TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 W261 2227141-1

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Veröffentlicht am 05.03.2021
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Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W261 2227141-1/12E


IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 03.12.2019 betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer beantragte am 03.06.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde) die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass samt Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung.

2. Die belangte Behörde holte ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie ein. In dem aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 30.09.2019 erstellten Gutachten vom 02.10.2019 stellte die medizinische Sachverständige einen Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert (v.H.) fest. Sie berücksichtigte dabei folgende Leiden des Beschwerdeführers: 1. Unterschenkelamputation links (Pos. Nr. 02.05.44 – GdB 50%), 2. Koronare Herzkrankheit, Zustand nach Myocardinfarkt, vierfach Stenting, Bluthochdruck (Pos. Nr. 05.05.02 – GdB 40%), 3. Insulinpflichtiger Diabetes (Pos. Nr. 09.02.02 – GdB 30%) und 4. Posttraumatische Funktionseinschränkung linkes Hüftgelenk (Pos. Nr. 02.05.07. – GdB 10%). Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung würden nicht vorliegen.

3. Die belangte Behörde übermittelte dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 14.10.2019 an den Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen ein.

4. In seiner Stellungnahme vom 23.10.20219 führte der Beschwerdeführer aus, dass es für ihn – trotz seiner Berufstätigkeit – schwierig sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Er sei nicht in der Lage, längere Zeit zu stehen. Er sei am 01.09.2019 gestürzt und habe sich am linken, amputierten Bein, den Oberschenkel gebrochen. Dieser sei operativ versorgt worden. Daher sei er derzeit auf Rollmobil und Krücken angewiesen. Er beabsichtige auf Reha zu gehen, welche ihm bereits genehmigt worden sei. Hinsichtlich seiner Herzproblematik sei bei der vor kurzem durchgeführten MRT-Untersuchung eine Stentthrombose festgestellt worden. Der Beschwerdeführer schloss seiner Stellungnahme weitere medizinische Befunde an.

5. Die belangte Behörde nahm diese Stellungnahme zum Anlass, um die befasste medizinische Sachverständige um eine ergänzende Stellungnahme zu ersuchen. In deren Stellungnahme vom 01.12.2019 führte die medizinische Sachverständige zusammenfassend aus, dass die Einwendungen des Beschwerdeführers und auch die neu vorgelegten medizinischen Befunde zu keiner neuen Einschätzung führen würden.

6. Die belangte Behörde stellte dem Beschwerdeführer am 05.12.2019 einen Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. aus.

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 03.12.2019 wies die belangte Behörde der Antrag des Beschwerdeführers vom 03.06.2019 auf Vornahme einer Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ab. Die belangte Behörde stützte sich auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das einen Bestandteil der Begründung bilden würde. Nach dem eingeholten Gutachten lägen die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vor.

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schreiben seiner bevollmächtigten Vertretung, des Kriegsopfer- und Behindertenverbandes für Wien, Niederösterreich und Burgenland (KOBV), vom 27.12.2019 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin führte der Beschwerdeführer im Wesentlich aus, dass er an einem Zustand nach Unterschenkelamputation links, koronarer Herzkrankheit bei Zustand nach Myocardinfarkt mit vierfachem Stenting, insulinpflichtigem Diabetes sowie posttraumatischen Funktionseinschränkungen des linken Hüftgelenks leide. Aufgrund der orthopädischen Gesundheitsschädigungen sei er nicht in der Lage, eine Wegstrecke von 300-400m zurückzulegen, oder Niveauunterschiede beim Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel zu überwinden. Der BF sei in bestem Fall mit zwei Krücken mobil, sodass sich auch durch diesen Umstand Probleme beim Ein- und Aussteigen, beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, sowie bei notwendig werdenden Fortbewegungen im Verkehrsmittel während der Fahrt bzw. bei abrupten Anhalte- oder Losfahrmanövern ergeben würden. Es sei dem BF aufgrund der Gesamtheit der Gesundheitsschädigungen keinesfalls möglich bzw. zumutbar, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Beschwerdeführer schloss seiner Beschwerde eine Reihe von medizinischen Befunden an.

9. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 02.01.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am selben Tag in der Gerichtsabteilung W173 einlangte.

10. Das Bundesveraltungsgericht nahm die Beschwerde zum Anlass, um ein Gutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin einzuholen. In dem auf Basis der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.08.2020 erstellten Gutachtens vom 15.12.2020 kommt der medizinische Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer aktuell nicht in der Lage sei, eine Wegstrecke von mehr als 200 Metern zurückzulegen. Es könne eine Verbesserung eintreten, weswegen eine Nachuntersuchung im November 2021 angeregt werde.

11. Das Bundesverwaltungsgericht informierte die Parteien des Verfahrens mit Schreiben vom 12.01.2021 vom Ergebnis der Beweisaufnahme und räumte diesen die Möglichkeit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme ein.

12. Der Beschwerdeführer teilte mit Stellungnahme des KOBV vom 20.01.2021 mit, dass das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis genommen werde, und um ehest mögliche Erlassung des Erkenntnisses ersucht werde.

13. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W173 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 03.03.2021 einlangte.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland. Der Beschwerdeführer verfügt über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H.

Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: adipös, Größe: 174, Gewicht: 90 kg

Caput/Hals: unauffällig, keine Lippenzyanose, Sprache unauffällig, keine Halsvenenstauung, Schilddrüse schluckverschieblich, Herz: reine Herztöne, rhythmische Herzaktion, Lunge: V.A. beidseits, sonorer KS, Basen atemversch., keine/Kurzatmigkeit beim Sprechen keine maßgebliche Kurzatmigkeit bei Bewegungsprüfung im Untersuchungszimmer, Abdomen: unauffällig, über Thoraxniveau, weich, keine Druckpunkte, keine pathologischen Resistenzen palp., Leber am Ribo palp., Milz n.p., Darmgeräusche normal und unauffällig, Nierenlager bds. frei.

Wirbelsäule:

Halswirbelsäule: Kopfdrehung und -seitneigung: nach rechts und links frei, Inkl. und Rekl. frei, Brustwirbelsäule: gerade, Lendenwirbelsäule: Rumpfdrehung und —seitneigung frei.

Obere Extremitäten:

Muskulatur der oberen Extremitäten seitengleich unauffällig ausgebildet, Rechtshänder. Schultergelenk rechts: frei beweglich, Nackengriff frei, Schürzengriff frei, Schultergelenk links: frei beweglich, Nackengriff frei, Schürzengriff frei, Ellenbogengelenk rechts frei beweglich, Ellenbogengelenk links: frei beweglich, Handgelenke frei beweglich, Fingergelenke beidseits frei, Daumengelenke bds. frei, Faustschluß bds. durchführbar, Zangengriff bds. durchführbar, Greif- und Haltefunktion beidseits unauffällig.

Obere Extremitäten:

Hüftgelenk rechts: Flexion 90°, Abduktion und Adduktion frei, Hüftgelenk links: Flexion 90°, Abduktion endlagig eingeschränkt, Adduktion endlagig eingeschränkt, blande Narbe Hüftgelenk links etwa 5 cm haltend, Kniegelenke frei beweglich, bandstabil, Sprunggelenk rechts frei beweglich, Zehenbeweglichkeit rechts unauffällig. Die Großzehe rechts ist mit einem Schutzverband versorgt (dies sei sicherheitshalber laut dem Beschwerdeführer, um eine Verletzung zu vermeiden). Zustand nach Unterschenkelamputation links, Stumpf ohne Entzündungszeichen unauffällig, Narben unauffällig. Die rechte untere Extremität kann gut von der Unterlage abgehoben werden, die linke untere Extremität bei Zustand nach Unterschenkelamputation kann gut von der Unterlage abgehoben werden. Muskulatur an beiden Oberschenkeln seitengleich unauffällig und gut ausgeprägt, Muskulatur des rechten Unterschenkels unauffällig ausgeprägt. Trockene Haut im Bereich des rechten Fußes. Beinpulse: Pulse im Bereich beider Kniekehlen seitengleich gut tastbar, Fußpulse rechts gut tastbar. Venen: unauffällig, Ödeme: geringes Knöchelödem rechts.

Neuro: grobneurologisch unauffällig.

Psychischer Staus:

Anamneseerhebung und Kommunikation unauffällig und gut möglich, der Beschwerdeführer ist klar, wach, in allen Qualitäten orientiert. Stimmung ausgeglichen. Das Denkziel: wird erreicht.

Gangbild:

Der Beschwerdeführer kommt mit einem Rollator zur Untersuchung. Auf dem Rollator sind 2 Unterarmstützkrücken befestigt. Der Beschwerdeführer ist mit einer Unterschenkelprothese links versorgt. Das Gangbild stellt sich mit angelegter Unterschenkelprothese links und Rollator verlangsamt, hinkend links und insgesamt flüssig und sicher dar. Gehen mit 2 UA-Stützkrücken im Untersuchungszimmer vorsichtig und verlangsamt, sicher möglich. Aufstehen aus sitzender und liegender Körperhaltung selbstständig möglich, Lagewechsel selbstständig möglich. Ablegen und Anlegen der Prothese erfolgt selbstständig und ohne Probleme.

Der Beschwerdeführer hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

?        Zustand nach Unterschenkelamputation links am 01.04.2019 bei vorausgegangener peripherer arterieller Verschlusserkrankung im Stadium IV

?        Zustand nach Oberschenkelfraktur links mit operativer Versorgung am 02.09.2019 mit Oberschenkelnagel (dieser noch im Körper befindlich)

?        Herzschwäche bei koronarer Herzerkrankung bei Zustand nach Myokardinfarkt und Stenting mehrerer Herzkranzgefäße bei Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ III

?        Grüner Star beider Augen bei diabetischen Spätschäden

?        Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule bei Zustand nach Reizzustand im Bereich der Lendenwirbelsäule

Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Es besteht ein Zustand nach Unterschenkelamputation links 4/2019 sowie ein Zustand nach Fraktur im Bereich des linken Oberschenkels mit operativer Versorgung mittels Marknagel 9/2019. Im Bereich des rechten Hüftgelenks lässt sich keine maßgebliche funktionelle Einschränkung objektivieren. Im Bereich des linken Hüftgelenks lässt sich bei in situ befindlichem Marknagel eine geringgradige funktionelle Einschränkung objektivieren. In beiden Kniegelenken bestehen sich keine maßgeblichen funktionellen Einschränkungen. Bei Zustand nach Unterschenkelamputation links zeigt sich ein unauffälliger Amputationsstumpf. Der Beschwerdeführer verwendet eine Unterschenkelprothese. Maßgebliche Störungen der Prothesenfunktion lassen sich nicht erheben und sind nicht befundbelegt. Das Sprunggelenk rechts und die Zehen rechts sind in der Funktion unauffällig. Insgesamt lassen sich bei Zustand nach Unterschenkelamputation links und Oberschenkelbruch links keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der Hüftgelenke, der Kniegelenke sowie des rechten Sprunggelenks und der Zehen rechts objektivieren.

Der Entlassungsbericht nach Rehabilitation im orthopädischen Klinikum XXXX vom 05.02.2020 beschreibt am Ende der Rehabilitation, dass der Beschwerdeführer bei Aufnahme ein 6-Minuten-Gehstrecken-Test von 127 m und bei Entlassung ein Gehstrecken-Test von 164,9 m zurücklegen konnte. Der Befund beschreibt eine eingeschränkte Gehstrecke und damit eine erhebliche Einschränkung der Funktion der unteren Extremitäten. Gleichzeitig beschreibt der Befund eine Besserung der Funktionen und eine Verminderung der Gehstreckenlimitierung durch die rehabilitativen Maßnahmen. Bei Fortführung der empfohlenen Maßnahmen, der heimgymnastischen Übungen sowie Übungen zur Steigerung; der Ausdauer ist eine weitere Besserung zu erwarten.

Beim Beschwerdeführer ist das Zurücklegen einer Gehstrecke von 300-400 Meter derzeit auf erhebliche Weise erschwert. Insgesamt ist bei eingeschränkter Gehstrecke die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit auf erhebliche Weise erschwert.

Erhebliche Einschränkungen der Funktionen der oberen Extremitäten liegen nicht vor. In den Schultergelenken, den Ellenbogengelenken, den Handgelenken sowie den Fingern lassen sich keine maßgeblichen funktionellen Einschränkungen objektivieren. Die Greif- und Haltefunktion ist beidseits unauffällig gegeben.

Bei koronarer Herzerkrankung besteht ein Zustand nach Myokardinfarkt im September 2018 mit Zustand nach Implantation von 4 Stents. Befundmäßig dokumentiert ist eine Einschränkung der Herzfunktion. Die Auswurfleistung der linken Herzkammer ist mittelgradig eingeschränkt. Erhebliche kardiopulmonale Funktionseinschränkungen lassen sich nicht objektivieren und sind nicht befundbelegt. Eine arterielle Verschlusserkrankung der unteren Extremitäten im Stadium II/B bei fehlender therapeutischer Option ist aktuell nicht belegt. Eine Herzinsuffizienz mit einer linksventrikulären Funktionseinschränkung unter 30 % ist nicht befundbelegt und lässt sich aktuell nicht erheben. Eine hochgradige Rechtsherzinsuffizienz, eine Lungengerüsterkrankung unter Langzeitsauerstofftherapie, eine chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung im Stadium IV und ein Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie sind nicht befundbelegt und lassen sich nicht erheben. Ein mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nicht benützt werden. Insgesamt lassen sich keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit objektivieren.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten und Funktionen sind durch diesbezügliche nervenärztliche Befunde nicht dokumentiert, lassen sich grobklinisch nicht erheben und liegen nicht vor.

Eine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems ist durch diesbezügliche Befunde nicht dokumentiert, lasst sich grobklinisch nicht erheben und liegt nicht vor.

Eine hochgradige Sehbehinderung, eine Blindheit oder Taubblindheit liegt nicht vor.

Insgesamt liegen keine Schmerzzustände vor, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche 'Weise erschweren.

Insgesamt erschwert die Zuckerkrankheit bzw. deren Ausmaß die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf erhebliche Weise.

Das Wirbelsäulenleiden erreicht bei Fehlen maßgeblicher funktioneller Einschränkungen kein Ausmaß, welches die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche, Weise erschwert.

Eine ärztliche Nachuntersuchung ist im November 2021 erforderlich.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Artzes für Allgemeinmedizin vom 15.12.2020, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.08.2020, ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen und nachvollziehbar ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankungen, insbesondere seiner derzeit bestehenden eingeschränkten Möglichkeit, eine Wegstrecke von 330-400 Metern zurückzulegen, nicht möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Damit bestätigt der medizinische Sachverständige das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde. Das genannte medizinische Sachverständigengutachten wurde den Parteien des Verfahrens im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelt und blieb unbestritten.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 03.12.2019 der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 32/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„§ 1 ….

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. …….

2. ……

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)……“

In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

..."

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (vgl. das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Zl. Ro 2014/11/0013).

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 15.12.2020, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.08.2020, nachvollziehbar bestätigt, dass im Fall des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag dieser, wie in seiner Beschwerde richtig angeführt, die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.

Da festgestellt worden ist, dass die mehr als sechs Monate andauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Die belangte Behörde wird dem Beschwerdeführer einen neuen Behindertenpass mit der beantragten Zusatzeintragung auszustellen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die medizinische Sachverständige eine Nachuntersuchung im November 2021 empfahl.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht und welches auf alle Einwände und vorgelegten Befunde des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem die Parteien des Verfahrens im Rahmen des eingeräumten Parteiengehörs nicht substantiiert entgegengetreten sind. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Das Ergebnis dieser Begutachtung war, dass der Beschwerde Folge zu geben ist.

All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2227141.1.00

Im RIS seit

21.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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