Entscheidungsdatum
26.02.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G305 2190311-1/29E
G305 2190309-1/25E
G305 2190332-1/27E
G305 2190325-1/27E
G305 2190329-1/26E
G305 2190320-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerden der irakischen Staatsangehörigen 1.) XXXX, geb. XXXX (BF1), 2.) XXXX, geb. XXXX (BF2), 3.) mj. XXXX, geb. XXXX (mj. BF3), 4.) mj. XXXX, geb. XXXX (mj. BF4), 5.) mj. XXXX, geb. XXXX (mj. BF5) und 6.) mj. XXXX, geb. XXXX , (mj. BF 6), die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch die Mutter XXXX, geb. XXXX, alle vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in Graz, gegen die jeweils zum XXXX.2018 datierten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX, Zlen. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (mj. BF3), XXXX (mj. BF4), XXXX (mj. BF5) und XXXX (mj. BF6), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.04.2019, zu Recht erkannt:
A)
I. XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX, XXXX, geb. XXXX und XXXX, geb. XXXX, wird jeweils der Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird den Genannten eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
III. Die Spruchpunkte III. bis VI. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am XXXX.2015 stellten die jeweils zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigten Beschwerdeführer (BF), alle irakische Staatsangehörige, vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am selben Tag wurden der BF1 und die BF2 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF1 an, dass er am XXXX.2015 von der schiitischen Miliz „Asa’ib Ahl al-Haqq“ einen Drohbrief erhalten habe, worin er aufgefordert worden sei, wegen seines sunnitischen Glaubens binnen drei Tagen seine Arbeit aufzugeben und mit der Familie den Wohnort zu verlassen. Da er von Seiten des Arbeitgebers keine Unterstützung erhalten habe und auch eine Anzeige bei der Polizei sowie die Einschaltung eines Gerichtes erfolglos gewesen seien, habe er sich zur Flucht entschlossen, zuvor jedoch den irakischen Polizeiakt zerstört.
Die BF2 gab an, dass die steigenden religiösen Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten Grund für die Ausreise gewesen seien. Ihr Mann habe schriftliche Drohungen erhalten. Da sie selbst Schiitin sei und ihr Mann und ihm folgend, die vier minderjährigen Kinder BF 3-6, Sunniten seien, wäre die Flucht der einzige Ausweg gewesen.
Für ihre vier minderjährigen Kinder, die mj. BF3-6, gab die BF2 als deren Mutter und gesetzliche Vertreterin an, dass diese keine eigenen Fluchtgründe hätten und ihre Fluchtgründe ausschließlich auf jene der BF2 gründen würden.
3. Am XXXX.2018 wurden die BF2 ab 08:30 Uhr und der BF1 ab 10:50 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.
Bei dieser Einvernahme wiederholte die BF2 die von ihr bei der Erstbefragung erwähnten Probleme ob der interkonfessionellen Ehe mit dem BF1 und erweiterte das Fluchtvorbringen dahingehend, dass der BF1 am XXXX.2015 bedroht worden sei, was die gesamte Familie gefährdet und zur Flucht veranlasst habe. Nähere Informationen über die Hintergründe der Drohung seien ihr zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen.
Der BF1 wiederholte die bei der Erstbefragung vorgebrachten Fluchtgründe und fügte hinzu, dass er am XXXX.2015 bei der Arbeit Probleme mit einem XXXX gehabt hätte und dies vielleicht mit ein Grund für den Drohbrief gewesen sei. Auch legte er bei seiner Befragung die von ihm im Irak zurückbehaltenen Beweisdokumente, Arbeitsbestätigungen und ein Kündigungsschreiben vor.
4. Mit jeweils zum XXXX.2018 datierten Bescheiden der belangten Behörde, wies das BFA die Anträge der beschwerdeführdenden Parteien (im der Folge auch: Beschwerdeführer oder kurz: bfP) hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom XXXX.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines/einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass den bfP im Heimatstaat keine Verfolgung ob der Religion drohe und der Erst- bzw. die Zweitbeschwerdeführerin die geltend gemachten Fluchtgründe ob ihrer widersprüchlichen Angaben nicht glaubhaft machen konnten.
5. Gegen die zum XXXX.2018 datierten Bescheide erhoben der BF1, die BF2 sowie die mj. BF3-BF 6 fristgerecht Beschwerde an das Bundeverwaltungsgericht (im Folgenden kurz: BVwG).
6. Anlässlich einer am XXXX.2019 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurden der BF1, die BF2 sowie die mj. BF3 und mj. BF4 im Beisein ihrer Rechtsvertreterin, eines Behördenvertreters und eines Dolmetschers für die arabische Sprache einvernommen. Für die unmündigen BF5 und BF6 war deren Anwesenheit nicht erforderlich.
7. Mit hg. Erkenntnis vom 04.03.2020, GZ: G305 2190311-1/21E, 2190309-1/17E, 2190332-1/19E, 2190325-1/18E, 2190329-1/18E und 2190320-1/18E, wurden die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX, vom XXXX.2018 erhobene Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen.
8. Über die gegen das Erkenntnis vom 04.03.2020, GZ: G305 2190311-1/21E, 2190309-1/17E, 2190332-1/19E, 2190325-1/18E, 2190329-1/18E und 2190320-1/18E, erhobene Revision, die sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten (und die darauf aufbauenden Spruchpunkte) richtete, sprach der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) mit Erkenntnis vom XXXX, dahingehend ab, dass die Erkenntnisse im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Identitätsfeststellungen:
Der BF1 führt die im Spruch angegebene Identität und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Seine Muttersprache ist arabisch.
Er ist mit der BF2, die die im Spruch angegebene Identität führt, verheiratet. Sie gehört der Ethnie der Kurden an und bekennt sich zur islamischen Religionsgemeinschaft der schiitischen Glaubensrichtung. Ihre Muttersprache ist arabisch.
Der BF1 und die BF2 heirateten im XXXX traditionell und im XXXX vor dem Personenstandsgericht in XXXX.
Das Paar hat vier Kinder, und zwar die mj. BF3 bis mj. BF 6. Alle besitzen sie die irakische Staatsangehörige.
Wie der BF1 gehören auch die mj. BF3 - BF6 der Ethnie der Araber an und sind auch sie Muslime, die sich zur sunnitischen Glaubensrichtung bekennen.
Die beschwerdeführenden Parteien haben ihren Hauptwohnsitz seit dem XXXX.2015 im Bundesgebiet (seit dem XXXX.2017 an der Anschrift XXXX).
1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Parteien in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:
Die bfP lebten zuletzt in XXXX, im Bezirk XXXX; dieser ist mehrheitlich von Sunniten bewohnt und zählt dieser Bezirk ungefähr 100.000 Einwohner (Stand Februar 2021: XXXX Zugriff am: 18.05.2021).
Die bfP sind am XXXX.2015, ausgehend von Bagdad, mit dem Flugzeug nach Erbil geflogen und in der Folge legal mit dem Bus vom Herkunftsstaat in die Türkei ausgereist und im Anschluss über Griechenland und die „Balkanroute“ nach Österreich gelangt und am XXXX.2015 im Besitz von Reisepässen, jedoch ohne Einreisebewilligung und sohin illegal, ins Bundesgebiet eingereist.
1.3. Zur individuellen Situation der beschwerdeführenden Parteien im Heimatstaat:
Im Herkunftsstaat besuchte der BF1 9 Jahre die Grundschule, 3 Jahre eine AHS und von XXXX die Universität in XXXX, wo er XXXX studierte. Vor seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit als XXXX bei der XXXX arbeitete er unter anderem als XXXX und mit seinem Vater als XXXX. Er war zuletzt im XXXX tätig.
Die BF2 hat im Herkunftsstaat nach dem Besuch der Grundschule und weiterführenden Schulen die Universität besucht und ein Studium für XXXX abgeschlossen. Bis zu ihrer Flucht war sie im XXXX tätig.
Der mj. BF3 besuchte in XXXX 6 Jahre die Grundschule und ein Jahr die Mittelschule, die minderjährige BF4 besuchte in XXXX 5 Jahre die Grundschule. Über die mj. BF5 und mj. BF6 liegen keine Informationen über Schulbesuche in ihrer Heimat vor.
Die im Herkunftsstaat lebende Kernfamilie des BF1 besteht aus seinem etwa XXXX Jahre alten Vater XXXX und seiner etwa XXXX-jährigen Schwester XXXX, beide wohnhaft in XXXX. Die Mutter des BF1 verstarb im Jahr XXXX eines natürlichen Todes.
Ebenso lebt ein Großteil der Kernfamilie der BF2 in XXXX. Diese besteht aus deren Vater, XXXX, geb. XXXX, und zwei Brüdern, XXXX, geb. XXXX. Eine Schwester der BF2, XXXX, geb. XXXX lebt im Süden des Irak in XXXX. Eine weitere Schwester, XXXX, geb. XXXX, lebt in XXXX. Die im Irak lebenden Geschwister der BF2 sind jeweils verheiratet und haben drei Kinder, die im Oman lebende Schwester ist ebenfalls verheiratet und hat vier Kinder. Die Mutter der BF2 verstarb XXXX.
Mit den Einkünften aus ihren beruflichen Tätigkeiten konnten der BF1 und die BF2 den Lebensunterhalt für die Familie bestreiten und die Miete für das von ihnen bewohnte Haus begleichen.
Vor ihrer Flucht war es den beschwerdeführenden Parteien möglich, Lebensmittel, Wasser und andere Dinge des täglichen Bedarfs durch nahegelegene Märkte zu decken. Gleiches gilt für die in XXXX lebenden Mitglieder der Kernfamilien der bfP. Laut Aussage der erwachsenen bfP hatten deren im Irak verbliebenen Familien keine Probleme mit den jeweiligen Nachbarn.
Die von den mj. BF3 und BF4 besuchten Schulen haben sich in der Nähe des Wohnhauses der Familie befunden. Im Rahmen ihrer vor dem Bundesverwaltungsgericht stattgehabten Befragung gaben die mj. BF3 und mj. BF4 an, von Bombendetonationen in der Näher ihrer jeweiligen Schulen gehört zu haben, welche die Zerstörung nahegelegener „Checkpoints“ oder Brücken zum Ziel gehabt hätten. Zum Auskommen der Familie mit ihren Nachbarn gab der mj. BF3 an, dass seine Eltern mit den Nachbarn keine Schwierigkeiten gehabt hätten.
1.4. Zu etwaigen Integrationsschritten der bfP im Bundesgebiet:
Der BF1 und die BF2 haben von XXXX bis XXXX einen Deutschkurs B 1.2 besucht. Im XXXX hat der BF1 an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Die mj. Beschwerdeführer haben an Sprachkursen teilgenommen. Für den BF1 liegt eine Bestätigung über eine freiwillige Mitarbeit bei der XXXX sowie eine Bestätigung über gemeinnützige Hilfstätigkeiten bei der Stadt XXXX vor. Zudem langten mehrere Unterstützungsschreiben für die beschwerdeführenden Parteien ein, die ihre gesellschaftliche Integration in die Nachbarschaft bestätigen sollen. Von XXXX bis XXXX absolvierte die BF2 ein unentgeltliches Arbeitstraining bei XXXX.
Der mj. BF3 besucht die XXXX in XXXX, die mj. BF4 die XXXX, die mj. BF5 besucht derzeit die XXXX und die mj. BF6 die XXXX. Im September 2018 absolvierte die mj. BF4 ein Praktikum in XXXX.
1.5. Zur Lage im Irak wird festgestellt:
Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den
IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.
Die Lage im Irak ist seit der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani durch einen Luftangriff der Vereinigten Staaten und einen Vergeltungsschlag des Irans gegen amerikanisch genutzte Militärstützpunkte sehr angespannt. Schiitische Milizen haben für die Tötung Soleimanis und eines hohen irakischen Milizenführers Vergeltung angekündigt, der bei dem amerikanischen Angriff ebenfalls ums Leben kam.
Anlassbezogen ist jedoch nicht hervorgekommen, dass die Beschwerdeführer einer asylrelevanten Bedrohung durch schiitische Milizen oder durch die Polizei des Herkunftsstaates ausgesetzt gewesen wären. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass es ihnen - selbst bei Wahrunterstellung einer allfälligen asylrelevanten Verfolgung - nicht möglich gewesen wäre, eine innerstaatliche Fluchtalternative zu wählen.
Quellen (Zugriff am 24.02.2021):
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf
- ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen 02.02.2018, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424853.html
- - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html,
- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc
- EASO – Security situation Iraq (Oktober 2020): https://www.ecoi.net/de/dokument/2043991.html
- Frankfurter Allgemeine, 12.01.2020, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/irak-raketenangriff-auf-us-stuetzpunkt-nahe-bagdad-16578012.html
- France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite,
- - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/
- - KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459,
- - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf
- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf
- UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf
1.6.2. Kinder:
Art. 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur VN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten. Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie.
Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im IS-Gebiet geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte Geburtsurkunden erhalten.
Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark einschränkt. Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt.
Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten. Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus. 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt. Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw. im Wachstum zurückgeblieben.
Die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch nimmt zu. Soziale Medien helfen verstärkt bei der Aufdeckung von Missbrauch und Folter. Berichten zufolge verkaufen Menschenhandelsnetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen.
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit für Personen unter 18 Jahren auf sieben Stunden pro Tag und verbietet Beschäftigungen, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren schaden. Trotzdem gibt es im ganzen Land Fälle von Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen. Es gibt dokumentierte Fälle von durch den Konflikt intern vertriebenen Kindern, die gezwungen wurden Kinderarbeit zu leisten. Versuche der Regierung Kinderarbeit z.B. durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos.
Laut dem EASO-Informationsbericht über den Irak mit Stand Oktober 2020 wurden im Beobachtungszeitraum Jänner 2019 bis Juli 2020 bei diversen Vorfällen 45 Kinder getötet und 86 verletzt.
Eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 20.01.2021 zum Thema Gefährdungslage für minderjährige Kinder in Bagdad weist auf die nach wie vor prekäre Lage für minderjährige Kinder hin, die der Bettelei, Prostitution aber auch Menschenhandel ausgesetzt sind.
Quellen (Zugriff am 24.02.2021):
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf
- ACCORD-Anfragebeantwortung[a-11469-1]: https://www.ecoi.net/de/dokument/2045329.html, Stand 20.01.2021
- Al Monitor (2.5.2017): How can Iraq address child abuse, torture?, https://www.al-monitor.com/ pulse/originals/2017/05/child-abuse-iraq-domestic-violence.html
- EASO – Security situation Iraq (Oktober 2020): https://www.ecoi.net/de/dokument/2043991.html
- UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (16.5.2018): Children and armed conflict, https://www.ecoi.net/en/file/local/1436649/1930_1530169188_n1815109.pdf
- UN News - United Nations News (19.1.2018): One in four Iraqi children impacted by conflict, poverty; education key for lasting peace - UNICEF, https://news.un.org/en/storv/2018/01/1000811
- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (31.1.2017): Child Poverty in Iraq: An Analysis of Child Poverty Trends and Policy Recommendations for the National
- Poverty Reduction Strategy 2017-202, https://reliefweb.int/report/iraq/child-poverty-iraq- analysis-child-poverty-trends-and-policy-recommendations-national
- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html
- USDOS - United States Department of State (28.6.2018): Trafficking in Persons Report 2018 - Country Narratives - Iraq, https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/countries/2018/282675.htm
1.6.3. Berufsgruppen:
Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.2.2018).
Jedoch lässt sich den Länderinformationen nicht entnehmen und ist auch sonst nicht hervorgekommen, dass XXXX und/oder XXXX, welche nur beschränkten Zugang zu sensiblen Daten haben, einer besonderen Gefährdung, konkret der Miliz „ASA’IB AHL AL HAQQ“, ausgesetzt wären.
Quellen: (Zugriff am 24.02.2021):
- AA – Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf
- IWPR – Institute for War and Peace Reporting (25.11.2009): Fear chokes Nasiriya‘s Song, https://iwpr.net/global-voices/fear-chokes-nasiriyas-song
- USDOS – United States Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394979.html
- USDOS – United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html
1.6.4. Medizinische Versorgung:
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).
Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).
Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).
In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Quellen (Zugriff am 24.02.2021):
- AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland- auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767
- IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl de.pdf:isessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1 cid294?blob=publicationFile
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care,
- http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
Die Konstatierungen zur Lage im Herkunftsland der BF konnten anhand rezenter Länderinformationen getroffen werden, die aus Recherchen offizieller Stellen herrühren. Da deren Nachforschungen und Angaben den Prinzipien der Objektivität folgen ist deren Inhalt nicht anzuzweifeln und konnten daher die oben angeführten Konstatierungen getroffen werden. Auch in dem Bewusstsein, dass die zuletzt abgerufenen ACCORD Informationen auch auf Quellen der Jahre 2016 bis 2018 basieren ist in Verbindung mit den Aktuellen Länderberichten der Staatendokumentation sowie von EASO ersichtlich, dass die bereits damals vorherrschende prekäre Lage von minderjährigen Kindern auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt gegeben ist. Der derzeit noch minderjährige BF3 erreicht im XXXX dieses Jahres die Volljährigkeit, weshalb die zu (minderjährigen) Kindern getroffenen Feststellungen auf ihn nur bedingt Anwendung finden können.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Anlassbezogen hat der Verwaltungsgerichtshof mit dem Bezug habenden Erkenntnis vom XXXX, XXXX, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.03.2020, GZ: G305 2190311-1/21E, 2190309-1/17E, 2190332-1/19E, 2190325-1/18E, 2190329-1/18E und 2190320-1/18E, erhobene Revision, die sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten (und die darauf aufbauenden Spruchpunkte) richtete, Folge gegeben, indem er aussprach, dass die Erkenntnisse im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden da speziell in Hinblick Situation der minderjährigen Beschwerdeführer im Falle einer Rückführung eine ganzheitliche Bewertung der Sicherheitslage und möglichen Gefahren unterblieben sei.
Die höchstgerichtlichen Ausführungen können nur in der Weise aufgefasst werden, dass den beschwerdeführenden Parteien im gegenständlichen Einzelfall subsidiärer Schutz zu erteilen ist.
Unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichtshof ausgeführten Gründe hat das erkennende Gericht bei der Herstellung der von ihm gewünschten Rechtslage davon auszugehen, dass im gegenständlichen Anlassfall nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass die BF, hier speziell die minderjährigen BF4 bis BF6 im Fall ihrer Rückkehr Gefahr laufen würden, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unterworfen zu werden und dass eine Rückführung der Beschwerdeführer diese in ihren Rechten nach Art. 3 EMRK verletzen würde. Die derzeitige Sicherheitslage im Irak und speziell in Bagdad steht - auch unter Berücksichtigung der dort lebenden Familienmitglieder der bfP und der Tatsache, dass der mj. BF3 im XXXX dieses Jahres XXXX Jahre alt wird - einer Rückführung im Wege. Zusätzlich erschweren die Spannungen, die zwischen Sunniten und Schiiten herrschen, eine sichere Rückführung, zumal es sich bei BF1 und BF2 um einen Sunniten arabischer Abstammung und eine Schiitin kurdischer Abstammung handelt. Diese interethnische und interreligiöse Ehe kann derzeit in Verbindung mit der Minderjährigkeit der Kinder zu einer weiteren Vereitelung einer sicheren Rückkehr bedingen.
Die in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat bzw. in der Herkunftsregion Bagdad getroffenen Konstatierungen, hier speziell die Gefahren der Kinderarmut, Prostitution oder Bettelei, denen speziell die mj. BF 4 bis BF6 theoretisch ausgesetzt sein könnten, verdeutlichen zudem, dass bereits in Hinblick auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gemäß § 8 AsylG den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zu folgen und den bfP der Status subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen ist. Dabei wird nicht übersehen, dass sich derartige Anhaltspunkte in Hinblick auf die übrigen, in der Herkunftsregion verbliebenen Angehörigen der Kernfamilien des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nicht ergaben. In Hinblick auf den Telos des höchstgerichtlichen Erkenntnisses, der beschwerdeführenden Familie subsidiären Schutz zu erteilen, ist dies jedoch irrelevant.
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese gilt für ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über den Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert.
Den beschwerdeführenden Parteien war in Hinblick auf das umzusetzende Judikat des Verwaltungsgerichtshofs der Status als subsidiär Schutzberechtigte zuzuerkennen, sodass eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG zu erteilen war.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung der Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Aus den angeführten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung ersatzlose Teilbehebung Familienverfahren Minderjährigkeit Rechtsanschauung des VwGH Sicherheitslage subsidiärer Schutz VersorgungslageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G305.2190325.1.00Im RIS seit
21.04.2021Zuletzt aktualisiert am
18.05.2021