TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/5 W195 2239132-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

05.03.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2

Spruch


W195 2239132-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.12.2020, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.02.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 55 Abs 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft dieser Entscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der BF stellte am 23.06.2020 den Antrag auf internationalen Schutz Dazu wurde er am Tag der Antragstellung einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er zu seiner Person und zu seinen Fluchtgründen an, dass er am XXXX geboren wurde, seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder würden in Bangladesch leben, er sei schlepperunterstützt über Griechenland Serbien, Slowenien und Italien nach Österreich gekommen. Er würde in Bangladesch „politisch verfolgt“, weil er Anhänger der BNP sei. Deswegen würde man ihn „mit dem Tode bedrohen“.

I.2. Eine am 22.10.2020 anberaumte Einvernahme durch das BFA wurde aus gesundheitlichen Gründen des BF abgebrochen und verschoben.

I.3. Am 15.12.2020 erfolgte eine neuerliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Im Zuge dieser Einvernahme konnte sich der BF „wegen Stress“ nicht mehr an sein Geburtsdatum erinnern. Er habe auch bei der Antragstellung am 23.06.2020 nicht die Wahrheit angegeben, weil er müde war und Angst hatte. Diese unwahren Angaben würden sein Alter und seine Geschwister betreffen.

Er habe keine Straftaten in Bangladesch begangen und sei auch von keinem Gericht verurteilt worden. Er werde jedoch von der Polizei gesucht und gebe es einen Haftbefehl gegen ihn. Dies hätten ihm seine politischen Kameraden erzählt. Er selbst habe sich nie an die Polizei gewandt, weil er Angst habe, im Kreuzfeuer erschossen zu werden.

Er sei bei der oppositionellen BNP als „Sekretär“ tätig gewesen, er habe Transparente und Flugschriften gemacht. Er sei „Teilinhaber“ einer Druckerei gewesen. Auf Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung angegeben habe, dass er keine Berufsausbildung habe, meinte der BF, er sei nervös gewesen und könne die Angaben nicht richtig machen.

In der weiteren Befragung vor dem BFA konnte der BF keine tiefergehenden Antworten über Struktur, Aufgaben und Organisation der BNP machen. Er könne – zusammengefasst – nur sagen, dass das passiert, was „die Miliz“ entscheidet“. Er habe in der Nacht Poster geklebt, dabei sei er erwischt und geschlagen worden.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er politisch aktiv, seine Cousins hingegen bei der „Miliz“ gewesen seien. Sie wollten ihn von der Partei wegbringen und, dass er „mit der Miliz“ zusammenarbeite. Da er sich geweigert habe, sei er geschlagen und bedroht worden. Man habe die Druckerei zerstört. Er sei in ein anderes Dorf geflohen und habe ein Lebensmittelgeschäft eröffnet, aber er sei auch dort verfolgt worden. Das Geschäft wurde zerstört und er ging in das nächste Dorf. Dann habe er sich entschieden nach Indien zu gehen, von wo er schlepperunterstützt bis nach Österreich gelangte.

Der BF habe Probleme gehabt mit dem „Hauptmann der Awami League“ und anderen Mitgliedern der AL einschließlich seiner Cousins. Es gebe Anzeigen gegen den BF und werde er von der Polizei und dem Gericht gesucht. Er hätte einen Brief vom Gericht erhalten, „als ich noch in Bangladesch“ war. Allerdings hatte er schon den Ort verlassen, an dem er mit seinen Eltern gewohnt habe. Er habe von diesem Brief von einem Bekannten erfahren. Seine Eltern hätten dies dem Bekannten erzählt.

Nachgefragt gab der BF an, dass er „ununterbrochen“ in „Bangladesch, XXXX gelebt habe, gemeinsam mit den Eltern und seinen beiden Schwestern. Auf die Widersprüchlichkeit zu seinen obigen Aussagen betreffend Ortwechsel angesprochen, meinte der BF, dass er die Ortschaft verlassen habe, als die Probleme auftauchten.

Er wisse nicht, wer den Lebensmittelhandel zerstört habe, aber die Cousins hätten den Befehl dazu gegeben.

Da seine „Hauptadresse“ bei den Eltern gewesen sei, habe man den Brief des Gerichtes dorthin geschickt; darauf angesprochen, dass es in Bangladesch kein Melderegister gäbe, somit auch keine „Hauptadresse“, meinte der BF, der Brief sei nicht vom Gericht, sondern von der Polizei gewesen. Es sei ein Haftbefehl wegen angeblichen Mordes und Sachbeschädigung gewesen. Als die Polizei zu seinen Eltern kam, sei er nicht mehr dort gewesen, sondern geflüchtet.

Als Schulbildung habe er 10 Jahre eine Schule und zwei Jahre das College besucht. Das College sei ein „politisches“ College gewesen, namens „ XXXX “. Erst als das BFA dem BF vorhielt, dass es sich dabei wohl um das „ XXXX gehandelt habe, meinte der BF, dass in dem College „Elektronik und verschiedenes“ unterrichtet werde.

Er habe die Kurse für „Gastronomie“ besucht. Man würde dabei lernen, wie man Lebensmittel aufbewahrt. Einmal pro Woche sei ein Kochkurs gewesen, er habe nach zwei Jahren aufgehört, obwohl die Ausbildung vier Jahre dauere.

Er habe – gemeinsam mit zwei Partnern – eine Druckerei gekauft, das Geld habe ihm sein Vater, ein Gemüsehändler, gegeben. Über Vorhalt stellte sich sodann heraus, dass die Druckerei nicht vollständig zerstört wurde, er habe sie dann den Partnern übergeben, dafür Geld erhalten und das Lebensmittelgeschäft in einem anderen Dorf eröffnet.

Zu seiner Familie (den Eltern und – nunmehr – zwei Schwestern) habe er keinen Kontakt. Er habe es mit einem Mobiltelefon versucht, aber es habe sich niemand gemeldet; dieses Mobiltelefon würde nicht ihm gehören, sondern einen Bekannten, aber der BF hatte dieses bei der Einvernahme dabei. Im Rahmen der Nachschau konnte festgestellt werden, dass kein Anruf nach Bangladesch getätigt wurde.

Der BF habe Bangladesch im November 2019 verlassen, er wollte in irgendein europäisches Land; in Österreich und der EU habe er keine Verwandten, auch keine Partnerschaft oder Beziehung. Er habe ein paar österreichische Freunde, sei aber in keinem Klub oder Verein tätig. Er habe die österreichischen Freunde in einem Gasthaus getroffen und besuche diese oft. Nach langer Überlegung gab der BF an, er würde diese Freunde „am XXXX “ in der Nähe von XXXX treffen. Er lebe davon, dass er gut kochen könne und er auch für die Nachbarn und Mitbewohner reinige.

Festgestellt wurde, dass der BF kein Deutsch spricht.

I.4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 16.12.2020, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und darüber hinaus gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III bis V.). Weiters wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestünde (Spruchpunkt VI, VII.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen ihm nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.5. Mit Schriftsatz vom 13.01.2021 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – im Beschwerdezeitpunkt nunmehr durch die XXXX vertretenen – BF zur Gänze angefochten.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, das BFA habe den zu beurteilenden Sachverhalt in wesentlichen Punkten nicht ermittelt. Unter weitläufiger Heranziehung von Literatur und Rechtsprechung wurden angebliche Verfahrensfehler und Ermittlungsfehler der belangten Behörde dargelegt.

Es wurden die Anträge gestellt, dem BF Asyl bzw. subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen, in eventu, die Rückkehrentscheidung aufzuheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären sowie einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK zu erteilen.

Zusätzlich wurde auch noch der Antrag gestellt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

I.6. Mit Schreiben vom 20.01.2021 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo der Administrativakt am 29.01.2021 einlangte.

I.7. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand Dezember 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 15.02.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.8. Am 15.02.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Eingangs teilte der BF mit, dass er den Dolmetscher bei der Befragung vor dem BFA nicht verstanden habe, da dieser aus Indien stamme und er nicht gewusst habe, dass man den Dolmetsch auswechseln könne.

Der BF bekräftigte, sich in körperlicher und geistiger Verfassung zu fühlen, der Verhandlung zu folgen sowie dass er gegenwärtig den Dolmetsch gut verstünde.

Befragt, ob und wie oft er Kontakt zu seiner Familie habe, gab der BF an, vor der Einvernahme beim BFA keinen Kontakt zu seiner Familie gehabt zu haben. Nunmehr habe er Kontakt, das letzte Mal vor ca. 15 Tagen.

Befragt, aus welchen Personen seine Familie bestehe, gibt der BF zunächst an „Mutter, Vater, Bruder, Schwester“. In weiterer Folge des Befragungsverlaufs zu Namen und Alter bzw. Geburtsdaten der Familienmitglieder, vermeinte der BF auf einmal, keinen Bruder zu haben (BVwG S 5), sondern zwei Schwestern (die gleichen widersprüchlichen Angaben machte der BF bei der Ersteinvernahme, vgl. AAS 51). Hinsichtlich des Alters der Schwestern und der Mutter machte der BF deutlich unterschiedliche Angaben gegenüber seinen Aussagen beim BFA wenige Wochen zuvor.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich.

Sein Vater besitze ein „Gemüsegeschäft“ in Bangladesch und finanziere sich dadurch, seiner Familie ginge es mittelmäßig.

Der BF habe die Grundschule und danach zwei Jahre ein College besucht ( BVwG S 6); es sei dies ein „ XXXX “ College gewesen, wo er über „food“ gelernt habe (BVwG S 12; vgl. Aussage vor BFA: „ XXXX “; dann jedoch „ XXXX “; AAS 187)

Er habe keine Berufsausbildung erhalten, aber in seinem Heimatdorf XXXX eine Druckerei besessen, gemeinsam mit Partnern. Nachdem „das Problem“ entstand habe er seine Anteile verkauft und sei in ein zwei Stunden (mit einem Motorfahrzeug) entferntes Dorf namens XXXX gesiedelt, wo er einen Greißlerladen eröffnete. Auch dort sei „ein Problem“ entstanden und er ging von dort weg (BVwG S 7). XXXX sei 8 bis 9 Stunden mit dem Zug von XXXX entfernt, er sei zwei Jahre dort, gewesen, bevor er nach XXXX zog (BVwG S 12).

Diese habe er in weiterer Folge verkauft und ein Lebensmittelgeschäft eröffnet.

Der BF spricht nur bruchstückhaft Deutsch, eine Konversation auf Deutsch im Rahmen der Verhandlung war mit dem BF nicht möglich.

Der BF ist weder verheiratet, noch lebt er in einer Beziehung. Der BF hat keine Kinder.

In Österreich sei er die meiste Zeit zu Hause in einer Wohngemeinschaft. Er koche für die Wohngemeinschaft und bekomme hiefür etwas Geld. An Wohnungsmiete habe er € 150 zu bezahlen, für das Essen benötige er € 100. Er beziehe – freiwillig - keine Grundversorgung (da er nicht im Lager bleiben wollte, wie dem Administrativakt zu entnehmen ist; AAS 117f; andere Aussage vor dem BVwG S 16: „Als ich mit den Papieren zum BFA ging, gab es keinen Dolmetsch und man hat mich unterschreiben lassen. Als ich von dort dann wegkam, habe ich erst später bemerkt, dass alles eingestellt wurde. Ich wusste nicht, dass, falls man von dort wegkommt, alles eingestellt wird“).

Zum Fluchtgrund befragt, gibt der BF an, dass er „Politik mache“. Als Inhaber eines Druckgeschäfts habe er für die BNP Poster gemacht. Wenn die BNP Veranstaltungen gehabt habe, habe er die Leute zusammengebracht. Das seien seine Aufgaben gewesen. Später sei er von der AL belästigt und bedroht worden, damit er in der Ortschaft keine Poster mehr aufhänge. Der BF gibt an, Mitglied der BNP gewesen zu sein und auch über eine Voter-Card zu verfügen. Diese habe er aber nicht auf seiner Flucht aus Bangladesch mitgenommen. Einen Reisepass besitze er nicht.

Nach dem konkreten Fluchtauslösendem Anlass befragt antwortete der BF nur allgemein, dass er geflohen sei, weil er sehr oft angegriffen, geschlagen und am Körper verletzt worden sei. Es seien auch zwei Anzeigen gegen ihn erstattet worden.

Die erste Anzeige gegen ihn stamme aus dem Jahr 2015. Man hätte ihn wegen Mordes angezeigt.

Er habe einen Brief erhalten, woraufhin er die Ortschaft verlassen habe. An das genaue Datum, wann er den Brief erhalten habe, könne sich der BF nicht mehr erinnern. Die Polizei habe ihn gesucht. Er könne nur angeben, dass es „zur warmen Zeit“ gewesen sei, der Brief – später als „Haftbefehl“- angesprochen, sei „zur Mittagszeit“ gekommen. Er sei bei der Arbeit gewesen und habe einen Anruf erhalten, er solle nicht nach Hause kommen, sondern weit weggehen (BVwG S 10). Die Mordanzeige habe eine Person namens „ XXXX “ gemacht, es sei ein Mord in der Nähe der Ortschaft passiert und man würde ihn beschuldigen. Er sei dann „für einige Tage auswärts gewesen“.

Der BF berichtet zunächst, dass er von zu Hause aus einen Anruf erhalten habe und man ihm mitgeteilt hätte, er habe jemanden ermordet. Er sei dann mit den Parteiführern zur Polizeistation gegangen und hätte erklärt, dass es sich hiebei um eine Falschanzeige handle. Im Zuge der Rückübersetzung gab der BF jedoch an, dass nur die Parteiführer zur Polizei gegangen seien und er sie nicht begleitet habe (BVwG S 15). Es sei die Anzeige nicht „behoben“ worden.

Er sei „heimlich zweimal in die Ortschaft gegangen“ und sei dann dort untergetaucht, „wo ich das Geschäft [Greißlerladen] hatte“.

Als seine Feinde herausfanden, dass er im [anderen] Dorf sei, habe sie andere Leute geschickt und sein Geschäft zerstört und gebrandstiftet. Die Polizei sei gekommen und habe alles gesehen, sie hätten nach ihm gesucht und es sei alles zerstört worden. Die Leute aus dem Dorf hätten ihm dies erzählt, er sei „ja schon zuvor weggegangen“ (BVwG S 15).

Seine Familie wohnte seinerzeit auch in XXXX , nunmehr aber – seit Ende 2018 – in XXXX . Zu dieser Zeit wohnte der BF bereits in XXXX (BVwG S 11). Er habe ca. 2 Jahre lang in XXXX gewohnt. Er habe dort als „Installateur“ gearbeitet, genauer nachgefragt als „Helfer“, der die Rechnungen geführt habe.

Die zweite Anzeige habe er Anfang Jänner 2019 erhalten. Es werde ihm darin vorgeworfen, ein Fahrzeug eines AL-Vorsitzenden aus seiner Ortschaft beschädigt zu haben.

Der BF berichtet, angegriffen und aufgefordert worden zu sein, mit seiner Tätigkeit bei der BNP aufzuhören. Gewehrt habe er sich nicht gegen die Anzeigen, da die Polizei nur auf die AL höre, da diese an der Macht sei.

Nachdem er die erste Anzeige erhalten habe, habe er die Ortschaft für einige Tage verlassen und sei zweimal heimlich zurückgekehrt. Er sei dann untergetaucht, dort, wo er das Geschäft habe. Nachdem der BF sein Dorf verlassen habe, haben seine „Feinde“ sein Lebensmittelgeschäft in der anderen Ortschaft zerstört.

In Bezug auf seine politische Tätigkeit gibt der BF an, dass er von 2014 bis „2019“ Werbesekretär für die BNP war. Er gibt an, bei Treffen der BNP die Menschen zusammengebracht zu haben und wenn die BNP Veranstaltungen gehabt habe, für diese Poster aufgehängt zu haben. Er habe dabei nur auf Gemeindeebene in XXXX gearbeitet (widersprüchlich zu seinen Aufenthalten in XXXX , jeweils viele Stunden entfernt.). Aufgrund seines Druckereigeschäftes habe er Poster drucken und aufhängen können. Im weiteren Verlauf der Befragung gibt der BF an, die Funktion des Werbesekretärs immer noch inne zu haben.

Befragt, wieso er noch immer die Funktion eines Werbesekretärs habe, obwohl er das Druckgeschäft in Bangladesch aufgegeben habe, gibt der BF an, dass es die Druckerei immer noch gebe und viele diese Funktion nicht ausüben wollen, denn, wenn man das (Anm. Aufgaben als Werbesekretär) mache, dann sei man auch vollständig hiefür verantwortlich. Er habe die angenommen und auch die Poster erstellt, dadurch habe er auch ein Einkommen lukriert.

Gegen Ende der Verhandlung wurde noch auf die LIB zu Bangladesch sowie die aktuelle Situation auf Grund der Corona-Pandemie eingegangen. Der BF vermeinte dazu, dass „überall dieselbe Situation wegen Corona“ sei. Die Vertreterin des BF verwies abschließend auf das Vorbringen in der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Festgestellt wird, dass der BF selbst angab, dass seine Aussagen bei der Ersteinvernahme hinsichtlich seiner Geschwister und seiner Person falsch waren.

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali/Bengala (gleichlautende Angaben in der Erstbefragung am 23.06.2010, AS 47, und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA vom 15.12.2020 AS 177 ff).

Der BF ist im Ort XXXX geboren und aufgewachsen, wohnte einmal für zwei Jahre in XXXX und war zuletzt zwei Jahre in XXXX wohnhaft. Er hat in seinem Heimatland für zehn Jahre die Grundschule und danach zwei Jahre lang ein polytechnisches College, das XXXX besucht. Der BF hat keine Berufsausbildung abgeschlossen. In XXXX hat er ein Druckereigeschäft betrieben und später in XXXX ein Lebensmittelgeschäft eröffnet. In XXXX arbeitete er bei einem Installateur.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. In Bangladesch halten sich die Eltern und Geschwister des BF auf. Zwischen dem BF und seiner Familie besteht ein aufrechter regelmäßiger Kontakt. Der BF wirkt hinsichtlich seiner Familienangaben wenig glaubwürdig, wenn ihm zeitweilig sein eigenes Geburtsdatum nicht erinnerlich ist. Er verwechselt, ob er zwei Schwestern oder statt dessen einen Bruder und eine Schwester hat sowie gibt er um einige bzw. viele Jahre variierende Altersangaben von Familienangehörigen an.

Zu den Ausführungen des BF vor dem BVwG, dass der BF vor dem BFA keine geeigneten Dolmetscher vorfand und deshalb seine Aussagen falsch protokolliert seien, wird festgestellt, dass er mit seiner eigenen Unterschrift die Richtigkeit der Dokumente bestätigte und sich auch kein Widerspruch seinerseits in den Protokollen findet.

Der BF ist im Juni 2020 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er verfügt über kein Aufenthaltsrecht außerhalb seines Asylverfahrens.

Der BF hat auf Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung verzichtet. Der BF gibt dazu an, dass er „nicht wusste, dass alles eingestellt wird.“ Es hätte keinen Dolmetsch gegeben, man habe ihn unterschreiben lassen und er habe erst später bemerkt, dass alles eingestellt worden sei. Festgestellt wird, dass dem BF der „freiwillige Verzicht auf Leistung der Grundversorgung einschließlich Belehrung“ am 19.08.2020 sowohl in deutscher als auch bengalischer Schrift vorgelegen ist und er diesen unterfertigte. Die Aussage des ausreichend schriftlich gebildeten BF, er wusste nicht, dass „alles eingestellt werde“, ist schlichtweg falsch und daher unglaubwürdig.

Der BF besitzt keine Arbeit in Österreich, verrichtet lediglich kleinere Koch- und Reinigungstätigkeit in jener Wohngemeinschaft, in der er auch lebt und verbringt aufgrund der Corona-Pandemiesituation die meiste Zeit zu Hause.

Der BF engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich.

Der BF verfügt über lediglich bruchstückhafte Deutschkenntnisse, die meistens nur einzelne Worte umfassen.

Er ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist gesund. Er leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit und nimmt zweimal am Tag Tropfen für seine Nase.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Nicht festgestellt werden kann eine konkrete politische Verfolgung des BF in Bangladesch.

Es wird festgestellt, dass der BF unglaubwürdig ist, wenn er behauptet, dass er seit 2014 „bis jetzt“ „Werbesekretär“ der BNP ist. Es wird festgestellt, dass der BF widersprüchlich angab, dass er von 2014 „bis 2019“ bzw. „bis jetzt“ in dieser Funktion ist. Es ist unglaubwürdig, wenn der BF behauptet, er habe diese Funktion immer noch und er „eh in Bangladesch bleiben könnte“, wenn er nicht diese Funktion hätte, er aber, weil er die Funktion derzeit noch innehabe, deshalb nach Österreich kommen musste.

Es wird festgestellt, dass der BF keine Anzeigen gegen seine Person vorgelegt hat, weder aus dem Jahr 2015 wegen Mordes noch aus Jänner 2019 wegen Sachbeschädigung.

Es wird festgestellt, dass die behauptete Mordanzeige aus dem Jahr 2015 angeblich nicht von der Polizei, sondern von einer Privatperson ausging, ebenso wie die Anzeige von Jänner 2019 wegen einer Sachbeschädigung.

Es wird festgestellt, dass der BF widersprüchliche Angaben zum Erhalt und zur Kenntnis dieser Mordanzeige machte.

Es wird festgestellt, dass der BF trotz behaupteter Anzeigen, insbesondere trotz Mordanzeige aus dem Jahr 2015, weiterhin in Bangladesch bis Ende 2019 in Bangladesch lebte. Es wird festgestellt, dass sich der BF nicht gegen die Anzeigen gewehrt hat, etwa mittels eines Anwaltes.

Es wird festgestellt, dass der BF krass widersprechende Aussagen hinsichtlich der angeblich politisch motivierten „Zerstörung“ seiner Druckerei machte; der BF erzählte, dass die Druckerei „zerstört“ (AAS 184 unten), „nicht völlig zerstört“ (AAS 188 Mitte), „nicht zerstört“ (BVwG S 16 oben) wurde.

Es wird festgestellt, dass der BF behauptet, trotz einer bestehenden Mordanzeige in einem anderen Dorf ein Lebensmittelgeschäft geführt zu haben, und „seine Feinde“, als sie dies herausfanden, „andere Leute“ geschickt hätten, um das Geschäft zu zerstören und zu brandstiften; es ist unglaubwürdig, dass diese Personen nicht die Polizei verständigten, um den angeblich „unter Mordverdacht“ stehenden BF festnehmen zu lassen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Bangladesch angezeigt worden wäre bzw. in Bangladesch von Behörden gesucht wird.

Es wird nicht festgestellt, dass der BF Mitglied der BNP oder einer anderen Partei ist bzw. war. Es wird festgestellt, dass der BF keine Persönlichkeit ist, die in Bangladesch landesweit gesucht wird und er sich im Falle einer Rückkehr allfälligen Behelligungen durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen wird können.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

COVID-19:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weitere Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen:

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem „Scharia Recht“. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, „Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Allgemeine Menschenrechtslage:

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Menschenrechte werden nach der Verfassung mit Gesetzesvorbehalten garantiert (AA 21.6.2020). Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 9.2020; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 9.2020). Die Verwirklichung der in der Verfassung garantierten Rechte ist nicht ausreichend (AA 21.6.2020).

Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen sowie Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2.000 Mitglieder der RABs (Rapid Action Battalion (RAB), Spezialkräfte für u.a. den Antiterrorkampf) wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 9.2020, siehe auch Abschnitt 4).

Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Verleumdungsdelikten juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).

Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt waren. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgeldern für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern, bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        EEAS - European External Action Service (1.1.2019): Statement by the Spokesperson on parliamentary elections in Bangladesh, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/56110/node/56110_es, Zugriff 13.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 10

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten