Entscheidungsdatum
01.03.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W268 2224928-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris Gachowetz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Jemen, gegen den Bescheid vom 26.09.2019, Zl. XXXX , des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Jemen zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 02.03.2022 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge: BF), ein Staatsangehöriger von Jemen, reiste am 26.05.2019 rechtmäßig mit einem Visum in das Bundesgebiet ein. Am 12.08.2019 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei seiner Erstbefragung am 12.08.2019 brachte der BF zu seinen Fluchtgründen vor, dass er als Chef einer Oppositionspartei von der ehemaligen Regierung verfolgt werde. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er seinen Tod.
3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA) am 12.09.2019 brachte der BF unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch zusammenfassend vor, dass er im Jemen geboren wurde, der Volksgruppe der Araber angehöre und muslimischen Glaubens sei. Er sei Gründungsmitglied und Generalsekretär der XXXX , einer friedlichen oppositionellen Bewegung. Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er an, dass er verheiratet sei. Er sei aufgrund einer in Österreich abgehaltenen internationalen Konferenz der Atombehörde in das Bundesgebiet gereist. An dieser habe er teilgenommen und anschließend um Asyl angesucht. Seine Frau halte sich weiterhin im Familienhaus in XXXX , im Jemen, auf.
4. Zu seinem Fluchtgrund gab der BF an, dass er aufgrund seiner politischen Tätigkeit persönlichen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen und mehrmals mit dem Umbringen bedroht worden sei. So sei er mit Fahrzeugen bis zu seiner Wohnadresse verfolgt worden, in seinem Büro in der Universität von den Huthis mit Waffen bedroht worden und habe telefonische anonyme Drohungen erhalten. Dies habe Anfang 2018 stattgefunden. Im Mai 2018 habe er seinen Wohnsitz in Sanaa verlassen und sei in seinen Geburtsort, XXXX in XXXX , zurückgekehrt, wo er als stellvertretender Direktor an der Universität XXXX gearbeitet habe. Dort habe er keine Drohungen erhalten. Er habe dann einen Freund, der auch bei der Atombehörde war und in Europa lebt, gebeten, ihm eine Einladung zu schicken. Er habe ihm dann Anfang 2019 eine Einladung geschickt und der BF sei am 10.05.2019 vom Flughafen XXXX im Jemen nach Kairo geflogen.
5. Mit Bescheid des BFA vom 26.09.2019 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ebenso hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Jemen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.). Ferner wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Jemen gemäß § 46 zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise innerhalb von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgesetzt.
Begründend führte das BFA im Wesentlichen die lediglich vagen und widersprüchlichen und somit unglaubwürdigen Behauptungen des BF zu den Fluchtgründen an.
6. Mit Verfahrensanordnung vom 26.09.2019 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
7. Mit Schriftsatz vom 18.10.2019 hat der BF Beschwerde gegen den nun angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften, erhoben. Insbesondere weise der Bescheid Ermittlungslücken auf und wäre die prekäre Sicherheitslage im Jemen nicht ausreichend behandelt worden. So seien die herangezogenen Länderfeststellungen veraltet und hätte die Behörde auch nur mangelhafte Ermittlungen im Hinblick auf angebotenen Beweismittel durchgeführt, indem ein zur Verfügung gestellter Datenträger (Video) nicht als weitere Grundlage für die Entscheidung herangezogen worden sei. In Anbetracht der Tätigkeit des BF als Obmann der Partei und als Universitätsdirektor bzw. Vizerektor sei es sehr wahrscheinlich, dass der BF mangels Zusammenarbeit mit den Huthi-Milizen gefährlichen Situationen ausgesetzt gewesen sei. Der Glaubwürdigkeit des BF stehe es auch nicht entgegen, dass er fähig gewesen sei, das Land mehrmals auch nach der Machtübernahme durch die Huthi-Miliz zu verlassen. Die Behörde habe unterlassen, auszuführen, wieso eine Reiseerlaubnis es ausschließe, dass eine Person im Inland bedroht und eingeschüchtert werde. Schließlich stehe dem BF auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu, zumal sich die Lage im Yemen im Jahr 2018 weiter verschlechtert habe.
8. Die Beschwerdevorlage langte am 30.10.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
9. In der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2020 wurde der BF vor dem Bundesverwaltungsgericht erneut zu seinen persönlichen Umständen sowie seinen Fluchtgründen befragt.
10. Mit Schriftsatz vom 21.12.2020 wurde eine Stellungnahme zur mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebracht. In dieser wurde neuerlich auf das Fluchtvorbringen des BF verwiesen und zudem aus den Länderberichten zitiert, aus welchen sich ergebe, dass die Sicherheitslage im Jemen weiterhin äußerst prekär sei. Aus den aktuellen Berichten ergebe sich ein Bild, welches sich mit den Schilderungen des BF decke. Der BF sei zum Feind jener Parteien geworden, welche von der Destabilisierung seines Landes profitieren würden. Dass es dem BF möglich gewesen sei, fünf Monate lange in XXXX zu bleiben, lasse sich damit erklären, dass er das Haus kaum verlassen und keine Auftritte in der Öffentlichkeit wahrgenommen habe. Er habe das Haus nur verlassen, wenn das unvermeidlich gewesen sei. Die mediale Präsenz des BF würde weiters eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zulassen. Zum Beweis der medialen Präsenz des BF würden zwei Videos in Form eines USB-Sticks an das zuständige Gericht nachgereicht werden. Bei den Videos handle es sich um jene Videos, auf die bereits in der mündlichen Beschwerdeverhandlung in Form der Dokumentenvorlage Bezug genommen worden sei. In Folge wurden noch zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zitiert, in welchen zugunsten der Beschwerdeführer aufgrund von Verfolgung aufgrund von politischer Gesinnung entschieden worden sei. Des weiteren wurde auf die prekäre Sicherheits- und Versorgungslage in ganz Jemen verwiesen, aufgrund welcher dem BF zumindest subsidiärer Schutz hätte gewährt werden müssen. Der Stellungnahme beigelegt wurde der erwähnte USB-Stick.
11. Hinsichtlich des Verfahrensinhaltes sowie des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF ist Staatsangehöriger von Jemen, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der BF wurde am XXXX in XXXX , im Jemen geboren. Er lebte dort bis zum Alter von 20 Jahren und ging danach zum Studium nach Sanaa, wo er bis zum Jahr 2018 lebte. Das letzte Jahr vor seiner Ausreise lebte er wieder in seinem Heimatort XXXX .
Der BF ist verheiratet, hat jedoch keine Kinder und lebte bis zu seiner Ausreise am 10.05.2019 in Richtung Ägypten mit seiner Gattin in seinem Heimatstaat.
Der BF genoss im Jemen eine zwölfjährige Schulausbildung sowie eine akademische Ausbildung in den Studienlehrgängen Rechtswissenschaften und Lehramt Englisch und hat einen Magister in Atomsicherheit abgeschlossen. Zudem absolvierte er ein Doktoratsstudium der Rechtswissenschaften in Kuba. Zuletzt war der BF Dekan der Universität in Sanaa sowie kurzfristig Vizedekan der Universität in XXXX .
Der BF stammt aus einer wohlhabenden Familie, die ihren Unterhalt durch einen Lebensmittelladen und der Vermittlung von Gasflaschen bestreitet. Der BF verfügt über ein Familienhaus im Jemen, ein Fahrzeug sowie Ersparnisse.
Der BF ist Gründungsmitglied der XXXX und war bis zu seiner Ausreise Obmann der Partei. Mittlerweile wurde die Partei jedoch von jemand anderem übernommen.
Der BF ist in den letzten zehn Jahren 19 Mal in das österreichische Bundesgebiet mittels Visum eingereist. Es leben keine Familienangehörigen des BF in Österreich. Der BF lebte die ersten Monate nach seiner Einreise von seinen Eigenmitteln, nunmehr wohnt er in einem Asylheim und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Während seines Aufenthalts in Österreich absolvierte der BF einen Deutschkurs auf Niveau A2. Der BF könnte sich bei einer Rückkehr aufgrund bestehender Besitztümer und Eigenmittel selbst versorgen und findet dort familiäre und soziale Beziehungen vor.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen konnte nicht festgestellt werden. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass der BF aufgrund seiner politischen Tätigkeit mit den Huthis in Konflikt geraten ist und durch diese bedroht wurde.
1.3. Der BF ist im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten.
1.4. Zur relevanten Situation im Jemen wird festgestellt wie folgt:
Politische Lage
Die Republik Jemen bezeichnet sich in ihrer am 15./16. Mai 1991 in einer Volksabstimmung angenommenen Verfassung (geändert am 28. September 1994) als unabhängigen, arabischen, islamischen und republikanischen Staat. Staatsreligion ist der Islam (GIZ 10.2019). Die innere Lage des Landes wird immer noch durch die geteilten historischen Erfahrungen geprägt: einerseits britische Kolonialherrschaft und danach sozialistische Einflüsse im Süden, andererseits konservative muslimische Herrschaft und Stammesgesellschaft im Norden. 1990 vereinigten sich beide Staaten; der Nordjemen war die dominierende Kraft (DW 30.1.2018). Die gravierenden ökonomischen, sozialen und politischen Differenzen zwischen beiden Landesteilen sind jedoch nicht überwunden (GIZ 10.2019). Die politischen Herausforderungen für Jemen bestanden bereits vor Ausbruch des andauernden bewaffneten Konflikts im Jahr 2014. 2004 begann in der nordjemenitischen Provinz Saada der Huthi-Aufstand, ab 2007 erstarkte die sezessionistische Bewegung im Süden des Landes. Beide Gruppen begehren gegen die Marginalisierung ihrer jeweiligen Region auf. Zusätzlich bereitete sich spätestens seit 2009 das internationale islamistische Terrornetzwerk Al-Qaida im Jemen immer weiter aus. 2011 kam es landesweit zu Massenprotesten, in denen die Demonstranten das Ende des Saleh-Regimes und einen demokratischen Wandel forderten. Gleichzeitig traten jedoch Kämpfe innerhalb der Machtelite zutage (BPB 18.10.2011).
(Ex-)Präsident Ali Abdullah Saleh bekämpfte während seiner Amtszeit den mutmaßlich durch den Iran unterstützten Huthi-Aufstand. 2011 trat er nach langen Verhandlungen und unter Zugeständnissen zu seinen Gunsten wie dem Erlangen von strafrechtlicher Immunität für seine Rolle bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen die Regierung zugunsten seines damaligen Vizepräsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi zurück, der 2012 von den Wählern interimistisch im Amt bestätigt wurde. Ein Konsens für die Neuordnung des politischen Systems wurde zwar begonnen, dann aber vom Huthi-Aufstand und dem bewaffneten Konflikt zum Erliegen gebracht. Hadis Regierung ist zwar international anerkannt, sie kontrolliert jedoch nicht das ganze Territorium und hat kein klares Mandat (FH 4.2.2019; vgl. Der Standard 4.12.2017).
Es gibt im Jemen keine funktionierende Zentralregierung, und staatliche Institutionen, die noch funktionieren, werden durch nicht-gewählte Beamte oder bewaffnete Gruppierungen kontrolliert (FH 4.2.2019). Das gewählte (und somit legitime) Parlament besteht laut derzeitiger Verfassung aus einer Kammer mit 301 Abgeordneten, die für sechs Jahre gewählt werden (GIZ 10.2019). Am 13. April 2019 wurde Sultan al-Barakani zum Parlamentspräsidenten gewählt, nachdem das Parlament erstmals seit Ausbruch des Konflikts 2015 wieder zusammengetreten war. Zahlreiche Abgeordnete halten sich derzeit im Ausland auf (AA 12.8.2019). Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind viele Jahre überfällig, und keiner Seite gelang es während des Krieges, genug Territorium zu kontrollieren, um etwaige Wahlen abzuhalten. Parlamentswahlen wurden zuletzt am 27. April 2003 abgehalten, und hätten eigentlich 2009 wieder durchgeführt werden sollen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2012 gab es nur einen Kandidaten. Im Kontext des Bürgerkriegs wird die politische Opposition unterdrückt. Normale politische Aktivität wird durch die Präsenz mehrerer bewaffneter Gruppen im Jemen verhindert, darunter Huthi-Rebellen, sunnitische Extremisten, südjemenitische Separatisten, ausländische Truppen der von Saudi-Arabien angeführten Koalition, Truppen der Hadi-Regierung und lokale Milizen (FH 4.2.2019).
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage ist im ganzen Land ausgesprochen volatil. Die Sicherheit kann durch staatliche Behörden nicht gewährleistet werden. Der bewaffnete Konflikt zwischen Huthi-Rebellen aus dem Nordwesten des Landes und der Regierung und ihren Unterstützern, darunter die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition, dauert weiter an (AA 28.8.2019). Daneben ist auch der südjemenitische, von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützte Southern Transitional Council (STC) ein zentraler bewaffneter Akteur. Sowohl STC als auch die Kräfte, die hinter der Regierung stehen, kämpfen gegen die Huthi. Sie bekämpfen sich jedoch auch untereinander, was die Spannungen zwischen Abu Dhabi und Riyadh verdeutlicht (ICG 16.10.2019). Im Chaos des Krieges zwischen Hadi-Regierung und Huthi erstarkten außerdem AlQaida auf der Arabischen Halbinsel, der „Islamische Staat“ und andere bewaffnete Gruppierungen (Al Jazeera 2.8.2019; vgl. The Guardian 1.10.2019). Die fortdauernden Kampfhandlungen stellen für die Zivilbevölkerung weiterhin eine erhebliche Gefährdung dar. Die staatlichen Institutionen sind landesweit nur noch sehr eingeschränkt funktionsfähig. Bereits im September 2014 hatten Huthi-Milizen die Kontrolle über weite Landesteile, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, übernommen und auch Teile der Sicherheitskräfte unter ihre Kontrolle gebracht. Die staatlichen Sicherheitsorgane sind nur bedingt funktionsfähig und können im Einzelfall keinen ausreichenden Schutz garantieren. Die Spannungen zwischen Nord- und Südjemen und die zunehmende Fragmentierung des Landes tragen zur Instabilität des Landes bei (AA 28.8.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen im Konflikt seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden 2019 circa 1,100 getötete Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die Luftschläge der saudisch-geführten Koalition und die Angriffe der Huthis unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Militärpersonen. Bei einem saudischen Luftangriff im August 2018 wurde beispielsweise ein Schulbus in Saada getroffen und 40 Kinder getötet (FH 4.2.2019). Ab Juni 2018 war die Hafenstadt Hodeidah von starken Kämpfen betroffen. Im Dezember 2018 vermittelte die UN ein Abkommen („Stockholm-Abkommen“), das die Demilitarisierung Hodeidahs vorsah. Die Umsetzung gestaltete sich jedoch schwierig. So brachen dort z.B. gleich nach Unterzeichnung des Abkommens, so wie auch im Mai 2019 erneut Kämpfe aus. Gleichzeitig intensivierten die Huthi ihre Angriffe auf saudisches Territorium, und auch die saudischen Luftangriffe verstärkten sich in den letzten Monaten [Mai bis Juli 2019] (ICG 18.7.2019; vgl. The Guardian 15.5.2019; vgl. FH 4.2.2019). Anfang August 2019 kam es in der Hafenstadt Aden zu schweren Gefechten zwischen südjemenitischen Separatisten und gegenüber der Hadi-Regierung loyalen Truppen. Weite Teile des Landes sind von täglichen Bombardierungen, Raketenangriffen und Kampfhandlungen am Boden betroffen (AA 28.8.2019). Im August nahmen die Separatisten Aden ein (BBC 11.8.2019). Im September erklärten die Huthis einen unilateralen Waffenstillstand; die saudischen Luftangriffe haben seitdem zumindest abgenommen (Al Jazeera 24.9.2019; vgl. ICG 10.2019). Im Oktober 2019 kam es Berichten zufolge in den Gouvernements Abyan und Shebwa zu sporadischen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Separatisten des STC. Saudische Kräfte übernahmen schrittweise die Kontrolle über Aden, und die Kräfte der VAE zogen sich zurück (ICG 10.2019; vgl. ACLED 5.11.2019). Am 5. November 2019 wurde das „Riyad-Abkommen“ unterzeichnet, nachdem die Unterzeichnung wegen Eskalation der Kämpfe in Abyan am 31. Oktober verschoben worden war. Das Abkommen zwischen den Separatisten im Südjemen und der Hadi-Regierung soll eine Machtteilung bringen. Die Kämpfe im Gouvernement Abyan gehen weiter. Luftangriffe der saudisch-geführten Militärkoalition in den Gouvernements Hajjah und Sadah, sowie in geringerem Maße in Sanaa, halten an (ACLED 5.11.2019). Die politische Instabilität im Jemen führt dazu, dass der Fluss an Waffen und Munition in die Region nicht kontrolliert werden kann (USDOS 1.11.2019). Im ganzen Land leiden Zivilisten an einem Mangel an grundlegenden Dienstleistungen, an der sich verschlimmernden Wirtschaftskrise, sowie am Nicht-Funktionieren der Verwaltung, des Gesundheits-, Bildungs- und Justizsystems (HRW 17.1.2019). In Jemen herrscht laut UN die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen auf humanitäre Hilfe angewiesen. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über 3 Millionen Menschen (AA 12.8.2019).
Huthi (Harakat Ansar Allah)
Die Huthi - offiziell bekannt als Harakat Ansar Allah (wörtl. „Bewegung der Helfer Gottes“) - sind eine vom Iran unterstützte, schiitisch-muslimische militärische und politische Bewegung. Ihre Mitglieder, die sich der Minderheit der Zaiditen des schiitischen Islam zugehörig fühlen, setzen sich für die regionale Autonomie der Zaiditen im Nordjemen ein [siehe auch Abschnitt 12.1. Religiöse Gruppe: Zaiditen]. Die Gruppe hat seit 2004 eine Reihe blutiger Aufstände gegen die jemenitische Regierung ausgeführt, die zu einem Sturz des Regimes Anfang 2015 geführt haben. Die Huthi-Bewegung begann als Versuch, die Autonomie der Stämme im Nordjemen aufrechtzuerhalten und gegen den westlichen Einfluss im Nahen Osten zu protestieren. Heute streben die Huthi eine größere Rolle in der jemenitischen Regierung an und setzen sich weiterhin für die Interessen der zaiditischen Minderheit ein. Die Huthi sind für ihre heftige anti-amerikanische und antisemitische Rhetorik bekannt (CEP 2019). Sie sind außerdem durch die von ihnen so wahrgenommene wirtschaftliche Diskriminierung während der Saleh-Herrschaft motiviert (DW 1.10.2019). Die Ziele der Huthi umfassen auch Entschädigungen für die Schäden während der Saada-Kriege [Anm.: Kriege zwischen Huthi und Regierung im Gouvernement Saada zwischen 2004 und 2010], die Interessensvertretung [der Zaiditen] innerhalb der Zentralregierung, und die Garantie, dass die Gruppe vor zukünftiger politischer und wirtschaftlicher Marginalisierung geschützt wird. Nicht alle Zaiditen im Jemen identifizieren sich mit der Huthi-Bewegung (CT 2019). Die Huthi-Bewegung besteht heute aus verschiedenen militärischen Kräften, darunter auch circa 60 Prozent ehemalige Angehörige der jemenitischen Armee unter Ex-Präsident Saleh. Schätzungen zufolge sollen die Huthi militärisch 180.000 bis 200.000 Mann stark sein und über verschiedene Waffensysteme verfügen (DW 1.10.2019). In den nördlichen Gebieten, die traditionell unter zaiditischer Kontrolle standen, gibt es Berichte über fortgesetzte Bemühungen der Huthi, ihre religiösen Bräuche auch Nicht-Zaiditen aufzuzwingen, unter anderem durch ein Musikverbot und die Forderung, dass Frauen eine Voll-Verschleierung tragen müssen (USDOS 21.6.2019). Bewaffnete Huthi-Kräfte nahmen häufig Geiseln und begingen andere ernsthafte Missbräuche an Personen, die sich in ihrem Gewahrsam befinden (HRW 25.9.2018).
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der Islamische Staat im Jemen (IS-Y)
Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (eng. abk.: AQAP) ist ein Zusammenschluss von Al-Qaida-Kämpfern in Saudi-Arabien und der früheren Al-Qaida im Jemen (CISAC 7.2015). AQAP ist im gesamten Jemen vor allem in den südlichen und zentralen Regionen des Landes tätig. In vielen dieser Provinzen regiert AQAP über kleinere Gebiete mit Sharia-Gerichten und einer schwer bewaffneten Miliz. AQAP versucht die jemenitische Bevölkerung anzusprechen, indem sie die Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedigt, sich in die lokale Bevölkerung integriert, auch durch die Anpassung an lokale Regierungsstrukturen. Als formaler Bestandteil der Al-Qaida stehen die Ideologie und Praktiken der AQAP im Einklang mit den weiter gefassten Zielen der Al-Qaida, nämlich auf eine globale islamistische Herrschaft hinzuarbeiten (CEP 4.1.2017; vgl. CH 9.2019). AQAP nutzte die Wirren von 2015, um weite Teile der Provinzen Abyan, Shabwa und Hadramaut einzunehmen und zu kontrollieren. Gemeinsam mit verbündeten Stämmen eroberte sie Anfang April 2015 Mukalla — mit 300.000 Einwohnern die fünftgrößte Stadt des Landes und Hauptstadt der südöstlichen Provinz Hadramaut — und erbeutete große Waffenarsenale und viel Geld. Außerdem übernahm AQAP dort zusammen mit ihren Alliierten die Verwaltung. Truppen der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und deren lokale Verbündete eroberten die Stadt im April 2016 zurück (SWP 7.2017; vgl. CH 9.2019). Bis 2016 kontrollierte AQAP größere Gebiete im Jemen, in den beiden darauffolgenden Jahren erlitt AQAP Gebietsverluste (HRW 17.1.2019; vgl. Jamestown 5.4.2019). Sowohl AQAP als auch der sog. Islamische Staat Yemen (IS-Y) profitieren weiterhin vom Konflikt mit den Huthi, indem sie von anderen Einheiten der Anti-Huthi-Koalition nicht als Feind betrachtet werden und das Sicherheitsvakuum in großen Teilen des Landes ausnutzen (USDOS 1.11.2019). Sowohl AQAP als auch IS-Y bekannten sich im Jahr 2018 zu Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen (HRW 17.1.2019). 2018 wurden Operationen zur Terrorismusbekämpfung, vor allem durch von den VAE unterstützten Kräften, gegen AQAP durchgeführt, und zwar in den Gouvernements Abyan, Shabwa und Hadramaut. Der IS-Y ist bezüglich Mitgliederanzahl und Einfluss deutlich kleiner als AQAP. IS-Y ist jedoch weiterhin aktiv und führt Angriffe gegen AQAP, jemenitische Sicherheitskräfte und Huthi durch (USDOS 1.11.2019). Eine der aktivsten Gruppen des IS-Y soll es mit Stand September 2018 in Al-Bayda geben, genauso wie eine der aktivsten Gruppen von AQAP (Jamestown 5.4.2019). Im Juli 2018 kam es zu heftigeren Zusammenstößen zwischen AQAP und IS-Y, was die Rivalität zwischen Al-Qaida und IS allgemein zeigt (Jamestown 21.9.2018). Es wird berichtet, dass AQAP und IS-Y im Sommer 2019 das Machtvakuum im Süden des Landes ausnutzten und Angriffe gegen Truppen der Hadi-Regierung sowie des Southern Transitional Council (STC) in Aden, Abyan und Al-Bayda durchführten (ACAPS 8.2019).
Bewegung des Südens (Al Hirak), Southern Transitional Council (STC)
Die Bewegung des Südens, auch bekannt als „al Hirak“ oder „al Harakat al Janubiyya“, begann ihre Aktivitäten 2007 auf dem Gebiet der ehemaligen Demokratischen Volksrepublik Jemen. Sie war nie eine einheitliche Gruppierung. Es handelte sich mehr um eine lose Vereinigung von Kräften, deren Forderungskatalog von mehr Mitspracherecht für die Bevölkerung des Südens bis hin zur abermaligen Abspaltung und Unabhängigkeit vom Norden reicht. Die Bewegung begann mit Reparationsforderungen nach der Zerstörung des südlichen Jemen während des Bürgerkriegs 1994. Die Mitgliedergruppen unterscheiden sich in ihrem Charakter von politisch bis militant. Die Bewegung hat seit den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 starken Zulauf (GIZ 10.2019; vgl. CT 2017). Die Unterstützung des Southern Movement speist sich u.a. aus der Enttäuschung über die politische und wirtschaftliche Marginalisierung des südlichen Jemens nach der Einigung der beiden Landesteile 1990. Das Southern Movement ist in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer des 2017 gegründeten Southern Transitional Coucil (STC) (Jamestown 10.9.2019). Zu Beginn des Konflikts waren es aber eher lose organisierte südjemenitische Milizen, die die Huthi-Rebellen und die Truppen der Hadi-Regierung aus ihren Gebieten im Süden vertrieben. Dabei wurden sie militärisch von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt (CH 3.2018). Ab 2015 schlossen sich die bewaffneten Truppen des Southern Movement der Anti-Huthi-Koalition der Hadi-Regierung an. Im April 2017 kam es zu zunehmenden Spannungen in Aden, da Hadi den Bürgermeister der Stadt aus seinem Amt entließ. Nach Massenprotesten als Reaktion auf die Entlassung wurde der Southern Transitional Council (STC) mit Unterstützung durch die VAE gegründet. Der STC tritt für die Unabhängigkeit des Südjemens ein (Al Jazeera 20.9.2019). Im Jänner 2018 brachen Kämpfe zwischen Regierungskräften und von den VAE unterstützten südjemenitischen Kräften in Aden aus (HRW 17.1.2019). Im August 2019 eroberten südjemenitische separatistische Kräfte nach tagelangen Kämpfen erneut den Regierungssitz von Präsident Hadi in Aden. Die Kämpfe offenbarten Risse innerhalb der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition gegen die Huthi (Der Standard 25.10.2019). Am 5.11.2019 einigten sich südjemenitische Separatisten und die Hadi-Regierung im Rahmen des „Riyadh-Abkommens“ auf eine Machtteilung (Der Standard 12.11.2019) [siehe Abschnitt 2. Politische Lage]. Der Süden des Jemens ist, entgegen häufiger Annahmen, kein homogener Raum. Nicht alle Südjemeniten unterstützen den STC, und nicht alle unterstützen das Southern Movement. Einige Personen, die seit Kriegsbeginn immer prominenter wurden, waren in der Bewegung vor dem Krieg keine wichtigen Figuren (CH 3.2018; vgl. Jamestown 10.9.2019). Außerhalb von Aden gibt es kleinere separatistische Bewegungen in den südlichen Provinzen, die die Forderung des STC nach der Wiederherstellung der Republik Südjemen mittels Gewalt ablehnen (Al Jazeera 20.9.2019).
Rechtsschutz/Justizwesen
Im Jemen gibt es keine funktionierende Zentralregierung, und alle staatlichen Institutionen, die noch intakt sind, werden von nicht gewählten Beamten oder bewaffneten Gruppen kontrolliert. Das Justizwesen ist nominell unabhängig, jedoch anfällig für Beeinflussung durch politische Fraktionen. Die Behörden haben eine schlechte Bilanz, was die Durchsetzung von juristischen Urteilen angeht, besonders wenn es sich um Verurteilungen von Stammesführern oder bekannten politischen Personen handelt. Durch das Fehlen eines effektiven Gerichtswesens greift die Bevölkerung häufig auf stammesrechtliche Formen von Justiz oder Gewohnheitsrecht zurück, besonders seit der Einfluss der Regierung schwächer wird (FH 4.2.2019). Unter Kontrolle der Huthi ist die Justiz schwach und durch Korruption, politische Einmischung, gelegentliche Bestechung und mangelnde juristische Ausbildungen beeinträchtigt. Die mangelnde Kapazität der Regierung und die teilweise mangelnde Durchsetzungsbereitschaft der Gerichte, insbesondere außerhalb der Städte, haben die Glaubwürdigkeit der Justiz weiter untergraben. Kriminelle bedrohen und schikanieren Angehörige der Justiz, um den Ausgang von Verfahren zu beeinflussen (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Verhaftungen sind üblich. In den letzten Jahren wurden hunderte solcher Fälle dokumentiert. In vielen Fällen kommt es zu gewaltsamem Verschwindenlassen. Gefangene werden oft in inoffiziellen Haftanstalten untergebracht. Es gibt unzählige Berichte über politische Gefangene (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).
Vor dem Gesetz sind Angeklagte unschuldig bis ihre Schuld bewiesen ist. Gerichtsverhandlungen sind im Allgemeinen öffentlich, aber Gerichte können aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit oder Moral“ geschlossene Verhandlungen abhalten. Richter nehmen aktiv an der Befragung der Zeugen und des Angeklagten teil und urteilen über Kriminalfälle. Angeklagte haben das Recht bei ihrer Gerichtsverhandlung anwesend zu sein und sich mit einem Anwalt zu beraten. Der Angeklagte kann Zeugen, die gegen ihn aussagen, befragen und konfrontieren und zu seiner eigenen Verteidigung Zeugen oder Beweise vorbringen. Die Regierung muss laut Gesetz in schweren Kriminalfällen einen Anwalt für mittellose Angeklagte zur Verfügung stellen, wobei dies in der Vergangenheit nicht immer geschehen ist. Grundsätzlich haben Angeklagte und deren Anwälte Zugang zu relevanten Beweisen und Anwälten wird ermöglicht, Klienten und Zeugen zu befragen sowie Beweise zu prüfen. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Angeklagte können weder zu einer Zeugenaussage noch zu einem Schuldgeständnis gezwungen werden. Es gibt außerdem ein spezielles Staatssicherheitsgericht, welches unter anderen Bedingungen arbeitet und Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt. Dieses Gericht garantiert den Angeklagten nicht dieselben Rechte wie die ordentlichen Gerichte. Anwälte bekommen oft nicht ausreichend Zugang zu den Anklagepunkten, Beweismitteln oder Gerichtsakten. Das Fehlen von Geburtsregistern erschwert die Altersfeststellung, woraufhin die Gerichte Jugendliche wie Erwachsene verurteilen, auch zum Tode.
Neben dem bestehenden Gerichtssystem gibt es ein Stammesrechtssystem für Fälle, die nicht unter das Strafrecht fallen [Anm. d.h. z.B. Familienrecht, etc.]. Stammesrichter, meist angesehene Scheichs, entscheiden jedoch auch oft in Kriminalfällen auf stammesrechtlicher Basis. Zu diesen Fällen kommt es gewöhnlich in Folge öffentlicher Beschuldigungen, nicht in Folge von formell eingereichten Anklagepunkten. Stammes-Mediation betont oft den sozialen Zusammenhalt mehr als Bestrafung. Die Öffentlichkeit respektiert die Ergebnisse von Stammesprozessen oft mehr als das formelle Gerichtssystem, das von vielen als korrupt und nicht unabhängig angesehen wird (USDOS 13.3.2019).
Folter und unmenschliche Behandlung
Die Verfassung verbietet Folter und ähnliche andere Missbräuche. Es gibt Bestimmungen, dass Folter mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden kann, dem Gesetz mangelt es jedoch an einer umfassenden Definition von Folter (USDOS 13.3.2019). Huthi-Rebellen, die jemenitische Regierung, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und die von den VAE unterstützten jemenitischen Kräfte inhaftieren willkürlich Menschen, einschließlich Kinder, misshandeln Gefangene und halten sie unter schlechten Bedingungen fest, und lassen Menschen gewaltsam verschwinden, die als politische Gegner oder Sicherheitsbedrohungen wahrgenommen werden. Seit Ende 2014 wurden willkürliche und missbräuchliche Festnahmen durch Huthi-Rebellen und dem früheren Präsidenten Saleh gegenüber loyalen Kräften dokumentiert, genauso wie Fälle von Verschwindenlassen, Folter und andere unmenschliche Behandlung (HRW 17.1.2019). Im Jahr 2018 erhielt OHCHR weiterhin Informationen über die Misshandlung und Folter von Gefangenen der Politischen Sicherheitsorganisation (PSO), dem Nationalen Sicherheitsbüro (NSB), bei der Kriminalpolizei und in den Gefängnissen Habrah und al-Thawra in Sanaa, sowie anderen Einrichtungen unter Huthi-Kontrolle. Laut einer Interessenvertretung, die von Familien von Häftlingen getragen wird, starben seit 2014 126 Personen an Folter in der Haft durch die Huthi (USDOS 13.3.2019). Die Huthi nahmen auch Geiseln. Im südlichen Jemen wurden willkürliche Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen durch die VAE, Verbündete der VAE und jemenitische Regierungskräfte dokumentiert. 2018 kam die UN-Gruppe hochrangiger Experten für den Jemen zu dem Schluss, dass die Huthi-, jemenitischen, saudischen und VAE-Truppen glaubwürdig in den Missbrauch von Häftlingen verwickelt waren, der Kriegsverbrechen gleichkommen könnte (HRW 17.1.2019). In Gebieten, die im Einflussbereich der VAE im südlichen Jemen liegen, sollen Spezialeinheiten der VAE ein Netzwerk von Geheimgefängnissen und Haftanstalten betreiben, in denen Folter weit verbreitet sein soll (FH 4.2.2019). Die VAE gestehen aber keine Rolle im Missbrauch von Häftlingen ein und haben auch keine offensichtlichen Untersuchungen durchgeführt. Hochrangige Beamte, die in die Missbräuche verwickelt waren, haben weiterhin verantwortungsvolle Positionen im ganzen Land inne (HRW 17.1.2019; vgl. USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019). Human Rights Watch erhält weiterhin Informationen über die willkürliche und missbräuchliche Inhaftierung von Migranten und Asylbewerbern sowohl im Norden als auch im Süden des Landes (HRW 17.1.2019).
Korruption
Jemen wurde im 2018 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit 14 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) und belegt damit Platz 176 von insgesamt 180 (TI 2019). Das Gesetz sieht Strafen für amtliche Korruption vor, die Hadi-Regierung setzt dieses Gesetz jedoch nicht effektiv durch. Kleinere Fälle von Korruption kommen häufig und in fast allen Ämtern vor. Von Bewerbern für eine Stelle wird oft erwartet, dass sie sich ihre Stelle erkaufen. Zahlreiche Regierungsbeamte und öffentliche Bedienstete erhalten Bezahlungen für Tätigkeiten, die sie nicht ausführen, oder mehrere Gehälter für ein und dieselbe Arbeitsstelle. Korruption ist ein ernstes Problem in fast allen Bereichen und auf allen Ebenen der Regierung, besonders im Sicherheitssektor. Straflosigkeit für Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden ist ein Problem, da die Regierung nur begrenzte Kontrolle ausübt, und weil effektive Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung fehlen. Politiker und die meisten Regierungsbehörden unternehmen nichts, um gegen Korruption vorzugehen (USDOS 13.3.2019). Die Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierung war schon vor Kriegsausbruch im Jahr 2015 minimal, und das Netzwerk an Korruption und Vetternwirtschaft, das unter Saleh aufgebaut wurde, existiert weiterhin (FH 4.2.2019). Es gibt Berichte über Korruption an Checkpoints, die von Huthi-Milizen kontrolliert werden, was die rechtzeitige und effiziente Verteilung von Lebensmittelhilfen behindert, und die Nahrungsmittelunsicherheit somit noch verstärkt (USDOS 13.3.2019). Durch die Zerstörung der regulären Handelsbeziehungen während des bewaffneten Konflikts ist die Bedeutung des Schwarzmarkts angestiegen. Unter anderem wird Lebensmittelhilfe oft von Beamten aller Konfliktparteien gestohlen und am Schwarzmarkt weiterverkauft (FH 4.2.2019).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Bevölkerung im Jemen leidet weiterhin unter den Auswirkungen des bewaffneten Konflikts, an Gewalt sowie schweren Menschenrechtsverletzungen und Missbräuchen. Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, darunter politische Morde; Verschwindenlassen; Folter; willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; politische Gefangene; willkürliche Verletzungen der Rechte der Bürger auf Privatsphäre; erhebliche Eingriffe in die Meinungs-, Presse-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; die Tatsache, dass die Bürger ihre Regierung nicht durch freie und faire Wahlen wählen können; Korruption und der Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Hadi-Regierung unternimmt den Versuch, Menschenrechtsverletzungen durch Beamte zu verfolgen und bestrafen, wobei sie nicht alle Institutionen des Landes kontrolliert. Straffreiheit blieb jedoch ein weit verbreitetes Problem. Nicht-staatliche Akteure, darunter Huthis, Stammesmilizen, südjemenitische separatistische Gruppierungen, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und der IS begehen erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte (USDOS 13.3.2019). Huthi-Truppen nahmen Geiseln. Bewaffnete Kräfte in Aden verprügelten, vergewaltigten und folterten Migranten (HRW 17.1.2019). Der Krieg führte landesweit zu weit verbreiteter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Laut OHCHR wurden seit Konfliktbeginn bis November 2018 mehr als 6,800 Zivilisten getötet und mehr als 10,700 verletzt, die meisten davon durch Luftangriffe der von Saudi Arabien angeführten Koalition. Die wahren Opferzahlen dürften weit höher liegen. Tausende wurden durch die Kämpfe vertrieben, und Millionen Menschen sind von Engpässen in Nahrungsmittelversorgung und medizinischer Versorgung betroffen (HRW 17.1.2019). ACLED berichtet von mehr als 12,000 zivilen Todesfällen seit 2015. Insgesamt wurden seit 2015 mehr als 100,000 (militärische und zivile) Opfer gezählt. Bis Ende Oktober wurden im Jahr 2019 circa 1,100 tote Zivilisten verzeichnet. Die Gewalt konzentrierte sich 2019 auf die Gouvernements Taiz, Hodeidah und Al Jawf (ACLED 31.10.2019). Die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition führte zahlreiche wahllose und unverhältnismäßige Luftangriffe durch, unter anderem auf Wohnhäuser, Märkte, Schulen, Krankenhäuser und Moscheen, bei denen Tausende von Zivilisten getötet und zivile Objekte unter Verletzung des Völkerrechts beschossen bzw. zerstört wurden. Die Koalition setzte auch international verbotene Streumunition ein. Huthi-Truppen setzten verbotene Landminen ein, es kam zur Rekrutierung von Kindern, und es wurde mit Artillerie wahllos auf Städte gefeuert (HRW 17.1.2019; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl Beweise auf Völkerrechtsverletzungen durch die Konfliktparteien hindeuten, sind diese bis jetzt nicht adäquat zur Rechenschaft gezogen worden (HRW 17.1.2019). Alle Konfliktparteien verschlimmerten die humanitäre Katastrophe noch weiter, indem sie dringend benötigte Hilfslieferungen verzögerten bzw. verhinderten. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen wurden teils mit Gewalt in ihrer Arbeit behindert (HRW 17.1.2019). Laut UN OCHA waren Anfang 2019 nahezu 25 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Alle Konfliktparteien zerstörten Einrichtungen, die für das Überleben der jemenitischen Bevölkerung notwendig sind. Luftangriffe der Koalition zerstörten z.B. Ackerland, Bewässerungsanlagen und wichtige Hafeninfrastruktur. Auch medizinische Einrichtungen wurden beschädigt oder zerstört (HRC 3.9.2019). Im Jahr 2018 verschlechterte sich die humanitäre Lage aufgrund der andauernden Kämpfe weiter. 8,4 Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht, und 80 Prozent der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (USDOS 13.3.2019). Obwohl in der Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit vorgesehen ist, darf die Staatsführung nicht kritisiert werden. Die Huthi-Rebellen respektierten diese Rechte nicht, und die Hadi-Regierung konnte ihre Einhaltung nicht durchsetzen. Alle Konfliktparteien schränkten das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit ein (USDOS 13.3.2019). Journalisten und Aktivisten sind mit gewaltsamen Angriffen und Verschwindenlassen vonseiten aller Konfliktparteien konfrontiert (FH 4.2.2019; vgl. RoG 13.8.2019). Allen Bevölkerungsgruppen mangelt es unter den gegenwärtigen Bedingungen im Jemen an politischen Rechten. Reguläre politische Aktivität wird durch die Präsenz unzähliger bewaffneter Gruppen im Land verhindert. Der Handlungsspielraum für zivilgesellschaftliche Organisationen wurde in Folge des Krieges stark reduziert. Einige NGOs sind noch im Land aktiv, ihre Funktionsfähigkeit wird jedoch in der Praxis durch Einmischung durch bewaffnete Gruppierungen eingeschränkt. Seit 2015 unterdrücken die Huthi in den von ihnen kontrollierten Gebieten politischen Widerspruch brutal. 2018 gab es sowohl Proteste gegen die Huthi-Herrschaft, als auch gegen die Hadi-Regierung (FH 4.2.2019; vgl. HRW 17.1.2019).
Bewegungsfreiheit
Die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes wird durch Kampfhandlungen, Schäden an der Infrastruktur und durch Kontrollpunkte behindert, an denen verschiedene bewaffnete Gruppen Schikanen und Erpressungen verüben (FH 4.2.2019). Die Bewegungsfreiheit bleibt für alle im Land schwierig, obwohl das Gesetz die Bewegungsfreiheit im Inland, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung vorsieht. Seit 2016 ist der internationale Flughafen in der Hauptstadt Sanaa für den zivilen Luftverkehr geschlossen; eine Ausnahme gibt es nur für humanitäre Flüge der UN. Aus diesem Grund sind tausende Jemeniten von adäquater medizinischer Versorgung im Ausland abgeschnitten (USDOS 13.3.2019). Die Infrastruktur im Land hat unter den Kriegswirren erheblich gelitten. Sehr schlechte Straßenverhältnisse und Minen stellen neben der allgemeinen Lage zusätzlich große Gefahren im Straßenverkehr dar. Es gibt eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche Kontrollen durchführen. Überlandstraßen und Autobahnen wie auch Grenzübergänge sind zeitweise gesperrt (AA 28.8.2019). Beschädigte Straßen, Brücken und Infrastruktur beeinträchtigen auch die Lieferung von humanitärer Hilfe und kommerziellen Transporten (USDOS 13.3.2019). Die Implementierung von Programmen zur humanitären Hilfe war 2018 in den von den Huthi kontrollierten Gebieten erschwert, da diese das ganze Jahr über unvorhersehbare Einschränkungen wie Visabeschränkungen oder Kontrollpunkte beschlossen (USDOS 13.3.2019). Frauen genießen keine volle Bewegungsfreiheit, wenngleich die Einschränkungen lokal unterschiedlich sind (FH 4.2.2019). In der Vergangenheit mussten Frauen die Erlaubnis eines männlichen Vormunds, wie z.B. des Ehemannes, einholen, bevor sie einen Pass beantragen oder das Land verlassen konnten. Ein Ehemann oder ein männlicher Verwandter kann eine Frau an der Ausreise hindern, indem er den Namen der Frau auf eine "Flugverbotsliste" setzt, die auf Flughäfen geführt wird. Vor dem Konflikt haben die Behörden diese Vorschrift strikt durchgesetzt, wenn Frauen mit Kindern reisten. 2018 gab es keine Meldungen darüber, dass die Behörden diese Vorschrift durchgesetzt haben. Es gab jedoch Versuche von Huthi-Rebellen, ähnliche Beschränkungen für den internationalen Reiseverkehr von Frauen durchzusetzen. Angesichts der Verschlechterung der Infrastruktur und der konfliktbedingt mangelnden Sicherheit lehnen viele Frauen Berichten zufolge eine Reise ohne Begleitung ab (USDOS 13.3.2019).
IDPs und Flüchtlinge
Binnenflüchtlinge (IDPs): Im Oktober 2018 lebten im Jemen circa zwei Millionen Binnenvertriebene (IDPs), von denen 89 Prozent bereits mehr als ein Jahr auf der Flucht waren. Circa eine Million IDPs ist wieder in ihre Heimatorte zurückgekehrt (USDOS 13.3.2019). Viele Rückkehrer und IDPs leben in Gebieten, die schon vor Ausbruch des Konflikts von chronischen Problemen in den Bereichen Nahrungsmittelsicherheit, Wasser- und Gesundheitsversorgung betroffen waren. Durch den Konflikt verschlimmerte sich die Lage weiter (UNOCHA 12.2018). 2019 kamen die IDPs vor allem aus dem Norden und der Mitte des Landes. Laut IOM gab es in der ersten Jahreshälfte 2019 mehr als 270,000 Menschen, die erneut vertrieben wurden. Besonders betroffen sind die Gouvernements Hajjah, Dhalee und Hodeidah (PCY 6.2019). Andere Quellen sprechen von bis zu 3,6 Millionen IDPs seit März 2015, und 53,000 erneut binnenvertriebenen Familien seit Jänner 2019 (Al Jazeera 24.9.2019). Das System der Regierung für die Registrierung von IDPs funktioniert seit der Eskalation des Konflikts 2015 nicht mehr (USDOS 13.3.2019). Der Zugang humanitärer Organisationen zu IDPs ist aufgrund des anhaltenden Konflikts und der allgemeinen Sicherheitslage generell begrenzt und unvorhersehbar, es sind jedoch humanitäre Organisationen an mehreren Orten im ganzen Land präsent. Humanitäre Organisationen berichten, dass Konfliktparteien die Verteilung humanitärer Güter behindern. Die Ernährungsunsicherheit hat im ganzen Land deutlich zugenommen, und es gibt besonders unter IDPs und anderen gefährdeten Gruppen steigende Zahlen akuter Unterernährung (USDOS 13.3.2019). Neben Wasser und Nahrungsmitteln mangelt es in vielen IDP-Camps an Medikamenten (DW 26.2.2019). Laut UN gab es in der Hauptstadt Sanaa noch humanitäre Organisationen, lokale NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Menschen mit Nahrungsmitteln, Unterkünften und anderen Gütern versorgten. IDPs aus Sanaa berichten von eingeschränktem Zugang zu Bargeld, um grundlegende Haushaltsgüter zu erwerben (USDOS 13.3.2019). Im Sommer 2019 waren IDPs und die sie aufnehmenden Gemeinden in vielen Distrikten von Überschwemmungen betroffen, die Unterkünfte und kritische Infrastruktur zerstörten (ACAPS 8.2019). Laut IOM suchen die meisten IDPs Zuflucht bei Verwandten oder Freunden, oder sie mieten Unterkünfte, wobei vielen aufgrund verspäteter Mietzahlungen häufig mit Zwangsräumungen gedroht wird. Andere sind in unkonventionellen Unterkünften in öffentlichen oder privaten Gebäuden wie Schulen, Gesundheitseinrichtungen oder religiösen Gebäuden untergebracht, vor allem in Taizz und Lahj (USDOS 13.3.2019).
Grundversorgung
Jemen ist ein Land mit niedrigem Einkommen, das vor schwierigen langfristigen Herausforderungen bei der Stabilisierung und dem Wachstum seiner Wirtschaft steht. Der aktuelle Konflikt verschärfte diese Probleme weiter (CIA 5.11.2019). Von einer funktionierenden Volkswirtschaft kann deshalb zurzeit keine Rede sein (GIZ 10.2019). Im Jemen herrscht laut den Vereinten Nationen die größte humanitäre Krise weltweit. Sie hat sich seit Beginn des Jemen-Konflikts im März 2015 immer weiter zugespitzt. Von den 30 Millionen Einwohnern Jemens sind 24 Millionen – also 80 Prozent - auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die UN warnen vor einer akuten Hungersnot, die mehr als acht Millionen Menschen betreffen könnte. 20 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Viele sind ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die Zahl der Binnenvertriebenen liegt bei über drei Millionen Menschen (AA 12.8.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Rahmen der humanitären Krise kam es zum weltweit größten Ausbruch von Cholera, mit fast einer Million Fällen (CIA 5.11.2019).
Durch den anhaltenden Krieg wurden die jemenitischen Exporte ausgesetzt, die Inflation beschleunigt, die Importe von Lebensmitteln und Treibstoff stark eingeschränkt und die Infrastruktur weitgehend beschädigt (CIA 5.11.2019). Die Aktivitäten des privaten Sektors wurden durch den Wertverlust der Währung sowie die Schäden an öffentlicher Infrastruktur und im Finanzwesen stark beeinträchtigt. Schätzungen zufolge haben 40 Prozent der Haushalte ihre Haupteinkommensquelle verloren und Schwierigkeiten damit, die Mindestmenge an Nahrungsmitteln zu erwerben. Die Armut hat sich verschlimmert. Vor der Krise war circa die Hälfte der Bevölkerung betroffen, heute sollen es bis zu 78 Prozent der Jemeniten sein. Frauen sind noch stärker betroffen als Männer (WB 1.10.2019). Korruption und Vetternwirtschaft gehören seit Jahren zum Alltag, besonders im öffentlichen Sektor. Noch 2014 waren Erdöl und Erdgas die finanziellen Haupteinnahmequellen des Landes: Etwa 90% der Exporterlöse und 60% der Staatseinnahmen wurden davon bestritten. Die derzeitige Lage, verbunden mit permanenten Anschlägen auf Einrichtungen dieses Sektors haben zu einem starken Förderrückgang bis hin zu kompletten Produktionsausfällen geführt. Auch Exporte sind praktisch kaum noch möglich. Infolge heftiger militärischer Auseinandersetzungen in und um Aden sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Hafenanlagen stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Hafen ist deshalb nur begrenzt nutzbar (GIZ 10.2019). Der internationale Flughafen Sanaa ist seit August 2016 für den zivilen Luftverkehr geschlossen (NRC 5.8.2019).
Rückkehr
Im Jahr 2015 veröffentlichte UNHCR eine Stellungnahme, in der es heißt, dass die Bedingungen für eine Rückkehr in den Jemen nicht günstig sind (UNHCR 2015). Vor 2014 arbeitete die Übergangsregierung mit UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Binnenvertriebenen (IDPs), Flüchtlingen, Rückkehrern, Asylbewerbern, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Übernahme durch die Huthi und die Luftangriffe der saudisch-geführten Koalition machen es humanitären Organisationen jedoch aus Sicherheitsgründen schwer, viele Gebiete des Landes zu erreichen (USDOS 13.3.2019). Im Mai 2016 bestätigte die Internationale Organisation für Migration laut dem Nachrichtensender Al Jazeera, dass sie keine freiwillige Rückkehr in den Jemen organisiere, da das Land als nicht sicher gilt (AJ 20.5.2016). Aktuell führt IOM aufgrund der schwierigen Sicherheitslage keine Programme zur freiwilligen Rückkehr in den Jemen durch (IOM NL 18.3.2019; vgl. BAMF, IOM o.D.). Circa eine Million IDPs sind an ihre Heimatorte zurückgekehrt, vor allem nach Aden, Amanat Al Asimah, Taiz und Lahj. Sie haben Schwierigkeiten, in ihr normales Leben zurückzufinden, da ihr Besitz weitgehend zerstört wurde. Viele Rückkehrer und IDPs leben in Gebieten, die schon vor Ausbruch des Konflikts von chronischen Problemen in den Bereichen Nahrungsmittelsicherheit, Wasser- und Gesundheitsversorgung betroffen waren. Durch den Konflikt verschlimmerte sich die Lage weiter (UNOCHA 12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, die ergänzende Heranziehung aktueller länderkundlicher Informationen zur allgemeinen Lage im Jemen sowie die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.
2.2. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Jemen vom 16.12.2019 („LIB 2019“).
2.3. Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt. Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus den von ihm vorgelegten Personalausweisen.
2.4. Die Feststellungen zur persönlichen Situation in Österreich ergeben sich aus den Angaben des BF im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und BVwG sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.5. Die Feststellungen zu seiner Ausbildung, Berufstätigkeit sowie seinen Besitztümern und familiärem und sozialem Netzwerk im Jemen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung. So brachte der BF vor, dass sich seine Ehefrau und seine Verwandtschaft im Jemen aufhalten und diese über Grundstücke und Familienhäuser verfügen und einen Lebensmittelladen sowie einen Gashandel betreiben. (vgl. Seite 9f des Verhandlungsprotokolls).
2.6. Zum Fluchtvorbringen – Verfolgung aufgrund politischer Tätigkeit
Das Fluchtvorbringen konnte den Feststellungen nicht zugrunde gelegt werden, da die erkennende Richterin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund ihres persönlichen Eindrucks des BF davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt:
Befragt nach seinen Verfolgungsgründen im Jemen führte der BF an, aufgrund seiner politischen Tätigkeit als Generalsekretär und Obmann einer Oppositionspartei mehrmals mit dem Umbringen bedroht worden zu sein. So sei er von Fahrzeugen bis zu seiner Wohnadresse verfolgt worden und habe anonyme telefonische Drohungen erhalten. Als fluchtauslösendes Ereignis nannte er einen Vorfall, der sich Anfang 2018 an seiner Universität vorgetragen haben soll. Hierbei sollen Mitglieder der Huthis bewaffnet sein Büro gestürmt und gesagt haben, er hätte „bislang unsere Nachrichten nicht verstanden“ und müsse „den Weg mit uns gehen“. Er habe die Personen nicht persönlich gekannt, nahm aber an, dass diese von der Polizeistation gegenüber gekommen seien, da sie sich dort immer aufgehalten haben. Mit der Stürmung haben diese ihn einschüchtern wollen, Misshandlungen hätten zu keinem Zeitpunkt stattgefunden (vgl. AS 82 und S. 10 des Protokolls der mündlichen Verhandlung).
In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG brachte der BF ergänzend vor, dass seine Frau mehrmals telefonisch nach seinem Fernbleiben befragt worden sei und diese Fragen allmählich zu Drohungen geworden seien („sie würden mich ausschalten, egal ob ich einreise oder nicht und sie würden meine Frau ebenso ausschalten“). Die letzte Drohung habe dabei vor etwa zwei Monaten stattgefunden und sei damals tatsächlich ein Familienmitglied, nämlich der Ehemann seiner Cousine, umgebracht worden (vgl. Seite 9f des Verhandlungsprotokolls).
Die Angaben des BF gestalten sich im Allgemeinen jedoch zu wenig substantiiert, konkret und schlüssig, um von einer Glaubwürdigkeit des Fluchtgrundes auszugehen. Dies aus folgenden Gründen:
Bei der Beschreibung der Vorfälle machte der BF keine konkreten, detaillierten Angaben, konnte keine spezifischen Personen nennen, sondern ging nur davon aus, dass es sich um Huthis handelt musste, weshalb es sich bei den geäußerten Verfolgungsbefürchtungen allenfalls um Mutmaßungen handelt. (vgl. R:„Woher wussten Sie, dass es sich um Huthis gehandelt hat?“, BF: Weil sie von der Kleidung her bekannt waren, sie hatten eine bestimmte Kleidung. Abgesehen davon haben sie den Präsidenten Abdulah Saleh getötet gehabt und hatten die verschiedensten Positionen bekleidet“; S. 10 des Verhandlungsprotokolls).
Insbesondere im Hinblick auf den hohen Ausbildungsgrad des BF sowie auch im Hinblick auf die von ihm dargestellte lange Zeitdauer seiner Bedrohungen (ab dem Jahr 2011 bis zum Jahr 2018) wäre jedoch zu erwarten, dass dieser in der Lage ist, seine Fluchtgründe in eingehender und nachvollziehbarer Weise darzustellen.
Im Hinblick auf das fluchtauslösende Ereignis ist weiters festzustellen, dass der BF dieses im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch in gesteigerter Form darstellte, indem er dort plötzlich davon sprach, dass auch außerhalb seines Büros acht Personen standen (S. 9 des Verhandlungsprotokolls), die ihm ebenso gedroht hätten, während er diesen Aspekt vor dem BFA nicht erwähnt hat (AS 82). Auch gab er in der mündlichen Verhandlung an, dass zwei der Personen in Zivil gekleidet waren (S. 10 des Verhandlungsprotokolls), während er vor dem BFA angegeben hatte, dass alle in Militärkleidung gekommen seien (AS 82). Auch ist anzumerken, dass die Tatsache, dass der BF gleich nach diesem von ihm als fluchtauslösendes Ereignis geschilderten Vorfall noch ganz normal in der Universität weitergearbeitet hat (S. 10 des Verhandlungsprotokolls), darauf hindeutet, dass der BF keine wirklichen Verfolgungsbefürchtungen hatte.
Hinsichtlich der behaupteten Verfolgung durch ein Fahrzeug machte der BF keinerlei Anmerkungen dazu, inwiefern eine Bedrohung dadurch stattgefunden haben soll (Beschimpfungen, Äußerungen, Versuche, ihn anzufahren etc.), jedoch erübrigt sich eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Aspekt insofern, als sich dies schon im Jahr 2011 zugetragen haben soll (AS 81).
Festzuhalten ist zudem, dass zwischen dem angeblich fluchtauslösenden Ereignis im Jänner 2018 und der Ausreise aus dem Jemen am 10.05.2019 fast eineinhalb Jahre vergangen sind. In XXXX war es dem BF immerhin möglich, über ein Jahr lang ohne Bedrohungen zu leben und die Stelle des Vizedekans an der örtlichen Universität zu bekleiden. Im Falle eines tatsächlichen Interesses der Huthis an seiner Person, wäre angesichts dieser exponierten beruflichen Position des BF davon auszugehen, dass sie ihn während dieses langen Zeitraums festgenommen hätten bzw. es zumindest versucht hätten. Das diesbezügliche Argument des BF, wonach er sich während seiner Zeit in XXXX verdeckt aufgehalten hat, ist mit seiner Position als Vizerektor der Universität nicht in Einklang zu bringen und konnte der BF dies auch auf Nachfrage nicht nachvollziehbar erklären, zumal er lediglich angab, dass er als Vizedekan hauptsächlich intern in der Universität tätig gewesen sei und auch nicht viele Aufgabenbereiche übernommen habe (S. 13 des Verhandlungsprotokolls). Zudem erweisen sich die Angaben des BF in diesem Zusammenhang generell als nicht schlüssig und widersprüchlich, da er ebenso angab, dass er immer wieder kurz ein politisches Statement abgehalten habe, weshalb er die Angriffe der Houthis nicht befürworte (S. 13 des Verhandlungsprotokolls), während er andererseits noch vor dem BFA angegeben hat, dass er in XXXX „null“ politische Aktivität betrieben habe und einfach nur das Land verlassen wollte (AS 85).
Selbst der Umzug von XXXX erfolgte erst Ende April oder Anfang Mai 2018, also etwa drei bis vier Monate nach der behaupteten maßgeblichen Bedrohung. Den Angaben des BF zufolge habe er den Umzug einen Monat nach dem Vorfall in die Wege geleitet. Selbst dies ist unter Berücksichtigung einer potentiell lebensbedrohlichen Situation ein vergleichsweise langer Zeitraum und ist bei einem Umzug in ein Familienhaus des Geburtsortes, wie es hier der Fall war, nicht von derartigen organisatorischen Schwierigkeiten auszugehen, die es nachvollziehbar machen würden, dass der tatsächliche Umzug, trotz aktueller ernstzunehmender Bedrohungen für das eigene Leben, erst mehrere Monate später erfolgen konnte.
Auch die Aussage, dass der BF mehrmals mit dem Umbringen bedroht worden sei, aber zu keinem Zeitpunkt irgendeine Form von Misshandlung oder Verdeutlichung der Drohung (etwa durch Sachbeschädigung oder Schüsse) stattgefunden hat, erscheint nicht schlüssig, da die Huthis für ihr brutales und gewaltvolles Verhalten bekannt sind und genug Möglichkeiten gehabt hätten, den BF zu misshandeln, festzuhalten oder umzubringen, falls ein tatsächliches Interesse daran bestanden hätte. Dies sowohl während seines Aufenthalts in Sanaa als auch während seines Aufenthalts in XXXX , wo er als Vizedekan der Universität XXXX tätig war und somit für die Huthis leicht auffindbar sein musste. Das Vorbringen des BF erweist sich somit auch nur als wenig eingriffsintensiv.
Schließlich spricht auch der Umstand, dass der BF legal und scheinbar ohne Probleme aus dem Jemen ausreisen konnte und in den letzten zehn Jahren bereits 19 Mal legal nach Österreich gereist ist, nicht dafür, dass der BF ernstzunehmend verfolgt worden ist. Auch im Hinblick auf seine vorgebrachte Flucht von XXXX nach XXXX sowie seine Fahrt von XXXX zum Flughafen brachte der BF keine wie immer gearteten Verfolgungsmomente oder etwaige spezielle Vorkehrungen zur Sicherheit seiner Person, bei welcher es sich gemäß seinen eigenen Aussagen um eine Person mit hohem Bekanntheitsgrad im Jemen handelt, vor, sondern er fuhr mit seinem eigenen Auto etwa vier Stunden lang zum Flughafen und reiste dann auf legale Weise mit seinem Reisepass aus dem Jemen aus (vgl. AS 83 und S. 15 des Verhandlungsprotokolls).
Auch für die (erst) in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Aussage des BF, dass seine Frau des Öfteren nach dem Verbleib des BF befragt und schließlich bedroht worden sei, gilt, dass diese kaum substantiiert erscheint und zudem erst im späteren Verlauf der Verhandlung, und nicht gleich zu Beginn, als nach Fluchtgründen und geänderten Umständen gefragt wurde, vorgebracht wurde.
Selbiges gilt für den behaupteten Mord an dem Ehemann seiner Cousine und wurde hierbei nicht nachvollziehbar dargelegt, wieso sich die Huthis gerade an diese - nicht mit dem BF verwandte – Person gewandt haben sollten, um den BF einzuschüchtern und ist insofern nicht nachvollziehbar, inwiefern dieser Vorfall mit dem Fluchtvorbringen des BF im Zusammenhang s