TE Bvwg Erkenntnis 2021/2/28 I417 2237299-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.2021
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Entscheidungsdatum

28.02.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4
StGB §223 Abs2
StGB §224
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I417 2237299-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Friedrich Johannes ZANIER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.01.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als das in Spruchpunkt VIII. gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG verhängte Einreiseverbot auf die Dauer von 6 Jahren herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte am 02.12.2014 unter der Identität XXXX , geb. am XXXX , StA. Somalia, in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen mit seiner Angst begründete, in Borno State in Nigeria, wo er mit seiner Mutter vor seiner Flucht gelebt habe, gekidnappt zu werden.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 26.03.2018 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Zudem wurde ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und dem Beschwerdeführer keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.). Es wurde weiters festgestellt, dass er das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 08.05.2017 verloren hat (Spruchpunkt VIII.) und erließ die belangte Behörde gegen ihn ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IX.).

3.       Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2018, GZ: I406 2193420-1/3E, teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass das in Spruchpunkt IX. verhängte Einreiseverbot auf drei Jahre herabgesetzt wurde.

4.       Mit Schreiben vom 22.04.2020 brachte der Beschwerdeführer schriftlich einen Antrag auf internationalen Schutz bei der belangten Behörde ein, da er aufgrund seiner chronischen HIV-Erkrankung in Bezug auf die aktuelle Covid-19 Pandemie zur Risikogruppe zähle und eine persönliche Antragstellung nicht möglich sei. Am selben Tag langte bei der belangten Behörde eine ausführliche Stellungnahme der damaligen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zum eingebrachten Asylantrag samt Vorlage zahlreicher Unterlagen ein.

5.       Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer bezugnehmend auf dessen Schreiben vom 22.04.2020 mit, dass gemäß den §§ 17 Abs. 1, 25 Abs. 1 AsylG ein Antrag auf internationalen Schutz vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu stellen und ein schriftlich gestellter Antrag bei der belangten Behörde als gegenstandslos abzulegen sei.

6.       Am 04.05.2020 stellte der Beschwerdeführer somit den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung gab der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung nach dem AsylG am 04.05.2020 an, bei seiner Rückkehr nach Nigeria befürchte er aufgrund seiner gesundheitlichen Situation zu sterben. Des Weiteren habe er Angst in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren, da er in Nigeria über keine Familie mehr verfüge und ins Gefängnis gesperrt werden würde.

7.       In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 09.06.2020 gab der Beschwerdeführer befragt zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zu Protokoll, dass er keine Familie mehr in Nigeria habe, sein Gesundheitszustand nicht gut sei und ihn bei einer Rückkehr ein Gefängnisaufenthalt erwarten würde. Im Erstverfahren seien seine Angaben falsch gewesen, da er aufgrund seines damaligen Cannabis-Konsums nicht gewusst habe, was er sage.

8.       Am 13.08.2020 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme durch die belangte Behörde, in welcher dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Stellungnahme zu Informationen zur „Decree-33“-Vorschrift in Nigeria gewährt wurde.

9.       Die damalige Rechtsberatung des Beschwerdeführers brachte am 20.08.2020 eine ausführliche Stellungnahme bei der belangten Behörde ein.

10.      Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 27.10.2010 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Zudem wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ihm wurde keine Frist für die freiwillige Rückreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und wurde einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Zudem erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.).

11.      Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine nunmehr ausgewiesene Rechtsvertretung am 24.11.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen Rechtswidrigkeit und führte darin an, dass ihm eine Rückkehr nach Nigeria aufgrund der derzeitigen Corona Situation nicht zumutbar sei und sein Aufenthalt im Bundesgebiet folglich zumindest zu dulden sei. Des Weiteren sei er aufgrund seiner Aids-Erkrankung von gesellschaftlicher Stigmatisierung betroffen und seien Medikamente schwer zu bekommen bzw. unterlägen Fälschungen. Es sei bereits mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2018 ein Einreiseverbot erlassen worden und sei die nochmalige Erlassung eines Einreiseverbotes auf die Höchstdauer von 10 Jahren zu Unrecht erfolgt bzw. angesichts des Unrechtsgehaltes seiner Straftat jedenfalls zu hoch bemessen. Der Beschwerdeführer stellte zudem die Anträge, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und der Beschwerde vorab die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

12.      Am 30.11.2020 langte die Beschwerde samt Bezug habenden Akt am Bundesverwaltungsgericht – Außenstelle Innsbruck ein.

13.      Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.12.2020, I417 2237299-1/3Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung bis zum Abschluss einer mündlichen Verhandlung zuerkannt.

14.      Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.12.2020, I417 2237299-1/5Z, wurde Dr. XXXX im gegenständlichen Verfahren zur Sachverständigen aus dem Fachgebiet Innere Medizin bestellt und mit der Erstellung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beauftragt. Im Rahmen dieses Gutachtens vom 20.12.2020 gelangte die Sachverständige zum Schluss, dass der medizinische Allgemeinzustand des Beschwerdeführers unter regelmäßiger Medikamenteneinnahme sehr gut zu bewerten sei und dass bei der HIV-Erkrankung des Beschwerdeführers keine Viruslast bestehe, weshalb er nicht der Covid-19-Risikogruppe zuzuordnen sei.

15.      Am 13.01.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie seines Rechtsvertreters eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht, in welcher überdies die Zeugin XXXX einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und dessen Ausführungen werden zu Feststellungen erhoben.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria, Angehöriger der Volksgruppe der Ibo und bekennt sich zum christlichen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an einer HIV-Infektion ohne Virusaktivität und ist die Erkrankung in Nigeria behandelbar. Sein medizinischer Allgemeinzustand ist unter regelmäßiger Medikamenteneinnahme sehr gut zu bewerten und leidet der Beschwerdeführer an keinen weiteren chronischen Erkrankungen. Er gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie und ist ihm kein Risikoattest zu erteilen. Er leidet damit derzeit an keinen physischen Beeinträchtigungen, die einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen. Es ist zudem nicht von einer unzumutbaren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers bei einer Abschiebung nach Nigeria auszugehen.

Der Beschwerdeführer stellte bereits am 23.07.2012 in der Schweiz, am 24.06.2013 in Spanien und am 08.04.2014 in Deutschland je einen Asylantrag unter einer Aliasidentität.

Im Jahr 2014 reiste er zu einem unbekannten Zeitpunkt nach Österreich und stellte bereits am 02.12.2014 einen Asylantrag. Die abweisende Entscheidung der belangten Behörde samt Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.04.2018, GZ: I406 2193420-1/3E, rechtskräftig bestätigt, jedoch wurde das zuvor erlassene Einreiseverbot auf die Dauer von drei Jahren verkürzt.

Er kam seiner Ausreiseverpflichtung bis dato nicht nach, sondern stellte am 04.05.2020 neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist nunmehr bereits seit 02.12.2014 im Bundesgebiet aufhältig und mit einigen Unterbrechungen seit 23.12.2014 – teilweise als obdachlos – melderechtlich erfasst.

In Nigeria genoss der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben keine Schulbildung oder Berufsausbildung, arbeitete allerdings gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Großmutter als Lebensmittelhändler auf einem Markt.

Es kann nicht feststellt werden, ob der Beschwerdeführer nach wie vor über Verwandte oder Bekannte in Nigeria verfügt.

Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Sorgepflichten und führt seit Sommer 2020 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Das Paar lebt jedoch in keinem gemeinsamen Haushalt und besteht keine anderweitige Abhängigkeit. Der Beschwerdeführer beabsichtigt seine Lebensgefährtin zukünftig zu heiraten. Nicht festgestellt werden kann, ob die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers derzeit schwanger ist. Ansonsten verfügt er über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen in Österreich.

Er besuchte Deutschkurse auf dem Niveau A1, verfügt jedoch über kein Sprachzertifikat oder qualifizierte Deutschkenntnisse.

Er verkauft die Straßenzeitung „ XXXX “ und engagiert sich ehrenamtlich im Verein „ XXXX “. Zudem leistet er stundenweise Remunerantentätigkeiten für die Caritas und ist Mitglied der christlichen Gemeinde „ XXXX “. Des Weiteren besucht er regelmäßig eine Beratungsstelle für Haftentlassene und befindet sich seit dem Jahr 2016 in laufender sozialarbeiterischer Betreuung sowie psychologischer Beratung bei der Aids Hilfe XXXX .

Darüber hinaus weist er in Österreich keinerlei berücksichtigungswürdige Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht auf.

Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers schließt seine Arbeitsfähigkeit nicht aus. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung.

Er weist in Österreich zwei strafgerichtliche Verurteilungen unter seiner Alias-Identität auf:

Erstmals wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 08.05.2017 zu XXXX wegen des Vergehens des vorschriftswidrigen Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG, § 15 StGB, des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs. 2, 224 StGB und des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt, wobei die gesamte Strafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.02.2019 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach den §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall, 27 Abs. 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten rechtskräftig verurteilt. Zudem wurde die mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 08.05.2017 zu XXXX festgesetzte Probezeit auf insgesamt fünf Jahre verlängert.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde.

Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria übermittelt. Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

1.3.1. Politische Lage:

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teil-staaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

•        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

•        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a47858131, Zugriff 9.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng. com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

1.3.2. Sicherheitslage:

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigerianode/nigeriasicherheit/205788#content_5,16.4.2020

•        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

•        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/ nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

•        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in -zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)

•        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police -unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

•        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020

1.3.2.1. Nigerdelta:

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2019).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar’Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Es kam zur Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur (AA 16.1.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2019). Das Amnestieprogramm ist bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein „Waffenstillstand“ zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu „erkaufen“ und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 16.1.2020).

Die Lage bleibt aber sehr fragil, da weiterhin kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 16.1.2020). Angriffe auf Erdöleinrichtungen stellen weiterhin eine Bedrohung für die Stabilität und die Erdölproduktion dar (ACCORD 17.4.2020). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas, darunter Abia, Akwa, Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 2.2019).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 16.1.2020).

Das Risiko von Entführungen ist hoch und besteht landesweit (AA 8.10.2020), so wurden auch im Jahr 2019 Zivilisten entführt um Lösegeld zu erhalten (USDOS 11.3.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (8.10.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigerianode/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 8.10.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.3. Rechtsschutz / Justizwesen:

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020; ÖB 10.2019). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 16.1.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2019). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 16.1.2020). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 11.3.2020).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 16.1.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law" oder „Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte" neben „Common Law"- und „Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2019).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; ÖB 10.2019; USDOS 11.3.2020). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Vor allem auf Bundesstaats-und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; USDOS 11.3.2020; ÖB 10.2019; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 4.3.2020).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 16.1.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 11.3.2020). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 16.1.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflicht-verteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 16.1.2020). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 16.1.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und - fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi .net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF, Zugriff 29.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.4. Sicherheitsbehörden:

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020).

Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019) . Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA16.1.2020).

Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.5. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:

Neben der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC) gibt es eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen, die sich grundsätzlich frei betätigen können (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Rund 42.000 nationale und internationale NGOs sind in Nigeria registriert; sie sind keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen (ÖB 10.2019). Die NGOs sind nach Art, Größe und Zielrichtung sehr unterschiedlich und reichen von landesweitverbreiteten Organisationen wie der CLO (Civil Liberties Organization), CD (Campaign for Democracy) und LEDAP (Legal Defense Aid Project), die sich in erster Linie in der Aufklärungsarbeit betätigen, über Organisationen, die sich vorrangig für die Rechte bestimmter ethnischer Gruppen einsetzen, und Frauenrechtsgruppen bis hin zu Gruppen, die vor allem konkrete Entwicklungsanliegen bestimmter Gemeinden vertreten. Auch kirchliche und andere religiös motivierte Gruppierungen sind in der Menschenrechtsarbeit aktiv. Das gilt auch für internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, die in Nigeria über Regionalvertreter verfügen (AA 16.1.2020). Die professionell tätigen Menschenrechtsorganisationen sind überwiegend in den Bundesstaaten des Nigerdeltas und im muslimisch dominierten Norden tätig (ÖB 10.2019). Trotz der Tatsache, dass die Anzahl der aktiven NGOs steigt, ist die Landschaft der freiwilligen Organisationen noch immer mager und geplagt von spärlichen operativen Ressourcen (BS 2020).

NGOs beobachten die Menschenrechtslage, untersuchen Vorfälle und veröffentlichen ihre Erkenntnisse. Regierungsvertreter reagieren vereinzelt auf Vorwürfe (ÖB 10.2019; vgl. US¬DOS 11.3.2020). Generell werden Vorwürfe jedoch rasch und ohne Ermittlungen zurückgewiesen. In manchen Fällen bedrohte das Militär NGOs und humanitäre Organisationen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.6. Allgemeine Menschenrechtslage:

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei" ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localZ2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.7. Haftbedingungen:

Die Gefängnisse in Nigeria sind geprägt von Überbelegung (AI 8.4.2020; vgl. AA 16.1.2020; USDOS 113.2020). Die Haftbedingungen in den mangelhaft ausgestatteten und zum großen Teil noch aus der Kolonialzeit stammenden Gefängnissen sind äußerst schlecht (AA 16.1.2020), hart und lebensbedrohlich. Die Gefangenen, von denen viele noch gar nicht verurteilt wurden (etwa 68 Prozent laut USDOS (USDOS 11.3.2020) und 70 Prozent laut Amnesty (AI 8.4.2020) Untersuchungshäftlinge), sind Folter, Nahrungs- und Wasserengpässen, inadäquater medizinischer Versorgung sowie unangemessenen sanitären Bedingungen ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Aufgrund dieser Verhältnisse kommt es auch zu Todesfällen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 16.1.2020). Die Versorgung der Gefangenen mit Nahrungsmitteln und Medikamenten muss über Angehörige und karitative Einrichtungen sichergestellt werden (AA 16.1.2020). Das schlecht bezahlte Gefängnis- und Wachpersonal nutzt seine Stellung aus, um von den Gefangenen Geld zu erpressen. Zumindest in einigen Gefängnissen sind Männer, Frauen und Minderjährige zusammen inhaftiert (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Weibliche Gefangene sind der Gefahr einer Vergewaltigung ausgesetzt (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung inhaftiert verdächtige Kämpfer oft außerhalb des offiziellen Gefängnissystems. Es gibt weiterhin einige inoffizielle Militärgefängnisse (USDOS 11.3.2020). Im August 2019 verabschiedete die Regierung ein Gesetz zur Reform des Gefängniswesens und benannte die Nigerian Prison Services in „Nigerian Correctional Services (NCS)“ um. Es gibt nur eine eingeschränkte Möglichkeit zur unabhängigen Überprüfung von Gefängnissen durch Beobachter. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) hat Zugang zu polizeilichen Haftanstalten und Einrichtungen des NCS sowie einigen militärischen Haftanstalten (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AI - Amnesty International (8.4.2020): Human Rights in Africa: Review of 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2028284.html, Zugriff 18.5.2020

•        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.8. Bewegungsfreiheit:

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 3.2020d).

Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis 4 Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localy2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020d): Nigeria-Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/, Zugriff 5.10.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Intemal_relocation.PDF, Zugriff 29.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

•        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/co ronavirus-info-nigeria.html, Zugriff 13.10.2020

1.3.9. Meldewesen:

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nig

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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