TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 W265 2238890-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W265 2238890-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , BSc, MSc, geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 17.11.2020, betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 01.07.2020 beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, mittels dem entsprechend von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular. Mit dem Antrag legte er einen medizinischen Befund und einen Nachweis über den Bezug erhöhter Familienbeihilfe vor.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Lungenheilkunde unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag. In dem auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 02.09.2020 basierenden Gutachten vom 22.09.2020 wurde Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – ausgeführt:

„Anamnese:

Wegen primären Lungenhochdruck schweren Grades, sowie Gefäßfehlbildungen und Erweiterungen der Pulmonalarterien wurde am 23.02.2020 eine beidseitige

Lungentransplantation im XXXX durchgeführt. Seither wird eine immunsuppressive Dauerbehandlung durchgeführt.

Weiters vorbekannt sind Erweiterungen der Venen der Speiseröhre, eine Gastroskopie im XXXX vom April 2020 ergab diesbezüglich eine Besserung ohne akute Geschehnisse.

Bei der Lungentransplantation gab es postoperativ Komplikationen, diese sind zwischenzeitlich allerdings vollständig abgeheilt, der Kunde konnte am 04.05.2020 aus dem XXXX entlassen werden, dies in gutem Allgemeinzustand, anschließend Rehazentrum XXXX

Eine Lungenfunktion vom 24.04.2020 war mitarbeitsbedingt erschwert beurteilbar.

Eine CT-Thorax vom 05.04.2020 zeigt eine Rückbildung entzündlicher Veränderungen in der linken Lunge gegenüber der Voruntersuchung vom März 2020.

Die Blutgasanalyse vom 24.04.2020 lag vollständig im Normbereich.

Der Kunde legt eine Lungenfunktionsmessung vom 31.08.2020 vor: die Messwerte liegen vollständig im Normbereich.

Es sind regelmäßige Kontrollen an der Transplantationsambulanz des XXXX geplant.

Allergie: keine bekannt

Alkohol: negiert, Nikotin: negiert

Derzeitige Beschwerden:

Der Kunde gibt an, eigentlich beschwerdefrei zu sein.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Prograf, Pantoloc, Prednisolon, Lidaprim, Valganciclovir, Magnosolv, Amphotericin, Aqua Bid Fre Plamp, Cipralex, Seroquel, Oleovit D3, Novalgin, Inderal

Sozialanamnese:

Angestellter in Teilzeit (Bürotätigkeiten), alleinstehend, von seiner Mutter werde er bei den Haushaltstätigkeiten unterstützt, kein Pflegegeldbezug

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

wie oben bei Anamnese angeführt

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

26 jähriger Mann im altersentsprechenden normalen Allgemeinzustand, keine

Ruhedyspnoe, keine Lippenzyanose, keine mobile Sauerstoffversorgung, Sauerstoffsättigung bei Raumluftatmung mit 96% im Normbereich

Ernährungszustand:

normaler Ernährungszustand

Größe: 187,00 cm Gewicht: 68,00 kg Blutdruck: 120/80

Klinischer Status - Fachstatus:

Kopf, Hals: keine obere Einflussstauung, keine Struma, keine Lippenzyanose, die Hirnnerven frei

Herz: reine rhythmische Herztöne, Frequenz: 77 pro Minute

Lunge: sonorer Klopfschall, freie Vesikuläratmung ohne spastische Nebengeräusche, klinisch Normalbefund an den Lungen

Brustkorb: symmetrisch, ventral findet sich beidseits eine horizontal verlaufende, typische, reizlose Narbe nach beidseitiger Lungentransplantation

Gliedmaßen: keine Krampfadern, keine Beinödeme, die großen Gelenke frei beweglich

Gesamtmobilität – Gangbild:

altersentsprechende unauffällige Gesamtmobilität, es wird keine Gehhilfe verwendet, freier Stand und freies Sitzen problemlos möglich

Status Psychicus:

unauffällig, zeitlich- und örtlich orientiert, keine fassbaren kognitiven Defizite, ausgeglichene, freundliche Stimmungslage

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation am 23.02.2020 wegen primären Lungenhochdruck mit Komplikationen, derzeit mit normaler Lungenfunktion, unter immunsuppressiver Dauerbehandlung g.Z. Unterer Rahmensatz, da bei subjektiver Beschwerdefreiheit und normaler Lungenfunktion, sowie fehlenden Hinweisen auf akute- oder chronische Abstossungsreaktion, Art und Prognose der Grunderkrankung, sowie die Auswirkungen der immunsuppressiven Dauerbehandlung mitzuberücksichtigen sind.

06.06.02

30


Gesamtgrad der Behinderung          30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

---

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Krampfadernbildung in der Speiseröhre und Veränderungen des Magens und andere Stauungszeichen nach Lungenhochdruck: durch die beidseitige Transplantation gebessert, soweit vorhanden im Leiden Nr. 1 mitberücksichtigt.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

---

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

---

?

Dauerzustand

?

Nachuntersuchung -

1.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine

2.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein.“

Mit Schreiben vom 22.09.2020 brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer dieses Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.

Mit E-Mail vom 15.10.2020 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen anwaltlichen Vertreter eine Stellungnahme, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, im Gutachten sei lediglich der Zustand nach Doppellungentransplantation berücksichtigt und bewertet worden. Der Beschwerdeführer habe auf die Frage, wie es ihm jetzt gehe, in der Meinung, die Frage beziehe sich auf den Anamnesezeitpunkt, mit gut geantwortet. Tatsächlich würden bei ihm diverse Erkrankungen und Leidenszustände vorliegen, welche in Zusammenschau mit dem Zustand nach Doppellungentransplantation einen Behinderungsgrad von deutlich über 70 %, jedoch zumindest von 50 % ergeben würden. Nach der Transplantation sei der Beschwerdeführer auf eine Immunsuppressiv- und Abstoßungsreaktionstherapie angewiesen. Folge dieser Therapie sei, dass das Immunsystem derart unterdrückt, sohin bewusst geschwächt sei, dass er nicht nur Covid-19-Höchstrisikopatient sei, sondern jeder banale Infekt lebensbedrohlich sein könne. Dies löse beim Beschwerdeführer Angstzustände aus, wenn er auf die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel z. B. bei der An- und Abfahrt zur Arbeitsstelle angewiesen sei. Diese Angstzustände seien im Gutachten nicht berücksichtigt worden, ebenso nicht die Immunsuppressiv- und Abstoßungsreaktionstherapie, die in der Einschätzungsverordnung am besten mit einem Zustand bei einer schweren AIDS-Erkrankung verglichen werden könne. Hinzu kämen eine Reihe weiterer, näher genannte Erkrankungszustände. Mit der Stellungnahme wurden medizinische Befunde vorgelegt.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein weiteres Sachverständigengutachten des befassten Facharztes für Lungenheilkunde in Auftrag. In dem auf der Aktenlage basierenden Gutachten vom 16.11.2020 wurde Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – ausgeführt:

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Der Kunde erhebt Einspruch gegen das Gutachten des endgefertigten Sachverständigen vom 02.09.2020, wo eine letztlich erfolgreiche Lungentransplantation mit normaler Lungenfunktion wie fehlender akuter- oder chronischer Abstoßungsreaktion 30% Grad der Behinderung erreichte.

Die Vertreterin des Kunden führt aus, dass neben der Lungentransplantation beidseits auch weitere Erkrankungen vorliegen würden, sodass zumindest 50% Grad der Behinderung resultieren würden. Es wird auf die (im Gutachten ohnehin berücksichtigte) immunsuppressive Behandlung hingewiesen, welche zu einer Schwächung führen würde.

Weiters leide er an Angstzuständen bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel, da Infekte für ihn tödlich seien könnten. Diese Angstzustände bei Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel seien im Gutachten nicht berücksichtigt worden, ebenso die (vom Sachverständigen ausdrücklich erwähnte) immunsuppressive Therapie. Das Leiden sei mit einer "schweren Aids-Erkrankung" (!) zu vergleichen.

Weiters wird ein Attest des Hausarztes vom 15.10.2020 wiedergegeben, welches lediglich eine tabellarische Aufstellung verschiedener früherer- oder aktueller Beschwerden und Leidenszustände enthält, jedoch keine objektiven Untersuchungsergebnisse oder Befunde.

Es wird das eigene Gutachten vom 02.09.2020 neuerlich zitiert: der Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation am 23.02.2020 wurde ausdrücklich beschrieben, ebenso die Tatsache, dass postoperative Komplikationen aufgetreten sind, sodass ein mehrere Monate andauernder Heilungsprozess notwendig war. Festzuhalten ist allerdings, dass es schließlich zu einer kompletten Abheilung gekommen ist, sodass man im jüngsten Befundbericht der Transplantationsambulanz des XXXX vom 23.09.2020 feststellte: Bronchoskopie: Anastomosen beidseits verheilt, kein Sekret, unauffällige Bronchoskopie, stabiler Zustand, guter Allgemeinzustand, körperlich gut belastbar, die Lungenfunktion stabil und schön.

Die anhaltende immunsuppressive Behandlung wird in diesem Befund naturgemäß erwähnt und ist in der angezogenen Rs-Position selbstverständlich berücksichtigt.

Auch im Befundbericht des XXXX vom 31.08.2020 heißt es: Spirometrie stabil, Labor schön, Röntgen ok, TAC ok, Reduktion der Cortison-Behandlung, die Wunde nach Verschluss am 24.07.2020 schön.

Die tabellarische Aufzeichnung von verschiedenen zurückliegenden Krankheitsbildern in der Vergangenheit, wie sie der Hausarzt dem Kunden ausstellte, enthält mit Ausnahme der berücksichtigten beidseitigen Lungentransplantation mit immunsuppressiver Behandlung lediglich jene Diagnosen, welche zur Transplantation führten und somit nicht mehr aktuell sind.

Bzgl. der Angststörung wird kein valider psychiatrischer Befund vorgelegt.

Bei Einsichtnahme in den Befundbericht des XXXX vom 23.09.2020 ist in der Liste der Diagnosen eine antidepressive Monotherapie (Cipralex) 1x täglich morgens in niedriger Dosierung enthalten.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Lungentransplantation zwar mit Komplikationen und Wundheilungsstörung einhergegangen ist, letztlich jedoch ein ausgezeichnetes Ergebnis erzielt werden konnte. Zur Beurteilung gelangt im gegenständlichen Gutachten lediglich der Dauerzustand und nicht die Akutereignisse unmittelbar nach der Lungentransplantation. Ein sehr guter Gesamtzustand wird im Befundbericht des XXXX / Transplantationsambulanz vom 23.09.2020 ausführlich bestätigt.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Prograf, Aprednisolon, Lidaprim, Pantoloc, Magnosolv, Cipralex, Oleovit D3, Inderal

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

abgeheilter Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation am 23.02.2020 (Indikation: primärer Lungenhochdruck mit verschiedenen

Organmanifestationen), postoperativen Komplikationen, sowie Wundheilungsstörung, unter immunsuppressiver Dauerbehandlung

g.Z. mit unterer Rahmensatz, da nach Abklingen der postoperativen vorübergehenden Komplikationen, sowie der Wundheilungsstörung derzeit subjektive Beschwerdefreiheit, normale Lungenfunktion, gute

Verträglichkeit der immunsuppressiven Behandlung, sowie fehlende Hinweise auf eine akute- oder chronische Abstossungsreaktion vorliegen. In der angezogenen RS-Position stellt bei normaler Lungenfunktion und altersgemäß unauffälligen Gesamtzustand die immunsuppressive Dauerbehandlung den wesentlichen Inhalt der Behinderung dar und ist somit vollinhaltlich berücksichtigt.

06.06.02

30


Gesamtgrad der Behinderung          30 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Angststörung in der Anamnese: keine laufende psychiatrische Behandlung, keine stationären

Aufenthalte, unter niedrig dosierter antidepressiver Monotherapie einmal täglich ausgezeichnete Therapieeinstellung, fehlende kognitiven Defizite, sowie vollständige soziale Integration gewährleistet.

Sekundärkomplikationen des Lungenhochdruckes wie Krampfadernbildung der Speiseröhre, Magenveränderungen oder Stauungszeichen bei Lungenhochdruck: die Erkrankungen waren Ursache der Lungentransplantation und konnten durch den Eingriff beseitig werden. Soweit Restzustände bestehen, sind sie in der Position Nr. 1 miterfasst.

Verhinderungen nach Wundheilungsstörung, sowie postoperativen Komplikationen: vorübergehendes Geschehen, kein Dauerzustand, somit wird auch kein Grad der Behinderung erreicht.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Die neu vorgelegten Befunde und Unterlagen, insbesondere jene des XXXX vom August und September 2020 bestätigen vollinhaltlich die Einschätzung des endgefertigten Sachverständigen: stabiler Zustand, normale Lungenfunktion, die Wunde abgeheilt, guter Gesamtzustand und gute Belastbarkeit. Somit bleibt es bei der vorgenommenen Einstufung.

Die im Einspruch geltend gemachte Angststörung erreicht gemäß Definition einer diesbezüglichen affektiven Störung nicht die mindestens 3 geforderten Kriterien.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Keine Änderung

?

Dauerzustand

?

Nachuntersuchung -

1.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Wie im Vorgutachten ausgeführt ist der Innenraum öffentlicher Verkehrsmittel mit anderen Bereichen des öffentlichen Raumes vergleichbar, dies betrifft Arbeitsplätze, ebenso wie kulturelle Einrichtungen, Einkaufszentren, Geschäfte oder private Zusammenkünfte, aber auch Wartebereiche von Krankenhäusern oder Ordinationen. Aus gutachterlicher Sicht ist es unzulässig, den damit vergleichbaren Innenraum öffentlicher Verkehrsmittel gezielt herauszugreifen, während andere öffentliche Räume nachweislich wiederholt aufgesucht werden.

2.       Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein“

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.11.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 01.07.2020 ab. Mit einem Grad der Behinderung von 30 % erfülle der Beschwerdeführer nicht die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Dem Beschwerdeführer sei mit Schreiben vom 22.09.2020 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Der im Rahmen des Parteiengehörs erhobene Einwand sei nicht geeignet gewesen, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu entkräften, weil er mangels medizinischer Begründung oder Vorlage neuer Beweismittel nicht ausreichend dokumentiert gewesen sei. Die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Mit dem Bescheid wurden dem Beschwerdeführer die ärztlichen Sachverständigengutachten vom 22.09.2020 und 16.11.2020 übermittelt.

Mit E-Mail vom 28.12.2020 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid durch seinen anwaltlichen Vertreter fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, die Zustellung des Bescheides sei zu unrecht nicht an den ausgewiesenen Rechtsvertreter, sondern an den Beschwerdeführer selbst erfolgt. Zustellungen an die vertretene Partei selbst seien rechtsunwirksam. Die erneute Stellungnahme des Sachverständigen sei dem Beschwerdeführer oder dessen Vertreter nicht zur Äußerung zugestellt worden, weshalb ein Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör vorliege, welcher den Bescheid mit Nichtigkeit belaste. Dies habe jedenfalls zur Aufhebung des Bescheides zu führen. Der Bescheid enthalte auch keine überprüfbare Begründung, sondern lediglich einen Verweis auf das ärztliche Begutachtungsverfahren. Ein derartiger Verweis sei nicht geeignet, Feststellungen, die Beweiswürdigung und die Begründung eines Bescheides zu ersetzen. Aufgrund der bloß formelhaften Ausführungen sei der Bescheid nicht überprüfbar. Ob und inwieweit die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 15.10.2020 von Sachverständigen berücksichtigt worden seien, sei nicht nachvollziehbar. Dieser habe sich darauf berufen, dass bei ihm nicht nur der Zustand nach Doppellungentransplantation zu berücksichtigten sei, sondern darüber hinaus noch näher genannte weitere Erkrankungen. Inwieweit dieses Vorbringen und die Krankengeschichte des Beschwerdeführers Eingang in das gegenständliche Sachverständigengutachten gefunden hätten, sei nicht nachvollziehbar, auch nicht, ob dadurch nicht ein Behinderungsgrad von über 50 % erreicht werde. Nicht festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer auf eine lebenslange Immunsuppressionstherapie angewiesen sei. Diese Therapie führe dazu, dass sein Immunsystem stark unterdrückt sei, weshalb er extrem anfällig für jegliche virale oder sonstige Erkrankung sei. Dieser Zustand sei dem eines AIDS-Kranken gleichzuhalten, was nach der Anlage zur Einschätzungsverordnung einen eigenständigen Behinderungsgrad von zumindest 20 % bedeute, welcher nicht berücksichtigt worden sei. Wäre dies erfolgt, wäre der beantragte Behindertenpass ausgestellt worden. Dem Beschwerdeführer sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Dauerimmunsuppressionstherapie nicht zumutbar. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass der Beschwerdeführer auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Behörden und dergleichen komme, seien nicht geeignet, die Zumutbarkeit der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zu begründen. Die Fahrt zur Arbeitsstelle sei eine regelmäßige, und dies zu Stoßzeiten. Wege zu Behörden und dergleichen kämen hingegen nur fallweise vor und könnten (und müssten) vom Beschwerdeführer so gestaltet werden, dass sie nicht zu Stoßzeiten erfolgen. Auch sei aus dem Umstand, dass er mangels Parkmöglichkeit fallweise auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen sei, nicht die Zumutbarkeit der Verwendung öffentliches Verkehrsmittel zu begründen. Dies wäre ein unzulässiger Zirkelschluss. Dass eine allfällige Notwendigkeit, öffentliche Verkehrsmittel benutzen zu müssen, auch Angstzustände beim Beschwerdeführer auslöse, sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. All diese medizinischen Umstände würden durch die Einholung eines neuen Gutachtens und des Gutachtens eines Immunsystemspezialisten unter Beweis gestellt werden, die hiermit beantragt würden. Sämtliche vorgebrachte Erkrankungszuständige würden einen Behinderungsgrad von zumindest 50 % sowie zusätzlich die Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben.

Mit Schreiben vom 22.01.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese am selben Tag einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer brachte am 01.07.2020 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17.11.2020 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses ab und sprach aus, dass mit einem Grad der Behinderung von 30 v. H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt seien.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-        abgeheilter Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation am 23.02.2020 (Indikation: primärer Lungenhochdruck mit verschiedenen Organmanifestationen), postoperativen Komplikationen, sowie Wundheilungsstörung, unter immunsuppressiver Dauerbehandlung g. Z.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß und medizinischer Einschätzung sowie der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen in den seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Lungenheilkunde vom 22.09.2020 und 16.11.2020 zu Grunde gelegt.

Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt aktuell 30 v. H.

2. Beweiswürdigung:

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland ergibt sich aus dem Akt und dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 22.01.2021.

Die Feststellungen zu den bei ihm vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie zum Gesamtgrad der Behinderung gründen sich auf die durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Lungenheilkunde vom 22.09.2020 und 16.11.2020, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 02.09.2020 und den von diesem vorgelegten medizinischen Unterlagen.

In den eingeholten Sachverständigengutachten wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Der sachverständige Gutachter setzt sich auch mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund sowie den vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen, entsprechen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigung. Die Gesundheitsschädigung wurde nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Den Ergebnissen der Sachverständigengutachten trat die Beschwerde zunächst mit dem Argument entgegen, dass nicht nachvollziehbar sei, ob und inwieweit vorgebrachte, näher genannte weitere Erkrankungen – neben dem Zustand nach Doppellungentransplantation – in diesen berücksichtigt worden seien. Dem kann nicht gefolgt werden: Der Sachverständige ging im (zweiten) Gutachten vom 16.11.2020 erkennbar auf die zusätzlich vorgebrachten Erkrankungen ein und begründete näher, weshalb diese nicht als eigenständige aktuelle Funktionseinschränkungen zu qualifizieren waren. Das Attest der Hausärztin des Beschwerdeführers vom 15.10.2020 (vgl. AS 31), dem die Auflistung der Diagnosen offenbar entnommen ist, enthält, wie der Sachverständige ausführte, keine objektiven Untersuchungsergebnisse oder Befunde. Die Auflistung umfasst zum einen jene Diagnosen, die Ursache der Lungentransplantation waren und durch diese beseitigt werden konnten (Lungenhochdruck und dessen Sekundärkomplikationen), sie ist insoweit nicht mehr aktuell. Soweit Restzustände bestehen, sind diese von der festgestellten Funktionseinschränkung „abgeheilter Zustand nach beidseitiger Lungentransplantation“ miterfasst. Zum anderen enthält die Liste einzelne postoperative Komplikationen, die jedoch keinen Dauerzustand darstellen und daher auch keinen Grad der Behinderung erreichen.

Der Leidenszustand des Beschwerdeführers wurde in den Sachverständigengutachten korrekt mit Position 06.06.02 der Anlage zur Einschätzungsverordnung eingestuft. Die Einschätzung des Grades der Behinderung mit dem unteren Rahmensatz (30 v. H.) begründete der Gutachter nachvollziehbar damit, dass nach Abklingen der postoperativen vorübergehenden Komplikationen sowie der Wundheilungsstörung derzeit subjektive Beschwerdefreiheit, eine normale Lungenfunktion, gute Verträglichkeit der immunsuppressiven Behandlung sowie fehlende Hinweise auf eine akute oder chronische Abstoßungsreaktion vorliegen. Der Sachverständige konnte sich dabei zuletzt auf den aktuellen Befundbericht der Transplantationsambulanz des XXXX vom 23.09.2020 (vgl. AS 57) stützen. Diesen Einschätzungen trat der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegen.

Des Weiteren wird in der Beschwerde vorgebracht, dass die Notwendigkeit einer lebenslangen Immunsuppressionstherapie nicht festgestellt und berücksichtigt worden sei. Durch diese sei der Beschwerdeführer extrem anfällig für jegliche virale oder sonstige Erkrankung, was dem Zustand eines AIDS-Kranken gleichzuhalten sei und einen eigenständigen Behinderungsgrad von zumindest 20 % bedeute. Auch betreffend diesen Einwand ist darauf hinzuweisen, dass die Immunsuppressionstherapie in beiden Sachverständigengutachten sehr wohl erkennbar berücksichtigt wurde und in die getroffene Einschätzung des Grades der Behinderung einfloss. Im zweiten Gutachten vom 16.11.2020 erläuterte der Sachverständige auch ausdrücklich, dass in der gewählten Position bei normaler Lungenfunktion und altersgemäß unauffälligem Gesamtzustand die immunsuppressive Dauerbehandlung den wesentlichen Inhalt der Behinderung darstellt und somit vollinhaltlich berücksichtigt ist. Die geforderte zusätzliche Einstufung der Therapie als eigenständiges Leiden wäre daher nicht gerechtfertigt.

Auch die vorgebrachten Angstzustände des Beschwerdeführers wurden entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde im (zweiten) Sachverständigengutachten ausreichend berücksichtigt. Der Sachverständige führte jedoch nachvollziehbar aus, dass diese keinen Grad der Behinderung erreichen, da keine laufende psychiatrische Behandlung, keine stationären Aufenthalte, nur eine niedrig dosierte antidepressive Monotherapie mit ausgezeichneter Therapieeinstellung, keine kognitiven Defizite und eine vollständige soziale Integration vorliegen. Die Kriterien einer krankheitswerten affektiven Störung sind nicht erfüllt. Zusätzliche Symptome oder Therapieerfordernisse, die etwas an dieser Einschätzung ändern könnten, wurde auch in der Beschwerde nicht vorgebracht.

Insoweit sich das Beschwerdevorbringen darüber hinaus ausschließlich auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bezieht, ist auszuführen, dass Grundlage und zwingende Voraussetzung für die Vornahme der entsprechenden Zusatzeintragung (in den Behindertenpass) die Ausstellung eines Behindertenpasses ist. Da dem Beschwerdeführer mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v. H. richtigerweise bereits kein Behindertenpass auszustellen war (siehe dazu noch in der rechtlichen Beurteilung), konnte eine nähere Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen unterbleiben. Für die Frage der Einschätzung des Grades der Behinderung waren die Angaben zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht relevant.

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Beschwerde keine neuen Befunde vor. Das Vorbringen in der Beschwerde war somit nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen mit einem höheren Grad der Behinderung herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung der Leidenszustände zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.

Der Beschwerdeführer ist mit seiner Stellungnahme vom 15.10.2020 und den Ausführungen in der Beschwerde im Lichte obiger Ausführungen daher den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen in den Gutachten vom 22.09.2020 und 16.11.2020 nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Betreffend den Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens eines Immunsystemspezialisten sowie die behaupteten Verfahrensmängel wird auf die Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit der vorliegenden Sachverständigengutachten vom 22.09.2020 und 16.11.2020. Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes lauten auszugsweise:

„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

Wie oben unter Punkt II. 2. ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Facharztes für Lungenheilkunde vom 22.09.2020 und 16.11.2020, beruhend den vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten medizinischen Befunden und dem am 02.09.2020 von demselben Facharzt erhobenen Untersuchungsbefund, zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers aktuell 30 v. H. beträgt. Die Funktionseinschränkungen wurden im Gutachten entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Der Beschwerdeführer ist diesem nachvollziehbaren Sachverständigengutachten, wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Beschwerde auch keine weiteren Befunde und somit auch keine Befunde vor, die geeignet wären, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung seines Zustandes zu belegen.

Da der Sachverhalt feststeht und die Sache daher entscheidungsreif ist, war dem in der Beschwerde gestellten Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens durch einen Immunsystemspezialisten nicht Folge zu geben, zumal bereits zwei medizinische Sachverständigengutachten eingeholt und der Entscheidung zu Grunde gelegt wurden. Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, ist die Immunsuppressionstherapie des Beschwerdeführers kein eigenständig zu beurteilender Leidenszustand, sondern ein Aspekt seines Zustands nach beidseitiger Lungentransplantation, der bereits durch einen Facharzt für Lungenheilkunde, somit einen einschlägigen Sachverständigen, ausführlich begutachtet wurde. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass kein Rechtsanspruch auf die Zuziehung eines Facharztes eines bestimmten medizinischen Teilgebietes besteht (vgl. VwGH 24.06.1997, 96/08/0114).

Zu den in der Beschwerde behaupteten Verfahrensmängeln ist insgesamt zu sagen, dass deren (fortwirkende) Relevanz für das gegenständliche Beschwerdeverfahren nicht dargetan wurde. Allfällige Verfahrensmängel im Verfahren vor der belangten Behörde können durch ein mängelfreies Verfahren vor dem Verwaltungsgericht saniert werden (vgl. VwGH 29.01.2015, Ra 2014/07/0102). Hinsichtlich des behaupteten Zustellmangels ist zudem darauf hinzuweisen, dass ein solcher gemäß § 7 Zustellgesetz mit (gegenständlich offenbar bewirktem) tatsächlichen Zugang an den Rechtsvertreter jedenfalls geheilt wäre. Auch eine in erster Instanz unterlaufene Verletzung des Parteiengehörs wird nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durch die Gewährung des Parteiengehörs im Berufungsverfahren geheilt (vgl. VwGH 25.10.1990, Zl. 88/06/0127). Das diesbezüglich beanstandete Gutachten vom 16.11.2020 wurde dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid übermittelt, und dieser hat seine Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen, in der Beschwerde auch tatsächlich wahrgenommen.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v. H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v. H. ein Behindertenpass auszustellen ist, aktuell nicht erfüllt.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

3.       wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde iSd § 24 Abs. 1 VwGVG weder beantragt, noch hält Bundesverwaltungsgericht eine solche für erforderlich.

Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W265.2238890.1.00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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