TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/1 W109 2196291-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.03.2021
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Entscheidungsdatum

01.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W109 2196291-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 24.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 zu Recht:

A)       Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1., 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1, 2 und 3 FPG als unbegründet abgewiesen

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 21.06.2016 stellte der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 21.06.2016 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Kapisa und habe sieben Jahre die Schule besucht. Seine Familie halte sich im Herkunftsstaat auf. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, in ihrem Ort würden die Taliban herrschen. Die Lage in Afghanistan sei sehr unsicher. Deswegen habe der Vater gesagt, er müsse nach Europa flüchten.

Am 08.02.2018 führte der noch minderjährige Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, die nicht in Gegenwart eines gesetzlichen Vertreters stattfand, zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Taliban hätten ihn in seinem Heimatdorf rekrutieren wollen, als er noch in die Schule gegangen sei. Die Taliban würden versuchen, dass sie junge Leute mitnehmen, welche Waffen tragen könnten. Die Taliban hätten dem Vater gesagt, sie würden den Beschwerdeführer mitnehmen wollen. Der Vater habe diese Worte zuerst nicht ernst genommen. Ein Jahr später hätten sie den Vater noch einmal bedroht, dass sie den Beschwerdeführer mitnehmen würden. Der Vater habe Angst bekommen und dem Beschwerdeführer verboten, weiter zur Schule zu gehen. Nach drei oder vier Monaten habe er beschlossen, den Beschwerdeführer ins Ausland zu schicken. Einen zwei Jahre älterer Freund habe dessen Vater nach Kabul geschickt, nachdem die Taliban ihn hätten mitnehmen wollen. Sie hätten ihn in Kabul umgebracht, weil er nicht zu ihnen gegangen sei.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 24.04.2018, zugestellt am 27.04.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, zwar seien Zwangsrekrutierungen durch die Taliban dokumentiert. Diese seien jedoch die Ausnahme und wären vom lokalen Taliban-Kommandanten abhängig. Es sei für die Behörde unklar, wieso das Handeln des Vaters keine Konsequenzen seitens der Taliban nach sich gezogen habe. Es sei zu erwarten, dass die Taliban den Vater bestrafen würden. Der Beschwerdeführer habe jedoch angegeben, dass es dem Vater gut gehe und er weiterhin Lehrer war. Die Zwangsrekrutierung werde jedoch, nachdem sie grundsätzlich möglich sei, der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt. Dass die Taliban einen Freund in Kabul umgebracht hätten, sei nicht glaubwürdig. Dieser sei für die Taliban nicht wichtig genug, als dass sie ihn bis Kabul verfolgen würden. Die Provinz Kapisa sei volatil, es sei dem Beschwerdeführer jedoch zumutbar, sich in einer sicheren Gegend wie Kabul niederzulassen. Voraussetzung für die Gewährung von Asyl sei, dass der Asylwerber eine konkrete individuell gegen ihn selbst gerichtete Verfolgung befürchten müsse. Derartiges habe er jedoch nicht dargetan, sondern ausgeführt, dass die Taliban alle genug kräftigen, männlichen Jugendlichen, so auch den Beschwerdeführer, hätten rekrutieren wollen. Nachteile, die sich aus der allgemeinen Situation ergeben und jeden männlichen Jugendlichen treffen könnten, seien nicht als Verfolgung zu qualifizieren. Eine konkrete Bedrohung gegen den Beschwerdeführer persönlich habe nicht stattgefunden. Der Beschwerdeführer sei nicht selbst auf den Gedanken gekommen, den Herkunftsstaat zu verlassen, dies sei kurzfristig vom Vater entschieden worden. Es fehle die erforderliche Verfolgungsintensität. Wenn die Rekrutierungsversuche zu bedrohlich geworden wären, hätte der Beschwerdeführer in einen relativ sicheren Landesteil ausweichen können.

3.       Am 16.05.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Taliban hätten weiterhin ihren traditionellen Einfluss in der Provinz Kapisa und hätten diesen genutzt und versucht, junge Männer zu rekrutieren. Der Vater sei zwei Mal mit der Aufforderung konfrontiert worden, der Beschwerdeführer solle sich den Taliban anschließen. Er habe sich keinesfalls den Taliban anschließen und an deren Menschenrechtsverletzungen beteiligen wollen. Nach Absprache mit dem Vater habe er beschlossen, das Heimatdorf zu verlassen und in Sicherheit zu fliehen. Ein Freund, der mit derselben Aufforderung konfrontiert gewesen sei, sei in Kabul von Taliban-Anhängern aufgesucht und getötet worden. Eine Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, führe zu der Unterstellung, aufseiten der Ungläubigen zu stehen und somit eine den Taliban feindliche politische Gesinnung zu haben. Staatlicher Schutz bestehe nicht. Die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei ausgeschlossen. Die Sicherheitslage in Afghanistan sei äußerst volatil und kritisch und könne jederzeit eskalieren. Es sei richtig, dass die Familie noch dort wohne. Die Taliban hätten insbesondere „feindliche Positionen“ im Visier, wozu insbesondere Ungläubige zählen. Für die Taliban zähle vor allem, dass der Beschwerdeführer in ihren Augen ein Gegner war und als Ungläubiger für sein Fehlverhalten mit seinem Leben büßen solle. Der Beweiswürdigung der belangten Behörde sei kein Abgleich mit den einschlägigen Länderberichten zu entnehmen, weswegen die belangte Behörde keine Aussage zur Plausibilität des Vorbringens treffen könne. Außerdem werde die gezielte Verfolgung von Rückkehrern, insbesondere aus westlichen Ländern, durch die UNHCR-Richtlinien bestätigt. Diese würden aufgrund ihrer (unterstellten) anti-islamischen (religiösen) Einstellung verfolgt. Der Beschwerdeführer werde in eine ausweglose Lage geraten und bei einer Rückkehr nicht in der Lage sein, seine Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die Rückkehr sei nicht zumutbar.

Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nun mehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Ladung vom 14.10.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein.

Mit Schreiben vom 27.10.2020 teilte die belangte Behörde mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Am 05.11.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil der Vater aufgefordert worden sei, dass der Beschwerdeführer sich den Taliban anschließe, aufrecht.

Mit Schreiben vom 28.12.2020 und vom 12.02.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Schulbesuchsbestätigungen

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse

?        Integrationsprüfungszeugnis A1

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Deutsch auf dem Niveau A1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Kapisa, Distrikt Nijrab geboren, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Der Beschwerdeführer hat fünf jüngere Brüder und eine jüngere Schwester. Der Vater des Beschwerdeführers ist Lehrer. Außerdem verfügt die Familie über eine Landwirtschaft mit eigenen Grundstücken, in der auch der Beschwerdeführer mitgearbeitet hat. Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat sieben Jahre die Schule besucht. Außerdem hat er einige Monate als Mechaniker gearbeitet.

Ein Onkel mütterlicherseits lebt im Nachbardorf, er ist verheiratet.

Die Familie des Beschwerdeführers ist im Herkunftsdorf aufhältig, es besteht Kontakt.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im Juni 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat einige Deutschkurse besucht, einen Lehrgang „Bildung für junge Flüchtlinge“ und ein Jahr ein wirtschaftskundliches Realgymnasium besucht. Der Beschwerdeführer hat zwei Monate gemeinnützige Arbeit geleistet und die Integrationsprüfung Sprachniveau A1 bestanden. Der Beschwerdeführer hat zudem soziale Kontakte geknüpft. In seiner Freizeit geht er spazieren und spielt zuhause mit seinem Handy. Der Beschwerdeführer bezieht Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Dass der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban bedroht und aufgefordert wurde, der Beschwerdeführer solle zu ihnen kommen und werde ansonsten getötet, wird nicht festgestellt.

Dem Beschwerdeführer drohen im Fall der Rückkehr ins Herkunftsdorf keine Übergriffe durch die Taliban, weil er sich der Zwangsrekrutierung entzogen hat. Auch im Fall der Rückkehr ins Herkunftsdorf ist nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt wäre.

Männer, die aus westlichen Staaten zurückkehren, können mit Argwohn, Stigmatisierung oder Ablehnung konfrontiert werden. Teile der Gesellschaft, insbesondere in Städten wie beispielsweise Kabul, sind offen für westliche Sichtweisen, während andere Teile der Gesellschaft, insbesondere im ländlicher oder konservativer Umgebung, diese ablehnen.

Es kommt zu Angriffen Aufständischer auf Afghanen, die sich mit „westlichen“ Werten identifizieren, weil sie als unislamisch oder regierungsfreundlich wahrgenommen oder der Spionage bezichtigt werden könnten.

1. 3.   Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

In der Provinz Kapisa sind die Taliban aktiv, es gibt Distrikte, die nicht vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen. Für die Provinz sind für das Jahr 2019 124 zivile Opfer (49 Tote und 75 Verletzte) verzeichnet, Hauptursachen dafür sind Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und Luftangriffen. Zuletzt kam es zu einer Zunahme ziviler Opfer. Die Taliban haben Sicherheitsposten der Regierung, Militärbasen und Dörfer sowie ein Distriktzentrum angegriffen. Es gab Luftangriffe und Drohnenschläge der US-amerikanische Streitkräfte. Außerdem sind am Straßenrand in der Provinz Sprengfallen explodiert.

Der Distrikt Nirjab ist umkämpft. Im Distrikt Nirjab kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu 17 sicherheitsrelevanten Vorfällen, nach ACLED kam es zu elf sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer, für das Jahr 2019 sind keine Vorfälle nach der Glopalincidentmap und 35 nach ACLED verzeichnet.

Balkh zählte zuletzt zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes. Für die gesamte Provinz sind für das Jahr 2019 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) verzeichnet, eine Steigerung von 22 % gegenüber 2018. Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, improvisierte Sprengkörper und gezielte Tötungen. Im Zeitraum 01.01. bis 30.09.2020 sind 553 zivile Opfer (198 Tote, 355 Verletzte) dokumentiert, was mehr als eine Verdopplung gegenüber derselben Periode im Vorjahr ist. Balkh ist ethnisch divers und wird unter anderem von Paschtunen bewohnt.

In Mazar-e Sharif kam es von 01.01. bis 30.09.2020 der Globalincidentmap zufolge zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall, nach ACLED kam es zu 9 sicherheitsrelevanten Vorfällen mit mindestens einem Todesopfer. Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher und steht unter Regierungskontrolle. 2019 fanden beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern statt. Deren Ziel waren oftmals Sicherheitskräfte, doch gab es auch zivile Opfer. Kriminalität stellt ein Problem dar, insbesondere bewaffnete Raubüberfälle. Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften. Mazar-e Sharif verfügt über einen internationalen Flughafen, für den keine Sicherheitsvorfälle verzeichnet sind.

Der durch die afghanische Regierung geleistete Menschenrechtsschutz ist trotz ihrer ausdrücklichen Verpflichtungen, nationale und internationale Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten, inkonsistent. Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden unabhängig von der tatsächlichen Kontrolle über das betreffende Gebiet durch den Staat und seine Vertreter, regierungsnahe Gruppen und regierungsfeindliche Gruppierungen statt. Straflosigkeit ist weit verbreitet. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen sind insbesondere in umkämpften Gebieten verbreitet. Das formale Justizsystem ist schwach ausgeprägt, Korruption, Drohungen, Befangenheit und politische Einflussnahme sind weit verbreitet, es mangelt an ausgebildetem Personal und Ressourcen. Die Sicherheitskräfte wenden unverhältnismäßige Gewalt an, Folter ist in Haftanstalten weit verbreitet.

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie stetig weiter verschärft. In urbanen Gebieten leben rund 41,6 % unter der nationalen Armutsgrenze. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weit-gehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9 %. Für 2020 geht die Weltbank Covid-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus. 2016/2017 waren rund 45 % der Menschen von anhaltender oder vorrübergehender Lebensmittelunsicherheit betroffen.

Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit, sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. Die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung liegt auf hohem Niveau und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghanen bzw. Afghaninnen arbeitslos. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen.

Finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit existiert nicht. Ein Mangel an Bildung korreliert mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind.

Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten. Die Arbeitsmarktsituation ist auch In Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden. In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden.

Die COVID-19-Krise führte in der ersten Hälfte des Jahres 2020 zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein.

Der Finanzsektor in Afghanistan entwickelt sich, zur Eröffnung eines Bankkontos ist ein Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital erforderlich, zudem sind Überweisungen aus dem Ausland über das Hawala-System möglich.

Afghanistan ist von der COVID-Pandemie betroffen, die Zahl der Fälle geht seit Juni 2020 kontinuierlich zurück. Die Versorgung Erkrankter ist mangelhaft, es mangelt an Kapazitäten. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der allgemeine Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert.

Die Verfügbarkeit und Qualität der medizinischen Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. In großen Städten ist die medizinische Versorgung grundsätzlich sichergestellt.

Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% der Gesamtbevölkerung geschätzt. 27 bis 30 % der Gesamtbevölkerung sind Tadschiken, sie sind die zweitgrößte Volksgruppe Afghanistans und sprechen Dari. Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und Muttersprache des Beschwerdeführers beruhen auf seine gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens, die auch die belangte Behörde nicht substantiiert in Zweifel zog. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer sein Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau A1 vorgelegt.

Zum von der belangten Behörde festgestellten Geburtsdatum des Beschwerdeführers (AS 201 und 294) ist auszuführen, dass die belangte Behörde zu dieser Feststellung lediglich aufgrund einer unzureichenden Auseinandersetzung mit dem von ihr in Auftrag gegebenen medizinischen Sachverständigengutachten kommt. So führt die Behörde aus, aus dem Gutachten ergebe sich, dass der Beschwerdeführer bei Antragstellung mindestens XXXX Jahre alt gewesen und spätestens am XXXX geboren worden sei und er sei volljährig. Bei sorgfältiger Lektüre der von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen sachverständigen Volljährigkeitsbeurteilung (AS 57 ff.) ergibt sich jedoch, dass das im Gesamtgutachten errechnete „Mindestalter“ (AS 63) lediglich auf dem sich aus den Einzelgutachten ergebenden Median aufbaut, einem statistischen Mittelwert, aus dem sich bereits denklogisch ergibt, dass sowohl Werte darunter, als auch darüber auftreten. Das vom Beschwerdeführer angegebene Geburtsdatum, das für den Antragszeitpunkt einem Alter von 16,22 entspricht, liegt zwar unter dem Median und damit unter dem wahrscheinlichsten Alter, ist jedoch mit den sich aus den Einzelgutachten ergebenden Bandbreiten (AS 58 bis 60) vereinbar. Weiter kann der Beschwerdeführer – von der belangten Behörde mit dem von ihr angenommenen Geburtsdatum konfrontiert – plausibel erklären, woher er sein ungefähres Alter kennt (AS 115). Entsprechend war den Angaben des Beschwerdeführers zu folgen.

Dass der Beschwerdeführer gesund ist, ergibt sich daraus, dass anderslautendes Vorbringen nicht erstattet wurde und auch keine medizinischen Unterlagen in Vorlage gebracht wurde, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers nachweisen würden.

Dass der Beschwerdeführer unbescholten ist, beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Die Feststellungen zu Lebensverhältnissen und Lebenswandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben, die auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrunde legte. Seine Angehörigen hat der Beschwerdeführer ebenso gleichbleibend angegeben.

Zum Verbleib seiner Angehörigen gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.11.2020 zwar an, seine Familie sei in den Iran gereist und er habe vier Monate zuvor zuletzt Kontakt mit ihnen gehabt, davor aber einmal die Woche (OZ 10, S. 5). Allerdings begründet der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar, warum seine Familie ausgereist ist, noch, warum er seit vier Monaten keinen Kontakt mehr haben soll, obwohl zwischen dem Iran und Österreich zweifellos zahlreiche Kommunikationskanäle verfügbar sind. In Zusammenschau mit dem nicht glaubhaften Fluchtvorbringen – siehe hierzu unter Punkt II.2.2. – geht das Bundesverwaltungsgericht daher davon aus, dass auch die behauptete Ausreise der Familie, nicht glaubhaft ist, sondern dass diese weiterhin unverändert im Herkunftsdorf aufhältig ist und Kontakt besteht.

Das Datum der Einreise des Beschwerdeführers ist aktenkundig, zu seinen Deutschkursen, zum Lehrgang und zum Schulbesuch hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt, ebenso sein Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau A1. Dass der Beschwerdeführer gemeinnützige Arbeit geleistet hat, hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben (OZ 10, S. 8), wo er auch angab, dass er zu zwei Personen Kontakt hat (OZ 10, S. 7) und seinen Tagesablauf beschreibt. Erwerbstätigkeit wurde nicht behauptet, dass der Beschwerdeführer Grundversorgung bezieht, geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Im Hinblick auf das Fluchtvorbringen einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass dieses nicht glaubhaft ist. Zwar gibt der Beschwerdeführer im Wesentlichen gleichbleibend an, die Taliban hätten seinen Vater bedroht, der Beschwerdeführer solle zu ihnen kommen. Allerdings erweisen sich die Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.11.2020 als vage und oberflächlich. So beschränkt sich der Beschwerdeführer auf die floskelhafte Schilderung einer Rahmenhandlung, die einen konkreten Handlungsablauf nicht erkennen lässt (OZ 10, S. 6).

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht dabei nicht, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Ausreise sowie im Zeitpunkt seiner Einvernahme durch die belangte Behörde minderjährig war. So bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung einer besonders sorgfältigen Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens und ist die Dichte des Vorbringens nicht mit „normalen Maßstäben“ zu messen (VwGH 05.09.2018, Ra 2018/18/0150). Gegenständlich ist zudem besonders Augenmerk darauf zu legen, dass die Einvernahme des Beschwerdeführers am 08.02.2018 durch die belangte Behörde ohne Beisein eines gesetzlichen Vertreters erfolgte, weswegen auch dem nur vom nicht prozessfähigen Beschwerdeführer unterschriebenen Protokoll ein erheblich geminderter Beweiswert zukommt. Allerdings war der Beschwerdeführer während der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.11.2020 bereits volljährig und es ist auch zu beachten, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Ausreise bereits 16 Jahre alt war, sodass von ihm zu erwarten wäre, dass er sein Fluchtvorbringen abseits von allgemeinen Floskeln als konkrete Handlung schildern kann, mag diese Handlung auch im Hinblick auf Detaillierungsgrad und Erzähldichte hinter den Schilderungen eines im Ausreise- und Erlebniszeitpunkt erwachsenen zurückbleiben. Dass eine konkrete Handlung abseits allgemeiner Floskeln im Fluchtvorbringen nicht erkennbar ist, ist damit nicht mit der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Ausreise- und Erlebniszeitpunkt erklärbar.

Weiter ist das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auch vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht nachvollziehbar.

Zunächst ergibt sich zwar etwa aus den vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung vom 14.10.2020 (OZ 6) in das Verfahren eingebracht UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien), dass regierungsfeindliche Kräfte in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang nutzen. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, seien ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. Auch Kinder würden rekrutiert (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, Buchstabe a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 59 bis 60). Aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz ergibt sich jedoch, dass ein flächendeckender Zugriff der Sicherheitskräfte in der Provinz Kapisa gewährleistet ist und sich die Sicherheitslage verbessert hatte, Aktivitäten und Operationen der Aufständischen hätten eingedämmt werden können (AS 224). Demnach ist im Hinblick auf das Herkunftsdorf in der Provinz Kapisa nicht ersichtlich, dass die Taliban dort die Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung dergestalt ausgeübt hätten, dass ihnen die vom Beschwerdeführer beschriebene, offene Rekrutierung Jugendlicher unter Anwendung von Zwang möglich gewesen wäre.

Weiter weist das vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 28.12.2020 (OZ 12) in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung vom 16.12.2020 (in der Folge: Länderinformationsblatt) darauf hin, dass der Begriff der Zwangsrekrutierung von den Quellen unterschiedlich interpretiert werde und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert würden und in diesem Zusammenhang etwa die Differenzierung EASOS, der zufolge Druck und Zwang nicht immer gewalttätig seien und jene von Landesinformation, die unter Zwang nur spezielle Zwangsmaßnahmen und Übergriffe (zumeist körperliche Bestrafung), die auch gegen Dritte gerichtet seien, verstehen (Kapitel 11.1. Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen, Abschnitt Taliban). Mit welchem Begriff der Zwangsrekrutierung UNHCR arbeitet, geht aus den UNHCR-Richtlinien nicht explizit hervor, aus den in den Fußnoten angeführten Beispielen geht jedoch hervor, dass UNHCR einen sehr weiten Begriff der Zwangsrekrutierung verwendet.

Auch die vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 12.02.2021 (OZ 14) in das Verfahren eingebrachten EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance) bestätigt, dass verschiedene bewaffneter Gruppierungen auf Zwangsrekrutierung zurückgreifen, darunter die Taliban. Zur konkreten Vorgehensweise ist der EASO Country Guidance zu entnehmen, die Taliban würden typischerweise arbeitslose männliche Paschtunen aus ländlichen Gemeinschaften rekrutieren, die in Madrassen ausgebildet würden. Die Taliban hätten keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und würden nur in Ausnahmefällen auf Zwang zurückgreifen. Sie würden etwa versuchen, Personen mit militärischem „background“ zu rekrutieren, etwa Mitglieder der ANSF, oder, wenn sie unter akutem Druck stünden, auf Zwangsrekrutierung zurückgreifen. Druck, sich den Taliban anzuschließen, sei nicht immer gewalttätig und würde oft durch die Familie, den Stamm oder religiöse Netzwerke ausgeübt und hänge von den lokalen Umständen ab. Die Folgen einer Weigerung seien generell ernst und würden auch Drohungen gegen die Familie des Rekruten beinhalten, sowie schwere Körperverletzung und Tötung (Kapitel 2.6 Persons fearing forced recruitment by armed groups, S. 63 ff., insbesondere Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 64). Die Taliban würden auch Kinder rekrutieren und diese für unterschiedliche Zwecke einsetzen. Im Austausch würden die Taliban manchen Familien Geld zahlen, in anderen Fällen würden sie den Familien Schutz im Austausch dafür bieten, dass sie ihre Kinder in die Madrassen der Taliban schicken. Die meisten betroffenen Kinder würden aus armen Familien aus dem ländlichen Raum stammen, manche würden zum Training nach Pakistan gebracht (Kapitel 2.10.3 Child recruitment, S. 69-70).

Am Beschwerdeführer ist jedoch kein spezifisches Merkmal erkennbar, dass ihn für die Taliban trotz des nach den Berichten großen Angebotes freiwilliger Rekruten so interessant macht, dass zu seiner Rekrutierung auf Zwang zurückgegriffen werden würde. Zudem entspricht das vom Beschwerdeführer geschilderte Vorgehen, nämlich einer spontanen Bedrohung des Vaters aus dem nichts heraus ohne sonstigen Kontakt, nicht der nach der EASO Country Guidance beschriebenen Vorgehensweise einer Rekrutierung über bestehende Netzwerke. Weiter gehört der Beschwerdeführer ist der Beschwerdeführer Tadschike und gehört daher nicht zum typischerweise rekrutierten Personenkreis, wie ihn die EASO Country Guidance anführt. Sämtlichen Berichten ist auch zu entnehmen, dass die Folgen einer Weigerung generell ernst sind, weswegen nicht plausibel ist, dass der Beschwerdeführer flüchten musste, während der Vater als Familienoberhaupt und von den Taliban eigentlich angesprochene Person weiter unbehelligt im Herkunftsdorf leben konnte. So berichten sowohl EASO als auch UNHCR in den schon zitierten Abschnitten, dass auch Familienmitglieder von ernsten Konsequenzen bis hin zur Ermordung betroffen sind. Der Beschwerdeführer aber macht im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht keinerlei Angaben zu einem Angriff der Taliban auf seinen Vater und behauptete lediglich zusammenhanglos dessen Ausreise in den Iran, ohne hierfür einen Grund anzugeben. Weiter ist, nachdem die Taliban, wie bereits ausgeführt, auch Kinder rekrutieren, nicht ersichtlich, warum sie nach der Ausreise des Beschwerdeführers nicht einen seiner jüngeren Brüder rekrutiert haben und stellt der Beschwerdeführer die Ausreise der Familie in den Iran auch hiermit in keinerlei Zusammenhang. Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer behauptete Ermordung seines Freundes in Kabul durch die Taliban, nachdem sich dieser der Zwangsrekrutierung entzogen hatte, ist anzumerken, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu diesem Vorfall zu oberflächlich sind, um überhaupt einen Vergleich zur vom Beschwerdeführer hinsichtlich seiner eigenen Personen behaupteten Bedrohungsszenario zu ziehen. Weiter bleibt auch dieser Teil der Erzählung vage und zieht sich der Beschwerdeführer darauf zurück, er wisse nicht genau, wie sein Freund ums Leben gekommen sei, er habe nur erfahren, dass er umgebracht worden sei (OZ 10). Damit ist jedoch abermals eine konkrete Handlung nicht ersichtlich und die Schilderung bleibt floskelhaft.

Insgesamt kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Zwangsrekrutierung durch die Taliban nicht glaubhaft ist. Vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte ist zudem nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr von Zwangsrekrutierung betroffen sein sollte. So verfügt er weiterhin nicht über besondere Merkmale oder Kompetenzen, die ihn für die Taliban besonders interessant machen würden.

Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrern aus westlichen Staaten beruhen auf der EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.13 Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 80 bis 82.

2.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Feststellung zum innerstaatlichen bewaffneten Konflikt in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, der EASO Country Guidance und den UNHCR-Richtlinien.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Kapisa (und Nirjab) beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.16 Kapisa, die sich mit den diesbezüglichen Informationen der EASO Country Guidance, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Abschnitt Kapisa, S. 132 bis 133, decken.

Die Feststellungen zur Sicherheitslage in Balkh und insbesondere Mazar-e Sharif beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.5. Balkh. Die Feststellung zum Flughafen beruht ebenso auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 5. Sicherheitslage, Unterkapitel 5.35. Erreichbarkeit, Abschnitt Internationaler Flughafen Mazar-e Sharif. Die EASO Country Guidance bestätigt die Informationen des Länderinformationsblattes und berichtet hinsichtlich des Flughafens von Mazar-e Sharif, dass keine Sicherheitsvorfälle bekannt sind (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection, Abschnitt Safety, S. 164).

Die Feststellungen zur Menschenrechtslage beruhen auf den UNHCR-Richtlinien, Kapitel II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Unterkapitel C. Die Menschenrechtssituation, S. 26 ff., sowie dem damit übereinstimmenden Länderinformationsblatt, Kapitel 6. Rechtsschutz/Justizwesen, 8. Folter und unmenschliche Behandlung und 12. Allgemeine Menschenrechtslage. Mangels konkreter Anhaltspunkte im Vorbringen des Beschwerdeführers wurden genauere Feststellungen zu den jeweiligen Themenkreisen nicht getroffen.

Die Feststellungen zur Wirtschaftslage beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 22. Grundversorgung. Dort finden sich auch Informationen zum Finanzsektor.

Die Feststellungen zur COVID-Pandemie beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 3. COVID-19, die Feststellungen zur medizinischen Grundversorgung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 23 Medizinische Versorgung.

Die Feststellung zur Verbreitung der sunnitischen Glaubenszugehörigkeit in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit. Die Feststellung zum Anteil der Paschtunen an der Gesamtbevölkerung beruhen auf dem Länderinformationsblatt,

Kapitel 16.1. Paschtunen, zu den Landessprachen auf Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten.

Die Feststellung zur Verbreitung der sunnitischen Glaubenszugehörigkeit in Afghanistan beruht auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 15. Religionsfreiheit. Die Feststellung zum Anteil der Tadschiken an der Gesamtbevölkerung beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel 16.2. Tadschiken, zu den Landessprachen auf Kapitel 16. Relevante ethnische Minderheiten.

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 18 Abs. 2 letzter Satz AsylG 2005 dürfen minderjährige Asylwerber nur in Gegenwart eines gesetzlichen Vertreters einvernommen werden.

Eingangs ist anzumerken, dass die Einvernahme des damals minderjährigen Beschwerdeführers am 08.02.2018 durch die belangte Behörde nicht der eben zitierten Bestimmung entsprechend im Beisein eines gesetzlichen Vertreters erfolgte, wodurch der belangten Behörde ein Verfahrensmangel unterlaufen ist. Allerdings können allfällige Verfahrensmängel im Verfahren vor der belangten Behörde nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durch ein mängelfreies Verfahren vor dem Verwaltungsgericht saniert werden (jüngst etwa VwGH 12.08.2020, Ra 2019/05/0245). Nachdem der nunmehr volljährige Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 nochmals einvernommen wurde, ist der der belangten Behörde unterlaufene Verfahrensmangel damit geheilt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich aus §§ 9 AVG, 10 Abs. 1 BFA-VG, und 21, 170 Abs. 1 ABGB für minderjährige Fremde, die sich in einem der in der Bestimmung des § 10 Abs. 1 BFA-VG genannten Verfahren befinden, dass sie grundsätzlich geschäftsunfähig und damit auch prozessunfähig sind (VwGH 18.10.2017, Ra 2016/19/0351). Die Frage des Alters ist im Berufungsverfahren (nunmehr Beschwerdeverfahren) nach der Rechtsprechung dann relevant, wenn der Asylwerber unter Zugrundelegung des von ihm angegebenen Geburtsdatums zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides noch minderjährig gewesen ist. In diesem Fall habe die Zustellung des Bescheides an den Asylwerber persönlich keine Rechtswirkung entfaltet, was zur Folge hat, dass der Bescheid rechtlich nicht existent geworden sei (VwGH 21.01.2010, 2008/20/0042).

Im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides am 27.04.2018 war der Beschwerdeführer allerdings (wenngleich knapp) bereits volljährig.

3.1.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).

3.1.1.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen Zwangsrekrutierung

Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, dass sein Vater von den Taliban bedroht und aufgefordert wurde, der Beschwerdeführer solle zu ihnen kommen und werde ansonsten getötet, sowie, dass ihm im Fall der Rückkehr ins Herkunftsdorf keine Übergriffe durch die Taliban, weil er sich der Zwangsrekrutierung entzogen hat. Auch im Fall der Rückkehr ins Herkunftsdorf ist – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer Zwangsrekrutierung durch die Taliban ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer konnte daher nicht glaubhaft machen, dass ihm im Fall der Rückkehr Verfolgung im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes droht.

3.1.2.  Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Rückkehr aus dem westlichen Ausland

Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Rückkehr des Beschwerdeführers aus dem westlichen Ausland ist zunächst anzumerken, dass dieses auf den Beschwerdeschriftsatz beschränkt ist und in den Angaben des Beschwerdeführers keinen Niederschlag fand und lediglich pauschal in Verweis auf diverse Länderberichte behauptet wird.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss jedoch das Vorbringen des Asylwerbers, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0445).

EASO stellt für als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen je nach Lage des Einzelfalles einen Konnex zu den GFK-Fluchtgründen der Religion, der (unterstellten) politischen Gesinnung, sowie der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe her und verneint ebenso eine generelle Verfolgungsgefahr für alle Rückkehrer aus dem westlichen Ausland (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.13 Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 81-82).

Allfällige risikobegründende individuelle Umstände waren gegenständlich nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargelegt. Ein Zutreffen der pauschalen Behauptungen der Beschwerde ist den Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen.

So konnte lediglich festgestellt werden, dass Männer, die aus westlichen Staaten zurückkehren, mit Argwohn, Stigmatisierung oder Ablehnung konfrontiert werden können, wodurch die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes definierte Intensitäts-Schwelle (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002) nicht erreicht wird. Im Hinblick auf Angriffe Aufständischer auf Afghanen, die sich mit „westlichen“ Werten identifizieren, ist anzumerken, dass sich Anhaltspunkte für eine Betroffenheit des Beschwerdeführers hiervon nicht ergeben haben. Auch hat der Beschwerdeführer eine Identifikation mit westlichen Werten im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht weiter konkretisiert.

Im Ergebnis war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher abzuweisen.

3.2.    Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (Subsidiärer Schutz)

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Zwar widerspricht es nach der die Rechtsprechung des EuGH berücksichtigenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Statusrichtlinie, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder eine Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106). Nachdem aber eine mit der Statusrichtlinie im Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer Auslegung contra legem führen würde, hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Um von einer solchen realen Gefahr ausgehen zu können, reicht es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (jüngst etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage ist nach der ständigen, auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH bezugnehmenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die Voraussetzung des „real risk“ iSd Art. 3 EMRK nur in sehr extremen Fällen erfüllt. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen, aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt, als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 12.12.2019, Ra 2019/01/0243).

3.2.1.  Zu einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz

Im Hinblick auf die Provinz Kapisa ist dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen, dass diese zwar von Sicherheitsvorfällen betroffen ist, sowie, dass es zuletzt zu einer Zunahme ziviler Opfer gekommen ist. Insbesondere gilt der Herkunftsdistrikt als umkämpft. Der Einschätzung der EASO Country Guidance zufolge ist das Gewaltniveau in der Provinz Kapoisa nicht sehr hoch, weswegen höheres Augenmerk auf die individuellen Elemente zu richten ist und die bloße Anwesenheit in der Provinz noch nicht ausreicht, um vom reale Riko eines ernsthaften Schadens iSd Art. 15 lit. c Statusrichtlinie auszugehen ist (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, 3.3 Article 15(c) QD, Abschnitt Kapisa, S. 133). Gegenständlich ist mit Blick auf die besondere Konfliktbetroffenheit des Herkunftsdistriktes, der als umkämpft gilt und damit in höherem Ausmaß von Sicherheitsvorfall betroffen ist, als Provinz als Ganzes, davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in sein Herkunftsdorf die reale Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte droht.

3.2.2.  Zur Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind nach dem klaren Wortlaut des § 11 AsylG 2005 zwei getrennte und selbstständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative zu unterscheiden. Einerseits muss geprüft werden, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefasste Gebiet Schutz vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Die zweite Voraussetzung für das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative bildet nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Frage, ob dem Asylwerber der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Die Zumutbarkeit des Aufenthalts ist von der Frage der Schutzgewährung in diesem Gebiet zu trennen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001 mwN). Selbst wenn in dem betreffenden Gebiet also keine Verhältnisse herrschen, die die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtfertigen, wäre die innerstaatliche Fluchtalternative bei Unzumutbarkeit des Aufenthalts in diesem Gebiet zu verneinen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch mit den UNHCR-Richtlinien und den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes in adäquater Weise auseinanderzusetzen (VwGH 22.07.2020, Ra 2020/18/0090).

Wie festgestellt steht Mazar-e Sharif unter der Kontrolle der afghanischen Regierung und ist die Häufigkeit von Sicherheitsvorfällen relativ gering. Weiter ist die Stadt auch über ihren internationalen Flughafen erreichbar. Damit ist im Fall einer Niederlassung des Beschwerdeführers in Mazar-e Sharif ein aus der Sicherheitslage resultierende „reales risiko“ im Sinne der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes VwGH 23.01.2019, Ra 2018/14/0196). So geht auch EASO im Hinblick auf Mazar-e Sharif davon aus, dass das Gewaltniveau in Mazar-e Sharif so niedrig ist, dass ein „real risk“ für Zivilpersonen im Allgemeinen nicht besteht (EASO Country Guidance, Kapitel 3.3 Article 15(c) QD, Abschnitt Balkh, S. 119). Individuelle Elemente, die ein Abgehen von dieser generellen Einschätzung erforderlich machen würden, sind dagegen nicht ersichtlich und wurden auch nicht konkret dargelegt.

Auch bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zuge der Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erforderlichen Beurteilung einer Auseinandersetzung mit der allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/19/0455). Im Hinblick auf die Menschenrechtslage in Afghanistan ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer keinerlei Vorbringen erstattete, dass seine konkrete und individuelle Betroffenheit wahrscheinlich erscheinen ließe.

Nach österreichischer Rechtslage (Vgl. nochmals VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006) ist zudem zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr unabhängig von Akteuren oder dem bewaffneten Konflikt eine reale Gefahr („real risk“) einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK droht.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B2400/07 mwN).

Auch in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Hinblick auf den anzuwendenden Prüfungsmaßstab des Art. 3 MRK anerkannt, dass es unter Berücksichtigung der Judikatur des EGMR Ausnahmefälle geben kann, in denen durch eine schwere Erkrankung bzw. einen fehlenden tatsächlichen Zugang zur erforderlichen Behandlung im Herkunftsstaat die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Im Hinblick auf die Betroffenheit Afghanistans von der COVID-19-Pandemie ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer gesund ist und konkrete Anhaltspunkte für eine zu erwartende Infektion des Beschwerdeführers mit einem in der Folge schweren Verlauf nicht ersichtlich sind. Dies liegt zwar im Bereich des Möglichen, nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht die bloße Möglichkeit der Gefahr einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte jedoch nicht aus, es muss viel mehr eine darüberhinausgehende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich eine solche Gefahr verwirklicht wird (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Ansonsten ist im Hinblick auf den individuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers spezifischer Behandlungsbedarf nicht ersichtlich und damit auch die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK nicht zu erwarten.

Das Kriterium der Zumutbarkeit ist in unionsrechtskonformer Auslegung gleichbedeutend mit dem Erfordernis nach Art. 8 Abs. 1 Statusrichtlinie, nämlich, dass vom Asylwerber vernünftigerweise erwartet werden kann, sich im betreffenden Gebiet seines Herkunftslandes niederzulassen (VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss es dem Asylwerber im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten möglich sein, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (Zuletzt VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche, sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall einer Rückkehr vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (VwGH 20.08.2020, Ra 2020/19/0239).

Maßgebliche Faktoren für die Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative sind nach der Einschätzung von EASO und UNHCR im Hinblick auf die persönlichen Umstände Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, ethnischer und sprachlicher Hintergrund, Religion, das Vorhandensein von Identitätsdokumenten, Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten, sozialer und ökonomischer Hintergrund, Bildungshintergrund, Zugang zu einem sozialen Unterstützungsnetzwerk und Religion (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, insbesondere S. 172 ff. und UNHCR-Richtlinien, Kapitel III. Internationaler Schutzbedarf, Unterkapitel C. Interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative, Unterkapitel 2. Analyse der Zumutbarkeit, Buchstabe a) Die persönlichen Umstände des Antragstellers, S. 122).

EASO führt zudem konkrete Personenprofile samt Schlussfolgerungen an, wobei gegenständlich das Profil des „Single able-bodied men“ (EASO Country Guidance, Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 5. Internal protection alternative, Abschnitt Reasonableness to settle, S. 135 ff., Unterabschnitt Conclusions on reasonableness: particular profiles encountered in practice, S. 174) in Betracht kommt. Diesem zufolge ist, auch wenn eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif mit Schwierigkeiten verbunden ist, davon auszugehen, dass diese für alleinstehende, leistungsfähige Männer unter Berücksichtigung von deren individuellen Umständen im Allgemeinen zumutbar ist.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann, er ist nicht verheiratet und weder Kinder noch sonstige Sorgepflichten hat. Zudem ist der Beschwerdeführer gesund, hat in Afghanistan bereits sieben Jahre

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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