an irgendwelche Gebote oder Verbote Ihrer Religion?

BF: Ich bin nach Europa gereist, damit ich nicht unter religiösen Zwang leben muss, sondern möchte ich in Freiheit, Gedankenfreiheit und in Frieden leben.

RI: Was hat es dann für eine Bedeutung, dass Sie sich zum sunnitischen Glauben bekennen, wenn Sie sich an keine Verbote oder Gebote halten?

BF: In meiner Heimat im Libanon wird als Identität die religiöse Richtung eingetragen. In Europa jedoch ist es nicht vorhanden. Es wird nicht praktiziert, deswegen fühle ich mich in Europa nicht als praktizierender Moslem.

RI: Heißt das, dass das vom Ort wo Sie sich gerade befinden abhängig ist, ob Sie Ihren Glauben leben oder nicht?

BF: Im Land woher ich stamme, aus dem Libanon, gibt es gewisse Ordnungen die in der Religion festgeschrieben sind, was man machen soll, darf oder nicht. Jedoch in Europa ist man ein freier Mensch, es gibt keine Stimme, die einen sagt man darf so etwas machen. Man darf trinken, man darf nicht trinken, ich darf in eine Diskothek gehen oder nicht. Man ist ein freier Mensch.

RI: Glauben Sie, dass es Allah gibt?

BF: Ich stelle die Frage der Existenz Gottes in den Raum. Es gibt so viel Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Es gibt viele Kinder die hungern und die sterben, wenn es einen Gott gäbe frage ich mich, wieso er einfach zuschaut und nichts unternimmt.

RI: Haben Sie noch Verwandte (z.B. Eltern, Kinder, Geschwister, Ehegattin) in Ihrer Heimat Libanon?

BF: Meine Mutter und drei jüngere Schwestern von mir leben noch im Libanon.

RI: Haben Sie Verwandte oder Familienangehörige in Österreich oder anderen Ländern der EU?

BF: In Dänemark habe ich viele Familienangehörige. Ich meine damit Onkel und Tanten.

RI: Haben Sie Verwandte oder Familienangehörige in anderen Ländern dieser Erde?

BF: Nein, sonstig niemand. Hier habe ich nur meine Lebensgefährtin.

RI: Sind Sie ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden, in einer eingetragenen Partnerschaft oder in einer Lebensgemeinschaft?

BF: Ich bin in einer Lebensgemeinschaft, aber ich bin nicht verheiratet.

RI (auf Deutsch): Haben Sie Kinder?

BF (auf Deutsch): Nein.

RI: Welche Schul- bzw. Berufsausbildungen haben Sie?

BF: Sechs Jahre Grundschule und drei Jahre Berufsschul als Elektriker und Automechaniker.

RI: Welchem Beruf sind Sie zuletzt nachgegangen?

BF: Als Automechaniker.

RI: Was meinen Sie mit zuletzt, wann war das?

BF: Bevor ich den Libanon verließ arbeitete ich noch als Automechaniker.

RI: Verstehe ich Sie richtig, Sie sind in Österreich bis dato keinen Erwerb nachgegangen?

BF: Nein. Im privaten Bereich habe ich die Wohnung meiner Freundin renoviert.

RI: Wovon haben Sie seit April 2018 gelebt?

BF: Seitdem mir der Asylantrag verwehrt wurde lebte ich mit meiner Freundin und durch die Unterstützung meiner Freundin konnte ich überleben.

RI: Haben Sie im Libanon oder einem anderen Staat dieser Erde einer Miliz oder bewaffneten Gruppe angehört oder eine Kampfausbildung erhalten?

BF: Nein.

RI: Wurden Sie in Österreich oder einem anderen Staat dieser Erde wegen Straftaten verurteilt?

BF: Ich wurden noch nie in Österreich und auch sonst woanders nie verurteilt. Ich hatte einmal Schwierigkeiten und ich habe meine Strafe abbezahlt. Es ist das erste Mal, dass mich im Gefängnis befinde.

RI Vorhalt: Sie sind mit Urteil vom 01.07.2016 rechtskräftig vom LG für Strafsachen Graz zur Zahl 009 HV 58/2016z wegen des Vergehens der Nötigung verurteilt worden. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich erwähnte gerade vorhin, dass ich einmal eine Schwierigkeit hatte mit der Justiz und ich wurde aber nie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

RI Vorhalt: Sie sind damals von einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Was sagen Sie dazu?

BF: Nein, ich weiß nichts davon.

RI: Sie sind damals noch wegen einer zweiten Tat verurteilt worden. Wissen Sie noch was das war?

BF: Ich wurde das erste Mal wegen einem anderen Delikt verurteilt. Das zweite Mal, weil es mir schlecht ging, meine Frau schwanger war und ich betrunken war, machte Probleme und wurde deswegen zu einer Geldstrafe verurteil, aber ich war nie im Gefängnis.

RI: Was genau befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihr Heimatland?

BF: Bevor ich Libanon verließ hatte ich Schwierigkeiten mit der Hisbollah Gruppe und ich verließ den Libanon damals, weil die iranische Regierung die Oberhand in den Libanon übernommen hatte durch ihre Miliz die Hisbollah. Ich kam nach Österreich, um in Frieden zu leben. Ich postete abermals meinen Unmut gegen die Hisbollah, dafür bekam ich Morddrohungen. Sollte ich mich jemals im Libanon zeigen, werde ich nicht mehr leben.

RI: Gibt es noch weitere Dinge, die Sie im Falle einer Rückkehr befürchten?

BF an D gerichtet: Sagst du Ihnen wie die Situation im Libanon ist.

D (auf Arabisch) an BF: Das mache ich nicht. Das ist nicht meine Aufgabe.

RI: Haben Sie in Österreich einen Wohnsitz?

BF: Ich habe eine Adresse, ich wohne mit meiner Lebensgefährtin zusammen.

RI: Wo wohnen Sie da?

BF: In Graz, Bundesstraße 8/8.

RI: Seit wann wohnen Sie dort?

BF: Circa viereinhalb bis fünf Jahre.

RI Vorhalt (auf Deutsch): Sie haben aber dazwischen in XXXX gewohnt.

BF: Zuerst hatte meine Freundin eine Wohnung in XXXX , wir wohnten zusammen. Danach übersiedelten wir nach XXXX gemeinsam.

R Vorhalt: Das stimmt aber auch nicht, denn dem Melderegister zufolge haben Sie zuerst mit oder bei Ihrer Freundin in XXXX gelebt, dann in XXXX und dann wieder in XXXX .

BF: Das erste Mal als ich nach Österreich kam…

R: Danach habe ich nicht gefragt.

BF: XXXX zuerst, circa eineinhalb Monate lebte ich in XXXX , XXXX . Das war aber nicht mit der Lebensgefährtin, XXXX auch nicht. In XXXX wohnte ich aber sehr wohl mit meiner Lebensgefährtin zusammen.

RI: Das BFA ist der Ansicht, dass bei Ihnen Fluchtgefahr vorliegt. Was sagen Sie dazu?

BF: Wo soll ich hin flüchten?

RI: Mir ist bis jetzt noch nicht klargeworden, warum Sie die neuerliche Beschwerde gegen die Schubhaft eingebracht haben.

BF: Mein Leben wird in Gefahr sein n Libanon. Ich bekam Morddrohungen bzw. meine Mutter wurde auch bedroht, wegen meinen Äußerungen auf Facebook gegen die Hisbollah. Meine Lebensgefährtin ist als Zeugin. Sie sprach mit meiner Mutter und sie bekam die Nachricht, dass die Hisbollah bei meiner Mutter zu Hause gewesen sein dürfte und sie mit dem Ermorden bedroht hat.

BFV: Hinsichtlich der neuerlichen Schubhaftbeschwerde möchte ich vorerst ausführen, dass beide Erkenntnisse des BVwG noch nicht rechtskräftig sind, sondern die Erkenntnisse am 16.02. in der Vollausfertigung erst zugestellt wurden. Inhaltlich ist diesen Erkenntnissen insofern nicht zu folgen, als das die Fluchtgefahr des BF nicht bejaht werden kann. Der BF ist vielmehr sogar selbst zur Polizeistation gegangen, wo er dann festgenommen wurde und seitdem in Schubhaft ist. Der BF ist aufgrund seiner langjährigen Beziehung mit der Lebensgefährtin XXXX stark integriert und verwurzelt. Das BVwG hat dies in diesen Erkenntnissen verkannt. Hinsichtlich des letzten Erkanntnisses ist außerdem auszuführen, dass die abschlägige Entscheidung vom BVwG ausdrücklich auch darauf gestützt wird, dass der Vertreter des BFA in der Beschwerdeverhandlung wörtlich von einer tagesaktuellen Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gesprochen hat, welche spätestens am folgenden Tag, nämlich den 02.02.2021, erfolgen hätte sollen. Der Richter teilte dem BFV schließlich auch mit, dass wenn das BFA diese Ankündigung nicht wahr werden lässt eben eine neue Beschwerde einzubringen sein wird. Das BFA stützte diese Ankündigung auf die eindeutig rechtswidrig durchgeführte Ersteinvernahme der Folgeasylantragstellung. So wurde trotz mehrfacher bitte des BF ein Rechtsanwalt zur Erstbefragung nicht zugelassen, da das BVwG am 01.02.2021 auch in deutlichen Worten diese Vorgehensweise kritisierte, erkannte wohl auch das BFA, dass die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nicht erfolgsversprechend sein würde. Es erfolgte trotz Ankündigung nicht die Aberkennung. Der BF wartete in der Folge fast zwei Wochen, bis er die jetzige Beschwerde einbrachte. Offenbar als Aktionismus vor der heutigen Schubhaftverhandlung wurde nun doch ein Bescheid erlassen, mit welchem der Folgeasylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Ein ordentliches Ermittlungsverfahren hat hier nicht stattgefunden und diese Entscheidung erging augenscheinlich nur, um in der heutigen Schubhaftverhandlung eine bessere rechtliche Position haben zu können. So verwies der BF in seiner Einvernahme vor dem BFA, am 05.02.2021, wiederholt hinsichtlich Frage des Sachverhalts seiner Lebensgefährtin und deren direkten Korrespondenz und Telefonate mit seiner Familie. Der BF selbst kann aufgrund der laufenden Schubhaft eine derartige Korrespondenz und Kontaktaufnahme nicht führen. Aus diesem Grund weiß der BF auch zu diversen Details des Sachverhalts keine konkreten antworten. Aus diesem Grund wäre es auf jeden Fall geboten gewesen die Lebensgefährtin, XXXX , durch das BFA einzuvernehmen. Frau XXXX verfügt auch über zahlreiche weitere Beweismittel. Ebenfalls hat auch ein Mitarbeiter der Diakonie entsprechend direkte Wahrnehmungen und die Lebensgefährtin XXXX hat auch mittlerweile schon die Originaldokumente aus dem Libanon erhalten. Es waren daher ganz offensichtlich mehrere Beweismittel und Ermittlungen vor Erlassung des Bescheids, vom 24.02.2021, aufzunehmen gewesen. Die Entscheidung ist verfrüht und jedenfalls auch inhaltlich unbegründet. Auch hinsichtlich des erlassenen befristeten Einreiseverbot, welches sich Großteiles auf eine angebliche Mittellosigkeit des BF bezieht, ist augenscheinlich aufgrund eines fehlerhaften Ermittlungsverfahren ergangen, da gerade die Lebensgefährtin für den Unterhalt des BF aufkommt. Dem BF fehlt es ja an nichts. Schließlich wird auch in der erlassenen Rückkehrentscheidung die Lebensgefährtin nicht berücksichtig, bzw. wurde diese dazu nicht einvernommen. Der einzige Grund warum der Bescheid jetzt erlassen worden ist, ist, dass heute die Schubhaftverhandlung stattfindet. Es ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerde gegen diesen Bescheid erfolgreich sein wird. Der Bescheid ist außerdem nicht rechtskräftig. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde nicht ausgeschlossen. Die Beschwerde wird rechtzeitig erhoben werden. Aus diesem Grund muss daher die Ziffer 1 des § 76 Abs. 2 FPG erfüllt sein, um die Schubhaft weiter fortzusetzen. In diesem Sinne liegt sehr wohl eine geänderte Sachlage im Vergleich zur Beschwerdeverhandlung, am 01.02.2021, vor.

BFA: Ich repliziere in der Reihenfolge des Vorbringens des BFV. Zunächst, der BF sei am 30.12.2020 selbst zur Polizei gegangen und befände sich seither in Schubhaft. Diesbezüglich verweise ich auf die nicht rechtskräftigen Erkenntnisse und Befragungen im Zuge der letzten Verhandlungen, woraus hervorgeht, dass der BF erst dann zur Polizei gegangen ist, als ihm längst bewusst war, dass er von der Polizei gesucht werde und er ist nicht sofort zur Polizei gegangen, sondern hat den besagten Tag mit diversen Holzarbeiten verbracht. Letztlich ging er zwar hin, aber jedoch eher der Tatsache geschuldet, dass ihm aufgrund dieser Sachlage gar nichts anderes übrigbliebe. Eine von BFV vorhin angedeutete Art Mitwirkung oder ähnliches kann darauf keineswegs abgeleitet werden.

Zu dem Vorhalt, dass der Vertreter des BFA wortwörtlich in letzter Verhandlung gesagt hätte, dass tagesaktuell über den Folgeantrag praktisch entscheiden werden würde ist festzuhalten, dass dies vor dem Hintergrund des vorliegenden Sachverhaltes zu diesem Zeitpunkt der Fall war. Es wurde während der Verhandlung eine Whatsapp-Nachricht seitens wie angegeben der Schwester es BF in englischer Sprache vorgespielt. Welche eine Verfolgungssituation der Frau Mutter des BF indizieren sollte. Diese Nachricht konnte auch vom Behördenvertreter verstanden werden, da die Schwester des BF diese Mitteilung in äußerst sonorer Stimmlage und guten Englisch sozusagen völlig Emotionsfrei, eine Art Bedrohungssituation mittgeteilt hatte. Jedoch wurden in weiterer Folge weitere Beweismittel vorgebracht, seitens der Rechtsvertretung. Diese waren zu übersetzen, um sie entsprechend einem ordentlichen Ermittlungsverfahren einer Würdigung unterziehen zu können. Nicht nur aufgrund der Zufälligkeit, dass die Bedrohungssituation der Mutter ausgerechnet einen Tag nach der Verhängung der Schubhaft zufällig entstanden sein soll, so war vom zeitlichen Ablauf her die tagesaktuelle Prognose vor dem neuen Sachverhalt insofern nicht mehr gültig, als dies schlicht einem Ermittlungsverfahren zuwider gelaufen wäre.

D: Der BF ersucht auf die Toilette gehen zu dürfen.

Die Verhandlung wird für ca. 15 Minuten unterbrochen, um den Wunsch des BF nachzukommen, den Verhandlungssaal ausreichend durchzulüften und allen Verhandlungsteilnehmern Gelegenheit zu bieten, eine Pause hinsichtlich des Tragens der FFP2-Schutzmaske einzuräumen.

XXXX

Die Verhandlung wird um 09:51 Uhr fortgesetzt. In der Zwischenzeit wurde der Platz des BFV desinfiziert und eine frische Wasserflasche daraufgestellt. Nach dem lüften bleibt das eine mittlere Fenster weiterhin gekippt, sowie das schon vom Beginn der Verhandlung an der Fall war.

BFA: Soweit die BFV vorgebracht hat, dass nunmehr Originaldokumente aus dem Libanon erhalten worden seien, wobei dies nicht näher spezifiziert worden war, ist doch festzuhalten, dass es sich dabei nur um eine ausgestellte Bestätigung eines libanesischen Arztes handeln kann, welche ohnedies bereits vorlag, wenngleich auch nur in gescannter oder sonstiger technischer Übermittlung. Darüber hinaus erfolgte die Einvernahme bezüglich des neu behaupteten Verfolgungsvorbringens (Aktivitäten am Facebook-Account, behauptete Verfolgungssituation der Mutter) und wurde von der Behörde als in sich widersprüchlich und unglaubwürdig beurteilt. Ich verweise dazu auf die Ausführungen in der ergangenen Entscheidung. Welche durchaus Aktivität darzutun vermag, jedoch keinesfalls Aktionismus. Ich verweise auch auf die außerprotokollarisch gemachten Äußerungen des BF in der letzten Verhandlung, worin der BF wortwörtlich äußerte (auf Vorhalt XXXX ), dass dieses damals bereits vorgebrachte Vorbringen zur Verfolgungssituation der Mutter wenig überzeugend sei. Zitat: „Ich kann ja nicht behaupteten, dass ich homosexuell bin“ und damit zum Ausdruck zu bringen, aus Sicht der Behörde, dass alles und wirklich alles, gleich wie lebensfremd es doch tatsächlich sei vom BF, und insbesondere vom BFV ins Treffen geführt wird. Ich benenne hierzu für diese Feststellung XXXX als Zeugen, da dies außerprotokollarisch gemacht wurde. Weiters verweise ich auf das, schon bisher durch den BFV, jedes sachlichen Substrats entbehrende Behauptungsvorbringen in Bezug auf die erfolgten Unterstellungen gegenüber den Behördenvertretern bezüglich getätigter aussagen in der ersten Beschwerdeverhandlung.

Zum Flugbetrieb und zur Rückkehrwahrscheinlichkeit in den Libanon: Die Behauptung der rechtswidrig durchgeführten EB wird nach wie vor bestritten und diesbezüglich wie auch im Übrigen auf das Vorbringen in der Verhandlung, vom 01.02.2021, verwiesen.

Ebenso auch bezüglich der Vorgehensweise betreffend des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer über die teilweise missbräuchlichen und standeswidrigen Behauptungsketten von XXXX oder dessen Vertreters.

Zum Vorbringen des BFV, das Einreiseverbot welches sich augenscheinlich ausschließlich auf Mittellosigkeit stütze wird vorgebracht, dass dies leidlich ein Teilaspekt ist, sondern sich das Einreiseverbot im Kern auf die beharrliche Weigerung des BF seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen gründet.

Die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes wird jedenfalls in kürze erfolgen.

RI an BFA: Ich dachte die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes wäre durch Aktenvermerk nach § 76 Abs. 6 FPG erfolgt.

BFA: Ist korrekt, ich korrigiere dahingehend.

RI an BFA: Der BFV hat moniert, dass Sie die aufschiebende Wirkung im Bescheid nicht ausgeschlossen hätten, was möchten Sie dazu vorbringen?

BFA: Dieses Vorbringen ist zutreffend.

RI: Das amtsärztliche Gutachten vom 25.02.2021 besagt, dass Sie haft- und verhandlungsfähig sind. Was sagen Sie dazu?

BF: Ich möchte dazu nichts sagen.

RI: Möchten Sie mir noch etwas sagen?

BF: Nein.

RI: Ihre Freundin wartet draußen, Sie haben die zeugenschaftliche Einvernahme von Ihr beantragt. Zu welchem Thema möchten Sie, dass die Dame einvernommen wird?

BF: Bezüglich der Bedrohungen, was meine Mutter betrifft und was mich betrifft. Ich bekam einen Drohanruf auf meinem Handy.

BFV: Dazu möchte ich ergänzen, die Z ist dazu beantragt, dass er im Falle seiner Entlassung bei ihr Leben würde und für ihn rundum gesorgt wäre und daher keine Fluchtgefahr besteht.

Frau XXXX betritt um 10:17 Uhr den VHS.

RI: Frau XXXX , Sie wurden als Zeugin namhaft gemacht. Sind oder waren Sie mit dem der BF verheiratet, in Lebensgemeinschaft, in eingetragener Partnerschaft? Sind Sie verwandt, verschwägert (auch bzgl. eingetragene Partnerschaft), besteht ein Adoptionsverhältnis oder Pflegeeltern- bzw. Pflegekinderverhältnis?

Z: Wir haben eine Lebensgemeinschaft. Ich selbst habe ein Pflegekind.

RI (nach Belehrung über das Entschlagungsrecht): Wollen Sie aussagen?

Z: Ja, ich will aussagen.

RI: Frau XXXX , Sie werden heute als Zeugin vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen, als Zeugin müssen Sie die Wahrheit sagen, eine falsche Zeugenaussage wird von den Strafgerichten streng bestraft. Falls Ihnen eine Frage gestellt werden sollte, deren Beantwortung Sie oder einen Ihrer Angehörigen der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde oder einem unmittelbaren Vermögensnachteil, oder zur Unehre gereichen würde, so können Sie die Beantwortung einer solchen Frage verweigern. Sollte so eine Frage gestellt werden, so sagen Sie mir das bitte gleich und ich werde Sie ersuchen, Ihre diesbezüglichen Gründe glaubhaft zu machen. Haben Sie das alles verstanden?

Z: Ja.

RI: Seit wann kennen Sie den BF?

Z: Seit 2016.

RI: Seit wann sind Sie mit ihm in einer Lebensgemeinschaft?

Z: Seit Juni 2016.

RI: Können Sie dies etwas genauer definieren, seit wann Sie den BF kennen?

Z: Ich habe eine Asylunterkunft zu Hause, im April ist er glaube ich zu mir ins Haus gekommen und seit Juni haben wir eine Lebensgemeinschaft.

RI: Das war in XXXX , ist das richtig?

Z: Ja.

RI: Sie sind dann in XXXX geblieben oder sind Sie umgezogen?

Z: Ich habe zu der Zeit ein Haus gekauft, in XXXX , und mein Sohn, ich und XXXX haben in XXXX gewohnt. Ich glaube zwei Jahre und dann sind wir wieder zurück, weil es meiner Mutter gesundheitlich nicht gut gegangen ist.

RI: Sie hatten Kontakt mit der Mutter des BF in Libanon?

Z: Ja.

RI: In welcher Sprache haben Sie mit der Dame gesprochen?

Z: Ich habe mit seiner Schwester in Englisch gesprochen.

RI: Wieso sagen Sie dann, dass Sie Kontakt mit der Mutter hatten, wenn Sie mit der Schwester gesprochen haben?

Z: Weil die Mutter immer hinten ist und die Schwester übersetzt. Den Dolmetscher den wir kennen redet immer auf Arabisch mit der Mutter, wenn irgendetwas unklar ist.

RI: Was wollen Sie mir diesbezüglich erzählen?

Z: Eigentlich das was alles schon aufliegt. Ein paar Tage nachdem der XXXX in Schubhaft gekommen ist hat mich die Mutter immer angerufen und ich habe sie zurückgerufen. Dann hat sie mir erzählt, dass sie angegriffen worden ist. Dann habe ich ihr gesagt, sie soll mir die Papiere schicken. Und dass sie halt bedroht werden. Sie gehen nicht hinaus aus dem Haus, weil sie noch recht kleine Kinder hat und sie hat auch gesagt, ich soll niemanden sagen, von wem sie bedroht wird. Ich habe dann daraufhin gesagt, sie kann es ruhig sagen, es kommt eh nicht „auße“ vom Gericht.

RI: Ist es das?

Z: Ja und wegen den Bedrohungen über Facebook hat mir der Dolmetscher erst vor kurzem gesagt, dass er das gesehen hat. Er hat Angst gehabt, dass er in irgendwas hineinverwickelt wird, aber ich habe gesagt, „na da passiert nix“. Er hat auch gesagt, er würde aussagen und das bestätigen.

RI: Was verstehen Sie unter „vor kurzem“ in dieser Formulierung?

Z: Vor ein paar Wochen habe ich mit dem Dolmetsch darüber gesprochen und er hat gesagt, er hat es eh gesehen die Bedrohungen. Er hatte Angst, dass er in die Sache verwickelt wird.

RI: Sie kennen also den BF seit fast fünf Jahren, ist das richtig?

Z: Ja.

RI: Da haben Sie jetzt erst Kontakt mit seiner Mutter aufgenommen?

Z: Nein, da hat er mit ihr geredet. Früher hat er mit ihr geredet und seit er in Schubhaft ist, habe ich mit ihr Kontakt.

RI: Verstehe ich das richtig, dass Sie jetzt alle vier im gleichen Haus leben, Sie, der BF, Ihre Mutter und Ihr Sohn?

Z: Ja. Wir haben ein getrennte Wohnungen, meine Mutter extra und XXXX , mein Sohn und ich miteinander.

RI: Wie alt ist Ihr Sohn?

Z: Er ist elf.

RI: Gibt es seitens BFA oder BFV Wünsche was gefragt werden soll?

BFV: Wenn XXXX heute aus der Haft herauskommen würde, wie würden Sie die nächsten Tage und Wochen mit dem BF verbringen?

Z: Zuhause sein.

BFV: Können Sie ein bisschen darüber ausführen?

Z: Ja, mit der Familie. Er würde gerne arbeiten und normal Leben halt und spazieren gehen.

BFV: Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen er würde gerne arbeiten? Was würde er gerne arbeiten?

Z: Stemmen, Fließen legen im Haus, das tut er gerne und das kann er alles. Er tut auch gerne im Garten arbeiten.

BFV: Wie würden Sie sich verhalten, wenn die Nachricht kommen würde, dass XXXX abgeschoben werden würde?

Z: Normal. Da kann man eh nichts mehr machen. Ich habe aber gehofft, dass der Asylantrag positiv ist, weil es in Wirklichkeit gefährlich ist im Libanon.

RI: Von welchem Asylantrag sprechen Sie jetzt?

Z: Vom jetzigen Asylantrag. Vom ersten hätte ich mir schon gedacht…

RI: Was hätten Sie sich da gedacht?

Z: Dass er positiv kriegt, aber da habe ich mich noch nicht so gut ausgekannt mit den Gesetzeslagen.

RI: Haben Sie damals beim ersten Asylantrag verstanden, dass er rechtskräftig abgelehnt wurde?

Z: Ja, ich habe dann Einspruch erhoben bei der Diakonie. Wir haben es zu spät weggeschickt, da war es schon zu spät.

RI: Wussten Sie, dass er deswegen ausreisen muss?

Z: Das habe ich nie so richtig realisiert. Für mich war es ein normales Leben, er hat negativ gekriegt, aber an das hätte ich nicht gedacht, dass er sich da melden muss. Ich habe auch nicht gewusst, dass man noch einmal einen Asylantrag stellen kann. Alles ist so widersprüchlich. Dadurch ich so viel mit Asylwerbern zu tun habe, ist es verwirrend für mich.

RI: Wollen die Herren noch Fragen stellen?

BFV: Wenn sich nach Rücksprache mit Ihrem Anwalt herausstellen sollte, dass gegen den Bescheid nichts weiter unternommen werden kann und gegen die Abschiebung von XXXX keine rechtlichen Schritte mehr unternommen werden können, würden Sie dann auf ihn einwirken? Habe ich es Richtig in Erinnerung, dass er Ausreisen wird und bei seiner Abschiebung kooperiert?

Z: Ja, ich würde dann mitreisen mit ihm in den Libanon.

RI: Sie haben doch gesagt, es ist dort so gefährlich. Sie haben einen elf jährigen Sohn.

Z: Ja, aber ich möchte trotzdem. Ich möchte mich versichern, wohin er geht und das er dort eine Wohnung hat.

BFA: Wenn Sie sagen, dass der BF jetzt gerne spazieren gehen würde etc. Ist es der aktuellen Situation geschuldet bzw. wenn dem nicht so ist, wie erklären Sie sich, dass der BF noch am 30.12. bei der Vorsprache bei der Polizei damit gedroht hat sich umzubringen und damit offenbar ein Standard Verhaltensmuster, nämlich wie vom Juli 2019, wo er Selbstmord bei COP provoziert hatte, fortsetzt?

Z: Natürlich er war in einer schlechten psychischen Verfassung. Als das passiert ist damals hat er aufgehört zu trinken. Seitdem nimmt er Lexotanil. Er ist natürlich nervlich fertig gewesen. Er war schon so weit, dass er sterben will. Ist auch verständlich in der Situation, es gibt ein vor und zurück. Er wollte mit mir leben und eine Familie aufbauen, aber das geht nicht. Es ist kein Wunder in der Situation. Er hat niemanden verletzt. Er hat auch mich nie verletzt oder so. Es war damals ein Hilfeschrei, eben Alkohol. Es war kein Suizid, wenn sich jemand umbringen will, dann schneidet er sich die Pulsadern auf.

BFA: Wenn er dieses Verhalten geändert hat…

Z: Er hat nichts mehr getrunken. Er möchte am liebsten arbeiten.

BFA: Aber warum reicht dieses Verhalten dann bis zum 30. Dezember?

Z: Ich weiß nicht was die Polizisten gesagt haben, vielleicht hat er Angst gekriegt. Er war nervlich so fertig, er sagte, er schafft es nicht. Er ist ja freiwillig zur Polizei gegangen.

BFA: Kommt es manchmal vor, nachdem Sie eine Asylunterkunft betreiben, dass einige Ihrer Schützlinge einen negativen Asylbescheid erhalten?

Z: Ja, das ist so.

BFA: Und ist es Ihnen klar, dass es im Regelfall mit einer Heimreise verbunden ist?

Z: Ja. Ich habe mir immer gedacht, wenn man negativ bekommt kann man wieder Einspruch erheben. Es gibt auch nach einem Jahr, nach fünf Jahren und dann bekommt man subsidiären Schutz und Bleiberecht.

BFA: Für mich stellt es sich so dar, als hätte er einen negativen Asylbescheid nicht einmal eine Indizwirkung und sei irgendwas x-beliebiges. Gerade wenn Sie viel mit Flüchtlingen zu tun haben. Haben Sie dem BF irgendwann einmal nahegelegt, dass er Bemühungen unternehmen sollte, einen Weg für die Heimreise zu finden?

Z: Beim ersten Mal da war er ja krank, als er die Ladung bekommen hat. Ich habe zu ihm gesagt: „Du kannst sicher einen neuen Asylantrag stellen und darüber reden“. Ich habe es auch nicht so gewusst. Er hat gesagt: „Nein, die nehmen einen Fest und es hört keiner zu“. Es ist dasselbe wie mit seiner Mutter, was für einen Beweis wird man haben, dass die Hisbollah ihn bedroht, sie wird nicht Schreiben „Wir die Hisbollah“. Immer muss es erst zu spät sein.

RI: Ich spüre nichts Neues das herauszufinden wäre im Zuge dieser Vernehmung, würde daher gerne diese beenden oder haben die Herrn noch andere Fragestellungen?

BFA: Nein.

BFV: Nein. Ich würde gerne noch eine Stellungnahem abgeben. Zur zuletzt vom Behördenvertreter ins Treffen angeführten angeblich gemachten außerprotokollarischen Bemerkungen „Soll ich sagen, dass ich homosexuell bin“. Diese würde nicht mehr bedeuten, als dass der BF in seiner Aussage stets bei der Wahrheit bleiben möchte und von unwahren Aussagen aus Prinzip Abstand nimmt, selbst wenn es möglich wäre, dass ihm solch eine unwahre Aussage zum Vorteil gereichen würde.

BFA: Diese Schlussfolgerung beachtet die belanget Behörde als nicht gänzlich richtig, zumal diese Äußerung in Anwesenheit der auch nunmehr anwesenden Lebensgefährtin getätigt wurde.

BFV: Aus Medienberichten ist bekannt, dass die libanesischen Behörden keine Heimreisezertifikate ausstellen. Vorliegend ist auszugehen, dass kein Heimreisezertifikat ausgestellt wird. Das BFA möge konkretisieren, wie der Erfolg diesbezüglich ist und wie lange es konkret brauchen würde, bis ein Heimreisezertifikat ausgestellt würde. Es wird bezweifelt, dass eine Heimreise stattfinden wird.

BFA: Ein konkretes Datum zur Erlangung des Heimreisezertifikates kann nicht genannt werden, jedoch ist aufgrund der zeitlich begrenzten Pandemieeinschränkungen in Kürze mit dem üblichen Prozedere zu rechnen, zumal der Interviewtermin stattgefunden hat und jedenfalls auf Sicht deutlichst unter zulässiger Höchstanhaltedauer ein HRZ zu erlangen sein wird. Da die primäre Bezugsperson des BF, nämlich Frau XXXX , kundgetan hat, dass sie sogar trotz behaupteter Gefahrenlage in den Libanon reisen würde, kann erst recht nicht ausgeschlossen werden, dass andere Varianten von örtlicher Verlagerung ins Auge gefasst werden könnten. Zumal der Verfahrensverlauf zu sämtlichen Verfahren nicht eben eine Besserung, aus Sicht des BF, für ein bleiberecht wahrscheinlich macht. Schon bisher hatte die Zeugin wenig bis keinen Beitrag geleistet, eine Rückkehr möglich zu machen und ist das nunmehrige Vorbringen der aktuellen Schubhaftsituation geschuldet.

BFA: Ich beantrage ergänzend auch den Verhandlungsaufwand.

BFV: Ich beantrage die Abweisung.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. der Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

1.2. ergänzende Feststellungen

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Libanon, besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist somit Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“) vom 30.09.2017, Zl. 1077931502-150859845, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in den Libanon gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt IV.). Dieser Bescheid wurde vom BF in Beschwerde gezogen und vom BVwG am 03.04.2018 bestätigt.

Der Beschwerdeführer war von 07.04.2016 bis dato mit Hauptwohnsitz durchgehend an der Adresse seiner Lebensgefährtin behördlich gemeldet.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich außer seiner Lebensgefährtin keine Familienangehörigen seiner Kernfamilie. Er wird von seiner Lebensgefährtin finanziell unterstützt.

Der BF befindet sich nicht mehr im Hungerstreik.

Der BF ist haft- und prozessfähig.

Mit – noch nicht dem BF zugestellten – Bescheid vom 24.02.2021 wurde der Folgeantrag des BF gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ebenso der Antrag auf subsidiären Schutz. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung in den Libanon zulässig ist, keine Frist für die freiwillige Ausreise erteilt und ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes und der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus der Einsicht in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung und das zentrale Melderegister.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit:

Gemäß Artikel 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4. gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

§ 7 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), lautet:

(1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes,

2. Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,

3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,

4. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes und

5. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß §§ 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 und 4 Abs. 1 Z 1 und 2

Gemäß § 7 Abs. 2 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision oder der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Abs. 1 stattgegeben hat.

Für das gegenständliche Verfahren ist sohin das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

3.2. Zu Spruchpunkt I.:

3.2.1. § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) lautet auszugsweise wie folgt:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.“

§22a BFA-VG bildet sohin im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage.

Materielle Rechtsgrundlage:

Gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft) sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Gemäß Abs. 2 Z 1 leg. cit. darf die Schubhaft nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. Gemäß Abs. 3 leg cit. liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 unter anderem vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist unter anderem insbesondere zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert (Z 1); ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendenden Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat (Z 3); ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt (Z 4); ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde (Z 5); der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes (Z 9).

Hinsichtlich der Anwendung eines gelinderen Mittels ist § 77 FPG maßgeblich:

„§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. […]

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu

melden oder

3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen. […]

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten. […]“

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

3.2.3. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“ (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfestellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessne Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbeso

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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