TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/26 I413 2170135-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.2021
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Entscheidungsdatum

26.02.2021

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I413 2170135-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 24.11.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.02.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß §§ 54, 55 Abs 2 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" auf die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die seit mindestens 28.11.2015 in Österreich aufhältige Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) stellte im Bundesgebiet zu selbigen Datum einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) vom 11.08.2017, Zl. XXXX , hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF nicht erteilt und gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen. Des Weiteren wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.) und wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes mit Erkenntnis vom 23.03.2018, GZ I403 2170135-1/3E, als unbegründet abgewiesen, womit die Entscheidung der belangten Behörde am 27.03.2018 in Rechtskraft erwuchs. Die BF stellte in der Folge beim VfGH einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, welcher jedoch mit Beschluss vom 29.09.2018, E 1742/2018-9, abgewiesen wurde. Eine Beschwerde an den VfGH oder eine Revision an den VwGH wurde nicht erhoben.

2.       Mit Eingabe, datiert mit 09.10.2018, bei der belangten Behörde eingelangt am 10.10.2018, beantragte die BF die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs 2 AsylG (Aufenthaltsberechtigung). Begründend wurde im Antragsformular selbst kurz ausgeführt, der am XXXX geborene Sohn würde über eine Aufenthaltsberechtigung „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ verfügen, ebenso die am selben Tag geborene Tochter. Der Partner der BF verfüge über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ und könne man nicht die Kinder von ihrem Vater trennen.

3.       Der BF wurde seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 10.10.2018 ein Verbesserungsauftrag erteilt und ihr aufgetragen, binnen vier Wochen ihren Antrag in deutscher Sprache ausführlich schriftlich zu begründen sowie ein gültiges Reisedokument vorzulegen. Eine solche Begründung legte die BF datiert mit 17.10.2018 der belangten Behörde vor, zudem auch ihren nigerianischen Reisepass.

4.       Mit Schreiben vom 13.01.2020 urgierte die BF mit der Bitte um zeitnahe Erledigung ihres anhängigen Verfahrens, mit E-Mail vom 01.09.2020 wandte sich eine Sozialarbeiterin des Vereins Wiener Hilfswerk neuerlich an die belangte Behörde, da die BF keine Antwort auf ihr Schreiben vom 13.01.2020 erhalten habe.

5.       Am 13.10.2020 wurde die BF vor der belangten Behörde hinsichtlich ihres Antrages vom 10.10.2018 niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte die BF unter anderem auch vor, dass sie am XXXX ihr drittes Kind geboren habe.

6.       Mit Bescheid vom 24.11.2020, Zl XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK ab (Spruchpunkt I.), erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Ihr wurde eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

7.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch die Rechtsvertretung der BF per Fax eingebrachte Beschwerde vom 02.12.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am selbigen Tag, wobei Rechtswidrigkeit des Bescheidinhaltes, mangelhafte bzw. unrichtige Bescheidbegründung sowie Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung der Verfahrensvorschriften moniert wurden. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, die belangte Behörde habe nicht eruiert, wie das Familienleben zwischen der BF und ihren Kindern sowie ihrem Lebensgefährten tatsächlich aussehe. Der Lebensgefährte arbeite sehr viel und versorge primär die BF die Kinder und finde erst sekundär eine gemeinsame Versorgung statt. Die Kinder seien sehr auf die BF angewiesen und sehe sich der Lebensgefährte der BF nicht imstande, die Kinder alleine, ohne die BF, zu versorgen. Die Feststellung, dass die BF in Nigeria noch Angehörige hätte, bleibe völlig unbegründet für sich gestellt und habe die belangte Behörde keineswegs irgendeine Erwägung zu dieser Feststellung darlegen können. Eine negative Feststellung falle jedenfalls nicht darunter und werde überdies auch nicht weiter erläutert, weshalb die Behörde davon ausgehe, dass ein aufrechter Kontakt zur Familie ihres Lebensgefährten besteht, zumal es dazu ein weiteres Nachfragen nach Dauer und Regelmäßigkeit dieser Kontakte bedurft hätte. Aus Sicht der Rechtsvertretung sei aus dieser Information nicht ableitbar, dass die BF Kontakt in Nigeria mit der Familie des Vaters ihrer Kinder habe. Zudem hätte die Behörde erkennen müssen, dass der BF in eventu ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zuerkannt werden müsse, darüber hinaus hätten die Voraussetzungen gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG konkret berücksichtigt werden müssen. Auch habe es die belangte Behörde unterlassen, Überlegungen darüber anzustellen, wie eine alleinstehende Frau mit drei Kleinkindern in Nigeria überleben solle. Das BFA habe nicht dem Gebot der Begründung einer Rückkehrentscheidung Genüge getan.

8.       Mit Schriftsatz vom 04.12.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 11.12.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

9.       Am 14.12.2020 langte per Fax eine Beschwerdeergänzung der BF ein, in dessen Zuge Unterlagen zu ihrem Familienleben bzw. zur Betreuungssituation der Kinder dargetan wurden.

10.      Seitens des Richters der Gerichtsabteilung I413 erfolgte mit 15.12.2020 eine Unzuständigkeitsanzeige gemäß § 17 der Geschäftsordnung des Bundesverwaltungsgerichtes infolge eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung (§ 20 AsylG), wobei die gegenständliche Rechtssache schließlich mit 28.12.2020 endgültig der Gerichtsabteilung I413 zugewiesen wurde.

11.      Am 22.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die volljährige BF ist nigerianisches Staatsangehörige, deren Identität feststeht.

Seit der Stellung ihres Asylantrages im November 2015 war die BF – abgesehen von einem etwas längeren Zeitraum von etwa 1,5 Monaten – bis auf wenige Tage durchgehend mit Hauptwohnsitz melderechtlich erfasst. Mit Bescheid vom 11.08.2017 wurde der Asylantrag der BF negativ entschieden und eine dagegen erhobene Beschwerde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zu GZ I403 2170135-1/3E mit 23.03.2018 als unbegründet abgewiesen, weswegen der Behördenbescheid mit 27.03.2018 in Rechtskraft erwuchs. Dessen ungeachtet verblieb die BF im Bundesgebiet, leistete ihrer Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise keine Folge und stellte mit Einlangen 10.10.2018 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs 2 AsylG (Aufenthaltsberechtigung).

Die BF ist gesund und arbeitsfähig. Sie bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ging bis dato im Bundesgebiet noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach. In Nigeria besuchte die BF acht Jahre lang die Schule und war auf der Farm der Eltern tätig. Die BF kann nicht lesen und nur wenig schreiben.

Im Bundesgebiet ist die BF mit ihrem Lebensgefährten XXXX , geb. 10.02.1975, ebenfalls nigerianischer Staatsangehöriger, seit 17.07.2018 – mit einer Unterbrechung von 12 Tagen – jeweils an derselben Hautwohnsitzadresse melderechtlich erfasst. XXXX lebt bereits seit September 2009 durchgehend im Bundesgebiet und weist dazu die entsprechenden Wohnsitzmeldungen auf, wobei er auch schon zwischen 2001 und 2005 in Österreich gelebt hat und nunmehr seit 09.10.2013 über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt. Seit 07.12.2020 geht XXXX einer Beschäftigung als Taxilenker nach, wobei er bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 55 Stunden etwa EUR 1.500,-- brutto ins Verdienen bringt und dazu noch die Familienbeihilfe für die drei gemeinsamen Kinder bezieht. Zuvor bezog er zuletzt Arbeitslosengeld. Auch die drei gemeinsamen Kinder, XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX und XXXX , geb. XXXX , waren stets mit Hauptwohnsitz an derselben Adresse wie die BF gemeldet. Sie sind ebenfalls nigerianische Staatsangehörige und aufgrund einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. In rechtlicher Hinsicht teilen sich die BF und ihr Lebensgefährte die Obsorge der drei gemeinsamen Kinder. Darüber hinaus lebt auch die minderjährige Tochter des XXXX , XXXX , geb. XXXX , ebenfalls eine nigerianische Staatsangehörige, welche über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt, im gemeinsamen Haushalt. Die BF übernimmt zum überwiegenden Teil die Versorgung bzw. Erziehung der gemeinsamen minderjährigen Kinder, darüber hinaus nimmt sie auch gegenüber XXXX Betreuungstätigkeiten wahr. Sonstige Kontakte von maßgeblicher Bedeutung brachte die BF nicht vor.

In Nigeria lebt die Familie des Lebensgefährten der BF, welche er auch manchmal besucht. Der BF ist die Familie ihres Lebensgefährten ausschließlich telefonisch bekannt. Zu ihrer eigenen Familie in Nigeria pflegt die BF keinen Kontakt.

Die BF weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder kultureller Hinsicht auf.

Sie ist strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1.    Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes samt Vorakt (I403 2170135-1).

2.2.    Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der BF vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz samt Beschwerdeergänzung sowie in den Vorakt. Darüber hinaus wurden Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, der Grundversorgung und dem Strafregister eingeholt, zudem auch ein Sozialversicherungsdatenauszug zur Person der BF. Des Weiteren wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister zum Lebensgefährten XXXX sowie zu den drei gemeinsamen Kindern und auch XXXX eingeholt, weiters ein Sozialversicherungsdatenauszug sowie ein Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister zum Lebensgefährten. Auszüge aus dem Zentralen Fremdenregister wurden überdies hinsichtlich des letztgeborenen Kindes sowie XXXX abgefragt. Des Weiteren fand am 22.02.2021 eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck statt, in dessen Zuge die BF als Beteiligte einvernommen wurde.

2.3.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Zumal die BF im Zuge ihrer Antragstellung ihren nigerianischen Reisepass mit der Nummer XXXX am 07.11.2018 bei der belangten Behörde in Vorlage brachte, wobei auch eine Kopie desselben dem Behördenakt beigelegt wurde, steht ihre Identität eindeutig fest (AS 49).

Hinsichtlich der melderechtlichen Erfassung der BF im Bundesgebiet kann auf einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu ihrer Person verwiesen werden. Der Verlauf ihres Asylverfahrens ergibt sich aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister sowie dem unstrittigen Akteninhalt samt entsprechenden Vorakt. Aus dem Akteninhalt geht auch das Datum ihrer Antragsstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK hervor (AS 14 ff).

Bereits im Zuge ihres Asylverfahrens brachte die BF keine lebensbedrohlichen Erkrankungen vor und führte die BF dazu befragt im Zuge ihrer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem erkennenden Richter selbst aus, gesund zu sein (Protokoll vom 22.02.2021, S 3). Auch aus dem Akteninhalt ergeben sich keine gegenteiligen Hinweise. Aus diesem Grunde und in Anbetracht des erwerbsfähigen Alters der BF war auf deren Arbeitsfähigkeit zu schließen. Darüber hinaus vermeinte die BF selbst im Zuge ihrer Antragsbegründung vom 17.10.2018, eine Vollzeitbeschäftigung aufnehmen zu wollen, sobald die Kinder im Kindergarten wären (AS 47). Dass die BF Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Aus einem Sozialversicherungsdatenauszug zu ihrer Person wird ersichtlich, dass sie im Bundesgebiet noch keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Der Umstand, dass die BF in Nigeria acht Jahre lang die Schule besucht und dann auf der Farm der Eltern tätig geworden ist, konnte den Feststellungen des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes zu GZ I403 2170135-1/3E vom 23.03.2018 entnommen werden. Die Feststellung, wonach die BF nicht lesen und nur wenig schreiben könne, ist ihren eigenen Ausführungen im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde zu entnehmen (Protokoll vom 13.10.2020, AS 78). Dazu befragt, weshalb die BF nach einem achtjährigen Schulbesuch nicht lesen und nur wenig schreiben könnte, führte diese vor dem erkennenden Richter aus, dass das sie nicht gut im Lesen und Schreiben sei (Protokoll vom 22.02.2021, S 6).

Das Zusammenleben der BF mit XXXX im gemeinsamen Haushalt mit übereinstimmenden Hautwohnsitzadressen kann den jeweiligen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister entnommen werden. Der Aufenthaltstitel des Lebensgefährten wird in der in Vorlage gebrachten Aufenthaltskarte (AS 33) ersichtlich, darüber hinaus auch im amtswegig eingeholten Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister, die Zeiten seiner Hauptwohnsitzmeldungen im Bundesgebiet aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister. Hinsichtlich der Tätigkeit als Taxifahrer wurde im Zuge der Beschwerdeergänzung vom 11.12.2020 der entsprechende Arbeitsvertrag in Vorlage gebracht, aus welchem die wöchentliche Normalarbeitszeit sowie die Bruttoentlohnung hervorgeht, was auch in einem Sozialversicherungsdatenauszug zu seiner Person seine Deckung findet. Aus selbigen wird auch der vorherige Bezug von Arbeitslosengeld ersichtlich. Der Umstand, dass er zudem Familienbeihilfe bezieht, war den Ausführungen der BF vor der belangten Behörde zu entnehmen (Protokoll vom 13.10.2020, AS 78). Die Staatsangehörigkeit des XXXX geht aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister hervor, darüber hinaus ist die Staatsbürgerschaft auch im Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu seiner Person vermerkt. Hinsichtlich der gemeinsamen Kinder Isitugo XXXX und XXXX legte die BF die Geburtsurkunden sowie deren Aufenthaltskarten in Kopie vor, aus denen der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ sowie die nigerianische Staatsangehörigkeit hervorgeht (AS 27 ff). Die Staatsbürgerschaft des letztgeborenen Kindes ist in dessen Auszug aus dem Zentralen Melderegister vermerkt, ebenso wie in einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister, aus welchem überdies der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ ersichtlich wird. Hinsichtlich der Hauptwohnsitzmeldungen kann auf die jeweiligen Auszüge aus dem Zentralen Melderegister verwiesen werden. Dass in rechtlicher Hinsicht die BF und ihr Lebensgefährte sich die Obsorge der gemeinsamen Kinder teilen, kann dem vorgelegten Tonbandprotokoll des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 14.08.2018 hinsichtlich der beiden Zwillinge und der Amtsbestätigung des Bezirksgerichts Hernals vom 06.10.2020 hinsichtlich dem letztgeborenen gemeinsamen Kind entnommen werden. Der Umstand, dass auch XXXX , die minderjährige Tochter des XXXX , im gemeinsamen Haushalt lebt, ergibt sich einerseits aus einem Schreiben des Mag. Dr. XXXX vom 09.12.2020 im Zuge der Beschwerdeergänzung, darüber hinaus ist selbiges auch durch einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu XXXX belegt. Staatsangehörigkeit und Aufenthaltstitel derselben ergeben sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister. Dass sich die BF sowohl um XXXX als auch um die drei eigenen Kinder kümmert, basiert auf einer Zusammenschau des Schreibens des Mag. Dr. XXXX vom 09.12.2020, einer Bestätigung des Vereins Wiener Hilfswerk vom 03.12.2020 und den Angaben der BF im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 13.10.2020, AS 79). Auch im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung teilte sie mit, Hausfrau zu sein und sich um ihre Kinder sowie um XXXX kümmere (Protokoll vom 22.02.2021, S 6).

Der Umstand, dass in Nigeria die Familie des Lebensgefährten der BF lebt, welche dieser auch manchmal besucht und welche die BF ausschließlich telefonisch kennt, war den Ausführungen der BF vor der belangten Behörde zu entnehmen (Protokoll vom 13.10.2020, AS 79). Dazu befragt gab sie im Zuge ihrer Einvernahme zu Protokoll, dass sie keine Beziehungen mehr zu Nigeria selbst habe, da alle Bezugspersonen tot seien (Protokoll vom 22.02.2021, S 4).

Weder im Zuge ihrer Antragstellung noch zu einem späteren Zeitpunkt legte die BF integrationsbekundende Urkunden vor. Vielmehr geht aus ihrer niederschriftlichen Einvernahme hervor, dass sie während ihres etwa fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keinerlei Schritte in Zusammenhang mit einer etwaigen Integration gesetzt hat. Weder hat sie einen Deutschkurs besucht, noch sich autodidaktisch grundlegende Deutschkenntnisse aneignen können, auch ging sie keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach und ist zudem nicht Mitglied eines Vereins. Kurse hat sie im Bundesgebiet ebenfalls keine besucht (Protokoll vom 13.10.2020, AS 78 ff). Es war daher die Feststellung zu treffen, dass die BF keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder kultureller Hinsicht aufweist.

Aus einem Strafregisterauszug zur Person der BF wird ersichtlich, dass diese im Bundesgebiet unbescholten ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK und zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung

(Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1.  Rechtslage

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Gemäß § 55 Abs 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sowie des VfGH und VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.1.2   Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Die BF hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs 2 Asylgesetz aus Gründen des Art 8 EMRK beantragt, weswegen gegenständlich eine Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern der BF und den öffentlichen Interessen vorzunehmen ist und anhand derer es zu überprüfen gilt, ob sich die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des Art 8 EMRK als geboten darstellt.

Dabei setzt die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, insbesondere einer Rückkehrentscheidung, nach § 9 Abs 1 BFA-VG unter dem dort genannten Gesichtspunkt eines Eingriffs in das Privat- und/oder Familienleben voraus, dass ihre Erlassung zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Im Zuge dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101) (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362).

Im Zuge der Interessenabwägung gilt es nun, unter anderem die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt der Fremden rechtswidrig war, zu berücksichtigen. Das vorangegangene Asylverfahren der BF dauerte, gerechnet von der Asylantragstellung am 27.11.2015 bis zur negativen Entscheidung seitens der belangten Behörde am 11.08.2017 etwa eindreiviertel Jahre und ist daher nicht als überlanges Verwaltungsverfahren anzusehen. Auch das die Beschwerde abweisende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zu GZ I403 2170135-1/3E vom 23.03.2018 wurde binnen eines halben Jahres ausgefertigt. Ab Rechtskraft desselben gestaltete sich der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet damit jedenfalls nicht mehr als rechtmäßig, wobei festzuhalten gilt, dass die BF knapp ein halbes Jahr später den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK beantragt hat und es die belangte Behörde verabsäumt hat, alsbald über diesen zu entscheiden. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die BF zweimal, einmal selbst mit 13.01.2020 und ein weiteres Mal durch eine Sozialarbeiterin des Vereins Wiener Hilfswerkt am 01.09.2020 urgieren musste, damit die belangte Behörde weitere Ermittlungsschritte im Verwaltungsverfahren gesetzt und in der Folge den negativen Bescheid im November 2020 erlassen hat. Zwischenzeitig gebar die BF ihr drittes Kind. Der Zeitraum zwischen der Antragstellung und der Erlassung des gegenständlichen Bescheides kann der BF damit nicht angelastet werden.

Grundsätzlich nehmen nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0330). Zumal die BF entsprechend den Feststellungen ihren Aufenthalt im Bundesgebiet von knapp über fünf Jahren nicht genutzt hat, um eine berufliche, sprachliche oder kulturelle Integration zu erwirken, ist alleine aufgrund ihrer Aufenthaltsdauer nichts gewonnen, zumal einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289) und die BF gegenständlich nur wenige Monate länger im Bundesgebiet verweilt. Jedoch gilt es hinsichtlich der mangelnden Integration der BF anzumerken, dass diese den überwiegenden Teil der Versorgung und Erziehung der zwei Kleinkinder und des Babys übernimmt und darüber hinaus auch die Tochter des Lebensgefährten betreut, zumal XXXX selbst im Ausmaß von 55 Wochenstunden einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Das Fehlen von weitergehenden Integrationsmaßnahmen – zumindest ab dem Zeitpunkt der Geburt der Kinder – kann der BF damit in keiner gewichtigen Form angelastet werden. Zudem sind etwaige Integrationsbemühungen der BF auch dadurch erschwert, dass diese kaum lesen und nur wenig schreiben kann und sich folglich auch Kurse bzw. Weiterbildungen – neben der familiären Betreuungssituation – nur mit außerordentlichen Anstrengungen bewerkstelligen ließen, was ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Des Weiteren gilt es unter dem Gesichtspunkt der vorzunehmenden Interessenabwägung nun, Erwägungen in Zusammenhang mit dem Privat- und Familienleben der BF im Bundesgebiet zu treffen.

Dabei sind unter dem „Privatleben“ nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). Der Begriff des Familienlebens in Art 8 EMRK umfasst jedenfalls die Beziehung von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten und schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13. 6. 1979, Marckx, EuGRZ 1979).

Was der Bescheid der belangten Behörde vermissen lässt ist, dass laut ständiger Rechtsprechung auch die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl zu bedenken sind und dieser Umstand bei der Interessenabwägung nach Art 8 Abs 2 MRK bzw. § 9 BFA-VG 2014 hinreichend berücksichtigt werden muss (vgl. etwa VfGH 11.6.2018, E 343/2018, mwN; VwGH 23.2.2017, Ra 2016/21/0235, 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, 20.9.2017, Ra 2017/19/0163, 5.10.2017, Ra 2017/21/0119, 28.11.2019, Ra 2019/19/0359, u.a.) (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456), wobei ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282) (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/18/0226). Eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, stellt in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar (VwGH 24.10.2019, Ra 2018/21/0246). Dabei können auch Kontakte zum Lebensgefährten über Telefon oder E-Mail das nicht wettmachen (vgl. VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108). Gerade in den ersten Lebensphasen eines Kindes kann nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ein ständiger Kontakt mit der Mutter nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sein, weshalb bei der Abwägungsentscheidung auch die konkreten Auswirkungen einer Trennung auf das Kindeswohl zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 12.9.2012, 2012/23/0017, mwN) (VwGH 16.01.2019, Ra 2018/18/0272). Wird ein Kind durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater [im Umkehrschluss auch: die Mutter] gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (vgl. etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282). Eine derartige Rechtfertigung ist nicht schon deshalb gegeben, weil die Beziehung zur Kindesmutter [zum Kindesvater] und die Geburt des Kindes während des unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers [der Revisionswerberin] erfolgte. Sie kann aber etwa dann bejaht werden, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie insbesondere bei – relevanter – Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug (vgl. VwGH 30.4.2020, Ra 2019/21/0134).

Wie bereits in den Feststellungen ausgeführt, lebt die BF seit Juli 2018 – abgesehen von einer kurzen Unterbrechung – in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem nigerianischen Lebensgefährten XXXX , welcher über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt. Dabei gilt zu beachten, dass der Bindung zu einem in Österreich dauerhaft niedergelassenen Ehepartner im Rahmen der Abwägung nach Art 8 EMRK große Bedeutung zukommt (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0271) und eine Trennung von demselben nur dann gerechtfertigt ist, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit (vgl. VwGH 20.11.2020, Ra 2020/19/0032). Damit kommt der Beziehung zu ihrem Lebensgefährten Gewicht zu.

Des Weiteren wurden am XXXX die Zwillinge Isitugo Jabes und XXXX geboren, am XXXX XXXX , allesamt ebenfalls nigerianische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsberechtigung „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“. Zudem lebt auch noch die etwa siebenjährige Tochter des Lebensgefährten aus einer früheren Beziehung im gemeinsamen Haushalt. Ein Familienleben der BF im Bundesgebiet ist somit unstrittig gegeben und weist dieses auch die erforderliche Intensität im Sinne des Art 8 EMRK auf. Die BF übernimmt im Familiengefüge zum überwiegenden Teil die Versorgung bzw. Erziehung der gemeinsamen minderjährigen Kinder und kümmert sich auch um die Tochter ihres Lebensgefährten aus einer vorangegangenen Beziehung. Damit würde eine gegen die BF verhängte Rückkehrentscheidung jedenfalls eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls darstellen, wobei verstärkend hinzukommt, dass das jüngste Kind erst ein Alter von knapp acht Monaten aufweist.

Das Bundesverwaltungsgericht geht zwar davon aus, dass eine Fortführung des Familienlebens aller Betroffenen in Nigeria angesichts des Umstandes, dass allen Haushaltsangehörigen die nigerianische Staatsangehörigkeit zukommt, alle gesund und die Eltern im erwerbsfähigen Alter sind, des Weiteren sich die Kinder in einem Alter befinden, in dem die Sozialisation erst begonnen hat und auch die Tochter des Lebensgefährten sich in einem anpassungsfähigen Alter befindet (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422) grundsätzlich möglich, unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles jedoch nicht zumutbar ist. Einerseits aufgrund des zum Aufenthalt berechtigten Lebensgefährten der BF, der bereits seit September 2009 melderechtlich fast durchgehend im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz erfasst ist, wobei er schon zwischen 2001 und 2005 in Österreich gelebt hat und er nunmehr seit 09.10.2013 über den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt, andererseits wären bei einer Rückkehr nach Nigeria auch die in Österreich aufenthaltsberechtigten Kinder de facto gezwungen, Österreich zu verlassen. Zwar sind sowohl die leiblichen Kinder der BF als auch XXXX nigerianische Staatsagengehörige, jedoch erscheint es gegenständlich im Sinne des Kindeswohls nicht zumutbar, dass die zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigten Kinder ihr nach Nigeria folgen vermögen.

Es wird dabei nicht verkannt, dass die BF, kurz nachdem die belangte Behörde hinsichtlich ihres Asylantrages eine negative Entscheidung getroffen hat, mit ihren Zwillingen schwanger geworden ist und ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst sein musste, dass sich ihr Aufenthaltsstatus als unsicher gestaltet und sie nicht mehr auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bzw. ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertrauen durfte (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov). Auch wird nicht verkannt, dass dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt (zB VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168). Gegenständlich ist der BF auch noch anzulasten, dass diese trotz einer negativen Asylentscheidung im Bundesgebiet verblieben ist, wobei sie zum Zeitpunkt des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes bereits etwa im sechsten Monat mit ihren Zwillingen schwanger gewesen war. Zugunsten der BF bleibt an dieser Stelle jedoch nochmal festzuhalten, dass die belangte Behörde hinsichtlich ihrer Antragstellung knapp zwei Jahre lang untätig geblieben ist und das Ermittlungsverfahren erst nach Kontaktaufnahme durch die BF selbst bzw. eine Mitarbeiterin des Vereins Wiener Hilfswerk aufgenommen wurde. Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF findet ihre Berücksichtigung, weshalb im Fall des Verbleibens im Bundesgebiet auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erkennen ist.

In einer Zusammenschau der im Zuge der Interessenabwägung dargelegten Umstände überwiegen gegenständlich die familiären Interessen der BF an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung aufgrund der dargestellten Umstände und ist eine Rückkehrentscheidung gegen die BF unzulässig. Des Weiteren ist im Sinne des § 9 Abs 3 BFA-VG davon auszugehen, dass die drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind.

Daran mag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die BF zu ihrem Herkunftsland, in dem sie geboren und aufgewachsen ist sowie den Großteil ihres bisherigen Lebens verbracht hat, nach wie vor über sprachliche und kulturelle Verbindungen verfügt, was auch dadurch indiziert wird, dass die BF im Bundesgebiet mit einem nigerianischen Staatsangehörigen eine Beziehung aufgenommen und eine Familie gegründet hat.

Der Vollständigkeit halber bleibt noch anzumerken, dass gegenständlich keine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regeln über den Familiennachzug vorliegt (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0235), zumal bei der BF zum Zeitpunkt ihrer damaligen Asylantragstellung noch kein Familienleben im Bundesgebiet bestanden hat.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der BF gemäß §§ 54, 55 Abs 2 AsylG – in Ermangelung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 55 Abs 1 AsylG – der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten spruchgemäß zu erteilen war. Ausschlussgründe iSd § 60 AsylG liegen nicht vor.

3.2.    Zur Behebung der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides:

Aufgrund der Erteilung eines Aufenthaltstitels und der Unzulässigerklärung der Rückkehrentscheidung waren auch die Spruchpunkte III. und IV. ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung Integration Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I413.2170135.2.00

Im RIS seit

20.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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