Entscheidungsdatum
09.03.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W141 2233031-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX ,
geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 11.02.2020, OB: XXXX , betreffend die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
XXXX erfüllt die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1.Am 17.09.2019 beantragte XXXX , geboren am XXXX , (in der Folge BF) die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ samt Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung.
Die belangte Behörde holte ein medizinisches Sachverständigengutachten ein. Dr. Eva Maria Knespel, Fachärztin für Innere Medizin, stellte nach einer persönlichen Untersuchung des BF im Gutachten vom 26.12.2019 einen Gesamtgrad der Behinderung von 60% fest und führte aus, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorlägen.
Zur beantragten Zusatzeintragung führte die beauftragte medizinische Sachverständige Nachfolgendes aus:
„…………..
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Es besteht eine koronare Herzerkrankung mit reduzierter Linksventrikelfunktion, nach den vorliegenden Befunden unter laufender Therapie im durchwegs kardiorespiratorisch kompensiertem Zustand, sodass bei hierorts gutem Allgemein- und adipösen Ernährungszustand, sowie ausreichend freiem Gangbild, eine erhebliche Erschwernis beim Zurücklegen kurzer Wegstrecken oder beim Benützen öffentlicher Verkehrsmittel nicht begründbar ist.
2.Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?
Nein.
……………..“
Zu den Einwendungen des BF vom 19.12.2019 zum eingeholten Sachverständigengutachten im Rahmen des Parteiengehörs führte die medizinische Sachverständige ergänzend in ihrer Stellungnahme vom 11.02.2020 Nachfolgendes aus:
„Der Antragsteller erklärt sich mit dem Ergebnis der Begutachtung vom 24.10.2019 nicht einverstanden und bringt in der Stellungnahme vom 19.01.2020 vor, dass er Schwierigkeiten beim Gehen hat, unsicher ist, unter Gleichgewichtsstörungen leidet, alleine nicht auf die Straße gehen kann, die Busstation zu weit entfernt ist, gefordert wird die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel." Neue Befunde werden nicht eingebracht. Bei der hierorts durchgeführten Begutachtung sowie nach den vorliegenden Befunden präsentiert sich der Antragsteller im Raum bei gering bis mäßiger Gangablaufstörung, ausreichend sicher selbständig gehfähig sowie kardiorespiratorisch kompensiert. Bei Hinweis auf ein moderates, sensomotorisches Defizit, diese sind jedoch nicht höhergradigen Ausfällen gleichzusetzen. Der objektive, neurologische Befund ist mit einer moderaten Gangstörung vereinbar, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, ohne erhebliche Erschwernis erlaubt. Darüber hinaus werden anlässlich der hierortigen Untersuchung 2 Krücken verwendet, wobei jedoch deren behinderungsbedingte Erfordernis durch die objektivierbare Funktionseinschränkung nicht begründet werden kann. Daher liegen die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel" nicht vor.
……………….“
2. Mit Bescheid vom 11.02.2020 wurde der Antrag des BF vom 17.09.2019 zur Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Die belangte Behörde stützte sich auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten samt ergänzenden Ausführungen, die einen Bestandteil der Begründung bilden würden. Nach dem eingeholten Gutachten lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
3. Mit Schreiben vom 19.03.2020 erhob der BF Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom 11.02.2020. Der BF brachte im Wesentlichen vor, dass man dem der Beschwerde angehängten ärztlichen Befundbericht von Dr. Gerschlager, FA für Neurologie, vom 25.02.2020 entnehmen könne, dass dem BF das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel wegen neurologischer Defizite - laut Diagnose ST p CPR Parkinson-Syndrom, sekundäre Gangstörung mit „freezing“ und reduzierter posturaler Stabilität - nicht möglich sei. Da seit November 2019 Inkontinenz bestehe, sei eine urologische Begutachtung empfohlen worden, aber bislang sei aufgrund der Corona-Krise kein Termin möglich gewesen.
4. Am 16.07.2020 wurde der Beschwerdeakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt. Auf Grund des Beschwerdevorbringens und der vorgelegten Befunde wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein ergänzendes medizinisches Gutachten eingeholt.
5. Mit 16.12.2020 wurde das Gutachten vom 21.10.2020 dem Parteiengehör unterzogen. Es wurde die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen. Es wurden keine Einwendungen gegen das eingeholte Gutachten vorgebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.Feststellungen:
1.1. Der BF verfügt über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H.
1.2. Zum Gesundheitszustand:
Untersuchungsbefund: Größe: -178 cm Gewicht: —95 kg Blutdruck: 150/90.
Status — Fachstatus:
Normaler AZ.
Kopf / Hals: voll orientiert, Stimmung und Antrieb unauffällig, kooperativ. Haut und sichtbare Schleimhäute normal durchblutet, Visus (Brillenträger) und Gehör unauffällig, keine Einflussstauung, Schilddrüse äußerlich unauffällig.
Thorax: inspektorisch unauffällig.
Lunge: auskultatorisch unauffällig. Keine Atemauffälligkeiten; Nichtraucher.
Herz: linksbetonte Grenzen, HT- rein, rhythmisch, normfrequent.
Abdomen: über T N, weich, normale Organgrenzen, Z. n. Nabelbruch-OP, 2-3x-ige Nykturie. Achsenorgan: normal strukturiert, ausreichend frei bewegliche HWS, FBA im Stehen: 30 cm. Obere Extremitäten: altersentsprechend frei beweglich, kein Tremor.
Untere Extremitäten: Narbe linke Kniegelenksregion, Gelenke altersentsprechend frei beweglich, keine Ödeme.
Gesamtmobilität — Gangbild: kann sich allein erheben, kann frei auf den Beinen stehen, trippelndes freies Gangbild, kein/kaum ein Mitschwingen der Arme.
Funktionseinschränkungen:
1. Sekundäres Parkinsonsyndrom
2. Hypertensive und ischämische Cardiomyopathie mit paroxysmalem Vorhofflimmern nach Myokardinfarkt und CRT-D-lmplantation
3. Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom
4. Diabetes mellitus Typ Il — orale Medikation
Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der oberen oder der unteren Extremitäten vor.
Es liegt keine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor.
Es liegt keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor.
Es liegt keine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor.
Es liegen erhebliche Einschränkungen der neurologischen Funktionen vor. Eine kurze Wegstrecke (300 bis 400m) kann nicht zurückgelegt werden.
2.Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und dem vorliegenden Gerichtsakt.
Zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen des BF im Hinblick auf die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ wurde in dem oben wiedergegebenen, schlüssigen Sachverständigengutachten vom 21.10.2020 von Dr. Alexander Lechner, Arzt für Allgemeinmedizin, das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt wurde, ausführlich und nachvollziehbar Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF mit erhobenem klinischen Befund und den schlüssigen und nachvollziehbaren gutachterlichen Äußerungen, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 21.10.2020 nachvollziehbar dargelegt, dass sich im Vergleich zum internistischen Sachverständigengutachten von Frau Dr. Eva Maria Knespel vom 26.12.2019 und der Stellungnahme dazu die neurologische Gesundheitsschädigung — nach persönlicher allgemeinmedizinischer Untersuchung — insofern geändert hat, als sich nun die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel als unzumutbar erwiesen hat, wodurch eine abweichende Gesamtbeurteilung eingetreten ist. Das vorliegende neurologische Leiden (sekundäres Parkinsonsyndrom) bedingt, dass eine kurze Wegstrecke nicht zurückgelegt werden kann. Diese Feststellungen des Sachverständigen spiegeln sich auch in den vorgelegten medizinischen Unterlagen wider.
Gegen die schlüssigen und ausführlichen Erörterungen des Gutachters Dr. Alexander Lechner, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 21.10.2020 wurden auch im Rahmen des Parteiengehörs keine Einwendungen mehr erhoben.
3.Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation liegen die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung vor (Vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063; VwGH vom 10.09.2014, Zl. Ra 2014/08/0005).
3.1.Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
Die Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II 495/2013, wurde mit BGBl II Nr. 263/2016 novelliert. Gemäß § 5 Abs. 3 der Novelle ist § 1 dieser Verordnung mit Ablauf des 21.09.2016 in Kraft getreten.
Gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen), BGBl. II Nr. 495/2013 idgF, hat der Behindertenpass auf der Vorderseite zu enthalten:
1. die Bezeichnung „Behindertenpass“ in deutscher, englischer und französischer Sprache;
2. den Familien- oder Nachnamen, Vorname(n), akademischen Grad oder Standesbezeichnung des Menschen mit Behinderung;
3. das Geburtsdatum;
4. den Verfahrensordnungsbegriff;
5. den Grad der Behinderung oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit;
6. das Antragsdatum;
7. das Ausstellungsdatum;
8. die ausstellende Behörde;
9. eine allfällige Befristung;
10. eine Braillezeile mit dem Ausdruck „Behindertenpass“;
11. ein Hologramm in Form des Bundeswappens mit dem Schriftzug „Sozialministeriumservice“ im Hintergrund;
12. das Logo des Sozialministeriumservice;
13. einen QR-Code, mit dem auf der Homepage des Sozialministeriumservice nähere Informationen zum Behindertenpass und den einzelnen Zusatzeintragungen abgerufen werden können sowie
14. ein der Bestimmung des § 4 der Passgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 223/2006, entsprechendes Lichtbild.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
? erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
? erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
? erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
? eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
? eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise): Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zu § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals § 1 Abs. 2 Z 3) (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
? arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
? Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
? hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
? Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
? COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
? Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
? mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.05.2009, 2007/11/0080).
Für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren. Aus diesem Grund ist der Umstand betreffend die mangelnde Infrastruktur (Vorhandensein und Erreichbarkeit, Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel, „Leben am Land“) oder den Transport von schweren Gepäckstücken und das Tätigen von Einkäufen rechtlich nicht von Relevanz und kann daher bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht berücksichtigt werden (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0258).
Zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens wird auf die obigen Erörterungen verwiesen.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen des BF ein Ausmaß erreichen, welches die Eintragung des Zusatzes „Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar“ rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen
Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Hinsichtlich der bekämpften Abweisung der Zusatzeintragung ist im gegenständlichen Fall für die Entscheidung maßgebend, ob die dauernden Gesundheitsschädigungen des BF ein Ausmaß erreichen, welches die Eintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ rechtfertigt. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde ein ergänzendes ärztliches Sachverständigengutachten vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt. Gegen dieses Gutachten vom 21.10.2020 wurden im Rahmen des Parteiengehörs keine Einwendungen erhoben. Wie bereits oben ausgeführt wurde, wurde dieses als nachvollziehbar und schlüssig erachtet. Der Sachverhalt ist geklärt und daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
3.3.Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung (vgl. VwGH vom 24.04.2014, Zl. Ra 2014/01/0010; VwGH vom 24.03.2014, Zl. Ro 2014/01/0011) zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2233031.1.00Im RIS seit
17.05.2021Zuletzt aktualisiert am
17.05.2021